Immer häufiger werden Katastrophen oder Tragödien als touristische Attraktionen aufbereitet. Dieser sogenannte „dunkle Tourismus“ sucht den direkten Bezug zum Thema Tod und Leid. Der Erfolg dieses Phänomens legt nahe, dass ein Teil des menschlichen Naturells eine makabre Faszination an Horror und Gewalt in sich zu bergen scheint.
Michael Fischer geht in dieser Publikation der Frage nach, was Menschen dazu treibt, Orte zu besuchen, die von Tod und Leid geprägt sind. Der Autor untersucht zudem, ob und inwiefern die KZ-Gedenkstätte Dachau innerhalb des Phänomens des dunklen Tourismus einzuordnen ist.
Aus dem Inhalt:
- Dunkler Tourismus;
- Tourismus;
- Konzentrationslager;
- KZ-Gedenkstätte Dachau;
- Dachau
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Überlegungen
2.1 Definition und Abgrenzung
2.2 Das dunkle Tourismusspektrum
2.3 Sieben dunkle Anbieter
2.4 Die KZ-Gedenkstätte Dachau als Destination des dunklen Tourismus
2.5 Reisemotive und Motivationsfaktoren
3 Methodik
3.1 Stichprobe
3.2 Messinstrument
4 Ergebnisse
5 Interpretation
5.1 Selbstfindung
5.2 Bildung
5.3 Erinnerung und Empathie
5.4 Zweckdienlichkeit des Besuchs aufgrund der Lage
5.5 Religiöse Gründe
5.6 Neugierde
5.7 Affirmation und Bestätigung
5.8 Sonstige Gründe
5.9 Einfluss der Informationskanäle
5.10 Wirkung der Schub- und Zug-Faktoren auf die Besucher
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang A: Fragebogen zum Verständnis der Motive der Besucher der KZ-Gedenkstätte Dachau
Anhang B: Erläuterung zum Fragebogen
Anhang C: Auswertung des Fragebogens
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
Impressum:
Copyright © ScienceFactory,
Ein Imprint der Open Publishing GmbH, München, Deutschland
Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Deutschland
Covergestaltung: Open Publishing
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Thanatourism Continuum nach Seaton
Abbildung 2: A Dark Tourism Spectrum nach Stone
Abbildung 3: Sieben dunkle Anbieter
Abbildung 4: Die KZ-Gedenkstätte Dachau im dunklen Tourismus Spektrum
Abbildung 5: Bedürfnispyramide nach Maslow
Abbildung 6: Matrix of dark tourism demand and supply nach Sharpley
Abbildung 7: Altersstruktur der Teilnehmer der Studie
Abbildung 8: Übernachtungsort der Teilnehmer der Studie
Abbildung 9: Von den Teilnehmern der Studie besuchte vergleichbare Gedenkstätten oder Museen des Nationalsozialismus
Abbildung 10: Motive der Teilnehmer der Studie
Abbildung 11: Einfluss der Informationskanäle auf die Teilnehmer der Studie
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Fünf Kategorien des Todestourismus nach Seaton
Tabelle 2: Vier Gruppen von Reisemotiven nach Hartmann
Tabelle 3: Motive im dunklen Tourismus nach Dunkley
Tabelle 4: Einfluss der Schub- und Zug-Faktoren auf die Besucher
1 Einleitung
Seit dem Jahre 1933 lebt die Kreisstadt Dachau im Schatten ihrer Vergangenheit. Auf dem stillgelegten Gelände der Königlichen Pulver- und Munitionsfabrik Dachau entstand das erste Konzentrationslager des NS-Regimes auf deutschem Boden. Am 20. März 1933 gab Heinrich Himmler in seiner Funktion als kommissarischer Polizeipräsident von München die Eröffnung der Einrichtung auf einer Pressekonferenz im Münchner Polizeipräsidium bekannt. Nur zwei Tage später trafen bereits die ersten Inhaftierten in Dachau ein.1 Insgesamt fasste das Konzentrationslager 200.000 Gefangene aus ganz Europa und mehr als 41.500 Menschen verloren an diesem Ort ihr Leben
Am 29. April 1945 erfolgte schließlich die Befreiung des Lagers durch die US-Truppen und das Bild- und Filmmaterial ging um die Welt.2 Die Veröffentlichung prägte fortan die Wahrnehmung der Kreisstadt. Dachau wird seit diesem Zeitpunkt mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte assoziiert. Noch heute versuchen sich die Stadt und deren Funktionäre von diesem Image zu lösen. Kampagnen, wie Naherholung und Tourismus im Dachauer Land des Regional-Entwicklungsvereins Dachau AGIL Amper-Glonn-Ilm-Land e.V., zeigen im Zuge dessen die Vielfalt der Region. Das Angebot erstreckt sich über den Besuch von Sehenswürdigkeiten, Gastronomie im Dachauer Land, Ausflüge in die Natur sowie Sport- und Freizeitaktivitäten.3
Trotz dessen scheint die Faszination darüber einen Ort aufzusuchen, dessen Geschichte durch die Gräueltaten der Nationalsozialisten geprägt ist, zu überwiegen. Beleg dafür sind die Besucherzahlen der KZ-Gedenkstätte Dachau. Das Konzentrationslager zählt heute mit mehr als 800.000 Touristen jährlich zu den meist besuchten Gedenkstätten der Opfer des Nationalsozialismus. An dieser Stelle ist anzumerken, dass es sich um eine konservative Schätzung seitens der Betreiber der Gedenkstätte handelt, da zum Zeitpunkt der Studie keine Aufzeichnungen über tatsächliche Besucherzahlen vorlagen. Der Wert resultiert aus zwei Erhebungen, welche 618.000 in Anspruch genommene Audio Guides dokumentierten. Dennoch geht die Einrichtung von einer signifikant höheren Anzahl von Besuchern aus.4
1.1 Problemstellung
Lennon und Foley stellten bereits im Jahr 1999 fest:
„… there has been significant growth in tourism associated with sites of death, disaster and depravity”.5
Dokumentierte Erhebungen der vergangenen Jahrzehnte belegen diese These. So vermeldete das Anne-Frank-Haus in Amsterdam bereits zur Jahrtausendwende 885.000 Besucher, die durch das schwenkbare Bücherregal in das Hinterhaus gelangten, welches einst acht jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges beherbergte. Im gleichen Jahr gab das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 434.000 Touristen an, welche den Ort aufsuchten, an dem 1.500.000 Menschen während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben verloren. Kontinuierlich konnten vermehrt Besucherrekorde dieser Destinationen verzeichnet werden. Im Jahr 2017 zählte das Anne-Frank-Haus bereits 1.266.966 Besucher.6 Das KZ Auschwitz-Birkenau vermeldete indes 2.100.000 Touristen.7 Ferner hat die Ausstellung „Körperwelten“, welche sowohl echte präparierte menschliche, als auch tierische Körper demonstriert, weltweit bereits mehr als 45.000.000 Besucher angelockt.8 So scheint Dachau kein Einzelfall zu sein.
Auch die Veranstalter sowie Betreiber, reagieren inzwischen auf dieses Phänomen und Aktivitäten, wie ein Spaziergang zu Reaktorblock 4 des heute stillgelegten Kernkraftwerks Tschernobyl, ein Ausflug zum National September 11 Memorial & Museum oder ein Marathonlauf durch die Straßen in Pjöngjang finden ihren Weg in die Reisekataloge.
Richard Sharpley konstatiert in diesem Zusammenhang:
„… there appears to be an increasing number of people keen to promote or profit from „dark” events as tourist attractions“.9
Katastrophen oder Tragödien werden so also im Zuge dessen als touristische Attraktionen aufbereitet, vermarktet und verkauft. In der Literatur wird der Konsum derartiger touristischer Güter, welche in direktem Bezug zum Thema Tod und Leid stehen oder nur mit diesen assoziiert werden, als „dunkler Tourismus“ beschrieben. In der Praxis erfährt diese makabre Form des Reisens allerdings oft Kritik. So bezeichnet Blom sie als „krankhaften Tourismus“, während Schofield Bedenken gegenüber der Vermarktung solcher Stätten äußert.10 Stone argumentiert, dass vor allem Motive und das Verhalten der Besucher vor Ort unter Ausschluss der Einflussnahme Dritter oder kommerzieller Beteiligung, noch nicht ausreichend erforscht wurden.11 Die menschliche Psyche folgt dahingehend oft unbewusst einem moralischen Kompass, um zu definieren, was akzeptabel oder inakzeptabel in Bezug auf die Auswahl der Konsumgüter ist.
Allgemein scheint ein Teil des menschlichen Naturells eine makabre Faszination an Tod, Horror und Gewalt in sich zu bergen.12 Doch woher stammt dieser Antrieb Destinationen oder touristische Attraktionen aufzusuchen, welche von Tod und Leid geprägt sind?
1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung
Der Fokus dieser Ausarbeitung liegt auf der Ermittlung der Motive und Motivation der Besucher der KZ-Gedenkstätte Dachau. In obigem Kapitel wurde bereits auf die steigenden Besucherzahlen in den letzten Jahrzehnten verwiesen. Koleth argumentiert, dass Standorte des dunklen Tourismus inzwischen ein fester Bestandteil von Urlaubsreisen geworden sind.13 Die Motive und Motivation der Besucher bleiben jedoch oft ungeklärt. Diese Forschungslücke soll mit Hilfe der vorliegenden Studie geschlossen werden.
Der akademische Diskurs im dunklen Tourismus basiert bisher weitgehend auf qualitativen Ansätzen.14 Daher ist es sinnvoll eine quantitative Erhebung durchzuführen, um die Lücken in der Literatur zu Motiven und Motivation im dunklen Tourismus entsprechend schließen zu können.
Die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit lautet deshalb:
Welchen Einfluss haben Schub- und Zug-Faktoren auf die Besucher der KZ-Gedenkstätte Dachau?
Um die Forschungsfrage beantworten zu können, werden verschiedene einschlägige Theorien auf das spezielle Beispiel der KZ-Gedenkstätte Dachau angewandt.
Stones Studie A dark tourism spectrum: Towards a typology of death and macabre related tourist sites, attractions and exhibitions aus dem Jahre 2006 beleuchtet die Komplexität und Vielfalt der Orte des dunklen Tourismus. Demzufolge können einzelne Stätten des dunklen Tourismus in verschiedenen Ebenen dargestellt und kategorisiert werden.15 Die KZ-Gedenkstätte Dachau soll im Zuge dessen unter bestimmten Parametern der Studie einem Segment des dunklen Tourismus zugeordnet werden.
Basierend auf Dunkleys Motiven im dunklen Tourismus sollen für die KZ-Gedenkstätte Dachau passende Motive abgeleitet werden, die dann in einer Umfrage unter Besuchern der KZ-Gedenkstätte Dachau auf ihr Vorhandensein hin abgefragt werden.
1.3 Aufbau der Arbeit
Zunächst widmet sich Kapitel 2 der gesichteten Literatur. Das Phänomen des dunklen Tourismus wird beschrieben und abgegrenzt. Zur Analyse des Standorts wird Stones Studie aus dem Jahre 2006 verwendet.16 Die einzelnen Motive der Besucher der Stätten des dunklen Tourismus werden aufbereitet und in Bezug auf Schub- und Zugfaktoren diskutiert. In Kapitel 3 wird das Forschungsdesign vorgestellt und in Kapitel 4 die daraus gewonnen Ergebnisse präsentiert. So können vorliegende empirische Erhebungen mit den theoretischen Überlegungen abgeglichen werden. Kapitel 5 analysiert und interpretiert die Resultate der Studie, woraus Handlungsempfehlungen für die Betreiber der KZ-Gedenkstätte Dachau abgeleitet werden können. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf die zukünftige Forschung gegeben.
2 Theoretische Überlegungen
Lennon und Foley legten mit der Ausarbeitung Dark Tourism im Jahr 1996 den Grundstein auf diesem Gebiet. Noch im selben Jahr folgten Tunbridge und Ashworth mit Dissonant Heritage: the Management of the Past as a Resource in Conflict. Im Verlauf der Jahrzehnte erschien 2005 Horror and Human Tragedy Revisited: The Tourism von Ashworth und Hartmann und zwei Jahre später The Darker Side of Travel: The Theory and Practice of Dark Tourism von Sharpley und Stone. Im Jahre 2017 stellten Hooper und Lennon Dark Tourism: Practise and interpretation vor. Auch eine Vielzahl einzelner Artikel von Stone, Seaton, Rojek und einigen weiteren Autoren spiegelten das wachsende Interesse wider.
2.1 Definition und Abgrenzung
In den folgenden Unterkapiteln werden die schwarzen Stätten nach Rojek, der Thanatourismus nach Seaton und der dunkle Tourismus nach Lennon und Foley beschrieben. Es werden die unterschiedlichen Ansätze der Autoren zum Verständnis des Reisens zu Orten des Grauens dargestellt.
2.1.1 Schwarze Stätten
Der Ausdruck „Black Spots“ wurde erstmals 1993 in Ways of Escape: Modern Transformations in Leisure and Travel aufgegriffen. Rojek beschreibt die schwarzen Stätten des Tourismus als:
„… commercial developments of grave sites and sites in which celebrities or large numbers of peoples have met with sudden and violent deaths“.17
So stehen vor allem Gräber prominenter Persönlichkeiten und Orte, an denen diese ihr Leben ließen, im Fokus der Betrachtung. In diesem Zusammenhang werden der Autounfall des noch jungen James Dean sowie der Friedhof Père Lachaise der französischen Hauptstadt angeführt. In beiden Fällen können nach wie vor zahlreiche Besucher der Stätten gezählt werden. Mit 3.500.000 Besuchern im Jahr ist Père Lachaise sogar eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Paris.18
2.1.2 Thanatourismus
Seaton verfolgt in dem Artikel From Thanatopsis to Thanatourism: Guided by the Dark einen ähnlichen Ansatz wie Rojek, dennoch bedient er ein breiteres Spektrum. Thanatourismus wird demzufolge als
„… travel to a location wholly, or partially, motivated by the desire for actual or symbolic encounters with death, particularly, but not exclusively, violent death, which may, to a varying degree be activated by the person-specific features of those whose deaths are its focal objects” definiert.19 Darüber hinaus konkretisiert Seaton seine Vorstellung des Thanatourismus. Verhaltensbezogene Faktoren stehen im Vordergrund. Das Konzept wird durch die individuellen Motive und Motivation der Reisenden und deren Rolle im Todes- und Katastrophentourismus geprägt. So muss geklärt werden, ob das Interesse des Besuchers am Tod personenbezogen ist und mit anderen Motiven koexistiert oder ein generelles Interesse am Tod der treibende Motivator ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Thanatourism Continuum nach Seaton
Quelle: Seaton, A. (1996), S. 240
In War and Thanatourism: Waterloo 1815-1914 entwickelte Seaton daraufhin im Jahr 1999 fünf Kategorien des Todestourismus in Bezug auf die Motivation der Besucher:20
Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Fünf Kategorien des Todestourismus nach Seaton
Quelle: Seaton, A. (1999), S. 131 ff.
2.1.3 Dunkler Tourismus
Die Bezeichnung dunkler Tourismus wurde zunächst von den Forschern Foley und Lennon aufgegriffen, welche ihn als
„… the phenomenon which encompasses the presentation and consumption of real and commodified death and disaster sites”
kennzeichneten.21 In Dark Tourism: The Attraction of Death and Disaster aus dem Jahre 2000 verfeinerten sie ihre Definition noch weiter. Im Zuge dessen wurde zwischen tatsächlichem Konsum dunkler touristischer Güter und Handlungen, welche nur mit dieser Thematik assoziiert wurden, unterschieden. So zählt beispielsweise der Familienausflug zum National September 11 Memorial & Museum nicht als dunkler Tourismus.
Lennon und Foley beschreiben die dunklen Touristen als:
„… those who visit due to serendipity, the itinerary of tourism companies or the merely curious who happen to be in the vicinity who are, for us, the basis of dark tourism”.22
Ergänzend wurde in späteren Jahren der dunkle Tourismus von Stone als
”… the act of travel to sites associated with death, suffering and the seemingly macabre”
bezeichnet.23 Diese Definition findet sich am häufigsten in der Literatur, um das Reisen zu Orten, welche von Tod und Leid geprägt sind, zu beschreiben. Dabei können Stätten des dunklen Tourismus nur schwer einem bestimmten Segment des Tourismus zugeordnet werden, da sie Bestandteil jeglicher Reisen sein können, wie zum Beispiel Städte- oder Kulturreisen.
2.2 Das dunkle Tourismusspektrum
Die Stätten des dunklen Tourismus sind vielfältig in ihrer Art, Form und Ausrichtung. Stone hat in seiner Ausarbeitung A Dark Tourism Spectrum: towards a typology of death and macabre related tourist sites, attractions and exhibitions ein Rahmenwerk zur Kategorisierung der verschiedenen Orte entwickelt.
Das Dark Tourism Spectrum bedient sich dabei einer Skala verschiedener Schattierungen von dunkel bis hell, in der unterschiedliche Stätten unter Berücksichtigung einiger Faktoren eingeordnet werden können. Die einzelnen Schattierungen stehen in direktem Bezug zum Thema Tod und Leid oder zeigen im Kontrast Orte, welche nur mit dieser Thematik assoziiert werden.24 Die in Abb. 2 dargestellten Kriterien werden im Folgenden näher erläutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: A Dark Tourism Spectrum nach Stone
Quelle: Stone, P. (2006), S. 151.
2.2.1 Politischer Einfluss und Ideologie
Es wird geprüft ob der Ort einen geschichtlichen Einfluss auf das jeweilige Land oder die gesamte Welt gehabt hat, beziehungsweise ob die dort vorgefallenen Geschehnisse für die Politik von Relevanz waren oder sind. Als Beispiel können die Gedenkstätten von John F. Kennedy im Sixth Floor Museum at Dealey Plaza in Dallas sowie das Denkmal Strawberry Fields zu Ehren John Lennons im New Yorker Central Park, angeführt werden. Obwohl beide einen ähnlichen Tod fanden, werden signifikante Unterschiede in der Relevanz der Orte deutlich. Dies wird durch die Position der jeweiligen Person und ihre Bedeutung für eine Stadt beziehungsweise ein Land ersichtlich.25
2.2.2 Pädagogischer oder unterhaltender Ansatz
Der Zweck einer Einrichtung kann von reiner Unterhaltung bis zu einem fundierten Lehrauftrag reichen. Dafür kommen jegliche Gedenkstätten in Frage, welche einen Bildungsauftrag besitzen. Diese können beispielsweise den Gruselkabinetten mit historischem Hintergrund wie dem Hamburg Dungeon gegenübergestellt werden. So setzt sich der Hamburg Dungeon zwar mit historischen Ereignissen auseinander, stellt dabei jedoch den Unterhaltungsfaktor in den Vordergrund.26
2.2.3 Geschichtlicher oder kultureller Hintergrund
Welchen zentralen Gedanken birgt die Einrichtung? Liegt der Fokus darauf die Vergangenheit zu erhalten um so das Gedenken an die Verstorbenen zu ermöglichen oder wird die Vergangenheit genutzt, um ein eher romantischeres und verschöntes Bild zu zeichnen, welches Menschen zu einem Besuch bewegt. Als Vergleich dienen die Gedenkstätten der Berliner Mauer und das DDR Museum in Berlin. Beide Orte weisen den gleichen geschichtlichen Hintergrund auf, jedoch ist die Art und Weise der Umsetzung unterschiedlich. So werden dem Besucher zwei differenzierte Bilder der Vergangenheit gezeigt.27
2.2.4 Interpretation
Die Authentizität bestimmter Stätten geht im Laufe der Jahre oft verloren. Teilweise durch massive Eingriffe, wie beispielsweise bauliche Veränderungen, oder ähnliches, kann der Besucher nur noch schwer erahnen, was sich an diesem Ort ereignete. Es ist davon aus zu gehen, dass jeder historische Ort auf eine gewisse Art und Weise verändert wurde, dies bedeutet allerdings in der Folge nicht immer einen Authentizitätsverlust. Bei einem Besuch des Konzentrationslagers Ausschwitz finden sich immer noch vorhandene, teils restaurierte, Gebäude des Zweiten Weltkrieges, welche Aufschluss über die damaligen Geschehnisse geben. Demgegenüber steht beispielsweise das National September 11 Memorial & Museum in New York City, welches aufgrund der Baumaßnahmen in keinem Vergleich zu den Trümmern des World Trade Centers steht. Diese neu geschaffene Stätte lädt zwar zum Gedenken an die Verstorbenen ein, birgt jedoch die Problematik, dass nachfolgende Generationen nur schwer nachvollziehen können, was sich an diesem Ort tatsächlich ereignete.28
2.2.5 Örtliche Authentizität
Wie im letzten Abschnitt erörtert ist die Authentizität einer Stätte des dunklen Tourismus entscheidend für die Wahrnehmung der Besucher. Dies finden wir auch bei der Lage des Ortes wieder. Es wird differenziert zwischen Orten an denen Menschen Tod und Leid erfahren haben oder Stätten, welche nur mit diesen Ereignissen assoziiert werden. In diesem Zusammenhang kann das Beispiel des US Holocaust Memorial Museum im Vergleich zu dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau angeführt werden. Hier zeigen sich signifikante Unterschiede der beiden Stätten. So findet sich das Konzentrationslager entgegen dem Museum an einem Ort wieder, an dem sich die geschichtlichen Geschehnisse tatsächlich ereigneten und dessen ursprüngliche Intention es nicht war Besucherzahlen zu generieren. Dies lässt auf eine hohe Authentizität im dunklen Tourismus Spektrum schließen. Im Falle des US Holocaust Memorial Museum handelt es sich dagegen um einen Ort, welcher die Thematik aufgreift, jedoch aufgrund der Lage nicht authentisch wirkt.29
2.2.6 Zeitliche Komponente
Die Zeitspanne zwischen dem heutigen Zeitpunkt und den vorgefallenen Ereignissen ist ein entscheidender Faktor im Bezug auf die Wirkung einer Stätte des dunklen Tourismus auf die Besucher. Umso länger die Geschehnisse in der Vergangenheit zurückliegen, desto surrealer wird das Ereignis. Mythen entstehen mit der Zeit und die tatsächlichen Ereignisse rücken in den Hintergrund. Dies wird an der Außenwirkung von Kriegsstätten aus dem Zweiten Weltkrieg sowie jenen aus der Zeit des Römischen Reiches ersichtlich, da Besuchergruppen die damit verbundenen Geschehnisse, obgleich ihrer Ähnlichkeit, differenziert wahrnehmen.
2.2.7 Zweck der Einrichtung
Wie finanziert sich die Einrichtung? Wird diese durch Spendengelder, staatliche Hilfe oder ähnliches finanziert, oder steht der Profit im Fokus der Betreiber? Bei einer auf Profit ausgelegten Stätte kann es dazu kommen, dass unter dem Druck wachsende Besucherzahlen zu generieren, das Andenken an die Verstorbenen und die Authentizität verloren gehen.
2.2.8 Touristische Infrastruktur
Der Ausbau und die Entwicklung der touristischen Infrastruktur kann als Indikator fungieren, um Rückschlüsse auf die Vermarktung des jeweiligen Ortes zu ziehen und Aufschluss darüber zu geben, in welchem Umfang dort Besucher angelockt werden sollen. Jedoch finden sich auch Gedenkstätten wieder, welche bereits in einer sehr gut ausgebauten Region liegen und davon profitieren. Daher ist dieser Faktor nicht in jedem Fall sinnvoll anzuwenden, um eine Einordnung vorzunehmen.
2.3 Sieben dunkle Anbieter
Stone ermöglicht es mit dem Modell der Seven Dark Supplier die Orte des dunklen Tourismus in sieben unterschiedlichen Stätten darzustellen, wie in Abbildung 3 zu sehen ist. Als Grundlage wird das dunkle Tourismus Spektrum verwendet, um die einzelnen Orte zu kategorisieren.30
2.3.1 Dunkle Vergnügungsattraktionen
Dark Fun Factories zeichnen sich überwiegend durch einen unterhaltenden Aspekt und eine kommerzielle Nutzung aus. Dafür wird sich wahrer oder erfundener Begebenheiten bedient, welche im direkten Bezug zum Thema Tod und Leid stehen. Im Rahmenwerk des Dark Tourism Spectrums sind diese Einrichtungen als hellste Stätten einzuordnen, da sie oftmals nicht die entsprechende Authentizität aufweisen. Hier kommen Schauspieler oder andere visuelle Effekte zum Einsatz. Das Konzept beruht unter anderem auch auf Mythen oder geschichtsträchtigen Tragödien. Als gängiges Beispiel gelten Geisterbahnen auf Jahrmärkten.31
2.3.2 Dunkle Ausstellungen
Bei Dark Exhibitions handelt es sich um Ausstellungen oder Orte, welche künstlich erschaffen worden sind und einen kommerziellen Gedanken aufweisen.
Die Themen sind geprägt von Tod, Leid oder geschehenen Tragödien. Sie gelten als seriöser und verfolgen in der Regel einen Bildungsauftrag. Somit können sie an einer dunkleren Stelle eingetragen werden, als die Dark Fun Factories. Die Ausstellungen haben selten eine örtliche Präferenz. Zwar findet sich meistens ein entsprechender geschichtlicher Hintergrund, dennoch können jene auch ohne direkten Bezug zu einem bestimmten Standort oder der Vergangenheit existieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Ausstellung „Körperwelten“.32
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Sieben dunkle Anbieter
Quelle: In Anlehnung an Stone, P. (2006), S. 151.
2.3.3 Dunkle Verliese
Dark Dungeons sind als Mischform aus unterhaltenden und bildendenden Elementen gekennzeichnet, welche sich durch einen starken Vermarktungscharakter auszeichnen. Diese Stätten gelten als nicht künstlich erschaffene Ziele des dunklen Tourismus. So wurden diese Einrichtungen bereits früher genutzt und nicht zu einem bestimmten Zweck errichtet, wie es bei den beiden vorherigen Kategorien der Fall ist. Die dunklen Verliese bewegen sich grundsätzlich in der Mitte des Dark Tourism Spectrums und können je nach Aufbereitung und den vorgefallenen Ereignissen zwischen hell und dunkel variieren. Bei einigen Stätten wird vor allem Wert auf einen hohen Unterhaltungsfaktor gelegt, sodass diese für Hochzeiten, Feiern oder ähnliches genutzt werden können, wohingegen bei anderen politische oder geschichtliche Aspekte in den Vordergrund treten und diese entsprechend differenziert aufbereitet werden. Die Aktualität der Ereignisse sowie die weltweite Bedeutung lassen Rückschlüsse auf die Authentizität der Stätte zu.33
2.3.4 Dunkle Ruhestätten
Dark Resting Places sind Orte, wie Friedhöfe oder auch Grabmahle. Im touristischen Sinne gelten Friedhöfe als landschaftliche und architektonische Besonderheit. Auf der einen Seite verfügen sie über einen gewissen Charme und werten das Landschaftsbild auf, andererseits schaffen sie einen Ort an dem der Toten gedacht werden kann. Ähnlich wie bei den dunklen Verliesen sind dunkle Ruhestätten ebenfalls in der Mitte des Dark Tourism Spectrums anzusiedeln. Ebenso finden sich hier unterschiedliche Ausprägungen in den helleren oder dunkleren Bereich des Spektrums hinein. Friedhöfe, wie beispielsweise der Père Lachaise in der französischen Hauptstadt, werden jährlich von zahlreichen Touristen aufgesucht. In Los Angeles werden seit längerem spezielle Führungen zu den Todesstätten berühmter Persönlichkeiten angeboten. Das Hauptaugenmerk liegt dabei nicht mehr auf der Anteilnahme, sondern weist vielmehr einen unterhaltenden Charakter auf. Kennzeichen dafür sind die Kommerzialisierung und das aktive Bewerben der Attraktion.34
2.3.5 Dunkle Schreine
Als Dark Shrines gelten ausschließlich Stätten zur Anteilnahme gegenüber verstorbenen Personen. Diese weisen im herkömmlichen Sinne keinen touristischen Charakter auf. Dennoch finden sich vermehrt nicht direkt Beteiligte ein, um Blumen, Kränze, etc. niederzulegen und der Toten zu gedenken. In der heutigen Zeit entsteht vermehrt ein Medienecho durch den Besuch beispielsweise berühmter Persönlichkeiten, das das Interesse der Besucher weckt. Ein aktuelles Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Besuch Frau Merkels sowie des Fußballclubs Hertha BSC und anderer am Breitscheidplatz in Berlin nach dem dort verübten Anschlag. Oft finden sich dunkle Schreine unmittelbar am Ort des Geschehens wieder und entstehen nur kurze Zeit nach Eintritt des Todes. Diese unmittelbare Nähe lässt darauf schließen, dass die Dark Shrines auf der dunklen Seite des Dark Tourism Spectrums einzuordnen sind. Dunkle Schreine gelten als kurzweilig, da der Besucherandrang in der Regel nach einigen Wochen oder Monaten abnimmt.35
2.3.6 Dunkle Konfliktzonen
Dark Conflict Sites setzen sich meistens mit Schauplätzen vergangener Kriege oder Orten, die in direktem Zusammenhang mit jenen stehen, auseinander. Als klassische Merkmale dieser Stätten zählen ihr Bildungsauftrag und der historische Hintergrund. Ursprünglich hatten diese Orte keine touristischen Züge und dienten dem alleinigen Zweck der Verstorbenen zu gedenken. Es existieren unterschiedlichste Arten der dunklen Konfliktzonen, dennoch lassen die genannten Kriterien einen Ausschlag in das dunklere Segment des Dark Tourism Spectrums vermuten. Der Zeitraum seit Eintreffen der Tragödie gilt dabei als wichtige Komponente. Denn sind Zeitzeugen, Betroffene oder direkte Angehörige nicht mehr am Leben, so verschwimmt die Erinnerung an diese Zeit. Innerhalb des Spektrums kann dies ein Indiz für eine Verschiebung in den helleren Bereich sein. Auch hier müssen die jeweiligen Stätten differenziert betrachtet werden, da die Ausrichtung in den helleren oder dunkleren Bereich des Dark Tourism Spectrums je nach Betreiber variieren kann.36
[...]
1 Vgl. Stadt Dachau (2018a).
2 Vgl. KZ-Gedenkstätte Dachau (2018a).
3 Vgl. Regional-Entwicklungsverein Dachau AGIL Amper-Glonn-Ilm-Land e.V. (2018).
4 Vgl. Lennon, J. / Weber, D. (2017), S. 47 f.
5 Lennon, J. / Foley, M. (1999), S. 46.
6 Vgl. Anne Frank Haus (2018).
7 Vgl. Auschwitz-Birkenau: Memorial and Museum (2018).
8 Vgl. Körperwelten (2018).
9 Sharpley, R. (2009), S. 5.
10 Vgl. Blom, T. (2000), S. 36; Schofield, H. (1998).
11 Vgl. Stone, P. (2011), S. 327.
12 Vgl. Moran, T. (2010).
13 Vgl. Koleth, M. (2014).
14 Stone, P. / Sharpley, R. (2008), S. 574 ff.
15 Vgl. Stone, P. (2006), S. 145 ff.
16 Vgl. Stone, P. (2006), S. 145 ff.
17 Rojek, C. (1993), S. 136.
18 Vgl. Radio France Internationale (2004).
19 Seaton, A. (1996), S. 240.
20 Vgl. Seaton, A. (1999), S. 131 ff.
21 Foley, M. / Lennon, J. (1996), S. 198.
22 Lennon, J. / Foley, M. (2000), S. 23.
23 Stone, P. (2006), S. 146.
24 Vgl. Stone, P. (2006), S. 150 ff.
25 Vgl. The Sixth Floor Museum at Dealey Plaza (2018); Central Park (2018).
26 Vgl. Hamburg Dungeon (2018).
27 Vgl. Gedenkstätte Berliner Mauer (2018); DDR Museum (2018).
28 Vgl. National September 11 Memorial & Museum (2018).
29 Vgl. Auschwitz-Birkenau: Memorial and Museum (2018a); United States Holocaust Memorial Museum (2018).
30 Vgl. Stone, P. (2006), S. 152 ff.
31 Vgl. Stone, P. (2006), S. 152 f.
32 Vgl. Stone, P. (2006), S. 152 f.
33 Vgl. ebenda, S. 154.
34 Vgl. Stone, P. (2006), S. 154 f.; King, S. (2018).
35 Vgl. Stone, P. (2006), S. 155 f.; Hoenig, A. (2017).
36 Vgl. Stone, P. (2006), S. 156.
- Quote paper
- Michael Fischer (Author), 2018, Reisemotive im Dunklen Tourismus. Eine Einordnung der KZ-Gedenkstätte Dachau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439003
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