Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Forschungsgegenstand der Gedenkrede des damaligen 6. Bundespräsidenten der BRD, Richard von Weizsäcker (CDU), die dieser am 08.05.1985 vor dem West-Deutschen Bundestag im Plenarsaal in Bonn anlässlich einer Gedenkstunde zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hielt. Die Rede thematisiert zudem das Gedenken der Opfer des Zweiten Weltkriegs sowie der Folgen des nationalsozialistischen Treibens in Europa und für die Welt.
Gemeinhin wird bei der Erwähnung Richard von Weizsäckers Gedenkrede im Rahmen des Forschungsdiskurses um die Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur Deutschlands lediglich die signifikante Sequenz „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“ zitiert. Da die Rede selbst kaum mehr als Quelle aufgegriffen wird, soll zu Beginn jener Hausarbeit mit einer intensiven Quellenanalyse die Gedenkrede bezüglich ihrer Bedeutung für die Erinnerungskultur der BRD gemäß folgender kritischer Zentralfragestellung dieser Hausarbeit untersucht werden:
Ist die Gedenkrede Richard von Weizsäckers vom 08.05.1985 als Appell zum Erinnern des deutschen Volkes und somit als indirekte Erinnerungsreform und Weckruf zum Umdenken für die deutsche Gesellschaft gemäß der Erinnerungspolitik zu begreifen, oder folgt sie lediglich den Deutungsmustern der politischen Vorgänger? Welchen Einfluss hat die Rede auf die deutsche Erinnerungspolitik?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Quellenkritik
2.1 Inhaltsangabe
2.2 Inklusion der gesellschaftlichen Lager
2.3 Die Besonderheit des 8. Mai
2.4 Das Gedenken der Opfer
2.5 Richard von Weizsäckers Handbuch zum aktiven Erinnern
3. Historische Kontextualisierung der Gedenkrede von Weizsäckers zum
4. Rezeption
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
1.Einleitung:
Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Forschungsgegenstand der Gedenkrede des damaligen 6. Bundespräsidenten der BRD, Richard von Weizsäcker (CDU), die dieser am 08.05.1985 vor dem West-Deutschen Bundestag im Plenarsaal in Bonn anlässlich einer Gedenkstunde zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hielt.
Die Rede thematisiert zudem das Gedenken der Opfer des Zweiten Weltkriegs sowie der Folgen des nationalsozialistischen Treibens in Europa und für die Welt. Gemeinhin wird bei der Erwähnung Richard von Weizsäckers Gedenkrede im Rahmen des Forschungsdiskurses um die Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur Deutschlands lediglich die signifikante Sequenz „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“ zitiert. Da die Rede selbst kaum mehr als Quelle aufgegriffen wird, soll zu Beginn jener Hausarbeit mit einer intensiven Quellenanalyse die Gedenkrede bezüglich ihrer Bedeutung für die Erinnerungskultur der BRD gemäß folgender kritischer Zentralfragestellung dieser Hausarbeit untersucht werden:
Ist die Gedenkrede Richard von Weizsäckers vom 08.05.1985 als Appell zum Erinnern des deutschen Volkes und somit als indirekte Erinnerungsreform und Weckruf zum Umdenken für die deutsche Gesellschaft gemäß der Erinnerungspolitik zu begreifen, oder folgt sie lediglich den Deutungsmustern der politischen Vorgänger? Welchen Einfluss hat die Rede auf die deutsche Erinnerungspolitik?
Die Quellenanalyse der Gedenkrede soll hierbei die weiteren Inhalte neben dem Befreiungsaspekt beleuchten. Daher hat die intensive Quellenanalyse somit das Ziel herauszustellen, orientiert an der Zentralfrage dieser Arbeit, inwieweit Richard von Weizsäcker erinnerungspolitische Aussagen zur Involvierung gesellschaftlicher Gruppierungen als auch neue erinnerungspolitische Ideen hinsichtlich eines angenommenen Reformierungsprogramms der deutschen Erinnerungspolitik verwendet.
Speziell sollen die Untersuchungen jener Arbeit auf die Bedeutung der Weizsäcker Rede für das Geschichtsbild der BRD im Kontext der Vergangenheitsbewältigungsdebatten der 1950er bis 1980er Jahre und darüber hinaus abzielen.
Ferner wird hierbei die Rede gemäß gesellschaftlicher Kontroversen der 1950er bis 1980er Jahre und politischer Motive anhand von Schlüsselwörtern und Fragen wie z.B. zur kollektiven Schuldfrage, Erinnerungspolitik, Generationswandel, als auch die Opferpositionierung hermeneutisch- strukturalistisch analysiert und untersucht.
Des Weiteren konzentriert sich die Redenanalyse größtenteils auf die Kerninhalte Gedenken, Befreiung und Erinnern. Hinsichtlich des Erinnerns wird bei dieser Analyse herausgestellt wie Erinnern für Richard von Weizsäcker funktioniert und welche Funktion das Erinnern hat. Ausgehend von den Ergebnissen der besagten Redenanalyse wird die Rede hermeneutisch in die mediale und politische Rezeptionslandschaft und dessen historischen Kontext eingeordnet.
Fußend auf den Forschungsarbeiten dieser Hausarbeit soll als Fazit versucht werden, die kritische Zentralfragestellung zu beantworten sowie die Redebedeutung Weizsäckers Rede herauszustellen.
2. Quellenkritik
2.1. Inhaltsangabe
Richard von Weizsäckers Adressaten sind, aufgrund seiner politischen Position eines Bundespräsidenten der BRD, neben den vier alliierten Siegermächten GB, UdSSR, USA und Frankreich zudem noch Israel und alle anderen Länder die Opfer und Trauer aufgrund des nationalsozialistischen Wirkens im zweiten Weltkrieg und dessen Folgen erlitten haben. Konkreter betrachtet adressiert von Weizsäcker seine Rede hingegen an alle Deutschen, im Speziellen werden hierbei die neuen Generationen von Nachkommen der Tätergeneration des Zweiten Weltkriegs angesprochen. Von Weizsäcker ruft mit seiner Rede alle Generationen Deutschlands in die Verpflichtung und Verantwortung für die NS-Geschichte zu tragen und die Vergangenheit zu akzeptieren. Indem der Geschichte aktiv erinnert wird, können Aussöhnungen und Frieden zwischen den Völkern aus Vertrauen heraus entstehen.
Die Rede des liberal- konservativen Richard von Weizsäckers besteht aus neun Sequenzen, welche thematisch zwar übergreifend fungieren aber inhaltlich differenzierte Schwerpunkte beleuchten. Die neun Sequenzen können hinsichtlich der zugrundeliegenden Ausrichtung dieser Arbeit strukturell und inhaltlich zu vier Blöcken zusammengefasst werden. Die Titel der folgenden Abschnitte jener Rede sind aus dem Inhalt besagter Sequenzen geschlussfolgert und ermöglichen, neben ihrem definitorischen Charakter, zusätzlich das Erläutern der Funktionsweise des Zusammenwirkens der strukturellen Konzeption der Rede.
2.2. Inklusion der gesellschaftlichen Lager
Richard von Weizsäcker beginnt seine Ansprache mit den Worten „Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging“1, womit dieser zu Beginn seiner Rede appellierend verdeutlicht, dass der Anlass der Rede das Gedenken der Opfer des Zweiten Weltkrieges ist. Durch den appellierenden Einbezug der ganzen Welt, schafft von Weizsäcker eine Brücke durch welche Deutschland und dessen Gedenken als ein Teil aller Weltvölker gesehen wird.2
Jedes Volk zelebriert den 8. Mai anders, dies liegt daran dass „[s]einem Schicksal gemäß [...] jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle [hat]“3. Mit anderen Worten assoziiert jedes Volk unterschiedliche Emotionen und Empfindungen mit dem Datum des 8. Mai, dies betont von Weizsäcker besonders mittels enumerativer Antithesen die die Folgen und Entwicklungen des Zweiten Weltkriegs auflisten und bis in die Gegenwart von 1985 erinnerungspolitisch skizzieren: „Sieg oder Niederlage, Befreiung von Unrecht und Fremdherrschaft oder Übergang zu neuer Abhängigkeit, Teilung, neue Bündnisse, gewaltige Machtverschiebungen“4 .
Trotz der zuvor gelungenen Einordnung des deutschen Gedenkens in den globalen Kontext, stellt von Weizsäcker die Notwendigkeit heraus, dass zur Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit und dem 8. Mai als ein „Tag der Erinnerung [...] [und] des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte“5 jener Tag „unter uns [Gemeinschaft des Deutschen Volkes]“6 begangen werden muss.7 Die Deutschen werden somit als Einheit exponiert zum globalen Gedenken anlässlich des 8. Mai dargestellt.
Ausgehend von dieser Annahme erscheinen die folgenden Passagen8 richtungsgebend für den weiteren Redeverlauf und Weizsäckers erinnerungspolitischer Konzeption. Richard von Weizsäcker wiederholt ausgehend von der ersten Nennung auffällig häufig inkludierende Personalpronomen wie „Wir“9 im Kontext der Deutschen Nationalität sowie von Tätigkeiten und Notwendigkeiten der Versöhnung, des Vorgangs von Erinnern und der Friedensbildung. Neben dem emotional hochgradig aufgeladenen predigtähnlichen Sprachduktus der Rede, schafft die rhetorische Nutzung von inkludierenden Personalpronomen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Deutschen über die Trennung beider deutscher Staaten10, sowie über die internen Dispositionen der politischen Lager hinweg. Ferner unterstreicht Weizsäcker mit jenem sprachlichen Mittel die Multiperspektivität11, die er im Auftakt12 herausstellt.
Der Redner involviert sich selbst, wie zuvor Deutschland in den Kreis aller Völker, in den Kreis aller Deutschen und erscheint demnach selbst als ein Teil aller Deutschen. Hierbei wird von Weizsäckers Redeanteil einer weltlichen Beichte13 deutlich, indem dieser seine Biografie eines ehemaligen Soldaten der Wehrmacht indirekt in die Rede einfließen lässt und im späteren Redeverlauf sich „aus der Perspektive der ihre Verantwortung reflektierenden Tätergeneration“14 appellierend an die jungen Generationen zum aktiven Erinnern zu wenden. Seine Biografie leistet ihm in der Rede Authentizität, indem er stellvertretend für die deutsche Tätergeneration spricht.15 Besagter inkludierender Charakter Weizsäckers facettenreichem Sprachduktus wird, wie an weiteren Stellen der Reden zu erkennen, exemplarisch durch die Einbindung seiner heterogenen Zuhörerschaft verschiedener Generationen deutlich. Indem von Weizsäcker einen Überblick über die Vielfältigkeit der Erfahrungen verschafft, ruft dieser einerseits die Erinnerungen, Ängste und Freuden an die Begebenheiten des Zweiten Weltkrieges in den Zeitzeugen zurück in die Erinnerung. Für die jüngere Generation hingegen, die keine Erinnerungen und Erfahrung zu jener Zeit gemacht haben können, portraitiert von Weizsäcker die Vielfältigkeit der Emotionen und die Wichtigkeit der Bedeutung des Datums für die Deutschen mittels Skizzierung von Begebenheiten wie der Ostvertreibung16, Gefangenschaft deutscher Soldaten in Gulags sowie die prägende Atmosphäre der Orientierungslosigkeit und Ängste der Deutschen nach dem Krieg.17 Neben der angeführten Darstellung der Besonderheit der Ängste der Deutschen „[u]nser Schicksal lag in der Hand der Feinde“18 , synthetisiert von Weizsäcker mittels antithetischer Gegenüberstellung eine Gegenposition der deutschen Perspektive und somit einen Bruch: „Die Vergangenheit war furchtbar gewesen, zumal auch für viele dieser Feinde“19.
Dieser inszenierte perspektivische Bruch von Weizsäckers ist als Beispiel für seine
Auffassung von Erinnerungspolitik zu verstehen, indem „ohne Einseitigkeit“20 versucht wird die Wahrheit darzustellen. Des Weiteren stellt von Weizsäcker mit jenem Beispiel das gemeinsame Schicksal sowohl der Sieger als auch der Besiegten des Zweiten Weltkriegs dar und verhindert dadurch die Entstehung von Feindbildern.
2.3 Die Besonderheit des 8. Mai
Richard von Weizsäcker verdeutlicht die Besonderheit des 8. Mai mittels eines resümierenden Befundes, denn „was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“21. Besagte Erkenntnis ist sinnstiftend für Richard von Weizsäckers Rede als auch seiner erinnerungspolitischen Ansätze einer neuen Erinnerungspolitik, denn von Weizsäcker sieht den Erkenntnisgewinn als Prozess aus Entwicklungen.
Mit dieser Aussage erhebt sich von Weizsäcker nachhaltig vom Gedenkduktus und der Erinnerungspolitik22 der Nachkriegszeit bis zum 8. Mai 1985. Besagter Duktus ist beispielsweise bei der Rede vom 7. Mai 1965 des konservativen Altbundeskanzlers Ludwig Erhard zum 8. Mai 1965 zu erkennen. Erhard stellt in seiner Rede den Jahrestag des Kriegsendes nicht „als einen Gedenktag der Befreiung“23 dar, denn jener Tag sei nur ein Tag der Befreiung „wenn mit der Niederwerfung Hitler-Deutschlands Unrecht und Tyrannei aus der Welt getilgt worden“24 wäre. Denn so haben sich lediglich die Feindbilder in andere Lager, durchzogen von Doppelmoralen der Sieger, verschoben.25
Zwar wird der Duktus, dass der 8. Mai kein Tag der Befreiung sei, in den Reden des Altbundespräsident Walter Scheel zum 30. Jahrestag des Kriegsendes vom 6.5.1975 und in der Rede des Altbundeskanzlers Willy Brandt zum 8.5.197026 fortgeführt. Gleichzeitig wird aber auch die Ambivalenz des Tages zwischen Leid und sich ergebener Chance Deutschlands zum Neuanfang herausgestellt. Unteranderem verweist Brandt in seiner Rede appellierend auf die besondere kollektive Verantwortung der Deutschen27, speziell der jungen Generationen seinerzeit und in Zukunft, zum Erinnern, Gedenken und Aussöhnen, welches von Weizsäcker im Inhalt seiner Rede von 1970 sowie zum 8. Mai.1985 erneut aufgreift und weiterentwickelt. Richard von Weizsäcker macht darauf aufmerksam, dass trotz der „schweren Leiden [die] für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten“28, „die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit“29 nicht erst am 8. Mai 1945 ihren Anfang fanden. Vielmehr liegt der Ursprung des Leids in der Regierungszeit der Nationalsozialisten.30 Die Folgen und Nöte der Bevölkerung sind demnach nicht erst während des Krieges sowie dessen Ende zu verorten, sondern vielmehr im Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Form der Machtübernahme Hitlers und dem daraus resultierenden Beginn bzw. Ende des Zweiten Weltkrieges, denn „[w]ir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30 Januar 1933 trennen“31. Ferner nimmt von Weizsäcker mittels Litotes einen Rückbezug, wie am Ende seiner Rede mittels Appell an die Jugend32, zum Beginn seiner Rede und untermauert hierbei die notwendige exponierte Gedenklage Deutschlands: „Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen.“33 Der 8. Mai sei zwar demnach kein Tag zum Feiern, aber ein Tag der Erkenntnis, Erinnerung, Befreiung und des Neuanfangs. So schlussfolgert von Weizsäcker indirekt dass die Deutschen aber „allen Grund [haben], den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg“34. Der angedeutete „Deutsche Sonderweg“ findet im 8. Mai 1945 sein Ende, und die Demokratie kann somit nun ihren regulären Weg gehen.
2.4 Das Gedenken der Opfer
Anknüpfend an die Darstellung der Außergewöhnlichkeit und hochgradig eminenten Bedeutung des 8. Mai für die Welt und speziell für Deutschland, leitet von Weizsäcker das Opfergedenken ein. Richard von Weizsäcker widmet im zweiten Redeteil den Opfern des zweiten Weltkrieges, speziell allen Opfern der Folgen des Wirkens der Nationalsozialisten35, eine ausführliche Gedenkansprache. Jene Ansprache steht im Zeichen des Gedenkens und Erinnerns. Von Weizsäcker leitet die Gedenkansprache mit folgenden Worten ein: „Der 8.
Mai ist ein Tag der Erinnerung“36. Im Zusammenspiel wird deutlich was Richard von Weizsäcker in Betrachtung seiner erinnerungspolitischen Ansätze damit meint. Der 8. Mai als Tag der Erinnerung und Befreiung wird hierbei als ein Tag der Auseinandersetzung und als ein Datum des Neuanfangs aufgegriffen. Indem das Regime der Nationalsozialisten eine Gewaltherrschaft voller Lügen und Leid praktizierte, sollen die Deutschen nun aus voller Überzeugung und Aufrichtigkeit und ohne Beschönigung an ihre Vergangenheit erinnern und der Opfer gedenken.
Im Verlauf des Gedenkkatalogs werden durch die einleitenden Worte „Wir gedenken [...]“37 aller Toten des Weltkrieges durch nationalsozialistisches Wirken angedacht, im speziellen werden hierbei die ermordeten sechs Millionen Juden, die Bürger der Sowjetunion und Polens, Sinti und Roma, Homosexuelle, Geisteskranke, religiös und politisch anders Überzeugte, Geiseln, Opfer des Widerstandes besetzter Gebiete sowie Unbeugsame erwähnt. Zwar ist der ausführliche Gedenkkatalog der NS-und Kriegsopfer nicht ganz vollständig38, aber gerade aufgrund eines solchen nicht pauschalisierenden Katalogs bricht Weizsäcker das Muster des Erinnerns und Gedenkens seiner politischen Vorgänger, indem von Weizsäcker den Universalismus des Opfergedenkens mittels des speziell gesonderten Gedenkens von, teilweise gesellschaftlich unbewussten, Opfergruppierungen auflöst und diese in das Bewusstsein des öffentlichen Gedenkens der Gesellschaft ruft.39
Von Weizsäcker trauert nicht nur um die Opfer sondern ehrt gleichzeitig auch die freiwilligen Menschen die sich dem Widerstand gegen das NS-Regime angeschlossen haben. In jenem Gedenkkatalog wird des Weiteren auch den deutschen Opfern, in Form von Frauen, Zivilisten, Heimatvertriebenen, Soldaten als auch Widerstandskämpfern angedacht40 und demnach dem deutschen Leid ein Raum geboten.41
Interessant ist hierbei zudem die rhetorische Fügung zwischen beiden einleitenden Auftakten. Im einen Auftakt tritt die trauernde Gemeinschaft als Teil der Menschheit im Gedenken auf, wiederum treten im anderen die Trauernden als Deutsche auf. Der sprachliche Duktus des Opfergedenkens ähnelt einer Predigt, die sich ohne Unterscheidung jedweder Art an die Menschheit richtet,42 hierbei werden vielfältigsten Formen von Folgen wie Leid und Ängsten der Menschen, die durch den Krieg und den Faschismus über die Menschen gekommen sind exemplarisch dargestellt.
[...]
1 Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1985 in Bonn, Bundespräsidialamt (Hrsg.), www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2015/02/150202- RvW-Rede-8-Mai-1985.pdf?__blob=publicationFile (4.5.2017), S. 1.
2 Ebd., S. 1.
3 Ebd., S. 1.
4 Ebd., S. 1.
5 Ebd., S. 1.
6 Ebd., S. 1.
7 Vgl. ebd., S. 1.
8 Vgl. ebd., S. 1- 2
9 Ebd., S.1.
10 Vgl. Weizsäcker, Gedenkveranstaltung, S. 12.
11 Vgl. Dubiel, Helmut, Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München/Wien 1999, S. 212.
12 Vgl. Weizsäcker, Gedenkveranstaltung, S. 1-2.
13 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 211.
14 Vgl. ebd., S. 208-209.
15 Vgl. ebd., S. 209.
16 Vgl. Weizsäcker, Gedenkveranstaltung, S. 7-9.
17 Vgl. ebd., S. 1.
18 Ebd., S. 2.
19 Ebd., S. 2.
20 Ebd., S. 1.
21 Ebd., S. 2.
22 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 208-209.
23 Erhard, Ludwig, Ein fester Wille zur Versöhnung. Zum 20. Jahrestag des Kriegsendes - Deutschland steht heute nicht mehr im politischen Niemandsland, 11.5.1965, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 81, S. 641.
24 Ebd., S. 641.
25 Vgl. ebd., S. 641.
26 Brandt, Willy, Verpflichtung zum Frieden und Wahrung von Freiheit und Recht. Beitrag der Bundesregierung zur Förderung einer friedlichen und aktiven Koexistenz, 9.5.1970, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 63, S. 591-592.
27 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 208.
28 Weizsäcker, Gedenkveranstaltung, S. 2.
29 Ebd., S. 2.
30 Ebd., S. 2.
31 Ebd., S. 2.
32 Vgl. ebd., S. 12-14.
33 Ebd., S. 2.
34 Ebd., S. 2.
35 Vgl. ebd., S. 2.
36 Ebd., S. 2.
37 Ebd., S. 2-3.
38 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 211.
39 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 212-213.
40 Vgl. Weizsäcker, Gedenkveranstaltung , S. 3-4.
41 Vgl. Dubiel, Niemand ist frei, S. 212.
42 Vgl. Weizsäcker, Gedenkveranstaltung, S. 3.
- Quote paper
- Christoph Ziemes (Author), 2016, Richard von Weizsäcker. Eine Gedenkrede zum Erinnern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/438043
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