"Ein Verb ist ein Wiewort, zum Beispiel wie alt ist er - 11 Jahre". Diese, auch im Titel dieser Arbeit angeführte, Antwort eines Viertklässlers auf die Frage "Was ist ein Verb?" lässt vermuten, dass es um das sprachliche Wissen von Schülern am Ende der Grundschule schlecht bestellt ist. Betrachtet man jedoch die Erklärung des Schülers etwas genauer, so steckt doch einiges an Wissen darin: Gut, der Schüler hat scheinbar die Wortarten Verb und Adjektiv vertauscht, doch die Aussage dass ein Adjektiv ein Wiewort ist, wie er es formuliert, ist so vermutlich in der Mehrzahl von Sprachbüchern aufzufinden. In diesem Zusammenhang konnte er sich wohl auch noch an die dazugehörige Fragetechnik erinnern, die ebenfalls in den meisten Lehrwerken für die Grundschule zu finden ist. Diese hat er dann nach bestem Wissen und Gewissen auf sein Beispiel angewandt und was dabei herauskam, das ist in den ersten Zeilen dieser Einleitung zu lesen: Der Eindruck, dass der Schüler so ziemlich alles falsch gemacht hat, was man falsch machen kann.
Die Frage, die sich aus dieser kleinen Analyse der Schüleräußerung ergibt, kann nicht mehr lauten: Was hat der Schüler falsch gemacht, denn er hat die ihm in der Schule vermittelten Wissensbestände angewandt, die so in vielen aktuellen Sprachbüchern und damit auch im Unterricht vermittelt werden. Vielmehr muss die Frage lauten: Was hat die Schule hier falsch gemacht? Wie kann es dazu kommen, dass Schüler im unterrichtlichen Kontext ein derart diffuses sprachliches Wissen aufbauen, das ihnen in der konkreten Problemsituation keine korrekte Lösung ermöglicht?
Das Ziel dieser Arbeit ist es, das sprachliche Wissen von Schülern am Übergang in die weiterführenden Schulen umfassend zu erheben. Das heißt, dass insbesondere die verschiedenen Wissensarten und deren Zusammenspiel im Sinne von Wissen, Können und Bewusstheit im Mittelpunkt stehen. Zudem soll geklärt werden, wie es im schulischen Kontext zu dem vorhandenen bzw. nicht vorhandenen sprachlichen Wissen kommen kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Zielsetzung
1.2 Vorgehen und Gliederung
1.3 Forschungsstand
1.3.1 Wissenspsychologie
1.3.2 Sprachliches Wissen zu den Wortarten/ zum Verb
1.3.3 Zusammenfassung
2. Sprachliches Wissen
2.1 Was ist überhaupt Wissen? – Ein Exkurs in die Wissenspsychologie
2.1.1 Deklaratives Wissen
2.1.2 Problemlösewissen
2.1.3 Prozedurales Wissen
2.1.4 Metakognitives Wissen
2.2 Eine Definition – sprachliches Wissen
2.2.1 Deklaratives Sprachwissen
2.2.2 Sprachliches Problemlösewissen
2.2.3 Prozedurales Sprachwissen
2.2.4 Metakognitives Sprachwissen
2.3 Entwicklung sprachlichen Wissens
2.3.1 Im einsprachigen Kontext
2.3.2 Im mehrsprachigen Kontext
2.4 Notwendigkeit sprachlichen Wissens
3. Kompetenzmodelle und –auffassungen des Deutschunterrichts
3.1 Sprachliche Kompetenz nach Steinig und Huneke
3.2 Sprachliche Kompetenzauffassung der DESI-Studie
3.3 Kompetenzmodell für den Deutschunterricht nach Jakob Ossner
3.4 Fazit
4. Das Verb
4.1 Linguistische Betrachtung
4.1.1 Morphologische Betrachtung
4.1.2 Semantische Betrachtung
4.1.3 Syntaktische Betrachtung
4.2 Fachdidaktische Betrachtung
4.3 Unterrichtsrealität
4.3.1 Curriculare Vorgaben
4.3.1.1 Nationale Bildungsstandards
4.3.1.2 Bildungsplan Grundschule BW 2004
4.3.2 Sprachbücher
4.4 Einordung des Verbs in das Kompetenzmodell nach Ossner
5. Zusammenfassung
6. Forschungsdesign der quantitativen Erhebung
6.1 Anlage der empirischen Erhebung
6.1.1 Stichprobe
6.1.1.1 Ein bürokratischer Exkurs
6.1.1.2 Die endgültige Stichprobe
6.1.2 Datenformat
6.1.2.1 Test
6.1.2.2 Note
6.2 Methodisches Vorgehen
6.2.1 Datenerhebung
6.2.1.1 Test
6.2.1.2 Note
6.2.2 Datenaufbereitung
6.2.2.1 Test
6.2.2.2 Note
6.2.3 Datenauswertung
6.2.4 Gütekriterien
7. Ergebnisse der quantitativen Erhebung
7.1 Deklaratives sprachliches Wissen
7.2 Sprachliches Problemlösewissen
7.3 Typenbildung
7.4 Zusammenfassung und Diskussion
8. Forschungsdesign der qualitativen Einzelfallstudien
8.1 Anlage der Einzelfallstudien
8.1.1 Fallauswahl
8.1.2 Datenformat
8.1.2.1 Test
8.1.2.2 Schülertext
8.1.2.3 Interview
8.2 Methodisches Vorgehen
8.2.1 Datenerhebung
8.2.1.1 Test
8.2.1.2 Schülertext
8.2.1.3 Interview
8.2.2 Datenaufbereitung
8.2.2.1 Test
8.2.2.2 Schülertext
8.2.2.3 Interview
8.2.3 Datenauswertung
8.2.3.1 Test
8.2.3.2 Schülertext
8.2.3.3 Interview
8.2.4 Gütekriterien
9. Ergebnisse der qualitativen Einzelfallstudien
9.1 Fall A
9.2 Fall B
9.3 Fall C
9.4 Fall D
9.5 Fall E
9.6 Fall F
10. Schluss
10.1 Zusammenführung und Diskussion der Ergebnisse
10.2 Beantwortung der Forschungsfragen
10.3 Gütekriterien und Aussagekraft
10.4 Ausblick
11. Literatur
12. Anhang
12.1 Formulare zu den Erhebungen
12.1.1 Informationsbrief an die Erziehungsberechtigten
12.1.2 Einwilligungserklärung und Bestimmung zum Datenschutz
12.2 Erhebung der Deutschnote aus Klasse 4
12.3 Test
12.3.1 Testkonstrukt mit Auswertungshinweisen
12.3.2 Schülertest
12.3.3 Kodierleitfaden
12.4 Statistische Auswertung von Test und Note
12.4.1 Häufigkeiten
12.4.1.1 Gültige und fehlende Werte
12.4.1.2 Sozialstatistische Merkmale der Stichprobe
12.4.1.3 Testergebnisse und Note Stichprobe insgesamt
12.4.1.4 Testergebnisse nach spezifischen Gruppen
12.4.2 Interkorrelationstabelle
12.5 Ausführliche Tabellen zur Fallauswahl nach Schularten
12.6 Schülertest Fall A - Fall F
12.6.1 Fall A
12.6.2 Fall B
12.6.3 Fall C
12.6.4 Fall D
12.6.5 Fall E
12.6.6 Fall F
12.7 Schülertexterhebung
12.7.1 Schreibimpuls
12.7.2 Schülertexte
12.7.2.1 Fall A
12.7.2.2 Fall B
12.7.2.3 Fall C
12.7.2.4 Fall D
12.7.2.5 Fall E
12.7.2.6 Fall F
12.7.3 Schülertextanalyse
12.7.3.1 Fall A
12.7.3.2 Fall B
12.7.3.3 Fall C
12.7.3.4 Fall D
12.7.3.5 Fall E
12.7.3.6 Fall F
12.8 Interviewerhebung
12.8.1 Interviewleitfaden
12.8.2 Interviewimpuls
12.8.3 Transkripte
12.8.3.1 Fall A
12.8.3.1 Fall B
12.8.3.3 Fall C
12.8.3.4 Fall D
12.8.3.5 Fall E
12.8.3.6 Fall F
12.8.4 Auswertung - Qualitative Inhaltsanalysen
12.8.4.1 Fall A
12.8.4.2 Fall B
12.8.4.3 Fall C
12.8.4.4 Fall D
12.8.4.5 Fall E
12.8.4.6 Fall F
12.9 Belege der Internetquellen
Vorwort
Sprache und damit auch sprachliches Wissen bildet in der heutigen Gesellschaft eine Schlüsselkompetenz. Nicht zuletzt im Bildungsplan 2004 für die Grundschulen in Baden-Württemberg wird dies anhand der Aufgabenzuschreibung deutlich: Die Fähigkeit der Kinder sich in der Standardsprache zu verständigen und zu lernen, ist ein zentrales Anliegen der Grundschule. Darin wird die Doppelfunktion der Sprache deutlich: Zum einen stellt sie im Deutschunterricht den Unterrichtsgegenstand dar, zum anderen ist sie jedoch in jeder Art von Unterricht auch zugleich das Kommunikationsmedium und damit die fundamentale Grundlage für Bildungsprozesse überhaupt.
Die Kritik an den sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen nimmt seit der PISA Studie 2000 kein Ende. Diese anhaltende Kritik sowie ein Seminar mit Forschungsschwerpunkt an der PH Ludwigsburg unter Leitung von Frau jun. Prof. Mesch haben mich zu dem Thema meiner Masterarbeit bewogen.
Die beiden sich ergänzenden Forschungsfragen ergaben sich wiederum aus meiner Studienbiografie:
Die noch blauäugige angehende Bildungsforscherin in mir interessierte sich natürlich zunächst für den Istzustand, das heißt das vorhandene sprachliche Wissen der Schüler, das anhand einer möglichst großen Stichprobe in einer breit angelegten Studie erhoben werden sollte[1].
Die angehende Lehrerin in mir hingegen konnte sich mit einer bloßen Erhebung des Istzustandes nicht zufrieden geben und legte den Fokus auf die Frage, wo angesetzt werden muss, um allen Schülern ein umfassendes sprachliches Wissen zu ermöglichen? Wie kann Sprache und das dazugehörige Wissen nachhaltig an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben werden.
Schließlich soll eine fruchtbare Kombination beider Forschungsfragen und eine Zusammenführung der methodischen Vorgehensweisen in der vorliegenden Arbeit beiden Aspekten gerecht werden und gleichzeitig deren gegenseitige gewinnbringende Einflüsse berücksichtigen.
Ich danke Herrn Jeuk und Herrn Schäfer für die tatkräftige Begleitung auf meinem Weg durch das Lehramts- und Masterstudium sowie für ihre (meist wortwörtlich) stets offene Tür. Außerdem bedanke ich mich bei allen am Forschungsvorhaben beteiligten Rektoren, Lehrerkollegen, Eltern und natürlich vor allem den Schülern, die durch ihre freiwillige Bereitschaft zur Teilnahme und ihre Offenheit dem Forschungsvorhaben gegenüber, das Ganze erst möglich gemacht haben.
Zu guter Letzt danke ich meinem Lebensgefährten, meiner Familie und meinen Freunden, die mich in der durchaus stressigen Zeit der Doppelbelastung, zu Beginn von Studium und Masterarbeit und insbesondere zuletzt von Masterarbeit und Referendariat, bereitwillig ertragen und in jeglicher Art und Weise unterstützt haben.
Kochertürn, 10. April 2014 Evelyn Wink
Anmerkung:
Wird im Folgenden dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet, gilt dieses nicht geschlechterspezifisch, sondern schließt sowohl weibliche als auch männliche Personen mit ein.
1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Zielsetzung
Ein Verb ist ein Wiewort, zum Beispiel wie alt ist er - 11 Jahre
Die, auch im Titel dieser Arbeit angeführte, Antwort eines Viertklässlers auf die Frage Was ist ein Verb? lässt vermuten, dass es um das sprachliche Wissen [2] von Schülern am Ende der Grundschule schlecht bestellt ist. Betrachtet man jedoch die Erklärung des Schülers etwas genauer, so steckt doch einiges an Wissen darin:
Gut, der Schüler hat scheinbar die Wortarten Verb und Adjektiv vertauscht, doch die Aussage dass ein Adjektiv ein Wiewort ist, wie er es formuliert, ist so vermutlich in der Mehrzahl von Sprachbüchern aufzufinden. In diesem Zusammenhang konnte er sich wohl auch noch an die dazugehörige Fragetechnik erinnern, die ebenfalls in den meisten Lehrwerken für die Grundschule zu finden ist. Diese hat er dann nach bestem Wissen und Gewissen auf sein Beispiel angewandt und was dabei herauskam, das ist in den ersten Zeilen dieser Einleitung zu lesen: Der Eindruck, dass der Schüler so ziemlich alles falsch gemacht hat, was man falsch machen kann.
Die Frage, die sich aus dieser kleinen Analyse der Schüleräußerung ergibt, kann nicht mehr lauten: Was hat der Schüler falsch gemacht, denn er hat die ihm in der Schule vermittelten Wissensbestände angewandt, die so in vielen aktuellen Sprachbüchern und damit auch im Unterricht vermittelt werden. Vielmehr muss die Frage lauten: Was hat die Schule hier falsch gemacht? Wie kann es dazu kommen, dass Schüler im unterrichtlichen Kontext ein derart diffuses sprachliches Wissen aufbauen, das ihnen in der konkreten Problemsituation keine korrekte Lösung ermöglicht?
Laut dem Bildungsplan für die Grundschule in Baden Württemberg 2004 (vgl. MKJS 2004) und den allgemeinen Bildungsstandards für das Fach Deutsch der Kultusministerkonferenz (vgl. KMK 2005) sollen Schüler am Ende der Grundschulzeit über ein gewisses Maß an sprachlichem Wissen verfügen. Zu diesem sprachlichen Wissen zählt unter anderem die grundsätzliche Beherrschung der Standardsprache in Wort und Schrift, die Kenntnis und sinnvolle Nutzung von Fachbegriffen (Nomen, Artikel, Verb, Adjektiv, etc.) sowie die Anwendung von Verfahren zum Nachweis von semantischen und grammatischen Regelmäßigkeiten (vgl. MKJS 2004: 42ff; KMK 2005: 13f).
Das Ziel dieser Arbeit ist es, das sprachliche Wissen von Schülern am Übergang in die weiterführenden Schulen umfassend zu erheben. Das heißt, dass insbesondere die verschiedenen Wissensarten und deren Zusammenspiel im Sinne von Wissen, Können und Bewusstheit im Mittelpunkt stehen. Zudem soll geklärt werden, wie es im schulischen Kontext zu dem vorhandenen bzw. nicht vorhandenen sprachlichen Wissen kommen kann.
1.2 Vorgehen und Gliederung
Da eine umfassende theoretische Aufarbeitung und Erhebung des gesamten sprachlichen Wissens der Schüler am Ende von Klasse 4 nahezu unmöglich erscheint und zudem den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem übersteigen würde, wird eine exemplarische Reduktion auf einen zentralen Themenbereich des Deutschunterrichts der Grundschule vorgenommen: Das Verb.
Das Verb lässt sich nicht in einer Klassenstufe und schon gar nicht in einer Unterrichtseinheit abhandeln. Es bestimmt die ganze Schulzeit hindurch den Grammatikunterricht. (Granzow-Emden 2013:80)
Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Dabei wird in ersterem eine fundierte wissenschaftliche Grundlage geschaffen, auf der aufbauend die Struktur und das Vorgehen der empirischen Studie nachvollzogen werden kann.
Im theoretischen Teil der Arbeit werden zunächst wichtige Begrifflichkeiten, Modelle und theoretische Hintergründe, die für die Nachvollziehbarkeit, das Verständnis und die Interpretation der nachfolgenden Studien unabdingbar sind, dargelegt.
Zu Beginn wird anhand eines kleinen wissenspsychologischen Exkurses eine grundlegende Definition des Wissensbegriffs vorgenommen. Erst daraus ableitend kann der Begriff des Sprachlichen Wissens definiert werden, der den folgenden Ausführungen in dieser Arbeit zugrunde gelegt wird. Daran anschließend werden Annahmen zum Erwerb und der Entwicklung sprachlichen Wissens, sowohl im muttersprachlichen, als auch im mehrsprachigen Kontext, dargelegt, bevor auf die Bedeutung des sprachlichen Wissens für sprachliches Lernen und Bildungsprozesse allgemein eingegangen wird. Im Anschluss werden verschiedene fachdidaktische Auffassungen und Modelle sprachlichen Wissens und sprachlicher Kompetenz dargelegt, wobei ein Schwerpunkt auf dem Modell nach Ossner (2008) liegt, das der folgenden Ausarbeitung der Studie zugrunde gelegt wird.
Die notwendige Reduktion des Untersuchungsgegenstandes Sprachliches Wissen auf einen exemplarischen Teilbereich ermöglicht wiederum eine ausführliche und durchdringende Betrachtung des ausgewählten Phänomens Verb. Dieses wird in einzelnen Unterkapiteln aus verschiedenen Perspektiven analysiert. So wird zunächst eine linguistische Analyse durchgeführt, bevor eine fachdidaktische Betrachtung und Einordnung in ein Kompetenzmodell vorgenommen wird.
Man muß [sic!] nur einen Blick auf die Lehrpläne werfen und auf das, was den Schülern viel direkter vor Augen steht und den Unterricht viel mehr bestimmen kann als die Lehrpläne, nämlich die Lehrmittel, die Sprachbücher. (Glinz 1973: 395)
Eine Einschätzung der Unterrichtsrealität wird in Anlehnung an Glinz mithilfe der Analyse der curricularen Vorgaben des Bildungsplans und der Nationalen Bildungsstandards sowie durch die Untersuchung von Sprachbüchern hinsichtlich des ausgewählten Phänomens Verb angestrebt.
Nach der theoretischen Aufarbeitung folgt der zweite, empirische Teil dieser Arbeit. Dieser umfasst eine quantitative Vorstudie sowie daran anschließende qualitative Einzelfallstudien. Dieses Vorgehen der Kombination quantitativer und qualitativer Methoden entspricht dem Vertiefungsmodell. Hierbei wird zunächst eine quantitative und daran anschließend eine qualitative Erhebung zur Interpretationshilfe und Vertiefung der quantitativ gewonnenen Daten durchgeführt (vgl. Gläser-Zikuda u.a. 2012: 8).
Beide Erhebungen haben aufgrund des bisher wenig untersuchten Forschungsgebiets (siehe 1.3) explorativen Charakter. Das jeweilige Forschungsdesign und die Ergebnisse der Studien werden dabei ausführlich dargelegt.
Die quantitative Studie dient einer ersten groben Beantwortung der Forschungsfrage und der Auswahl von Probanden für die nachfolgende qualitative Betrachtung von Einzelfällen. Diese sollen ein genaueres Bild einzelner Aspekte der verschiedenen Wissensarten und damit eine differenziertere Aussage über das vorhandene sprachliche Wissen der Schüler ermöglichen.
Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Studien zusammengeführt sowie eine umfassende Beantwortung der Forschungsfragen vor dem theoretischen Hintergrund angestrebt. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse diskutiert und unter Einbezug der Gütekriterien bewertet. Abschließend wird ein Ausblick hinsichtlich sich aus dieser Arbeit ergebender, neuer Forschungsfragen und sich eröffnender Forschungsfelder auf dem Gebiet des sprachlichen Wissens gegeben.
1.3 Forschungsstand
1.3.1 Wissenspsychologie
In der Psychologie des Wissenserwerbs gilt die Existenz verschiedener Wissensarten im Allgemeinen als nachgewiesen (vgl. Madl/Friedrich/Hron 1993: 145). Die Wissensarten werden anhand verschiedener unabhängiger Studien in unterschiedlichen Bereichen übereinstimmend belegt und können allgemein unter den Begriffen: Faktenwissen, Können und Bewusstheit zusammengefasst werden (vgl. Mand l/Friedrich/Hron 1993; Mandl/Gerstenmaier 2000). Auch über den Erwerb der verschiedenen Wissensarten und deren Abhängigkeit untereinander liegen empirische Erkenntnisse vor (vgl. Renkl 2009: 4ff), die im Rahmen des Exkurses zur Wissenspsychologie (siehe 2.1) dargelegt werden. Untersuchungen der Wissensarten in sprachlichen Bereichen gibt es bisher jedoch nur wenige. Die wissenspsychologische Forschung beschränkt sich weitgehend auf Beobachtungen in anderen Feldern. Ein Grund dafür könnte die Komplexität, die lernpsychologische Ausnahmeposition und vor allem die Rolle der Sprache einerseits als Untersuchungsgegenstand, andererseits als notwendiges Medium zur Kommunikation sein. Diese Tatsachen machen die Sprache und das dazugehörige Wissen zu keinem leicht greifbaren Untersuchungsgegenstand.
1.3.2 Sprachliches Wissen zu den Wortarten/ zum Verb
Die wenigen vorliegenden Studien zu sprachlichem Wissen von Claus Schulze in der DDR (1966), Spies (1989), Funke (1995, 2005) sowie Mesch und Dammert (2014) in Deutschland kommen einheitlich zu dem Ergebnis, dass sie das sprachliche Wissen von Schülern hinsichtlich der Wortarten insgesamt und im Spezifischen zum Verb als unzureichend bewerten, wobei im Folgenden geklärt werden soll, wie sie zu diesem Eindruck gelangen.
Kilcher-Hagedorn u.a. (1966) stellen in ihrer Untersuchung fest, dass Schüler der Klassen 2-6 aus Wörterlisten Nomen vor Verben und Adjektiven am zuverlässigsten identifizieren können. Dies führen die Autoren auf den Grammatikunterricht zurück, der scheinbar nicht in der Lage sei vergleichbar klare Kriterien für das Verb und das Adjektiv wie für das Nomen zu vermitteln (vgl. Kilcher-Hagedorn u.a. 1966: 127). Funke gelangt in seinen Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen: Die Schwierigkeitshierarchie beim expliziten Erkennen von Wortarten in Wortlisten durch Schüler verläuft vom Nomen über das Vollverb zum Hilfsverb. Funke betrachtet zudem einen umso interessanteren Punkt, indem er auch herausstellt, dass bei eher impliziten Aufgaben die Schwierigkeitshierarchie genau umgekehrt, also vom Hilfsverb über das Vollverb zum Nomen verläuft (vgl. Funke 1995: 432). Dies macht deutlich, dass je nach Zugriffsweise, die die Aufgabenstellung verlangt (explizit/implizit), unterschiedliche Wissensarten aktiviert werden, die scheinbar verschieden ausgeprägt sind (vgl. Funke 1995: 430ff; Funke 2005: 302f).
Die qualitative Untersuchung nach Spies (1989), bei der Äußerungen von Schülern aus einer 3. Klasse zur Wortartenzuordnung analysiert werden, stellt eine klare Kritik an der semantisch orientierten Wortartenklassifikation in der Grundschule dar, die zu Fehlvorstellungen und damit auch zu Fehlklassifizierungen auf Seiten der Schüler führt (vgl. Spies 1989: 84f). Äußerungen der Schüler wie:
‚Wolken‘ ist kein Namenwort, weil die ja über den Himmel laufen tun.
‚Helfen‘ ist kein Tunwort, weil der das noch nicht kann.
‚Betreten‘ ist ein Tunwort, weil man das tun kann, auf manchen Wiesen jedenfalls.
(Spies 1989:83)
sind dabei keine Seltenheit und verdeutlichen die Problematik der semantischen Wortartenbestimmung (siehe 4.2.2).
Mesch und Dammert (2014) zeigen in einer ersten Pilotstudie zum verbalen Wissen von Schülern in Klasse 4 auf, dass die verschiedenen sprachlichen Wissensarten (siehe 2.2) sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, wodurch eine Kluft zwischen Wissen und Können entsteht.
Das instruktiv zur Verfügung gestellte limitierte (explizite) Wissen deckt sich nicht mit dem (impliziten) über innere Regelbildungsprozesse abgeleiteten, generierten Wissen […]. (Mesch/Dammert 2014)
1.3.3 Zusammenfassung
Zusammenfassend belegen die bisherigen Forschungsergebnisse, dass sich das sprachliche Wissen aus verschiedenen Wissensarten zusammensetzt, die unterschiedlich, teilweise geradezu diametral, ausgeprägt sein können. Die Untersuchungen legen dabei alle den Schluss nahe, dass die Schüler meist mehr können, als sie eigentlich wissen (siehe 1.3.1 und 1.3.2).
Aus heutiger Sicht ist ein Teil der genannten Studien kritisch zu sehen, da es sich um relativ alte Untersuchungen handelt (1966-1995), die mit einer völlig anderen Konzeption des Unterrichts einhergehen[3]. Trotz dieser Kritik kommen jedoch auch die beiden aktuellen Studien zu keinen wesentlich anderen Ergebnissen, was darauf hindeutet, dass die Problematik bei der Vermittlung und Entwicklung sprachlichen Wissens im schulischen Kontext nicht an der oberflächlichen Struktur von Unterricht liegt, sondern vielmehr fundamentaler Natur ist.
Teil I: Theoretischer Hintergrund
2. Sprachliches Wissen
Da es sich bei dem Ausdruck Sprachliches Wissen nicht um einen generell eindeutig definierten Begriff, sondern um ein Konstrukt handelt, muss eine Definition des Begriffs vorgenommen werden, der dieser Arbeit im Weiteren zugrunde gelegt wird. Dieser Definition wird ein kleiner wissenspsychologischer Exkurs vorangestellt, um grundlegend die Frage zu klären, was im Kontext dieser Arbeit unter Wissen verstanden wird. Anschließend an die begrifflichen Definitionen wird die Entwicklung sprachlichen Wissens im einsprachigen und mehrsprachigen Kontext erläutert, bevor abschließend auf die allgemeine Notwendigkeit sprachlichen Wissens für Bildungsprozesse eingegangen und damit die Brisanz dieses Themas verdeutlicht wird.
2.1 Was ist überhaupt Wissen? – Ein Exkurs in die Wissenspsychologie
Entgegen des alltäglichen Verständnisses von Wissen, das meist als reines Faktenwissen im Sinne des deklarativen Wissens aufgefasst wird, umfasst der psychologische Wissensbegriff zusätzlich Wissen über Strategien zur Problemlösung (Problemlösewissen), das Wissen, das psychomotorischen und kognitiven Fertigkeiten zugrunde liegt (prozedurales Wissen) und metakognitives Wissen, das der Reflexion über das eigene Wissen und Handeln dient (vgl. Mandl/ Friedrich/ Hron 1993: 145). In welchen Dimensionen die verschiedenen Arten von Wissen münden, beschreibt Ryle in der Unterscheidung von knowing that und knowing how, der grundlegenden Unterscheidung von Wissen und Können (Ryle 1978: 15). Während prozedurales und Problemlösewissen in Können münden, werden deklaratives und metakognitives Wissen dem eigentlichen Wissen zugeschrieben, wobei das metakognitive Wissen dabei als Bewusstheit nochmals eine Sonderstellung einnimmt (vgl. Ryle 1978: 30).
In der tabellarischen Darstellung (siehe Tab. 1) werden die Wissensarten anhand ihrer wesentlichen Merkmale für einen ersten Überblick zusammengefasst, bevor sie im Folgenden, jeweils anhand von Beispielen, kurz erläutert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Überblick Wissensarten (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993; Ossner 2006: 33)
2.1.1 Deklaratives Wissen
Fahrrad, das zweirädriges Fahrzeug, dessen Räder hintereinander angeordnet sind und das durch treten der Pedale angetrieben wird (Duden 2014)
Je schneller ein Fahrrad rollt, desto schwerer ist es zum Kippen zu bringen. Im Stand wird es, mit nur zwei Auflagepunkten und hohem Schwerpunkt, sofort umfallen – in Bewegung hingegen helfen sein Aufbau und das dynamische Gleichgewicht das Rad zu stabilisieren. (Saße 2007)
Deklaratives Wissen umfasst, ganz im Sinne der obigen exemplarischen Ausführungen zum Fahrrad, Faktenwissen über Gegenstände, Personen und Ereignisse sowie Wissen über komplexe Zusammenhänge wie beispielsweise physikalische Gesetze oder auch die Ursachen der Erderwaärmung. Dieses Wissen wird in aktiven Konstruktionsprozessen erworben und muss mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft werden, damit es im Gedächtnis Bestand hat. Es ist dem Lerner bewusst und damit meist leicht zugänglich und verbalisierbar. Ein umfangreiches deklaratives Wissen über Sachverhalte gilt als Voraussetzung für darauf aufbauende Denk- und Problemlöseprozesse (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 146ff).
2.1.2 Problemlösewissen
Von einem Problem wird gesprochen, wenn ein Individuum ein Ziel hat, allerdings nicht weiß, wie es dieses erreichen soll. Im Rahmen des Problemlöseprozesses wird auf mentale Prozesse zurückgegriffen, die das vorhandene unvollständige Wissen verwenden, um Lösungswege zu finden. Dieser Prozess beruht auf verfügbarem Sachwissen und dem Einsatz entsprechender Problemlösestrategien. ( Mandl/Friedrich/Hron 1993: 191)
Im Rahmen des im vorigen Kapitel verwendeten Fahrradbeispiels kann man als auftretendes Problem ein Loch im Fahrradreifen annehmen, das zwar mit dem vorhandenen Flickwerkzeug geklebt werden könnte, doch das Auffinden des kleinen Lochs mit bloßem Auge stellt das eigentliche Problem dar. Ein Fahrradexperte würde als inhaltsspezifische Lösungsstrategie in diesem Fall den Schlauch unter Wasser halten und die Luft herauspressen, bis er das Loch, aus dem dann Blasen aufsteigen, gefunden hat. Er wendet somit eine spezifisch für diesen Wissensbereich ausgebildete Strategie an. Wenn es sich um einen Laien handelt, kann dieser sein Allgemeinwissen über das Aufsteigen von Luftblasen unter Wasser situationsspezifisch einsetzen und damit neu zu einer Strategie verknüpfen.
Aus dem Beispiel geht hervor, dass Problemlösestrategien ohne jegliches Vorwissen unmöglich erscheinen. Je nach Spezifizierung des Problems ist mindestens ein gewisses Maß an strukturiertem deklarativem Vorwissen erforderlich, das im Rahmen des Problemlöseprozesses umorganisiert und neuartig verknüpft werden kann (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 196ff).
2.1.3 Prozedurales Wissen
Prozedurales Wissen steuert die Fertigkeitsausführung und ist in der Regel nicht bewusst, man denke etwa an das Wissen, das einen befähigt, Fahrrad zu fahren […]. (Mandl/Friedrich/Hron 1993:173)
In Anlehnung an das Beispiel des Fahrrads entspricht das prozedurale Wissen in diesem Fall der Fertigkeit Fahrradfahren zu können, ohne sich ständig die einzelnen Handlungsabläufe währenddessen bewusst zu machen. In diesem Zusammenhang wird auch häufig von automatisierten Prozeduren gesprochen. Diese beschränken sich jedoch nicht nur auf psychomotorische Fähigkeiten, sondern finden auch bei kognitiven Fertigkeiten statt. Ein spezifisches Moment von Fertigkeiten besteht darin, dass sie durch anhaltende Übung verbessert werden können und damit immer stärker automatisiert werden, bis schließlich immer weniger Aufmerksamkeit notwendig ist, um die Fertigkeit auszuführen (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 173f; Renkl 2009: 6). Grundlegend lässt sich das Erlernen einer Fertigkeit in drei Phasen einteilen (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 177f):
1. Der Lerner erwirbt zunächst deklaratives Wissen im Sinne eines Wissens über den genauen Ablauf der Fertigkeit.
2. Durch Übung wird eine Prozedur für die Fertigkeitsausführung ausgebildet, das heißt, das deklarative Wissen wird in eine prozedurale Form überführt, dieser Prozess wird als Wissenskompilation bezeichnet.
3. Durch anhaltendes Üben wird die Fertigkeitsausübung immer weiter verfeinert und schließlich automatisiert, sodass das deklarative Wissen, das zu Beginn das Handeln gesteuert hat, vollständig zurücktritt, bis es schließlich nicht mehr ohne gleichzeitige Handlungsausführung verbalisiert werden kann.
2.1.4 Metakognitives Wissen
Unter metakognitivem Wissen versteht man das Wissen über Wissen, welches eng an die Reflexion eigener Handlungen und Lernprozesse gebunden ist. Dazu zählt zum einen das Wissen über die eigenen kognitiven Prozesse und Zustände und zum anderen das Wissen über Aufgaben und kognitive Strategien (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 210; Renkl 2009: 5f).
Im Rahmen des Fahrradbeispiels bedeutet das Wissen über die eigenen kognitiven Prozesse beispielsweise, dass der Fahrradfahrer sich selbst, hinsichtlich seiner handwerklichen Fähigkeiten was Fahrräder angeht, korrekt einschätzen kann und auf dieser Grundlage weitere Entscheidungen bezüglich der Reparatur trifft. Das Wissen über die Aufgabe hängt in diesem Beispiel davon ab, ob der Fahrer schon einmal in einer ähnlichen Situation war und in diesem Zusammenhang Wissen über die Aufgabe, vor die er gestellt ist, erworben hat. Das Wissen über Strategien beruht schließlich darauf, ob der Fahrradfahrer die Strategie des „Lochsuchens unter Wasser“ schon einmal mit Erfolg angewandt hat und sie somit nun gezielt einsetzen kann.
2.2 Eine Definition – sprachliches Wissen
Nach der im vorherigen Kapitel allgemeinen Erläuterung des zugrunde liegende Wissensbegriffs, wird nun im Folgenden eine Spezifizierung dessen in Hinsicht auf die deutsche Sprache vorgenommen und damit die grundlegende Definition sprachlichen Wissens dieser Arbeit festgelegt.
Was erwartet man an Fähigkeiten und Fertigkeiten auf einem Gebiet? Jemand soll auf einem Gebiet
- etwas wissen,
- auftretende Probleme lösen können,
- über Prozeduren der Handlungsausführungen verfügen,
- sein Können einschätzen können. (Ossner 2010: 144)
In Anlehnung an Mandl, Friedrich und Hron (1993) sowie Ossner (2010; 2008) umfasst auch sprachliches Wissen alle vier Wissensarten: deklaratives, prozedurales, metakognitives und Problemlösewissen (siehe 2.1.1 – 2.1.4). Die Wissensarten hängen dabei eng miteinander zusammen und können nur gemeinsam ein umfassendes sprachliches Wissen ermöglichen (vgl. Ossner 2008: 32).
In der tabellarischen Übersicht sind die verschiedenen Arten des sprachlichen Wissens jeweils mit Beispielen dargestellt. Zusätzlich erfolgt anschließend eine kurze Erläuterung in Hinblick auf den schulischen Kontext.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Sprachliches Wissen – Übersicht (vgl. Ossner 2008: 33)
2.2.1 Deklaratives Sprachwissen
Wörter wie malen, schreiben, bellen heißen Verben. Mit Verben kann man sagen, was jemand tut. In der Grundform haben Verben meistens die Endung –en: malen, schreiben, bellen. (Menzel 2010: 112)
Deklaratives Sprachwissen umfasst alles explizit formulierbare Wissen über sprachliche Sachverhalte. Im schulischen Kontext zählen dazu insbesondere Definitionen, Merksätze und Regeln (vgl. Ossner 2008: 33f).
2.2.2 Sprachliches Problemlösewissen
Vielfältige Aufgaben von der Lehrperson, in Sprachbüchern und Arbeitsheften stellen Schüler tagtäglich vor Probleme, die sie lösen sollen. Dazu benötigen sie inhaltsspezifisches Problemlösewissen in Hinblick auf die deutsche Sprache. Dieses umfasst Strategien, anhand derer die Aufgaben gelöst werden können. Sollen die Schüler beispielsweise Verben in einem vorgegebenen Text unterstreichen, müssen sie, um die Aufgabe korrekt lösen zu können, Strategien kennen und anwenden, anhand derer Verben identifiziert werden können (vgl. Ossner 33f).
2.2.3 Prozedurales Sprachwissen
Sprecher bilden täglich korrekte Wortformen und Sätze. Das legt nahe, dass ihnen umfangreiche Kenntnisse sprachlicher Regularitäten zu Gebote stehen. Sie vermögen diese aber nicht zu nutzen, wenn sie Fragen über sprachliche Konstruktionen beantworten sollen. (Andresen/Funke 2006: 439)
Erstere Fähigkeit, Wörter und Sätze korrekt zu formulieren, entspricht einem Sprachkönnen, dem prozeduralen Sprachwissen nach Mandl, Friedrich und Hron (1993). Dieses umfasst implizites Wissen, eine Art von Wissen, das für kognitive Operationen nicht verfügbar und somit grundsätzlich unbewusst ist. Diese Tatsache erklärt auch, wie im obigen Zitat beschrieben, warum Personen zwar eine Sprache korrekt beherrschen, jedoch Fragen zu grammatischen Konstruktionen oder Regeln eben dieser Sprache nicht beantworten können.
2.2.4 Metakognitives Sprachwissen
Metakognitives Sprachwissen wird im Folgenden strikt vom ähnlich lautenden Begriff des metasprachlichen Wissens abgegrenzt. Während metasprachliches Wissen, das explizite Wissen über die Sprache beschreibt (vgl. Bredel 2007: 25ff) und damit in die Bereiche des deklarativen und sprachlichen Problemlösewissens fällt, meint metakognitives Sprachwissen einen völlig anderen Sachverhalt nämlich das Wissen über Wissen (siehe 2.1.4). Hierbei geht es darum, dass die Schüler ihr eigenes Handeln und Vorgehen im sprachlichen Kontext reflektieren können und damit ihr Denken und Handeln zum Gegenstand des eigenen Denkens machen können. Dadurch kann die Effizienz von Lernstrategien eingeschätzt werden und eigene Stärken und Schwächen werden erkannt, Erkenntnisse, die in nachfolgenden Lernprozessen berücksichtigt werden können (vgl. Ossner 2008: 33).
2.3 Entwicklung sprachlichen Wissens
Lernen ist ein Entwicklungsvorgang. (Ossner 2010: 149)
Wie unter 2.2 dargestellt, setzt sich das sprachliche Wissen aus verschiedenen Wissensarten zusammen. Diese folgen in ihrer Entwicklung unterschiedlichen Verläufen und verlangen verschiedene Voraussetzungen, sodass sie anhand verschiedener Prozesse im schulischen und außerschulischen Kontext erworben und erlernt werden. Zudem kann die Tatsache, ob ein Kind Deutsch als Erst- oder Zweitsprache[4] lernt, erheblichen Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Deshalb wird zunächst eine Aufarbeitung der Entwicklung sprachlichen Wissens im einsprachigen Kontext vorgenommen, bevor anschließend auf Besonderheiten und Probleme hingewiesen wird, die im mehrsprachigen Kontext auftreten können. Des Weiteren wird insbesondere Bezug auf Entwicklungen im schulischen Umfeld genommen, da eine umfassende Aufarbeitung aller Erwerbsentwicklungen nahezu unmöglich ist und im Kontext dieser Arbeit, die ihren Schwerpunkt auf den schulischen Wissenserwerb legt, auch nicht notwendig erscheint.
2.3.1 Im einsprachigen Kontext
Wir alle sind mehr oder weniger nach der Maxime erzogen worden: Erst Bescheid wissen dann handeln. In diesem Sinne wird auch vielfach im Deutschunterricht, besonders im Sprachunterricht verfahren. (Eisenberg/Klotz 1993: 5)
Eine Besonderheit des Deutschunterrichts ist jedoch genau das Gegenteil: Kinder sind bei Schuleintritt keine sprachlich unbeschriebenen Blätter, sondern bringen eine Reihe von sprachlichen Kompetenzen bereits mit. So beherrschen sie im Normalfall mit sechs Jahren ihre Sprache und können handelnd mit ihr umgehen, bevor sie etwas explizit über sie wissen (vgl. Eisenberg/Klotz 1993: 5). Diese besondere Ausgangssituation muss auch in den Aneignungsprozessen der verschiedenen Wissensformen berücksichtigt werden.
Deklaratives Sprachwissen
Der Erwerb von deklarativem Wissen wird in kognitionstheoretischen Ansätzen als aktiver Konstruktionsprozess aufgefasst. Das bedeutet, dass der Lerner neues Wissen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen muss, damit das neue Wissen nachhaltig im Langzeitgedächtnis gespeichert werden kann. Ist keine Integration des neuen Wissens in das Vorwissen möglich, so kann das neue Wissen nicht gespeichert werden. Das Vorwissen nimmt bei der aktiven Aneignung deklarativen Wissens also eine entscheidende Rolle ein (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 147f).
In Hinsicht auf sprachliches deklaratives Wissen bedeutet dies, dass Sachwissen über die Sprache an das angeknüpft werden muss, was bereits vorhanden ist: Die konkrete Sprache der Kinder und deren Vorstellungen über Sprache, auch wenn es sich dabei um Fehlvorstellungen handelt. Die Entwicklung deklarativen Sprachwissens kann nur über grundlegende Orientierung an der bereits vorhandenen Sprache und dem Vorwissen über diese erfolgen. Der Weg hierbei muss also vom konkreten Sprachkönnen zum abstrakten deklarativen Sprachwissen führen.
Sprachliches Problemlösewissen
Problemlösewissen basiert allgemein auf vorhandenem Sachwissen und prozeduralem Wissen über die zu bewältigende Situation sowie mentalen Operationen, die es ermöglichen das vorhandene Wissen so anzuwenden oder umzuorganisieren, dass ein Lösungsweg gefunden werden kann (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993:191).
Speziell für den sprachlichen Bereich bedeutet dies, dass Schüler aufgrund ihres prozeduralen Könnens häufig Probleme spontan lösen können. Eine Entscheidung, ob ein Satz grammatisch korrekt oder falsch ist, treffen Schüler somit rasch und meist korrekt, der Lösungsprozess ist ihnen jedoch nicht bewusst und sie können somit keine echten Problemlösestrategien zum Transfer ableiten. Das bedeutet, dass dieses prozedural basierte Problemlösewissen an eine Situation gebunden ist und dass es nicht explizit begründet werden kann. Dies entspricht dem, was allgemeinhin unter Sprachgefühl verstanden wird (vgl. KMK 2005: 9).
Basiert das Problemlösewissen dahingegen auch auf deklarativem Wissen und wird aktiv konstruiert, kann die Problemlösestrategie expliziert und damit auch für andere Situationen abgeleitet werden. Problemlösestrategien, die also unter anderem auf deklarativem Wissen über Sprache und sprachlichen Operationen fußen, ermöglichen die Entwicklung eines umfassenden und kontextunabhängigen sprachlichen Problemlösewissens.
Prozedurales Sprachwissen
Der Spracherwerb bildet eine Ausnahme bei der Entwicklung prozeduralen Wissens. So sind die Entwicklungsphasen prozeduralen Wissens nach Mandl, Friedrich und Hron (siehe 2.1) nicht auf den kindlichen Erstspracherwerb übertragbar. Der frühkindliche Spracherwerb kommt ohne anfängliche enkodierte Formen von Informationen aus und mündet trotzdem in einem prozeduralen Sprachwissen, das es den Kindern beim Schuleintritt erlaubt ihre Sprache ohne große Anstrengung weitgehend fehlerfrei zu gebrauchen (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 178).
Betrachtet man jedoch die Entwicklung prozeduralen Wissens im schulischen Kontext, so kann man hierbei durchaus die unter 2.1 dargestellten Entwicklungsstufen annehmen. So wird beispielsweise das motorische Schreiben in Klasse 1 anhand expliziter Instruktionen, also deklarativem Wissen, vermittelt (1.Stufe). Das Schreiben erfordert dabei in Klasse 1 und auch 2 noch erhebliche Aufmerksamkeit der Schüler auf einzelne Buchstaben und muss fortwährend geübt werden. Am Ende von Klasse 2 läuft das motorische Schreiben durch das beharrliche Üben flüssiger ab (Stufe 2), sodass die Regeln nicht mehr permanent vergegenwärtigt werden müssen. Das heißt, es hat eine Wissenskompilation stattgefunden (siehe 2.1.3). In Klasse 3, also nach 2 bis 3 Jahren permanenter Übung, ist das motorische Schreiben durch Prozesse der Generalisierung[5] und Diskriminierung[6] weitgehend automatisiert (Stufe 3), sodass Aufmerksamkeitsressourcen unter anderem für weitere Prozesse wie das Rechtschreiben frei werden. Diese Prozesse werden nun auch zunächst wieder über deklarative Wissensformen gespeichert und allmählich durch anhaltende Übung automatisiert.
Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass schulische Entwicklungen prozeduralen Sprachwissens den unter 2.1.3 dargestellten Entwicklungsstufen folgen.
Eine Besonderheit stellen Prozesse der Bewusstmachung bereits implizit prozedural vorhandenen Wissens dar. Wie bereits erwähnt, kommen Kinder nicht als sprachliche „tabula rasa“ in die Schule, sie haben bereits umfassende sprachliche Kompetenzen, die ihnen jedoch nicht bewusst zugänglich sind. So können Schüler beispielsweise die unregelmäßige Präteritumbildung des starken Verbs gehen meist korrekt bilden. Wird nun im Unterricht die Aufmerksamkeit auf die regelmäßige Präteritumbildung der schwachen Verben gelenkt und deklaratives Wissen dazu erworben, kann es zu einer Übergeneralisierung kommen, das heißt, die Regel wird auch auf Ausnahmen angewandt, in diesem Fall würde ein Kind also statt wie bisher unbewusst korrekt ich ging – ich gehte bilden. Erst nach einer erfolgten Diskriminierung (Stufe 2) wird das Präteritum wieder weitgehend unbewusst korrekt gebildet. Das heißt, man kann davon sprechen, dass das unbewusste prozedurale Wissen über eine deklarative bewusste Form wieder in ein mehrheitlich unbewusstes prozedurales Wissen überführt wird, das jedoch als gehaltvoller als zuvor eingestuft werden kann, da es expliziert werden kann und damit auch steuerbar ist (vgl. Ossner 2007: 137f, U-Kurve des Lernens).
Metakognitives Sprachwissen
Kinder sind laut Studien von Flavell (1979) ab einem Alter von ca. sechs Jahren allgemein dazu in der Lage ihr Denken zum Gegenstand des eigenen Nachdenkens zu machen. Damit das metakognitive Wissen im sprachlichen Bereich die Aufgabe eines Monitors übernehmen kann, der das Lernen überwacht, steuert und damit optimiert, muss die Reflexion des eigenen Denkens erlernt werden. Dies gelingt im Sinne von learning by doing, das heißt, die Schüler müssen im Unterricht zur Reflexion des eigenen Handelns und Denkens angeregt werden. Nur durch kleinschrittige Reflexionsphasen können Kinder so ein metakognitives Wissen hinsichtlich ihrer sprachlichen Kompetenz entwickeln (vgl. Ossner 2007: 138f). Dazu empfiehlt Ossner (2007: 139) für den Deutschunterricht folgende Leitfragen:
- Was haben wir bislang getan?
- Wie kann ich mich in dem Thema verorten?
- Welche Fehler und Irrwege unterlaufen mir?
- Welche Lösungen helfen mir?
2.3.2 Im mehrsprachigen Kontext
Laut dem Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache haben momentan ca. ein Drittel aller Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund - Tendenz steigend (vgl. Baumann/Becker-Mrotzek 2014: 9). Eine Vielzahl dieser Schüler erwirbt in diesem Zusammenhang die deutsche Sprache als Zweitsprache, was nicht zwangsläufig Probleme mit sich bringen muss. Betrachtet man jedoch die PISA-Ergebnisse 2012 zur Lesekompetenz, erreichen Schüler mit Migrationshintergrund rund 44 Punkte weniger als ihre gleichaltrigen Mitschüler ohne Migrationshintergrund. Dieser Abstand entspricht in etwa einem Schuljahr (vgl. Prenzel u.a. 2013: 242).
Im Folgenden werden Probleme, die bei der Entwicklung der einzelnen sprachlichen Wissensarten aufgrund von fehlenden Deutschkenntnissen auftreten können, dargelegt. Sie werden aus den Erkenntnissen über die Entwicklung im einsprachigen Kontext (siehe 2.3.1) abgeleitet.
Deklaratives Sprachwissen
Wie unter 2.3.1 beschrieben, handelt es sich bei der Entwicklung deklarativen Wissens um einen aktiven Konstruktionsprozess, der darauf angewiesen ist, dass das neue Wissen in bereits bestehende Wissensstrukturen integriert werden kann, ansonsten kann es nicht nachhaltig im Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Bei einsprachigen, wie auch bei mehrsprachigen Kindern sind diese Anhaltspunkte das vorhandene Sprachkönnen und die bereits bestehenden Vorstellungen über die Sprache. Bei mehrsprachigen Kindern, die die deutsche Sprache nicht vollständig beherrschen, kann es sein, dass das notwendige Vorwissen, an das angeknüpft werden soll, nicht vorhanden bzw. nur unzureichend ausgebildet ist. Des Weiteren ist eine Nutzung der Erstsprache und deren Strukturen als Anknüpfungspunkt meist aufgrund der unzureichenden Kenntnisse der Lehrperson über die Erstsprache nicht möglich. Durch fehlendes Sprachkönnen kann der Entwicklung sprachlichen deklarativen Wissens die Grundlage genommen werden, sodass punktuell erhebliche Probleme auftreten können.
Sprachliches Problemlösewissen
Das Sprachgefühl, das Schüler mit der Erstsprache Deutsch sozusagen nebenbei erwerben, kann Schülern mit weniger guten Deutschkenntnissen fehlen, das heißt, spontane unbewusste Formen des Problemlösens sind so nicht möglich. Des Weiteren können sich die angeführten Probleme bei der Entwicklung deklarativen Wissens auf die Entwicklung von Problemlösewissen übertragen, denn unzureichendes grundlegendes deklaratives Sprachwissen bietet keinen Ausgangspunkt für die Entwicklung von Problemlösestrategien, auch wenn eventuell allgemeine sprachübergreifende Problemlösekompetenzen vorhanden sind: Ohne Wolle kann man nicht stricken, auch wenn man weiß, wie es eigentlich funktioniert.
Prozedurales Sprachwissen
Auch bei dieser Wissensdimension können erstgenannte Probleme bei der Entwicklung deklarativen sprachlichen Wissens wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung automatisierter Prozeduren stören. Wenn das deklarative Wissen nicht gefestigt ist, kann es zu keiner Automatisierung kommen.
Metakognitives Sprachwissen
In der Entwicklung metakognitiven Sprachwissens können unzureichende Sprachkenntnisse in der Zweitsprache Deutsch dazu führen, dass eine Reflexion in der Erstsprache durchgeführt wird, dann aber Probleme bei der expliziten Verbalisierung in der Zweitsprache auftreten.
2.4 Notwendigkeit sprachlichen Wissens
Sprache in all ihren Facetten, sei es mündlich oder schriftlich, gilt spätestens seit dem PISA-Schock 2000 als Schlüssel zu Bildung. Und gewinnt in diesem Zusammenhang auch immer mehr Beachtung (vgl. Fried 2007: 656).
Sprache, im Besonderen die jeweilige Muttersprache, ist das bedeutendste Medium im Unterricht. Daher kommt ihr in Lehr-Lernprozessen die zentrale Rolle zu. Sie ist im schulischen Kontext einerseits Medium aller Unterrichtsfächer und andererseits Gegenstand der Aneignung in bestimmten Unterrichtsfächern. (Felder 2006: 42)
Diese Sprache, die Sprache des Unterrichts und der Schule, ist nicht irgendeine Form von Sprache, es ist eine elaborierte Bildungssprache, eine akademisch schriftlich orientierte Sprache. Im Gegensatz zur alltäglichen Kommunikationssprache zeichnet sie sich durch weitaus komplexere Strukturen und Kontextungebundenheit aus. Elemente, die ein umfassendes sprachliches Wissen auf allen Ebenen erfordern (vgl. Fried 2009: 36f). Cummins unterscheidet in diesem Zusammenhang BICS – basic interpersonal communicative skills als grundlegende Kommunikationsfähigkeit und CALP – cognitive akademic language proficiency als akademische Bildungssprache (vgl. Cummins 2000).
Diese Funktion der akademischen Bildungssprache als Grundlage für jegliches Lernen macht sprachliches Wissen, im Sinne eines umfassenden Wissens, wie es unter 2.2 dargelegt wird, unverzichtbar. Diese Erkenntnis wird auch im Bildungsplan für die Grundschule in Baden-Württemberg 2004 in den Leitgedanken zum Deutschunterricht deutlich:
Die Fähigkeit der Kinder sich in der Standardsprache zu verständigen und zu lernen, ist ein zentrales Anliegen der Grundschule. (MKJS 2004: 42)
3. Kompetenzmodelle und –auffassungen des Deutschunterrichts
Die Kompetenzdefinition nach Weinert (2001: 27), die den Bildungsstandards und den Bildungsplänen in Deutschland zugrunde gelegt wird, deckt sich weitgehend mit dem hier verwendeten Begriff des sprachlichen Wissens. Im Folgenden werden darum verschiedene bestehende Kompetenzmodelle für den Deutschunterricht vorgestellt und hinsichtlich ihrer Eignung für die Grundlegung des nachfolgenden empirischen Teils diskutiert und bewertet. Da für die Studie eine Reduktion auf das exemplarische Thema Verb vorgenommen wird, werden insbesondere die Aussagen zum Arbeitsbereich Sprachbewusstsein entwickeln bzw. Sprache und Sprachgebrauch untersuchen berücksichtigt, dem das Verb zugeteilt wird (vgl. KMK 2005: 9f; MKJS 2004: 52).
Abschließend wird im Fazit eine begründete Festlegung auf eines der Modelle als Grundlage für die nachfolgende Studie vorgenommen.
3.1 Sprachliche Kompetenz nach Steinig und Huneke
Steinig und Huneke (2007) gehen in einem Unterkapitel der Frage nach, was im Allgemeinen unter sprachlichen Kompetenzen verstanden werden kann. Dabei beziehen sie sich zunächst deskriptiv auf Beobachtungen des bestehenden Unterrichts, die nahe legen, dass dem prozeduralen, impliziten sprachlichen Können (siehe 2.2.3) ein weitaus größerer Raum im Unterricht gegeben wird als dem deklarativen, expliziten Sprachwissen (siehe 2.2.1). In einem zweiten Schritt wird jedoch betont, dass sprachliches Können nicht ohne sprachliches Wissen möglich sei, insbesondere dann, wenn über fremde Texte oder sprachliche Phänomene reflektiert werden soll. Eine weitere Konkretisierung anhand der Arbeitsbereiche des Deutschunterrichts oder exemplarischen Verweisen wird nicht vorgenommen. Abschließend werden die Einstellungen und Haltungen, die Schüler beim Kompetenzerwerb entwickeln, angemerkt und deren Berücksichtigung im Zusammenhang mit sprachlicher Vielfalt gefordert (vgl. Steinig/Huneke 2007: 38).
Insgesamt nehmen Steinig und Huneke eher eine grobe Zweiteilung der sprachlichen Kompetenz in implizites Können und explizites Wissen vor, die nicht näher ausdifferenziert wird. Ein konkretes Modell von Sprachkompetenz wird in den Ausführungen nicht präsentiert und kann auch aus den teilweise sehr vage und knapp gehaltenen allgemeinen Aussagen nur bedingt abgeleitet werden, weshalb die Eignung dieser Kompetenzauffassung für die empirische Studie bezweifelt wird.
3.2 Sprachliche Kompetenzauffassung der DESI-Studie
Die DESI[7] -Studie formuliert im Rahmen einer umfassenden Untersuchung des Deutschunterrichts im Schuljahr 2003/2004 für die Teilbereiche des Deutschunterrichts wissenschaftlich fundierte Kompetenzmodelle. Die Kompetenzen werden für die einzelnen Teilbereiche differenziert formuliert, da nach Willenberg eine allumfassende Sprachkompetenz nur schwer greifbar und beschreibbar ist (vgl. Willenberg 2007: 5ff).
Die Kompetenzauffassung zum Arbeitsbereich Sprachbewusstsein (Eichler 2007: 124) unterliegt hierbei einer Dreiteilung in:
- unbewusster Sprachbesitz, automatisiertes sprachliches Können
- prozedurale Sprachbewusstheit, als innere analytische Tätigkeit und analytisch orientierte Regelfindung
- explizite Sprachbewusstheit, Metakommunikation
Unter unbewusstem Sprachbesitz wird das implizite automatisierte Sprachkönnen verstanden. Im strengen Gegensatz dazu bezeichnet explizite Sprachbewusstheit die formulierbaren Wissensbestände und Vorstellungen über Sprache, wobei betont wird, dass es sich dabei nicht nur um grammatische Regeln, sondern auch um subjektive Einsichten der Schüler handeln kann. Zwischen diesen beiden Extrempolen wird die prozedurale Sprachbewusstheit als eine Art Begleitbewusstheit eingestuft. Sie wird in Situationen der Auseinandersetzung mit sprachlichen Phänomenen ad hoc aktiviert und ermöglicht beispielsweise die spontane Korrektur von Fehlern, bewusst ist sie deshalb jedoch noch nicht (vgl. Eichler 2007: 124f).
Das Kompetenzmodell, das der DESI-Studie zugrunde gelegt ist, geht durch seine Dreiteilung und die Aufgliederung nach Teilkompetenzen des Deutschunterrichts über die grobe Einteilung nach Steinig und Huneke (siehe 3.1) hinaus. Dabei wird zunächst ebenfalls zwischen dem impliziten Sprachkönnen und dem expliziten Sprachwissen unterschieden. Diese werden jedoch durch die prozedurale Begleitbewusstheit ergänzt. In diesem Zusammenhang geht jedoch nicht eindeutig definierbar hervor, was genau unter dieser Begleitbewusstheit verstanden wird. Eine genaue Zuteilung der drei Kompetenzaspekte zu den sprachlichen Wissensarten (siehe 2.2) ist so nicht angemessen möglich, weshalb sich auch dieses Modell als Grundlage für den empirischen Teil dieser Arbeit als schwer handhabbar erweist.
3.3 Kompetenzmodell für den Deutschunterricht nach Jakob Ossner
Das Kompetenzmodell nach Ossner (2008) fußt einerseits auf den verschiedenen Wissensarten (siehe 2.1), andererseits liegen die Arbeitsbereiche des Deutschunterrichts (hier übernommen aus den nationalen Bildungsstandards) diesem zugrunde. Indem Ossner diese beiden Dimensionen kombiniert (siehe Abb. 1) eröffnet er eine Matrix, in der sich jede Wissensart mit jedem Arbeitsbereich kreuzt und damit einen Schnittpunkt ergibt (vgl. Ossner 2008: 44f). In folgender Abbildung ist dieses Grundmodell Ossners zur besseren Übersicht vereinfacht dargestellt (siehe Abb. 1). Je nach Ausdifferenzierung dieses Grundmodells können grobe Kompetenzen für ganze Arbeitsbereiche, Teilkompetenzen für Unterkategorien der Arbeitsbereiche bis hin zu Kompetenzen für ein ganz bestimmtes Thema analytisch formuliert werden. Zusätzlich kann das Modell um verschiedene Dimensionen erweitert werden, wie beispielsweise eine Anforderungsdimension oder eine Gewichtung der einzelnen Wissensarten je nach Arbeitsbereich, Teilbereich bzw. Thema (vgl. Ossner 2008: 46f). Die Möglichkeit der detaillierten analytischen Ausdifferenzierung eines Inhaltsbereichs des Deutschunterrichts hinsichtlich der Wissensarten macht dieses Modell für die empirische Untersuchung interessant.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 Kompetenzmodell nach Ossner (2008: 45) (vereinfacht dargestellt)
3.4 Fazit
Für den folgenden empirischen Teil dieser Arbeit wird das Grundmodell für die Kompetenzen im Deutschunterricht nach Ossner (2008) ausgewählt. Das Modell ermöglicht eine möglichst differenzierte Bestimmung des sprachlichen Wissens zu einem bestimmten Thema, was in den folgenden Studien notwendig ist. Des Weiteren entspricht es im Gegensatz zu den Auffassungen von Steinig und Huneke sowie der
DESI-Studie einer Vierteilung des Wissens- bzw. Kompetenzbegriffs nach Mandl, Friedrich und Hron (1993) (siehe 2.1).
4. Das Verb
Die Bezeichnung Verb geht auf das lateinische Wort verbum <Wort> zurück, das seinerseits als Übersetzung des griechischen Wortes für <Aussage> verwendet wurde – ein Hinweis darauf, dass man das Verb als unentbehrlich für eine Aussage ansah. (Duden 2009: 395)
Aus obigem Zitat geht die zentrale Stellung des Verbs für die Sprache hervor. Das finite Verb gilt im deutschen Satz als Dreh- und Angelpunkt – ohne Verb ist kein Satz möglich. Aufgrund dieser substanziellen Bedeutung des Verbs und der Tatsache, dass es in der Grundschule von Anfang an intensive Beachtung findet (siehe 4.4), wurde es als exemplarischer Themenbereich für die anschließenden Studien ausgewählt.
Im Folgenden wird das Verb aus den verschiedenen relevanten Blickwinkeln betrachtet. Dazu soll zunächst ein linguistischer Überblick (siehe 4.1) darüber gegeben werden, was ein Verb ist. Anschließend wird die fachdidaktische Perspektive auf das Verb dargelegt (siehe 4.2), woraufhin im Anschluss die konkrete Unterrichtsrealität bezüglich des Verbs anhand der curricularen Vorgaben sowie der aktuellen Sprachbuchpraxis eingeschätzt wird (siehe 4.3). Hierbei werden auch Aspekte, die die verschiedenen Wissensarten bezüglich des Verbs betreffen, herausgearbeitet. Abschließend erfolgt eine Einordnung des Verbs in das Kompetenzmodell nach Ossner (siehe 4.4).
4.1 Linguistische Betrachtung
Das Verb ist die formal wie auch funktional komplexeste Wortart im Deutschen. (Griesbach 1980: 7)
Diese enorme Komplexität kann anhand der Tatsache verdeutlicht werden, dass das Kapitel Verb im Grammatikduden nahezu 180 Seiten umfasst, das entspricht mehr Seiten als die Kapitel Substantiv und Adjektiv gemeinsam beinhalten (vgl. Duden 2009). So komplex wie das Verb selbst, so komplex ist auch der linguistische Diskurs über dieses Phänomen, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Funktion im Satz als Prädikat. Damit kann eine umfassende und lückenlose Darstellung aller Eigenschaften des Verbs sowie der dazugehörige wissenschaftliche Diskurs unter Berücksichtigung aller Ansichten und Meinungen im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden[8]. Im Folgenden werden somit allein die grundlegenden morphologischen, semantischen und syntaktischen Eigenschaften und Merkmale der Wortart Verb dargelegt.
4.1.1 Morphologische Betrachtung
Eine morphologische Betrachtung beschäftigt sich mit der Gestalt, der äußeren Form der Verben und deren mögliche Veränderungen.
Das Verb gehört zu den flektierbaren Wortarten der deutschen Sprache, das heißt, es ist in seiner Form veränderbar. Als Nennform des Verbs wird die infinite Form des Infinitivs auf - en verwendet. Zusätzliche infinite Formen des Verbs sind das Partizip I und II. Unter den flektierbaren Wortarten ist das Verb die einzige Wortart, die konjugiert werden kann (vgl. Duden 2009: 389).
Die Konjugation umfasst fünf Konjugationskriterien (vgl. Boettcher 2009: 43):
1. Tempus (Zeit)
- Plusquamperfekt
- Perfekt
- Präteritum
- Präsens
- Futur I
- Futur II
2. Person (Perspektive)
- 1. Person
- 2. Person
- 3. Person
3. Numerus (Anzahl)
- Singular
- Plural
4. Modus (Aussageweise)
- Indikativ
- Konjunktiv I
- Konjunktiv II
5. Genus verbi (Handlungsweise)
- Aktiv
- Passiv
Nicht alle Verben verhalten sich bei der Konjugation hinsichtlich der Bildung des Präteritums und des Partizip Perfekts gleich, so kann man diese danach in zwei Hauptklassen und eine kleine Mischklasse einteilen (vgl. Eisenberg 2013: 179):
Die schwachen Verben bilden die Stammformen des Präteritums und des Partizip Perfekts regelmäßig mit dem Dentalsuffix t (spielen – spielte – gespielt).
Die starken Verben hingegen bilden die Stammformen des Präteritums und des Partizip Perfekts durch einen anderen Vokal, als er in der Stammform des Präsens vorhanden ist, einen sogenannten Ablaut (singen – sang – gesungen). Zudem gibt es noch einige Verben, die eine Mischform der beiden oben genannten Formen der Präteritum- und Partizip Perfektbildung vertreten. Bei diesen Verben findet eine Ablautung des Vokals, wie bei den starken Verben statt, zusätzlich tragen sie jedoch auch das Dentalsuffix t der schwachen Verben (kennen - kannte - gekannt) (vgl. Eisenberg 2013: 179).
Eine morphologische Besonderheit des Deutschen stellen die trennbaren Verben dar:
Eine andere Gewohnheit des Deutschen ist es, ein Verb zu teilen. Eine Hälfte stellt man an den Anfang des Satzes, die andere an den Schluß [sic!]. Es läßt [sic!] sich kaum etwas Verwirrenderes vorstellen. Man nennt diese Dinger ‚zusammengesetzte/trennbare Zeitwörter‘. Die deutsche Grammatik scheint bedeckt von Blasen dieses Zeitwort-Ausschlages und je weiter die Getrennten voneinander entfernt sind, um so [sic!] befriedigter scheint der Autor ob seiner kriminellen Tat. (Twain 2013: 12)
Die Eigenart des Deutschen die Mark Twain in obigem Zitat beschreibt, gründet darin, dass viele Verben komplexe Wörter sind, das heißt, sie werden durch ein Präfix und das Stammverb gebildet (vgl. Boettcher 2009: 54). In folgender Tabelle (siehe Tab. 3) sowie der anschließenden Abbildung (siehe Abb. 2) wird diese Art der Wortbildung und die damit verbundene Möglichkeit zur Trennung des komplexen Verbs exemplarisch an dem Stammverb „fahren“ dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Beispiel: trennbares vs. nicht trennbares komplexes Verb
Einige dieser komplexen Verben sind dabei trennbar und andere wiederum nicht (siehe Abb.2).
Trennbare Verben bezeichnet Boettcher als Verben mit Verbzusatz. Sie besitzen eine „Sollbruchstelle“ zwischen dem Stammverb und dem Präfix und erzeugen so eine Verbklammer (vgl. Boettcher 2009: 54f).
4.1.2 Semantische Betrachtung
Anhand der inhaltlichen Bedeutung von Verben und der damit verbundenen Rolle des Subjekts lassen sich im Allgemeinen drei Gruppen von Verben festmachen: Handlungsverben, Vorgangsverben und Zustandsverben (vgl. Duden 2009: 411f).
Handlungsverben sprechen dem Subjekt eine handelnde Rolle zu, das heißt eine typische Agensrolle. Diese Verben können abgeschlossene oder unabgeschlossene Handlungen beschreiben, haben jedoch immer eine dynamische Aktionsart. Die Zustandsverben sind in der Aktionsart ebenfalls dynamisch, ordnen dem Subjekt aber keine handelnde Rolle zu. Sie beschreiben somit Sachverhalte die weder statisch noch unter der Kontrolle eines Agens stehen. Vorgangsverben hingegen beschreiben ausschließlich unabgeschlossene, statische Sachverhalte und verlangen als Subjekt kein typisches Agens (vgl. Duden 2009: 411f). Die tabellarische Übersicht (siehe Tab. 4) stellt die zentralen Eigenschaften nochmals übersichtlich gegenüber:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 4: Einteilung von Verben nach semantischen Aspekten
4.1.3 Syntaktische Betrachtung
Das Verb ist die wichtigste sprachliche Einheit, wenn man die Grammatik verstehen will. Es ist die formenreichste Einheit der Sprache, hat einen großen Einfluss auf die meisten anderen Einheiten, die in einem Satz erscheinen, und macht einen Satz zum Satz. Insofern kann man den Satz auch als eine Wortgruppe betrachten, die vom Verb bestimmt wird. (Granzow-Emden 2013: 21)
Das obige Zitat unterstreicht die bedeutende Rolle des finiten Verbs im deutschen Satz. Auch der Grammatikduden betont diese Tatsache durch die Kapitelüberschrift Vom Verb zum Satz (vgl. Duden 2009: 844).
Auf der syntaktischen Ebene bildet im Regelfall das finite Verb das Prädikat (vgl. Duden 2009: 844f). Verben können anhand ihrer syntaktischen Funktion bei der Prädikatsbildung in drei Gruppen gegliedert werden: Vollverben, Hilfsverben und Modalverben (vgl. Boettcher 2009: 58; Duden 2009: 414ff).
Vollverben (siehe Abb. 3) sind die typischen Vertreter der Wortart Verb. Sie können in ihrer finiten Form alleinig das Prädikat in einem Satz bilden und sind somit auch lexikalischer Bedeutungsträger. Die Gruppe der Vollverben ist eine offene Kategorie, die erweitert werden kann (vgl. Duden 2009: 390f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Beispiele für Vollverben
Die Gruppe der Hilfsverben (siehe Abb. 4), auch Auxiliar genannt, hingegen ist eine geschlossene Kategorie mit lediglich drei Vertretern: sein, haben, werden. Hilfsverben sind im Deutschen für die Bildung verschiedener mehrteiliger Tempusformen und des Passivs notwendig, das heißt, sie können das Prädikat in einem Satz nicht allein bilden, sondern sind Bestandteil eines mehrteiligen Prädikats. Hierbei liegen die Hilfsverben immer in finiter Form vor und geben damit Aufschluss über die wesentlichen grammatischen Informationen, während der infinite Teil des Prädikats die lexikalische Bedeutung trägt (vgl. Duden 2009: 414ff).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Beispiele für Hilfsverben (grau eingefärbt)
Bei Modalverben (siehe Abb. 5) handelt es sich ebenfalls um eine geschlossene Gruppe von Verben. Zu den Modalverben zählen: wollen, sollen, müssen, dürfen, können, mögen und möchte. Alle diese Verben können gemeinsam mit dem Infinitiv oder dem Partizip II eines Vollverbs einen Modalverbkomplex bilden, der semantisch angibt, unter welchen Bedingungen das Subjekt das in der Infinitivgruppe Angegebene tut (vgl. Boettcher 2009: 59).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Beispiele für Modalverben (grau eingefärbt)
Letztere zwei Verbgruppen (Hilfsverben und Modalverben) können das Prädikat in ihrer jeweiligen Funktion nicht alleine bilden, sondern erfordern einen weiteren verbalen Teil. Beide verbalen Elemente gemeinsam werden als Verbalkomplex bezeichnet. Auch trennbare Verben werden in diesem Sinne mit ihrem abtrennbaren Verbzusatz als Verbalkomplex bezeichnet (vgl. Duden 460ff).
Ausgehend von dieser Betrachtung des Verbalkomplexes kann von einer grundsätzlichen Zweiteilung des Verbs im Deutschen ausgegangen werden, das heißt, dass jeder deutsche Satz grundsätzlich zwei Positionen für den verbalen Satzteil vorsieht, die sogenannte Satz- oder Verbklammer.
Die Satzklammer teilt den Satz in verschiedene Felder ein: Vorfeld, linke Satzklammer, Mittelfeld, rechte Satzklammer, Nachfeld. Dieses Feldermodell wird als Stellungsfeldermodell bezeichnet (vgl. Granzow-Emden 2013: 61ff).
In der tabellarischen Darstellung (siehe Tab. 5) sind prototypische Sätze in das Stellungsfeldermodell eingetragen, die im Folgenden der exemplarischen Erläuterung dienen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 5: Stellungsfeldermodell mit Beispielen
Im Vorfeld kann nur ein Satzglied stehen. Grundsätzlich kann das Vorfeld durch jedes Satzglied besetzt werden, oder auch leer bleiben (7). Häufig wird es durch das Subjekt (1, 2, 4, 5) belegt. Die linke Satzklammer wird in Verbzweit- und Verberstsätzen (7, 8) immer durch das finite Verb (siehe 4.1.1) belegt. In Nebensätzen, sogenannten Verbendsätzen (6), wird das finite Verb in die rechte Satzklammer verdrängt und die linke Satzkammer sowie das Vorfeld werden gemeinsam durch eine Subjunktion, ein Relativpronomen oder ein Interrogativpronomen besetzt. Das Mittelfeld kann von beliebig vielen Elementen besetzt sein, oder leer bleiben (1). Die rechte Satzklammer kann in Verbzweit- und Verberstsätzen leer sein (1, 2, 7), dann handelt es sich um eine synthetische Verbbildung aus allein einem finiten Verb in der linken Satzklammer, das alle notwendigen Informationen trägt. Die rechte Satzklammer muss jedoch im Falle einer analytischen Verbbildung, das heißt wenn das finite Verb in der linken Satzklammer nicht alle notwendigen Informationen alleine trägt, durch eine infinite Verbform belegt sein (3, 4, 5, 10). Daraus ergeben sich so genannte Tempusklammern (3), Passivklammern (4) und Modalklammern (5). Bei getrennten Verben wird die rechte Satzklammer durch den Verbzusatz belegt (6, 7). Das Nachfeld schließlich kann, wie das Mittelfeld, von beliebig vielen Elementen besetzt werden (7), oder leer bleiben (vgl. Granzow-Emden 2013: 61ff).
4.2 Fachdidaktische Betrachtung
[verzweifelt] Ihr habt die ganze Zeit gesagt ‚Ein Verb ist etwas, was man tut!‘ Wie siehts denn jetzt mit ‚ist‘ und ‚war‘ aus? (Boettcher 1994: 13)
Auch wenn der Artikel, aus dem obiges Zitat stammt, bereits 20 Jahre alt ist, so ist die zugrunde liegende Problematik immer noch aktuell. Die mehrheitlich (vermeintlich kindgemäße) semantische Zugangsweise zu der Wortart Verb als Tätigkeitswort, Tu-Wort oder Tunwort und die damit verbundenen Aussagen wie Mit Verben kann man sagen, was jemand tut sind bis heute nicht aus den Sprachbüchern wegzudenken (siehe 4.3.2). Die dieser Vorgehensweise jedoch innewohnende Problematik deckt Granzow-Emden (vgl. 2013: 23) anhand einer Analyse der 25 häufigsten Verben im Deutschen auf: Lediglich zehn der 25 häufigsten Verben sind im weitesten Sinne Handlungsverben (siehe 4.1.2) und fallen somit unter den Begriff Tunwort. Die restlichen 15 Verben, die mitunter insgesamt 60% der häufigsten Verben ausmachen, sind eben keine Handlungsverben. Somit erscheint den Schülern die Mehrheit der Verben als eigentliche Ausnahme von der Regel.
Zudem bringen die deutschen Bezeichnungen für das Verb und der semantische Zugang auch gegensätzliche Probleme mit sich. So können anhand dieser Vorgehensweise auch andere Wortarten als Tunwörter aufgefasst werden wie beispielsweise Nomen (vgl. Grazow-Emden 2013: 23f). In dem Satz Das Klettern macht Spaß wird man anhand obiger Definition von Verb wohl eher das Klettern als Verb bezeichnen, denn im Gegensatz zum eigentlichen Verb machen, tut man das ja schließlich.
Ausgehend von dieser Kritik an einem verarmten semantischen Zugang zu der Wortart Verb (vgl. u.a. Bartnitzky 2005; Bredel 2007; Granzow-Emden 2013; Menzel 2012) wird in der Fachdidaktik mehrheitlich ein morphologischer und syntaktischer Zugang präferiert. Bartnitzky (2005: 110) formuliert hierbei für die Grundschule folgende Prinzipien:
- Das Verb ist im Satz der Satzkern.
- Verben kann man verändern.
- Verben können in der Gegenwartsform […], der Vergangenheitsform […] und in der Zukunftsform […] stehen.
- Die Verb Probe: Kann ich mit dem Wort so etwas machen wie: ich spiele – du spielst – wir spielen?
Die Tatsache, dass zur Wortartbestimmung auch syntaktische Kriterien herangezogen werden, lässt in der Fachdidaktik die traditionelle Aufteilung von Wortarten als lexikalisch-kategoriale Elemente und Satzgliedern als syntaktisch-relationale Elemente aufweichen. Die traditionelle Auffassung, dass Wortarten ohne syntaktische Einbindung angemessen bestimmt werden könnten, wird nach und nach zugunsten einer syntaktischen Wortartentheorie verdrängt (vgl. Granzow-Emden 2013: 12).
Insbesondere bei der Wortart Verb gehen dabei einige Fachdidaktiker so weit, dass sie eine Aufhebung der (scheinbar) verschiedenen Ebenen von Wortart und Satzglied fordern. Das Prädikat auf Satzgliedebene entspricht ausschließlich der Wortart Verb[9] und ist im eigentlichen Sinne kein Satzglied, da es anhand der traditionellen Proben nicht als solches identifiziert werden kann (vgl. Granzow-Emden 2013: 283). Ausgehend davon wird auf der einen Seite die Aufhebung des Prädikatsbegriffs (Granzow-Emden 2013), auf der anderen Seite die Abschaffung des Verbbegriffs (Rauh 2000) gefordert.
Im Zuge dieser syntaktisch orientierten Entwicklungen findet auch das Stellungsfeldermodell (siehe 4.1.3) Einzug in die Verbdidaktik. Es soll laut Grazow-Emden von Beginn an die zentrale Rolle des Verbs im Satz verdeutlichen und ermöglicht so einen syntaktisch fundierten Zugang zu der Wortart Verb:
Das Verb ist nicht ‚eine Wortart‘ unter vier oder neun anderen Wortarten. Es ist die Einheit, die den Satz zum Satz macht; was ein Verb ist, erfährt man umgekehrt nur vom Satz her. (Granzow-Emden 2013: 80)
Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf allgemeine fachdidaktische Empfehlungen geworfen werden, die Aufschluss darüber geben, welche Wissensarten angesprochen und gefördert werden.
Die Grammatikwerkstatt, wie sie Menzel seit 1995 vertritt, legt einen konstruktivistischen Lernbegriff zugrunde, das heißt, durch das eigenständige Untersuchen, Arbeiten, Spielen und Entdecken an und mit der Sprache wird den Schülern auf induktive Weise die Möglichkeit eröffnet an ihrem individuellen Vorwissen anzuknüpfen und sich ihr eigenes sprachliches Wissen zu konstruieren. Dabei wird das vorhandene prozedurale Sprachwissen der Schüler als Ausgangspunkt genutzt (siehe 2.3).
Das Problemlösewissen wird in der Fachdidaktik insbesondere durch die Formulierung inhaltsspezifischer Proben und Strategien, wie beispielsweise der von Bartnitzky (2005) formulierten Pronomenprobe, gefördert. Eine Betonung metakognitiven sprachlichen Wissens klingt in der Fachdidaktik so explizit bisher nur bei Ossner in seinem Kompetenzmodell (siehe 3.3) an, zumindest konnten keine weiteren Belege aufgefunden werden.
4.3 Unterrichtsrealität
Kein Unterricht gleicht dem anderen. Die nahezu unendlichen Einflussfaktoren auf den Unterricht reichen von der Lehrperson über die Schüler bis hin zum Wochentag an dem der Unterricht stattfindet und der Wettersituation an demselben. Die Komplexität dieses Gegenstandes ist somit kaum fassbar. Um trotzdem eine bedingte Einschätzung der Unterrichtsrealität in Bezug auf das Phänomen Verb im Folgenden vornehmen zu können, werden Faktoren hinzugezogen und analysiert, die eine vereinheitlichende Rolle in Bezug auf Unterricht einnehmen: Die curricularen Vorgaben und deren konkrete Umsetzung in Sprachbüchern für den Deutschunterricht.
Das Lehrwerk bestimmt wie kein anderer Faktor was im Unterricht geschieht. [...] Betrachtet man das Unterrichtsgeschehen näher, dann wird deutlich, daß [sic!] das Lehrwerk zwischen dem Lehrplan, der Lehrsituation und den Lernenden bzw. der Lerngruppe vermittelt. (Kast/Neuner 1994: 8f)
4.3.1 Curriculare Vorgaben
Als curriculare Vorgaben für Grundschulen in Baden-Württemberg gelten einerseits die nationalen Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für die Primarstufe, die verpflichtend in der Lehrplanarbeit, Schulentwicklung und Lehrerbildung implementiert und angewandt werden müssen (vgl. KMK 2004: 3). Andererseits hat der verbindliche Bildungsplan für Grundschulen in Baden-Württemberg 2004, der die Bildungsstandards berücksichtigt und Kompetenzen sowie Inhalte für das Ende der vierten Klasse formuliert, Bestand (vgl. MKJS 2004).
4.3.1.1 Nationale Bildungsstandards
Das Thema Verb fällt in den Nationalen Bildungsstandards für den Primarbereich (2005) unter den Arbeitsbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen (KMK 2005: 7). Als allgemeine Ziele dieses Arbeitsbereiches gelten der Ausbau des vorhandenen Sprachgefühls und der bewusste Umgang mit Sprache. Diese Ziele sollen anknüpfend an die Spracherfahrungen der Kinder entwickelt werden (vgl. KMK 2005: 9). Aus diesen Aussagen kann man hinsichtlich der Wissensarten schließen, dass explizit die Förderung von prozeduralem und deklarativem Sprachwissen (siehe 2.2) gefordert wird. Zudem wird deutlich, dass das sprachliche Lernen als konstruktiver Prozess aufgefasst wird (siehe 2.3), der an dem Vorwissen der Schüler, ihren bisherigen Spracherfahrungen, anknüpfen soll.
Die Standards, die bezüglich des Verbs formuliert werden, lauten (KMK 2005: 13f):
- Wörter strukturieren und Möglichkeiten der Wortbildung kennen
- Wörter sammeln und ordnen
- Sprachliche Operationen nutzen
- Die Textproduktion und das Textverständnis durch die Anwendung von sprachlichen Operationen unterstützen
- mit Sprache experimentell und spielerisch umgehen
- Grundlegende sprachliche Strukturen und Begriffe
- Verb: Grundform, gebeugte Form
- Zeitformen: Gegenwart, Vergangenheitsform
Auch aus diesen Formulierungen geht hervor, dass zum einen ein deklaratives sprachliches Wissen entwickelt werden soll, zum anderen erkennt man jedoch eine starke Betonung des sprachlichen Problemlösewissens durch die Kenntnis und Anwendung inhaltsspezifischer Operationen. Das experimentelle und spielerische Umgehen mit Sprache weist nochmals auf die Auffassung des sprachlichen Lernens als Konstruktionsprozess hin und unterstützt ebenfalls die Entwicklung des Problemlösewissens.
Insgesamt wird anhand der nationalen Bildungsstandards ein breites sprachliches Wissen zum Verb angestrebt, wobei eine explizite Thematisierung von metakognitivem sprachlichem Wissen ausbleibt.
4.3.1.2 Bildungsplan Grundschule BW 2004
Im Bildungsplan für die Grundschule 2004 in Baden Württemberg gehört das Thema Verb zum Arbeitsbereich Sprachbewusstsein entwickeln. Als wichtigstes Ziel wird die Entwicklung bewussten Sprachhandelns angeführt (vgl. MKJS 2004: 43). Dabei sollte der Weg stets von der Sprache zur Grammatik führen und nicht umgekehrt. Des Weiteren sollen Regeln und elementare Methoden und Strategien erlernt werden, die die Kinder in vielfältigen Übungsmöglichkeiten anwenden müssen (vgl. MKJS: 46f).
Aus diesen zunächst sehr allgemeinen Aussagen wird deutlich, dass grundsätzlich eine Überführung des prozeduralen Sprachwissens (siehe 2.2.3) in ein deklaratives Sprachwissen (2.2.1) angestrebt wird. Dabei soll am konkreten Sprachkönnen der Kinder angesetzt werden, um auf Grundlage dieses Vorwissens das abstrakte Wissen über die Grammatik der Sprache aufzubauen. Das sprachliche Problemlösewissen (siehe 2.2.2) wird inhaltsspezifisch anhand verschiedener Methoden und Strategien ausgebildet und soll in verschiedenen Kontexten Anwendung finden.
Die spezifisch das Verb betreffenden Kompetenzen und Inhalte sind (MKJS 2004: 52):
- Die Sprache, insbesondere die Schriftsprache zum Gegenstand ihres Nachdenkens machen
- Wörter nach grammatischen und semantischen Kriterien sammeln, ordnen, gliedern und verändern
- Zur Formulierung sprachlicher Regelmäßigkeiten Verfahren anwenden
- Regelmäßigkeiten in eigenen Formulierungen fassen
- Für Gespräche wichtige Fachbegriffe über (Schrift-) Sprache sinnvoll nutzen:
- Verb (Grundform, Personalform)
- Zeitstufen und Zeitformen (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft)
- Inhalte:
- Verfahren erproben
- Wörter erforschen
- Regelmäßigkeiten erforschen
- Grammatikwerkstatt
Die Kompetenzformulierungen unterstreichen nochmals die angestrebte Überführung des prozeduralen Sprachkönnens in einen bewussten und expliziten Umgang mit Sprache, der nicht zuletzt durch das deklarative Sprachwissen hinsichtlich der Fachbegriffe möglich gemacht werden soll. Zudem werden die Verfahren und Strategien des inhaltsspezifischen Problemlösens sowohl in den Kompetenzen als auch in den Inhalten angesprochen. Die Formulierung der Inhalte betont den eigentätigen und handelnden Charakter des Lernens, im Sinne eines aktiven Konstruktionsprozesses und übernimmt Erkenntnisse aus der Fachdidaktik (siehe 2.2.1 und 4.2).
Zusammenfassend betrachtet zeichnet der Bildungsplan ein differenziertes Bild eines umfassenden sprachlichen Wissens, wobei auch hier (wie in 4.4.1.1) kein expliziter Hinweis auf die Anbahnung metakognitiven Sprachwissens zu finden ist.
4.3.2 Sprachbücher
Man muß [sic!] nur einen Blick auf die Lehrpläne werfen und auf das, was den Schülern viel direkter vor Augen steht und den Unterricht viel mehr bestimmen kann als die Lehrpläne, nämlich die Lehrmittel, die Sprachbücher. (Glinz 1973: 395)
Das Sprachbuch nimmt in großem Maße Einfluss auf den Unterricht, insbesondere dann, wenn das Fach Deutsch fachfremd von einer Lehrperson unterrichtet wird (vgl. Killus 1998: 255). Mesch und Dammert (2014) haben in diesem Zusammenhang Sprachbücher für die Klassen 2 und 4 verschiedener aktueller Sprachbuchreihen hinsichtlich ihres Zugangs zum Verb und den dabei angesprochenen Wissensarten analysiert. Im Folgenden sollen hieraus die wichtigsten Punkte zusammengefasst dargelegt werden (vgl. Mesch/Dammert 2014).
Das Verb wird trotz der anhaltenden fachdidaktischen Kritik (siehe 4.2) in der Hälfte aller Sprachbücher für die Klassenstufe 2 terminologisch zusätzlich zu dem Begriff Verb auch als Tunwort eingeführt, wobei lediglich ein Sprachbuch auch in Klasse 4 noch an diesem Begriff festhält. Der Zugang zum Verb erfolgt in Klasse 2 mehrheitlich semantisch und morphologisch, ein syntaktischer Zugang wird lediglich in einem der analysierten Sprachbücher vorgenommen. Die semantische Praxis thematisiert dabei nahezu ausschließlich Handlungsverben über die Was tut? - Frage. Vorgangsverben werden nur in drei Lehrwerken durch die Was geschieht? - Frage erfasst, während Zustandsverben gänzlich außen vor bleiben. Auf morphologischer Ebene wird die Grund- und Personalform in allen Sprachbüchern explizit dargelegt, während die Zeitformen nur bei zwei Werken Erwähnung finden. Trennbare Verben und die Verbalklammer werden lediglich in einem Lehrwerk erwähnt.
In den Lehrwerken für die 4. Klasse tritt der semantische Zugang in den Hintergrund und das Verb wird mehrheitlich morphologisch sowie nun auch syntaktisch bestimmt. Trotzdem muss aber betont werden, dass vier der zehn analysierten Sprachbücher weiterhin einen semantischen Zugang verfolgen. Der morphologische Zugang umfasst nun auch in allen zehn Lehrwerken die Zeitformen sowie in der Hälfte der Fälle die explizite Auseinandersetzung mit den Flexionsklassen (siehe 4.1.1). Der Schwerpunkt der syntaktischen Vorgehensweise liegt auf der Verbklammer.
Betrachtet man die allgemeine Vorgehensweisen und Aufgabenstellungen in den Sprachbüchern hinsichtlich der angesprochenen Wissensarten, so lässt sich zwischen den Klassenstufen kaum ein Unterschied feststellen. In allen Sprachbüchern werden das deklarative und das prozedurale Wissen einerseits durch die meist induktive Erarbeitung von Faktenwissen und andererseits durch viele Übungen zur Anwendung des Gelernten gefördert. Das Problemlösewissen wird anhand der Vermittlung von spezifischen Strategien zur Verberkennung nur in knapp der Hälfte aller Lehrwerke angesprochen. Das metakognitive Wissen wird schließlich nur in einem Sprachbuch für die vierte Klasse durch das Anhalten zur Selbstreflexion des eigenen Handelns angebahnt (vgl. Mesch/Dammert 2014).
Mesch und Dammert kommen anhand der Analysen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der einseitigen und isolierten Modellierung der Verbgrammatik in den Lehrwerken auf Seiten der Schüler kein umfassendes Verbwissen aufgebaut werden kann (vgl. Mesch/Dammert 2014).
4.4 Einordung des Verbs in das Kompetenzmodell nach Ossner
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Einordnung des Verbs in das Grundmodell nach Ossner (vgl. 2008:45)
Die Einordnung des Verbs in das Kompetenzmodell nach Ossner erfolgt vor dem Hintergrund der linguistischen und fachdidaktischen Aufarbeitung des Phänomens (siehe 4.1 und 4.2) sowie den curricularen Vorgaben für die Grundschulen in Baden-Württemberg (siehe 4.3.1) und der Betrachtung der Sprachbücher (siehe 4.3.2), die eine Reduktion auf das angemessene Niveau für Schüler am Ende der Grundschulzeit ermöglichen.
Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann hierbei aufgrund des explorativen Charakters dieser Arbeit und des geringen Forschungsstandes auf diesem Gebiet nicht erhoben werden.
Deklaratives Wissen zum Verb
- Verben beschreiben Handlungen, Vorgänge und Zustände
- Verben haben eine Grundform
- Verben kann man verändern, gebeugte Form
- Verben haben verschiedene Personalformen
- Verben haben verschiedene Zeitformen
- Vergangenheit
- Gegenwart
- Zukunft
- Es gibt trennbare und nicht trennbare Verben
- Das Wissen von „beispielhaften“ Verben
Prozedurales Wissen zum Verb
- Unbewusste korrekte Verwendung und Konjugation von Verben in der mündlichen und schriftlichen Sprache
- Spontane korrekte Identifikation und Verbesserung von grammatischen Fehlern bei Verben, ohne eine Begründung für diese geben zu können (Sprachgefühl)
Problemlösewissen zum Verb
- bedingt bewusste Anwendung von Strategien zur Identifikation von Verben in Problemsituationen
- Pronomenprobe
- Infinitivprobe
- Zeitenprobe
- Tun-Probe
Metakognitives Wissen zum Verb
- Reflexion des Lernprozess
- Welche Strategien habe ich angewandt um Verben zu erkennen?
- Welche Strategien kann ich effektiv nutzen um Verben zu erkennen?
- Welche Strategien sind erfolgsversprechend bei der Identifikation von Verben?
- Selbsteinschätzung
- Was weiß ich über Verben?
- Was kann ich noch nicht so gut im Hinblick auf Verben
5. Zusammenfassung
Sprachliches Wissen, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, setzt sich aus vier Wissensdimensionen zusammen (siehe 2.2). Diese Wissensdimensionen hängen untereinander in spezifischer Art und Weise zusammen und entwickeln sich zum Teil in Abhängigkeit voneinander (siehe 2.3), dabei kann die Tatsache, ob Deutsch als Erst- oder Zweitsprache erworben wird, einen erheblichen Einfluss haben (siehe 2.3.1 und 2.3.2). Damit ein umfassendes sprachliches Wissen entwickelt werden kann, das als Grundlage für Bildungsprozesse insgesamt gilt, müssen laut dem Kompetenzmodell nach Ossner alle sprachlichen Wissensdimensionen angesprochen werden. In Hinblick auf das Verb ist dabei zu erwarten, dass die Schüler ein umfassendes prozedurales Können aufweisen. Hinsichtlich des deklarativen sprachlichen Wissens sind weitgehend Aussagen über semantische und morphologische Merkmale anzunehmen. Das explizite sprachliche Problemlösewissen und das metakognitive Wissen werden von Lehrwerken nicht bzw. nur am Rande angesprochen, weshalb hier damit zu rechnen ist, dass die Schüler nur geringe explizite Strategien aufweisen und sich ihrem Vorgehen nur bedingt oder gar nicht bewusst sind.
Teil II: Empirische Erhebungen
Im folgenden empirischen Teil dieser Arbeit wird zunächst die quantitativ orientierte Vorstudie, die der Erhebung des deklarativen sprachlichen Wissens und des Problemlösewissens dient und damit eine erste Unterscheidung von Wissen und Können ermöglicht, dargelegt.
Anhand der Ergebnisse der Vorstudie werden Fälle für die anschließenden qualitativen Einzelfallanalysen ausgewählt, in welchen zusätzlich das prozedurale und metakognitive sprachliche Wissen erhoben wird sowie eine differenziertere qualitative Betrachtung der Daten aus der Vorstudie zum sprachlichen deklarativen Wissen und Problemlösewissen vorgenommen wird. Abschließend werden die Ergebnisse beider Teilstudien zusammengeführt, sodass ein umfassendes Bild sprachlichen Wissens entsteht.
Somit ergänzen sich qualitative und quantitative Ansätze gegenseitig und konkurrieren nicht miteinander. Jede liefert eine Art der Information, die sich nicht nur von der anderen unterscheidet, sondern auch für deren Verständnis wichtig ist. (Wilson 1982:467f)
6. Forschungsdesign der quantitativen Erhebung
Das Etikett ‚quantitativ‘ bezieht sich auf das Messen, Zählen und Wiegen sowie die ihm zugehörige Form der Ergebnispräsentation in Zahlenwerten. (Raithel: 2006: 8)
Nachfolgend wird das Forschungsdesign der in obigem Sinne quantitativ orientierten Vorstudie dargelegt. Dabei wird zunächst das grundlegende empirische Konzept der Stichprobe und der Datenerhebung erläutert (siehe 6.1), bevor das methodische Vorgehen in seinen Einzelheiten entfaltet werden kann (siehe 6.2).
6.1 Anlage der empirischen Erhebung
Die quantitative Vorstudie soll einen ersten Eindruck über die zwei Dimensionen Wissen und Können (siehe 2.2) des sprachlichen Wissens ermöglichen. Dabei wird Wissen im Sinne des deklarativen Sprachwissens, und Können im Sinne des sprachlichen Problemlösewissens (siehe 2.2.2) verstanden.
Anhand der zusätzlichen Erhebung der Deutschnote aus Klasse 4 und einem Vergleich dieser mit den Ergebnissen zu den erhobenen Wissensdimensionen soll eine Aussage darüber getroffen werden, auf Grundlage welcher sprachlichen Wissensart die schulische Leistung beurteilt wird – steht hierbei das Wissen oder das Können im Fokus?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 6: Übersicht der quantitativen Erhebungsinstrumente und damit erhobenen Variablen
[...]
[1] Was sich im Folgenden aufgrund ministerieller Vorgaben als nahezu unmöglich herausstellen sollte.
[2] Der Begriff sprachliches Wissen wird in dieser Arbeit nicht als spezifisch grammatisches bzw. metasprachliches Wissen aufgefasst, sondern vielmehr im Sinne eines umfassenden sprachlichen Wissens, das sich aus Elementen des Wissens, Könnens und der Bewusstheit zusammensetzt, verstanden. (Näheres siehe 2.1).
[3] Zur Geschichte der Konzeptionen des Grammatikunterrichts siehe: Bredel, Ursula (2007): Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn: UTB. 205-225.
[4] Zur Unterscheidung von Erst- und Zweitsprache siehe: Jeuk, Stefan (2010): Deutsch als Zweitsprache in der Schule. Grundlagen - Diagnose - Förderung. Stuttgart: Kohlhammer. 13ff
[5] Generalisierung meint die Ausweitung einer Produktion auf weitere Fälle (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 183ff).
[6] Diskriminierung meint die Einschränkung einer übermäßigen Produktion auf das korrekte Maß (vgl. Mandl/Friedrich/Hron 1993: 183ff).
[7] Deutsch Englisch Schülerleistungen International Näheres siehe: DESI-Konsortium (Hrsg.) (2008): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI-Studie. Weinheim, Basel: Beltz
[8] Für ausführliche Erläuterungen zum Verb siehe: Dudenredaktion (Hrsg.) (82009): Duden. Die Grammatik. Mannheim u.a.: Dudenverlag. 389-566. Eisenberg, Peter (42013): Grundriss der deutschen Grammatik. Band I- Das Wort. 184-208. Stuttgart/Weimar: Metzler.
[9] Einzige Ausnahme hiervon bilden Prädikatskonstruktionen mit Prädikativ, wobei auch diese immer ein finites Verb enthalten (vgl. Granzow-Emden 2013: 134).
- Quote paper
- Evelyn Matzeder (Author), 2014, Das sprachliche Wissen von Schülerinnen und Schülern beim Übergang in die Sekundarstufe 1, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/431646
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