Frischgebackene Eltern fragen sich nach den ersten Tagen und Wochen mit ihrem Baby: Wie sollten wir auf das Weinen unseres Kindes angemessen reagieren? Sie erhalten erbetenen und oft auch unerbetenen Rat von Verwandten, Freunden, Elternratgebern und sogar von „Was bedeutet das Weinen meines Babys“-Applikationen für das Handy. Im ersten Teil dieser Hausarbeit werden zwei verschiedene Antworten darauf vorgestellt und kritisiert. Im zweiten Teil wird und die elterliche Sensitivität mit der Theorie of Mind als Voraussetzung verknüpft sowie die Förderung der Sensitivität als Grundlage für angemessenes Verhalten auf das Weinen diskutiert. Die Erkenntnisse aus beiden Teilen fließen in ein abschließendes Fazit zu der Fragestellung ein.
„Schreien stärkt die Lungen“. Noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dieser Ratschlag sowohl von Psychologen als auch von staatlich herausgegebenen Elternratgebern vertreten – und bis heute finden Eltern den Rat, dass sie auf das Weinen ihres Kindes am besten nicht reagieren sollten. Dieser Standpunkt hat seinen Ursprung in der lerntheoretischen Tradition der Behavioristen, nach welcher jedes menschliche Verhalten gelernt ist und somit auch verlernt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
2. Die Antwort der Behavioristen
3. Die Antwort der Bindungstheoretiker
4. Kritik und erste Lösungsansätze
5. Förderung von elterlicher Sensitivität
6. Fazit
7. Anmerkung
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
Frischgebackene Eltern fragen sich nach den ersten Tagen und Wochen mit ihrem Baby: Wie sollten wir auf das Weinen* unseres Kindes angemessen reagieren? Sie erhalten erbetenen und oft auch unerbetenen Rat von Verwandten, Freunden, Ehemratgebem und sogar von ״Was bedeutet das Weinen meines Babys“-Applikationen für das Handy. Im ersten Teil dieser Hausarbeit werden zwei verschiedene Antworten darauf vorgestellt und kritisiert. Im zweiten Teil wird und die elterliche Sensitivität mit der Theorie of Mind als Voraussetzung verknüpft sowie die Förderung der Sensitivität als Grundlage für angemessenes Verhalten auf das Weinen diskutiert. Die Erkenntnisse aus beiden Teilen fließen in ein abschließendes Fazit zu der Fragestellung ein.
2. Die Antwort der Behavioristen
״Schreien stärkt die Lungen“. Noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dieser Ratschlag sowohl von Psychologen als auch von staatlich herausgegebenen Ehemratgebem vertreten - und bis heute finden Eltern den Rat, dass sie auf das Weinen ihres Kindes am besten nicht reagieren sollten.
Dieser Standpunkt hat seinen Urspmng in der lemtheoretischen Tradition der Behavioristen, nach welcher jedes menschliche Verhalten gelernt ist und somit auch verlernt werden kann. So schrieb John Watson, Professor an der Johns Hopkinks Universität und Begründer des Behaviorismus:
Mothers just don't know when they kiss their children and pick them up and rock them, caress them and jiggle them upon their knee, that they are slowly building up a human being totally unable to cope with the world it must later live in (Watson & Rayner Watson, 1928, 44).
Auch das u.s. Children‘s Bureau riet den Eltern, auf Weinen nicht zu reagieren, da das Baby sonst lernt, ״that crying will get him what he wants, sufficient to make a spoiled, fussy baby, and a house-hold tyrant whose continual demands make a slave of the mother“ (U.s. Children‘s Bureau, 1921, 45).
3. Die Antwort der Bindungstheoretiker
Nach der Bindungstheorie, die ihre Wurzeln in der Evolutionstheorie hat, ist Weinen die einzige Art der Kommunikation eines Babys und ein Ausdruck seines Bindungsverhahens. Dieses ist darauf ausgerichtet, starke Bindungen zu Erwachsenen zu knüpfen, damit diese ihr überleben sichern (Bowbly, 1969).
1972 wollten Bell und Ainsworth an der gleichen Universität in Baltimore, an der Watson in den 20em lehrte, seine These widerlegen. Sie fragten: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Reaktion der Mutter und der Dauer des Weines ihres Babys im ersten Lebensjahr? Ihre Ergebnisse zeigten, dass Babys, deren Mütter während der ersten Lebensmonate schnell und angemessen auf ihr Weinen reagierten, mit einem Jahr weniger weinten. Die Babys beruhigten sich am schnellsten, wenn sie hochgenonmien und gehalten wurden. Gegen Ende des ersten Jahres beruhigten sich die Babys bereits, wenn die Mutter nur das Zimmer betrat. Die Autorinnen interpretierten dies mit der sich entwickelnden Kommunikation zwischen Mutter und Kind: Das Baby hat gelernt, andere Arten der Kommunikation einzusetzen, um seine Bedürfnisse auszudrücken. Und die Mutter erkennt immer feinfühliger, was ihr Baby braucht. Diese Feinfühligkeit der Mutter für die Signale des Säuglings fördert wiederum die Entwicklung der Kommunikation (Ainsworth & Bell, 1972).
Die Ergebnisse hätten eigentlich ein Paradigmenwechsel hervorbringen müssen. Dennoch wird heute noch in Büchern wie ״Jedes Kind kann schlafen lernen“ geraten, wie Babys anhand eines Trainings lemen, alleine ein- und durchzuschlafen. Falls das Baby aufgmnd der ungewohnten Situation des Alleinseins anfangt zu weinen, empfehlen die Autoren das Baby nach einer festen Zeitvorgabe schreien zu lassen: ״Nach unseren Erfahrungen schaffen es die meisten Ehem, ihrem Baby eine Schreiphase von drei Minuten zuzumuten. Daher beginnt unser Plan mit einer dreiminütigen Wartezeit.“ Sie empfehlen weiterhin, falls das Baby nach Ablauf dieser Zeit immer noch weint: ״Sie können mit mhiger, fester Stinmie mit ihm reden, es trösten und streicheln. [...] Nehmen Sie es nicht auf dem Ami [...]“ (Kast-Zahn & Morgenroth, 2013, s. 96-7). Das Buch wurde nach Angaben des Verlags über eine Million Mal verkauft.
Der Standpunkt der Behavioristen scheint sich hartnäckig zu halten. Zu verlockend ist wohl die Vorstellung, ein weinendes Baby anhand eines einfachen Plans zur Ruhe zu bringen. Die Studie von Bell und Ainsworth von den Behavioristen stark kritisiert (Gewirtz & Boyd, 1972), von Bindungsforschem aber repliziert und erweitert.
Im Jahr 2000 stellten die niederländischen Professoren van Ijzendoom und Hubbard die Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen prompter Redaktion der Mutter auf das Weinen ihres Babys und einer sicheren Bindung? Ihre Hypothese war, dass sicher gebundene Babys während ihres ersten Lebensjahrs weniger weinen als unsicher gebundene. Und, dass Mütter, die prompt auf das Weinen ihrer Babys reagieren, eher sicher gebundene Babys haben. Da einer der Kritikpunkte der ersten Studie die geringe Anzahl der 26 getesteten Mutter-Kind-Paare war, verdoppelten Ijzendoom und Hubbard die Anzahl auf 50 Paare. Zudem setzten sie modernere technische Beobachtungsinstmmente ein und testeten den Bindungstyp der Babys.
Die Ergebnisse waren überraschend: Je öfter Mütter in den ersten neun Wochen das Weinen ihrer Babys ignorierten, desto weniger weinten die Babys in den darauffolgenden neun Wochen. Dass ein schnelles Reagieren der Mutter zu weniger Weinen beim Baby führt, konnte also nicht repliziert werden.
Zudem hatten Mütter, die prompt auf Weinen reagieren, eher unsicher-vermeidende Babys. Die Forscher erklärten dies aber so, dass Mütter von unsicher-vemieidenden Babys selbst abweisende Bindungsrepräsentationen haben und somit das Weinen und die damit verbundenen negativen Emotionen nicht ertragen können. Sie reagieren zu schnell auf das Weinen und lassen den Babys keinen Raum, seine Gefühle selbst zu regulieren.
Weiter fanden sie heraus, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Dauer des Weinens und dem Bindungstyp gibt. Aus den Ergebnissen schlossen van Ijzendoom und Hubbard jedoch nicht, dass Mütter nicht auf das Weinen ihres Babys reagieren sollten, sondern dass eine adäquate Reaktion der Mutter angemessener sei, als einfach nur eine prompte. Denn ein zu promptes Reagieren auf jede Art von Weinen könne auch verhindern, dass Babys leichteren Stress selbst bewältigen können.
Kindliches Weinen könne also mehrere Ursachen und Funktionen haben und muss nicht immer nur Bindungsverhahen ausdrücken.
Sie zogen zudem den Schluss, je sensibler eine Mutter auf ein Baby reagiert, desto besser wirkt sich dies auf die Bindung aus (Van Ijzendoom & Hubbard, 2000).
4. Kritik und erste Lösungsansätze
In beiden Studien wurde jedoch nicht der Einfluss der Versuchs leiter auf die dyadische MutterKind-Beziehung berücksichtigt. Es hätte sein können, dass die Mütter sich durch die bloße Anwesenheit der Versuchsleiter beobachtet gefühlt haben und angespannter waren, als sonst. Und dass sie sich daher anders verhalten haben, was wiederum eine Auswirkung auf das Baby gehabt haben könnte. Eine neuere Studie zeigt, dass sich Stress von Müttern auf deren Babys überträgt - emotional und körperlich (Waters, West, & Mendes, 2014).
Zudem wurde bei beiden Studien keine Unterscheidung in der Ursache des Weines und deren Reaktion der Mutter getroffen. Auch hier könnte die Anwesenheit des Versuchsleiters eine Rolle gespielt haben. Denn wenn ein Baby zum Beispiel vor Hunger weint und die Mutter es stillen möchte, aber es aus Scham vor dem Versuchs leiter nicht tut, dann wäre die Reaktion der Mutter und damit die Ergebnisse auch verfälscht.
Weiterhin ist bei beiden Ansätzen zu kritisieren, dass es nicht um das Erkennen des Bedürfnisses des Babys, welches hinter dem Weinen steht, geht, sondern um die Art, das Weinen selbst zu beheben. Wenn alle Bedürfnisse eines Babys feinfühlig erkannt und befriedigt werden würden, brauchte das Baby das Weinen vielleicht nicht. Ziel sollte also nicht sein, das Weinen zu reduzieren, sondern die Bedürfnisse dahinter zu erkennen.
Im Teilen haben aber beide Theorien Recht: das Baby lernt, mit Weinen sein Bedürfnis zu befriedigen und das Baby drückt durch Weinen sein Bedürfnis aus. Aber die Schlussfolgerung der Behavioristen ist zu kritisieren. Denn nur, weil das Baby lernt, durch Weinen sein Bedürfnis zu erfüllen, heißt es nicht, dass die Bedürfnisse eines Babys vernachlässigt werden sollten. Genauso wenig wie die Schlussfolgerung, dass auf jedes Weinen sofort reagiert werden sollte. Denn vielleicht braucht das Baby auch in gewissen Situationen Raum, seine Gefühle selbst regulieren lernen zu können.
In Bezug auf die Bindung hat die Studie gezeigt, dass das Weinen selbst kein verlässlicher Indikator für den Bindungstyp zu sein scheint. Eventuell müsste noch weiter geforscht werden, inwieweit sich die Reaktion der Mütter auf Weinen auf die Bindung der Babys auswirkt. Eine Möglichkeit wäre, Babys zu vergleichen, welchen nach lemtheoretischer Tradition das Weinen abtrainiert wurde, mit Babys, deren Mütter bedürfnisorientiert auf das Weinen reagiert haben. Hierzu gibt es bereits erste Forschung, welche sich aber eher auf Schlaftrainings beziehen (Gradisar, et ab, 2016).
5. Voraussetzungen für die elterliche Sensitivität
Um zu Erkennen, was das Baby mit seinem Weinen ausdrücken möchte und welches Bedürfnis hinter dem Weinen steht, braucht es eine Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und mitfühlen zu können, welche Gefühle, Bedürfnisse und Erwartungen diese haben. Sprich, die Fähigkeit einer anderen Person mentale Zustände zuzuschreiben.
[...]
- Quote paper
- Margarete Arlamowski (Author), 2017, Elterliche Sensitivität. Welche Reaktion ist angemessen auf das Weinen eines Babys?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442733
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.