Diese Seminararbeit beschäftigt sich mit dem Versuch einer Deutung von Ingeborg Bachmanns Gedicht „die blaue Stunde“. Der erste Teil widmet sich den relevanten Schnittstellen im Leben der Autorin. Darauf aufbauend werden im zweiten Teil die Textanalyse sowie die Gesamtdeutung des Gedichtes im Fokus stehen. Ein Fazit und ein Ausblick auf die didaktischen Überlegungen zur Erarbeitung des Textes im Unterricht beschließen die Arbeit.
Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit dem Versuch einer Deutung von Ingeborg Bachmanns Gedicht ״die blaue Stunde“. Der erste Teil widmet sich den relevanten Schnittstellen im Leben der Autorin. Darauf aufbauend werden im zweiten Teil die Textanalyse sowie die Gesamtdeutung des Gedichtes im Fokus Stehen. Ein Fazit und ein Ausblick auf die didaktischen Überlegungen zur Erarbeitung des Textes im Unterricht beschließen die Arbeit.
Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren und gilt als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit.[1] Neben ihrem herausragenden Geschick ihre Gefühle in Worte zu verpacken, prägten ihre turbulenten Liebesbeziehungen zu literarischen Größen wie Paul Celan oder Max Frisch ihr Wesen. Der Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan ist sowohl herzzerreißend, als auch gelenkt von erschütternder Verzweiflung. Das unerfüllte Verlangen nach Liebe und die daraus resultierende Enttäuschung verleihen ihren Werken eine infinite Tragik. Bachmann verhielt sich während öffentlichen Gesprächen meistenteils sehr bescheiden und ihre Parolen waren schleierhaft und zwiespältig. Während eines Fragegesprächs mit dem HR-Femsehen 1971 in Rom, schockierte sie jedoch nicht nur den Journalisten Dieter Zilligen mit ihrer markant schroffen Wortauswahl:
Ingeborg Bachmann: [...] die Männer sind unheilbar krank.
Dieter Zilligen: Aha? Woran sind die Männer unheilbar krank?
Bachmann: Sie sind es.
Zilligen: Sie sind es?
Bachmann: Wissen Sie das nicht?
Zilligen: Wenn Sie es mir sagen!
Bachmann: Alle.[2]
Das Gedicht ״die blaue Stunde“ ist in dem Band ״Anrufung des Großen Bären“ erschienen. Der Terminus ״blaue Stunde“ gilt als die Zeit der Dämmerung zwischen Sonnenuntergang und nächtlicher Dunkelheit. Dieses Motiv steht demzufolge für eine Phase des Übergangs. Die Farbe blau verkörpert jegliche Art von Sehnsucht, sowie die Begierde nach Liebe und dem erfüllten Dasein. Die blaue Stunde stellt die Zeit zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit dar. Während dieser kurzen Zeit, scheint nichts unmöglich.
Das Gedicht setzt sich aus drei Strophen zusammen, die allesamt das Reimschema AA BB cc verfolgen. Auf metrischer Ebene weist dieses Gedicht also keinerlei Anomalien auf, denn es handelt sich durchlaufend um Paarreime. Ingeborg Bachmann lässt in jeder Strophe einen anderen Protagonisten zu Wort kommen. Während die erste Strophe dem alten Mann gilt, spricht in der zweiten Strophe der junge Mann. Die letzte Strophe des Gedichtes gehört der im Zentrum stehenden Frau.
Vergleicht man lediglich die ersten beiden Strophen miteinander, lassen sich mehrere Dualismen und Divergenzen erkennen. Alle Aussagen und Taten des alten und des jungen Mannes sind kontrastiv zueinander aufgebaut. Bei der ersten Ansprache an die Frau drückt der alte Mann Klarheit und Sicherheit aus. Er gibt sich mit Kleinigkeiten zufrieden und lässt die Frau selbst Entscheidungen treffen. Der junge Mann hingegen verlangt von der Frau einen Schwur. Er gibt sich nicht mit einer bloßen Antwort zufrieden, sondern setzt die Frau bewusst unter Druck. Der alte Mann steht für den offenen Abend, wohingegen der junge Mann den Puls der Nacht verkörpert. Hier lässt sich ein erster Bezug zum Titel des Gedichtes herstellen. Die Zeit des Übergangs wird thematisiert. Der alte Mann hat sein Leben bereits hinter sich und begnügt sich mit der neutralen Präsenz der Frau. Er wünscht sich eine Person an seiner Seite, mit der er die restliche Zeit seines Lebens genießen kann. Der junge Mann hingegen hat sein ganzes Leben noch vor sich und sehnt sich nach der Erfahrung der erfüllten Liebe. Seine leidenschaftliche Sehnsucht wurde noch nicht gestillt. Das Verständnis des alten Mannes steht den offenen Fragen und Wünschen des jungen Mannes gegenüber. Die Erwartungen und Anliegen des alten Mannes wurden alle bereits erfüllt.
Die Farbe blau wird in beiden Strophen erwähnt. In der ersten Strophe wirkt das blaue Licht schwammig. Die Zukunft des alten Mannes ist unklar, denn er weiß nicht wie lange er noch leben wird. In der zweiten Strophe wird die Farbe blau eingesetzt um eine zwanglose Atmosphäre zu beschreiben. Der junge Mann hat sein ganzes Leben noch vor sich und braucht sich keine Sorgen um seine Existenzfähigkeit zu machen. Die Wortwahl in den folgenden Zitaten ״Tot die Bücher“ (Zeile 7) und ״lebendig das Wort“ (Zeile 23) untermauern das Gegengewicht in den beiden ersten Strophen.
Die Liebe des alten Mannes ist geschleift von Erinnerung, demgegenüber beginnt die Liebe bei dem jungen Mann erst.
Die dritte Strophe ist der Frau gewidmet. Nachdem sie sich die Aussagen und Wünsche der Männer anhören konnte, kommt sie nun selbst zu Wort. Die letzte Strophe ist gekennzeichnet von märchenhaften Elementen, wie Spindeln und Sterntalem. Die Frau bittet die Herren ihr das Schwert in die Hand zu geben. Es wird also deutlich, dass die Frau selbst die Entscheidung treffen wird. Hier werden die Stärke und die Andersheit der weiblichen Protagonistin hervorgehoben. Zu Bachmanns Zeiten war es eher ungewöhnlich, dass eine Frau ein solches Verdikt zu fällen hatte. Das lyrische Ich der dritten Strophe wird mit Jeanne ďArc, die charakterstärkste weibliche Persönlichkeit, die je existiert hat, verglichen. Obwohl die weibliche Kernfigur des Gedichtes als sehr stark und unabhängig dargestellt wird, muss auch sie ״durch das Eis“ (Zeile 29) dringen. Es gibt also doch eine Art von Gegenwind und Zeichen von Widerstand. Das lyrische Ich der letzten Strophe wählt einen inszenierten Abgang. Sie absolviert eine Art Mutprobe um sich dann in die Hände ihres Herrn begeben zu können. Dieser schenkt ihr den hellsten Abendstem und lenkt sie somit auf den richtigen Weg. Sie gibt ihr Schicksal dementsprechend nicht in die Hand eines Mannes, sondern nimmt es selbst in die Hand.
In dem Gedicht ״die blaue Stunde“ von Ingeborg Bachmann handelt es sich um eine klassische Dreiecksbeziehung aus welcher eine Konfliktsituation resultiert. Zwei unterschiedliche Männer begehren die gleiche Frau. Die veraltete Liebe des alten Mannes steht im Kontrast zur resoluten Liebe des jungen Mannes. Die starke und selbstbewusst dargestellte Frau ist jedoch von keinem der beiden Männer überzeugt, obwohl die beiden Verehrer unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie hat die Wahl und entscheidet sich bewusst für keinen der beiden. Sie lebt in einer Welt, die von übernatürlichen Elementen umrandet ist. Es handelt sich bei der Frau also um eine sehr autonome Persönlichkeit, was zu dieser Zeit eher ungern gesehen war und nicht toleriert wurde. Der Mann hat damals die Entscheidungen getroffen. In diesem Gedicht sind die Geschlechterrollen vertauscht. Die Frau beweist wie mutig, selbstbewusst und stark sie ist, indem sie bewusst beide Männer ablehnt. Sie vertraut auf sich selbst und folgt dem hellen Abendstem. Dieser soll sie auf den richtigen Weg führen, welcher wirklich für sie bestimmt ist.
Eine autobiographische Note lässt sich ebenfalls in dem Gedicht erschließen. Ingeborg Bachmanns Leben war geprägt von turbulenten Liebesbeziehungen. Der deutsch-polnische Autor Marcel Reich-Ranicki beschreibt sie während eines literaturkritischen Diskurses als eine Art Männermagneten. Sie hat die Männer mit ihrer geheimnisvollen Art auf sich aufmerksam gemacht. Sie Stand gerne im Mittelpunkt und hat diese Begeisterung für ihre Person genossen. Trotz ihrer unglaublichen Wirkung auf Männer und ihrer zahlreichen Affären war keine dieser Liebesbeziehungen gänzlich erfüllend. Diese Leere und Unvollkommenheit ihrer selbst beschreibt sie in vielen ihrer Gedichte.
Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
Wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
Und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,
Zerschlägt so viel: wie werden nicht bestehen.[3]
In dem vorliegenden Gedicht ״Es könnte viel bedeuten“ wird die Kommunikationslosigkeit zwischen Menschen thematisiert. In dem Gedicht ״die blaue Stunde“ reden die Protagonisten ebenfalls aneinander vorbei. Die Bedürfnisse der Frau werden nicht wahrgenommen und nicht verstanden. Bachmann fühlte sich ebenfalls missverstanden und wusste nicht mit dem ständigen Scheitern ihrer Beziehungen umzugehen. Das Element des Feuers tritt ebenfalls wiederholt in Bachmann Gedichten auf. Man darf außerdem nicht unerwähnt lassen, dass sie auf tragischste Weise in ihrer Wohnung verbrannt ist und an den Folgen dieses vermeidlichen Unfalls verstorben ist. Bis heute sind sich Literaturwissenschaftler uneinig, ob es sich tatsächlich um einen Unfall handelt oder ob Ingeborg Bachmann sich selbst umgebracht hat.
Ingeborg Bachmanns Gedicht ״die blaue Stunde“ lässt sich sehr gut im Deutschunterricht in der Sekundarstufe einsetzen. Um die Komplexität ihrer Texte fassen zu können, sollte man sie primär in höheren Klassen behandeln. Falls man aber eine jüngere Klasse betreut, denen man zutraut die verzweigten Einheiten zu erkennen und zu einem Gesamten zusammenzufügen, kann man sicherlich in Erwägung ziehen den Text dort zu besprechen. Ich persönlich würde dazu tendieren, das Gedicht auf einer 2ième classique zu behandeln. Laut der Anforderungen des Luxemburger Lehrplans sollen die Schüler und Schülerinnen dieser Klassenstufe ihre Kenntnisse der Methoden der Textanalyse und Textinterpretation festigen.[4] Sie sollen sich ebenfalls mit der Literatur des Epochenumbruchs 1900 und den literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Hauptvertreter der einzelnen literarischen Bewegungen beschäftigen.[5] Betreut man eine 2ième classique A, vertieft man das literarische Wissen den Schülern und Schülerinnen noch genauer. Durch Interpretationen, Vergleiche, literaturgeschichtliche und literaturtheoretische Zuordnungen sowie produktive und analytische Textverfahren werden ihre Kenntnisse fundiert.[6]
[...]
[1] Joachim Hoell : Ingeborg Bachmann. Ein Portrait. Berlin 2014. S.7.
[2] https://hnk.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-322-91371-5_14
[3] http://www.planetlyrik.de/ingeborg-bachmann-die-gedichte/2011/06/
[4] https://ssl.education.lu/eSchoolBooks/QuickSearch.aspx?EntityId=0#18054$39070$88818
[5] https://ssl.education.lu/eSchoolBooks/QuickSearch.aspx?EntityId=0#18054$39070$88818
[6] https://ssl.education.lu/eSchoolBooks/QuickSearch.aspx?EntityId=0#18054$39070$88818
- Citar trabajo
- Cathy Schoetter (Autor), 2018, "Die blaue Stunde" von Ingeborg Bachmann, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/438679
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