Der Zusammenbruch der DDR hat Deutschland, mit der deutsch-deutschen Vereinigung vor fünfzehn Jahren, vor eine enorme Herausforderung gestellt. Diese Vereinigung war allumfassend politisch, ökonomisch, gesellschaftlich und machte natürlich auch vor dem Parteiensystem nicht halt. Schnell übernahmen die etablierten Parteien des Westens die Führungsrolle im politischen Meinungsbildungsprozess, der in der Praxis bald ähnlich ablief, wie dies im „Referenzsystem Bundesrepublik“ der Fall war.
Abgeschlossen wurde dieser Prozess mit der Vereinigung von Bündnis 90 und den Grünen im Jahre 1993. Dabei sollte es sich, im Gegensatz zu den anderen Ost-West-Parteivereinigungen, nicht um eine bloße Übernahme des Ost-Partners handeln, sondern eine Vereinigung zweier gleichberechtigter Parteien stattfinden. Alle anderen westdeutschen Parteien hatten sich bereits vor der Wiedervereinigung mit ihrem ostdeutschen Pendant vereinigt, und waren schon zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 gemeinsam angetreten. Erst einen Tag später haben sich die Grünen mit ihrer ostdeutschen „Schwesterpartei“ vereinigt. Man vollzog also in knapp drei Jahren gleich zwei Vereinigungen mit ostdeutschen Parteien. Jürgen Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang auch von der „doppelten Vereinigung“. Zudem waren die Grünen die einzigen, die bereit waren, ihren Namen im Verlauf des Vereinigungsprozesses zu ändern.
Die Ausgangssituation, die sich den Grünen in Ostdeutschland Anfang der Neunziger bot, schien viel versprechend. Schließlich bestand das Bündnis 90 personell aus einer Vielzahl von Aktivisten der Bürgerbewegung, die bei der ostdeutschen Bevölkerung ein hohes Ansehen besaßen, so dass man sich eine sichere Wählerschicht im Osten erhoffte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Vereinigung aus Bündnis 90, den Grünen und den Ost-Grünen als ein Paradebeispiel für ein erfolgreiches, gleichberechtigtes Zusammengehen von Ost und West zu werten ist.
In wie weit dieser erste Eindruck richtig oder falsch ist, soll sich im Verlauf dieser Arbeit klären. Sind Bündnis 90/Die Grünen wirklich die Verschmelzung zweier gleichberechtigter Partner, oder ist das Bündnis 90 zwölf Jahre nach der Fusion in Wirklichkeit nicht nur noch Teil des Namens und innerparteilich abgemeldet?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Forschungsstand
2. Entstehung und Entwicklung der Grünen in der BRD
2.1. Ursprung – außerparlamentarische Opposition der Siebziger
2.2. Gründung der Partei „Die Grünen“
2.3. 1980 - 1989 turbulente grüne Jahre
2.4. „Burgfrieden“ der Neunziger
3. Entstehung und Entwicklung des Bündnis 90
3.1. DDR-Opposition als Keimzelle
3.2. Der revolutionäre Herbst 1989
3.3. Bündnis 90 – von der Bewegung zur Partei
3.3.1. Wahlbündnisse als erste Schritte zur Partei
3.3.2. Vom Wahlbündnis zur Bundespartei
4. Der Zusammenschluss zum Bündnis 90/Die Grünen
4.1. Zusammenschluss als einzige Option
4.2. Meinungsverschiedenheiten im Verhandlungsprozess
4.2.1. Weltanschauliche Differenzen
4.2.2. Inhaltliche Differenzen
4.2.3. Verhältnis zwischen Bündnis 90 und Ost-Grünen
4.2.4. Widerstand im Bündnis 90
4.3.Verhandlungsergebnisse und Assoziationsvertrag
4.3.1. Grundkonsens
5. Bündnis 90 als Teil von Bündnis 90/Die Grünen
5.1 . Schneller Einflussverlust des Bündnis 90
5.2. Zurück zu grünen Werten
5.3. Mangel an profilierten Persönlichkeiten
6. Bündnis 90/Die Grünen in Ostdeutschland
6.1. Mitgliederzahlen
6.2. Wahlergebnisse der Grünen in Ostdeutschland
6.3. Gründe der Erfolglosigkeit im Osten
6.3.1. Fehlen der traditionellen Wählerschichten im Osten
6.3.2. PDS als Konkurrenz
6.3.3. Falsche Themensetzung
6.4. Sind die Grünen eine Regionalpartei des Westens?
7. Resümee & Ausblick
8. Literatur- & Quellenverzeichnis
8.1. Literatur
8.2. Weitere Quellen
8.2.1. Zeitungen und Zeitschriften
8.2.2. Internetquellen
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
Der Zusammenbruch der DDR hat Deutschland, mit der deutsch-deutschen Vereinigung vor fünfzehn Jahren, vor eine enorme Herausforderung gestellt. Diese Vereinigung war allumfassend politisch, ökonomisch, gesellschaftlich und machte natürlich auch vor dem Parteiensystem nicht halt. Innerhalb kürzester Zeit verabschiedete sich die ehemalige DDR von ihrem vierzig Jahre lang gepflegten Parteiensystem, welches quasi ein Einparteiensystem war, in dem der Führungsanspruch der SED unbestritten war, und übernahm, nach zahlreichen Vereinigungen der Westparteien mit ihren ostdeutschen „Schwesterparteien“, das Parteiensystem der BRD. Schnell übernahmen die etablierten Parteien des Westens die Führungsrolle im politischen Meinungsbildungsprozess, der in der Praxis bald ähnlich ablief, wie dies im „Referenzsystem Bundesrepublik“ der Fall war.[1]
Abgeschlossen wurde dieser Prozess mit der Vereinigung von Bündnis 90 und den Grünen im Jahre 1993. Dabei sollte es sich, im Gegensatz zu den anderen Ost-West-Parteivereinigungen, nicht um eine bloße Übernahme des Ost-Partners handeln, sondern eine Vereinigung zweier gleichberechtigter Parteien stattfinden. Alle anderen westdeutschen Parteien hatten sich bereits vor der Wiedervereinigung mit ihrem ostdeutschen Pendant vereinigt, und waren schon zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 gemeinsam angetreten. Erst einen Tag später haben sich die Grünen mit ihrer ostdeutschen „Schwesterpartei“ vereinigt. Man vollzog also in knapp drei Jahren gleich zwei Vereinigungen mit ostdeutschen Parteien. Jürgen Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang auch von der „doppelten Vereinigung“.[2] Zudem waren die Grünen die einzigen, die bereit waren, ihren Namen im Verlauf des Vereinigungsprozesses zu ändern.
Die Ausgangssituation, die sich den Grünen in Ostdeutschland Anfang der Neunziger bot, schien viel versprechend. Schließlich bestand das Bündnis 90 personell aus einer Vielzahl von Aktivisten der Bürgerbewegung, die bei der ostdeutschen Bevölkerung ein hohes Ansehen besaßen, so dass man sich eine sichere Wählerschicht im Osten erhoffte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Vereinigung aus Bündnis 90, den Grünen und den Ost-Grünen als ein Paradebeispiel für ein erfolgreiches, gleichberechtigtes Zusammengehen von Ost und West zu werten ist.
In wie weit dieser erste Eindruck richtig oder falsch ist, soll sich im Verlauf dieser Arbeit klären. Sind Bündnis 90/Die Grünen wirklich die Verschmelzung zweier gleichberechtigter Partner, oder ist das Bündnis 90 zwölf Jahre nach der Fusion in Wirklichkeit nicht nur noch Teil des Namens und innerparteilich abgemeldet? In diesem Fall müsste man das gesamtdeutsche Projekt Bündnis 90/Die Grünen wohl als gescheitert ansehen. Für die Grünen ist der Fall, wie sie es in ihrem Grundsatzprogramm ausdrücken, jedenfalls eindeutig: „Mit der Vereinigung zu Bündnis 90/Die Grünen und dem Grundkonsens von 1993 wurden wir endgültig eine gesamtdeutsche Partei.“[3] Ob dem wirklich so ist, wird eine weitere wichtige Fragestellung dieser Arbeit sein.
Das Thema wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die eine gewisse Gliederung bereits vorgeben. Bevor auf den Vereinigungsprozess und den Assoziationsvertrag genauer eingegangen wird, erscheint es zunächst wichtig, die beiden Parteien Bündnis 90 und die Grünen genauer zu betrachten. Ein Blick auf die jeweiligen Entstehungsgeschichten ist dabei von besonderer Bedeutung, da beide Parteien aus vollkommen unterschiedlichen Situationen und vor allem in komplett verschiedenen Systemen entstanden sind. Nur aus der Geschichte heraus lassen sich die besonderen Unterschiede beider Parteien erklären. Das dabei die Historie der Grünen zuerst beleuchtet wird, hat keine inhaltliche Bedeutung, sondern ist eher durch die längere Vorgeschichte der Westdeutschen begründet. Nach dem Blick auf die Vorgeschichte und den Vereinigungsprozess wird logischerweise die Entwicklung nach 1993 eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird vor allem auch die Entwicklung in Ostdeutschland starke Beachtung finden, um die Frage zu beantworten, ob Bündnis 90/Die Grünen wirklich eine gesamtdeutsche Partei ist, wie sie es selbst von sich behauptet. Hierbei dürften die Analyse von Wahlergebnissen und ein Blick auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen hilfreich sein.
1.2. Forschungsstand
Die einigungsbedingten Veränderungen im bundesrepublikanischen Parteiensystem bildeten einen Forschungsschwerpunkt der Politikwissenschaft in den Neunziger Jahren. Zu allen größeren deutschen Parteien liegen heute zahlreiche Publikationen vor, selbstverständlich auch zu den Grünen. Als einer der wichtigsten Autoren ist hier sicherlich der renommierte Politikwissenschaftler Joachim Raschke zu nennen, der sich 2001 kritisch mit der Regierungsfähigkeit der Grünen auseinandersetzte, und der mit der Veröffentlichung „Die Grünen, wie sie wurden, was sie sind“, eine Art Standardwerk zu dieser Partei verfasst hat.[4] Eine neuere Veröffentlichung stammt von Markus Klein und Jürgen W. Falter, die den Werdegang der Grünen Partei von den neuen sozialen Bewegungen der Siebziger Jahre bis zur Regierungspartei der Gegenwart nachzeichnen.[5] Auffällig ist, dass die Beziehung zwischen Bündnis 90 und den Grünen und die Bedeutung der Partei im Osten meist nur kurz oder am Rande erwähnt werden. Umgekehrt stellen Arbeiten zum Bündnis 90 meist den Umbruch in der DDR und die Entwicklung der Bürgerbewegungen nach der staatlichen Einigung Deutschlands in den Vordergrund.[6] Studien, die sich explizit mit der Beziehung zwischen dem Bündnis 90 und den Grünen auseinandersetzen, sind dagegen Mangelware.
Einer der wenigen Autoren, die zu diesem Thema gearbeitet haben, ist Jürgen Hoffmann, der 1998 eine umfangreiche Abhandlung über Parteienvereinigung, die Vorgeschichte der beteiligten Organisationen, sowie eine Gesamtaufnahme des organisatorischen, ideologisch-pragmatischen und wählersoziologischen Profils des Bündnis 90/Die Grünen veröffentlichte.[7] Von daher ist diese Publikation für die Entwicklung dieser Arbeit von besonderer Bedeutung.
2. Entstehung und Entwicklung der Grünen in der BRD
2.1. Ursprung – außerparlamentarische Opposition der Siebziger
Der Gründung der Grünen Partei im Jahre 1980 ging ein langer Entwicklungsprozess voraus, der seinen Anfang bereits in den Sechziger Jahren nahm. In der Partei „Die Grünen“ vereinigten sich zwei ideologische Stränge politischen Protests[8], zum einen der neomarxistischen Neuen Linken der ausgehenden Sechziger, zum anderen der Neuen Sozialen Bewegungen der Siebziger.[9]
In diesen Jahrzehnten kam es in der BRD zu ersten größeren innergesellschaftlichen Spannungen nach dem Krieg und nach dem Wirtschaftswunder. Vor allem die nachwachsende Generation, die den Krieg nicht mehr miterlebt hatte, kritisierte die mangelnde Auseinandersetzung der Elterngeneration mit der NS-Zeit. Zudem gelangten viele junge Menschen, nach Bildung der Großen Koalition aus Union und SPD 1966, zu dem Schluss, dass das Parteiensystem der Bundesrepublik nur vordergründig ein demokratisches sei, in Wirklichkeit aber keine Opposition existiere.[10] Infolge dessen entstand eine starke links eingestellte Studentenbewegung, die 68er-Bewegung, welche es sich zur Aufgabe machte, die traditionellen Gesellschaftsstrukturen zu durchbrechen.
Zu den Neuen Sozialen Bewegungen der Siebziger Jahre gehörten die Umweltbewegung, welche sich gegen den Raubbau an der Natur richtete und sich dem Kampf gegen die Atomkraft verschrieben hatte, die Friedensbewegung, die gegen eine weitere Aufrüstung und den Nato-Doppelbeschluss demonstrierte und die Frauenbewegung, welche sich für eine Stärkung der Rechte der Frau einsetzte. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bewegungen waren dabei fließend.
Sowohl die 68-Bewegung als auch die Neuen Sozialen Bewegungen waren kein rein deutsches Phänomen. Sie waren Ergebnis eines tief greifenden Veränderungsprozesses, der alle fortgeschrittenen westlichen Industrienationen in den Nachkriegsjahren erfasst hatte. Die Wertekultur der industriellen Gesellschaft wurde in dieser Zeit nach und nach von den neuen Werten der postindustriellen Gesellschaft verdrängt.[11] Für die bereits in einem relativen Wohlstand aufgewachsenen jüngeren Generationen standen nicht mehr die alten Werte wie Fleiß, Karriere, Pflichterfüllung oder Familienplanung im Mittelpunkt, sondern viel mehr neue postmaterialistische wie Selbstentfaltung oder das Streben nach individueller Freiheit. Der amerikanische Politikwissenschaftler Roland Inglehart setzte sich in den Siebziger Jahren erstmals genauer mit dieser Problematik auseinander.
Sowohl die „68er“ als auch die Neuen Sozialen Bewegungen mussten feststellen, dass sie in der außerparlamentarischen Opposition schnell an Grenzen ihrer politischen Einflussmöglichkeit stießen. So konnten die „68er“ die Notstandsgesetzgebung nicht verhindern, es wurden weiterhin neue Atommeiler ans Netz genommen, und auch der Nato-Doppelbeschluss wurde vom Bundestag gebilligt. Um sich besser politisch partizipieren zu können, änderte man Ende der Siebziger langsam die Strategie, indem man versuchte, die eigenen politischen Themen auch in die Parlamente zu tragen. So entstanden bald vielerorts, zunächst auf lokaler Ebene, später auch auf Landesebene, zahlreiche grüne Listen, und dass, obwohl gegen diesen Kurs wegen befürchteter Anpassungstendenzen in Teilen der Bewegung starke Bedenken erhoben wurden.[12] Parallel dazu entstanden vor allem in den Großstädten alternative und bunte Listen, in welchen sich eine Vielzahl von Gruppierungen der Neuen Linken sammelte.
Diese Listengruppen kann man als Vorläufer der Grünen Partei bezeichnen. Sie waren der erste Schritt von der außerparlamentarischen Opposition hin zu einer Partei. Dabei ist es wichtig, zu erwähnen, dass sich in diesen grünen, bunten und alternativen Listen ein ganzes Spektrum von verschiedensten politischen Richtungen sammelte. Es reichte vom bürgerlich gemäßigten Lager bis hin zu Kommunisten, Vertretern der alten K-Gruppen, welche sich aus den Resten der „68er“-Bewegung in den Siebzigern formiert hatten. Dies brachte natürlich von Beginn an ein hohes Konfliktpotenzial mit sich, welches die Entwicklung der Partei immer wieder bestimmen sollte.
2.2. Gründung der Partei „Die Grünen“
Der Übergang von Bürgerinitiativen zu den Grünen und Alternativen Listen und schließlich zu der Partei Die Grünen war fließend.[13] Mit dem Listenbündnis Sonstige politische Vereinigungen/Die Grünen, kurz SPV/Die Grünen, trat man zur Europawahl 1979 erstmals mit vereinten Kräften bei einer Wahl an. An diesem Listenbündnis nahmen die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD), die Grüne Liste Umweltschutz (GLU), die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) sowie die Grüne Liste Schleswig Holstein Teil. Das Listenbündnis war damit eher bürgerlich-ökologisch ausgerichtet, da sich die bunten und alternativen Listen noch nicht an ihr beteiligten.[14] Mit 3,2 % der Stimmen erlangte man ein beachtenswertes Ergebnis. Zwar scheiterte man deutlich an der 5%-Hürde, dennoch war es ein voller Erfolg, da man knapp 4,9 Millionen DM Wahlkampfkostenrückerstattung erhielt. Diese Wahlkampfkostenrückerstattung wirkte als eine kräftige Finanzspritze für den Organisationsaufbau.[15] Dieser Erfolg und das Vorhaben der SPV Die Grünen eine bundesweit agierende grüne Partei zu gründen, machte das Listenbündnis auch für das links-alternative Spektrum interessanter, so dass sich die Mitgliederzahl innerhalb kürzester Zeit vervierfachte.
Auf dem Gründungskongress am 12. und 13. Januar 1980 in Karlsruhe wurde schließlich die Bundespartei Die Grünen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die linksradikalen und alternativen Kräfte schon einen erheblichen Einfluss, so dass sich die Partei zunehmend einer umfassenden Kritik der bürgerlichen Gesellschaft öffnete.[16] Mit der neuen Partei wollte man eine Partei eines völlig neuen Typs schaffen, die sich klar von den alten etablierten Parteien abgrenzen sollte, um so eine bessere, glaubwürdigere Alternative bieten zu können. Diese ging so weit, dass man sich als eine Art „Anti-Parteien-Partei“ verstand.[17] Dies wurde auch im ersten Parteiprogramm und anhand der Parteienorganisation deutlich. So waren die wichtigsten Grundsätze des ersten Parteiprogramms: Ökologie, soziale Gerechtigkeit, Basisdemokratie und Gewaltfreiheit, womit man sich vor allem mit dem Hauptthema, der Ökologie, komplett von den etablierten Parteien abgrenzen konnte. Bei der Parteiorganisation setzte man statt auf einen Parteichef auf zwei Vorstandssprecher. Weitere wichtige Merkmale waren das Rotationsprinzip, welches den Austausch eines Abgeordneten nach zwei Jahren durch einen anderen vorsah, das Imperative Mandat, das den grünen Abgeordneten dazu zwang, den Willen der Basis zu berücksichtigen, und die Trennung von Amt und Mandat. Mit dieser Struktur wollte man der Bildung von politischen Eliten innerhalb der Partei entgegenwirken.
2.3. 1980 - 1989 turbulente grüne Jahre
Von Beginn an war die Entwicklung der Grünen Partei durch innerparteiliche Konflikte geprägt. Dabei ging es zum einen um die politischen Ziele, die die Partei verfolgen sollte, zum anderen um die Strategie, wie man in den Parlamenten als Partei arbeiten wollte. Zurückzuführen waren diese Konflikte darauf, dass bei der Gründung der Grünen mit den Neuen Sozialen Bewegungen und der neomarxistischen Neuen Linken zwei sehr heterogene politische Bewegungen zusammengebunden worden waren.[18]
Nachdem man bei der ersten Teilnahme an Bundestagswahlen 1980 mit 1,5% der Stimmen noch weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben war, beschränkten sich die Konflikte in der ersten Zeit noch auf die Frage nach der politischen Ausrichtung der Partei. Schnell verloren dabei die bürgerlich-ökologischen, eher konservativ eingestellten und zum Teil auch christlich geprägten Gruppen, die bei der Gründung der Partei noch tonangebend waren, an Boden und wurden von den so genannten Ökosozialisten an den Rand der Partei gedrängt. Mit dem Austritt des ehemaligen CDU-Mitglieds Herbert Gruhl kam es 1981 zu einer Abspaltung des bürgerlich-konservativen Flügels, was das Spektrum der Partei auf (a) kapitalismuskritische/anti-kapitalistische/sozialistische und (b) parlamentarismuskritische/antiparlamentarische/rätedemokratische Positionen reduzierte.[19]
Mit den zunehmenden Wahlerfolgen auf Bundes- (5,6% der Stimmen bei der Bundestagswahl 1983) und Landesebene rückte der Konflikt um die Ausrichtung der parlamentarischen Arbeit in den Mittelpunkt der parteieninternen Diskussion, die so genannte „Fundi-Realo-Kontroverse“, die die Partei an den Rand einer Spaltung führte. Im Wesentlichen bestimmt wurde die Diskussion durch zwei innerparteiliche Flügel, den so genannten „Realos“ und „Fundis“. Der fundamentalistisch-radikale Parteiflügel setzte sich hauptsächlich zusammen aus den „Ökosozialisten“, dem „Linken Forum“ und den „Radikalökologen“. Diese Kräfte verstanden sich als prinzipielle, „antikapitalistische“ Systemopposition und hielten am Gesellschaftsmodell eines marxistisch geprägten Sozialismus fest.[20] Aus diesem Grund lehnten sie Regierungskoalitionen mit den etablierten, aus Sicht der „Fundis“ kapitalistischen Parteien ab. Das realpolitisch-reformorientierte Lager, welches durch die „Realpolitiker“, die „Ökolibertären“ und die Gruppe des „Grünen Aufbruchs“ repräsentiert wurde, forderte hingegen eine Politik praktischer Reformen und strebte daher parlamentarische Koalitionen an.[21] In den Jahren bis 1988 hatten die „Fundis“ unter Führung der „Ökosozialisten“ und der „Radikalökologen“ das größere Gewicht in der Partei. Mit ihrer Mehrheit im Bundesvorstand gelang es ihnen über mehrere Jahre, die politische Richtung der Partei zu bestimmen. Dennoch konnten sie nicht verhindern, dass der Landesverband der hessischen Grünen im Oktober 1985 einer Koalition mit der SPD und damit einer direkten Regierungsbeteiligung zustimmte, und das, obwohl die außerordentliche Bundesversammlung von Hagen im Juni des gleichen Jahres einer Koalition mit der SPD noch eine klare Absage erteilt hatte. Joschka Fischer, einer der wichtigsten Vertreter der „Realos“, wurde noch im gleichen Jahr hessischer Umweltminister und somit der erste grüne? Minister überhaupt. Die Koalition mit der hessischen SPD war der erste wichtige Schritt, den die Grünen in Richtung Regierungspartei vollführten.
Das schnelle Scheitern der Koalition und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl führten zu einer weiteren Polarisierung, so dass die innerparteilichen Strömungskämpfe im Jahre 1987 ihren Höhepunkt erreichten und die Spaltung der Partei drohte.[22] So bekundeten einige prominente Bundestagsabgeordnete, wie beispielsweise Otto Schily, offen ihre Absicht, aus der Partei auszutreten. In der öffentlichen Wahrnehmung trat der fundamentalistische Flügel der Partei zunehmend in den Hintergrund, und als schließlich im Dezember 1988 auf dem Parteitag in Karlsruhe den drei Sprechern des Bundesvorstandes das Vertrauen entzogen wurde, war die fundamentalistische Dominanz auf Bundesebene erstmals gebrochen.[23] Die Folge war eine Welle von Parteiaustritten Ende der Achtziger Jahre, da eine Vielzahl von „Ökosozialisten“ der Partei den Rücken kehrte.
Mit dem Austritt vieler Ökosozialisten endete die „Fundi-Realo-Kontroverse“, was allerdings nicht bedeutete, dass in der Partei Harmonie ausbrach. Die Struktur der Partei war weiterhin geprägt durch die verschiedensten Strömungen, und auch in den Neunziger Jahren blieb die bipolare Grundstruktur bestimmend.[24] Dennoch bedeutete das Ende der „Fundi-Realo-Kontroverse“, dass die Partei endgültig im Parteiensystem der Bundesrepublik angekommen war. Auch strukturell wurden in dieser Zeit erste Veränderungen vorgenommen, so wurde zum Beispiel die Rotation von zwei auf vier Jahre verlängert, was den Abgeordneten ermöglichte, sich besser einzuarbeiten und eine effektivere Parlamentsarbeit abzuliefern.
2.4. „Burgfrieden“ der Neunziger
Mit den Veränderungen, die im Herbst 1989 in der DDR einsetzten, und schließlich 1990 zur deutschen Einheit führten, stand die Partei vor einer erneuten Polarisation. Es kam zu innerparteilichen Diskussionen über Einheit oder Zweistaatlichkeit Deutschlands, das Verhältnis zur neuen linken Kraft PDS im Parteiensystem und den geplanten Zusammenschluss mit dem ostdeutschen „Bündnis 90“. Dies führte dazu, dass die Konflikte zwischen „Fundis“ und „Realos“ wieder stärker an ideologischen Grundsatzkontroversen entzündeten.[25]
Diese erneut aufgebrochenen Konflikte und der Wahlkampf, der vollkommen am Interesse der Bürger vorbei geführt wurde, mit dem Slogan „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“, führte dazu, dass man den sicher geglaubten Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag, mit nur 4,8% der Stimmen, verfehlte. Nur einige Kandidaten der ostdeutschen Grünen, mit denen man sich einen Tag nach der Wahl vereinigte, konnten in den Bundestag einziehen. Hätte man sich einen Tag vor der Wahl zusammengeschlossen, wäre man im Übrigen nicht an der 5%-Hürde gescheitert.
Die Niederlage der Grünen bei der Bundestagswahl 1990 wurde von vielen Beobachtern der politischen Szene als Anfang vom Ende der grünen Partei gedeutet[26], allerdings führte dieses Wahldebakel dazu, dass in der Partei ein Klärungs- und Reformprozess einsetzte, der zu einer flügelübergreifenden Verständigung in der Partei führen sollte. Höhepunkt dieses Prozesses war die 13. Bundesversammlung der Grünen in Neumünster 1991. Auf dieser Bundesversammlung versuchten die Grünen, ihren politischen Standort neu zu bestimmen und verabschiedeten die „Erklärung von Neumünster“. Ohne sich auf bestimmte Weltbilder festzulegen, rechneten sich die Grünen weiterhin dem linken Spektrum zu, „sofern links bedeutet, dass die großen sozialen und ökologischen Fragen solidarisch und nicht nach der Logik der Ellenbogengesellschaft gelöst werden sollen".[27] Die Partei betonte in dieser Erklärung deutlicher als zuvor, den Reformaspekt („ökologische Reformpartei") und gab zu verstehen, dass sie sich gesellschaftlich stärker öffnen wollte, um den Dialog und die politische Auseinandersetzung über die politischen Lagergrenzen hinweg zu führen.[28] Auch die Struktur der Partei wurde auf dieser Bundesversammlung maßgeblich verändert. So wurde die Rotation endgültig abgeschafft, die Zahl der Vorstandssprecher wurde von drei auf zwei reduziert, und es wurde das Amt eines politischen Geschäftsführers eingerichtet. Diese Schritte bedeuteten eine zumindest strukturelle Annährung an die etablierten Parteien. Sie waren eine Reaktion auf die Erfahrungen der für die Grünen turbulenten Achtziger Jahre und gleichzeitig das Eingeständnis, dass die mit Gründung der Partei hochgesteckten Ziele, eine neue Art von Partei zu schaffen, gescheitert waren. Dennoch, oder gerade deswegen, war die Bundesversammlung von Neumünster für die Grünen ein wichtiger Schritt in ihrer innerparteilichen Entwicklung, der Schritt von einer innerlich zersplitterten, von Machtkämpfen geschwächten hin zu einer Konsens suchenden, stabilen Partei. Obwohl die bipolare Grundstruktur erhalten blieb, kam es neben einer Entradikalisierung auch zu einer Bündnisfähigkeit zwischen Linken und Realos, die es so vorher nicht gab. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Burgfriedenspolitik“ der Neunziger Jahre, die ihr Fundament in der „Neumünsteraner Erklärung“ fand.[29]
Eine weitere wichtige Aufgabe, die sich den Grünen Anfang der Neunziger stellte, war die Notwendigkeit, sich im Zuge der Vereinigung auch im Osten Deutschlands auszubreiten und zu etablieren. Den geeigneten Partner sah man dabei im Bündnis 90, der starken ostdeutschen Bürgerbewegung. Fürsprecherin eines öffentlichkeitswirksamen, gesamtdeutschen Zusammenschluss von Bündnis 90 und den Grünen, der einen weiteren Neubeginn auch nach außen hin mit Nachdruck dokumentieren sollte, war Antje Vollmer.[30]
Mit der Neugründung der Partei Bündnis 90/Die Grünen wurde dieser Schritt im Mai 1993 vollzogen.
3. Entstehung und Entwicklung des Bündnis 90
3.1 . DDR-Opposition als Keimzelle
Ähnlich wie bei den Grünen, findet man die Wurzeln des Bündnis 90 in systemkritischen, oppositionellen Gruppen, wenn auch in einem anderen Staat und unter anderen Voraussetzungen. Dennoch kann man den Ursprung beider Organisationen in der außerparlamentarischen Opposition, als einen gemeinsamen Schnittpunkt betrachten.
Opposition gegen das SED-Regime gab es zu jedem Zeitpunkt der DDR-Geschichte. Zu Beginn recht spektakulär, erinnert sei hier nur an die Arbeiterproteste der Fünfziger Jahre, später, aufgrund der massiven Präsenz der Staatssicherheit, eher im Geheimen. In den Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahren verlagerten sich die unabhängigen politischen Bestrebungen mehr und mehr in den Schutzraum der Kirchen, sowie in das Milieu der sozialistisch geprägten Intellektuellen. Die Kirche war dabei bis Mitte der Achtziger Jahre der einzige Raum, in dem intellektuelle Protestgruppen entstehen konnten.[31] Dabei handelte es sich meist um informelle Gruppen, die untereinander kaum vernetzt, und deren Interessen oft unterschiedlich gelagert waren (Umwelt-, Menschenrechts-, Friedensgruppen). Interessant ist auch, dass die oppositionellen Gruppen der Achtziger Jahre, weder personell noch ideologisch, nahezu keine Berührungspunkte mit den Oppositionellen der ersten drei Jahrzehnte der DDR besaßen. In den neuen informellen Gruppen dominierten subkulturelle Orientierungen und eine große Distanz zu jeder Form formaler Organisation.[32] Von daher war ihr Einfluss auch nur sehr begrenzt und nicht vergleichbar mit den großen oppositionellen Organisationen der Nachbarländer, wie der Charta 77 in der CSSR oder der Solidarnosc in Polen.
Erst 1989 gelang es der ostdeutschen Opposition in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu gelangen. "Ihren Durchbruch aus gesellschaftlicher Marginalität erreichten sie mit dem Aufruf zum Wahlboykott im Frühjahr 1989. Der offene Wahlbetrug der SED wiederum beschleunigte den Loyalitätsverfall - insofern haben die Gruppen zum revolutionären Umbruch entscheidend beigetragen. Außerdem wird man sagen können, dass die Ökologie-, Menschenrechts- und Friedensgruppen ebenso wie das wachsende Engagement kirchlicher Repräsentanten und Gremien die kulturelle Hegemonie der SED durch die Einführung neuer und konkurrierender Werte resp. durch die Uminterpretation parteilicher Setzungen untergruben."[33]
[...]
[1] Badelt, Joachim: Die Bedeutung der Neuen Sozialen Bewegungen in Ostdeutschland, in: Waschkuhn, Arno/Thumfart, Alexander: Politik in Ostdeutschland, Lehrbuch zur Transformation und Innovation, München 1999, S. 389.
[2] Vgl. Hoffmann, Jürgen (2): Die doppelte Vereinigung, Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkungen des Zusammenschlusses von Grünen und Bündnis’90, Opladen 1998.
[3] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hrsg.): Die Zukunft ist grün, Grundsatzprogramm, Berlin 2002, S. 21.
[4] Vgl. Raschke, Joachim (1): Die Grünen, Wie sie wurden, was sie sind, Köln 1993, und: Raschke Joachim (2): Die Zukunft der Grünen, „so kann man nicht regieren“, Frankfurt/Main 2001.
[5] Vgl. Klein, Markus/Falter, W. Jürgen: Der lange Weg der Grünen, München 2003.
[6] Vgl. z.B. Probst, Lothar: Ostdeutsche Bürgerbewegungen und Perspektiven der Demokratie. Entstehung, Bedeutung und Zukunft, Köln 1993. oder Wielgohs, J./Müller-Engbergs, H./Schulz, M.(1): Bündnis 90 – Entstehung und Formierung einer neuen Partei, Halle 1995.
[7] Vgl. Hoffmann, ( 2).
[8] Schulte, Christoph: Die Herkunft der Grünen. Voraussetzungen und Entstehung einer Bewegung, in: Gotto, Klaus/Veen, Hans-Joachim (Hrsg.): Die Grünen. Partei wider Willen, Mainz 1984, S. 11. (11-36)
[9] Veen, Hans-Joachim/Hoffman, Jürgen: Die Grünen zu Beginn der neunziger Jahre, Profil und Defizite einer fast etablierten Partei, Bonn 1992, S. 8.
[10] Klein/Falter, S. 16.
[11] Ebd., S. 24.
[12] Veen/Hoffmann S.12.
[13] Müller, Emil-Peter: Die Grünen und das Parteiensystem, Köln 1984, S. 63.
[14] Klein/Falter, S. 39.
[15] Hallensleben, Anna Elisabeth: Von der grünen Liste zur grünen Partei? Die Entwicklung der Grünen Liste für Umweltschutz von ihrer Entstehung 1977 in Niedersachsen bis zur Gründung der Partei Die Grünen 1980, Göttingen 1984, S. 177.
[16] Veen/Hoffmann, S. 17.
[17] Klein/Falter, S. 87.
[18] Ebd. S. 53.
[19] Raschke (1), S. 897.
[20] Veen/Hoffman, S. 56.
[21] Ebd. S. 56.
[22] Klein/Falter, S. 59.
[23] Ebd. S. 61.
[24] Raschke (2), S. 337.
[25] Klein/Falter, S. 61.
[26] Ebd. S. 49.
[27] Erklärung von Neumünster, verabschiedet auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom 26. bis 28. April 1991 in Neumünster.
[28] Hoffmann (2), S. 173.
[29] Raschke (2), S. 337.
[30] Spöhrer, Jochen: Zwischen Demokratie und Oligarchie: Grüne und PDS im Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1999, S. 109.
[31] Hoffmann (2), S. 106.
[32] Glaeßner, Gert-Joachim: Der schwierige Weg zur Demokratie, vom Ende der DDR zu deutschen Einheit, Opladen 1991, S. 46.
[33] Meuschel, Sigrid: Wandel durch Auflehnung. Thesen zum Verfall bürokratischer Herrschaft in der DDR, in: Deppe, Rainer/Dubiel, Helmut/Rödel, Ulrich (Hrsg.): Demokratischer Umbruch in Osteuropa, Frankfurt a.M. 1991, S. 41f. ?
- Quote paper
- Carsten Socke (Author), 2005, BÜNDNIS 90 – Entwicklungen in einer grünen Partei, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43414
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