Am 23. Juni 2016 fiel in Großbritannien die Entscheidung, dass das Vereinigte Königreich aus der EU austreten wird. Schon im Vorfeld gerieten immer wieder zwei unterschiedliche Lager aneinander. Viele Aktivisten sahen dem Brexit freudig entgegen. Doch ebenso viele Experten sagten einen Einbruch des britischen Außenhandels für die Zeit danach voraus.
Doch auf welche Auswirkungen müssen wir uns tatsächlich einstellen? Kann man überhaupt voraussagen, was der Brexit für die EU und Großbritannien bedeuten wird? Tamara Runow erklärt in ihrer Publikation, wie es nach dem Brexit weitergeht.
Dafür untersucht sie die aktuellen Handelsbeziehungen Großbritanniens und setzt sich mit verschiedenen Theorien zum Außenhandel auseinander. Sie entwickelt mehrere Szenarien für die Zeit nach dem Brexit und zeigt, was diese für die europäische sowie für die britische Wirtschaft bedeuten. Runow erklärt sachlich, auf welche Folgen sich beide Parteien einstellen müssen.
Aus dem Inhalt:
- Europäische Union;
- Großbritannien;
- Wirtschaft;
- Außenhandel;
- Politik
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Bedeutung und Erklärung von Außenhandel
2.1 Ursachen von Handel
2.2 Vorteile von (Frei-)Handel
2.3 Handelshemmnisse
2.4 Wirtschaftliche Integration
2.5 Zusammenfassung
3 Auswirkungen des Brexit auf den Außenhandel des Vereinigten Königreichs
3.1 Status quo des Außenhandels des Vereinigten Königreichs
3.2 Verlust des Binnenmarktzugangs
3.3 Vertretung durch die EU in der Außenhandelspolitik
3.4 Mögliche Reaktionen des Vereinigten Königreichs
3.5 Zusammenfassung
4 Hauptszenarien zum künftigen Verhältnis zwischen UK und EU
4.1 Norwegen-Modell
4.2 Schweiz-Modell
4.3 WTO-Modell
4.4 Quantifizierung der Szenarien in Studien
4.5 Zusammenfassung
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
Anhang 4
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Einflusskanäle der Mitgliedschaft in der EU
Abbildung 2 Produktionsmöglichkeitenkurven der USA und Kolumbiens
Abbildung 3 Externe Skalenerträge und Außenhandel
Abbildung 4 Mögliche Benachteiligungen durch externe Skaleneffekte
Abbildung 5 Konsumenten-und Produzentenrente bei Autarkie
Abbildung 6 Herleitung des Weltmarktgleichgewichts aus Importnachfrage
Abbildung 7 Einfluss eines Zolls auf die Preise
Abbildung 8 Wohlfahrtseffekte eines Importzolls in einem kleinen Land
Abbildung 9 Importquoten bei Zwischenprodukten
Abbildung 10 Stufen der wirtschaftlichen Integration
Abbildung 11 Anteil der EU an den Ein- und Ausfuhren des UK 2016
Abbildung 12 Handelspartner des UK nach Volumen (in Mrd. USD)
Abbildung 13 Entwicklung der Empfänger der Exporte von Waren
Abbildung 14 Anteil der Ausfuhren in die EU an den Ausfuhren insgesamt 2016
Abbildung 15 Meistbegünstigungszollsätze der EU nach Produktkategorie
Abbildung 16 Entwicklung des Handels mit China 1999-2016 (in Mrd. GBP)
Abbildung 17 Anteil der Exporte innerhalb regionaler Freihandelszonen
Abbildung 18 Anteil der Importe aus der EU an den Importen gesamt 2016
Abbildung 19 Zeitaufwand für die wichtigsten bilateralen Abkommen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Produktion und Konsum in Autarkie
Tabelle 2 Produktion und Konsum nach Aufnahme von Handel
Tabelle 3 Veränderung der Wohlfahrt durch
Tabelle 4 Top 5 Exportgüter des UK mit Zöllen
Tabelle 5 Änderung des Außenhandelsvolumens in Prozent bis 2030
Tabelle 6 Langfristige Auswirkungen des Brexit auf den britischen Außenhandel
Tabelle 7 Veränderung der britischen Exporte in EU27-Länder in Prozent
1 Einleitung
„Ein Brexit kann zu erheblichen regionalen und weltweiten Schäden führen, indem er traditionelle Handelsbeziehungen unterbricht.“[1] Dieses Zitat von Maurice Obstfeld, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, vom April 2016 impliziert zum einen eine gewisse Abhängigkeit des Wohlstandes des Vereinigten Königreichs von seinen Handelsbeziehungen, zum anderen aber auch eine bedeutende Rolle der Europäischen Union in der Förderung dieser Handelsbeziehungen. Nichtsdestotrotz fällte das Vereinigte Königreich zwei Monate nach Obstfelds Aussage, am 23. Juni 2016, in einem Referendum die Entscheidung, aus der EU auszutreten. Für diesen Austritt hat sich in der öffentlichen Diskussion irreführender Weise der Begriff Brexit (kurz für British Exit) etabliert, der schlussfolgern lässt, dass es sich um einen Austritt Großbritanniens aus der EU handelt. Es steht jedoch lediglich der Austritt des Vereinigten Königreichs, d.h. Englands, Schottlands, Wales‘ und Nordirlands zur Debatte, nicht jedoch des zu den britischen Inseln gehörenden Irlands.[2] In dieser Arbeit werden dennoch die Bezeichnungen Vereinigtes Königreich und Großbritannien bzw. britisch der Einfachheit halber synonym verwendet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Einflusskanäle der Mitgliedschaft in der EU
Eigene Darstellung in Anlehnung an HM Government 2016b, S. 27.
Der in Obstfelds Zitat genannte Handel ist einer der in Abbildung 1 dargestellten fünf Kanäle, über die sich die EU-Mitgliedschaft auf die beigetretenen Länder auswirkt. Im Vorfeld des Referendums haben neben Obstfeld noch viele weitere Wirtschaftswissenschaftler die weitreichenden negativen Folgen für den britischen Handel angeprangert, die ein Brexit mit sich bringen würde[3], während hingegen die Brexit-Befürworter die Ansicht vertraten, dass es dem britischen Außenhandel auch ohne EU-Mitgliedschaft nicht schlechter, sondern gar besser gehen würde.[4] Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es deshalb, in Anbetracht dieser divergierenden Meinungen, realistische Auswirkungen auf den britischen Außenhandel herauszuarbeiten, mit denen das UK im Zuge des Brexit möglicherweise zu rechnen haben wird.
Die vorliegende Arbeit untergliedert sich dementsprechend in drei Hauptkapitel. Das zweite Kapitel führt an den eigentlichen Untersuchungsgegenstand heran und verschafft einen Überblick über die Außenhandelstheorie. Es wird auf die Ursachen von grenzüberschreitendem Handel eingegangen und gezeigt, welche Vorteile Handel für die teilnehmenden Länder mit sich bringt. Zudem wird dargelegt, unter welchen Umständen Länder dazu geneigt sein können, Handelshemmnisse einzuführen, welche Ausprägungen diese annehmen können, welche Konsequenzen sie verursachen und welche Formen der wirtschaftlichen Integration es gibt, um Handelshemmnisse zu reduzieren.
Kapitel drei untersucht die aktuellen Handelsbeziehungen zwischen dem UK und der EU, und zeigt, inwiefern das Vereinigte Königreich von der europäischen Integration profitiert hat. Des Weiteren werden die möglichen Auswirkungen auf den Außenhandel des Vereinigten Königreichs dargelegt, die ein Verlust des Binnenmarktzugangs mit sich bringen würde. Diese beziehen sich vor allem auf die Entstehung tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Abschließend werden der Verlust sämtlicher Handelsabkommen für das UK näher betrachtet, sowie der einseitige Freihandel und der Abschluss neuer Freihandelsabkommen durch das UK als mögliche Reaktionen hierauf kritisch analysiert.
Das vierte Kapitel führt die in den Mainstream-Studien vor dem Brexit am häufigsten genannten Szenarien zum künftigen Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU auf. Dabei handelt es sich um die sogenannten Norwegen-, Schweiz- und WTO-Modelle. Bei der Betrachtung jedes Szenarios wird auf das institutionelle Verhältnis zur EU, die Auswirkungen auf den Außenhandel des UK und seine Eignung für das Vereinigte Königreich eingegangen. Anschließend folgen die Ergebnisse verschiedener Studien, die versucht haben, die Auswirkungen des Brexit zu quantifizieren. Abschließend folgt das Fazit mit einem Ausblick für die Zukunft.
2 Bedeutung und Erklärung von Außenhandel
Bevor die Auswirkungen des Brexit auf den Außenhandel untersucht werden, wird zunächst dargelegt, warum es für ein Land überhaupt Sinn macht, seine Grenzen für Handel mit dem Ausland zu öffnen. Anhand von Modellen und Begriffen der Außenhandelstheorie wird so ein Verständnis für die Vorteilhaftigkeit von Handel und Handelsliberalisierung geschaffen.
2.1 Ursachen von Handel
„Im [W]esentlichen gibt es zwei Gründe, warum Länder sich spezialisieren und Außenhandel betreiben:
1. Länder unterscheiden sich […]
2. Economies of scale (oder steigende Skalenerträge) machen es für jedes Land vorteilhaft, sich in der Produktion nur auf eine beschränkte Zahl von Gütern und Diensten zu spezialisieren.“[5]
Diesem Zitat aus dem Werk zur Außenwirtschaft von Breuss (2003) folgend, werden im Folgenden komparative Vorteile, die sich aus der Verschiedenartigkeit von Ländern ergeben, und Skaleneffekte durch Massenproduktion als Ursachen für grenzüberschreitenden Handel erläutert. Ergänzend wird auch das gerade für die europäische Integration grundlegende Gravitationsmodell vorgestellt.
2.1.1 Der komparative Vorteil
Die Theorie des komparativen Vorteils wurde durch den englischen Ökonom David Ricardo (1778-1823) begründet.[6] Dieser wies 1817 nach, dass Produktivitätsunterschiede zwischen Ländern dafür sorgen, dass alle teilnehmenden Länder vom Außenhandel profitieren, wenn sie sich auf die Herstellung des Gutes spezialisieren, bei welchem sie über einen komparativen Vorteil verfügen.[7] Zur Veranschaulichung des Prinzips des komparativen Vorteils wird im Folgenden auf ein einfaches Zahlenbeispiel von Krugman und Wells zurückgegriffen. Gegeben sind die beiden Länder USA und Kolumbien, die beide Rosen für den Valentinstag (in Schachteln à 100 Stück) und Computer herstellen. Abbildung 2 zeigt die Produktionsmöglichkeitenkurven, auch Transformationskurven genannt, für beide Güter und beide Länder. Wenn in den USA keine Rosen gepflanzt werden und die gesamten Ressourcen für die Produktion von Computern verwendet werden, können 2000 Computer produziert werden. Werden keine Computer hergestellt, können insgesamt 1000 Rosenschachteln produziert werden. Es sind weiterhin Produktionskombinationen entlang der Produktionsmöglichkeitenkurve möglich. Stellt Kolumbien keine Computer her, können dagegen 2000 Schachteln Rosen produziert werden. Wird ganz auf die Produktion von Rosen verzichtet, können jedoch nur 1000 Computer produziert werden.[8]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Produktionsmöglichkeitenkurven der USA und Kolumbiens
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman und Wells 2010, S. 532.
Die Menge an hergestellten Computern, auf die ein Land verzichten muss, um eine Rose zu produzieren, wird als Opportunitätskosten bezeichnet. Zum Valentinstag herrschen in Kolumbien beste Witterungsbedingungen für den Anbau von Rosen, es ist für Kolumbien entsprechend leichter, Rosen zu produzieren, als für die USA. Bei Computern produziert Kolumbien jedoch weniger effizient als die USA, da es über weniger qualifizierte Arbeitskräfte verfügt. Die Opportunitätskosten für die Produktion einer Rose, ausgedrückt in Computern, sind in Kolumbien entsprechend niedriger als in den USA. Die Opportunitätskosten für die Produktion einer Schachtel Rosen in den USA belaufen sich – ausgedrückt in Computern – auf 2, d.h. für jede zusätzlich produzierte Schachtel Rosen wird auf die Herstellung von zwei Computern verzichtet. Daraus ergibt sich eine Steigung von -2 der amerikanischen Transformationskurve. Kolumbien muss für jede zusätzlich produzierte Rosenschachtel nur auf die Produktion von 0,5 Computern verzichten, d.h. die Rosenproduktion ist für Kolumbien, relativ gesehen, billiger. Folglich hat Kolumbien einen komparativen Vorteil bei der Produktion von Rosen, die USA hingegen haben einen komparativen Vorteil bei der Herstellung von Computern. Es wird davon ausgegangen, dass in Autarkie, d.h. in einer Situation ohne Handel, in den USA 1000 Computer und 500 Schachteln Rosen (Punkt KUS in Abbildung 2) und in Kolumbien 500 Computer und 1000 Rosen (Punkt KK) für den eigenen Konsum hergestellt werden. Dies kann auch aus Tabelle 1 abgelesen werden. Die Weltproduktion, d.h. USA und Kolumbien zusammengenommen, beträgt in Autarkie 1500 Schachteln Rosen und 1500 Computer.[9]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 Produktion und Konsum in Autarkie
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman und Wells 2010, S. 533.
Spezialisiert sich nun jedes Land auf die Produktion des Gutes, bei dessen Herstellung es über einen komparativen Vorteil verfügt und produziert nur noch dieses Gut, können insgesamt 2000 Schachteln Rosen und 2000 Computer hergestellt werden.[10]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 Produktion und Konsum nach Aufnahme von Handel
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman und Wells 2010, S. 534.
Tabelle 2 zeigt die Situation, in der beide Länder Handelsbeziehungen aufnehmen. Von Zöllen und anderen Handelshemmnissen, die in Kapitel 2.3 erläutert werden, wird aktuell abgesehen, d.h. es herrscht Freihandel. Die USA exportieren die Menge an Computern nach Kolumbien, die sie für den eigenen Konsum nicht benötigen, und importieren im Gegenzug in Kolumbien hergestellte Rosen für den eigenen Verbrauch. Kolumbien hingegen exportiert seine überschüssigen Rosen in die USA und importiert Computer für den eigenen Konsum aus selbigem Land.[11]
Das Ergebnis ist, dass bei Spezialisierung und Aufnahme von Handel jedes Land von beiden Gütern mehr konsumieren kann als in Autarkie. Ursache für den komparativen Vorteil nach Ricardo sind verschiedene Produktivitäten beim Faktor Arbeit, bedingt durch das Klima oder technologische Unterschiede bei ansonsten gleicher Faktorausstattung.[12] In der Realität sind die Faktorausstattungen zweier Länder zwar selten identisch, und es bestehen beispielsweise Unterschiede in der Ausstattung an Arbeit, Boden oder Kapital. Die schwedischen Ökonomen Eli Heckscher und Bertil Ohlin wiesen im frühen 20. Jahrhundert jedoch im sogenannten Heckscher-Ohlin-Modell nach, dass auch bei unterschiedlicher Faktorausstattung Außenhandel für alle beteiligten Länder vorteilhaft ist, wenn sich jedes Land auf die Produktion des Gutes spezialisiert, bei dessen Herstellung der Anteil des relativ reichlich vorhandenen Faktors möglichst hoch ist.[13]
Das dargestellte Modell des komparativen Vorteils ist ein vereinfachtes Handelsmodell, das zur Veranschaulichung u.a. von vollständiger Konkurrenz, Vollbeschäftigung und fehlenden Transportkosten ausgeht.[14] Dennoch liefert es einen guten Ansatz zur Erklärung des Inter-Industrie-Handels, bei dem Länder verschiedene Güter aus unterschiedlichen Sektoren miteinander handeln. Es eignet sich folglich vor allem zur Erklärung des Handels zwischen Industrieländern, bspw. EU-Mitgliedern, und Entwicklungsländern (auch bekannt als Nord-Süd-Handel), bei denen die Unterschiede in Produktivität oder Faktorausstattung groß genug sind, um für beide Seiten wohlfahrtsfördernden Handel zu ermöglichen.[15]
2.1.2 Skaleneffekte
Eine weitere Annahme aus dem Modell des komparativen Vorteils sind konstante Skalenerträge, d.h. dass sich bei einer Verdoppelung des Ressourceneinsatzes auch die Outputmenge verdoppelt. Tatsächlich ist jedoch in vielen Branchen zu beobachten, dass die Outputmenge bei einer Erhöhung des Ressourceneinsatzes überproportional zunimmt, d.h. die Skalenerträge steigen. Grund hierfür sind mit steigender Produktionsmenge sinkende Durchschnittskosten, die Unternehmen dazu anreizen, möglichst viel zu produzieren.[16] Dies führt zu Breuss‘ zweitem Hauptgrund für Handel, den Kostenvorteilen durch Massenproduktion. Im Gegensatz zur traditionellen bzw. statischen Außenhandelstheorie von Ricardo und Heckscher-Ohlin, spricht man bei Einbezug von Skaleneffekten von der neuen bzw. dynamischen Außenhandelstheorie.[17] Diese wurde Ende der 1970er Jahre von Nobelpreisträger Paul Krugman geprägt.[18]
2.1.2.1 Externe Skaleneffekte
Die steigenden Größenvorteile dieser neuen Außenhandelstheorie können sowohl auf Ebene der gesamten Branche (externe Skaleneffekte), als auch auf Ebene des einzelnen Unternehmens (interne Skaleneffekte) auftreten.[19] Unter externen Skalenerträgen wird die Zunahme der Produktivität eines Anbieters mit steigender Industrieproduktion verstanden, d.h. mit zunehmender Größe einer Branche können die einzelnen Unternehmen effizienter produzieren. Dies ist vor allem Agglomerationseffekten zu verdanken, die entstehen, wenn sich mehrere Anbieter der gleichen Branche an einem Ort konzentrieren. Agglomerationseffekte können das Angebot an einschlägig qualifizierten Arbeitskräften oder die Nähe zu und größere Auswahl an Zulieferern sein.[20] Auch die Verbreitung von Fachkenntnissen und Ergebnissen aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zwischen den Unternehmen desselben Sektors, der sogenannte Spill-Over-Effekt, zählt zu den klassischen Lokalisierungseffekten.[21] Neben dem Silicon Valley in Kalifornien ist der Finanzdienstleistungssektor in London ein beliebtes Beispiel für diese Art von Cluster.[22] Externe Skaleneffekte, ausgehend von der Deregulierung in den 1980er Jahren, haben dazu geführt, dass sich Banken und andere Finanzdienstleister in London konzentrierten und heute von dort aus Finanzdienstleistungen in das übrige Europa exportiert werden.[23]
Zur Veranschaulichung der Auswirkungen externer Skaleneffekte wird ein Beispiel über die Sockenproduktion in Großbritannien und China betrachtet. Grundannahmen sind vollständige Konkurrenz und die Nullgewinnbedingung, d.h. die Durchschnittskosten entsprechen den Preisen. Wird von einer Situation ohne Außenhandel ausgegangen, in der die Länder Großbritannien und China Socken herstellen, so ist in der Gleichgewichtssituation der Preis für Socken in China niedriger als in Großbritannien.[24] Denn in China befindet sich in der Stadt Datang in der Provinz Zhejiang ein Industriecluster für die Sockenproduktion, wo über 8000 Fabriken jährlich ca. acht Milliarden Socken herstellen.[25] Durch Agglomerationseffekte ist die Produktion in China weitaus günstiger als in Großbritannien. Beide Länder verfügen zudem über abfallende Angebotskurven bei der Sockenherstellung, die die Tatsache widerspiegeln, dass bei steigender Produktionsmenge die Durchschnittskosten durch Skaleneffekte sinken und die Hersteller deshalb zu niedrigeren Preisen zu verkaufen bereit sind.[26] Öffnen sich die Länder nun für Handel, wird die Sockenindustrie des günstigeren Anbieters China wachsen und diejenige im teureren Großbritannien schrumpfen. Wie Abbildung 3 zeigt, sinken durch die zunehmende Herstellungsmenge in China die Produktionskosten nochmals ab. Dieser Prozess setzt sich so lange fort, bis die Durchschnittskosten und der Sockenpreis von P1 auf das niedrigere Niveau P2 gesunken sind und China der einzige Hersteller von Socken ist. China deckt dann nicht mehr nur die chinesische Nachfrage NCN, sondern die gesamte Weltnachfrage NWelt nach Socken. Die Sockenproduktion in Großbritannien jedoch wird gänzlich eingestellt.[27] Dennoch profitieren beide Volkswirtschaften vom Handel, da durch die sinkenden Durchschnittskosten durch Massenproduktion der Weltpreis für das Produkt günstiger ist, als wenn jedes Land selbst produzieren würde.[28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Externe Skalenerträge und Außenhandel
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman et al. 2015, S. 217.
Externe Skaleneffekte können den Weltmarkt jedoch auch verzerren. Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, können sich externe Skaleneffekte beispielsweise negativ auf einen Handelspartner A auswirken, wenn das Land B bereits bei Herstellung und Export eines Gutes fest etabliert ist, A jedoch nicht.[29]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 Mögliche Benachteiligungen durch externe Skaleneffekte
Eigene Darstellung in Anlehnung an Maennig 2013, S. 186.
Die Kostenkurve AB von Land B liegt über derer von Land A, d.h. B produziert teurer. Gemäß dem Prinzip der komparativen Vorteile und der externen Skaleneffekte könnte Land A die Bedienung der Weltnachfrage übernehmen. Im Gegensatz zu Land B wird das Gut jedoch in Land A noch nicht produziert (M0=0). Liegt der Weltmarktpreis P2 des Gutes nun unterhalb des Markteintrittspreises C0, zu welchem das Land A zu produzieren beginnen könnte, würde bei Handel die Produktion in Land A gar nicht erst angestoßen. In der Folge würde es dem Land A ohne Außenhandel besser gehen, da es dann diese Markteintrittsschwelle für den Weltmarkt nicht überschreiten müsste, sondern nur für sich selbst produzieren würde. In diesem Beispiel kann die vorübergehende Einführung von Handelshemmnissen reizvoll sein. Schützt das Land A den inländischen Markt temporär vor Importen des Produktes aus B, so kann die Produktion des Gutes in A begonnen werden. Bereits ab einer Produktion der Menge M2 kann das Land A günstiger anbieten als B und das Weltmarktgleichgewicht wird sich im Modell hin zum Punkt Y verschieben, bei dem das günstigere Land A alleiniger Produzent ist und B aus dem Markt verdrängt hat.[30] Doch auch wenn festgestellt wurde, dass Außenhandel Nachteile für einzelne Länder haben kann, muss beachtet werden, dass die Branchenkonzentration mit entsprechendem Außenhandel dennoch für die Weltwirtschaft als Ganzes vorteilhaft ist.[31]
2.1.2.2 Interne Skaleneffekte
Ebenso wie im Modell der komparativen Vorteile werden in obigem Beispiel dadurch, dass sich die Länder auf die Produktion eines bestimmten Gutes spezialisieren, verschiedene Güter aus unterschiedlichen Sektoren zwischen den Ländern gehandelt, d.h. es findet interindustrieller Handel statt. Der Großteil der aktuell zu beobachtenden außenwirtschaftlichen Beziehungen findet jedoch zwischen Ländern mit vergleichbaren Technologien und Faktorausstattungen statt, die gleichartige Güter untereinander handeln.[32] Als Beispiel wird hier häufig der Tausch französischer Autos gegen deutsche Autos genannt, die sich zwar technisch sehr ähnlich sind, sich aber in der Wahrnehmung der Kunden dennoch deutlich unterscheiden.[33] Nach einer Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Englisch: Organisation for Economic Cooperation and Development, kurz: OECD) über Globalisierung aus dem Jahre 2010 machte dieser Intra-Industrie-Handel, auch intrasektoraler Handel genannt, gemessen mit dem sogenannten Grubel-Lloyd-Index, zwischen 1997 und 2008 über 70 Prozent des grenzübergreifenden Warenhandels aus.[34]
Eine Erklärung für diesen intrasektoralen Handel liefern Modelle mit internen Skalenerträgen. Bei internen Skalenerträgen steigt die Outputmenge einzelner Unternehmen – nicht Branchen – bei Erhöhung des Ressourceneinsatzes überproportional an.[35] Die Annahme vollkommener Konkurrenz wird hier für ein Modell mit monopolistischer Konkurrenz aufgegeben, bei welchem zwar viele Anbieter existieren, deren Produkte jedoch stark differenziert sind.[36] Auf der Anbieterseite spielt hier die Produktdifferenzierung, auf der Nachfrageseite der Wunsch des Kunden nach möglichst großer Vielfalt eine bedeutende Rolle für den Handel.[37] Wird beispielsweise davon ausgegangen, dass zwei mit den gleichen Technologien ausgestattete Volkswirtschaften zwei Varianten X und Y eines Produkts unter gleichem Arbeitsaufwand herstellen, so ist Handel für beide vorteilhaft, wenn sich das eine Land auf die Produktion der Variante X, und das andere auf die Produktion der Variante Y spezialisiert und sie anschließend untereinander tauschen. Durch die Spezialisierung entstehen Skaleneffekte, z.B. durch Lerneffekte der Arbeitskräfte, die dazu führen, dass bei gleichem Arbeitsaufwand wie zuvor insgesamt eine höhere Anzahl an Produkten der Varianten X und Y zu niedrigeren Stückkosten hergestellt werden kann. So können beide Länder von niedrigeren Preisen durch Massenproduktion profitieren und gleichzeitig die Vielfalt der produzierten Güter für die Konsumenten in beiden Ländern aufrechterhalten.[38] Das Prinzip der internen Skaleneffekte wird in Kapitel 2.4 in Bezug auf die Handelsvorteile einer Zollunion noch einmal kurz aufgegriffen.
2.1.3 Gravitationsansatz
Neben den genannten Ursachen aus der klassischen und der neuen Außenhandelstheorie fördert auch Nähe den Handel zwischen Ländern. Gemeint ist hier zum einen die räumliche Nähe, die sich z.B. günstig auf Transportkosten auswirkt.[39] So kann beispielsweise der in beide Richtungen laufende Kohlehandel zwischen Frankreich und Deutschland erklärt werden: Gerade bei Gütern mit hohen Transportkosten, welche bislang vernachlässigt wurden, können grenznahe ausländische Anbieter inländische Kunden häufig günstiger beliefern, als weit entfernt gelegene inländische Anbieter.[40] Doch auch eine gemeinsame Sprache, ein vergleichbares Rechtssystem und historisch gefestigte wirtschaftliche und politische Beziehungen, die sich positiv auf den Handel auswirken, sind gemäß Brasche (2013) unter Nähe zu verstehen.[41]
Gemäß Newtons Gravitationsgesetz, demnach sich Massen abhängig von ihrer Entfernung zueinander gegenseitig anziehen, wird dieser Erklärungsansatz für Außenhandel auch als Gravitationsansatz bezeichnet.[42] Sich daraus ableitende Gravitationsmodelle dienen der Messung von Handelsströmen zwischen Ländern, aber auch Ländergruppen.[43] Da sie auch für die Messung von handelsfördernden Auswirkungen durch regionale Integration und Freihandelsabkommen verwendet werden, spielen Gravitationsmodelle auch in vielen Studien zu den Auswirkungen des Brexit auf den Außenhandel des UK eine entscheidende Rolle.[44] Die Basis dieser Modelle bildet eine Funktion aus fünf Faktoren: den Einkommen BIP (kurz für Bruttoinlandsprodukt) der beiden zu vergleichenden Länder, den Größen B ihrer Bevölkerungen und der Distanz Entf. zwischen ihnen. Daraus ergeben sich die Exporte Xxi vom Land X zum Land I als in Abhängigkeit dieser fünf Faktoren.[45] Die Koeffizienten β entsprechen dabei den Elastizitäten der Exportströme bezogen auf die Einflussfaktoren, d.h. wie empfindlich das Exportvolumen auf die Änderung eines Faktors reagiert.[46] Werden in diese Gravitationsgleichung die Daten von den zu betrachtenden Ländern eingefügt, ergibt sich ein Wert für den zu erwartenden Handel.[47] Eine ausführliche Metastudie von Disdier und Head (2004), die anhand von Gravitationsmodellen die Auswirkungen der Distanz zweier Länder auf den bilateralen Handel untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, dass der Entfernungseffekt bei ca. 0,9 liegt, d.h. dass eine um zehn Prozent größere Entfernung ca. neun Prozent geringeren bilateralen Handel zur Folge hat.[48] Ob dieser Zusammenhang in der Praxis auch für den Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und den benachbarten EU-Ländern gilt, wird in Kapitel 3 näher betrachtet.
2.2 Vorteile von (Frei-)Handel
Nach den nun bekannten Ursachen von Handel, die in komparativen Vorteilen, Skaleneffekten und geographischer Nähe liegen, werden nun die Vorteile, die sich aus Handel ergeben, vorgestellt.
2.2.1 Wohlfahrtsanalyse im Angebot-Nachfrage-Diagramm
Das einfachste Modell, um die Vorteilhaftigkeit von Handel zu beweisen, ist ein Angebot-Nachfrage-Modell. Abbildung 5 zeigt im linken Schaubild eine Situation ohne Außenhandel. Im Gleichgewicht G schneiden sich die Nachfragekurve, die für die vom Preis abhängige Nutzenmaximierung der privaten Haushalte steht, und die Angebotskurve, die die Gewinnmaximierung der Unternehmen abhängig vom Preis abbildet. Das bedeutet, dass die zum Preis PA nachgefragte Menge genau der von den Unternehmen angebotenen Menge entspricht.[49]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Konsumenten-und Produzentenrente bei Autarkie und bei Öffnung für Importe
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman und Wells 2010, S. 540 und S. 542.
In diesem Punkt ist der soziale Überschuss maximal, der sich anhand des Konzepts von Produzenten- und Konsumentenrente erklären lässt. Die Konsumentenrente entspricht dem Betrag, den ein Käufer bereit wäre, für ein Gut zu zahlen, abzüglich des tatsächlich gezahlten Betrags. Die Rente entsteht dadurch, dass alle Konsumenten den gleichen Preis bezahlen, d.h. auch diejenigen, die bereit gewesen wären, mehr für das Gut zu entrichten. Sie misst damit den Nutzen aus der Marktteilnahme für den Käufer. Die Produzentenrente hingegen entspricht dem Verkaufspreis des Gutes minus der Herstellungskosten des Produzenten und misst den Nutzen aus der Marktteilnahme für die Hersteller.[50]
Befindet sich der Markt im Autarkiefall im Gleichgewicht G, so wird die Menge MA zum Preis PA gehandelt. Öffnet das Land nun seine Grenzen für Importe (rechter Teil der Abbildung) und wird davon ausgegangen, dass der Weltmarktpreis PW unterhalb von PA liegt, werden inländische Importeure das Importgut im Ausland kaufen und im Inland weiterverkaufen. Durch das höhere Angebot sinkt der Preis des Gutes im Inland. Dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis der Inlandspreis auf das Niveau des Weltmarktpreises gesunken ist. Zu diesem Preis fragen inländische Konsumenten die Menge NH nach, inländische Produzenten bieten jedoch nur die Menge AH an. Die Differenzmenge wird durch Importe gedeckt. Durch den Rückgang des Inlandspreises auf PW steigt die Konsumentenrente vom Flächenstück A auf die Fläche A+B+D. Die Produzentenrente sinkt nach Aufnahme von Handelsbeziehungen im Modell hingegen von der Fläche B+C auf das Flächenstück C. Die gesamte Rente, die auf dem Markt entsteht, ist nach Aufnahme von Handelsbeziehungen um das Flächenstück D gestiegen, d.h. Handel führt zu einem Nettowohlfahrtsgewinn, dem sozialen Überschuss. Das Modell zeigt jedoch auch, dass es infolge internationalen Handels auch Verlierer geben kann, in diesem Fall die Produzenten. Letztere haben hingegen einen Vorteil, wenn das Land das Gut exportiert und der Weltmarktpreis über dem Inlandspreis liegt. Dann steigt die Produzentenrente an, die Konsumenten sind durch die höheren Preise im Nachteil und ihre Konsumentenrente sinkt. Sowohl im Importfall als auch im Exportfall steigt die Gesamtrente um die Fläche D, d.h. es gibt bei beiden Fällen einen Nettowohlfahrtsgewinn.[51]
2.2.2 Empirische Vorteile von Außenhandel
Abgesehen von diesem Modell lassen sich empirisch verschiedene Vorteile von Freihandel identifizieren, die sich in statische und in dynamische Wohlfahrtseffekte gliedern lassen. Statische Effekte entstehen durch geänderte Ressourcenallokation, während dynamische Effekte bei gleichbleibender Allokation durch wirtschaftliches Wachstum hervorgerufen werden.[52]
Statische Wohlfahrtseffekte
Wie in 2.1. beschrieben, führt Außenhandel zu Spezialisierung gemäß komparativen Vorteilen und zu durch Skaleneffekte sinkende Durchschnittskosten. Dadurch sinken die Preise für Konsumenten, aber auch für Unternehmen, z.B. bei Vorprodukten. Diese preissenkende Wirkung wurde unter anderem von Erixon (2008) nachgewiesen.[53] Für Konsumenten steigt zudem die Auswahl an Endprodukten und auch die Hersteller haben eine größere Auswahl an Vorprodukten.[54] Öffnen sich die Grenzen für Handel, steigt des Weiteren die Konkurrenz zwischen den Anbietern, wodurch die Produzenten zu höherer Effizienz gezwungen sind, um im Markt bestehen zu können.[55] Es erfolgt entsprechend eine Reallokation hin zu produktiveren Unternehmen, die expandieren können.[56] Werden die heimischen Unternehmen jedoch durch protektionistische Maßnahmen vor mehr Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen geschützt, d.h. der Freihandel eingeschränkt, ist es auch für ineffiziente Unternehmen leichter, im Markt zu bestehen. Dies bedeutet jedoch Einbußen in der Produktivität der gesamten Volkswirtschaft.[57] Einen empirischen Nachweis für den positiven Einfluss von Handel auf das Produktivitätsniveau lieferte beispielsweise Edwards (1997), der bei seinem Vergleich von 97 Ländern zu dem Ergebnis kam, dass offenere Nationen ein größeres Produktivitätswachstum erfahren haben.[58] Konkreter werden Harris und Li (2007), die bei ihrer Analyse von britischen Exportunternehmen herausfanden, dass diese in dem Jahr, in dem sie mit Exporten begannen, einen Anstieg der totalen Faktorproduktivität um durchschnittlich 34 Prozent erfuhren, im Jahr darauf immerhin noch von fünf Prozent. Ein Verlassen der ausländischen Märkte führte jedoch zu einem Produktivitätsrückgang zwischen sieben und neun Prozent.[59]
Dynamische Wohlfahrtseffekte
Neben diesen statischen Effekten können auch handelsbedingte Wachstumseffekte auftreten, die als dynamische Wohlfahrtseffekte bezeichnet werden. Länder, die an Maßnahmen zur Liberalisierung von Handel teilnehmen, haben eine ca. 1,5 Prozentpunkte höhere jährliche Wachstumsrate, als vor der Reduzierung der Handelshemmnisse.[60] Um zum Beispiel die oben genannte höhere Produktivität zu erreichen und somit im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, haben Unternehmen Anreize, ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten voranzutreiben. Die innovativeren Unternehmen haben bessere Chancen, sich im Konkurrenzkampf durchzusetzen.[61] Auch Spill-Over- und Lerneffekte durch internationalen Handel führen zu technischem Fortschritt.[62] Größere Märkte und durch statische Handelseffekte gestiegene Einkommen können zudem zu höheren Kapitalerträgen führen und schaffen so Anreize für Unternehmen, mehr zu investieren. Dies kann höhere Kapitalakkumulationen der Unternehmen und somit deren weiteres Wachstum zur Folge haben, wie beispielsweise 1996 durch Baldwin und Seghezza nachgewiesen wurde.[63] In der Folge werden dem Handel positive Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation und das Bruttoinlandsprodukt zugesprochen.[64]
2.3 Handelshemmnisse
Durch die Darlegung der Ursachen und Vorteile von Handel liegt nun ein grundlegendes Verständnis für den Außenhandel vor. Hierbei wurde in den Modellen grundsätzlich von Freihandel ausgegangen, d.h. etwaige Handelshemmnisse, die den Handel auf ein nicht optimales Niveau senken, wurden ausgeklammert.[65] Sie beeinträchtigen den Handel weltweit jedoch nach wie vor. Handelshemmnisse können sowohl den Import als auch den Export eines Landes betreffen. Beschränkungen beim Import haben meist den Schutz von Unternehmen oder Arbeitnehmern zum Ziel, während Exportbeschränkungen vornehmlich außenpolitische oder militärische Ziele verfolgen.[66] Durch den Brexit riskiert das Vereinigte Königreich das Ende von Freihandelsabkommen mit wichtigen Handelspartnern und könnte sich künftig mit Handelshemmnissen verschiedener Art konfrontiert sehen. Bevor deren tatsächliche Ausgestaltungsmöglichkeiten und Folgen in Kapitel drei genauer beleuchtet werden, schafft der folgende Abschnitt einen theoretischen Überblick über die wichtigsten tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse, ihre Ursachen und Auswirkungen.
2.3.1 Tarifäre Handelshemmnisse
Unter tarifären Handelshemmnissen sind Zölle zu verstehen, d.h. Abgaben, die im grenzüberschreitenden Warenhandel auf den Import von Waren erhoben werden. Es wird unterschieden zwischen Wertzöllen, die als prozentualer Anteil des Warenwertes erhoben werden, und spezifischen Zöllen, die pro Mengeneinheit zu begleichen sind. Durch die Erhebung von Zöllen steigen im Inland die Preise von importierten Gütern, deren Wettbewerbsfähigkeit folglich sinkt.[67] Diese Art von Zoll, der wettbewerbsschwächere Branchen im Inland schützen soll, damit deren Preise nicht durch günstigere ausländische Produkte gedrückt werden, wird als Schutzzoll bezeichnet. Zusätzlich sorgen Zölle für eine staatliche Einnahmequelle (Fiskalzölle) oder können als Vergeltungsmaßnahme eingesetzt werden, wenn ein Handelspartner Schutzzölle erhebt (Retorsionszölle).[68]
Das Modell in Abbildung 6 zeigt in c) ein vereinfachtes Weltmarktgleichgewicht, das von links durch die Importnachfrage des Inlands und von rechts durch das Exportangebot des Auslands hergeleitet wird. Die Importnachfrage NW kann aus der inländischen Angebotskurve AA und Nachfragekurve NA abgeleitet werden und trägt die Überschussnachfrage ÜN (d.h. die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage) im Inland zu bestimmten Preisniveaus ab. Das Exportangebot des Auslands AW wiederum entspricht dem Überschussangebot ÜA, um das die ausländische Produktion AB die ausländische Nachfrage NB übersteigt. Im Weltgleichgewicht ist die Importnachfrage des Inlands gleich dem Exportangebot des Auslands zum Gleichgewichtspreis P2.[69]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Herleitung des Weltmarktgleichgewichts aus Importnachfrage und Exportangebot
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman et al. 2015, S. 286-287.
Wird nun, wie in Abbildung 7 dargestellt, im Inland ein Importzoll z erhoben, steigt der Preis im Inland so lange an und sinkt der Auslandspreis durch den entstehenden Angebotsüberschuss so lange, bis der Preisunterschied zwischen Weltangebot und Weltnachfrage die Höhe des Zolls z beträgt.[70]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Einfluss eines Zolls auf die Preise
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krugman et al. 2015, S. 288.
Das bedeutet, dass durch einen Importzoll die Inlandspreise ansteigen, während die Auslandspreise sinken. Der Preisanstieg im Inland von P2 auf P1 ist geringer als die Höhe des Zolls, da sich ein Teil des Zolls, je nach Größe des Landes, in niedrigeren Exportpreisen des Auslands widerspiegelt (von P2 auf P3).[71] Handelt es sich um ein kleines Land, das nur einen kleinen Teil des Weltmarktes ausmacht, wird sich die geringere Importnachfrage jedoch kaum auf den Auslandspreis auswirken.[72]
Wie sich ein Zoll auf die Wohlfahrt eines solchen kleineren Landes auswirkt, ergibt sich aus Abbildung 8. Ohne Zölle, d.h. bei Freihandel, entspricht der Preis P1 im Inland dem Weltmarktpreis. Da die inländischen Anbieter zu diesem Preis nur die Menge MA1 anbieten, die Konsumenten jedoch die Menge MN1 nachfragen, wird die Differenz zwischen MN1 und MA1 importiert.[73]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung 8 Wohlfahrtseffekte eines Importzolls in einem kleinen Land
Eigene Darstellung in Anlehnung an Lorz und Siebert 2014, S. 181.
Wird nun ein Importzoll erhoben, steigt der Preis des Importguts nahezu um die Höhe des Zolls auf den Preis P2, der über dem Weltmarktpreis und näher am höheren Gleichgewichtspreis P3 liegt, der ohne Außenhandel herrschen würde. Hersteller aus dem Inland können das Produkt nun zum Preis P2 verkaufen und erhöhen ihre Produktion auf die Menge MA2 (Schutzeffekt). Zu diesem Preis fragen die inländischen Konsumenten jedoch nur mehr die Menge MN2 nach (Konsumeffekt). Folglich reduziert ein Zoll die Importmenge (Außenhandelseffekt) und nähert den Markt an das Gleichgewicht ohne Außenhandel an. Daraus entstehen Gewinner und Verlierer, wie anhand der ökonomischen Rente in Tabelle 3 veranschaulicht werden kann. Die höheren Preise bedeuten Vorteile für die Hersteller und Nachteile für die Nachfrager. Die mit Buchstaben gekennzeichneten Flächen der Abbildung 8 verkörpern die Konsumenten- und Produzentenrente, sowie die Staatseinnahmen.[74]
[...]
[1] Obstfeld 2016, o.S.
[2] Vgl. Aichele und Felbermayr 2015, S. 5.
[3] Vgl. z.B. Dhingra et al. 2016a, Aichele und Felbermayr 2015, sowie Busch und Matthes 2016a.
[4] Vgl. z.B. Economists for Brexit 2016, sowie Mansfield 2014.
[5] Breuss 2003, S. 109.
[6] Vgl. Ricardo 1817.
[7] Vgl. Hofmann 2009, S. 12.
[8] Vgl. Krugman und Wells 2010, S. 529–532.
[9] Vgl. Krugman und Wells 2010, S. 532–533.
[10] Vgl. ebd., S.534.
[11] Vgl. Krugman und Wells 2010, S.534-535.
[12] Vgl. Rübel 2013, S. 53.
[13] Vgl. Maennig 2013, S. 90.
[14] Vgl. Shagi 1988, S. 251.
[15] Vgl. Kempa 2012, S. 111.
[16] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 209.
[17] Vgl. Breuss 2003, S. 229.
[18] Vgl. Krugman 1979 und Krugman 1981.
[19] Vgl. Rübel 2013, S. 117.
[20] Vgl. Kempa 2012, S. 111.
[21] Vgl. Maennig 2013, S. 185.
[22] Vgl. Krugman et al. 2015, 211 und 215.
[23] Vgl. Reitz 2016, o.S.
[24] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 216.
[25] Vgl. Fuchs 2012, S. 151.
[26] Vgl. Maennig 2013, S. 186.
[27] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 216–217.
[28] Vgl. Kempa 2012, S. 116.
[29] Vgl. Maennig 2013, S. 186.
[30] Vgl. Maennig 2013, S. 186–187.
[31] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 221.
[32] Vgl. Hofmann 2009, S. 3.
[33] Vgl. Brasche 2013, S. 75.
[34] Vgl. OECD 2010, S. 210.
[35] Vgl. Kempa 2012, S. 111.
[36] Vgl. ebd., S. 117.
[37] Vgl. Farmer und Vlk 2011, S. 242–243.
[38] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 209–210.
[39] Vgl. Brasche 2013, S. 76.
[40] Vgl. Maennig 2013, S. 116–117.
[41] Vgl. Brasche 2013, S. 76.
[42] Vgl. Lorz und Siebert 2014, S. 133.
[43] Vgl. Breuss 2003, S. 141.
[44] Vgl. zum Beispiel Ottaviano et al. 2014 oder Aichele und Felbermayr 2015.
[45] Vgl. Baldwin 1994, S. 70.
[46] Vgl. Breuss 2003, S. 143.
[47] Vgl. Gorokhovskij 2003, S. 73.
[48] Vgl. Disdier und Head 2004.
[49] Vgl. Morasch und Bartholomae 2011, S. 42.
[50] Vgl. Mankiw und Taylor 2016, 234 und 242.
[51] Vgl. Krugman und Wells 2010, S. 540–543.
[52] Vgl. Dicke und Foders 2000, S. 7.
[53] Vgl. Erixon 2008, S. 9–11.
[54] Vgl. Busch und Matthes 2016a, S. 49.
[55] Vgl. Sampson 2014, S. 316.
[56] Vgl. Busch und Matthes 2016a, S. 49.
[57] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 322–323.
[58] Vgl. Edwards 1997.
[59] Vgl. Harris und Li 2007, S. 30.
[60] Vgl. Busch und Matthes 2016a, S. 51
[61] Vgl. Rübel 2013, S. 89.
[62] Vgl. Busch und Matthes 2016a, S. 51.
[63] Vgl. Baldwin und Seghezza 1996.
[64] Vgl. Centre for Economics and Business Research 2015, S. 9.
[65] Vgl. Shagi 1988, S. 251.
[66] Vgl. Sauernheimer 2004, S. 163.
[67] Vgl. Büter 2010, S. 19.
[68] Vgl. Büter 2010, S. 40.
[69] Vgl. Krugman et al. 2015, S. 285–286.
[70] Vgl. Breuss 2003, S. 266–267.
[71] Vgl. Breuss 2003, S. 266–267.
[72] Vgl. ebd., S. 267.
[73] Vgl. Rose und Sauernheimer 2015, S. 599.
[74] Vgl. Rose und Sauernheimer 2015, S. 599.
- Arbeit zitieren
- Tamara Runow (Autor:in), 2018, Was passiert nach dem Brexit? Auswirkungen auf den Außenhandel von Großbritannien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436409
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