„Es gibt keine Flucht ohne Spuren!“ - schon der Untertitel auf dem Cover der deutschen Kauf-DVD „No Country for Old Men“, in Regie der Coen-Brüder im Jahre 2007 entstanden, gibt einen ersten Hinweis auf den Jagd-Topos, der den Zuschauer allgegenwärtig im Film erscheinen wird. Dieser, der Zuschauer, erwartet sofort Spuren, die zur Beute führen, Jäger, die sich auf leisen Sohlen heranpirschen und Verfolgte, die um ihr Leben rennen. Doch wie schaffen es Ethan und Joel Coen, die Jagdszenen dramaturgisch zu inszenieren? Welche Hinweise geben verschiedene Motive und mit welchem symbolischen Gehalt sind diese aufgeladen? Wie wird Flucht und Verfolgung in der formalen Bildgestaltung umgesetzt? Eben jene Umsetzung der Jagd, auf dramaturgischer, symbolischer und bildnerischen Ebene, stehen im Zentrum dieser Untersuchung.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Dramaturgie der Jagd im Film „No Country for Old Men“ von Ethan und Joel Coen
2. Die Dramaturgie der Jagd
2.1. Begriffserklärung „Dramaturgie“
2.2. Anwendung auf „No Country for Old Men“
3. Motive der Jagd – die symbolische Ebene
3.1. Landschaft und Naturdarstellung
3.2. Spuren bzw. Spurenlesen
3.3. Auswahl der Waffen
3.4. Verfolgungs- bzw. Fluchtwege
3.5. Zufall
4. Die Jagd auf der Bildebene
4.1. Allgemeine formale Gestaltung
4.2. Beispielszene: Verfolgung Moss – Chigurh auf der
5. Literaturverzeichnis
1. Die Dramaturgie der Jagd im Film „No Country for Old Men“ von Ethan und Joel Coen
„Es gibt keine Flucht ohne Spuren!“ - schon der Untertitel auf dem Cover der deutschen Kauf-DVD „No Country for Old Men“, in Regie der Coen-Brüder im Jahre 2007 entstanden, gibt einen ersten Hinweis auf den Jagd-Topos, der den Zuschauer allgegenwärtig im Film erscheinen wird. Dieser, der Zuschauer, erwartet sofort Spuren, die zur Beute führen, Jäger, die sich auf leisen Sohlen heranpirschen und Verfolgte, die um ihr Leben rennen. Doch wie schaffen es Ethan und Joel Coen, die Jagdszenen dramaturgisch zu inszenieren? Welche Hinweise geben verschiedene Motive und mit welchem symbolischen Gehalt sind diese aufgeladen? Wie wird Flucht und Verfolgung in der formalen Bildgestaltung umgesetzt? Eben jene Umsetzung der Jagd, auf dramaturgischer, symbolischer und bildnerischen Ebene, stehen im Zentrum dieser Untersuchung.
2. Die Dramaturgie der Jagd
2.1. Begriffserklärung „Dramaturgie“
Zur Annäherung an den Terminus „Dramaturgie der Jagd“ soll zuerst der Begriff Dramaturgie geklärt werden. Drama im Theater und Film sind im Bezug auf die Dramaturgie artverwandt. Bei beiden steht dabei die Kunst vom Aufbau eines Werkes und die Art der Darstellung im Vordergrund, um Spannung zu erzeugen. Oft bedient sich der Drehbuchautor einem Koordinatensystem, in dem die Szenen nach Zeitverlauf und Verlauf des Spannungsbogens dokumentiert sind.[1]
2.2. Anwendung auf „No Country for Old Men“
Der Aufbau und die Figurenkonstellation erschließen sich im Verlauf des Film schnell: Das Gute, verkörpert durch den Sheriff Ed Tom Bell, jagt das Böse, dargestellt durch Anton Chigurh. Zwischen diese Fronten gerät unabsichtlich Lewelyn Moss, der den Auslöser der Handlung gibt, als er sich unrechtmäßig dem Geldkoffer bemächtigt. Aus diesem Konstrukt ergibt sich folgende Figurenkonstellation: Moss, selbst Hobbyjäger, wird von Chigurh durch Texas und grenzübergreifend durch Mexiko gejagt, immer auf der Suche nach dem Geld. Der Sheriff Bell versucht den rücksichtslosen Killer Chigurh zu fassen, um ihn ins Gefängnis zu bringen und um Moss vor dem Schlimmsten zu bewahren. Er weiß jedoch nie ganz genau, wen er eigentlich sucht, er jagt einem Schatten nach und bildet in der Dreiergruppe das Schlusslicht, weil er immer zu spät an den Tatorten erscheint. Auffällig in dieser Konstellation ist jedoch, dass die Hauptcharaktere im gesamten Film keine gemeinsame Szene miteinander haben, das allein verbietet schon die Definition der Jagd. Das gegenseitige Verfolgen verwehrt die Interaktion und somit erfolgt auch kein Show-down der Figuren am Ende des Films. Nur in ihrem jeweiligen Jagd-Verhältnis kommt es zur Gegenüberstellung.
Die Spannungskurve zeigt sich stetig ansteigend. Die in der Anfangsszene dargestellte Tier-Jagd weitet sich im Verlauf des Films zu einer Menschen-Jagd aus, die ihre Opfer fordert. Dieser Bogen weitet sich schnell, wenn auch in langen Einstellungen, auf viele aufeinander aufbauende Verfolgungs- und Fluchtszenen, beispielsweise die Jagd der Mexikaner auf Moss oder Chigurhs Verfolgung via Peilsender, aus. Die Wüste dient hierbei als Klammer um das filmische Geschehen herum, dort beginnt die Jagd mit dem Auftritt von Moss und dort findet er nach dem Unfall von Chigurh auch sein Ende. Den Coens gelingt es so, das Netz um die Charaktere immer enger zu schnüren. Flucht ist keine Lösung der Figuren für ihre Probleme, sie wird statt der Lösung gezeigt.
3. Motive der Jagd – die symbolische Ebene
Um ihre Verfolgungs- und Fluchtszenen auch auf symbolischer Ebene fortzusetzen, bedienen sich Ethan und Joel Coen verschiedenster Motive, die sie in ihren Film geschickt einzubauen wissen.
3.1. Landschaft und Naturdarstellung
In der Wahl der Landschaft, der Wüste und Steppe des texanischen Hinterlandes, werden schon erste Hinweise auf Handlung und Verhaltensgrundlagen der Figuren eingestreut. Die Wüste wirkt primitiv, unwegsam, nur Sträucher, Sand und Steine existieren hier. Die Einsamkeit der Landschaft, aber auch die der Menschen, die darin leben, sind spürbar. Die vermeintliche Weite engt sie ein, durch ihre Taten, die Folgen nach sich ziehen, aber auch durch Staatsgrenzen, wie sie Moss zu spüren bekommt. Es ist eine Landschaft für Überlebenskünstler, die die Coens für ihren Film über das Überleben verschiedenster Menschen eingesetzt haben. Auch der Himmel wird zum Zukunftsboten: zeigt er sich bewölkt, naht Bedrohung für die Charaktere, klart er auf, tut sich ein Fluchtweg für die Verfolgten auf, ein Entkommen vor ihren Jägern ist möglich.
3.2. Spuren bzw. Spurenlesen
Auf der Jagd und auch im Film werden viele Spuren von Verfolgten hinterlassen und von Jägern gelesen. Sie geben Hinweise auf den Verbleib der Gejagten. Blutspuren und Blutstropfen, anfangs vom angeschossenen Tier, später auch von Moss und Chigurh, zeigen den Weg, den der Verwundete ging, aber auch das Piepen des Peilsenders ist eine solche Spur, der Chigurh nachgeht und die ihn zu seinem Opfer führt.
3.3. Auswahl der Waffen
Ein interessantes Detail im Aufbau der Handlung des Filmes ist das Beschaffen der Waffen. Moss muss seine Waffen entweder kaufen oder er entwendet sie bereits Toten, wie z.B. den Mexikanern am Drogenumschlagplatz oder dem „last man standing“ in der Wüste unter dem Baum. Im Vergleich dazu scheinen Chigurh seine Maschinenpistolen in den Schoß zu fallen. Für ihn stehen sie in unbegrenzter Zahl bereit, was seine bedrohliche und Angst einflößende Macht noch verstärkt. Auch seine in der Filmgeschichte neuartige Hauptwaffe, das Bolzenschussgerät, ist ein Zeichen seiner Boshaftigkeit und zeigt Parallelen zu Schlachtbetrieben, wo es normalerweise beim Töten von Ochsen Verwendung findet. Die Schlachttiere sind gegenüber ihren „Jägern“ machtlos und haben keine Chance auf eine Fluchtmöglichkeit.[2] Das gleiche Bild zeigt sich bei Chigurhs Opfern, die meist so eingeschüchtert sind, dass sie sich ihm wehrlos hingeben. Doch Moss wehrt sich und dreht den Spieß einmal um, was Bell unwissentlich schon im Gespräch mit Carla Jean anklingen lässt: „Point bein, even in the contest between man and cow the issue is not certain.“[3]
3.4. Verfolgungs- bzw. Fluchtwege
Des weiteren fällt im Verlauf des Films immer wieder auf, dass die Verfolgungs- und Fluchtwege der Jäger und der Flüchtenden häufig beinahe identisch sind, was den Weg der Jagd anschaulich verdeutlicht und eine Klammer um die Verfolger-Pärchen schließt. Als Beispiel kann hier jene Szene angeführt werden, in der Chigurh mit dem Peilsender durch die Nacht fährt und Moss anhand des Signals zu orten versucht. Hier wird dem Zuschauer die Sicht durch Chigurhs Windschutzscheibe gewährt, auf die dunkle Straße hinaus, die nur durch das Scheinwerferlicht des Autos beleuchtet wird. Der Sender führt ihn zum Motel, wo sich Moss aufhält. Einige Einstellungen später ist der Fluchtweg von Moss identisch aufgenommen wie der Verfolgungsweg, Sicht durch die Windschutzscheibe auf die Straße, die nur spärlich durch das eigene Licht beleuchtet ist. Auch die Flucht aus dem Hotelzimmerfenster und später die ungewisse Flucht Chigurhs durch das Motelzimmerfenster verknüpfen die Charaktere über den ganzen Film hinweg miteinander.
3.5. Zufall
Der Zufall spielt in „No Country for Old Men“ eine große Rolle, um die Handlung voranzutreiben und den Spannungsbogen möglichst hoch zu halten. Er leitet häufig entscheidende Wendepunkt in der Geschichte ein. Das getroffene Tier aus der Anfangsszene kann noch flüchten und führt Moss zum Drogendeal, wo er die Handlung mit dem Kofferdiebstahl in Gang setzt. Ein weiteres Beispiel dafür: Hätte Moss die Einladung der Dame am Pool angenommen, mit ihr ihr Zimmer aufzusuchen, wäre er vielleicht noch am Leben.
4. Die Jagd auf der Bildebene
Im Anschluss an die symbolischen Metaebene, die oben ausführlich besprochen wurde, soll nun die filmische Darstellung der Jagd auf der Bildebene in den Vordergrund treten. Hierbei werden erst auffällige Merkmale benannt, die allgemein im Film immer wieder Verwendung finden und deren Bedeutung sich dem entsprechend nicht ändert. Anschließend erfolgt die genauere Analyse der Verfolgungsszene auf der Straße (Schießerei).
4.1. Allgemeine formale Gestaltung
Zur Darstellung der Machtverhältnisse im Verlauf des Filmes ist die Kameraperspektive bezeichnend. Die Jäger, allen voran Chigurh, werden teilweise in starker Untersicht gezeigt. Sie versinnbildlicht die Bedrohung, die Überlegenheit der Verfolger und lässt die Opfer umso kleiner wirken, die meistens in starker Aufsicht gezeigt werden. Besonders fällt dies auf, als Moss getötet am Boden liegt und die Aufsicht als ein Zeichen der Besiegtheit gelesen werden kann, der Blick hinunter auf die erlegte Beute. Allein durch die Einstellung wird klar gemacht, wer die Oberhand inne hat und wer der Unterlegene ist. Auch Sheriff Bell ist im gesamten Film meist in Aufsicht gezeigt, häufig sitzend, was seine Machtlosigkeit gegenüber dem übermächtigen Gegner Chigurh betont. Er ist auf der Jagd nach ihm weit abgeschlagen und kann nicht im nötigen kurzen Abstand folgen.
[...]
[1] Vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/slavistik/vc/filmanalyse/arb_stud/hopp_stolz/ docs/ dramaturgie.htm
[2] Vgl. http://knurrunkulus.blogspot.com/2008/01/filmkritik-no-country-for-old-men.html
[3] Vgl. http://www.script-o-rama.com/snazzy/dircut.html, S.83
- Citation du texte
- Laura Köhninger (Auteur), 2010, Die Dramaturgie der Jagd im Film "No Country for Old Men" von Ethan und Joel Coen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/435093
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