In der folgenden Arbeit wird die Bedeutung der Mentalisierungsfähigkeit pädagogischer Fachkräfte in den frühpädagogischen Handlungsfeldern Kinderkrippe und Kindertagesstätte dargelegt. Das Mentalisierungskonzept stammt ursprünglich aus dem klinisch-therapeutischen Setting, gewinnt jedoch in der Pädagogik zunehmend an Bedeutung. Obwohl sich die mentalisierungsbasierte Pädagogik noch in den Anfängen befindet, ist es Ziel dieser Arbeit, deren Relevanz aufzuzeigen. Die grundlegende Fähigkeit zu Mentalisieren entwickelt sich im Verlauf der Kindheit, sodass gerade die Arbeit in Kindertageseinrichtungen einen Schnittpunkt zum Ansatz der mentalisierungsbasierten Pädagogik bietet. Pädagogische Fachkräfte haben demnach eine hohe Verantwortung zu tragen, da sie diesen relevanten Prozess nicht nur begleiten, sondern darüber hinaus auf die Entwicklungsaspekte Einfluss nehmen können.
Im Rahmen dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Mentalisierungsfähigkeit pädagogischer Fachkräfte, die in einer Krippe oder Kindertagesstätte tätig sind, eine Ressource hinsichtlich der sozial-emotionalen Entwicklung des Kindes darstellen kann. Die Fragestellung steht im Vordergrund der Arbeit und hat sich im Zuge der Auseinandersetzung mit der Mentalisierungstheorie sowie eigenen Berufserfahrungen in frühpädagogischen Handlungsfeldern ergeben. Da Bildung, Erziehung und Betreuung aufgrund des gesellschaftlichen Wandels des letzten Jahrzehnts heutzutage überwiegend in institutionellen Einrichtungen erfolgt, handelt es sich um eine Thematik, die deutlich mehr Beachtung erhalten sollte.
Bereits im Jahr 2015 besuchten in Deutschland knapp 700.000 Kinder unter drei Jahren und ca. zwei Millionen Kinder zwischen drei und sechs Jahren eine Kindertageseinrichtung. Demnach wachsen viele Kinder nicht mehr nur innerhalb ihrer Familie auf, sondern verbringen bereits ihre ersten Lebensjahre oftmals in außerfamiliären Einrichtungen. Kindheit heute bietet zwar eine Vielzahl von Chancen, wie z.B. die Entfaltung individueller Interessen und Fähigkeiten, ist jedoch auch oftmals mit Belastungsfaktoren besetzt, die der seelischen Gesundheit gefährden können. Dazu gehören beispielsweise knapp bemessene Zeiträume für familiäre Beziehungsgestaltung, hoher Konsum und Erfolgsdruck, wenig freie Spielzeiten, familiäre Trennungserfahrungen sowie verunsicherte Eltern aufgrund gravierender gesellschaftlicher Veränderungen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Aktuelle Diskurse zur Kindheitspadagogik
2. Grundlagen des Mentalisierens
2.1 Entwicklungspsychologische Modelle
2.1.1 Bindungund Mentalisieren
2.1.2 Markierte Affektspiegelung
2.1.3 Gestorte Affektspiegelung und Fremdes Selbst
2.1.4 Epistemisches Vertrauen
2.2 Entwicklung der Mentalisierungsfahigkeit bei Kindern bis zum sechsten Lebensjahr (pramentalisierende Modi)
2.3 Scheitern des Mentalisierens
3. Mentalisierungsbasierte Kindheitspadagogik
3.1 Resilienzforderung durch Mentalisierung
3.2 Marte Meo als padagogisches Konzept zur Starkung der Mentalisierungsfahigkeit
4. Padagogische Fachkrafte als Begleiter_innen von Mentalisierungsprozessen
4.1 Die Relevanz von Eingewohnungs- und Ubergangsphasen hinsichtlich der kindlichen Entwicklung
4.1.1 Berliner Eingewohnungsmodell
4.1.2 WienerKrippenstudie
4.1.3 Mentalisierungsbasiertes Praventionsprogramm „Amor Parentum"
4.2 Work Discussion als Methode zur Starkung der Mentalisierungsfahigkeit
4.3 Mentalisierung als Stresspravention
5. Bedeutung fur die Soziale Arbeit
6. Fazit und Ausblick
Abstract
Abkurzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Sonstige Quellen
Anhang
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird die Bedeutung der Mentalisierungsfahigkeit padagogischer Fachkrafte[1] in den fruhpadagogischen Handlungsfeldern Kinderkrippe und Kindertagesstatte[2] dargelegt. Das Mentalisierungskonzept stammt ursprunglich aus dem klinisch-therapeutischen Setting, gewinnt jedoch in der Padagogik zunehmend an Bedeutung (vgl. Gingelmaier/ Ramberg/Taubner 2018, S. 14). Obwohl sich die mentalisierungsbasierte Padagogik noch in den Anfangen befindet (vgl. Gingelmaier/Ramberg 2018, S. 102), ist es Ziel dieser Arbeit, deren Relevanz aufzuzeigen. Die grund- legende Fahigkeit zu Mentalisieren[3] entwickelt sich im Verlauf der Kindheit (vgl. Schwarzer 2018b, S. 140), sodass gerade die Arbeit in Kindertages- einrichtungen[4] einen Schnittpunkt zum Ansatz der mentalisierungsbasierten Padagogik bietet. Padagogische Fachkrafte haben demnach eine hohe Verantwortung zu tragen, da sie diesen relevanten Prozess nicht nur begleiten, sondern daruber hinaus auf die Entwicklungsaspekte Einfluss nehmen kbnnen. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Mentalisierungsfahigkeit padagogischer Fachkrafte, die in einer Krippe Oder Kindertagesstatte tatig sind, eine Ressource hinsichtlich der sozial-emotionalen Entwicklung des Kindes darstellen kann. Die Fragestellung steht im Vordergrund der Arbeit und hat sich im Zuge der Auseinandersetzung mit der Mentalisierungstheorie sowie eigenen Berufserfahrungen in fruhpadagogischen Handlungsfeldern ergeben. Da Bildung, Erziehung und Betreuung aufgrund des gesellschaftlichen Wandels des letzten Jahrzehnts heutzutage uberwiegend in institutionellen Einrichtungen erfolgt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. 49), handelt es sich urn eine Thematik, die deutlich mehr Beachtung erhalten sollte. Bereits im Jahr 2015 besuchten in Deutschland knapp 700.000 Kinder unter drei Jahren und ca. zwei Millionen Kinder zwischen drei und sechs Jahren eine Kindertageseinrichtung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. 58f.). Demnach wachsen viele Kinder nicht mehr nur innerhalb ihrer Familie auf, sondern verbringen bereits ihre ersten Lebensjahre oftmals in aufterfamiliaren Einrichtungen. Kindheit heute bietet zwar eine Vielzahl von Chancen, wie z.B. die Entfaltung individueller Interessen und Fahigkeiten, ist jedoch auch oftmals mit Belastungsfaktoren besetzt, die der seelischen Gesundheit gefahrden kbnnen. Dazu gehbren beispielsweise knapp bemessene Zeitraume fur familiare Beziehungsgestaltung, hoher Konsum- und Erfolgsdruck, wenig freie Spielzeiten, familiare Trennungserfahrungen sowie verunsicherte Eltern aufgrund gravierender gesellschaftlicher Veranderungen. Dies sind nur einige Faktoren, die neue Sichtweisen, praktische Ansatze sowie Praventionsangebote in padagogischen Handlungs- feldern veranlassen, urn den individuellen Entwicklungsprozess jedes Kindes bestmbglich unterstutzen zu kbnnen (vgl. Uhl 2013, S. 9f.). Inwieweit Mentalisierungsfbrderung diesbezuglich einen Beitrag leisten kann, soil im Rahmen dieserArbeit aufgezeigt werden.
Im ersten Kapitel werden die aktuellen Diskurse zur Kindheitspadagogik beleuchtet, urn die gesellschaftlichen Veranderungen im Zusammenhang mit den gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Tatigkeit in Kindertages- einrichtungen zu verdeutlichen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Akademisierung padagogischer Fachkrafte. Hierbei handelt es sich urn ein sehr prasentes Thema, das in der bundesdeutschen Diskussion, bezuglich der Weiterentwicklung von Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheitspadagogik bis heute erortert wird (vgl. Altermann/Holmgaard/Klaudy u.a. 2015, S. 8f.). Das zweite Kapitel befasst sich mit den Grundlagen des Mentalisierens, bezogen auf die ersten sechs Lebensjahre eines Kindes. Im Rahmen dessen werden entwicklungspsychologische Modelledargelegt, die fur den Erwerbder Mentalisierungsfahigkeit essenziell sind. Die Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Mentalisierens erscheint notwendig, urn deren Relevanz im fruhpadagogischen Kontext belegen zu kbnnen. Dies erfolgt im dritten Kapitel der Arbeit, welches von mentalisierungsbasierter Kindheitspadagogik handelt. Im Fokus dessen stehen Interventionsmoglichkeiten zur Starkung der kindlichen Mentalisierungsfahigkeit. Fur den Erwerb dieser Fahigkeit benbtigt das Kind in erster Linie sichere Beziehungen (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 27), die sich neben der Familie auch in Kindertageseinrichtungen zwischen padagogischer Fachkraft und Kind entwickeln kbnnen und sollten. Daher steht im vierten Kapitel die Bedeutung der padagogischen Fachkraft im Vordergrund. Im Rahmen dessen wird erortert, inwiefern die Mentalisierungsfahigkeit als Ressource im padagogischen Handeln dienen kann. Zu den wesentlichen Qualitatsmerkmalen einer Kindertageseinrichtung gehbren jedoch nicht nur hochqualifizierte Fachkrafte, sondern auch professionelle Eingewbhnungsprozesse (vgl. Dreyer2017, S. 77). Diese werden ebenfalls im vierten Kapitel anhand ausgewahlter Modelle dargelegt. Daruber hinaus wird Mentalisierung im Kontext der Stresspravention betrachtet und Methoden zur Fbrderung dieser Fahigkeit, bezogen auf padagogische Fachkrafte, vorgestellt. Da sich der Mentalisierungsansatz neben der Kindheitspadagogik auch in anderen Handlungsfeldern als interessant erweist, erfolgt im funften Kapitel ein umfassenderer Blick in den Bereich der Sozialen Arbeit. Das Fazit fasst die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel zusammen und gibt einen Ausblick.
1. Aktuelle Diskurse zur Kindheitspadagogik
Im Bereich der Kindheitspadagogik lasst sich eine zunehmende gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Bedeutung feststellen, welche mit normativen, strukturellen, inhaltlichen, institutionellen sowie forschungsbezogenen Veranderungen einhergeht (vgl. Frohlich-Gildhoff 2013, S. 81). Dieser Wandel hat zu Diskursen innerhalb der fruhen Bildung, Erziehung und Betreuung gefuhrt, die im Rahmen dieses Kapitels verdeutlicht werden sollen. In den Kinderkrippen und Kindertagesstatten spiegeln sich die Veranderungen kindlichen Aufwachsens wider:die Biografie von jungen Kindern hat sich dahin gehend verandert, dass immer mehr Kinder immer fruher institutionelle Bildungsangebote besuchen und sie somit zugleich eine immer langere Lebenszeit in padagogischen Institutionen verbringen“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. 59). Die Grunde dafursind vielfaltig: Laut Friedrich und Schoyerer stellen Kindertageseinrichtungen heutzutage Bildungsorte dar, wodurch sich eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entwickelt hat, welche auf dem Leitgedanken „Bildung von Anfang an“[5] basiert (vgl. Friedrich/Schoyerer 2016, S. 38). Nach Knauer kommt hinzu, dass sich aufgrund der Wandlungsprozesse im Arbeitsmarkt, insbesondere dem Zuwachs berufstatiger Frauen, die Lebenssituationen der Familien verandert haben, sodass viele Eltern auf eine institutionelle Betreuung angewiesen sind (vgl. Knauer 2010, S. 1). Infolge dessen wurden in Deutschland in den Jahren 1996 (Kindertagesstatte) und 2003 (Kinderkrippe) Rechtsanspruche fur einen aufterfamiliaren Betreuungsplatz eingefuhrt, um eine hbhere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erzielen, womit K5nig die Expansion im Bereich der Kindertagesbetreuung begrundet (vgl. K5nig 2016, S. 80f.). Daruber hinaus hat sich das Bild vom Kind deutlich gewandelt. Das kompetente Kind - wie es heute heiftt - ist darauf bedacht, seine Entwicklung aktiv mitzugestalten und wird daher als eigenstandige Persbnlichkeit wahrgenommen[6] (vgl. Schelle 2011, S. 23).
All das zeigt, dass Kindertageseinrichtungen einen enormen Wachstumsmarkt darstellen. Dies bezieht sich jedoch nicht nur auf den Ausbau der Betreuungs- platze, sondern auch auf die Personalexpansion. Die Anzahl der padagogischen Fachkrafte in Kindertageseinrichtungen lag im Jahr 1998 bundesweit bei rund 237.000, wahrend es im Jahr 2014 rund 610.000 Beschaftigte waren. Inzwischen gehbrt das fruhpadagogische Arbeitsfeld zu den grbftten Dienstleistungssektoren des Sozial- und Bildungswesens (vgl. Autorengruppe Fachkraftebarometer 2014, S. 8). K5nig spricht daher von einer Neubewertung der fruhen Bildung und Erziehung (vgl. K5nig 2016, S. 81), welche bereits im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan (HBEP) Beachtung erhalt. Die komplexen Veranderungen haben Hessen dazu bewegt, bisherige Konzepte zur Bildung, Erziehung und Betreuung zu uberarbeiten. Im aktuellsten HBEP wird daher der kindlichen Entwicklung (wiederholt) verstarkte Aufmerksamkeit gewidmet und berucksichtigt, dass Kinder heutzutage in einer kulturell vielfaltigen, sozial komplexen, hochtechnisierten Welt aufwachsen, die einem permanenten Wandel unterliegt (vgl. Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kultusministerium 2016, S. 17). Es ist Aufgabe der padagogischen Fachkraft, eine Brucke zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen und der kindlichen Erfahrungswelt zu bauen (vgl. Hessisches Sozialministerium/ Hessisches Kultusministerium 2016, S. 37).
Anhand der Beispiele wird deutlich, dass sich die Anforderungen an die Kindheitspadagogik in den letzten funfzehn bis zwanzig Jahren immens verandert haben (vgl. Altermann/Holmgaard/Klaudy u.a. 2015, S. 9). Die Entwicklungsdynamiken haben vor allem in Bezug auf die Qualifikationen padagogischer Fachkrafte anhaltende Debatten ausgelbst. Die Akademi- sierung fruhpadagogischer Ausbildungen sowie die Professionalisierung padagogischer Fachkrafte stellen einen zentralen Motor der Weiter- entwicklung in Kindertageseinrichtungen dar (vgl. Cloos 2016, S. 18). Wie wichtig Fortschritte im fruhpadagogischen Bereich sind, verdeutlichen die Ergebnisse des Fachkraftebarometers Fruhe Bildung[7]. Im Rahmen dessen wurde z.B. ein auffalliger Anstieg alterer Fachkrafte (41% alter als 45 Jahre) und gleichzeitig ein Ruckgang der Jungeren (13% unter 25 Jahre) sowie eine weiterhin geringe Anzahl mannlicher Fachkrafte (4,8%) festgestellt. Konkret bedeutet dies, dass die „typische Kita-Fachkraft“ eine uber vierzig jahrige ausgebildete Erzieherin ist, die in Teilzeit arbeitet. Bis heute sind Erzieher_innen mit rund 70% die dominierende Berufsgruppe in der Kindertagesbetreuung (vgl. Autorengruppe Fachkraftebarometer 2014, S. 9). Dementsprechend fallt die Akademisierungsrate in Kindertageseinrichtungen bishergering aus, sodass lediglich von einer „Teilakademisierung“ gesprochen werden kann (vgl. K5nig 2015, S. 5).
Um die Akademisierungsrate in Kindertageseinrichtungen anzuheben, wurde die Qualifizierungslandschaft erweitert. Dazu gehbren nicht nur die seit 2005 eingefuhrten kindheitspadagogischen Bachelor-Studiengange, sondern auch der Zuwachs berufsbegleitender Studiengange zur Weiterbildung bereits ausgebildeter Erzieher_innen (vgl. Friedrich/Schoyerer 2016, S. 48). Inzwischen existieren uber einhundert neu gegrundete fruhpadagogische Studiengange, womit laut Kratzmann die Basis einer fortschrittlichen Akademisierung von Fachkraften in Kindertageseinrichtungen geschaffen wurde. Seiner Ansicht nach erfordert die hochschulische Qualifizierung neben der Vermittlung wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnissen, eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dereigenen Biografie und dem Erwerb einer professionellen Reflexionskompetenz (vgl. Kratzmann 2016, S. 156), welche im Kontext der vorliegenden Arbeit durch den Begriff „Mentalisierungsfahigkeit“[8] ersetzt werden kann und daher von zentraler Bedeutung ist. Diese Weiterentwicklung geht mit der Hoffnung einher, dass Kindheitspadagogen_innen neue essenzielle Impulse in Praxisfeldern setzen kbnnen. Eine Etablierung dieser Berufsgruppe ware daher laut K5nig ein entscheidenderSchritt in Bezug aufdie Qualitat von Kindertageseinrichtungen (vgl. K5nig 2015, S. 5). Kunter hingegen ist der Meinung, dass fruhpadagogische Einrichtungen von unterschiedlichen Qualifikationen der Fachkrafte profitieren, da die Vielfalt von Fach- und Erfahrungswissen ein mit- und voneinander lernen ermbglicht (vgl. Kunter 2017, S. 415). Ausgehend von der aktuellen Forschungslage istjedoch noch weitgehend offen, inwieweit die Qualitat des padagogischen Handelns durch Prozesse einer akademischen Aus- und Weiterbildung verbessert werden kann. Aus heutiger Sicht ist es sehr wahrscheinlich, dass die Erzieher_innen auch zukunftig die Mehrheit in Kindertageseinrichtungen bilden werden, da es jahrlich ca. 19.000 Absolventen_innen an Fachschulen gibt, wahrend die Zahl der kindheitspadagogischen Bachelor-Abschlusse auf ca. 1.000 begrenzt ist (vgl. Friedrich/ Schoyerer 2016, S. 49).
Daher ist derzeit noch vollig unklar, welchen Einfluss die Kindheits- padagogen_innen mittel- und langfristig ausuben und welche Position sie in Zukunft einnehmen werden. Bisherige Ergebnisse zeigen allerdings, dass der Einsatz von dieser Berufsgruppe Veranderungspotenziale in der Praxis bewirkt, da Kindheitspadagogen_innen eine Multiplikatorenfunktion uber- nehmen, indem sie innerhalb der Teams als Ansprechpartner_innen zur Verfugung stehen und neues Wissen sowie weitere padagogische Ansatze in die fruhpadagogischen Einrichtungen tragen. Diese Veranderungen kbnnen jedoch auch Konfliktpotenzial mit sich bringen, wie z.B. Befurchtungen, Unsicherheiten und Ambivalenzen seitens der Erzieher_innen. Dies wiederum kann dazu fuhren, dass die Zusammenarbeit von Fachkraften mit unterschiedlichen Qualifikationsprofilen von Konkurrenzverhaltnissen gepragt ist (vgl. Altermann/Holmgaard/Klaudy 2015, S. 29ff.).
Aufgrund der komplexen Diskussionen stellt sich die Frage, inwiefern die Kindheitspadagogik uberhaupt den Professionen zugeordnet werden kann. Derzeit wird innerhalb der fruhpadagogischen Debatte eher von Professionalisierung als von Profession gesprochen. Dies ist zum einen darauf zuruckzufuhren, dass aufgrund der aktuellen Reformerwartungen die Bedingungen der Optimierungsmbglichkeiten fruhpadagogischen Handelns fokussiert werden und zum anderen angesichts der geringen Akademisierungsrate eine gewisse Vorsicht im Umgang mit dem Professionsbegriff besteht (vgl. Cloos 2016, S. 27). Lediglich 4% der padagogischen Fachkrafte im Kernarbeitsfeld Kindertageseinrichtungen verfugen uber eine akademische Ausbildung, wovon 0,3% akademisch ausgebildete Kindheitspadagogen_innen sind (vgl. Autorengruppe Bildungs- berichterstattung 2014, S. 57ff). Demnach hat das Arbeitsfeld in der professionsbezogenen Diskussion bislang keine deutliche Zuordnung erhalten (vgl. Cloos 2016, S. 27). Dennoch unternimmt Cloos den Versuch die Professionsentwicklung der Kindheitspadagogik zu rekonstruieren: „Dabei ist davon auszugehen, dass der veranderte gesellschaftliche Diskurs um die Kindertagesbetreuung und die daran anknupfenden Reformen erstens zu einem gesellschaftlichen Bedeutungswandel gefuhrt hat (1). Zweitens haben sich das daraus abgeleitete fachliche Profil (2) und die damit verbundenen Professionalisierungsstrategien (3) verandert, sodass sich der Grad der
Institutionalisierung der Fruhpadagogik (4) und ihre professionelle Autonomie (5) im Wandel befindet“ (Cloos 2016, S. 27). Nach Kunter ist die Professionali- sierung padagogischer Fachkrafte ein Dauerbrenner in der Diskussion daruber, wie berufliches Handeln verbessert werden kann (vgl. Kunter 2017, S. 413). Abschlieftend dazu kann festgehalten werden, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, welcher aufgrund der Komplexitat mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehrere Jahre andauern wird. Fest steht jedoch schon heute, dass die zu Beginn des Kapitels genannten Veranderungen den Anspruch an fruhpadagogische Handlungsfelder erhbht haben, sodass auch die Qualifizierung der Menschen, die dort tatig sind, verbessert werden sollte. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an.
2. Grundlagen des Mentalisierens
Das Mentalisierungskonzept, welches in den 1990er Jahren von der Londoner Forschungsgruppe um Fonagy, Bateman, Allen und Target entwickelt wurde, findet seit 2004 auch im deutschsprachigen Raum Anwendung sowie Weiterentwicklung. Das Konzept verbindet Grundlagen und Erkenntnisse der Psychoanalyse, Bindungstheorie, Theory of Mind (ToM)[9], Neurobiologie sowie psychotherapeutischen Forschungen (vgl. Kirsch 2014a, S. 8). Daherwird es auch als „Bruckenkonzept auf vielen Beinen" bezeichnet (vgl. Taubner 2016, S. 166). In erster Linie wird dieses komplexe Konzept als Bezugsrahmen fur das Verstandnis einer Vielzahl von mentalen Prozessen angewendet. Des Weiteren dient es als eine Plattform des Nachdenkens uber das psychische Funktionieren eines Individuums, einer Gruppe, einer Familie, eines sozialen Systems sowie fruher Mutter-Kind-Dyaden (vgl. Bateman 2016, S. 9). Fonagy und Kollegen definieren Mentalisieren als „mentalen Prozess, durch den ein Individuum eigenen und fremden Verhaltensweisen implizit und explizit Bedeutungen zuschreibt, und zwar bezogen auf intentionale mentale Zustande wie personliche Wunsche, Bedurfnisse, Gefuhle, Uberzeugungen und andere Beweggrunde“ (Bateman/Fonagy 2004, zit. n. Schultz-Venrath 2013, S. 79). Das Mentalisieren gilt als eine fundamentale menschliche Fahigkeit, die sich im Laufe der Entwicklung differenziert (hauptsachlich von der Kindheit bis zur Adoleszenz), sofern die nbtigen Voraussetzungen dafur gegeben sind (vgl. Kirsch 2014b, S. 12ff.). Fur eine gelingende Entwicklung dieser Fahigkeit, sind fruhe Bindungs- und Beziehungserfahrungen sowie die Qualitat inharenter, affektiver Austauschprozesse zwischen der Bezugsperson und dem Kind von zentraler Bedeutung (vgl. Schwarzer 2018a, S. 38). Der Erwerb innerer Reprasentanzen im Zusammenhang mit Bindungsbeziehun- gen gilt dabei als Grundvoraussetzung (vgl. Kirsch 2014b, S. 13). „Das Kind erkennt sich nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch den anderen“ (Brockmann/Kirsch/Taubner 2016, S. 23). Demnach stellt Mentalisieren eine kognitive und emotionale Leistung dar, die intersubjektiv erlangt wird. Zur Differenzierung dieser Fahigkeit bedarf es Genauigkeit und Phantasie. Genauigkeit zeichnet sich darin aus, andere Menschen so zu sehen, wie sie sind und auch sich selbst so zu sehen, wie man ist. Phantasie hingegen ist relevant, urn sich in den anderen hineinversetzten und dadurch die Welt mit seinen Augen sehen zu kbnnen. Mentalisieren kann nur gelingen, wenn die Phantasie mit der Realitat verbunden bleibt. Weitere Kernmerkmale einer mentalisierenden Haltung sind z.B. interessierte Offenheit gegenuber der Gefuhls- und Gedankenwelt anderer Personen sowie eine Haltung des Nicht- Wissens, die sich im Neugierig bleiben kennzeichnet (vgl. Brockmann/Kirsch/ Taubner 2016, S. 22ff.). Mentalisierung beschreibt nicht nur die Fahigkeit, hinter dem Verhalten mentale Zustande zu vermuten, sondern daruber hinaus die Fahigkeit, die vermuteten mentalen Zustande selbst wieder zum Gegenstand des eigenen (Nach-)Denkens zu machen. Das Denken uber das Denken wird als Metakognition bezeichnet und entsteht im Alter von etwa vier Jahren (vgl. Domes 2006, S. 168f.). Die Mentalisierungsfahigkeit ist Teil der Ich-Entwicklung und ermbglicht Denken als Probehandeln, Reflexion als Instrument der Impulskontrolle und Affektregulation (vgl. Armendinger/Kirsch/ Klein 2013, S. 190). Die Qualitat dieser Fahigkeit hangt von der jeweiligen Situation als auch vom Stressniveau ab. Sie ermbglicht zu reflektieren, anstatt zu handeln. Reflexion bedeutet an dieser Stelle den Affekt (z.B. Wut) zu spuren, wahrzunehmen und zu beobachten. Dieses Vorgehen wird im Mentalisierungskonzept als „den Pausenknopf drucken" beschrieben und ist vor allem dann hilfreich, wenn Konflikte aufgrund heftiger Affekte nicht mehr verstanden und mentalisiert werden kbnnen (vgl. Brockmann/Kirsch/Taubner 2016, S. 22f.). Demnach gilt Mentalisierung als intrapsychische Ressource, mit der unter anderem innere und auftere Stressfaktoren absorbiert werden kbnnen[10]. Diese Fahigkeit stellt somit einen Schlusselfaktor psychischer Gesundheit dar (vgl. Taubner 2016, S. 123f.). Von besonderer Bedeutung ist, dass sich die Mentalisierungsfahigkeit des Gegenubers auf die eigene Mentalisierungsfahigkeit auswirkt (vgl. Brockmann/Kirsch/Taubner 2016, S. 22f.), was im Kontext der vorliegenden Arbeit bedeutet, dass die Haltung der padagogischen Fachkraft, das Kind zu mentalisieren und als intentionales Wesen zu betrachteten, entscheidend fur den Erwerb der kindlichen Mentalisierungsfahigkeit ist (vgl. Armendinger/Kirsch/Klein 2013, S. 191).
2.1 Entwicklungspsychologische Modelle
Fonagy und Kollegen nehmen an, dass eine sorgsame Erziehung den Rahmen fur die Entwicklung der Mentalisierungsfahigkeit des Kindes darstellt. Werden die mentalen Zustande des Kindes von Beginn an von der primaren Bezugsperson beachtet, setzt mit hoherWahrscheinlich fruherein Verstandnis uber die Bedeutung dessen ein, als bei Kindern, deren Bezugsperson dazu nicht fahig ist (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 32). Affektregulierung und Mentalisierung stellen Prozesse dar, die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Taubner 2016, S. 58). Die Qualitat des affektiven Austauschprozesses durch die Bindungsperson beeinflusst die Affektregulierung und die Selbstkontrolle sowie letztendlich die Mentalisierungsfahigkeit (vgl. Bateman/ Fonagy/Luyten 2015, S. 24). Demnach spielen sich alle fur das Mentalisieren notwendigen Entwicklungen nicht entlang eines kognitiven Reifungsprozesses ab, sondern im Zusammenhang der Primarbeziehung (vgl. Kirsch 2014b, S. 23). Sobald das Kind die Mentalisierungsfahigkeit erworben hat, ist es nicht mehr von einer interpersonalen Oder verhaltensbasierten Affektregulierung abhangig, sondern kann Affekte intrapsychisch regulieren und eigene Gefuhlszustande als bedeutsame Hinweise nutzen (vgl. Taubner 2016, S. 58f.). Mentalisierung stellt demnach ein Entwicklungsresultat dar, dessen Fundament in der Kindheit gelegt wird (vgl. Schwarzer 2018b, S. 135).
2.1.1 Bindungund Mentalisieren
Bowlby[11], der Begrunder der Bindungstheorie, versteht unter Bindungs- verhaltenjegliches Verhalten, das darauf ausgerichtet ist, die Nahe eines vermeintlich kompetenteren Menschen zu suchen Oder zu bewahren, ein Verhalten, das bei Angst, Mudigkeit, Erkrankung und entsprechendem Zuwendungs- Oder Versorgungsbedurfnis am deutlichsten wird“ (Bowlby 2010, S. 21). Aktiviert sich das Bindungssystem des Kindes aufgrund stressauslbsender Situationen, werden alle anderen Verhaltenssysteme, wie z.B. Neugier und Exploration, deaktiviert. Dass sich die soziale Umwelt bereits im Sauglingsalter aufdie psychische Entwicklung auswirkt (vgl. Kirsch 2014b, S. 16), ist keine neue Feststellung. Schon damals ging Bowlby davon aus, dass die seelische Gesundheit eines Menschen, durch die Fursorge der Eltern innerhalb der ersten Lebensjahre beeinflusst wird (vgl. Bowlby 1972, S. 11). Inzwischen existieren evidenzbasierte Hinweise, dass bereits die Schwangerschaft Einfluss auf das Bindungsverhalten des Kindes nehmen kann. Schwangere mit einem stark ausgepragten Stress- und Angstniveau erhbhen das Risiko einer Fehl- Oder Fruhgeburt und begunstigen kindliche Entwicklungsverzbgerungen (vgl. Schultz-Venrath 2013, S. 108).
Abhangig vom Verhalten der Mutter und anderen Bezugspersonen entwickelt das Kind ab dem siebten Lebensmonat ein sicheres, unsicher-vermeidendes, unsicher-ambivalentes Oder desorganisiertes Bindungsmuster. Reagiert die Bezugsperson dem Kind gegenuber feinfuhlig und vorhersagbar, entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sicheres Bindungsverhalten (vgl. Kirsch 2014b, S. 16). Die Bindungsmuster sowie deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels betrachtet.
Ein wesentlicher Bestandteil der Bindungsforschung ist der „Fremde- Situations-Test“, welcher auf Mary Ainsworth[12] zuruckgeht. Mithilfe des standardisierten Beobachtungsverfahrens kann gegen Ende des ersten Lebensjahres das Bindungsmuster des Kindes identifiziert werden, indem untersucht wird, wie das Kind mit einer kurzen Trennung und anschlieftender Ruckkehr der Bindungsperson umgeht. Anhand der kindlichen Reaktion wird die Qualitat der Bindungsklassifikation erkennbar (vgl. Bowlby 2011, S. 24). Mit diesem Verfahren kbnnen sowohl Ruckschlusse zur Bindungsqualitat zwischen Eltern und Kind als auch padagogischer Fachkraft und Kind gezogen werden (vgl. Ahnert 2014, S. 264). Jedoch kann die Beziehung zwischen Fachkraft und Kind im Normalfall nicht die Qualitat einer Bindungsbeziehung erreichen (vgl. Schwarzer 2018b, S. 142). Auch die Bindungsforschung belegt, dass die Eltern in aller Regel die wichtigsten Bezugspersonen fur das Kind darstellen (vgl. Roth 2010, S. 77). In der Forschungsliteratur wird jedoch diskutiert, inwieweit die bindungsbezogenen Erfahrungen des Kindes aus der Familie, die Bindungsqualitat zwischen Kind und padagogischer Fachkraft beeinflussen kbnnen. Auf der einen Seite wird angenommen, dass eine primare Bindungssicherheit der Schlussel fur weitere soziale Beziehungen des Kindes ist. Nach dieser Auffassung sind unsicher gebundene Kinder hinsichtlich neuer sozialer Beziehungen weniger aktiv. Auf der anderen Seite wird davon ausgegangen, dass eine unsichere Eltern-Kind-Bindung das Kind erst recht dazu bewegt, neue Beziehungen einzugehen. Diese Hypothesen sind bis heute umstritten. Bisher konnte jedoch festgestellt werden, dass der Aufbau einer Bindungssicherheit zur Fachkraft weniger wahrscheinlich ist, als zu den Eltern. Von besonderer Bedeutung sind die spezifischen Interaktions- erfahrungen, die das Kind mit der jeweiligen Bezugsperson sammelt. Die Interaktionen zwischen padagogischer Fachkraft und Kind sowie das Erzieherverhalten haben demnach erheblichen Einfluss auf die Fachkraft- Kind-Beziehung (vgl. Ahnert 2014, S. 266f.).
Der „Fremde-Situations-Test“ dient dazu, Verhaltensauswirkungen der inneren Arbeitsmodelle hinsichtlich der Bindung von Kleinkindern zu beobachten (vgl. Taubner 2016, S. 30). Schon damals beschreibt Bowlby innere Arbeitsmodelle als kognitive Schemata, die dem Konzept der mentalen Reprasentanzen sehr nahekommen. Wenn sich ein Kind beispielsweise verletzt hat und von der Bezugsperson Trost erfahrt, geht es davon aus, auch in anderen Situationen Unterstutzung von dieser Person zu erhalten. Anhand dessen wird deutlich, dass Erwartungen auf mentalen Reprasentanzen beruhen, welche auf wiederholten Interaktionen mit bestimmten Personen basieren. Dies bedeutet, dass in den inneren Arbeitsmodellen die Erwartungen bezuglich des Verhaltens einer bestimmten Person gegenuber dem Selbst verankert sind (vgl. Schultz-Venrath 2013, S. 107f.). Ein differenziertes Arbeitsmodell hat das Kind in der Regel bis zum Eintritt in die Schule entwickelt (vgl. Bowlby 2011, S. 23). Drei der zuvor genannten Bindungskategorien (sicher-gebunden, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent) wurden von Ainsworth klassifiziert. Die vierte Bindungskategorie (desorganisiert) ist spater durch Main und Solomon entstanden (vgl. Taubner 2016, S. 30).
Nach Bowlby kann lediglich eine sichere Bindung zu einer gesunden Entwicklung fuhren (vgl. Bowlby 2011, S. 25). Kinder, die sicher gebunden sind, haben positive Interaktionen mit der Bezugsperson erlebt, in denen sie emotional stabilisiert wurden. Anstatt sich von negativen Emotionen uberwaltigen zu lassen, nutzen sicher gebundene Kinder die Form der Kommunikation (vgl. Taubner 2016, S. 30). Nach dem HBEP wirkt sich die sichere Basis vor allem auf das Explorationsverhalten und die sozial- emotionale Kompetenzentwicklung des Kindes aus (vgl. Hessisches Sozial- ministerium/Hessisches Kultusministerium 2016, S. 27). Die sozial-emotionale Entwicklung kann im Kontext der vorliegenden Arbeit durch den Begriff „Mentalisierungsfahigkeit“ ersetzt werden, womit an dieser Stelle gemeint ist, dass mentale Befindlichkeiten genutzt werden, urn zu verstehen, wie sich das eigene Verhalten und das des Gegenubers begrundet (vgl. Taubner 2016, S. 15f.). Bezogen auf die Kindertagesbetreuung wirken sicher gebundene Kinder kooperativer, sozial kompetenter, weniger aggressiv, stressresistenter und haben eine hbhere Hilfsbereitschaft (vgl. Kirsch 2014b, S. 19).
Bei einer unsicher-ambivalenten Bindung erlebt das Kind, dass die Bezugsperson im Hinblick auf den kindlichen Distress nicht bedurfnisorientiert und angemessen reagiert, sodass das Kind seinen Affekt durch Intensivierung des Distressausdrucks unterreguliert, um bei der Bezugsperson die erwunschte Reaktion hervorzurufen (vgl. Taubner 2016, S. 30). Kinder mit diesem Bindungsmusterneigen zu Trennungsangsten und sind zuruckhaltend beim Erkunden ihrer Umwelt. Dieses Bindungsmuster entsteht, wenn Eltern nur gelegentlich responsiv und hilfsbereit sind (vgl. Bowlby 2011, S. 25). In der Kindertageseinrichtung verhalten sich diese Kinder uberwiegend angstlich und widerstrebend. Verhaltensauffalligkeiten kommen jedoch meistens erst dann zustande, wenn weitere Risikofaktoren, wie z.B. (psychische) Erkrankungen innerhalb der Kernfamilie hinzukommen (vgl. Kirsch 2014b, S. 19).
Ein weiteres Bindungsmuster ist die unsicher-vermeidende Bindung, die sich entwickelt, wenn das Kind uberwiegend Zuruckweisungen erfahrt. Besonders haufig wird dieses Muster durch Misshandlungen Oder langerer Aufenthalte aufterhalb der Familie (z.B. im Jugendhilfekontext) ausgebildet (vgl. Bowlby 2011, S. 25). Unsicher-vermeidende Kinder sind von Bezugs- personen umgeben, die negative Affekte nicht regulieren kbnnen und somit zu unkontrollierten Reaktionen neigen. Dies ist haufig auf persbnliche schmerzhafte Erfahrungen zuruckzufuhren. Zudem haben die Bezugs- personen ein mangelndes koharentes Bild vom Kind. Die Folge dessen ist, dass das Kind seine Affekte uberreguliert Oder beunruhigende Situationen vermeidet (vgl. Taubner 2016, S. 30). Nach Bowlby versuchen Kinder mit diesem Bindungsmuster ein Leben ohne Unterstutzung und Zuneigung andererzu fuhren, was klinischen Befunden nach zu Persbnlichkeitsstbrungen fuhren kann (vgl. Bowlby 2011, S. 25). In Kindertageseinrichtungen lassen sich bei unsicher-vermeidend gebundenen Kindern haufig Ungehorsam Oder Anpassungsschwierigkeiten beobachten. Zudem wirken diese Kinder kontaktscheu und sozial distanziert. Besonders auffallig ist ihre emotionale Uberkontrolliertheit (vgl. Kirsch 2014b, S. 19).
Eine desorganisierte Bindung auftert sich darin, dass das Kind in Anwesenheit der Bezugsperson in seinen Bewegungen erstarrt und zeitgleich einen trance-ahnlichen Gesichtsausdruck aufzeigt (vgl. Main 2011, S. 126). Das desorganisierte Bindungsmuster trifft uberwiegend auf misshandelte und vernachlassigte Kinder zu, da diese ihre Bezugsperson einerseits als angstauslosend, andererseits als sicherheitsstiftend erleben (vgl. Taubner 2016, S. 30f.). Uberwiegt das Gefuhl der Angst, entfernt sich das Kind in bedrohlichen Situationen von der Bezugsperson (vgl. Main 2011, S. 126). Psychische Probleme sowie Verhaltensauffalligkeiten konnten mittels Forschungsergebnissen im Zusammenhang mit desorganisierter Bindung am deutlichsten nachgewiesen werden (vgl. Kirsch 2014b, S. 20).
Nach Bowlby kann das jeweilige Bindungsmuster als Funktion einer Beziehung verstanden werden, die das Kind internalisiert hat. Demnach besteht die Moglichkeit, dass das Bindungsmuster je nach Person variiert, z.B. kann das Kind eine sichere Bindung zur Mutter und gleichzeitig eine unsichere Bindung zum Vater aufweisen. Das Interaktionsmuster, welches die Bezugsperson und das Kind aufgebaut haben, bleibt in der Kindheit konstant, sofern sich das Verhalten der Bezugsperson nicht drastisch verandert Oder andere einschneidende Erlebnisse (z.B. schwere Erkrankungen, Unfalle Oder der Tod einer nahestehenden Person) auftreten (vgl. Bowlby 2011, 26). Es wird angenommen, dass die zuvor dargestellten Bindungsmuster den Erwerb der Mentalisierungsfahigkeit des Kindes erheblich beeinflussen. Die gunstigste psychosoziale Grundlage fur die Entwicklung des Mentalisieren ist ein sicheres Bindungsmuster, da das Kind im Rahmen dessen seiner Bezugsperson gefahrlos mentale Zustande zuschreiben lernt, das Bindungs- system weniger aktiviert wird und mehr Zeit zum Einuben des Mentalisierens bleibt, was letztendlich fur den Ubergang zum mentalen Selbst relevant ist (vgl. Taubner 2016, S. 31). Zudem beugt Bindungssicherheit psychischen Krankheiten vor (vgl. Brockmann/Kirsch/Taubner 2016, S. 27). Kinder, die unsicher-vermeidend gebunden sind, schrecken in der Regel vor der Psyche der Mutter zuruck, wahrend unsicher-amivalent gebundene Kinder stark auf den eigenen Distress fokussiert sind. Desorganisierte Kinder sind besonders wachsam fur die intentionalen Zustande der Bezugsperson, nehmen eigene innerpsychische Befindlichkeiten jedoch kaum wahr (vgl. Taubner 2016, S. 31). Demnach leuchtet ein, dass sicher gebundene Kinder haufig eine ausgepragtere Mentalisierungsfahigkeit als unsicher gebundene Kinder zeigen (vgl. Kirsch 2014b, S. 30).
Es wird angenommen, dass die Mentalisierungsfahigkeit und die Bindungs- sicherheit ,,sowohl auseinander resultieren als auch miteinander einhergehen“ (Bark 2018, S. 146). Dies bedeutet jedoch nicht, dass unsicher gebundene Kinder zwangsweise Mentalisierungsdefizite aufweisen (vgl. Kirsch 2014b, S. 30). Was das genau bedeutet, wird im Zusammenhang der Resilienzfbrderung im Rahmen des dritten Kapitels (3.1) erlautert.
Erkenntnisse aktuellerer Studien haben allerdings ein Umdenken im Hinblick auf den Einfluss, den die Bindung bezuglich derspateren Entwicklung ausubt, veranlasst. Weiterhin wird zwar davon ausgegangen, dass die Bindungs- sicherheit dem Mentalisieren zugute kommt (vgl. Fonagy 2016, S. 100), jedoch distanzieren sich Fonagy und Kollegen von einem Modell, „das die fruhe Beziehung als Schablone spaterer Beziehungen konzeptualisiert [...] und vertreten die These, daft es die Qualitat Oder die »Tiefe der Verarbeitungcc der psychosozialen Umwelt ist, die durch fruhe Erfahrungen festgelegt wird‘ (Fonagy/Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 106). Ausgehend davon, kbnnte die Evolutionsfunktion der fruhen Beziehung darin bestehen, das Kind mit den Mentalisierungsfertigkeiten auszustatten, die es fur ein effizientes Funktionieren in der heutigen Welt benbtigt. Bei einer eingeschrankten Mentalisierungsfahigkeit wird die Stabilitat der Selbstreprasentanz aufgrund sozialer Beziehungen gefahrdet, sodass das Kind Oder der Erwachsene Strategien braucht, um Beziehungen zu anderen eingehen und aufrecht- erhalten zu kbnnen. Anhand dessen werden bekannte Formen der Bindungs- unsicherheit erkennbar: Zum einen die vermeidende Oder ablehnende und zum anderen die ambivalente Oder verstrickte Strategie. Fonagy und Kollegen weisen darauf hin, dass bei einem vollstandigen Scheitern des Mentalisierens keine charakteristische Bindungsstrategie zu erkennen ist. Eine sehr unzugangliche Mentalisierung kann die Folge einer desorganisierten Bindung sein (vgl. Fonagy/Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 106). Ob die Bindung das Mentalisieren anregt Oder hemmt, hangt demnach von der Qualitat der Beziehung zwischen der Bezugsperson und dem heranwachsenden Kind ab (vgl. Fonagy 2016, S. 100). Die entwicklungspsychologischen Grundlagen des Mentalisierens basieren zwar zu groften Teilen auf den Erkenntnissen der Bindungstheorie, bringen jedoch neue komplexere Annahmen hervor (vgl. Brockmann/Kirsch/ Taubner 2016, S. 24f.)
Bindung wird aus Sicht des Mentalisierungskonzepts nicht nur als angeborenes Verhaltenssystem wahrgenommen, sondern stellt den Rahmen der Entwicklung eines inneren Reprasentationssystems dar, was fur die Entwicklung des Selbst, die Regulierung von Affekten sowie das Gelingen von sozialen Beziehungen relevant ist (vgl. Taubner 2008, S. 93). Somit kann das Mentalisierungskonzept als modernisierte Bindungstheorie betrachtet werden, welches bis heute psychodynamische Theorien uberarbeitet (vgl. Schultz- Venrath 2013, S. 109).
2.1.2 Markierte Affektspiegelung
lm vorherigen Abschnitt dieser Arbeit wird deutlich, dass sich das kindliche Bindungsmuster im Zusammenhang komplexer Einflussfaktoren ausbildet. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Qualitat der Affektspiegelung zwischen der Mutter Oder anderen Bezugspersonen und dem heranwachsenden Kind. Das Bindungsverhalten gibt Hinweise daruber, inwiefern es der primaren Bezugsperson gelungen ist, sich der inneren Gefuhlswelt des Sauglings bzw. des Kleinkindes zu widmen (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 31) und daruber hinaus dessen Affektausdrucke angemessen zu spiegeln (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 24). Inzwischen wird sogar davon ausgegangen, dass der Saugling bereits vor der Geburt, in einem sozial- emotionalen Austausch mit seiner Mutter tritt (vgl. Taubner 2016, S. 40), jedoch nicht von Anbeginn seines Daseins in der Lage ist, seine Affekte selbststandig zu regulieren, sodass er auf Bezugspersonen angewiesen ist, die ihn dabei unterstutzen (vgl. Fonagy/Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 45). Reagiert die Mutter auf die kindlichen Affektausdrucke, z.B. indem sie das Neugeborene auf den Arm nimmt wenn es weint, bekommt es signalisiert, dass es mit seinem Gefuhlsausdruck seine Umwelt steuern kann und erlebt sich selbst als Urheber. Vermutlich nimmt der Saugling seine Affekte und die damit einhergehenden kbrperlichen Gefuhle zunachst eher undifferenziert, unreflektiert und somit vage wahr („Vorlaufer-Emotionen“) und lernt erst im Austausch mit nahestehenden Personen, die eigenen Bedurfnisse differenzierter auszudrucken sowie komplexe Gefuhle zu entwickeln und verstandlich zu machen (vgl. Schultz-Venrath 2013, S. 129).
Nach Fonagy und Kollegen geschieht dies, indem „der dispositionelle Inhalt von Emotionen zuerst durch die Beobachtung der Affektausdrucke anderer Menschen und durch die Verknupfung der Ausdrucke mit den jeweiligen Situationen und Verhaltensweisen erlernt wird, die sie begleiten“ (Fonagy/ Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 160). Eine positive Affektabstimmung zwischen dem Saugling und der Bezugsperson tragt dazu bei, dass Affekte, Affektausdruck und Affektkontrolle mit zunehmender Entwicklung als voneinander getrennte Reprasentanzen erlebt werden kbnnen (vgl. Schultz- Venrath 2013, S. 129), was als „Mentalisierungsvorlaufer“ beschrieben wird (vgl. Taubner 2016, S. 32). Dieser Prozess hat Auswirkungen auf das Selbst- erleben des Kindes, was sich nur dann gesund entwickeln kann, wenn die Bezugsperson in der Lage ist, die kindlichen Affekte kontingent zu spiegeln sowie die Spiegelung zu markieren (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 27). Dies setzt jedoch zunachst voraus, dass Bezugspersonen das Denken, Fuhlen und Handeln des Kindes im alltaglichen Miteinander zutreffend interpretieren kbnnen. In Bezug auf Stern[13], der insgesamt funf Phasen des Selbst- empfindens[14] beschreibt, scheint dies vor allem bis zum Bereich des verbalen Selbst von hoher Relevanz zu sein, da das Kind seine Sprache bis dahin nicht als Ausdrucksmittel eigener Gefuhle einsetzen kann, sodass Bezugspersonen den inneren Zustand lediglich erahnen kbnnen (vgl. Brodin/Hylander 2002, S. 19). Dabei kommt den Erwachsenen (und letztendlich auch dem Kind) eine ausgepragte Mentalisierungsfahigkeit zugute, da diese ermbglicht, die „Gedanken, Gefuhle, Absichten - also die innere psychische Welt - bei sich und anderen wahrzunehmen und zu differenzieren“ (Brockmann/Kirsch/ Taubner 2016, S. 22). Aufgrund einer angeborenen Verhaltensfahigkeit ist der Saugling jedoch in der Lage, seine primaren Selbstzustande und damit seine Affekte zum Ausdruck zu bringen (vgl. Taubner 2016, S. 41). Nach Stern kbnnen Neugeborene von Anbeginn ihres Daseins Interesse, Freude, Abneigung, Traurigkeit, Uberraschung, Wut und Ekel zeigen, wahrend sich
Scham und Furcht hingegen erst im Verlauf der Kindheit entwickeln (vgl. Brodin/Hylander 2002, S. 49). Auf der Grundlage der aktuellen Forschung ist jedoch noch weitgehend offen, was und wie ein Saugling affektiv erlebt (vgl. Taubner 2016, S. 40). Um ihn fur seine inneren Affektzustande zu sensibilisieren, eignet sich das soziale Biofeedback-Training[15], das aufaffekt- spiegelnden Interaktionen basiert (vgl. Fonagy/Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 193). Ziel dessen ist es, dass der Saugling durch ein gezieltes, von auften kommendes Feedback Kontrolle uber eigene Kbrperempfindungen erlangt, die vorerst latent sind. In der Regel veranlasst der kindliche Affektausdruck eine Resonanz bei der Bezugsperson. Im Idealfall wird der Affekt des Sauglings von der Bezugsperson aufgegriffen und mentalisiert (vgl. Taubner 2016, S. 40f), was anhand derfolgenden Abbildung verdeutlicht werden soil:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Die soziale Biofeedback-Theorie (Taubner 2016, S. 41).
Ausgehend davon, dass die Bezugsperson den kindlichen Affektausdruck zutreffend wahrnimmt, kann sie wie abgebildet trbstend auf den Saugling eingehen als auch nonverbal vermitteln, dass sie den inneren Gefuhlszustand erkannt hat (kongruente Spiegelung) und uber Ideen verfugt, wie der Verzweiflung begegnet werden kann (Containment[16], Markierung). Dadurch kann der Saugling die Beobachtung von Affektausdrucken anderer mit den jeweiligen Situationen und seinen inneren Zustanden verknupfen lernen (vgl. Taubner 2016, S. 42). Fonagy und Kollegen gehen davon aus, dass die wiederholte Beobachtung einer externalisierten Reprasentanz der inneren Stimuli letztlich zur Sensibilisierung fur den inneren Zustand fuhrt und in bestimmten Fallen sogardie Kontrolle uberdiesen ermbglicht. Daher vertreten sie die These, dass die psychischen Mechanismen, die bei der mutterlichen Affektspiegelung zum Tragen kommen, den Mechanismen des Biofeedbacks entsprechen, da es sich urn ein naturliches soziales Biofeedback-Training fur den Saugling handelt. Der zugrundeliegende Lernmechanismus ist dabei der Mechanismus der Kontingenzentdeckung und Kontingenzmaximierung (vgl. Fonagy/Gergely/Jurist u.a. 2018, S. 169f.). So kbnnen mit der Entdeckung einer hochgradigen Kontingenz negative Affekte vermindert werden, da der Saugling die Erfahrung macht, dass er im Affektausdruck seiner Mutter etwas bewirken kann, wodurch er sich als aktiver Urheber seiner positiven Affektveranderungen erlebt (vgl. Taubner 2016, S. 42).
Die Relevanz der Markierung wahrend der Affektspiegelung wird von Fonagy und Kollegen hervorgehoben. Bei der markierten Affektspiegelung gibt die Bezugsperson die kindlichen Affekte ubertrieben, verlangsamt Oder in hoher Stimmlage, in sogenannter „Ammensprache“ wider (vgl. Bateman/Fonagy/ Luyten 2015, S. 28). Auch Verhaltenssignale, wie z.B. ein breites Lacheln, gehbren der Markierung an (vgl. Domes 2006, S. 173). Insbesondere in sicheren Bindungskontexten lasst sich beobachten, dass Bezugspersonen ihre Affektspiegelung markieren und sich daruber hinaus nicht von der innerpsychischen Befindlichkeit des Sauglings uberwaltigen lassen (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 59). Solch ein Verhalten hilft dem Kind,
Angste zu mildern und die wahrgenommene Gefahr zu relativieren (vgl. Gerspach 2011, S. 115). Dadurch macht der Saugling die Erfahrung, dass seine Affekte zwar in analoger Weise in der Bezugsperson auftreten, jedoch nicht mit seinen eigenen identisch sind. Dies ermoglicht erste Differenz- erfahrungen zwischen Selbst und Anderen (vgl. Denker 2012, S. 97). Affekt- Containment setzt voraus, dass die Bindungsperson in ihre markierte Affektspiegelung eines negativen Affektes einen gegenteiligen Affekt subtil hinzufugt, indem sie z.B. Furcht mit Gelassenheit kombiniert. Dadurch interpretiert sie nicht nur die Affektaufterung des Sauglings, sondern stellt daruber hinaus ein Regulationsangebot zur Verfugung, womit sie vermittelt, dass Affekte veranderbar sind und das Selbst nicht uberwaltigen mussen (vgl. Taubner2016, S.43). Demnach wirkt sich feinfuhliges Spiegeln und Markieren der Affekte auf die Internalisierung sekundarer Reprasentanzen innerer Zustande (Selbstzustande) aus, welche die Bausteine eines mentalisierenden inneren Arbeitsmodells bilden (vgl. Taubner 2016, S. 32).
Diese Thematik richtet sich im Kontext der vorliegenden Arbeit vor allem an padagogische Fachkrafte, die in einer Kinderkrippe tatig sind, da Kinder im U3- Bereich[17] besonders stark uber ihre Affekte kommunizieren. Zur Fbrderung der kindlichen Entwicklung ist es wichtig, dass Fachkrafte fahig sind, den inneren Gefuhlszustand hinter dem Verhalten des Kindes zutreffend zu interpretieren. Markierte Affektspiegelung zielt in diesem Kontext darauf, Antworten auf die jeweiligen Bedurfnisse des Kindes zu finden, was Perspektivenubernahme und Reflexion voraussetzt (vgl. Taubner 2016, S. 42f.). Je reichhaltiger und flexibler die Antworten der Fachkraft sind, desto besser mentalisiert sie (vgl. Domes 2006, S. 172).
2.1.3 Gestorte Affektspiegelung und Fremdes Selbst
Wachst das Kind in einem Umfeld auf, in dem Interaktionen weniger von Reflexivitat und Feinfuhligkeit gepragt sind, kann die kindliche Entwicklung enorm beeintrachtigt werden. Die inneren Reprasentanzen der Bezugsperson gegenuber dem Kind, haben erheblichen Einfluss auf die Fahigkeit der Perspektivenubernahme („einen Blick fur den Blick des Kindes haben"). Multiple Stressoren kbnnen die Wahrnehmung und Interpretation der kindlichen Signale verzerren, sodass die Betroffenen nur eingeschrankt fahig sind, die Motive und Gefuhle hinter dem Verhalten des Kindes zu erkennen. Haufig resultieren daraus unsensible Verhaltensweisen, die sich wiederum auf das kindliche Verhalten ubertragen (vgl. Kirsch 2014b, S. 31). Mangel in der fruhen Affektspiegelung kbnnen zu verzerrten Oder fehlenden Reprasentanzen von Affekten fuhren, wodurch die Affektregulierung sowie das Spiel- und Phantasieverhalten eingeschrankt werden (vgl. Uhl 2013, S. 28). Daruber hinaus wird aufgrund des fehlenden Mentalisierens der Bindungsperson, die Entwicklung der kindlichen Mentalisierungsfahigkeit massiv untergraben (vgl. Fonagy 2016, S. 103). Die Folge dessen ist, dass das heranwachsende Kind die Affektzustande der primaren Bezugsperson internalisiert und somit sein Selbst nicht als intentional und abgegrenzt erleben kann (vgl. Potthoff 2008, S. 92). Ein unzureichend gespiegeltes Kind verhalt sich phantasiearm und denkt konkretistisch (vgl. Uhl 2013, S. 28).
All das lasst vermuten, dass ausschlieftlich die Bezugspersonen fur die Entwicklung der Affektregulierung verantwortlich sind. Fonagy und Kollegen weisen jedoch auf Falle hin, bei denen eine gestbrte Affektregulierung auf eine defizitare Reaktivitat des Kindes zuruckzufuhren ist, die es der Bezugsperson sehr schwer macht, auf die kindlichen Affekte zu reagieren. Dies kann beispielsweise bei Kindern mit einem erhbhten Risiko fur eine spatere Borderline-Persbnlichkeitsstbrung vorkommen. Das Verhalten dieser Kinder auftert sich in extremer Angstlichkeit und emotionaler Labilitat, sodass sie von den regulierenden Fahigkeiten ihrer Bindungsbeziehungen nicht profitieren kbnnen (vgl. Bateman/Fonagy/Luyten 2015, S. 28). Demnach kbnnen scheiternde Spiegelungsprozesse zum einen auf misslungene Erwachsenen- Kind-lnteraktionen, aber auch auf die Abwehrhaltung des Kindes zuruck- gefuhrt werden (vgl. Taubner 2016, S. 80f.).
[...]
[1] Die Bezeichnung „padagogische Fachkrafte" bezieht sich im Rahmen dieser Arbeit auf Kindheitspadagogenjnnen, Sozialarbeiter_innen sowie Erzieher_innen.
[2] Sowohl die Kinderkrippe als auch die Kindertagesstatte sind familienerganzende Angebote, welche der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet sind. Der zentrale Unterschied dieser beiden Einrichtungen besteht darin, dass eine Betreuung in der Kinderkrippe bis zum dritten Lebensjahr und in der Kindertagesstatte ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt moglich ist (vgl. Koch 2012, S. 121f.).
[3] „Mentalisieren“ bezeichnet das Prozesshafte und das Aktive, wahrend „Mentalisierung“ das Statische und das Ergebnis betont (vgl. Brockmann/Kirsch 2010, S. 279) Im Rahmen dieser Arbeit werden die Begriffe jedoch gleichbedeutend verwendet.
[4] Der Begriff „Kindertageseinrichtungen“ bezieht sich in dieser Arbeit auf Kinderkrippen und Kindertagesstatten.
[5] „Bildung von Anfang an“ lautet der Titel des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans (vgl. Hessisches Sozialministerium/Hessisches Kultusministerium 2016).
[6] Erkenntnisse der Sauglings- und Hirnforschung haben zu den neuen Sichtweisen vom Bild des Kindes beigetragen, da im Rahmen dessen erkannt wurde, dass bereits Sauglinge uber eigene Fahigkeiten verfugen (vgl. Schelle 2011, S. 24) und auftere Einflusse, speziell in den ersten Lebensjahren, die biologischen Reifungsprozesse des Sauglings/Kleinkinds maftgeblich beeinflussen konnen, wovon lange Zeit nicht ausgegangen wurde (vgl. Pauen/Vonderlin 2007, S. 1). Das Fachkraftebarometer Fruhe Bildung ist die erste komplexe Bestandsaufnahme zu den Fachkraften in der Kindertagesbetreuung in Ausbildung und Beruf (vgl. Autorengruppe Fachkraftebarometer 2014, S. 8).
[8] Die Mentalisierungsfahigkeit ist eine reflexive Kompetenz, die es unter anderem ermoglicht, die Welt aus Sicht des Kindes wahrzunehmen (vgl. Kirsch 2014b, S. 31). Demnach erscheint es relevant, die Reflexionskompetenz angehender padagogischer Fachkrafte gerade im Rahmen der Ausbildung zu starken, um siezu einem professionellen Handeln in der Praxis zu befahigen.
[9] Das Mentalisierungskonzept uberschneidet sich vor allem mit dem ToM-Konzept. Die Konzepte unterscheiden sich insofern, dass sich das ToM-Konzept fur den Erwerb von Wissen in Gegenstandsbereichen interessiert, wahrend das Mentalisierungskonzept mehr auf den Erwerb von Wissen uber Affekte hinaus ist (vgl. Schultz-Venrath 2013, S. 78).
Darauf wird im Rahmen des vierten Kapitels (4.3) naher eingegangen.
[11] Der Londoner Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby formulierte die Bindungstheorie, welche im ethnologischen Denken der 1960er Jahre entstanden ist und klinisches-psychoanalytischen Wissen mit evolutionsbiologischem Denken verknupft (vgl. Grossmann/Grossmann 2012, S. 31).
[12] Die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth unterstutzte John Bowlby bei dem Aufbau der Bindungstheorie, indem sie Forschungen hinsichtlich fruher Mutter-Kind-Trennungen und deren Folgen fur die kindliche Entwicklung durchfuhrte. Damit untermauerte sie die Bindungstheorie anhand empirischer Befunde und machte auf individuelle Unterschiede sowie den Begriff der „sicheren Basis" aufmerksam (vgl. Bretherton 2011, S. 27-32).
[13] Daniel Stern war ein amerikanischer Psychoanalytiker, Psychiater und Sauglingsforscher (vgl. Brodin/Hylander 2002, S. 23).
[14] Zu den funf Bereichen des Selbstempfindens gehoren das auftauchende Selbst (die ersten beiden Lebensmonate), das Kern-Selbst (ab dem dritten Lebensmonat), das subjektive Selbst (ab dem achten Lebensmonat), das verbale Selbst (ab dem 15. Lebensmonat) und das erzahlende Selbst (ab dem 42. Lebensmonat) (vgl. Brodin/ Hylander 2002, S. 31).
[15] Das Konzept der sozialen Biofeedback-Theorie geht zuruck auf Gergely und Watson und verknupft die Kontingenzfahigkeit des Sauglings mit spezifischen Affektregulierungs- erfahrungen beim Aufbau sekundarer Kontrollstrukturen fur primare Selbstzustande (vgl. Taubner 2016, S. 40).
[16] Der Begriff „Containment“, welcher auf Bion zuruckzufuhren ist, bedeutet, dass die Mutter fur die Affekte ihres Kindes eine „Container-Funktion“ ubernimmt. Das heiftt, dass sie die kindlichen Affekte stellvertretend verarbeitet und dem Kind im geeigneten Moment zur Reintrojektion zuruckgibt (vgl. Holmes 2016, S. 80).
[17] U3“ bezieht sich auf Kinder unter drei Jahren.
- Arbeit zitieren
- Josephin Scholz (Autor:in), 2018, Die Bedeutung der Mentalisierungsfähigkeit pädagogischer Fachkräfte in der Kindheitspädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443117
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