Die humanitäre Intervention gehört zu den umstrittensten Rechtsfiguren des Völkerrechts und der internationalen Politik seit dem Ende des kalten Krieges. Speziell seit der Nato-Intervention im Kosovo, die ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vonstatten ging, wird darüber diskutiert, ob, und wenn, unter welchen Bedingungen eine humanitäre Intervention völkerrechtlich zulässig und moralisch vertretbar bzw. unbedingt angebracht ist. Fakt ist, dass weder die UN-Charta, noch andere völkerrechtlich relevante Verträge das Rechtsinstitut der humanitären Intervention kennen. Die politische Praxis während der 90er Jahre mit humanitären Interventionen im Irak, Somalia, Haiti, Ruanda, Ost-Timor und dem Kosovo verdeutlicht den Regelungsbedarf hinsichtlich einer klaren völkerrechtlichen Klärung. Die Quadratur des Kreises besteht dabei darin, das bestehende positive Völkerecht in Einklang mit den ethischen Ansprüchen in der Diskussion zu bringen. Befürworter der humanitären Intervention argumentieren hauptsächlich mit dem gestiegenen Status der Menschenrechte, der eine militärische Intervention als letztes Mittel der Politik bei einer Verletzung grundlegender menschenrechtlicher Normen begründet. Somit handelt es sich im Kern um ein Problem zwischen (juridischer) Legalität und (moralischer) Legitimität [Vgl. Preuß.].
Der Schwerpunkt dieser Hausarbeit soll auf dem ersten Punkt liegen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Menschenrechte als Schutzgut der humanitären Intervention
1.1 Die Institutionalisierung der Menschenrechte im VN-System
1.1.1 Die Charta der Vereinten Nationen
1.1.2 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
1.1.3 Die Menschenrechtspakte
1.1.4 Andere völkerrechtliche Dokumente zum Menschenrechtsschutz
1.1.5 Institutionalisierung der Menschenrechte und humanitäre Intervention
1.2 Der Rechtscharakter der Menschenrechte
2. Die humanitäre Intervention im Völkerrecht
2.1 Völkerrechtliche Grundlagen und Probleme
2.1.1 Das Gewaltverbot (Art. 2.4SVN)
2.1.2 Das Interventionsverbot (Art. 2.7 SVN)
2.2 Die humanitäre Intervention ohne Mandat des Sicherheitsrats
2.2.1 Lex lata
2.2.2 Lex ferenda
2.2.2.1 Die Zielsetzung der humanitären Intervention und ihr Verhältnis zum Gewaltverbot
2.2.2.2 Nothilfe auf Basis des Artikels 51 SVN
2.2.2.3 Humanitäre Intervention im „failed state“
2.2.2.4 Neubewertung der Chartaziele
2.2.3 Die gewohnheitsrechtliche Geltung
2.2.3.1 Die Staatenpraxis
2.2.3.2 Die opinio iuris
2.2.4 Zwischenfazit
2.3 Die humanitäre Intervention durch den Sicherheitsrat
2.4 Kriterien für eine humanitäre Intervention
3.Fazit
4. Literaturverzeichnis
„Wer das Problem der humanitären Intervention nicht auch und in erster Linie als ein eben humanitäres akzeptiert, von dem ist auch jene sittliche Disposition nicht zu erwarten , die eine Vorraussetzung für die Beantwortung der Rechtsfrage nach Zulässigkeit und Gebotenheit der humanitären Intervention ist“[1].
Die humanitäre Intervention gehört zu den umstrittensten Rechtsfiguren des Völkerrechts und der internationalen Politik seit dem Ende des kalten Krieges. Speziell seit der Nato-Intervention im Kosovo, die ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vonstatten ging, wird darüber diskutiert, ob, und wenn, unter welchen Bedingungen eine humanitäre Intervention völkerrechtlich zulässig und moralisch vertretbar bzw. unbedingt angebracht ist. Fakt ist, dass weder die UN-Charta, noch andere völkerrechtlich relevante Verträge das Rechtsinstitut der humanitären Intervention kennen. Die politische Praxis während der 90er Jahre mit humanitären Interventionen im Irak, Somalia, Haiti, Ruanda, Ost-Timor und dem Kosovo verdeutlicht den Regelungsbedarf hinsichtlich einer klaren völkerrechtlichen Klärung. Die Quadratur des Kreises besteht dabei darin, das bestehende positive Völkerecht in Einklang mit den ethischen Ansprüchen in der Diskussion zu bringen. Befürworter der humanitären Intervention argumentieren hauptsächlich mit dem gestiegenen Status der Menschenrechte, der eine militärische Intervention als letztes Mittel der Politik bei einer Verletzung grundlegender menschenrechtlicher Normen begründet. Somit handelt es sich im Kern um ein Problem zwischen (juridischer) Legalität und (moralischer) Legitimität[2].
Der Schwerpunkt dieser Hausarbeit soll auf dem ersten Punkt liegen. Die ethische Komponente soll nicht gänzlich ausgegliedert werden, jedoch soll in erster Linie die rechtliche und nicht die moralphilosophische Problematik behandelt werden. Die Struktur der Arbeit orientiert sich an der grundlegenden normativen Güterabwägung[3] der Debatte: der Frage nach der Kompabilität bzw. dem Vorrang des Rechtsguts Frieden und dem (in diesem Kontext) im Spannungsverhältnis stehenden Ziel des universalen Menschenrechtsschutzes. Letzterem soll der erste Abschnitt der Arbeit gewidmet werden. Hierbei wird sowohl knapp auf die Institutionalisierung der Menschenrechte im System der Vereinten Nationen eingegangen, als auch auf die grundlegende Frage nach den Besonderheiten, dem spezifischen Rechtscharakter der Menschenrechte. Ziel soll es sein, auf die gewachsene Relevanz des Menschenrechtsschutzes hinzuweisen, der, der Argumentation der Befürworter der humanitären Intervention nach, eine neue Interpretation einiger grundlegender Prinzipien der UN-Charta erfordert. Die einschlägigen Normen, die eine humanitäre Intervention bis jetzt verbieten[4], sind das Gewaltverbot (Art. 2.4 SVN) und das Interventionsverbot (Art. 2.7 SVN). Beide sollen auf ihren rechtlichen Gehalt und ihre Ausnahmen hin untersucht werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob oder in wie weit sich die Rechtsfigur der humanitären Intervention in die Dogmatik einfügen lässt, ohne den Kerngehalt der Gebote zu konterkarieren. Nach der vertragsrechtlichen Begutachtung soll eine mögliche gewohnheitsrechtliche Geltung geprüft werden.
In einem letzten Schritt untersuche ich die Kriterien, nach deren Ablauf eine humanitäre Intervention von statten gehen muss. Hierbei lasse ich die Frage der prinzipiellen völkerrechtlichen Legalität außer acht. Selbst prominente Völkerrechtler argumentieren dafür, einen angenommenen Bruch des Rechtes moralisch zu legitimieren. So sprach etwa Bruno Simma von der humanitären Intervention als „lässliche Sünde“[5]. Selbst für den Fall, dass sich ein Teil der Staatengemeinschaft möglicherweise über das (aktuelle) Recht setzt, ist es somit auch für eine rechtlich unzulässige Intervention unabdingbar, einem Kriterienkatalog zu folgen, damit eine Intervention zumindest moralisch legitimiert, dem Primat der Humanität verpflichtet, abläuft.
1. Die Menschenrechte als Schutzgut der humanitären Intervention
1.1 Die Institutionalisierung der Menschenrechte im VN-System
1.1.1 Die Charta der Vereinten Nationen
Bereits in der UNO-Charta wird auf die herausragende Stellung der Menschenrechte eingegangen. In der Präambel wird auf die Überzeugung des Glaubens „an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit“[6] als normative Grundlage der Charta verwiesen. Dies verdeutlicht, dass die Idee der Menschenrechte eine konstitutive Grundlage der Charta ist, auch wenn ein konkreter Katalog von Menschenrechten fehlt.
1.1.2 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt als die wichtigste Rechtsquelle des internationalen Menschenrechtschutzes. Aufgrund politischer Differenzen zwischen den politischen Lagern des Westens und des sozialistischen Ostens[7] während der Entstehungsphase nach dem zweiten Weltkrieg war es nur möglich, sich auf eine „allgemeine Erklärung“ statt, wie eigentlich intendiert, auf einen völkerrechtlichen Vertrag, zu einigen. Der materielle Gehalt der Allgemeinen Erklärung lässt sich in drei verschiedene Gruppen von Rechten unterteilen:
I. Die liberalen Freiheitsrechte
Sie sind normiert in den Artikeln 3-19. Zu ihnen zählen grundlegende negative Freiheitsrechte, wie etwa das Recht auf Leben und persönliche Freiheit (Art.3 AEdM), Verbot von Folter ( Art.5 AEdM) und Sklaverei (Art. 4 AEdM) sowie rechtliche Verfahrensgrundsätze wie zum Beispiel der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.10 AEdM).
II. Die politischen Mitwirkungsrechte
Eine zweite Gruppe von Rechten bilden die politischen Mitwirkungsrechte, auch (als Verweis auf Hannah Arendts Freiheitsbegriff) republikanische Freiheitsrechte genannt. Sie finden ihren Ausdruck in den Artikeln 20 und 21 der Allgemeinen Erklärung, mit denen die Versammlungsfreiheit und das allgemeine gleiche Wahlrecht geschützt werden.
III. Soziale und kulturelle Rechte
Bei diesen Rechten handelt es sich bestimmte Grundansprüche, die jeder Mensch an seinen Staat stellen kann. Hierzu zu zählen sind etwa das Recht auf Arbeit (Art.23 AEdM), Recht auf Freizeit (Art.24 AEdM), sowie das Recht auf soziale Betreuung (Art. 26 AEdM). Die rechtliche Problematik dieser Art von Rechten, die einer sozialistischen Menschenrechtskonzeption entspringen, ist die Frage nach ihrer Justiziabilität. Da speziell soziale Rechte ressourcenabhängig sind, ist es nicht möglich, sie gegenüber jedem Staat einzuklagen.
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, obwohl sie vertragsrechtlich unverbindlich ist, eine enorme internationale Wirkung erzielt hat. Sowohl viele spätere völkerrechtliche Bestimmungen zum Menschenrechtsschutz, als auch ein Großteil der nationalen Verfassungen vieler Staaten orientierten sich an den Rechtsgrundsätzen der Allgemeinen Erklärung.
1.1.3 Die Menschenrechtspakte
Als nächsten Schritt zu einer effektiven Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes galt es nun, die Grundsätze der Allgemeinen Erklärung vertragsrechtlich zu normieren, die allgemein gehaltenen Prinzipien zu präzisieren und Instrumente zu ihrer Überwachung einzurichten. Aufgrund politischer Spannungen zwischen den Lagern des kalten Krieges beschloss man, den Vertrag über die Menschenrechte zu spalten. Nach einer langen Zeit der Verhandlung über die Inhalte nahm die Generalversammlung 1966 die Entwürfe für den so genannten Zivilpakt[8] und den Sozialpakt[9] an. Die Menschenrechtsnormen orientieren sich an den Grundprinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, teilweise wurden sie jedoch durch neue Rechte ergänzt oder bestehende Rechte konkretisiert. Zur Erreichung der Einhaltung der völkerrechtlichen Verträge hat man drei Instrumente eingeführt:
I. Die Individualbeschwerde[10]
Die Individualbeschwerde erlaubt es Individuen, ihren Staat zu verklagen, wenn bestimmte Zulässigkeitsbedingungen ihrer Klage erfüllt sind. Das Besondere an diesem Verfahren ist, dass der Einzelmensch nun unter gegebenen Umständen zu einem partiellen Völkerrechtssubjekt wird und der staatliche Souveränitätspanzer durchbrochen wird. Relativiert wird das Instrument durch die rein schriftliche Form des Verfahrens und das „Urteil“ des zuständigen Menschenrechtsausschusses, das den Status einer Empfehlung an den Staat hat und keine unmittelbare rechtliche Wirkung erzielt. Das Individualbeschwerdeverfahren ist nur beim Zivilpakt zulässig.
[...]
[1] In: Köck S.28
[2] Vgl. Preuß
[3] Vgl. hierzu auch Pfeil
[4] In wie weit sie dies wirklich tun soll im Laufe der Arbeit noch untersucht werden. In jedem Fall repräsentiert die Aussage aber die herrschende völkerrechtliche Lehrmeinung zum Thema
[5] In: SZ-Interview mit Bruno Simma, abgedruckt in: Lutz, S.289
[6] In: Charta der Vereinten Nationen, in: Völkerrechtliche Verträge
[7] Vgl. Opitz
[8] Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
[9] Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
[10] Nach dem 1.Fakultativprotokoll zum Zivilpakt
- Arbeit zitieren
- Malte Nelles (Autor:in), 2004, Die humanitäre Intervention - Entwicklung einer neuen Rechtsfigur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43412
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