Die Interessen von Mensch und Tier treffen täglich milliardenfach aufeinander. Was gegenüber Tieren erlaubt ist, regelte lange Zeit das religiös geprägte Weltverständnis. Später die Gesetzesbücher, in welchen Tiere bis heute fast ausnahmslos als „Sachen“ behandelt werden. Doch was wir im Umgang mit Tieren für normal halten, wird in den letzten Jahrzehnten immer mehr in Frage gestellt. In der westlichen Gesellschaft sind sich die Menschen schon lange einig, dass auch Tiere Interessen haben, die so gut es geht geschützt werden sollen. Vielleicht noch nie waren Menschen so empfindsam für die Bedürfnisse der Tiere. Diese neue Haltung hat auch Einflüsse auf die Rechtsprechung. Weltweit finden sich immer mehr Urteile, Gesetze und Vorschriften zum Vorteil der Tiere.
In vorliegender Hausarbeit möchte ich zunächst ergründen, wie der Mensch die Ungleichbehandlung der Tiere rechtfertigt. Was unterscheidet die Spezies Mensch und Tier? Wie wirkt sich diese Unterscheidung auf gesetzlicher Ebene aus? Hierzu mache ich einen kurzen historischen Rückblick auf die Rechtsstellung der Tiere vom Mittelalter bis zum heutigen deutschen Tierschutzgesetz. Im Weiteren gehe ich darauf ein, wie die Rechtsfähigkeit von Individuen begründet wird und welche Kriterien dafür angelegt werden können. Aus welchen Gründen sind Tiere vom Status des Rechtssubjekts ausgeschlossen? Welche neuen Ansätze bieten Verfechter eines neuen Tierrechts? Abschließend stelle ich die Positionen der zwei bekanntesten Tierphilosophen unserer Zeit gegenüber.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die umkämpfte Grenzlinie – Was unterscheidet das Tier vom Menschen?
3 Tiere im Rechtssystem – Vom Mittelalter bis heute
4 Rechtsfähigkeit – Können Tiere Personen sein?
4.1 Kriterien zur Bestimmung des Rechtsstatus eines Individuums
4.2 Mögliche Lösungsansätze für eine neue Definition
5 Die Tierrechtsbewegung
6 Aktuelle tierethische Positionen
6.1 Peter Singer
6.2 Tom Regan
7 Fazit
1 Einleitung
2014, Argentinien – Die Tierrechtsorganisation AFADA (Association of Officials and Lawyers for Animal Rights) klagt mit Erfolg für die Freilassung der im Zoo von Mendoza lebenden Orang-Utan-Dame Sandra (vgl. Goldner, 2017, Abs. 4). Erstmalig wurde ein Tier in der modernen Rechtsgeschichte vor Gericht als Rechtssubjekt anerkannt und ein Grundrecht auf Freiheit zugesprochen.
2014, Deutschland – Die Giordano-Bruno-Stiftung reicht eine Petition beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags ein mit der Forderung, das Grundgesetz soll mit dem „Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Text der Petition 51830, 2014) ergänzt werden. Der Petitionsausschuss lehnte die Veröffentlichung der Petition mit folgender Begründung ab: „Die Grundrechte (Artikel 1 bis 19 Grundgesetz) sind natürlichen Personen vorbehalten und erstrecken sich nicht auf alle Lebewesen. Auch wenn von einer hohen genetischen Übereinstimmung von großen Menschenaffen und Menschen ausgegangen werden kann, handelt es sich bei diesen Affen um Tiere“ (Schmidt-Salomon, 2014, Abs. 2).
2016, Indien – Der Oberste Gerichtshof in Delhi entschied, Vögel haben ein Grundrecht zu fliegen und dürfen deshalb nicht in Käfige gesperrt werden (vgl. Bähr, 2015).
2018, Oregon, USA – Die Tierschutzorganisation „Animal Legal Defense Fund“ klagt im Namen eines Pferdes gegen seine ehemalige Besitzerin auf Schadensersatz wegen schlechter Haltung und den daraus entstandenen gesundheitlichen Schäden (vgl. Weiss, 2018). In Oregon ist es durch ein Gerichtsurteil von 2014 möglich, dass Tiere Opfer eines Verbrechens werden und gegen ihre Schädiger klagen können.
Die Interessen von Mensch und Tier treffen täglich milliardenfach aufeinander. Was gegenüber Tieren erlaubt ist, regelte lange Zeit das religiös geprägte Weltverständnis. Später die Gesetzesbücher, in welchen Tiere bis heute fast ausnahmslos als „Sachen“ behandelt werden. Doch was wir im Umgang mit Tieren für normal halten, wird in den letzten Jahrzehnten immer mehr in Frage gestellt. In der westlichen Gesellschaft sind sich die Menschen schon lange einig, dass auch Tiere Interessen haben, die so gut es geht geschützt werden sollen. Vielleicht noch nie waren Menschen so empfindsam für die Bedürfnisse der Tiere. Diese neue Haltung hat auch Einflüsse auf die Rechtsprechung. Weltweit finden sich immer mehr Urteile, Gesetze und Vorschriften zum Vorteil der Tiere.
Doch das Verhältnis bleibt ambivalent. Wenn auch das Wohl der Tiere heute im deutschen Grundgesetz verankert ist und vielen Menschen am Herzen liegt, werden Tiere in nie dagewesenem Ausmaß ausgebeutet und industriell getötet. Tierrechtler und Tierphilosophen fordern deshalb eine Ausdehnung der Moral auch auf die Tiere und einen neuen gesetzlichen Rechtsstatus.
In vorliegender Hausarbeit möchte ich zunächst ergründen, wie der Mensch die Ungleichbehandlung der Tiere rechtfertigt. Was unterscheidet die Spezies Mensch und Tier? Wie wirkt sich diese Unterscheidung auf gesetzlicher Ebene aus? Hierzu mache ich einen kurzen historischen Rückblick auf die Rechtsstellung der Tiere vom Mittelalter bis zum heutigen deutschen Tierschutzgesetz. Im Weiteren gehe ich darauf ein, wie die Rechtsfähigkeit von Individuen begründet wird und welche Kriterien dafür angelegt werden können. Aus welchen Gründen sind Tiere vom Status des Rechtssubjekts ausgeschlossen? Welche neuen Ansätze bieten Verfechter eines neuen Tierrechts? Abschließend stelle ich die Positionen der zwei bekanntesten Tierphilosophen unserer Zeit gegenüber.
2 Die umkämpfte Grenzlinie – Was unterscheidet das Tier vom Menschen?
Über Jahrtausende hat sich der Mensch in Religion, Philosophie und Wissenschaft Gründe zurechtgelegt, warum der Mensch höher gestellt sei als die Tiere. Die Philosophen verliehen den Menschen eine nicht nachweisbare „intrinsische Würde“, um die Kluft zwischen Mensch und Tier zu vertiefen. Die Religion entwickelte das Konzept der Schöpfung, mit Gott an der Spitze und dem nach seinem Ebenbild geschaffenen Menschen. Alle belebten und unbelebten Dinge auf der Erde sollen nach biblischer Auffassung dem Wohl des Menschen dienen. Mit Darwins Evolutionstheorie näherte man sich der Vorstellung an die natürliche Verwandtschaft aller Arten. Doch gleichsam verbreitete sich der Glaube an die natürliche Selektion, nach deren Lehre der Mensch als die anpassungsfähigste und intelligenteste Spezies hervorging. Mit der Rassenlehre stellten Wissenschaftler Theorien zur Überlegenheit der weißen menschlichen Rasse über alle anderen Lebewesen auf. Diese hatten nicht nur Auswirkungen auf den Umgang mit der Tierwelt, betont Autor Charles Patterson: „Die Moralphilosophie der menschlichen Herrschaft, die die Ausbeutung der Tiere befürwortet und rechtfertigt, legitimierte auch die Unterdrückung von Menschen, die angeblich auf der Stufe von Tieren standen“ (Patterson, 2004, S. 39). So war es für die Europäer zur Zeit der Entdeckungen und Kolonialisierungen selbstverständlich, dass Ureinwohner in Afrika, Amerika oder Australien gefangen, versklavt oder getötet werden durften, da sie nach ihrem Weltverständnis auf einer Stufe mit den Tieren standen (vgl. Patterson, 2004 S. 35; Precht, 2016, S. 21). Die weltweite Anerkennung der Menschenrechte und damit die Gleichstellung aller Menschen gilt heute als wichtigste Errungenschaft der Menschheit.
Lange Zeit hielt man den Menschen für einzigartig, da er sich Werkzeuge erdenkt und gebraucht. Diese Annahme gilt heute als widerlegt. Man weiß, dass Tiere, vor allem die Menschenaffen, ebenso Werkzeuge benutzen und herstellen. Nicht nur das, auch im Sozialverhalten ähneln sie uns Menschen enorm.
Bis heute wird in der Wissenschaft damit argumentiert, dass Tieren Befähigungen fehlen, beispielsweise für Sprache, Vernunft und Selbstbewusstsein. Wenngleich viele Tiere andere ausgeprägte Fähigkeiten besitzen wie das Fliegen, die Echoortung oder einen außerordentlichen Geruchssinn. Diese zählen nach menschlichem Maßstab aber nicht. So wird das Tier in einer anthropozentrischen Weltsicht zu einem Mängelwesen degradiert. Was nicht wie ein Mensch ist, kann dem Menschen nicht ebenbürtig sein.
Erst vor wenigen Jahren konnte durch Genforschung nachgewiesen werden, dass Menschen eine nahe biologische Verwandtschaft speziell zu den Schimpansen haben. Ihr Weg in der Evolution trennte sich vor etwa 7 Millionen Jahren (vgl. Diamond, 2006, S. 23). Anthropologe Jared Diamond (vgl. 2006, S. 37) hält es deshalb für möglich, dass zukünftig bei der Klassifizierung der Arten, der Menschen neu eingeordnet wird. Wissenschaftlich korrekt würden die Menschen dann, aufgrund ihres geringen genetischen Abstands, in einer gemeinsamen Gattung namens Homo mit dem Schimpansen stehen.
Anthropologen haben außerdem nachgewiesen, dass sich die Menschen in ihrer Evolutionsgeschichte mehrmals in verschiedene Entwicklungslinien trennten. In der Zeit von vor etwa 100 000 bis vor 40 000 Jahren lebten unsere direkten Vorfahren die
Cro-Magnons zeitgleich mit den Neandertalern, bis die Neandertaler vor etwa 40 000 aus bislang unbekannten Gründen von der Erdoberfläche verschwanden. So „gab es also mindestens zwei, wenn nicht drei urmenschliche Arten“ (Diamond, 2006, S. 49). Doch seit dem Aussterben der Neandertaler hatten die heutigen Menschen viel Zeit sich an ihre Alleinstellung zu gewöhnen und sich als Spitze der Evolution zu betrachten. Welche rechtliche und moralische Stellung hätte heute wohl eine andere Spezies Mensch, würde sie noch existieren? In der Annahme, diese Spezies wäre auf einem Entwicklungsstand zwischen den Menschen und der Schimpansen stehengeblieben. Eine derartige Brücke zwischen Mensch und Tier ist uns mit dem Verschwinden der Neandertaler verloren gegangen. So erscheinen uns alle tierischen Lebensformen weit weg, ohne Verbindung zu uns Menschen. „Was ein Mensch ist, bestimmt demnach notwendig die menschliche Kultur“ (Precht, 2016, S. 59) und so hat sich der Mensch viele Jahrhunderte lang durch eigenwillige Interpretationen und Theorien den Platz an der Spitze des Lebens gesichert.
3 Tiere im Rechtssystem – Vom Mittelalter bis heute
Vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit fanden in Europa Gerichtsprozesse statt, in denen Tiere eines Verbrechens angeklagt wurden. Meist handelte sich um Fälle in denen ein Mensch zu Schaden kam, beispielsweise wenn ein frei umherlaufendes Schwein einen Säugling tötete. In Fällen von Sodomie wurden Tiere gemeinsam mit dem menschlichen Delinquenten angeklagt. Michael Fischer (vgl. 2008, S. 5151-5152) beschreibt in seinem Kongressbeitrag zum Thema „Subjektstatus von Tieren in Tierstrafen, Tierprozessen und Tierschutz“ ausführlich, dass diese Tierprozesse gleich der Prozesse gegen menschliche Angeklagten durchgeführt wurden. Die Tiere bekamen sogar staatlich bezahlte Anwälte zur Seite gestellt. In den meisten Fällen endete der Prozess mit einem Todesurteil für das Tier, welches nicht von einem Schlachter, sondern durch den sonst für menschliche Exekutionen zuständigen Henker durchgeführt wurde. Die Tatsache, dass Tiere zu jener Zeit als Angeklagte vor Gericht gestellt wurden, so Fischer, bedeutete jedoch nicht, dass Tiere den Status eines Rechtssubjekts innehatten (vgl. Fischer, 2008, S. 5161). Sie wurden nur kurzzeitig in der Situation des Prozesses zu einer Person erklärt, denn „Das Strafritual als Ritual der Exklusion bedingt die situative Inklusion des Auszuschließenden“ (ebd., S.5161). Ziel war es, die göttliche Ordnung wieder herzustellen, die durch die Straftat (z.B. die Tötung eines Menschen durch das Tier) gestört wurde. Nur durch die situative Erhebung des Tieres, konnte man ihm seine zugedachte Stellung in der göttlichen Hierarchie wieder zuweisen (vgl. Fischer, 2008, S. 5162).
Obwohl sich seither in Sachen Tierschutzgesetze viel getan hat, hat sich an der rechtlichen Stellung der Tiere bis heute kaum etwas geändert. Im Jahr 1933 wurde in Deutschland das erste Reichstierschutzgesetz verabschiedet, welches 1972 durch das deutsche Tierschutzgesetz ersetzt wurde. Es bezeichnet seit 1986 das Tier ausdrücklich als Mitgeschöpf, „dessen Leben und Wohlbefinden“ (§ 1 Tierschutzgesetz) durch den Menschen zu schützen sei.
Da das Gesetz nur zwischen Personen und Gegenständen unterscheidet, wurden Tiere in der Rechtsprechung der Klasse der Gegenstände zugeordnet, bis dem Bürgerlichen Gesetzbuch durch eine Gesetzesänderung im Jahr 1990 folgender Passus zugefügt wurde: „Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“ (§ 90a BGB). Dies ist bis heute eine umstrittene Formulierung. Ist es doch ein Gesetz, das sich direkt selbst wieder außer Kraft setzt.
Im Jahr 2002 wurde der Tierschutz als Verfassungsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Der Artikel 20a GG wurde dabei ergänzt. Dort heißt es nun: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ (§ 20a GG). Damit stehen erstmals menschliche Grundrechte wie Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Religion nicht länger über dem Tierschutz (vgl. Fischer, 2008, S. 5166).
Doch das deutsche Tierschutzgesetz kommt dieser viel versprechenden Formulierung nicht nach. Es enthält ausschließlich Vorschriften zur Haltung und Nutzung von Tieren. Es handelt eigentlich nicht von Schutz, sondern davon, wie ein Tier ordentlich genutzt und verwertet wird, beispielsweise, dass ein Nutztier vor der Tötung betäubt werden soll (vgl. Precht, 2016, S. 327). Dass Tiere für menschliche Interessen genutzt und getötet werden dürfen, steht außer Frage.
Einerseits spricht das Tierschutzgesetz den Tieren als „Mitgeschöpfe“ ein Interesse zu, andererseits können sie ihre Rechte aber nicht einklagen. Zwar besteht in einigen Bundesländern ein Verbandsklagerecht, dort dürfen Tierschutzorganisationen im Namen von Tieren klagen. Jedoch müssen sie darlegen inwieweit sie selbst oder öffentliches Interesse betroffen sind. Nicht das Interesse der betroffenen Tiere ist ausreichend Grund für die Zulassung einer Klage.
Es besteht also eine in sich widersprüchliche Situation. Obwohl Tiere laut Tierschutzgesetz Rechte besitzen, dürfen sie faktisch nicht Rechtssubjekte sein. Nur so kann die gegenwärtige Form der Tiernutzung weitergeführt werden. Obwohl ihr Leben und Wohlbefinden zu schützen ist, sind ihre Interessen in den meisten aller Fälle nicht relevant. Fischer sieht die heutige Situation konträr zum Zeitalter der Tierprozesse, denn damals
„hatten Tiere keine Rechte, man hat sie immer nur situativ und kurzzeitig zu Rechtssubjekten gemacht, um sie scheinbar unter Kontrolle zu halten und ihnen dann wieder allen Rechte zu entziehen. Heute müssten Tieren nach der Logik der moralischen und rechtlichen Systeme Recht zukommen, es wird jedoch von unserer Gesellschaft negiert, um Tiere weiter unter Kontrolle zu halten“ (Fischer, 2008, S. 5167).
Es zeigt sich, dass der Mensch dazu neigt, die Gesetze nach seinem eigenen Weltbild zu interpretieren. Auch fortschrittliche Tierschutzgesetze ändern nichts an der Ungleichbehandlung, solange sich die innere Haltung der Menschen gegenüber Tieren nicht ändert.
4 Rechtsfähigkeit – Können Tiere Personen sein?
Alle Menschen gelten vor dem Gesetz als Personen und sind gleichermaßen rechtsfähig. „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“ (§1 BGB). Doch wer vor dem Gesetz als „Person“ gilt ist nicht natur- und auch nicht gottgegeben, sondern „ein Produkt historischer Prozesse und politischer Kämpfe“ (Stucki, 2012, S. 149). Der Personenbegriff beschreibt nicht welches Lebewesen als Person bezeichnet werden soll, sondern lediglich, wie eine solche Person zu behandeln ist. Wer als „Person“ zu bezeichnen ist, das bestimmt das jeweils aktuell geltende Gesetz. Die Definition, wer schützende Rechte erhält, ist demnach nicht steinern, sondern wurde in Verlauf der Menschheitsgeschichte mehrmals angepasst. In der Vergangenheit waren lange nicht alle Menschen durch das Recht geschützt. Unfreie Menschen, Sklaven, galten schon im Römischen Reich bis ins 20. Jh. hinein als Eigentum und hatten somit keine Rechte. Auch die Rechte der Frauen wurden in der Vergangenheit nicht als selbstverständlich erachtet, sondern mussten über Jahrhunderte erkämpft werden. Viele Tierrechtler sehen nun die Zeit für eine Erweiterung des Kreises in Sinne der Tiere gekommen. Für sie steht nicht zur Frage, „ob Tiere rechtsfähig sein können?, sondern ob sie rechtsfähig gemacht werden sollen“ (Stucki, 2012, S. 152).
4.1 Kriterien zur Bestimmung des Rechtsstatus eines Individuums
Trotz der Tatsache, dass Tiere per Gesetz keine „Sachen“ sind, haben sie jedoch auch keine Rechte als „Personen“. Nach welchen Kriterien werden Tiere aus dem Kreis der Personen ausgeschlossen?
Oft werden Eigenschaften wie Sprache, Selbstbewusstsein, Autonomie, Empfindungsfähigkeit oder Vergangenheits- und Zukunftsbezug gebraucht, um eine menschliche Person, in Abgrenzung zu den Tieren zu beschreiben. Ein anderes Argument, für die ausschließliche Rechtsfähigkeit von Menschen ist, dass sich Tiere selbst nicht an geltendes Recht halten, bzw. keine Pflichten erfüllen können.
Tierrechtler wie Saskia Stucki (vgl. 2012, S. 162) wenden ein, würde man all diese Anforderung strikt auf Menschen anwenden, wären diejenigen, auf die die beschriebenen Kriterien nicht oder nicht vollständig zutreffen, wie Säuglinge, Kleinkinder, demente oder behinderte Menschen, aus dem Kreis rechtlich geschützten Personen auszuschließen. Innerhalb der menschlichen Gesellschaft gibt es aber Menschen, die nicht im vollständigen Besitz dieser Fähigkeiten sind und die keine moralische Verantwortung besitzen können. Trotzdem besitzen auch diese Rechte. Des Weiteren ist man sich in der neueren Verhaltensforschung weitgehend einig, dass viele Tiere in Sachen Intelligenz, Empfindungsfähigkeit oder Zukunftsbezug weit mehr Befähigung aufweisen, als zum Beispiel in menschlicher Säugling.
Bisher ist es nicht gelungen ein entscheidendes Kriterium oder einen überzeugenden Unterschied zwischen Mensch und Tier zu finden, der nicht gleichzeitig die Gleichheit aller Menschen in Frage stellte (vgl. Singer & Schorcht, 1996, S. 379). Um nicht in die Fraglichkeit zu kommen den Personenstatus von Menschen anhand bestimmter Kriterien zu beurteilen, die nicht alle Menschen erfüllen können, ist bislang das biologische Kriterium „Menschsein“ bestimmend dafür, ob jemand ein Rechtssubjekt ist. Die Gleichheit aller Menschen, schließt demnach alle anderen Lebewesen aus.
Tierrechtsphilosophen sehen darin ein Argument für eine gegensätzliche Sichtweise. Sie weisen darauf hin, dass es kein Merkmal gibt, an dessen es möglich ist alle Menschen von allen Tieren zu unterscheiden. „Die Ideen der Menschenrechte und der Menschenwürde knüpfen sich direkt an das ‚nackte Leben‘ “ (Fischer, 2008, S. 5166), daher gäbe es keinen Grund Tiere aus dem Kreis derjenigen auszuschließen, die Rechte auf Leben und Freiheit haben.
4.2 Mögliche Lösungsansätze für eine neue Definition
Es stellt sich die Frage, welche neue Definition festgelegt werden könnte, um als Person mit Rechten ausgestattet zu sein. In welcher Form und wo, kann man eine Grenze ziehen? Wer oder was muss moralisch und juristisch berücksichtigt werden?
Unbestritten ist, dass ein unbelebtes Objekt, wie beispielsweise ein Stein, kein Bedarf an dem Schutz seiner Rechte hat. Der Stein hat keine Bedürfnisse, keine Empfindungen, keine Schmerzen und kein Bewusstsein. Philosophen fassen genannte Eigenschaften im Begriff „Interessen“ zusammen. Heutzutage sind führende Tierethiker davon überzeugt, dass, sobald Interessen vorhanden sind, diese moralisch zu berücksichtigen sind. Fundamentale Interessen wären beispielsweise das Interesse zu Leben oder Schmerzfreiheit. Daher seien alle Lebewesen mit Interessen entsprechend zu schützen, unabhängig von ihrer Vernunftfähigkeit oder Spezies (vgl. Singer & Schorcht, 1996, S. 38). Kritiker sehen in der Ausweitung der Grundrechte auf Tiere die Gefahr der Willkürlichkeit. Wenn Rechte ohne weiteres gegeben werden können, so könnten zukünftige Mächte möglicherweise bestehende Grundrechte nach Belieben wieder aberkennen (vgl. Spahl, 2012, S.12).
Saskia Stucki (vgl. 2012, S. 158) bietet einen anderen Lösungsansatz der die Tiere nicht dem Menschen gleich stellt, sie jedoch aus dem Status einer Sache erhebt. Sie schlägt die Festlegung einer dritten Rechtskategorie vor, da es neben der natürlichen Person heute schon die zweite Kategorie der juristischen Person gibt. Dazu gelten Vereine, Firmen oder Gegenstände, die durch diese Bezeichnung Rechte und Pflichten gleich einer natürlichen Person erhalten. Durch Bestehen dieses Konstruktes wird deutlich, dass faktisch allein die Gesetzgebung definiert, wer welche Rechte und Status erhält, nicht biologische Eigenschaften oder Spezieszugehörigkeit.
Sie schlussfolgert daher, dass es durchaus möglich wäre, eine dritte Rechtsfähigkeit der „tierlichen Person“ (ebd., S. 163) einzuführen. Da der Begriff Tiere eine unzählige Anzahl von Spezies vereint, sei es angebracht bestimmte Rechte nur ausgewählten Tiergruppen zuzuschreiben. Sie selbst sieht hier die Gefahr einer erneuten Grenzziehung und anthropozentrischen Bewertung, wenn es darum geht, welchen Tieren welche Rechte zugestanden werden sollen. Der wichtigste Unterschied zum heutigen Tierschutzgesetz wäre nach Stuckis Meinung, dass im Konfliktfall zwischen menschlichen und tierischen Interessen abgewogen werden müsste, ohne den Menschen per se mehr Gewichtung zu geben (vgl. ebd., S.167-168).
5 Die Tierrechtsbewegung
Etwa ab 1970 spaltete sich die Tierrechtsbewegung als eigenständige Strömung von der Tierschutzbewegung ab. War es bisher das Ziel der Tierschützer Tierleid zu vermindern, fordern die Tierrechtler die Abschaffung der Tiernutzung und die vollständige Befreiung der Tiere aus menschlicher Vorherrschaft. Befeuert wurde die neue Bewegung durch das 1975 erschienene Buch „Animal Liberation“ des australischen Tierethikers Peter Singer (*1946). Der von ihm verwendete Begriff „Speziesismus“[1] hat sich seither weltweit als Ausdruck für die Bevorzugung der eigenen Spezies etabliert. Singer fasst die Bedeutung des Begriffes folgendermaßen zusammen: „Wenn die höhere Intelligenz eines Menschen ihn nicht berechtigt, andere Menschen für seine oder ihre Zwecke zu benutzen, wie kann sie dann Menschen dazu berechtigen, nichtmenschliche Lebewesen für diese Zwecke auszubeuten?“ (Singer & Schorcht, 1996, S. 35). Seine damals aufgestellte Forderung, die Interessen aller empfindungsfähigen Lebewesen in gleichem Maße zu berücksichtigen, unabhängig von Intelligenz oder Vernunft, war damals revolutionär.
Längst hat die Tierrechtsbewegung in den ethischen Debatten Fuß gefasst und man ist sich heute weithin einig, dass das rücksichtslose Verhalten der Menschen gegenüber Tieren überdacht werden muss. „Es steht heute das Ausmaß der Rechte der Tiere zur Debatte, nicht die Tatsache, dass sie welche haben“ (Fiddes & Telieps, 2001, S. 232), stellt der Sozialanthropologe Nick Fiddes fest. Derselben Meinung ist Tierethikerin Hilal Sezgin. Sie schreibt: „Daher lautet die Frage nicht mehr: Sollen wir Tiere in unsere ethischen Überlegungen einbeziehen?, sondern: Wie und wie weitgehend sollen wir sie berücksichtigen?“ (Sezgin, 2014, S. 12). Der Schweizer Tieranwalt Antoine F. Goetschel fordert, wir müssen „nach einem Kriterium für richtiges Verhalten suchen, das unabhängig von uns besteht, sondern den Tieren allgemein, vielleicht sogar allen Lebewesen zugestanden wird“ (Goetschel, 2012, S. 24). Ganz im Sinne Peter Singers, der schon in den 70ern feststellte: “Wir müssen dahin gelangen, daß wir nichtmenschliche Tiere in den Bereich der moralischen Rücksicht einbeziehen und daß wir aufhören, ihr Leben für jeden noch so trivialen Zwecke zu opfern“ (Singer & Schorcht, 1996, S. 54). Deshalb fordern Tierrechtler die Grundrechte für Menschen auf Tiere auszudehnen, insbesondere das Recht auf Leben und Freiheit sowie ein Verbot von Folter.
[...]
[1] Diesen Begriff übernahm Singer von seinem Freund, dem Psychologen und Tierrechtler Richard Ryder (*1940), der ihn bereits 1970 verwendete. (vgl. Precht, 2016, S. 257)
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- Pascale Schemel (Autor), 2018, Die Rechtsstellung der Tiere. Zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443047
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