Die zentralen Fragen in der Diskussion um die Genese der Kreolsprachen kreisen zum einen um den Beitrag der afrikanischen Sprachen bei der Herausbildung der Kreols, zum anderen um deren „kontinuierlichen“ oder „abrupten“ Entwicklungsverlauf.
Letzterer Punkt beinhaltet zum einen die Überlegung, ob die Kreols über das Zwischenstadium eines Pidgins entstanden sind. Die drastische Reduzierung der Basissprache zu einem Pidginstadium, das eine Manifestierung der genetischen Diskontinuität zwischen der Basissprache und dem Kreol darstellt, sorgt in dieser Denkfigur für eine beträchtliche typologische Distanz zwischen den Kreolsprachen und der Basissprache. In einem ersten theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit, werden drei Hypothesen zur Entstehung der Kreolsprachen vorgestellt, die diese Sichtweise vertreten.
In jüngster Zeit fokusiert die Frage nach „Bruch“ oder „Kontinuität“ vorwiegend die kognitive Ebene des Kreolisierungsprozesses. Sind die kognitiven Mechanismen, die bei der Herausbildung der Kreols zum Tragen kommen, fundamental anderer Natur als bei der Entstehung „normaler“ Sprachen? Bewirkten diese Prozesse eine „kontinuierliche“ oder eine „abrupte“ Entfernung der Kreols von ihren Basissprachen? Führten sie – sowie weitere universelle Faktoren des Sprachkontakts – zu einer graduellen Distanz der Kreols von ihren Basissprachen oder besteht zwischen den beiden Sprachen ein Wesensunterschied? Hypothesen, welche sich mit diesen Fragestellungen beschäftigen, werden in einem zweiten Theorieteil erläutert.
Der dritte theoretische Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit Theorien, die einen beträchtlichen Einfluss der Substratsprache(n) auf die entstehende Kreolsprache postulieren. Das grammatische System der Substratsprachen verändert diesen Hypothesen zufolge dasjenige der Basissprache so dass die Substratsprachen die europäische Entwicklungslinie entscheidend „durchbrechen“.
INHALT
0. Einleitung
I. Die wichtigsten Theorien zur Genese kreolsprachlicher Systeme
I.1 Bruch durch Pidginisierung?
I.1.1 Die Lebenszyklustheorie einer Pidginsprache nach Hall
I.1.2 Das Ein-Generationen-Modell nach Bickerton
I.1.3 Neuere Vertreter einer Kreolisierung über die Zwischenstufe eines Pidgins: McWhorter & Parkvall
I.2 Universalistische Ansätze - Bruch durch universelle Faktoren des Sprachkontakts?
I.2.1 Foreigner Talk
I.2.2 Mündlichkeit
I.2.3 Ungesteuerter Zweitspracherwerb
I.2.4 (Re)Analyse
I.2.5 Grammatikalisierung
I.3 Afrogenetische Ansätze - Bruch durch substratsprachlichen Einfluss?
I.3.1 Die Formel basissprachliches Lexikon und substratsprachliche Grammatik
I.3.2 Polygenetische Relexifizierungstheorie
I.3.3 Die Formel basissprachliche Substanz und substratsprachliche Form
I.4 Eurogenetischer Ansatz – Chaudensons Approximationstheorie als graduelles Kreolisierungsmodell
I.4.1 Soziohistorische und -linguistische Faktoren der Kreolisierung
I.4.1.1 Das Drei-Phasen-Modell
I.4.1.2 Endogene versus exogene Kreols
I.4.2. Sprachliche Faktoren der Kreolisierung
I.4.2.1 Die langue des colons
I.4.2.2 Spracherwerbsstrategien
I.4.2.3 Autoregulatorische Prozesse des Französischen
II. Interpretation morphosyntaktischer Züge in den französischbasierten
Kreolsprachen und Vergleich mit ihren Entsprechungen im franςais cadien in
Louisiana
II.1 Artikelagglutination
II.2 Der bestimmte Artikel
II.3 Personalpronomen
II.4 Interrogativpronomen
II.5 Verbalsystem 73 II.5.1 Verbform
II.5.2 TMA-Markierung
II.5.2.1 Der progressive Aspekt
II.5.2.2 Die bestimmte Vergangenheit
II.5.2.3 Die unbestimmte Vergangenheit
II.5.2.4 Futur
II.5.2.5 Konditional
II.6 Negation
II.7 Kopula
III. Fazit
IV. Literatur
Anhang
Die „Paroisses“ in Südlouisiana
0.Einleitung
Die zentralen Fragen in der Diskussion um die Genese der Kreolsprachen kreisen zum einen um den Beitrag der afrikanischen Sprachen bei der Herausbildung der Kreols, zum anderen um deren „kontinuierlichen“ oder „abrupten“ Entwicklungsverlauf.
Letzterer Punkt beinhaltet zum einen die Überlegung, ob die Kreols über das Zwischenstadium eines Pidgins entstanden sind. Die drastische Reduzierung der Basissprache zu einem Pidginstadium, das eine Manifestierung der genetischen Diskontinuität zwischen der Basissprache und dem Kreol darstellt, sorgt in dieser Denkfigur für eine beträchtliche typologische Distanz zwischen den Kreolsprachen und der Basissprache. In einem ersten theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit, werden drei Hypothesen zur Entstehung der Kreolsprachen vorgestellt, die diese Sichtweise vertreten.
In jüngster Zeit fokusiert die Frage nach „Bruch“ oder „Kontinuität“ vorwiegend die kognitive Ebene des Kreolisierungsprozesses. Sind die kognitiven Mechanismen, die bei der Herausbildung der Kreols zum Tragen kommen, fundamental anderer Natur als bei der Entstehung „normaler“ Sprachen? Bewirkten diese Prozesse eine „kontinuierliche“ oder eine „abrupte“ Entfernung der Kreols von ihren Basissprachen? Führten sie – sowie weitere universelle Faktoren des Sprachkontakts – zu einer graduellen Distanz der Kreols von ihren Basissprachen oder besteht zwischen den beiden Sprachen ein Wesensunterschied? Hypothesen, welche sich mit diesen Fragestellungen beschäftigen, werden in einem zweiten Theorieteil erläutert.
Der dritte theoretische Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit Theorien, die einen beträchtlichen Einfluss der Substratsprache(n) auf die entstehende Kreolsprache postulieren. Das grammatische System der Substratsprachen verändert diesen Hypothesen zufolge dasjenige der Basissprache so dass die Substratsprachen die europäische Entwicklungslinie entscheidend „durchbrechen“.
Dagegen stellt Robert Chaudenson die Hypothese auf, dass die Derivation kreolischer Strukturen aus dem Französischen möglich und der Substrateinfluss auf Konvergenzerscheinungen zu reduzieren sei. Da er für die französischbasierten Kreolsprachen (FKS) zudem das Durchlaufen eines Pidginstadiums verneint kann er als Vertreter einer extrem „pro-französischen“ und kontinuierlichen Sichtweise der Kreolisierung betrachtet werden. Sein Kreolisierungsszenario ist Ausgangspunkt einer aktuellen Debatte um die „graduelle“ oder „abrupte“ Genese der französischbasierten Kreolsprachen sowie um einen selektiven oder konstitutiven Einfluss der Substratsprachen auf das Kreol, die in den études créoles 2002, no 1 mit dem sprechenden Titel La créolisation: à chacun sa vérité ausgetragen wird.
Die Hypothese, die FKS setzten der französischen Sprache inhärente Entwicklungstendenzen, die sich auch in den franςais marginaux zeigten, in systematisierter und radikalisierter Form fort, demonstriert Chaudenson mit Hilfe französischer Überseevarianten.
In einem weiteren Teil meiner Arbeit wird die Methode, die FKS mit den franςais marginaux zu vergleichen, aufgegriffen. Anhand ausgesuchter Beispiele aus dem franςais acadien (cadien) in Louisiana, das – im Gegensatz zum franςais québécois – keine schriftsprachliche Norm besitzt und seit zweihundert Jahren nur mündlich überliefert wurde, soll die von Chaudenson postulierte Evolutionslinie der FKS überprüft werden. Eine genauere Betrachtung der grammatischen Strukturen des cadien könnte neues Licht auf das umstrittene Verhältnis der Kreolsprachen zu ihren jeweiligen Basissprachen werfen.
I. Die wichtigsten Theorien zur Genese kreolsprachlicher Systeme
I.1 Bruch durch Pidginisierung ?
Die Idee der Genese einer Kreolsprache aus einem Pidgin findet sich bereits bei Addison Van Name[1], 1909 bei Hugo Schuchardt[2] und 1933 bei Leonard Bloomfield:
In some cases [...] a subject group gives up its native language in favor of a jargon. This happens especially when the subject group is made up of persons from different speech-communities, who can communicate among themselves only by means of the jargon. This was the case [...] among Negro slaves in many parts of America. When the jargon has become the only language of the subject group, it is a creolized language.[3]
I.1.1 Die Lebenszyklustheorie einer Pidginsprache nach Hall
Ausgearbeitet wurde die Idee der Verbindung von Pidgins und Kreols 1962 von Robert A. Hall Jr., der aus dem Pidginursprung eines Kreols ein wesentliches Merkmal seiner Definition einer Kreolsprache macht.
In der Sichtweise Halls wird die Basissprache zu Beginn der Kolonialzeit drastisch zu einem rudimentären sprachlichen Pidgin-System reduziert, das mit elementaren grammatischen Strukturen und einem reduzierten Wortschatz ausgestattet ist sowie nur begrenzte Funktionen erfüllen kann und niemandes Muttersprache ist.[4]
Im Gegensatz zu „normalen Sprachen“, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und deren „Lebenszeit“ von dem Fortbestehen der Sprachgemeinschaft abhängt, verschwinden Pidgins als Funktionssprachen nach Hall – unabhängig von der Weiter-Existenz der Sprachgemeinschaft – nach dem Verlust ihrer Aufgabe. Jedoch gebe es eine Reihe von Pidgins, die – nach in der Regel einer Generation – als Muttersprache neu geborener Individuen eine größere Anzahl an Funktionen abdecken müssten, womit ein funktioneller und sprachlicher Ausbau und eine Statusänderung auf dem Wege zur Entwicklung einer Kreolsprache einhergehe.[5] Diese zur Kreolsprache ausgebauten Pidgins durchliefen also den so genannten „Lebenszyklus der Pidginsprachen“ .[6]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
communication interlinguistique
pidginisation décréolisation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Lebenszyklus Pidgin – Kreol (Hall 1966)[7]
Halls Annahme, dass die muttersprachliche Verwendung eines spontan herausgebildeten Pidgins zur Entwicklung einer Kreolsprache führe, weist dem Erstspracherwerb der Kinder der ersten Pidgin- und Jargonsprechenden erwachsenen Sklaven eine zentrale Rolle in der Kreolgenese zu und setzt Kreolisierung gleich mit „Vermuttersprachlichung“ .
Die Koppelung der Pidginisierung an erwachsene Schöpfer einerseits und die Zuweisung der tragenden Rolle in der Kreolisierung an die Kinder andererseits impliziert nach Hymes, dass die neurologischen Fähigkeiten, die während des Spracherwerbs im Kindes- und Erwachsenenalter zum Tragen kommen, unterschiedlich sind. Sie ziehe eine scharfe ontogenetische Linie zwischen Pidginisierung und Kreolisierung.[8]
I.1.2 Das Ein-Generationen-Modell nach Bickerton
Einige Aspekte der Lebenszyklustheorie nach Bloomfield und Hall lassen sich in der Bioprogrammtheorie Derek Bickertons’ wiederfinden:
Bei der Rekonstruktion des Lebenszyklus einer Kreolsprache anhand des von ihm hauptsächlich untersuchten Pidgins und des Kreols von Hawaii geht Bickerton zunächst davon aus, dass die erwachsenen Sklaven[9], ausgehend von dem Lexikon der dominierenden Gruppe und einigen syntaktischen Regeln ihrer Muttersprachen, eine Pidginsprache konstruierten:
Pidginization is a process that begins by the speaker using his native tongue and relexifying first only a few key words. [...]. Subsequently, more superstrate lexicon will be acquired [...] and will be, for the most part, slotted into syntactic surface structures drawn from the substrate; [...] even when relexification is complete down to grammatical items, substrate syntax will be partially retained, and will alternate, apparently unpredictably, with structures imported from the superstrate.[10]
Anschließend betrachtet Bickerton den Ausbau des Pidgins zur Kreolsprache, wobei er sich besonders mit dem kognitiven Prozess der Herausbildung von Kreols beschäftigt.
Bickerton zieht Parallelen zwischen Unterschieden in den Äußerungen von Kindern vor bzw. nach ihrem zweiten Geburtstag (under-twos und post-twos) und dem Pidgin-Kreol-Zyklus.[11] Sowohl das Überschreiten der Zweijahresschwelle als auch der Übergang vom Pidgin zur Kreolsprache sind nach Bickerton durch eine „explosion of syntax“ gekennzeichnet. Diese seien jeweils die entscheidenden ontogenetischen bzw. phylogenetischen Punkte, an welchen begonnen werde, produktiven Gebrauch von grammatischen Morphemen und Satzkombinationen zu machen. Weder (frühe) Pidgins noch die Sprachen der under-twos beinhalteten ein systematisches syntaktisches System. Bickerton behauptet, dass in den sprachlichen Systemen der post-twos und der Kreolsprecher durch allgemeine kognitive Fähigkeiten, die nicht direkt an die UG gekoppelt seien, ein syntaktisches System entwickelt werde. Diese Fähigkeiten entstammten aus einem spezifischen neurologischen System, einer Prädisposition zum Erlernen syntaktischer Strukturen, die beim Erstspracherwerb zum Tragen komme, dem menschlichen Bioprogramm.[12]
Mit Hilfe dieser Prädisposition, in welche während der sprachlichen Phylogenese Strukturen verankert worden seien, entwickelten die Kinder der ersten Siedlergeneration viele im Pidgin fehlende Bereiche selbst, um sich schließlich innerhalb einer Generation eine voll funktionsfähige Muttersprache – die Kreolsprache – zu schaffen.[13]
Die Regeln des Bioprogramms manifestierten sich beispielsweise in der Tatsache, dass bei der Entstehung des Tempus-, Modus- und Aspektsystems (TMA-Systems) der Kreolsprachen anders als in den Pidginstadien nicht freie, Satz bestimmende, sondern gebundene, Verb bestimmende Elemente syntagmatisch immer in der Reihenfolge „anterior“ (z.B. KrHai und Kleine Antillen te, Papiamentu ya), „irrealis“ (KrHai ava, Kleine Antillen ke, Papiamentu lo) und „non-punctual“ (KrHai ap, Kleine Antillen ka, Papiamentu ta) auftreten und dem Verbum stets unmittelbar vorangehen würden. In dem Pidginstadium des Tok Pisin beispielsweise stehe der Irrealismarker bambai am Satzanfang, rücke jedoch in der Form bai vor die Verbalphrase, sobald die Kreolisierung beginne.[14]
In einer normal funktionierenden Sprachgemeinschaft verändere das Kind die Vorgaben des Bioprogramms schon bald, da die Kinder von den Eltern nach den Regeln der Muttersprache korrigiert würden.[15] In der multilingualen Plantagengesellschaft jedoch, in der die Pidginsprache zu inhomogen[16] und zudem die Struktur der einzelnen Idiolekte der Eltern nicht ausreichend elaboriert sei, um als Muttersprache zu dienen[17], verhindere ein den Kindern eingebauter „Filter“, dass sie „asyntaktische“ Wendungen des Pidgins erlernen, die nicht in ihrem Bioprogramm vorgegeben seien. Die Pidgin sprechenden Eltern könnten daher ihren Kindern keinen voll ausgebauten sprachlichen Input zur Verfügung stellen, so dass es zu einem “Bruch” in der normalen Überlieferung der Sprache von den Eltern an die Kinder komme.[18]
Der Genesetheorie Bickertons zufolge erklärt also die unterbrochene Überlieferung der Pidginsprache den strukturellen Bruch zwischen dem Pidgin und der Kreolsprache.
I.1.3 Neuere Vertreter einer Kreolisierung über die Zwischenstufe eines Pidgins: McWhorter
& Parkvall
In jüngster Zeit vertreten John McWhorter und Mikael Parkvall die Ansicht, die Kreols hätten während ihrer Entstehung ein Pidginstadium durchlaufen, dessen Spuren sich in den heutigen französischbasierten Kreolsprachen (FKS) deutlich abzeichneten. Aufgrund der drastischen Reduzierung und Simplifizierung der Basissprache zu einem Pidginstadium, sowie einer starken syntaktischen Interferenz mit den Substratsprachen sei der typologische Unterschied zwischen den FKS und dem Französischen beträchtlicher als die Superstratisten behaupten.
Bien que la conception superstratiste nous semble très correcte et nécessaire dans ses grandes lignes, nous nous trouvons cependant incapables d’accepter un schéma dans lequel la langue superstratique occupe un cercle central pendant que les créoles occupent un cercle extérieur, la dernière étape d’une série ininterrompue d’approximations [Hervorhebung von mir], [...] ce schéma ignore plusieurs différences profondes entre les créoles et leurs superstrats qu’un schéma fondé sur des approximations s’avère être incapable d’accommoder.[19]
Folgende Merkmale der FKS, die sich in keiner französischen Varietät wiederfinden ließen, reflektierten eine frühere Pidginisierung und zeugten – anstatt von einer “approximation approximative” von einer “transmission interrompue”[20]: Kopulaverlust, eine vom Infinitiv abgeleitete Verbalform, präverbale Stellung der Negation, Agglutinierung der Determinanten in die Nomen und die durch die kreolische Funktionsklassenüberschreitung entstandene Multifunktionalität.
I.2 Universalistische Ansätze – Bruch durch universelle Faktoren des Sprachkontakts?
I.2.1 Foreigner Talk
Diese Theorie führt viele typologische Übereinstimmungen zwischen Pidgin- und Kreolsprachen auf Spuren der Anwendung universeller Verfahren der Redevereinfachung beim Sprechen in einer Sprachkontaktsituation zurück.
Betrachtet wird die erste Phase der spezifischen Situation, in der Muttersprachler und Fremde miteinander kommunizieren: Zur besseren Verständigung bedienen sich beide eines vereinfachten Registers[21] der Sprache des Muttersprachlers, das Foreigner Talk genannt wird. Stellt man sich die frühere Plantagensituation vor, erscheint es sehr plausibel, dass Herren und Sklaven zur Erleichterung der Kommunikation häufig die Basissprache “vereinfachten”. Ein solches reduziertes, “gebrochenes” Register bei der Kommunikation zwischen Herren und Sklaven erklärt leicht einen gewissen “Bruch” mit der Basissprache, der am Anfang des Kreolisierungsprozesses gestanden hat.[22]
In allen Sprachen finden sich strukturelle Äquivalenzen von Formen des Foreigner Talk, wie sie beispielsweise von Charles Ferguson beobachtet wurden. Diese gäben einen Hinweis auf die universale Fähigkeit des Menschen, sich in schwierigen Verständigungssituationen ein „vereinfachtes“ Mittel ausbilden zu können, um einen Sprachkontakt herzustellen.[23]
Einerseits werden die universellen Prinzipien der Redevereinfachung nach Ferguson von Jürgen Lang aufgegriffen und ergänzt:
- Verzicht auf die Hypotaxe, die Kopula und die Determination in ihrer allgemeinsten Form (bestimmter Artikel): ich weiß schon, daß du alles vergißt! → ich schon wissen: Du alles vergessen!; ist die Arbeit fertig? → Arbeit fertig?
- Verzicht auf redundanten accord: viele Steine → viel Stein; Du gehst → Du gehen; sehr schön → viel schön; sehr lieben → viel lieben; kein Freund → nix Freund; um zu arbeiten → für arbeiten usw.
- Generalisierung des Gebrauchs der infiniten Verbformen, im Extremfall des Infinitivs als der neutralsten Verbform überhaupt. Aber auch z.B. Generalisierung gewisser Formen der Deklination oder der betonten Personalpronomina auf Kosten der unbetonten usw.
- Analytische, insbesondere lexikalische Umschreibung von normalerweise durch gebundene Morpheme ausgedrückten Inhalten: Steine → viel Stein, Menge Stein; größer → mehr groß; Ich habe es gesehen → Ich das schon sehen usw.
- Analytische Umschreibung von Resultaten der Wortbildung: lächeln → bisschen lachen; Kassiererin → Fräulein Kasse usw.
- Ausgiebiger Gebrauch der Reduplikation: sehr schnell → schnell schnell; Steine → Stein Stein; arbeiten → schaffe schaffe usw.
- Verzicht auf den Ausdruck syntaktischer Relationen (z.B. durch Kasusendungen, Präpositionen und Konjunktionen): Du musst noch einmal zum Doktor und ihm sagen: nach zehn Minuten (mit der neuen Brille) habe ich (regelmäßig) starke Schmerzen → noch einmal Doktor sagen: ich zehn Minuten viel Schmerzen usw.
- Abstrahieren von den kategoriellen Bedeutungen („Substantiv“, „Adjektiv“, „Verb“, „Adverb“) der Wörter: Heute arbeiten wir nicht → Wir heute nix Arbeit; Sie streiten viel bei der Arbeit → Sie Arbeit viel Streit usw.[24]
Andererseits beobachtete schon Schuchardt neben den typologischen Ähnlichkeiten auch individuelle Unterschiede beim Simplifizieren.[25]
Die Beobachtung der Individualität jeder einzelnen Sprecheräußerung bei der Kommunikation mit Fremden wird von Kritikern an der Foreigner-Talk-Theorie wie DeCamp aufgegriffen und als Argument gegen diese Theorie verwendet.[26] Ferguson legt jedoch dar, dass die Vorgehensweisen der Reduzierung in der Aussprache, der Grammatik und dem Lexikon intuitiv angewandt und kulturell überliefert werden. Daher seien die Simplifizierungen gegenüber Veränderungen teilweise resistent.[27]
Untersucht man die Rolle des Foreigner Talk in der Pidgingenese, so lässt sich beim Vergleich der verschiedenen Pidgins mit den Kreolsprachen und weiteren Standardsprachen feststellen, dass gerade die simplifizierten Register der Standardsprachen in einer Reihe von Merkmalen mit den Pidgins und Kreolsprachen übereinstimmen.
Wie es auch in der Forschung oft angenommen wird[28], liegt daher der Schluss nahe, dass aus einem stabilen Foreigner Talk ein Pidgin entstehen kann. Ein entscheidender Faktor für die Herausbildung eines Pidgins scheint die Stabilisierung und Konventionalisierung des Foreigner Talk-Registers zu sein: Nur wenn sich Konventionen in der Sprechweise mit Fremden herausbilden, kann der Foreigner Talk von den Nicht-Muttersprachlern imitiert werden. Ist dies nicht der Fall, verhindert die Variabilität des Registers, dass dieses als Modell dienen kann (vgl. II.1).
In jedem Fall kann man bei der Genese von Pidgins und Kreols von einer stattgefundenen universellen Simplifikation und Reduzierung ausgehen, die einen “Bruch” mit der Basissprache auslösten. Wie dieser Bruch exakt ausgesehen hat, ob er lediglich eine (ansatzweise) Pidginisierung auslöste oder sogar ein Pidgin hervorgebracht hat, kann theoretisch kaum mit Sicherheit rekonstruiert werden.[29] Licht in diese Fragen könnte heutzutage die Analyse ältester Texte aus der Kolonialzeit bringen.[30]
I.2.2 Mündlichkeit
Die demographischen Daten aus den Kolonien verdeutlichen[31], dass ein Großteil der Kommunikation wohl eher unter den Sklaven und nicht zwischen diesen und den Herren stattgefunden hat. Demgemäß muss man davon ausgehen, dass die Entstehung von Pidgins bzw. von angenäherten Varietäten der Basissprache (vgl. I.4.1.1) nicht nur auf dem Foreigner Talk-Register der Kolonialherren basieren kann, sondern primär auf der gesprochenen Sprache zwischen allen Bevölkerungsgruppen. Während also in der Theorie des Foreigner Talks der Muttersprachler als Initiator oder Imitator der reduzierten Redeweise immer eine Rolle spielt, liegt der Schwerpunkt der Hypothese der Mündlichkeit auf dem „mündlichen“ Charakter der damaligen Kommunikationsform allgemein.
In Situationen der Mündlichkeit dominiert nach Talmy Givón der „pragmatische“ Modus der Kommunikation, welcher sich durch strukturelle Merkmale – wie eine Thema-Rhema-Struktur, fast keine Konjunktionen, wenig „output“, eine vom pragmatischen Prinzip ‚alte Info – neue Info‘ gelenkte Wortstellung, ein Verb / Nomen-1:1-Verhältnis sowie kein morphologisches System – auszeichne. Dagegen wiesen syntaktische Formen typischerweise eine Subjekt-Objekt-Struktur auf, weiterhin: eine hohe Subordination; hohen „output“; eine Wortstellung, die auf semantische Beziehungen weist; ein höheres Verhältnis von Nomen zu Verben sowie einen elaborierten Gebrauch von morphologischen Strukturen.[32]
Da Givón bei seiner Analyse verschiedener Pidginsprachen genau die oben genannten Merkmale feststellt, sieht er in Pidgins Realisierungen eines extrem pragmatischen Modus der Kommunikation. Die Kreolisierung stellt für Givón einen Prozess der Syntaktisierung dar. Somit verkörpern Kreols, indem sie einen syntaktischen Modus entwickeln, den extremen Gegenpol zu dem kommunikativen Modus der Pidgins.
Ähnlich sieht Guy Hazaël-Massieux die Entstehung der Kreolsprachen als einen Übergang von vorwiegend lexikalischer Kommunikation (Beziehungen sind implizit und werden aufgrund von Erfahrungen, der Situation oder dem Kontext interpretiert) zu einer eher grammatikalischen Kommunikation.[33]
Auch die aus einem hohen Maß an „kommunikativer Nähe“ resultierenden Versprachlichungsstragien nach Koch / Oesterreicher treffen häufig auf Merkmale zu, die für Pidgins typisch sind. Die Präferenz für nichtsprachliche Kontexte und für Gestik, Mimik, ein geringer Planungsaufwand, Vorläufigkeit, Aggregation et cetera[34]. Schließlich entstehen Pidgins unter Kommunikationsbedingungen, die sich mit den für „Nähesprache“ charakteristischen Parametern überschneiden. So zeichneten sich nähesprachliche Konversationen beispielsweise durch das Zusammenwirken von „freiem Sprecherwechsel“, „face-to-face -Interaktion“, „freier Themenentwicklung“, „Spontaneität“, und einer starken Situations- und Handlungseinbindung aus.[35] Diese Kommunikationsmerkmale der „Nähesprache“ trafen wohl häufig für ein Gespräch unter Sklaven zu. Wahrscheinlich kreiste eine Vielzahl der Konversationen zwischen den Schwarzen um die auf den Plantagen zu erledigende Arbeit. Versetzt man sich in die Situation zweier Sklaven, die sich gegenseitig Anweisungen zur Erledigung der gemeinsamen Arbeit geben, so erscheint das Gesagte häufig ohne einen weiteren sprachlichen Kontext offensichtlich und zeitlich als auch örtlich fassbar. Diese handlungseingebettete Kommunikation basiert auf dem Gebrauch des pragmatischen Modus, bei dem die Interpretation der Relationen sich aus der Situation oder dem Kontext ergibt.
Im Folgenden werden zur Illustrierung des Einflusses des mündlichen Modus auf die enstehenden FKS Beispiele aus diesen Sprachen genannt, in welchen Nomen ohne jegliche Verbindungsglieder aneinandergereiht werden. Diese Juxtaposition deutet auf eine handlungseingebettete Situation hin, in der sich die genauere Relation zwischen den Substantiven aus der menschlichen Erfahrung oder dem Kontext ergibt.
KrLou: kote lamezõ jeã la
(près de la maison du géant)
KrHai: kle machin nã
(la clef de la voiture)
KrSey: I ti reste pre ek lakaz Sougoula
(Il habitait près de la maison de Soungoula)[36]
I.2.3 Ungesteuerter Zweitspracherwerb
Ein Kritikpunkt an den Erklärungsversuchen der Foreigner-Talk-Theorie basiert auf sprachlichen Zügen der Pidgin- und Kreolsprachen, welche eher aus Restrukturierungen zu resultieren scheinen, die von Seiten der Lernenden in einem ungesteuerten Zweitspracherwerbsprozess vollzogenen wurden, als aus einem Foreigner-Talk-Register der Muttersprachler.[37]
Als Beispiel nennen Den Besten / Muysken / Smith die Wortstellung im Negerholländischen und im Berbice Dutch. In dem typischerweise an sozial niedrigstehende Ausländer gerichteten holländischen Foreigner Talk würden häufig Befehle ausgesprochen, so dass die generalisierte Wortstellung in diesem Foreigner Talk nach dem Modell OV gebildet werde:
Tafels schoonmaken!
Tables clean
‚Clean [the] tables‘[38]
In den genannten niederländischen Kreolsprachen stehe jedoch typischerweise das Verb nach dem Subjekt und vor dem Objekt (SVO), was nicht ausschließlich auf afrikanischen Substrateinfluss zurückgeführt werden könne, und zudem charakteristisch sei für die Redeweise von Sprechern, die ungesteuert eine zweite Sprache lernen.
Stellt man sich die kommunikative Lage in den Kolonien vor, so hatten die schwarzen Arbeiter (zumindest in der zweiten Phase der Kolonialzeit) aufgrund der wenigen Kontakte mit den Sprechern der Basissprache ungenügende Möglichkeiten, deren Sprache korrekt zu erlernen. Sie mussten sich daher aus der „aufgeschnappten“chaîne parlée der Europäer ein Kommunikationsmittel „zurechtbasteln“. Im Gegensatz zu einem gesteuerten Spracherwerb, bei dem die neue Sprache unter systematischer Anleitung erlernt wird, wurde eine fehlerhafte Äußerung eines Sklaven auf den Plantagen wohl kaum von den Europäern korrigiert, geschweige dass Schulen oder sonstige Bildungseinrichtungen und –mittel existiert hätten.[39]
Während schon in den 1970er Jahren Verbindungen zwischen der Kindersprache und Kreolsprachen gezogen wurden (Chaudenson 1978[40], Valdman 1978a[41], Bickerton 1981), begannen weit reichendere Untersuchungen über den Zweitspracherwerb Erwachsener in nicht-systematisch gelenkten Situationen (zumindest für das Französische) erst in den 1980er Jahren: Zwischen 1981 und 1988 wurde unter der Schirmherrschaft der European Science Foundation (ESF) von dem Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen ein Projekt über den ungesteuerten Erwerb europäischer Sprachen durch circa 40 erwachsene Migranten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Holland und Schweden durchgeführt.[42]
Das Projekt zeigte, dass der Erwerb einer Fremdsprache durch erwachsene Lerner einer bestimmten dreiteiligen Ordnung folgt: Der Erwerb beginne mit einer anfänglichen “nominalen” Strukturierung der Äußerungen[43], auf die eine Phase der Strukturierung um das nichtflektierte Verb folge, und ende mit Konstruktionen mit flektierten Verben. Die Entwicklung verläuft dieser Studie zufolge äußerst graduell.
Da die (in alten Texten dokumentierten) ersten Stadien der Kreols von dem Organisationsprinzip zeugten, das in vielen Punkten der Entwicklungsphase der nichtflektierten Verbalstruktur entspreche, ist dieser Strukturierungstyp, dessen sprachliches Resultat “Basisvarietät” genannt wird, nach Véronique der entscheidende um die ersten kreolischen Produktionen zu erklären.[44]
Der Übergang von der nominalen Strukturierung zu der “Basisvarietät” sei vor allem durch den Erwerb und den Gebrauch von Elementen, die Beziehungen ausdrücken, gekennzeichnet. Diese entsprächen hauptsächlich den Verben in den Zielsprachen. In allen gelernten Sprachen weise die „Basisvarietät“ bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf, wie das fast vollständige Fehlen von Subordination und morphosyntaktischen Zügen. Besonders bemerkenswert in der genannten Studie ist das Ergebnis, dass der Einfluss der Muttersprachen in der „Basisvarietät“ äußerst gering sei.[45]
Auch nach Den Besten / Muysken / Smith liefern Sprachversuche erwachsener Migranten, die ohne didaktische Anleitung eine europäische Sprache erlernen, universelle Merkmale des ungesteuerten Zweitspracherwerbs, die sich in Pidgins und Kreols wiederfinden lassen. Hierzu zählen sie ebenfalls eine nichtflektierte Verbform; außerdem die Verwendung von entweder keinen Determinanten oder aber von Demonstrativa als Determinanten; die präverbale Stellung des Negators; eine festgelegte Wortstellung sowie eine reduzierte Pluralmarkierung der Nomina et cetera .[46]
I.2.4. (Re)Analyse
Jürgen Lang / Ingrid Neumann-Holzschuh unterscheiden zwischen den Prozessen der Reanalyse und der Analyse: Während in der Analyse eine bisher unanalysierte chaîne phonique oder graphique analysiert werde, müsse die Laut- oder Graphemkette bei einer Re analyse zuvor bereits anders analysiert worden sein. So sei dem Reanalysierenden – im Gegensatz zu dem Analysierenden – aufgrund seiner Kenntnisse der in der Situation gebrauchten Sprache und aufgrund seines universellen sprachlichen Wissens eine Gliederung der Elemente der Rede möglich. Reanalyse finde also dann statt, wenn ein Hörer für ein Syntagma, dessen Elemente einen bestimmten “ordre linéaire” darstellten, einen “ordre structural” annehme – und zwar einen solchen der sich von demjenigen “ordre structural”, der dem Sprecher und dem Hörer zugänglich sei, und der zudem von dem Sprecher beabsichtigt wurde, unterscheide:
Von Re analyse möchten wir also dann sprechen, wenn ein Hörer, dem der vom Sprecher intendierte ‚ordre structural‘ zugänglich ist, bei der Interpretation dem entsprechenden ‚ordre linéaire‘ einen anderen ‚ordre structural‘ unterstellt.[47]
Zur Veranschaulichung greift Lang auf ein Beispiel von Ulrich Detges zurück:
Je vais faire mes courses a) Ich gehe meine Einkäufe erledigen
(situationsgebundenes Ereignis)
b) Ich werde meine Einkäufe erledigen
(Ereignis, das außerhalb der unmittelbaren
Kontrolle von Sprecher und Hörer steht. Hier:
Zukunft)
Ein Hörer verstehe die Äußerung „Ich bin auf dem Weg, um meine Einkäufe zu erledigen“ [JeSubjekt] [vaisVerb] [faire mes courses Richtungsergänzung] im Sinne von „Ich werde meine Einkäufe (bald) erledigen“ [JeSubjekt] [[vaisHilfsverb] faireVerb][mes coursesdirektes Objekt].
Aus der Reanalyse der Äußerung Je vais faire mes courses mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Ich gehe meine Einkäufe machen‘ zu ‚Ich werde meine Einkäufe machen‘ resultiere die Grammatikalisierung von aller zum Hilfsverb innerhalb einer neuen Verbalperiphrase, wodurch der Ausdruck ambig werde.[48]
Vergleicht man die Reanalyse im Falle des Beispiels “Je vais faire mes courses” mit den Spuren des ungesteuerten Zweitspracherwerbs in den Kreols, so zeigen sich nach Lang in den Kreols Phänomene, die weniger durch eine Reanalyse von Strukturen als vielmehr durch eine Analyse phonischer Kontinua erklärt werden können. Da der ordre structural der Zielsprache den Hörern nicht zugänglich gewesen sei, hätten sie ausgehend von dem für sie nicht-strukturierten sprachlichen Material eine neue Strukturierung vollzogen, was unter anderem zu fehlerhaften Segmentierungen geführt habe.
Das rezeptionsanalytische Verfahren der Sklaven illustriert folgendes Modell nach Lang:
Der afrikanische Sklave nimmt nach Lang die phonetische Substanz des von den portugiesischen Kolonialherren produzierten „Vem cá!“ („Komm hierher!“) wahr und versucht, ausgehend von der gehörten und bisher unanalysierten chaîne parlée sowie dem vermuteten Gesamtsinn der Rede der Herren, auf die Art und Weise der Artikulation dieses Sinns zu schließen.
In der Auffassung, nur eine einzige Form „Her!“ sei gesagt worden, analysiert der Sklave Lang zufolge die Lautkette „Vem cá!“ falsch als „bénka“ (kapverdisches Kreol der Insel Santiago). Dieses Beispiel zeigt, dass der Sklave einen phonetischen String hört und bei der Analyse offensichtlich von einem Wort seiner Muttersprache ausgeht. Am Ende des Analyseprozesses bleibt das lexikalische Material (Substanz) erhalten, verliert jedoch seine ursprüngliche grammatische Funktion (Form).
Portugiese Afrikaner Substanz
Er will, dass ich zu ihm komme
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[veka] Substanz[49]
Im Kapverdischen Kreol der Insel Santiago findet sich beispielsweise eine modale Verbalpartikel ál (z.B. in Ál txobe ! ‘Möge es regnen!’ oder in Ál sa ta txobe ‘Es regnete gerade [in diesem Moment]’; sa zeigt die Durativität an, ta die Imperfektivität). Lang führt die Partikel ál auf das portugiesische há de (port. há de chover! ‘Es muss unbedingt regnen!’ zurück.
Im Gegensatz zu der Reanalyse des Ausdrucks Je vais faire mes courses und der darauffolgenden Grammatikalisierung des Verbs aller zu einer Partikel habe von Seiten der Sklaven keine Reanalyse eines Ausdrucks des Typs há de chover! und eine Grammatikalisierung eines Hilfsverbs zu einer Partikel stattgefunden. Vielmehr habe wahrscheinlich niemals ein Hilfsverb á oder ál im Kreol von Santiago existiert. Demnach hätten die Sklaven, da sie há nicht als portugiesisches Hilfsverb und de nicht als Präposition erkannt hätten, keine Ausdrücke des Typs * Á di txobe!, * Á-l txobe! reanalysiert, sondern vielmehr portugiesische Ausdrücke des Typs Hádechover! „fehlerhaft“analysiert.
Ein weiteres Beispiel für eine fehlerhafte Segmentierung der Einheiten findet sich in der falschen Wortbegrenzung: Die Schöpfer des Kreols von Santiago begannen ein Wort mit einem Konsonanten, das im Portugiesischen mit einem Vokal anlautet, z.B. pg. entender ‘entendre’ > kr. ntende, pg. aparecer ‘apparaître’ > kr. parse, pg. esmola ‘aumône’ > kr. simóla, sumóla et cetera. Die Nicht-Einhaltung der Wort- und oft auch der Phonemgrenzen erklärt sich nach Lang dadurch, dass diese Einheiten nicht erkannt, sondern erahnt wurden.
Der abrupte Charakter der Analysen wird in dem Langschen Analysemodell in der Kolonialsituation noch verstärkt durch den Beitrag der afrikanischen Sprachen, die ihre Spuren in der Form der entstehenden Kreolsprache hinterlassen hätten (vgl.I.3.3).
Ulrich Detges skizziert ebenfalls ein „abruptes“ Kreolisierungsszenario: Ihm zufolge gehen alle Reanalysetypen von einem semiotischen Prinzip aus, dem “Referenzprinzip”:
Principe de la référence:
Dans le cas le plus simple, le signifié d’une chaîne sonore correspond au type de fonction (référentielle, communicative ou grammaticale) qu’elle remplit normalement.[50]
Das Referenzprinzip ist nach Detges / Waltereit eine Verstehensstrategie. Es basiert auf der grundlegenden semiotischen Annahme, dass Sprachformen normalerweise bedeuten, auf was sie referieren. Ein kompetenter Hörer, der fähig ist, die Bedeutung der Lautkette zu dekodieren, sucht einen Referenten, der zu dem semantischen Inhalt der Lautkette passt. Ein nicht-kompetenter Hörer dagegen kennt nicht die konventionelle Bedeutung der Lautkette, jedoch sieht er, auf was sie sich bezieht. An dieser Stelle kommt das Prinzip der Referenz ins Spiel. Der Hörer kann nun annehmen, dass die Bedeutung der Lautkette dem Referenttyp entspricht, auf den er sich normalerweise bezieht.[51]
Bei “normalen” Sprachen wirke sich dieser Mechanismus auf idiomatische Ausdrücke mit hoher Frequenz aus, was Detges anhand des Wandels von altfr. d’ore en avant ‘de cette heure en avant’ > fr. dorénavant ‘désormais’ erläutert. Der Hörer habe die signifiés der Einzelwörter de, ore, en und avant identifizieren müssen, um daraus den Referenten DÉSORMAIS zu bestimmen, was wenig ökonomisch gewesen sei. Daher assoziierten die Hörer, sobald die Konstruktion d’ore en avant eine höhere Gebrauchsfrequenz erhalten habe, direkt den Referenten DÉSORMAIS.
Detges postuliert – anstatt wie Chaudenson von der Kontinuität innersprachlicher Entwicklungstendenzen der Superstratsprache auszugehen – eine starke quantitative Differenz, die in der Anwendung diverser Manifestationen des Referenzprinzips im Falle des “normalen” Sprachwandels und des Sprachwandels bei der Kreolisierung hervortrete. Diese quantitative Verschiedenheit führt er auf eine unterschiedliche Motivierung des Wandels zurück: Während in der Entwicklung des Französischen Ökonomiestrategien vorherrschten, zeige sich beim Spracherwerb der Sklaven, die nur einen begrenzten Zugang zu der Basissprache haben, eine Priorität der Verständigungsstrategien. Aufgrund der besonderen soziohistorischen und soziolinguistischen Bedingungen, unter welchen der Übergang vom Französischen zu den Kreolsprachen vonstatten gegangen sei, habe das französische “Material” massiven Reanalysen unterlegen, die viel häufiger durch Verständigungsstrategien motiviert gewesen seien, als sie bei der spontanen sprachlichen Entwicklung einer “normalen” Sprache auftreten würden. Qualitativ unterschieden sich die Restrukturierungsprozesse, die bei der Kreolisierung zum Tragen kommen, nicht von denjenigen, die sich während des Sprachwandels “normaler” Sprachen beobachten ließen.[52]
Beispielsweise findet sich in dem Lexikon mehrerer Kreols der Karibik ein Verb simié (‘ préférer ’), das seinen Ursprung aus dem französischen Ausdruck c’est mieux bezieht:
Kreol von Ste. Lucie: Mwen simié li.
‘Je préfère lire.’[53]
Bei dem Übergang von dem französischen c’est mieux zu dem frankokreolsprachlichen simié bleibt die lautliche Substanz des Ausdrucks mehr oder weniger erhalten. Seine morphologische Struktur erfährt dagegen einen tief greifenden Wandel: Was im Französischen eine komplexe prädikative Konstruktion bestehend aus einer Kopula und einem attributiven Adjektiv darstellt (c’est mieux), ist in den betreffenden Kreols nur noch ein einfaches Verb (simié). Der Wandel von fr. c’est mieux > kr. simié erfolgte Detges zufolge nach dem Prinzip der Referenz: Da der Sklave die grammatische Struktur des französischen Ausdrucks sowie seine Bedeutung (PRÉFÉRER QC) nicht gekannt habe, musste er ausgehend von der Lautkette /semjø/ und den Informationen, die ihm in der konkreten Kommunikationssituation zugänglich waren, versuchen, der Lautkette den pragmatischen Sinn als neuen signifié zuzuschreiben. In diesem Beispiel basiere das Referenzprinzip auf Verständigungsstrategien.[54]
Im Falle der Kreolisierung forcieren nach Detges bestimmte sprachliche Zeichen Reanalysen: Je grammatischer ein Element sei, desto stärker unterliege es Reanalysen, die auf dem Referenzprinzip basierten. Das Referenzprinzip verhilft somit zu einem Verständnis, warum während der Kreolisierung vor allem die grammatischen Elemente verloren gehen: Die grammatischen Morpheme verweisen nicht wie die lexikalischen Elemente auf eine außersprachliche Realität, sondern dienen zu einer Strukturierung der Rede. Folglich ist es in einer direkten Kommunikationssituation oft extrem schwer, einem grammatischen Element eine identifizierbare Funktion zuzuschreiben. Die Lernenden behielten nur die grammatischen Züge der Superstratsprache, die mit einer starken kommunikativen Salienz ausgestattet seien. So zeigt Detges anhand des Verbs voudwé ‘aimer bien’, das in dem Kreol von Ste Lucie neben dem Verb vlé ‘vouloir’ existiert und von dem französischen voudrais abstammt, wie grammatische Elemente des Französischen in den FKS einen lexikalischen Sinn tragen: Während des Wandels von frz. [ voud ][ rais ] > kr. [ voudwé ] werde dem Referenten ein neuer signifié zugeschrieben. Mit dem pragmatischen Wandel gehe eine Veränderung in der Sprachstruktur einher: So bleibe in dem kreolischen Lexem das Material der Endung –rais der französischen Verbform erhalten, habe jedoch als Bestandteil der Wurzel jegliche grammatische Funktion verloren. Auf die gleiche Art und Weise bleibe eine große Anzahl grammatischer Elemente in den Kreols erhalten (continuité matérielle), aber diese Elemente erfüllen keine grammatische Funktion mehr (discontinuité fonctionnelle).[55]
I.2.5 Grammatikalisierung
Geprägt wurde der Terminus „Grammatikalisierung“ von Antoine Meillet. Er bezeichnet einen diachronen Sprachwandelprozess, in dessen Verlauf ein autonomes lexikalisches Morphem, das auf Elemente der außersprachlichen Wirklichkeit referiert (sogenanntes Grundkonzept) allmählich die Funktion einer abhängigen grammatischen Kategorie erwirbt, die Relationen zwischen sprachlichen Elementen untereinander oder zwischen sprachlichen Elementen und der Sprechsituation bezeichnet (relationale Konzepte). Unter semantischem Aspekt vollzieht sich dabei eine Entwicklung von autosemantischer (lexikalischer) zu synsemantischer (grammatischer) Bedeutung.[56]
Während Reanalyse ein Hörerphänomen ist, sehen Detges / Waltereit Grammatikalisierung als ein Sprecherphänomen an.[57] Nach Detges ist Grammatikalisierung das unbeabsichtigte Ergebnis rhetorischer Diskursstrategien von Seiten der Sprecher.[58]
Eine solche Sprecherstrategie kann erneut am Beispiel der Entstehung des französischen futur proche verdeutlicht werden. Der Wandel von der gegenwärtigen zur futurischen Bedeutung wird Detges zufolge durch Sprecher ausgelöst, welche die zukünftige Absicht, etwas erledigen zu wollen betonen, um den Hörern nicht-gegenwärtige Ereignisse glaubhaft zu machen. Aus diesem Grund fänden sich Formen, die zur Entstehung grammatikalisierter Zeitbedeutung führten, vorwiegend in der ersten Person Singular Indikativ Präsens. Verben der Bewegung könnten also dann zu Futurmarkern werden, wenn die Intention des Sprechers, die Einkäufe erledigen zu wollen, konventionalisiert werde.[59]
Wie in dem Beispiel je vais faire mes courses entstehe der Tempusmarker fini in den FKS durch rhetorische Strategien von Seiten der Sprecher, die versuchten, die Hörer ausgehend von dem Vorgang des Beendens (finir qc) von der tatsächlichen Vollendung des Geschehens zu überzeugen. Das typische rhetorische Verfahren, das fini in einen Tempusmarker verwandelt habe, könne in einer Situation geschehen, in welcher der Sprecher gefragt werde: “Hast du erledigt, was ich dir aufgetragen habe?” Worauf der Sprecher antwortete: „Schau, ich habe es erledigt (hier ist das Resultat)!”[60]
An Analyseprozesse nach Lang schlossen sich also einigen Fällen von Seiten der Sprecher Grammatikalisierungsprozesse an, die von bestimmten kognitiven Mechanismen ausgelöst wurden. Diese Prozesse führten schließlich zu einer graduellen Etablierung neuer Strukturen.[61]
Beispielsweise erschien fini als Marker der nahen Vergangenheit im KrMau in dem Kontext der Verkündigung der Abschaffung der Sklaverei 1835. Für die Autoren des Textes war es Detges zufolge entscheidend, den Lesern glaubhaft zu machen, dass die Unterzeichnung des Gesetzesentwurfs tatsächlich stattfand:
KrMau: Lé-Roi fini faire eine la loi qui nous tous va sivre bientot [...]
Le roi vient de faire une loi [...]
Der König hat gerade ein Gesetz beschlossen [...][62]
Fin(i) wird von einem französischen Lexem abgeleitet, so dass man von einer deutlichen materiellen Kontinuität vom Französischen zu den FKS ausgehen kann. Da jedoch weder im Standardfranzösischen noch in den Dialekten des Französischen im 17. Jahrhundert finir oder fini als Vergangenheitsmarker gebraucht wurde, handelt es sich Detges zufolge bei der Entstehung des Vergangenheitsmarkers fin(i) um einen den Kreols eigenen Grammatikalisierungsprozess. Mit der materiellen Kontinuität zwischen Französisch und den FKS gehe auch hier eine funktionelle Diskontinuität einher.[63]
Das Beispiel fini(r) zeigt, dass bei der Kreolisierung oft andere Sprachwandelprozesse zum Tragen kommen als bei der „normalen“ Entwicklung einer Einzelsprache.[64]
Nach Adrienne Bruyn lassen sich solche neuen grammatischen Funktionen, die dem Superstrat entlehnte Lexeme in den Kreols bekommen, häufig durch Substrateinfluss erklären. Solche Entwicklungen seien nicht systemintern wie bei der normalen Grammatikalisierung.[65] Man kann also festhalten, dass die klassische Grammatikalisierung als ein systeminterner Prozess betrachtet wird, der innerhalb einer gegebenen Sprache ohne Einflüsse von außen erfolgt – der grammatische Aufbau der Kreolsprachen hingegen von den Substratsprachen beeinflusst wird.
Den Beschreibungen der Entwicklung grammatischer Subsysteme in den FKS von Daniel Véronique und Detges lässt sich entnehmen, dass die Grammatikalisierungsprozesse je nach grammatischer Kategorie in unterschiedlich starkem Ausmaß stattfanden – ein Phänomen, das Neumann-Holzschuh „restructuration différentielle“[66] nennt. So wurde z.B. dem Vergangenheitsmarker fini in den Kreols des Indischen Ozeans durch seine Grammatikalisierung ausgehend von dem Lexem finir eine unterschiedliche Bedeutung im Vergleich zur Basissprache verliehen. Die Einheiten, die von pour / être pour abgeleitet sind, scheinen hingegen ähnliche semantische und syntaktische Funktionsweisen wie in der Basissprache beibehalten zu haben. Deshalb kann man beispielsweise im Falle des Futurmarkers pou von Anfang an von einem weniger ausgeprägten strukturellen Bruch mit der Basisspache sprechen als bei fin(i).
Der Futurmarker pou (< frz. être pour + Infinitv = ‚ être sur le point de ‘) im KrMau und im KrSey kann Detges zufolge als Beispiel einer „partiellen Grammatikalisierung“ angesehen werden[67]: Periphrastisches être pour + Infinitiv existierte schon im Mittelfranzösischen. Nach Gougenheim hatte diese Konstruktion bis ins 15. Jahrhundert ausschließlich einen finalen Sinn (z.B. mon escole n’est pour batre ‘mon école n’existe pas pour qu’on y soit battu).[68]
Ab dem 15. Jahrhundert hat sich nach Detges der periphrastische Gebrauch von être pour mit der Bedeutung NAHE ZUKUNFT und ZIEL verbreitet (z.B. je suis pour me marier la semaine prochaine[69]) und ging auch in den Sprachgebrauch der Bewohner Haitis, Réunions, Mauritius und der Seychellen ein. Anders als im KrHai, KrRéu und im Französischen habe diese Bedeutung von pou im KrMau und im KrSey mit der Zeit ihre „gegenwärtige Relevanz“ verloren und sich in einen voll grammatikalisierten Futurmarker verwandelt. Das heisst der Futurmarker pou, der anfangs nur auf NAHE ZUKUNFT, die einen Bezug zur Gegenwart hatte, verwies, wird Detges zufolge im KrMau und KrSey auf entferntere und unsicherere Zukunft ausgeweitet.[70]
Da pou heute im KrHai und im KrRéu eine andere Zukunftsbedeutung besitzt als im KrMau und im KrSey, lässt sich schlussfolgern, dass die jeweiligen Restrukturierungsprozesse in den einzelnen Kreolsprachen mit unterschiedlicher Konsequenz abgelaufen sind.[71]
Aufgrund der Beobachtung von Divergenzen innerhalb der einzelnen FKS, die sich auch durch eine unterschiedliche Entfernung der einzelnen Kreolidiome von der Basissprache manifestieren, begründet Chaudenson eine Typologie der französischen Kreolsprachen. Er schlägt vor, die FKS als ein horizontales Kontinuum (“continuum interlinguistique”) zu beschreiben – “les systèmes linguistiques prenant place sur une ligne imaginaire en fonction de leur éloignement relatif d’un système de référence”[72] – dieses Referenzsystem sei das Französische. Auf der imaginären Linie sei auch der Abstand zwischen den einzelnen FKS messbar. Lege man einige Variablen zugrunde (Merkmale, welche die FKS vom Französischen unterscheiden), so komme folgende Reihung der FKS zustande, die in weiterer Forschung zu überprüfen wäre[73]:
Variablen (in der folgenden Matrix mit + oder – gekennzeichnet):
1. APRÈS (+) / ka (-) für den progressiven Aspekt
2. Futur/Konditional markiert mit SERA/SERAIT (+)
3. Unmarkierte Verbform = Präs. (+) / = Verg. (-)
4. Negator vor dem Verb (-) / nach dem Verb (+)
5. Pluralmarkierung vorangestellt (+) / nachgestellt (-)
6. Demonstrativum sa...la (+) / nachgestellt (-)
7. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Possessivum der 3. Pers. = Personalpron. (+) / = Personalpron. (-)
8. Komparativpartikel pase (-)
[...]
[1] Vgl. Holm, John (1988): Pidgins and creoles. Vol. 1: Theory and structure. Cambridge: Cambridge University Press, 25. Beim ersten Verweis auf ein Werk wird die vollständige Literaturangabe geliefert; bei jedem weiteren Verweis auf das Werk wird nur der Nachname des Autors, Erscheinungsjahr der Werkes und referierte Seitenzahl genannt.
[2] „Allerdings gibt es Sprachen, die aus noch strengerer Not erwachsen sind, nämlich die in welchen sich die Weissen besonders Amerikas mit ihren afrikanischen Sklaven verständigten, die Sklavensprachen. Aber diese haben sich aus Vermittlungssprachen – die ja beiderseits Muttersprachen neben sich haben – selbst zu Muttersprachen fortentwickelt, indem die Sklaven auch unter sich, wegen der grossen Verschiedenheit der ererbten Sprachen, eines allgemeinen Verständigungsmittels bedurften.“ Schuchardt, Hugo (1909): „Die Lingua franca“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 33, 442.
[3] Bloomfield, Leonard (1933): Language. London: Allen & Unwin, 473-474. Man beachte die Verwendung des Terminus jargon zur Bezeichnung des konventionalisierten Resultats des baby-talk -Registers, das Bloomfield an anderer Stelle als Pidgin English bezeichnet. Aus den von Bloomfield erwähnten Charakteristika des jargons lässt sich jedoch schließen, dass er jargon mit Pidgin gleichsetzt: „[...] a jargon or a lingua franca is nobody’s native language but only a compromise between a foreign speaker’s version of a language and a native speaker’s version of the foreign speaker’s version, and so on, in which each party imperfectly reproduces the other’s reproduction.“ Dieses Beispiel deutet auf die Uneinheitlichkeit der Begriffsbezeichnungen innerhalb der Kreolistik hin. Daher soll zunächst die klassische Definition eines Pidgins nach Hymes in Erinnerung gerufen werden: „A pidgin is defined as a stable form of speech that is not learned as a first language (mother tongue) by any of its users, but as an auxiliary language by all; whose functions are sharply restricted (e.g., to trade, supervision of work, administration, communication with visitors), and whose vocabulary and overt structure are sharply reduced, in comparison with those of the languages from which they are derived.“ Hymes, Dell (1968): „Pidginization and Creolization of Languages“, in: Items 22,2, 14.
[4] Hall, Robert A. Jr. (1966): Pidgin and creole languages. Ithaca / New York: Cornell University Press, xii. Hall, Robert A. Jr. (1962): „The life cycle of pidgin languages“, in: De Groot, A.W. / Reichling, A.J.B.N. / Uhlenbeck, E.M.(eds.): Lingua 11. Amsterdam: North-Holland Publishing Company, 151.
[5] Wie beispielsweise geschehen im Falle des Pidgin English in Nordamerika, in Neuseeland und in Australien.
[6] Hall (1962: 151). Hall (1966: xiii).
[7] Nach Valdman, Albert (1994): „Décréolisation, repidginisation et étiolement linguistique dans le développement des créoles“, in: Véronique, Daniel (ed.): Créolisation et acquisition des langues. Aix-en-Provence: Publications de l’Université de Provence, 191.
[8] Hymes, Dell (1971): „Introduction to part III: General conceptions of process“, in: Hymes, Dell (1971): Pidginization and creolization of languages. Cambridge: Cambridge University Press, 81.
Die Gleichsetzung der Kreolisierung mit „Vermuttersprachlichung“ findet sich auch bei DeCamp, der allerdings die Möglichkeit nicht-muttersprachlicher Kreols zugesteht sowie den theoretischen Charakter des Lebenszyklus nach Hall betont: “[...] there is no way of knowing whether a language of unknown history has ever passed through the pidgin-creole cycle [...]”. DeCamp, David (1971a): „The study of pidgin and creole languages“, in: Hymes, Dell (ed.): Pidginization and creolization of languages. Cambridge: Cambridge University Press, 16, 25.
Die Literatur der 1970iger Jahren zeigt die damalige allgemeine Akzeptanz der Hallschen life-cycle theory einer Pidginsprache. Vgl. DeCamp, David (1971b): „Towards a generative analysis of a post-creole speech continuum“, in: Hymes, Dell (ed.): Pidginization and creolization of languages. Cambridge: Cambridge University Press, 349. Vgl. auch Todd, Loreto (1974): Pidgins and Creoles. London / Boston: Routledge & Kegan Paul.
[9] Vgl. zur Spracherwerbsfähigkeit Erwachsener Bickerton, Derek (1999): „How to Acquire Language without Positive Evidence: What Acquisitionists Can Learn from Creoles“, in: DeGraff, Michel (ed.): Language creation and language change: creolization, diachrony, and development. Cambridge/Massachusetts/London: The MIT Press, 64-5.
[10] Bickerton, Derek (1977): „Pidginization and creolization: Language acquisition and language universals“, in: Valdman, Albert (ed.): Pidgin and creole linguistics. Bloomington: Indiana University Press, 54.
[11] Die Bioprogrammhypothese, welche der erste generativistische Ansatz innerhalb der Diskussion zur Genese kreolsprachlicher Systeme ist, übernimmt von Chomsky die Annahme einer angeborenen Universalgrammatik (UG): In der Sichtweise der generativen Grammatik besteht diese UG aus einem Set von abstrakten, für alle Sprachen geltenden Prinzipien sowie aus beschränkten Paletten an Wahlmöglichkeiten innerhalb eines Prinzips, den so genannten Parametern. Während des Erstspracherwerbsprozesses versuche das Kind über seinen sprachlichen Input lediglich herauszufinden, welche spezifische Belegung in einem bestimmten Parameter für die zu erwerbende Sprache gelte. Vgl. Chomsky, Noam (1981): „Principles and parameters in syntactic theory“, in: Hornstein, Norbert / Lightfoot, David (eds.): Explanation in linguistics. London: Longman, 34. Vgl. auch Chomsky, Noam (1965): Aspects of the theory of syntax. Cambridge MA: MIT Press, 27.
Diese Annahme einer individuellen Parametrisierung während des kindlichen Spracherwerbs deckt sich mit der Ansicht Meillets, derzufolge die intergenerationelle Übertragung von Sprache diskontinuierlich und die Grammatik jedes Sprechers eine Re-kreation ist. Vgl. Meillet, Antoine (1929): „Le développement des langues“, in: Continu et discontinu. Paris: Bloud & Gay. Neudruck in Meillet, Antoine (1951): Linguistique Historique et linguistique générale. Volume II. Paris: Klincksieck, 74.
[12] Vgl. Bickerton (1999: 64-65).
[13] Muysken, Pieter / Veenstra, Tonjes (1995): „Universalist approaches“ in: Arends, Jacques / Muyseken, Pieter / Smith, Norval (eds.): Pidgins and Creoles. An introduction. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins Publishing Company, 129. Allerdings veränderte Bickerton im Laufe der Jahre ein wenig das Kriterium für die Bezeichnung einer Sprache als „true creole“ und lockert damit sein Ein-Generationen-Modell auf: Während er in seinem Hauptwerk Roots of Language (1981: 4) eine Sprache als Kreol bezeichnet „if it arose out of a prior pidgin which had not existed for more than a generation“, schließt er 1984 in sein Kreolisierungskonzept auch Sprachen ein „that have come into existence very early in the development of their antecedent pidgins“. 1988 erweitert Bickerton die Einschränkung des Ein-Generationen-Modells auf „ein oder zwei Generationen“. Vgl. Bickerton (1984): „The language Bioprogram Hypothesis / Creole is still king“, in: The Behavioral and Brain Sciences 7, 173-88, 212-18. Was er mit early in dem Kontext genau meint, wird allerdings nicht präzisiert.
Vgl. auch Bickerton, Derek (1988): „Creole languages and the bioprogram“, in: Newmeyer, Frederick J.(ed.): Linguistics: The Cambridge survey, vol. II. Cambridge: Cambridge University Press, 268. In dem selben Artikel räumt er ein, es sei noch nicht erforscht worden, ob der Ausbau grammatischer Morpheme – immerhin ein gewichtiger Bestandteil der Kreolisierung – unmittelbar nach der Schöpfung des Kreols oder erst nach einigen Generationen stattfinde: „One interesting question which has yet to be fully explored is whether the reconstitution of lost grammatical morphemes takes place immediately upon creole formation or is extended over a period of perhaps several generations“.
[14] Bickerton, Derek (1979): „Beginnings“, in: Hill, Kenneth C. (ed.): The genesis of language. Ann Arbor: Karoma Publishers, 3-4. Vgl. auch Bickerton, Derek (1981): Roots of language. Ann Arbor: Karoma, 58. Die Veränderung des Adverbs baimbai zu dem Marker bai spricht nach Sankoff / Laberge deutlich für eine tragende Rolle der erwachsenen Sklaven im Kreolisierungsprozess: „[...] change in the status of bai was well under way prior to the existence of a large number of native speakers; native speakers appear to be carrying further tendencies which were already present in the language.“ Sankoff, Gillian / Laberge, S. (1980): „On the acquisition of native speakers by a language“, in: Sankoff, Gillian (ed.): The social life of language. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 208-9.
Vgl. zu einer Kritik an Bickerton: Boretzky, Norbert (1983): Kreolsprachen, Substrate und Sprachwandel. Wiesbaden: Harrassowitz, 10. Ebenso: Alleyne, Mervyn C. (1979): „On the Genesis of Languages“, in: Hill, Kenneth C. (ed.): The genesis of language. Ann Arbor: Karoma, 101. Oder: Thomason, Sandra G. / Kaufman, Terence (1988): Language contact, Creolization and Genetic Linguistics. Cambridge: C.U.P, 158-66.
Neben vielen weiteren Kritikpunkten an der Theorie des Bioprogramms wie der beschränkten Sprachenauswahl aus fast ausschließlich englischen Kreolsprachen, sowie einer fragwürdigen Definition der Kreolsprachen (Vgl. Bickerton (1981: 4)) schafft die ausschließliche Betrachtung der universellen kognitiven und neurologischen Fähigkeiten, die im sprechenden Subjekt verankert sind, die Problematik der Bioprogrammtheorie: Bickerton vernachlässigt soziohistorische Faktoren wie die Bevölkerungszusammensetzung und –entwicklung und die Plantage als eigentlichen Ort der Kreolisierung.
[15] Bickerton (1979: 16). Auch nach Croft ist es unwahrscheinlich, dass Fehler beim „normalen“ Spracherwerb zu Sprachwandel führen, da diese Fehler in späteren Lernphasen verschwinden, und Kinder außerdem nicht den sozialen Status, der erfoderlich wäre, um eine erfolgreiche Verbreitung ihrer „Innovationen“ zu gewährleisten, besitzen. Vgl. Croft, William (2000): Explaining language change: An evolutionary approach. London: Longman, 44-49.
[16] „It [the pidgin in Hawaii] differs literally from speaker to speaker. In Hawaii there was never anything that you could call a uniform system.“ Bickerton (1979: 9). „The driving force behind creolization is simply the extreme rarity of available grammatical morphemes [...]”. Bickerton (1999: 57).
[17] Die frühen Pidgins in Hawaii „lacked any kind of systematic syntactic structure“; Bickerton nennt solche frühen Pidgins „macaronic jargons“. Bickerton (1999: 52). Diese Pidgins zeigen „an almost complete absence of grammatical items (including a complete absence of tense, modality, and aspect [...] markers), a virtually complete absence of embedded structures, and frequent ellipsis of arguments and even verbs.“ Bickerton (1999: 53).
[18] Bickerton (1979: 12).
[19] McWhorter, John / Parkvall, Mikael (2002): „Pas tout à fait du franςais: une étude créole“, in Etudes créoles Vol. XXV, no 1, 184.
[20] McWhorter / Parkvall (2002: 194).
[21] Ferguson hebt bei seinem Vergleich des Foreigner Talk mit dem Baby Talk und den Pidgins hervor, dass in jeder Sprache „Register“ für bestimmte Situationen und Rollen vorzufinden seien. Alle Sprachgemeinschaften besitzen somit auch spezielle Register zum Gebrauch mit Personen, die die Sprache aus verschiedenen Gründen nicht beherrschen (z.B. Babies, Fremde, Taube). Die Sprecher empfinden die benutzte Form als simplifizierte Version ihrer Sprache und somit als leichter verständlich. Vgl. Ferguson, Charles A. (1971): Language Structure and Language Use. Stanford: Standford University Press.
[22] Geteilte Meinungen herrschen in der Forschung bezüglich der Initiierung des Reduzierungsprozesses von Seiten der dominierenden oder der untergebenen Gruppe: Für Schuchardt (1909: 443) beginnt offensichtlich jegliche Vereinfachung mit der reduzierten Sprechweise der Muttersprachler: „Alles Radebrechen einer Sprache geht von deren Erbbesitzern aus, ganz ähnlich wie die Kindersprache auf der Ammensprache beruht.“
Die umgekehrte Position zu Schuchardt wurde besonders von Bloomfield (1933: 472-3) unter dem Terminus baby-talk vertreten. Am Anfang der Reduzierung habe nicht die bewusste Anrede der Sklaven durch die Weißen im Foreigner Talk gestanden, sondern die fehlerhafte Veränderung der europäischen Sprache durch die untergebene Bevölkerung, welche die Muttersprachler wiederum nachahmten und womöglich noch verstärkten, um den Sklaven zu helfen: „This ‘baby-talk’ is the masters‘ imitation of the subjects‘ incorrect speech. [Hervorhebung von mir].“ Hall (1966: 5; 86) hebt hervor, dass eine absichtliche Anpassung an die vermeintlich kindlichen oder zu langsam lernenden Fremden mit im Spiel sei und teilsweise auch die Nachahmung dessen, was man von den Fremden selbst zu hören bekomme.
[23] Ferguson, Charles A. (1971): „Absence of copula and the notion of simplicity: a study of normal speech, baby talk, foreigner talk, and pidgins“, in: Hymes, Dell (ed.): Pidginization and creolization of languages. Cambridge: Cambridge University Press, 145-146.
[24] Lang, Jürgen (1981): „Was ist Kreolisierung“, in: Schlieben-Lange (ed.): Logos semantikos: studia linguistica in honorem Eugenio Coseriu 1921-1981, Vol. V, Geschichte und Architektur der Sprachen, Berlin / New York / Madrid: de Gruyter / Gredos, 200/201.
[25] Vgl. Schuchardt (1909: 445).
[26] „The baby-talk theory is easily refuted. [...], if each European had indeed improvised his own variety of baby-talk to communicate with his servants and slaves, how could one explain the fact that all dialects of creole French, including those in the Indian Ocean, are mutually intelligible?“ DeCamp (1971a: 19).
[27] Ferguson (1971: 143-4). Vgl. auch Mühlhäusler, Peter (1986): Pidgin and Creole Linguistics, Oxford: Blackwell, 101.
[28] Zur Bedeutung des Foreigner Talk in der Pidgingenese vgl. die „Concluding observations“ in Ferguson (1977: 148).
[29] Da die Übergänge zwischen Pidgins und anderen Formen des Zweitspracherwerbs allerdings fließend sind, lässt sich speziell für den Beginn der Pidgin- bzw. Kreolgenese in den Kolonien kaum mehr mit Sicherheit rekonstruieren, ob der mit großer Wahrscheinlichkeit praktizierte Foreigner Talk zu einem Pidgin stabilisiert wurde, oder ob anfangs in den Kolonien z.B. eine Art „Gastarbeiterfranzösisch“ gesprochen wurde. Zieht man Formen des Sprachkontakts aus der heutigen Zeit zum Vergleich heran, so erscheinen viele Parallelen zwischen den universellen Tendenzen der Redevereinfachung nach Ferguson und Pidgins sowie auch zwischen ersteren Prinzipien und z.B. dem so genannten Gastarbeiterdeutsch.
[30] Wie M.-C. Hazaël-Massieux mir am 14. Juli 2003 in Tübingen mitteilte deuten die ihr zur Verfügung stehenden Texte aus der Karibik nicht auf die frühere Existenz eines Pidgins hin, wie Hymes es definierte. Sie betonte, dass man bei der Frage, ob in der Anfangsphase in den karibischen Kolonien ein „Pidgin“ existiert habe, genau definieren müsse, was man mit Pidgin meine.
[31] Betrachtet man die Bevölkerungssituation z.B. auf Mauritius seit dem Beginn ihrer Kolonialisierung nach Baker, so fällt die stark ansteigende Zahl der Sklaven im Vergleich zu dem sinkenden Bevölkerungsanteil der Weißen auf: Stellten die Herren im Jahr 1735 noch gut ein Viertel der Bevölkerung, so betrug ihr Anteil 1807 nur noch 8%, während die Sklaven 84% der Bevölkerung ausmachten. Vgl. Bollée, Annegret (1998): „Romanische Kreolsprachen V. Französische Kreolsprachen“, in: Holtus, Günter (Hg.): Lexikon der romanistischen Linguistik, vol. 1, 2, 666. Vgl. auch I.4.1.1
[32] Givón, Talmy (1979): On understanding grammar. New York / San Francisco / London: Academic Press, 222-223.
[33] Hazaël-Massieux, Guy (1989): „La grammaticalisation des connexions“, in: Ludwig, Ralph (ed.): Les créoles franςais entre l’oral et l’écrit. Tübingen: Niemeyer, 209.
[34] Koch, Peter / Oesterreicher, Wulf (1990): Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch. Tübingen: Niemeyer, 12.
[35] Koch, Peter / Oesterreicher, Wulf (1985): „Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte“, in: Romanistisches Jahrbuch 36, 21.
[36] Stein, Peter (1984): Kreolisch und Französisch. Tübingen: Niemeyer, 62
[37] Besonders kognitive Ansätze sehen eine Erklärungsmöglichkeit für die Abweichungen zwischen der Kreolsprache und der Basissprache in Restrukturierungsphänomenen, die auf (aus universellen Spracherwerbsprinzipien rührenden) Sprachlernstrategien basieren. Vgl. Valdman (1978a): Le créole: structure, statut et origine. Paris: Klincksieck, 17.
[38] Den Besten, Hans / Muysken, Pieter / Smith, Noval (1995): „Theories focusing on the European input“, in: Arends, Jacques / Muysken, Pieter / Smith, Norval (eds.): Pidgins and Creoles. An introduction. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins Publishing Company, 97. Vgl. auch II.1 zur Artikelagglutination.
[39] Eine Ausnahme bildeten die spanischen Kolonien, in welchen nach Chaudenson – da die spanischen Kolonialherren ein starkes Hispanisierungsinteresse zeigten – bereits im 16. Jahrhundert Universitäten gegründet wurden, wodurch sich die Nicht-Herausbildung einer Kreolsprache in der Dominikanischen Republik und auf Kuba erkläre. Vgl. Chaudenson, Robert (1995): Les créoles. Paris: Presses Universitaires de France, 71-73.
[40] Chaudenson, Robert (1978b): „Créole et langage enfantin: phylogenèse et ontogenèse“, in: Langue Franςaise 37, 76-90.
[41] Valdman (1978a: 17-9).
[42] Der Spracherwerb bestand in täglichen Begegnungen mit Einheimischen, jedoch erhielten die Lerner keinen Unterricht. Klein, Wolfgang / Perdue, Clive (1997): „The basic variety“, in: Second Language Research 13, 301-347. Veröffentlicht finden sich die Ergebnisse ausführlicher in: Perdue, Clive (1993a): Adult language acquisition: Crosslinguistic perspectives. Strasbourg: European Science Foundation. 2 vols.
[43] In der ersten Phase verfügen die Lerner über ein extrem beschränktes Vokabular, das hauptsächlich aus Substantiven der Zielsprache besteht. Die Äußerungen werden organisiert, indem ein nominaler lexikalischer Begriff zu einem anderen lexikalischen Begriff in Verbindung gesetzt wird. Meistens handelt es sich um ein Nomen, manchmal auch um ein Adjektiv oder ein Adverbial. Die häufigsten Verben wie sein, haben, werden, (sich) bewegen, sagen, geben, welche leicht aus dem Kontext erschließbar sind, werden weggelassen.
[44] Véronique, Daniel (1997):“Genèse des créoles franςais et appropriation: à propos des thèses de Robert Chaudenson“, in: Hazaël-Massieux, Marie-Christine / Robillard, Didier de (eds): Contacts de langues, contacts de cultures, créolisation. Paris/Montréal: L’Harmattan, 202.
[45] Perdue, Clive (1993b): „Comment rendre compte de la logique de l’acquisition d’une langue étrangère par l’adulte“, in: ÉLA Revue de Didactologie des langues-cultures, no 92, 20.
[46] Den Besten, Hans / Muysken, Pieter / Smith, Noval (1995): „Theories focusing on the European input“, in: Arends, Jacques / Muyseken, Pieter / Smith, Norval (eds.): Pidgins and Creoles. An introduction. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins Publishing Company, 98. Boretzky (1983: 17) kritisiert an diesem Erklärungsversuch, dass erstens in den Kolonien nicht nur Feld- sondern auch Haussklaven gearbeitet hätten, die in viel näherem Kontakt zu den Weißen und deren Sprache gestanden hätten, und dass zweitens keine Quellen existierten, die von einer unterschiedlichen Sprache der beiden Sklavengruppen berichteten.
[47] Ronald W. Langackers klassische Definition von Reanalyse als „change in the structure of an expression or class of expressions that does not involve any immediate or intrinsic modification of its surface manifestation“ ist nach Lang zu weit gefasst. Vgl. Langacker, Ronald W. (1977): „Syntactic Reanalysis“, in: Li, C.N. (ed.): Mechanisms of Syntactic Change. Austin / London: University of Texas Press, 59. Siehe Lang, Jürgen / Neumann-Holzschuh, Ingrid (1999): „Reanalyse und Grammatikalisierung. Zur Einführung in diesen Band“, in: dies. (eds.): Reanalyse und Grammatikalisierung in den romanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer, 5-6.
Da für die Forschung zum Sprachwandel nur diejenigen Reanalysefälle von Bedeutung seien, deren Folge eine bisher unbekannte Analysemöglichkeit sei, welche die ‚ordre linéaire‘ nun zweideutig gestalte, beschränken Lang / Neumann-Holzschuh den Terminus der Reanalyse auf diese Fälle. Die Zweideutigkeit des ‚ordre linéaire’ ist nach Richard Waltereit bei dieser Definition von Reanalyse nicht Voraussetzung für die Reanalyse, sondern deren Folge. Vgl. Waltereit, Richard (1999): „Reanalyse als metonymischer Prozess“, in: Lang, Jürgen / Neumann-Holzschuh, Ingrid (eds.) Reanalyse und Grammatikalisierung in den romanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer, 21.
Zu den Begriffen „ordre linéaire“ und „ordre structural“ Vgl. Tesnière, Lucien (1976): Eléments de syntaxe structurale. Paris: Klincksieck, 19-24.
[48] Ein durch eine Reanalyse ausgelöster Wandel in der parole muss nach Lang jedoch nicht automatisch eine Grammatikalisierung, das heisst eine Lexikalisierung des individuellen Wandels in dem abstrakten Regelsystem der langue auslösen.
Während Lang / Neumann-Holzschuh zufolge ausschließlich unveränderte Objekte der Rede analysiert werden bzw. eine lineare Abfolge von Elementen der parole reanalysiert wird, werden einzelne konstante sprachliche Zeichen der langue grammatikalisiert. Vgl. Lang / Neumann-Holzschuh (1999: 7).
[49] Das „Modell Lang“ wurde nach einer Skizze von Prof. Dr. Jürgen Lang auf dem Wochenendseminar vom 14.6.- 16.6. 2002 in Blaubeuren, das zusammen mit Studenten der Universitäten Erlangen und Bamberg im Rahmen des Hauptseminars Romanische Kreolsprachen von Prof. Koch im Sommersemester 2002 abgehalten wurde, übernommen.
[50] Detges, Ulrich (2002): „Créolisation et changements linguistiques“, in: Etudes créoles, vol. XXV, no1, 74.
[51] Detges, Ulrich / Waltereit, Richard (2002): „Grammaticalization vs. Reanalysis: a Semantic-Pragmatic Account of Functional Change in Grammar“, in: Zeitschrift für Sprachwissenschaft, vol. 21, no 2, 156.
[52] Vgl. auch Winford, Donald (1997): „On the structure and status of pidgins and creoles“, in: Spears, Arthur K. / Winford, Donald (eds.): The structure and status of pidgins and creoles. Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 3: „the process of change or restructuring that gave rise to pidgins and creoles are different only in degree rather than kind from those that occur in many cases of language contact.“
[53] Detges (2002: 73).
[54] Detges (2002: 74-5).
[55] Detges (2002: 71, 75-6).
[56] Vgl. Meillet, Antoine (1912): „L’évolution des formes grammaticales“, in: Linguistique historique et linguistique générale. Paris: Champion, 130-148. Eine Reihe von Definitionen der Grammatikalisierung stützt sich auf diejenige Meillets, so z.B. Lehmanns: „The derivational pattern which the word grammaticalization belongs to suggests that it means a process in which something becomes or is made grammatical [...]. [...] Secondly, in addition to the above explication, grammaticalization must mean a process in which something becomes or is made more grammatical [...].” Lehmann, Christian (1995): Thoughts on Grammaticalization. München / Newcastle: Lincom Europa, 9. Vgl. die Historiographie in: Harris, Alice / Campbell, Lyle (1995): Historical syntax in cross-linguistic perspective. Cambridge: Cambridge University Press, Kapitel 2.
Auch Lang / Neumann-Holzschuh (1999: 4), die Grammatikalisierung als einen Vorgang definieren, „bei dem ein Zeichen der langue in der Weise verändert wird, daß es zu einem grammatisch(er)en Zeichen wird“ stützen sich auf Meillets Definition. Die Seite des signifiant bleibe hierbei konstant, während die des signifié verändert werde. Die Veränderungen auf der Inhaltsseite könnten allerdings einen Wandel auf der Seite des signifiant nach sich ziehen (phonische Verkürzung, Akzentverlust etc.).
[57] Detges / Waltereit (2002: 151).
[58] Detges, Ulrich (2000): „Two types of restructuring in French creoles: A cognitive approach to the genesis of tense markers“, in: Neumann-Holzschuh, Ingrid / Schneider, Edgar W. (eds.) Degrees of restructuring in creole languages. Amsterdam/Benjamins, 135. Die kognitive Basis dieses rhetorischen Geschehens sei Metonymie. Vgl. Detges (2000: 136-7).
[59] Detges (2000: 137-8).
[60] Detges (2000:141).
[61] Vgl. Véronique Véronique, Daniel (1999): „L’émergence de catégories grammaticales dans les langues créoles: grammaticalisation et réanalyse“, in: Lang, Jürgen / Neumann-Holzschuh, Ingrid (eds.) (1999): Reanalyse und Grammatikalisierung in den romanischen Sprachen. Tübingen: Niemeyer, 183: „On peut supposer que lors de la créolisation, des grammaticalisations acquisitionnelles multiples ont donné naissance à des entités linguistiques nouvelles, les langues créoles [...].“
[62] Detges (2000: 142).
[63] Detges (2000: 144).
[64] Diese Ansicht vertreten auch Thomason / Kaufman in: Thomason, Sandra G. / Kaufman, Terence (1988): Language contact, Creolization and Genetic Linguistics. Cambridge: C.U.P. Für Hall (1966: 122) dagegen, der Kreolisierung lediglich als beschleunigten Sprachwandel betrachtet, sind die Unterschiede zwischen Pidgins und Kreols und „normalen“ Sprachen ausschließlich gradueller Natur: „All the evidence so far indicates that the type of linguistic change and the mechanisms involved [...] are the same for pidgins and creoles as they are for all other languages. The only difference lied in the rate of change – far faster for a pidgin (because of the drastic reduction in structure and lexicon) than for most languages.“ Auch nach Mufwene sind Grammatikalisierung und die Entwicklung der Kreolsprachen ähnliche, wenn nicht gar identische Prozesse. Mufwene, Salikoko (1996a): „The founder principle in Creole genesis“, in: Diachronica 13, 1, 115-168.
[65] Bruyn, Adrienne (1995): Grammaticalization in Creoles: The development of determiners and relative clauses in Sranan. Amsterdam: IFOTT.
[66] „[...] ce ne sont pas des langues entières qui sont restructurées mais des catégories grammaticales individuelles, chacune pouvant présenter un degré divers de restructuration.“ Neumann-Holzschuh, Ingrid (2000):“Restructurations en créole louisianais“, in: Neumann-Holzschuh, Ingrid / Schneider, Edgar W. (Hrsg.) Degrees of restructuring in creole languages. Amsterdam/Benjamins, 384, 387.
[67] Detges (2000: 155).
[68] Gougenheim (1929/1971: 120). Vgl. Véronique (1999: 194).
[69] Vgl. Véronique (1999: 195).
[70] Detges (2000: 155).
[71] Auch Mufwene (1996a) zeigt anhand einer Analyse der Grammatikalisierung des englischen futurum proximum (in der Form von Personalpronomen + VerbDURATIV/PROGRESSIV + Komplementierer to) in vier englischbasierten Kreolsprachen (Jamaika-Kreol, Guyanesisch, Gullah und African-American Vernacular English, dass Kreols dieselben Einheiten des Lexifizierers auf unterschiedliche Art und Weise grammatikalisieren können.
[72] Chaudenson, Robert (1981a): Continuum intralinguistique et interlinguistique“, in: Etudes créoles, vol. IV, no1, 33.
[73] Nach Bickerton (1984: 177) unterscheiden sich core creoles von weniger pure creoles durch den Einfluss der Superstratsprache, die den Zugang zum Bioprogramm während der Kreolisierung beschränkt.
- Arbeit zitieren
- Daniela Becker (Autor:in), 2004, Französischbasierte Kreolsprachen: Bruch oder Kontinuität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43090
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