Am Schluss seiner „Deutschen Sprachstatistik“ nennt Meier (1964) die 512 häufigsten Wörter der deutschen Sprache. Davon sind unter den 15 wichtigsten in der Reihenfolge ihres Vorkommens die, der, den, das, des, dem. Diese außerordentlich hohe Textfrequenz des Lexems der sowie seiner Realisierungsformen in den anderen beiden Genera mit den entsprechenden Veränderungen in allen Kasus und Numeri lässt sich auf die Fähigkeit des Lexems der zurückführen, mehr als eine lexikalische Funktion in einem Satz übernehmen zu können: In den Grammatiken wird zwischen zwei verschiedenen der, dem Artikel der und dem Pronomen der, unterschieden.
In dem theoretischen Teil zu Beginn dieser Arbeit sollen Artikel und Pronomina voneinander abgegrenzt sowie Ansätze einer Deixisanalyse geliefert werden, um den Gegenstand unserer empirischen Untersuchung, die Demonstrativpronomina der, dieser, jener in Artikelverwendung zu definieren und innerhalb der Theorie der Deixis einzuordnen. Auch die diachrone Perspektive, die zu der Kategorisierung dieser Demonstrativa beiträgt, wird beachtet; sie führt schließlich zu einer Erklärung der Entstehung des deutschen Artikels aus dem Demonstrativpronomen.
Nach der Klärung der Verwendungsweisen von der / dieser / jener im Standarddeutschen und im Pfälzischen sowie der Unterscheidung ihrer Verwendung als Artikel oder als Determinationselement in situativer Verwendung sollen in einem empirischen Teil vier Thesen der Literatur zur situativen Verwendung der Pronominaldeixis ebenfalls für das (Umgangs)deutsche und das Pfälzische überprüft und die Ergebnisse diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Pronominaldeixis in situativer Verwendung im Deutschen und im Pfälzischen
II.1. Pronominaldeixis in situativer Verwendung im Deutschen
II.1.1 Abgrenzung und Definition der Pronominaldeixis
II.1.1.1 Artikel vs. Pronomen
II.1.1.2 Ansätze zu einer Deixisanalyse
II.1.1.2.1 Die lokale Dimension der Deixis
II.1.1.2.2 Die objektale Dimension der Deixis
II.1.2 Die Entstehung des deutschen Artikels aus dem Demonstrativpronomen
II.1.3 Unterschiede zwischen der, dieser, jener als Artikel oder als Determinationselement
II.1.4 Pragmatik der Definitheit
II.1.4.1 Verwendungsweisen der Pronominaldeixis der
II.1.4.1.1 Deiktische Verwendungen
II.1.4.1.2 Unmittelbar-situative Verwendungen
II.1.4.1.2.1 Starker und schwacher Artikel im Rheinischen und Friesischen
II.1.4.1.3 Abstrakt-situative Verwendungen
II.1.4.1.4 Anaphorische und Kataphorische Verwendungen
II.1.4.1.5 Assoziativ-anaphorische Verwendungen
II.1.4.2 Verwendungsweisen der Pronominaldeixis dieser
II.1.4.3 Verwendungsweisen der Pronominaldeixis jener
II.1.5 Pronominaldeixis im Pfälzischen
II.1.5.1 Der als Demonstrativum
II.1.5.1.1 Der als Relativpronomen
II.1.5.2 Der als bestimmter Artikel
II.1.5.3 Das Pronomen dieser
II.1.5.4 Das Pronomen jener
II.1.6 Hauptsächliche Unterschiede zwischen dem Deutschen (Standardvarietät) und
dem Pfälzischen
II.2. Empirische Untersuchung
II.2.1 Gegenstand der empirischen Untersuchung
II.2.2 Anlage der Untersuchung (Methode)
II.2.2.1 Hypothese zum Gebrauch der Pronominaldeixis in situativer Verwendung im Standarddeutschen und im Pfälzischen (Erwartungen bei den einzelnen Bildern)
II.2.3 Ergebnisse der Untersuchung
II.2.3.1 Standarddeutsch
II.2.3.2 Pfälzisch
II.2.3.2.1 Zwei unterschiedliche Formen des bestimmten Artikels im Pfälzischen
III. Zusammenfassung
IV. Literatur
I. Einleitung
Am Schluss seiner „Deutschen Sprachstatistik“ nennt Meier (1964) die 512 häufigsten Wörter der deutschen Sprache. Davon sind unter den 15 wichtigsten in der Reihenfolge ihres Vorkommens die, der, den, das, des, dem. Diese außerordentlich hohe Textfrequenz des Lexems der sowie seiner Realisierungsformen in den anderen beiden Genera mit den entsprechenden Veränderungen in allen Kasus und Numeri lässt sich auf die Fähigkeit des Lexems der zurückführen, mehr als eine lexikalische Funktion in einem Satz übernehmen zu können: In den Grammatiken wird zwischen zwei verschiedenen der, dem Artikel der und dem Pronomen der, unterschieden.
In dem theoretischen Teil zu Beginn dieser Arbeit sollen Artikel und Pronomina voneinander abgegrenzt sowie Ansätze einer Deixisanalyse geliefert werden, um den Gegenstand unserer empirischen Untersuchung, die Demonstrativpronomina der, dieser, jener in Artikelverwendung zu definieren und innerhalb der Theorie der Deixis einzuordnen. Auch die diachrone Perspektive, die zu der Kategorisierung dieser Demonstrativa beiträgt, wird beachtet; sie führt schließlich zu einer Erklärung der Entstehung des deutschen Artikels aus dem Demonstrativpronomen.
Nach der Klärung der Verwendungsweisen von der / dieser / jener im Standarddeutschen und im Pfälzischen sowie der Unterscheidung ihrer Verwendung als Artikel oder als Determinationselement in situativer Verwendung sollen in einem empirischen Teil vier Thesen der Literatur zur situativen Verwendung der Pronominaldeixis ebenfalls für das (Umgangs)deutsche und das Pfälzische überprüft und die Ergebnisse diskutiert werden.
II. Pronominaldeixis in situativer Verwendung im Deutschen und im Pfälzischen
II.1. Pronominaldeixis in situativer Verwendung im Deutschen
II.1.1. Abgrenzung und Definition der Pronominaldeixis
II.1.1.1. Artikel vs. Pronomen
Welche sprachlichen Einheiten zum Paradigma der Artikel gerechnet werden sollen, scheint nach Darstellungen der Literatur eine der Streitfragen in der deutschen Grammatiktheorie (gewesen) zu sein. Die Uneinigkeit der Forscher ist hauptsächlich auf die in I. genannte Tatsache zurückzuführen, dass Elemente der deutschen Sprache sowohl die Funktion des Begleiters als auch die Funktion des Stellvertreters einer Nominalphrase übernehmen können. Aus diesem Grund sehen einige Wissenschaftler Artikel und Pronomen als eine Wortart an:
"Den Artikel betrachten wir als Pronomen mit speziellen kommunikativ-pragmatischen und syntaktischen Funktionen. Er wird zum Formensystem des Substantivs gerechnet, an dessen Wortklassencharakteristik er beteiligt ist.“ (Flämig, W. (1991), S.473)
Vater (1979) ging zunächst von einer auch alle traditionellen Pronomina umfassenden und eine unmittelbare Konstituente (IC) bildenden Gesamtklasse „Artikelwörter“ aus. (S.24f.)
In einer späteren Arbeit (1984) unterscheidet Vater dann zwischen Determinantien und Quantoren als Teilklasse der Modifikatoren. Darüber hinaus nimmt er eine Dreiteilung an in Determinatoren mit Determinierungsfunktion (der, dieser, jener, derjenige, derselbe und Possessiva), Totalisatoren (alle, jeder, beide), die primär eine Gesamtheit bezeichnen und nur indirekt determinieren und Quantoren (wie ein, manch, einige, mehrere, viel, wenig), die nur quantifizieren und nicht determinieren. Die neue, enger abgesteckte Klasse der Determinantien umfasst demnach nur Elemente, die keine Quantifizierung ausdrücken.
Bezüglich des Streits, ob der in Fällen wie
Der hat mir noch gefehlt.
Determinans oder Pronomen ist, äußert sich Vater (1996), die Unterscheidung sei „hinfällig“: Es sei beides gleichzeitig. Determinantien könnten „transitiv“ (mit NP) auftreten oder „intransitiv“ (ohne NP). Pronomina seien somit nichts anderes als intransitive Determinantien. Sie füllen die DP alleine aus, genau wie intransitive Verben, die eine VP ausfüllen. (S.202f.)
Eisenberg (1989) schließt sich weder Flämigs noch Vaters Vorschlägen an, sondern folgt der "traditionellen Einteilung" in Artikel und Pronomina, nach der das Pronomen für ein Nomen, der Artikel vor einem Nomen steht.
„Nicht zu den Artikeln gehören Paradigmen, deren Formen sowohl adsubstantivisch als auch für sich stehen können wie dieser, jener etc. [...]. Dagegen gibt es sowohl einen Artikel der wie ein Pronomen der. Beide unterscheiden sich beispielsweise im Dat Pl.“ (S.160)
Zu der Klasse der Artikel gehören also nach Eisenberg lediglich der bestimmte Artikel der und der unbestimmte Artikel ein sowie der Negationsartikel kein und der Possessivartikel mein. Einer, keiner und meiner zählt er nicht zu den Artikeln, da diese das Abgrenzungskriterium - nur adsubstantivisch verwendbar zu sein - nicht erfüllen.
Gegen die Meinung Eisenbergs, dieser und jener gehören immer der syntaktischen Kategorie Pronomen an, können jedoch formgleich adsubstantivisch als Artikel verwendet werden, wendet sich Psarudakis (2001) mit der Annahme, es gäbe zwei verschiedene dieser oder jener, also ein Pronomen dieser und einen Artikel dieser, auch wenn die Paradigmenformen der beiden Wortarten - im Gegensatz zu der - identisch sind. Ausschlaggebendes Kriterium für die Differenzierung der beiden sprachlichen Einheiten sei ihre Referenzfähigkeit: Determinantien allein seien nicht referenzfähig, sondern nur indirekt über die NP. Ihre primäre semantische Funktion bestehe darin, die Referenz der NP zu determinieren, d.h. sie zu lokalisieren oder einzuschränken. Dabei markieren sie morphologisch Genus, Kasus und Numerus des Nomens. Pronomina dagegen seien "vollreferenzfähige Ausdrücke“, die Genus, Kasus und Numerus der zu ersetztenden NPs übernehmen. (S.10f).
Eisenbergs Abgrenzungsdefinition - Artikel seien ausschließlich adsubstantivisch verwendbar - steht gegen das Argument der unterschiedlichen Referenzfähigkeit. Psarudakis begründet den letztgenannte Einwand durch die Tatsache, dass Pronomen alleine, Determinantien nur in Verbindung mit einem Nomen vom Verb regiert werden können, was er durch die grammatischen Tests Verschiebeprobe, Frageprobe und Austauschprobe zu zeigen versucht. Demnach wäre das Pronomen der NP syntaktisch gleichgeordnet, der Determinans aber der NP untergeordnet, wogegen Eisenberg nicht widerspricht. Auch Eisenberg sieht das tragende Charakteristikum der Pronomina in der Tatsache, dass Pronomina die wesentlichen syntaktischen Funktionen der Substantive erfüllen können, Artikel jedoch nicht. Dazu gehören insbesondere die Funktionen als Subjekt, als Objekt, als Attribut und als präpositional gebunden.
Angesichts der divergierenden Meinungen, der Artikel könne als spezielles Pronomen angesehen, Artikel und Pronomen zu einer Gesamtklasse der Artikelwörter gezählt, Artikel und Pronomen zu den (transitiven bzw. intransitiven) Determinantien kategorisiert werden, dieser und jener seien ausschließlich Pronomen, die auch als Artikel verwendet werden können, oder dieser und jener könnten einmal als Artikel, einmal als Pronomen angesehen werden, soll in dieser Arbeit die einfache Terminologie Demonstrativum gewählt werden, um den Gegenstand unserer Untersuchung, den Artikel in determinativer Verwendung zu bezeichnen.
Auch wenn sich der Begriff des Demonstrativums somit nicht mit demjenigen Eisenbergs deckt, der ausschließlich die Pronomina in die Gruppe der Demonstrativa (wozu er dér, dieser, jener zählt), einordnet und diese von den Possessivpronomen und den Indefinitpronomen abgrenzt, was er semantisch rechtfertigt. Syntaktisch lassen sich die drei Gruppen weiterhin Eisenberg zufolge zur Kategorie der Determinativpronomina vereinigen und den Personalia, Relativa- und Fragepronomina gegenüberstellen. Die Determinativpronomina werden syntaktisch subklassifiziert danach, ob sie „Definitheit signalisieren“ oder nicht (die Demonstrativa und Possessiva seien definit, die Indefinitpronomina seien nicht-definit.) (S.185f)
Wir sprechen abschließend nicht von einem Demonstrativartikel der, wie der Artikel in determinativer Verwendung in der Literatur auch genannt wird. Diese Unterscheidung zwischen Demonstrativpronomen und Demonstrativartikel dér ist in der Literatur sehr umstritten: Psarudakis unterstreicht, dass die Verwendung dieser Artikelform keine Verschmelzungsformen zulasse, was als starkes Indiz für ihre Zugehörigkeit zu den Demonstrativa aufzufassen sei, da die Demonstrativa ebenfalls keine Verschmelzungsformen bilden. Nur die auf einen stärker hinweisenden Charakter zurückführende Betonung der Artikelform rechtfertige jedoch nicht die Annahme von dér als Demonstrativartikel. Die Annahme eines Demonstrativartikels resultiere m.E. aus der Ersetzbarkeit der betonten Form durch dieser ohne weitere Beeinträchtigung der Intention der Gesprächspartner. Genau diese Ersetzbarkeit durch dieser lässt aber Bisle-Müller (1991) bezweifeln, dass es einen eigenen, vom Definitartikel unterschiedenen, betonten Demonstrativartikel dér gibt. (S.66).
Himmelmann (1997) erscheint es mit Ebert (1979) und Bisle-Müller zweifelhaft, dass Betonung bei der Unterscheidung von Demonstrativpronomen und Definitartikel eine Rolle spielt.
II.1.1.2 Ansätze zu einer Deixisanalyse
In den demonstrativen Funktionen des definiten Artikels und der adsubstantivischen Verwendung von dieser / jener sind der/dieser/jener durch ihren hinweisenden, ihren deiktischen Charakter gekennzeichnet.
Die hinweisenden, auf etwas zeigenden Ausdrücke nennt C.S. Peirce, der Begründer des amerikanischen Pragmatismus und einer der ersten, der sich mit der Problematik der Deixis beschäftigt hat, nach Marcu (1992) Index oder indexikalisches Zeichen. Der Index ist laut Peirce ein verbaler oder nonverbaler (Gestik, Mimik, Körperbewegung, etc.) Hinweis auf ein Objekt im Wahrnehmungsbereich des Zeigenden. Er interpretiert das in einer konkreten Kommunikationssituation identifizierbare Objekt:
„An index is a sign, which would at once lose the character which makes it a sign, if ist objects were removed, but would not lose that character if it were no interpretant.“ (Marcu, P. 1992, S.47)
Peirce unterstreicht, dass es eine enge Beziehung gibt zwischen dem Index und der zeigenden Gestik.
C.W. Morris (?) nennt die deiktischen Elemente in seinem späteren Hauptwerk „Identifikatoren“: Die Identifikatoren bezeichnen eine Lage räumlich und zeitlich und bestimmen die Region oder einen Ausschnitt der Umgebung, auf welche das Verhalten zustrebt. Dieser, jener, etc. zählt Morris zu den „Namoren“, die neben den Indikatoren (z.B. hinweisende Geste) und den Deskriptoren (die die zu identifizierende Region beschreiben) zu den Untergruppen der Identifikatoren gehören. Die Namoren seien sprachliche Symbole, die in ihrer Bedeutung den Hinweishandlungen synonym sind. Morris deutet an, dass, obwohl Namoren wie die Eigennamen einen raum-zeitlichen Bereich benennen, sie doch in mindestens einer Hinsicht verschieden sind: ihre Denotate ändern sich je nach den Herstellungsumständen der individuellen Zeichen. Damit kommt Morris auf ein wichtiges Charakteristikum der sprachlichen Hinweiselemente zu sprechen: Sie beziehen sich in jeder Sprachsituation auf ein anderes Objekt.
Bühler (1934) unterscheidet die Modi des Zeigens „demonstratio ad oculos, Anaphora und Deixis am Phantasma“ (S.123). Während sich die Demonstrativa der / dieser / jener allen drei Modi zuordnen lassen, z.B.
1. Demonstratio ad oculos: „Hier ist der Ball“
2. Anaphorische Deixis: „Wir starten bei diesem Baum, den ich dir gezeigt habe...“
3. Deixis am Phantasma: „Hier ist der Start- und dort der Zielbaum.“ „Fritz wachte plötzlich auf. Wo war er hier ?“
zählen diese Demonstrativa nur zu einer deiktischen Dimension, nämlich der lokalen Deixis.
II.1.1.2.1 Die lokale Dimension der Deixis
So gehören z.B. für Levinson (1983) folgende Wörter zur "place deixis": "There are, though, some pure place-deictic words, notably in English the adverbs here and there, and the demonstrative pronouns this and that." (S.79). Im Deutschen gibt es nach der Übersetzung von Levinson (2000) die „Dreiteilungen hier - da - dort und dies - das - jenes." (S.87). Ebenso verhält es sich bei Fillmore (1997): "The most obvious place-deictic terms in English are the adverbs "here" and "there" and the demonstratives "this" and "that", [...]." (S.62).
Dabei wird die Lokaldeixis nach Sennholz (1985) als "diejenige Deixis, die stattfindet im lokalen Deixisfeld, also zwischen dem Äußerungsort und dem Sachverhaltsort" (S.72) beschrieben. Auch bei Levinson spielt bei der Definition der lokalen Deixis das Distanzkriterium eine entscheidende Rolle: "Place or space deixis concerns the specification of locations relative to anchorage points in the speech event." (S.79). Ebenso hebt Fillmore das Merkmal ‚Distanz‘ als Charakteristikum der lokalen Deixis hervor. (S.47-57).
II.1.1.2.2 Die objektale Dimension der Deixis
Diewald (1991) weist im Gegensatz zu Levinson und Fillmore darauf hin, dass ein Ort eine andere Art von Deixisobjekt sei als ein Gegenstand, woraus sich die Notwendigkeit der objektalen Dimension ergebe. Für die Einführung einer deiktischen Dimension an sich stellt sie die Bedingung, dass deren Denotate Umweltfaktoren sein müssen, die außerhalb und vor der Sprache und dem Text existieren. Die Denotate der lokalen und der objektalen Dimension müssten jedoch als verschiedene Arten von Umweltfaktoren betrachtet werden, da ein prototypischer Ort (lokale Dimension) eher als vage begrenzt, eine prototypische Entität (objektale Dimension) als konkret und deutlich begrenzt intendiert sei. In der Sprache werde dieser Unterschied im Allgemeinen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Orte durch Adverbialphrasen, Entitäten (die bei der objektalen Dimension keine Personen sind) durch Nominalphrasen ausgedrückt werden. So gehören nach ihrer Kategorisierung zu der objektalen Deixis (nicht zur lokalen Deixis) neben den Pronomina der "dritten Person" auch die Demonstrativa dieser, dér, jener und der bestimmte Artikel. (S.227).
Auch die Diachronie liefere Gründe zur Annahme der Zusammengehörigkeit des Determinationselements dér, des definiten Artikels der und des Personalpronomens der "dritten Person"er. (S.229/230)
II.1.2. Die Entstehung des deutschen Artikels aus dem Demonstrativpronomen
Er und der (Artikel) haben sich im Deutschen wie in anderen Sprachen diachron aus Demonstrativa entwickelt. Dieser Entstehungsprozess - die Grammatikalisierung - zeigt sich auf zwei Ebenen: der lautlichen Erosion, was soviel bedeutet wie das Demonstrativum verliert seinen Akzent und zweisilbige Elemente werden einsilbig, die zweite Ebene ist die der Kontextexpansion.
Himmelmann, auch bereits Brugmann (1904) ordnet die dem Artikel und dem Pronomen der zugrundeliegenden Demonstrativa der "Dér-Deixis" (S. 20-22) zu, d.h. Elementen in indoeuropäischen Sprachen, deren Stämme auf *to- bzw. *so- zurückgehen. Dér, der und er liege somit eine "gemeinsame Art des Denotats" (Diewald, S.232) zugrunde, was ihre gemeinsame Einordnung in die objektale Dimension rechtfertige.
Die Dér-Deixis bezeichnet Brugmann als "die allgemeinste" "Demonstrationsart", da sie "von der Vorstellung von Distanzunterschieden im Sehfeld unabhängig" sei. (S.9-10). Genau in dieser Indifferenz Distanzunterschieden gegenüber sieht Himmelmann die Problematik der Dér-Deixis: Inwiefern gelte diese noch als Lokaldeiktikum, wenn das für lokale Deiktika als definitorisch angesehene Distanzmerkmal unmarkiert ist?
Himmelmann versucht dieser Frage am Beispiel des NHD dies (im Umgangsdeutschen) nachzugehen: Er sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass umgangssprachliches (in geplanten Varietäten sei das anders) dies in irgendeinem Sinne distanzmarkierend sei. Das manifestiere sich u.a. darin, dass dies mit allen lokaldeiktischen Partikeln verbindbar ist (dies hier, dies dort, dies da). Er versucht nun anhand einer Analyse der Gebrauchskontexte von dies zu zeigen, dass dies ein Demonstrativum ist, obwohl das Distanzmerkmal keine Rolle spielt:
Der Gebrauch von dies zeige nämlich, dass es außer in zwei typischen Gebrauchskontexten für Demonstrativa (situativ und anaphorisch) noch in einer dritten Art gebraucht werden könne, die als anamnestisch bezeichnet werde. Dieser anamnestische Gebrauch weise Ähnlichkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zum abstrakt-situativen Gebrauch des Definitartikels auf (Vgl. II.1.3.1.3). Das Hauptkennzeichen anamnestischen Gebrauchs sei der Verweis auf spezifisches Wissen (nicht auf generisches Wissen wie beim abstrakt-situativen Gebrauch), von dem S annimmt, dass es von H geteilt werde. Spezifisches Wissen bedeutet nach Bisle-Müller (Vgl. II.1.4.1), dass der Referent weder in der unmittelbaren Äußerungssituation wahrnehmbar noch im vorausgehenden Diskurs vorerwähnt ist, sondern S nimmt an, dass der Referent aufgrund zurückliegender Gespräche oder eines gemeinsamen Erfahrungshorizonts S und H bekannt ist. Auf Seiten von S kann allerdings Unsicherheit darüber bestehen, ob dies in der Tat der Fall ist. Damit verknüpft ist das Angebot von S an H, bei Nichtverständnis eine genauere Erklärung einzufordern. ("Du weißt schon was ich meine, oder?")
Da mit dem anamnestischen Gebrauch eine Gebrauchsweise von Demonstrativa aufgezeigt ist, die nicht mit Distanzmerkmalen in Verbindung zu bringen ist, sind Demonstrativa nicht ausschließlich über Distanzmerkmale definierbar. Für die Dér-Deixis bedeutet dies, dass sie als Lokaldeiktikum gelten kann.
Die Tatsache, dass ein Demonstrativum nicht des Distanzparameters bedarf, um wirklich als Demonstrativum zu gelten, lässt Himmelmann nun die These aufstellen, dass sich der Definitartikel aus dem anamnestischen Gebrauch von Demonstrativa entwickelt.
In sonstigen Arbeiten zur Artikelgenese wird angenommen, der Definitartikel entstehe aus dem anaphorischen Gebrauch von Demonstrativa, die an deiktischer Kraft verlieren.[1] Der Verlust der deiktischen Kraft, den die anaphorischen und anamnestischen Gebrauchsweisen jedoch angeblich mit sich bringen, spielt keine Rolle mehr, wenn man der vorhergehenden Argumentation folgt, dass der Distanzparameter für den anaphorischen und anamnestischen Gebrauch nicht relevant ist.
Eine Erklärung für die Genese des Definitartikels sei nun laut Himmelmann, eine qualitative Ausweitung der Gebrauchskontexte, d.h. dass ein gegebenes Determinationselement nicht nur in „pragmatisch-definiten“ (wie für Demonstrativa charakteristisch, Vgl. II.1.3), sondern auch in „semantisch-definiten Kontexten“ (wie für Definitartikel üblich, Vgl. II.1.3) gebraucht wird (S.95). Den Übergang von einer pragmatisch-definiten Gebrauchsweise zu einer semantisch-definiten Gebrauchsweise habe man sich folgendermaßen vorzustellen: Beim anamnestischen Gebrauch der Demonstrativa und den semantisch-definiten Gebrauchskontexten für Definitartikel werde auf einen im Redeuniversum 'vorhandenen' Referenten verwiesen, Vorerwähntheit spiele keine Rolle. Was sich im Grammatikalisierungsprozess ändere, ist, dass die für anamnestischen Gebrauch definitorische Bezugnahme auf spezifisches Wissen aufgegeben und durch den Bezug auf allgemeines Weltwissen ersetzt werde. Allgemeines Weltwissen sei sowohl für assoziativ-anaphorischen (Vgl. II.1.3.1.5) wie abstrakt-situativen Gebrauch (Vgl. II.1.3.1.3) von zentraler Bedeutung. Dabei handele es sich um einen Generalisierungs- bzw. Abstraktionsprozess, der als typisch für Grammatikalisierungsprozesse gelte. Ein Beispiel für diesen Abstraktionsprozess sei der Zusammenhang und Übergang von aktivierenden und etablierenden Modifikatoren, bei denen es sich typischerweise jeweils um restriktive Relativsätze handele:
In loco autem illo quo beatus martyt percussus est fons habetur...
An dem Ort aber, an dem der heilige Märtyrer erschlagen worden ist, gibt es eine Quelle...
[...]
[1] So spricht Coseriu davon, dass "die Artikel [...] aus einem funktionellen Verfall der Deiktika [entstehen]." Coseriu, E.: ?1975, 272).
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