Im Rahmen des Projektes soll es Jugendlichen, die stationär wegen einer Alkoholvergiftung behandelt werden, ermöglicht werden eine Kurzintervention in Form eines Gespräches (Brückengespräch) und eine Tablet-Computer-gestützte Beratung in Anspruch nehmen zu können. Zusätzlich findet ein mehrtägiges erlebnispädagogisches Angebot (Risiko-Check) und ein Abschlussgespräch statt. Eltern werden im HaLT- Projekt ebenfalls miteinbezogen und können das „Elterngespräch“ mit einer Präventionsfachkraft nutzen.
PORTFOLIO
1. Stellungnahme: Thema Diagnose Stellen Sie sich vor, erneut wird ein Gremium gebildet, dass der Psychiatrie Enquete aus dem Jahr 1975 ähnelt. Hauptthema ist der Umgang mit dem psychiatrischen Krankheitsbegriff in einer modernen Gesellschaft. Sie sind Teil dieses Gremiums und bestimmen mit, welche Bedeutung die Diagnose „psychisch krank“ in Zukunft haben soll. Wie lauten Ihre Argumente?
Um „psychisch krank“ definieren zu können, muss man zunächst einen Schritt zurückgehen und die Begrifflichkeiten „psychisch gesund“ bzw. „normal“ definieren und festlegen. Es gibt sehr unterschiedliche Definitionen von Normalität, die alle einen anderen Fokus und Schwerpunkt haben. Darunter kann eine statistische, kollektive, ideale, individuelle oder funktionelle Normalität verstanden werden. Diese Definitionen lassen sich allerdings nur bedingt in einen Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen bzw. psychischer Gesundheit bringen. Für Payk entspricht die psychische Gesundheit „der individuellen Fähigkeit, sich realistisch den Anforderungen des Lebens ohne erschöpfendes Beanspruchtwerden [zu] stellen und ihnen innerhalb der zugehörigen Kommunität mit Selbstachtung und Durchhaltevermögen befriedigend nachkommen zu können.“ (Payk, 2015, S. 44). Diese Definition find ich persönlich sehr treffend, weil die Anforderungen des Lebens ständige Anpassungsfähigkeit erfordern. Ist das ganze Leben nicht ein andauernder Anpassungsprozess?
Angelehnt an diese Definition würde ich „psychisch krank“ so definieren, dass eine psychische Erkrankung dann vorliegt, wenn der Mensch in seiner Leistungsfähigkeit und Lebensbewältigung massiv beeinträchtigt ist, unter dieser Situation enorm leidet und die Situation aus eigener Kraft heraus nicht verändern bzw. verbessern kann. Fraglich wird es nur bei den Menschen wie z.B. mit Schizophrenie, Wahnvorstellungen oder Manie, die eventuell keine „Krankheitseinsicht“ haben. Interessant ist hier die Frage, wer bestimmt wer krank und wer gesund ist? Die Gesellschaft, das Gesundheitssystem oder der Mensch selbst?
In diesem Kontext frage ich mich wie Ronja von Rönne im Zeitungsartikel „Ihr seid die Gestörten!“, ob wir nicht alle im Grunde etwas „gestört“ sind und diese Erkenntnis uns wiederrum „normal“ erscheinen lässt. In unserer Gesellschaft herrscht das Ideal eines andauernd glücklichen und zufriedenen Menschen. Jedoch ist es eben nur ein Idealbild, welches nur einen kleinen Ausschnitt der Realität widerspiegelt und ist es nicht gerade „normal“ unter „Ängsten, Niedergeschlagenheit, Sinnestäuschungen und Gedächtnislücken“ (Payk, 2015, S. 2) zu leiden? Jedenfalls in einem gewissen Maße. Einen abnormen Charakter erhalten die Zustände bzw. Symptome erst, wenn sie in ausgeprägter Form erscheinen und über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben oder chronisch werden.
Trotz dessen fände ich es sinnvoll, eine Grenze zwischen „psychisch krank“ und „psychisch gesund“ zu ermitteln, was wiederrum sehr schwierig ist, weil der Übergang nahezu fließend ist (Payk, 2015, S. 6). Diese Grenzziehung ist meiner Meinung nach notwendig, weil sie PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen helfen kann, ernsthafte psychische Störungen wahrzunehmen, zu erfassen, zu bewerten und zu zuordnen und Betroffenen adäquate Therapien und Hilfestellungen anbieten zu können. Ohne diese Einordnung und Klassifizierung wie es im ICD 10 operationalisiert wird, würden die angeordneten (oder eben nicht angeordneten) Behandlungen willkürlich verlaufen mit der Gefahr, dass ernsthafte und behandlungswürdige psychische Erkrankungen unentdeckt und unbehandelt bleiben.
So komme ich nach der Zusammentragung meiner Argumente zu dem Fazit, dass ich eine allgemeingültige Grenze zur Diagnosestellung einer psychischen Erkrankung sowie deren Definition (siehe oben) für sinnvoll erachte, jedoch nur unter Berücksichtigung der individuellen Situation und des Interventionsbedarfs. Wenn ein Mensch psychotherapeutische Hilfe sucht, dann sollte er diese auch bekommen. Insgesamt aber sollte ein Mensch selbst entscheiden können, ob er sich nun „psychisch krank“ oder „psychisch gesund“ fühle und nicht in irgendwelche Störungen, Abnormitäten, Erkrankungen oder Syndrome hineingezwungen werden. Allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass er andere damit nicht gefährdet.
Quellen:
Payk, T. (2015). Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose (4. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer Verlag.
Von Rönne, R. (2015). Ihr seid die Gestörten. Die Welt, 2015, 23-24. Seminarfolien Diagnose und Klassifikation
2. Stellungnahme: Thema Epidemiologie
Recherchieren Sie Risikofaktoren, die dazu führen können psychisch zu erkranken. Beziehen Sie dabei epidemiologische Studien ein. Stellen Sie auch eigene Vermutungen auf
Aufgrund der zunehmenden Prävalenz und des großen Bedeutungszuwachses von psychischen Erkrankungen für das Gesundheitssystem wurde die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS1) ebenso wie bereits im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) um das Modul „psychische Gesundheit“ (DEGS-MHS) erweitert. Ziel dieser Modulerweiterung war es, eine ausdifferenzierte Bestimmung der Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Hinblick auf unterschiedliche Alters- und Geschlechtsgruppen, die Risikofaktoren, die psychischen und sozialen Behinderungen sowie die aktuelle Versorgungs- und Bedarfssituation zu erfassen (Kurt, 2012, S.988).
Häufig wurden folgende Risikofaktoren in der Studie erfasst: Alter − Geschlecht − Wohn-/ Herkunftsort − Beruf – sozioökonomischer Status − Zeit / Epoche. Bei der Erfassung von Depressionen im DEGS1 fällt insbesondere bei Frauen im Alter von 45-64 Jahren auf, dass bei ihnen doppelt so häufig (ca. 20 %) jemals eine Depression diagnostiziert wurde als bei Männern im selben Alter (ca. 10 %). Folgend kann gesagt werden, dass das weibliche Geschlecht ein Risikofaktor für eine psychische Erkrankung darstellt. Jedoch kann nur ein einzelner Risikofaktor niemals die Ursache einer psychischen Störung sein. Es ist vielmehr ein wechselseitiges Zusammenspiel von „negativen und krankhaften“ biologischen, psychischen sowie sozialen Faktoren, wie es das sogenannte Vulnerabilitäts-Stress-Modell beschreibt, die eine psychische Erkrankung entstehen lassen (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2010, S. 14).
Prävalenz darf nicht mit Behandlungsbedarf und -möglichkeiten gleichgesetzt werden. So zeigt der Bundesgesundheitssurvey (Wittchen, 2000), dass mehr als die Hälfte der Betroffenen mit somatoformen Störungen, Panikstörungen und Affektiven Störungen unversorgt blieben und keinerlei Interventionsmaßnahmen erhielten. Bei Personen mit Substanzstörungen waren es sogar 71 % ohne Behandlung. Inmitten dieser scheinbaren psychotherapeutischen Unterversorgung müssen allerdings weitere Gründe für das NichtBehandeln berücksichtigt werden wie z.B. die Motivation des Betroffenen, das psychosoziale Umfeld, das Vorhandensein von Behandlungsmöglichkeiten sowie Spezialisierung der PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen auf bestimmte psychische Erkrankungen und Wirtschaftlichkeit.
Meine Vermutung ist, dass das Nicht-Behandeln von psychischen Erkrankungen enorme Auswirklungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft hat. Dadurch, dass psychische Erkrankungen häufig früh auftreten aber lange unbehandelt bestehen bleiben, werden sie zur Herausforderung alternder Gesellschaften. Diese Problematik wird ebenfalls in den Ergebnissen der großen Studien sichtbar. Sie zeigt wie unbefriedigend die derzeitige Versorgungssituation ist und was für eine immense Größenordnung psychische Erkrankungen haben und das auf diesem Gebiet noch sehr viel in Hinblick auf Prävention, Intervention und bedarfsgerechte sowie flächendeckende Versorgung getan werden muss.
Quellen:
Jacobi, F.; Höfler, M.; Strehle, J.; et al. (2014) Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr 5 Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1- MH). Der Nervenarzt 85:77-87
Jacobi, F.; Höfler, M.; Strehle, J.; et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul "Psychische Gesundheit" (DEGS1-MH). Der Nervenarzt 87:88-90 16.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt Heft 51 September 2010 Depressive Erkrankungen.
B.-M. Kurth, 2012 Robert Koch-Institut, Berlin Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) in | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2012
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- Arbeit zitieren
- Natalie Alber (Autor:in), 2018, Psychische Störungen in Handlungskontexten der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434876
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