Seit über 40 Jahren existiert innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft - nunmehr Union - eine emotionsgeladene Debatte darüber, ob der Türkei die volle EU-Mitgliedschaft gewährt werden soll. Die wohl meistdiskutiertesten Themen von Befürwortern und Gegnern einer Mitgliedschaft sind die Debatte über die Historie, die Diskussion über die geographische Lage, der Diskurs über geostrategische und sicherheitspolitische Aspekte, die Erörterung von innenpolitischen Faktoren, die Kontroverse über religiöse Einflüsse sowie die Abwägung von wirtschaftlichen Nutzen und Kosten.
Diese Arbeit soll sich insbesondere dem letztgenannten Diskussionspunkt zuwenden, indem anhand der IB-Theorie des Institutionalismus versucht wird, das Vorgehen der Türkei in ihrer EU-Politik zu erklären.
Diese Arbeit beginnt mit der Erläuterung des Institutionalismus von Nye und Keohane als IB-theoretischen Hintergrund. Zunächst wird die Interdependenz vorgestellt, die von der wirtschaftlichen Abhängigkeit kooperierender Staaten handelt. Im Anschluss wird die Regimetheorie präsentiert, die zumeist als Konsequenz aus der Interdependenz entsteht. Danach wird die EU-Politik der Türkei chronologisch, immer einem gleichen Handlungsstrang folgend (euphorischer Antrag auf EU-Mitgliedschaft, Auflagen der EU, Enttäuschung, trotzdem Reformen, neuer euphorischer Versuch), in vier Phasen aufgeteilt, nämlich vom Antrag auf assoziierte Mitgliedschaft 1959, über die Bewerbung auf Vollmitgliedschaft 1987 und der Enttäuschung nach der Zollunion 1995, bis zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien ab 1993. Im Rahmen der Interdependenz wird versucht werden, das Vorgehen der Türkei in Phase I und II zu erklären, für Phase III und IV wird die Regimetheorie herangezogen. Darauf soll anschließend eine Diskussion folgen, inwieweit der Institutionalismus die Vorgehensweise der Türkei zutreffend erklären kann, und inwiefern Defizite im Rahmen dieser IB-Theorie festgestellt werden können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Theoretischer Hintergrund Institutionalismus
1.1. Interdependenz
1.2. Regimetheorie
2. Anwendung der IB-Theorie Institutionalismus auf die Empirie
2.1. Phase 1 1959 – 1980: Die Antragstellung auf assoziierte Mitgliedschaft
2.2. Phase 2 1980 – 1995: Die Bewerbung auf Vollmitgliedschaft
2.3. Phase 3 1995 – 1999: Die Enttäuschung nach der Zollunion
2.4. Phase 4 1999 – 2004: Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien
3. Diskussion: Wie geeignet ist die IB-Theorie des Institutionalismus zur Erklärung dieser Empirie
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Seit über 40 Jahren existiert innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft - nunmehr Union - eine emotionsgeladene Debatte darüber, ob der Türkei die volle EU-Mitgliedschaft gewährt werden soll. Die wohl meistdiskutiertesten Themen von Befürwortern und Gegnern einer Mitgliedschaft sind die Debatte über die Historie, die Diskussion über die geographische Lage, der Diskurs über geostrategische und sicherheitspolitische Aspekte, die Erörterung von innenpolitischen Faktoren, die Kontroverse über religiöse Einflüsse sowie die Abwägung von wirtschaftlichen Nutzen und Kosten.
Diese Arbeit soll sich insbesondere dem letztgenannten Diskussionspunkt zuwenden, indem anhand der IB-Theorie des Institutionalismus versucht wird, das Vorgehen der Türkei in ihrer EU-Politik zu erklären.
Diese Arbeit beginnt mit der Erläuterung des Institutionalismus von Nye und Keohane als IB-theoretischen Hintergrund. Zunächst wird die Interdependenz vorgestellt, die von der wirtschaftlichen Abhängigkeit kooperierender Staaten handelt. Im Anschluss wird die Regimetheorie präsentiert, die zumeist als Konsequenz aus der Interdependenz entsteht. Danach wird die EU-Politik der Türkei chronologisch, immer einem gleichen Handlungsstrang folgend (euphorischer Antrag auf EU-Mitgliedschaft, Auflagen der EU, Enttäuschung, trotzdem Reformen, neuer euphorischer Versuch), in vier Phasen aufgeteilt, nämlich vom Antrag auf assoziierte Mitgliedschaft 1959, über die Bewerbung auf Vollmitgliedschaft 1987 und der Enttäuschung nach der Zollunion 1995, bis zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien ab 1993. Im Rahmen der Interdependenz wird versucht werden, das Vorgehen der Türkei in Phase I und II zu erklären, für Phase III und IV wird die Regimetheorie herangezogen. Darauf soll anschließend eine Diskussion folgen, inwieweit der Institutionalismus die Vorgehensweise der Türkei zutreffend erklären kann, und inwiefern Defizite im Rahmen dieser IB-Theorie festgestellt werden können.
1. Theoretischer Hintergrund Institutionalismus
1.1. Interdependenz
Nicht nur durch die Ölkrisen rückten in den 1970er Jahren ökonomische und ökologische Problemstellungen in den Mittelpunkt der internationalen Politik. Robert O. Keohane und Joseph S. Nye nahmen sich dieser Problematik an, und beschäftigten sich mit einer konkreten Bestimmung von Interdependenzen. Für sie ist die einfachste Definition für Interdependenz gegenseitige Dependenz, also eine wechselseitige Abhängigkeit, deren wesentliche Beeinflussung durch externe Kräfte erfolgt. Bezogen auf die Weltpolitik, geht es um Staaten oder Akteure dieser Staaten, deren Effekte aus internationalen Transaktionen (Geld, Güter, Personen und Nachrichten) in zigfacher Weise über internationale Grenzen hinweg verlaufen. Diese Verflechtung allein macht allerdings noch keine Interdependenz aus, erst die daraus verursachten Kosten und Zwänge. Wenn Interaktionen wechselseitige Kostenwirkungen erzeugen - die nicht notwendigerweise symmetrisch sein müssen - liegt Interdependenz vor.[1]
Dabei können kostspielige Effekte direkt und absichtlich sein (beispielsweise die amerikanisch-sowjetische strategische Interdependenz), oder unabsichtlich (in einem Bündnissystem, internationales Wirtschaftssystem).
Interdependenz bedeutet nicht immer einen Vorteil für beide Seiten, denn sie beschränkt zwangsläufig einzelstaatliche Autonomie, ohne im Voraus benennen zu können, ob der Nutzen einer Beziehung deren Kosten übersteigt. Kosten und Nutzen lassen sich auf zwei Weisen berechnen, zum einen als gemeinsamer Gewinn der Beteiligten, zum anderen als relativen Gewinn. Bei letzterer geht es zumeist um eine konfliktreiche Aufteilung der Gewinne untereinander.
Interdependenz ist nur in den allerseltensten Fällen eine ausbalancierte 50–zu-50 Abhängigkeit zwischen zwei Partnern oder eine völlige Dependenz einer Seite. Die meisten Beziehungen sind asymmetrisch und bewegen sich zwischen diesen Extremen. Sie bieten den Kern für den politischen Verhandlungsprozess der Interdependenz. Eine Seite ist meist dependenter, daraus ergeben sich für die andere Seite in der Beziehung Einflussmöglichkeiten und Macht, die sich fallweise gleich auf andere Problemfelder auswirken kann.
Macht selbst kann als Fähigkeit gesehen werden, den anderen zu etwas zu bringen, was er sonst nicht tun würde. Ferner kann sie auch als Fähigkeit zur Einflussnahme auf das Ergebnis von Beziehungen gesehen werden. Man kann auf Machtressourcen zu Beginn schauen, oder auf den tatsächlichen Einfluss auf die Ergebnisse. Asymmetrische Interdependenz als Machtquelle kann in beiden Fällen vorliegen. Die Macht resultiert daraus, Veränderungen androhen zu können, die für einen weniger kostspielig sind, doch bringen politische Vorteile nicht die Garantie für ein entsprechendes Ergebnis. Potentiale in Resultate umzusetzen geschieht beim politischen Verhandeln, und hier geht viel vom Potential verloren.
Man unterscheidet Macht im Rahmen der Interdependenz durch die Begriffe Empfindlichkeit und Verwundbarkeit.
Unter Empfindlichkeit versteht man den Grad der Reaktionsfähigkeit innerhalb eines gegeben politischen Rahmens, die Frage also wie rasch Veränderungen in einem Land kostspielige Effekte in einem anderen hervorrufen, und wie groß diese sind. Hierzu zählen nicht nur die Transaktionen, sondern auch Verschiebungen auf Gesellschaft oder Regierung. Dass der politische Rahmen unverändert bleibt ist eine Vorraussetzung, der durch innenpolitische oder internationale Regeln festgelegt wurde und somit eine kontinuierliche Politik ermöglicht. So erklärt sich indes auch die Schwierigkeit einer Neuformulierung der politischen Strategie.
Als Beispiel können die Ölpreissteigerungen Anfang der ’70er Jahre angeführt werden, bei der die USA interdependenz-empfindlich waren – jedoch weniger empfindlich als Japan, da ihr Importanteil an Öl vom gesamten Energieaufkommen her weniger betrug. Die Empfindlichkeit zeigte sich durch Preissteigerungen und Warteschlangen an Tankstellen. Empfindlichkeit kann sozialer (Bsp.: radikale Studentenbewegungen), politischer und ökonomischer Natur sein, sie bedeutet raschen kostspieligen äußeren Einwirkungen unterworfen zu sein, bevor man durch einen Wechsel der politischen Strategie versuchen kann, die Lage zu verändern. Empfindlichkeit ist nur dann Basis für bedeutsamen Einfluss, wenn die bestehenden Regeln und Normen als unveränderlich akzeptiert werden, oder wenn es für den mit der Lage unzufriedenen Staat sehr kostspielig wäre, seine Politik rasch zu verändern.
Bedeutsamer ist allerdings die Verwundbarkeit. Sie wird definiert durch die Verfügbarkeit und Kostspieligkeit von Alternativen, dass heißt der Frage nachzugehen, ob Möglichkeiten gegeben sind, den politische Rahmen zu ändern, und wie hoch deren Anschaffungs- und Umstellungskosten sind. Die Ölkrise der ’70er Jahre als Beispiel wieder aufgegriffen, stellte sich die Frage nach Alternativen zum Erdöl als Energieressource und deren Kosten. Interdependenz-verwundbar ist ein Akteur, wenn er selbst dann noch große Kosten zu tragen hat, nachdem die Politik verändert wurde. Durch ein weniger verwundbar-sein können in gewisser Weise die Spielregeln der Beziehung festgelegt werden.
Asymmetrische Interdependenzen sind also die Quellen der Macht zwischen Akteuren, die auf transnationale Akteure und Regierungen als auch auf zwischenstaatliche Beziehungen angewandt werden können. Benachteiligt ein Regelsystem einen Akteur, wird dieser versuchen die Regeln zu ändern, wenn dies zu vertretbaren Kosten möglich ist. Der Einfluss von günstigen Asymmetrien der Empfindlichkeit ist begrenzt, wenn die Asymmetrien der Verwundbarkeit ungünstig aussehen. Folglich könnte ein wirtschaftlich stark verwundbarer Staat militärische Gewalt anwenden, wie Japan im Jahre 1941 gegen die Embargomaßnahmen der USA, nur sind die Kosten eines Krieges nunmehr sehr hoch, so dass diese Option als nicht mehr lohnend angesehen wird.
[...]
[1] Nach Keohane, Robert O. / Nye, Joseph S.: Macht und Interdependenz, in: Kaiser, Karl / Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Weltpolitik, Bonn 1985, S. 74 – 88.
- Arbeit zitieren
- Daniel Michel (Autor:in), 2005, Die EU-Politik der Türkei aus Sicht des Institutionalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43173
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