Wie unterscheiden sich organische und mechanische Solidarität? Was will Durkheim damit erklären?
Durkheim geht in seinem Werk „Über soziale Arbeitsteilung“ (De la division du travail social, 1893)der Frage nach, wie eine Masse von Individuen eine Gesellschaft bilden und einen Konsens für ihr Zusammenleben finden kann. Die Antwort findet er in der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit. In seiner Studie über die soziale Arbeitsteilung geht Durkheim von einer bestimmten Leitfrage aus. Er will herausfinden, wieso ein Individuum auf der einen Seite immer autonomer, aber auf der anderen Seite immer abhängiger von der Gesellschaft wird.
Was versteht Durkheim unter Anomie?
Durkheim hat sowohl im Bereich der Arbeitsteilung als auch in seiner Selbstmordstudie Indikatoren für anomische Zustände gefunden. In seinem Werk über die Arbeitsteilung sieht Durkheim den anomischen Zustand als eine Ausnahmeerscheinung an, die nur unter bestimmten Bedingungen auftritt, beziehungsweise wenn bestimmte Bedingungen nicht gegeben sind (vgl. Durkheim 1999, S. 421). Durkheim unterscheidet in seinem Werk über die Arbeitsteilung drei verschiedene Typen von Anomie.
1. Wie unterscheiden sich organische und mechanische Solidarität? Was will Durkheim damit erklären?
Durkheim will mit seinem Werk „Über soziale Arbeitsteilung“ (De la division du travail social, 1893) erklären beziehungsweise der Frage nachgehen, wie eine Masse von Individuen eine Gesellschaft bilden, daher einen Konsens für ihr Zusammenleben finden kann. Die Antwort findet Durkheim in der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit. In seiner Studie über die soziale Arbeitsteilung geht Durkheim von einer bestimmten Leitfrage aus. Er will herausfinden, wieso ein Individuum auf der einen Seite immer autonomer, aber auf der anderen Seite immer abhängiger von der Gesellschaft wird. Die Ursache liegt nach seinen Erkenntnissen in der Veränderung der sozialen Solidarität, deren Ursache wiederum ist eine vermehrte Arbeitsteilung. Spezialisierung und Arbeitsteilung machen eine Person demnach autonomer und zugleich solidarischer (vgl. Gephart 1993, S. 328-329 und S. 363-365). Die Hauptfunktion der Arbeitsteilung besteht in der Schaffung von sozialer Solidarität zwischen den Individuen. Die Arbeitsteilung konstituiert und garantiert also die Verbundenheit innerhalb einer Gesellschaft und bedingt dadurch deren Bestehen. (vgl. Durkheim 1977, S. 90-104; Korte 2011, S. 66-75)
Bei der Beschreibung der mechanischen und der organischen Solidarität verwendet Durkheim drei verschiedene Ebenen, die morphologische Ebene, die Ebene der Normen und die Ebene des Kollektivbewusstseins. Auf der morphologischen Ebene geht es darum, welche spezifische Gesellschaftsform der jeweiligen Solidarität entspricht. Die Ebene der Normen beinhaltet die zum Solidaritätstyp passenden Normen. Welche Art von Kollektivbewusstsein mit der solidarischen Bindung einhergeht, wird durch die Ebene des Kollektivbewusstseins determiniert. Mechanische und organische Solidarität unterscheiden sich jeweils in ihren Ausprägungen hinsichtlich dieser drei Bereiche (vgl. Durkheim 1977, S. 104-110; Korte 2011, S. 66-75).
Untersucht man die mechanische Solidarität aus morphologischer Perspektive, stellt man fest, dass es sich um eine segmentäre Gesellschaft handelt. Das bedeutet, dass diese Gesellschaft sich auseinander ähnelnden, gleichartigen Segmenten zusammensetzt. Ihre Mitglieder sind aufgrund ihrer Gleichartigkeit untereinander verbunden. Die Integration findet demnach aufgrund von Ähnlichkeiten statt. In der Vergangenheit finden wir solche Gesellschaften vor allem bei Horden und Clans. Die Zuordnung zu den einzelnen Segmenten wird aufgrund der Abstammung geregelt. Die Individuen bleiben auch meist an dem Ort, an dem sie geboren sind und weisen innerhalb ihrer Gruppe und untereinander ein starkes und direktes Zusammengehörigkeitsgefühl auf. Es handelt sich hierbei um eine niedrige (einfache) bzw. primitive Gesellschaftsform mit geringer Bevölkerungszahl, die besonders durch Ähnlichkeit ihrer Mitglieder gekennzeichnet ist. Durkheim beschreibt den Zusammenhang zwischen Gesellschaftstypus und Solidaritätsform wie folgt: „Wir können also sicher sein, dass die Homogenität umso größer ist, je weiter wir in der Geschichte zurückgehen. Andrerseits ist die Arbeitsteilung umso entwickelter, je höher die sozialen Typen sind.“ (Durkheim 1977, S. 178). Bei den Normen, die zur mechanischen Solidarität gehören, überwiegt das Strafrecht. Eine Tat ist dabei nur dann ein Verbrechen, wenn es die Kollektivgefühle der Gesellschaft verletzt. Durkheim drückt dies auf folgende Weise aus: „Die Kollektivgefühle, denen das Verbrechen entspricht, müssen sich also von den anderen durch eine unterschiedliche Eigenschaft herausheben: sie müssen eine bestimmte mittlere Intensität haben. Sie sind nicht nur im Bewusstsein aller gegenwärtig, sondern sie sind darin tief eingeprägt.“ (Durkheim 1977, S. 119). Die Bestrafung ist eine äußerst emotionale Handlung, bei der jegliche Rationalität ausgeschaltet ist. Zudem sind die Normen in einer segmentären Gesellschaft auch stark religiös geprägt. Die Ebene des Kollektivbewusstseins ist in segmentären Gesellschaften sehr stark entwickelt, während der Individualismus nur schwach vorhanden ist. Die kollektiven Gefühle sind dabei vor allem durch religiöse Aspekte geprägt. (vgl. Durkheim 1977, S. 111-151 und S. 174-187; Korte 2011, S. 66-75).
Die organische Solidarität findet man in arbeitsteiligen bzw. organisierten Gesellschaften, hier findet man auch eine verstärkte Arbeitsteilung an. Aus morphologischer Sicht besitzen die Individuen aufgrund ihrer Spezialisierung auf bestimmte Funktionen auch unterschiedliche Rollen. Dies führt zu einer Gesellschaft, in der die Mitglieder wechselseitig voneinander abhängiger sind. Der Zusammenschluss erfolgt demnach über die Art der Tätigkeit und nicht wie in der segmentären Gesellschaft über die Abstammung. Der Beruf wird immer wichtiger und bestimmt die Umwelt in der die Individuen leben. Bei der Ebene der Normen finden wir in arbeitsteiligen Gesellschaften eine eindeutige Dominanz des restitutiven Rechts vor. Ein weiteres Kennzeichen für die zunehmende Entwicklung einer Gesellschaft ist laut Durkheim die Trennung von Religion und Recht. Er drückt das wie folgt aus: „Nun ist aber die mehr oder weniger vollständige Trennung zwischen dem juristischen und religiösen Element das beste Zeichen, an dem man erkennen kann, ob eine Gesellschaft mehr oder weniger entwickelt ist als eine andere. Daher füllt hier das Strafrecht nicht mehr den ganzen Plan aus. Die Regeln, die durch Strafen sanktioniert werden, und die Regeln, die nur eine Wiedergutmachung kennen, sind diesmal genau voneinander unterschieden. Das Restitutionsrecht hat sich vom Repressivrecht gelöst, das es zuerst absorbiert hatte.“ (Durkheim 1977, S. 183)
Aufgrund des Übergewichts des restitutiven Rechts, werden Verbrechen nun mit Forderungen nach Wiedergutmachung geahndet, und nicht mehr als Rachereaktion auf die Verletzung des Kollektivbewusstseins gesehen. Auf der Ebene des Kollektivbewusstseins kann man erkennen, dass das Kollektivbewusstsein selber abgenommen und die Individualität gleichzeitig zugenommen hat. Darüber hinaus hat auch die Religion an Bedeutung für das Zusammenleben der Individuen verloren. (vgl. Durkheim 1977, S. 152-187; Korte 2011, S. 66-75; Morel 1999, S. 13-20).
Durkheim kommt durch die Beobachtung von Recht, Verbrechen, Kollektivgefühlen, Solidaritätsformen und anderen Charakteristika mechanischer und organischer Solidarität zu dem Ergebnis, dass die arbeitsteilige Gesellschaft im Laufe der Zeit immer mehr die segmentäre Gesellschaft ablöst. Er bezeichnet dies als fortschreitendes Übergewicht der organischen Solidarität. Das Übergewicht einer Solidaritätsform hängt dabei davon ab, wie das Verhältnis zwischen Kollektivbewusstsein und Individualität aussieht und welche Intensität und Deutlichkeit die Kollektivgefühle besitzen. Da in arbeitsteiligen Gesellschaften im Gegensatz zu segmentären Gesellschaften die Regeln allgemein und abstrakt sind, sind die gemeinsam geteilten Gefühle auch weniger intensiv und deutlich, weshalb die mechanische Solidarität durch eine neue Solidarität abgelöst werden muss. (vgl. Durkheim 1977, S. 187-239; Korte 2011, S. 66-75; Morel 1999, S. 13-20).
2. Was versteht Durkheim unter Anomie? Erläutern Sie ein Beispiel aus der Gegenwart.
Durkheim hat sowohl im Bereich der Arbeitsteilung als auch in seiner Selbstmordstudie Indikatoren für anomische Zustände gefunden. In seinem Werk über die Arbeitsteilung sieht Durkheim den anomischen Zustand als eine Ausnahmeerscheinung an, die nur unter bestimmten Bedingungen auftritt, beziehungsweise wenn bestimmte Bedingungen nicht gegeben sind (vgl. Durkheim 1999, S. 421). Durkheim unterscheidet in seinem Werk über die Arbeitsteilung drei verschiedene Typen von Anomie.
Die anomische Arbeitsteilung (1), entsteht, wenn sich bei der Entwicklung zur funktional differenzierten Gesellschaft die entstandenen Organe und Funktionen so schnell entwickelt haben, dass sich noch keine Regeln der Kooperation bilden konnten und damit auch die Erhaltung der Solidarität erschwert wurde (vgl. Käsler 1999, S. 159). Man kann sagen, anomische Arbeitsteilung entsteht, wenn die einzelnen Funktionen sich durch einen zu raschen gesellschaftlichen Wandel und dem Fehlen einer entsprechenden Reglementierung nicht ihrer ständigen Abhängigkeit voneinander bewusst sind. Bei der erzwungenen Arbeitsteilung (2) wird das Zusammenwirken der Funktionen zwar geregelt, jedoch ist diese Regelung ungerecht, da die Arbeiter eine Funktion ausüben müssen, die nicht ihren Fähigkeiten entspricht. Bestimmte höhere Positionen sind für die Arbeiter gar nicht zugänglich. Da aber nicht jeder Arbeiter mit seinen Fähigkeiten als solcher geeignet ist, fühlt er sich in seiner speziellen Tätigkeit über- oder unterfordert (vgl. Durkheim 1999, S. 444-445). Es soll eine freie Entfaltung der Arbeitsteilung möglich sein, sodass die Individuen den Platz innerhalb der sozialen Ordnung einnehmen können, der ihren Fähigkeiten entspricht. (vgl. Durkheim 1999, S. 446). In der falsch koordinierten Arbeitsteilung (3) kommt keine Solidarität zustande, weil die funktionale Tätigkeit des Arbeiters nicht ausreicht, das heißt, er ist unterbeschäftigt (vgl. Durkheim 1999, S. 459). In einer arbeitsteiligen Gesellschaft herrscht eine große Abhängigkeit vor, das bedeutet, dass ein Arbeiter in seiner speziellen Funktion auf die benachbarten Funktionäre angewiesen ist. Es kommt bei den Funktionen zu wechselseitigen Rückwirkungen der einen Funktion auf die andere.
Der Selbstmord gilt bei Durkheim als Indikator für Anomie. Während in Emile Durkheims Werk der sozialen Arbeitsteilung die pathologischen Zustände nur ein Teil des Werkes waren, widmete er ihnen in der Studie über den Selbstmord ein ganzes Buch. Durkheim sah den Selbstmord als ein allgemeines Phänomenen an. Er stellte fest, dass in bestimmten Gesellschaften mehr Menschen Selbstmord begingen als in anderen und versuchte dies auf gesellschaftliche Faktoren zurückzuführen (vgl. Joas 2001, S. 40-41). In seiner Studie „Le suicide“ definierte Durkheim den Selbstmord als „jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im Voraus kannte“( Durkheim 1983, S. 27).
Durkheim fand heraus, dass jede Gesellschaft eine ihr eigene Selbstmordrate hatte, die über eine bestimmte Zeit hinweg beinahe konstant war und dass zum Beispiel die Sterblichkeitsrate viel deutlicheren Schwankungen ausgesetzt war. Über einen längeren Zeitraum gesehen verändert sich zwar auch die Selbstmordrate einer Gesellschaft, allerdings geschieht das meist in plötzlichen Schüben, die dann für eine bestimmte Dauer wieder konstant bleiben (vgl. Durkheim 1983, S. 30-32). Durkheim untersuchte die Abhängigkeit der Selbstmordrate von außergesellschaftlichen Faktoren, wie zum Beispiel Geistesverfassung, Erblichkeit, Rasse oder Klima und kam zu dem Ergebnis, dass keine Abhängigkeit besteht, er schlussfolgerte, dass die Selbstmordrate nur soziale Ursachen haben kann (vgl. Durkheim 1983, S. 153). Anhand von statistischem Datenmaterial versuchte Durkheim verschiedene Selbstmordtypen nach ihren unterschiedlichen sozialen Ursachen zu klassifizieren und kam dabei auf vier Selbstmordtypen. Für den egoistischen Selbstmord (1) untersuchte Emile Durkheim zunächst die verschiedenen sozialen Milieus und deren Wirkung auf die Selbstmordrate. Relevant dafür waren die Religionszugehörigkeit, der Familienstand und die familiäre Lage sowie der Einfluss der politischen Gesellschaft. Anhand dieser Untersuchungen fand Durkheim heraus, dass der Mensch umso eher zum Selbstmord neigt, je niedriger der Grad seiner Integration in einer dieser sozialen Gruppen ist (vgl. Durkheim 1983, S. 232). Zum Beispiel belegte Durkheims Studie eine höhere Selbstmordanfälligkeit der Protestanten gegenüber den Katholiken und Juden, was auf die geringere Integration in die religiöse Gemeinschaft zurückgeführt wurde (vgl. Durkheim 1983, S. 171). Das Kollektivbewusstsein, das aus miteinander geteilten gemeinsamen Überzeugungen besteht, wird schwächer und verringert auch den Grad der Integration in die Gruppe (vgl. Durkheim 1983, S. 169-170). Die Selbstmordanfälligkeit der Protestanten steht für den egoistischen Selbstmord, der in modernen, aufgeklärten Gesellschaften vorkommt. Juden sind zwar noch gebildeter als Protestanten, doch sie suchen Bildung um sich als Minderheit besser wehren zu können und nicht um „kollektive Vorurteile durch reflektierte Ansichten zu ersetzen“ (Durkheim 1983, S. 181). Wenn der Mensch nicht genügend in eine soziale Gruppe integriert ist, entfremdet er sich von seiner Gemeinschaft und nimmt seine Verantwortung, die er für die anderen Mitglieder hat, nicht mehr wahr. Da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist und die Gruppe zum Leben braucht, verliert sein Leben durch die Entfremdung seinen Wert. Der soziale Teil in ihm kann nicht mehr befriedigt werden, das Selbstmordrisiko steigt folglich an. Durch die fehlende Solidarität zu den anderen Mitgliedern fürchtet er nicht mehr, durch einen Selbstmord deren Interessen zu verletzen. Der Selbstmord wird für ihn legitim (vgl. Durkheim 1983, S. 231-234). Im Gegensatz zum egoistischen Selbstmord ist beim altruistischen Selbstmord (2) gerade die zu gering ausgeprägte Individualität die Ursache. Dieser Selbstmordtyp kommt laut Durkheim in primitiven, segmentären Gesellschaften vor, in denen das Kollektivbewusstsein noch sehr stark ausgeprägt und der Einzelne extrem unter die Autorität der Gesellschaft gestellt ist (vgl. Durkheim 1983, S. 246-247). Während sich die Menschen beim egoistischen Selbstmord das Recht nehmen, sich umzubringen, ist es beim altruistischen Selbstmord deren Pflicht. Derjenige, der bereit ist, sein Leben für die Gruppe zu opfern, wird anerkannt, während demjenigen Verachtung und religiöse Bestrafung droht, der diesen Pflichten nicht nachkommt (vgl. Durkheim 1983, S. 244- 245). Der anomische Selbstmordtyp (3) entsteht, wenn sich in einer Gesellschaft ein rascher Wandel vollzieht. Dies kann sowohl in Form von Wirtschaftskrisen als auch als plötzlicher Aufschwung geschehen. Da der Mensch ein Wesen mit uneingeschränkten Bedürfnissen ist, müssen diese für das Funktionieren einer Gesellschaft von einer außenstehenden Autorität begrenzt werden, damit der Mensch nicht in ewiger Unzufriedenheit lebt (vgl. König 1971, S. 132). Durkheim sah als Autorität dafür die Gesellschaft vor, sie soll dafür sorgen, dass jeder Funktion eine Grenze ihrer Lebensführung zugewiesen wird, welche bei Überschreitung zur gesellschaftlichen Verachtung führt. Gibt jemand zum Beispiel in den Augen seiner Mitmenschen zu viel Geld für überflüssige Dinge aus, wird er gesellschaftlich nicht geachtet und hat diese Grenze überschritten. Diese Begrenzung hat den Sinn, dass die Menschen sich mit ihrer Position abfinden und nicht ständig nach etwas streben, was sie nicht erreichen können. Sie haben durch die Autorität der Gesellschaft eine Orientierung, womit sie zufrieden sein können und welche Wünsche außerhalb ihrer Reichweite liegen und somit gar nicht erst angestrebt werden brauchen. Wenn sie doch solche Wünsche hegen und diese dann nicht erreichen sollten, bringt sie das nicht zur Verzweiflung, da diese ja sowieso außerhalb ihrer Grenzen lagen (vgl. Durkheim 1983, S. 281-284). Dieses moralische Beschränkungssystem kommt bei einem plötzlichen Wandel der finanziellen Lage aus dem Gleichgewicht. Die Lebensbedingungen verändern sich für den Menschen so schnell, dass er sich nicht sofort daran gewöhnen kann. Wenn eine Wirtschaftskrise plötzlich dazu führt, dass der Mensch mit einem geringeren Lebensstandard auskommen muss, als er bis dahin gewohnt war, so kann er nicht sofort das moralische Bewusstsein entwickeln, sich damit zufrieden zu geben und die Veränderungen hinzunehmen. Der Mensch wird somit unzufrieden und sein Leben wird ihm unerträglich (vgl. Durkheim 1983, S. 287-288). Im Falle eines raschen wirtschaftlichen Aufschwungs gerät die gesellschaftliche Hierarchie ebenfalls in Unordnung. Aufgrund des plötzlichen, ungewohnten Wohlstandes verlieren die Menschen den Überblick darüber, welche ihrer Bedürfnisse noch angemessen sind und welche die Grenzen überschreiten. Da es keine Orientierung mehr gibt, wird auf alles Anspruch erhoben, was letztendlich zu der oben beschriebenen Unzufriedenheit führt, da man immer noch neue Wünsche hat, wenn die alten erst einmal erfüllt worden sind und man sich nicht mehr an den erreichten Zielen freuen kann. Die Gesellschaft befindet sich damit in völliger Anomie, da ihre aufgestellten moralischen Normen keine Gültigkeit mehr haben und das Leben wird für ihre Mitglieder wertlos (vgl. Durkheim 1983, S. 288-289). Im Unterschied zum egoistischen und zum altruistischen Selbstmord ist beim anomischen Selbstmord nicht die Art der Integration des Individuums in die Gesellschaft die Ursache, sondern die Art und Weise wie der Mensch von der Gesellschaft reguliert und gemäßigt wird (vgl. Durkheim 1983, S. 296). Der fatalistische Selbstmord (4) von Durkheim entsteht aus einem „Übermaß von Reglementierung“ (Durkheim 1983, S. 318). Die betroffenen Personen sind durch bestimmte Normen entweder in ihren Trieben oder in ihrer Freiheit derart eingeschränkt, dass es für sie eine Auswegs lose Situation wird. Als Beispiel bringt Durkheim die Selbstmorde von Sklaven an, aber auch junge Ehemänner, die durch die von der gesellschaftlichen Norm der Monogamie in ihren Trieben begrenzt werden, begehen fatalistischen Selbstmord (vgl. Durkheim 1983, S. 318)
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- Quote paper
- Natascha Zeilinger (Author), 2016, Literaturarbeit Emile Durkheim. Solidarismus und gesellschaftliche Arbeitsteilung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436915
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