Folgende Arbeit möchte am Beispiel des West-Eastern Divan Orchestras die Transkulturalisierung als Modus der Wissensproduktion charakterisieren. Kulturelle Prozesse seien, so lautet die These von Gertraud Koch, die sie in ihrem Sammelband Transkulturelle Praktiken. Empirische Studien zu Innovationsprozessen vorstellt, ein wesentlicher – wenn auch schwer bestimmbarer – Faktor in Innovationsprozessen und der Wissensproduktion.
Ausgehend von Wolfgang Welschs Transkulturalitätsprinzip wird zunächst ein kurzer Einblick in die Transkulturalisierungsforschung gegeben und erklärt, in welcher Weise transkulturelle Praktiken Innovationsprozesse sind. Daran schließt sich ein kurzer Überblick über gängige Formen bzw. theoretische Konzepte der kulturellen Mischung. Schließlich wird die empirische Studie von Lisa Koch „Kann Musik zur Völkerverständigung beitragen? Eine Analyse des West-Eastern Divan Orchestra“ vorgestellt und in dem Kontext der Transkulturalisierungsforschung verortet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist Transkulturalisierung?
3. Transkulturalisierung und Innovation
4. Formen der Transkulturalisierung
5. Forschungsgegenstand der Transkulturalisierungsforschung
6. Transkulturalisierung als Modus der Wissensproduktion am Beispiel des West-Eastern Divan Orchestras
7. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Folgende Arbeit möchte am Beispiel des West-Eastern Divan Orchestras die Transkulturalisierung als Modus der Wissensproduktion charakterisieren. Kulturelle Prozesse seien, so lautet die These von Gertraud Koch, die sie in ihrem Sammelband Transkulturelle Praktiken. Empirische Studien zu Innovationsprozessen vorstellt, ein wesentlicher – wenn auch schwer bestimmbarer – Faktor in Innovationsprozessen und der Wissensproduktion.
Ausgehend von Wolfgang Welschs Transkulturalitätsprinzip wird zunächst ein kurzer Einblick in die Transkulturalisierungsforschung gegeben und erklärt, in welcher Weise transkulturelle Praktiken Innovationsprozesse sind. Daran schließt sich ein kurzer Überblick über gängige Formen bzw. theoretische Konzepte der kulturellen Mischung. Schließlich wird die empirische Studie von Lisa Koch „Kann Musik zur Völkerverständigung beitragen? Eine Analyse des West-Eastern Divan Orchestra“ vorgestellt und in dem Kontext der Transkulturalisierungsforschung verortet.
2. Was ist Transkulturalisierung?
“The old homogenizing and separatist idea of cultures has furthermore been surpassed through cultures' external networking. Cultures today are extremely interconnected and entangled with each other. Lifestyles no longer end at the borders of national cultures, but go beyond these, are found in the same way in other cultures.”[1]
Wie in diesem Zitat des deutschen Philosophs Wolfgang Welsch zum Ausdruck kommt, reichen traditionelle Definitionen von Kultur, welche Kulturen als starre, abgeschlossene Entitäten und Zusammenhänge definieren, nicht aus, um die komplexen interkulturellen, interethnischen und transkulturellen Vernetzungen unserer heutigen Zeit zu erklären. Veränderte globale Zusammenhänge, welche eine gesteigerte Vernetzung der Kulturen zur Folge haben, lassen dynamische und mobilisierende Dimensionen des Kulturbegriffs in den Vordergrund rücken. Welschs Konzept der Transkulturalität versucht genau diese Dimensionen der Prozesshaftigkeit, Kommunikation und Dynamik von Kulturen zu erfassen. Seiner Auffassung nach sind Kulturen wesentlich durch den Austausch mit anderen kulturellen Gruppen und ihre Konnektivität geprägt. “There is no longer anything absolutely foreign” konstatiert Welsch, “[e]verything is within reach. […] This applies on the levels of population, merchandise and information”[2]. Transkulturalisierungen oder Hybridisierungen bezeichnen in diesem Sinne die Verbindungen kultureller Formen Symbolen und Praktiken aus verschiedenen (sich bis dahin vielleicht fremden) Kontexten zu etwas vollkommen Neuem[3].
Transkulturalität vollzieht sich nach Welsch auf zwei verschiedenen Ebenen: der Makroebene und der Mikroebene. Auf der Makroebene kommen transkulturelle Prozesse vor allem durch die externe Vernetzung von Kulturen aufgrund globaler Interessen zustande. Bestimmte Lebensformen oder übergreifende Bewegungen (z.B. Feminismus, Humanismus, ökologische Initiativen etc.) enden nicht an den Grenzen einzelner Nationen, sondern gehen über diese hinaus: „[B]edingt durch Medien, Konsum, Populär- und Hochkultur [findet] eine ständige Auf- und Übernahme fremder kultureller Formen statt; die Hybridisierung von Kulturen wächst.“[4]
Ebenso vollzieht sich Transkulturalität auf der Mikroebene einzelner Individuen. Welsch zufolge sind wir kulturelle Mischlinge [5] die durch wechselseitigen Austausch transkulturell geprägt sind. Durch Migrations- oder Reiseerfahrungen, kulturellen Austausch im Alltag oder durch die Medien werden wir permanent mit unterschiedlichen kulturellen Bezügen konfrontiert, die unsere Eigen- und Fremdwahrnehmung beeinflussen und maßgeblich zu unserer Identitätsbildung beitragen.
Die Kultur der Transkulturalität ist folglich durch einen gewissen „Doppelcharakter von Einheits- und Unterschiedsbildung“ maßgeblich geprägt[6]. Zum einen haben Kulturen eine ausgrenzenden Differenzcharakter, der eine Unterscheidung und Abgrenzung zu anderen Kulturen und somit die eigene kulturelle Zuordnung und Identifizierung erst ermögliche; zum anderen sind sie gekennzeichnet durch ein integrierendes Prinzip, dass Kulturen offen und anschlussfähig für Neues macht. Indes lässt sich Transkulturalität auch im Sinne eines doing culture, also dem aktiven Konstruieren von Unterscheidungen und Zugehörigkeiten verstehen.[7]
3. Transkulturalisierung und Innovation
Bedeutet Transkulturalität den Transfer kultureller Formen, dann ist der Zusammenhang zwischen transkulturellen Prozessen und Wissensproduktion nicht schwer zu übersehen. Dabei muss der Begriff Transkulturalisierung oder Hybridisierung – so betont Koch zur Einleitung zu den empirischen Studien ihres Sammelbandes – nicht ausschließlich auf ethnische oder nationale Kontexte bezogen werden.[8]
Koch erläutert in ihrer Einleitung inwiefern kulturelle Prozesse Grundlage der Innovation sind. So beschreibt sie Invention und Konvention, bzw. die wechselseitige Bezugnahme von beiden, als den Ausgangspunkt der Innovation, denn „Invention nimmt ihren Ausgangspunkt beim Konventionellen, das durch diese verändert wird. Dabei sorgen Konventionen für die Einbindung dieses Neuen in die soziale Welt.“[9] Der sogenannte „cultural swirl“[10] – also der Wirbel kultureller Diversität – begünstige solche Innovationsprozesse in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann es durch Kulturkontakte zu einem Wandel von außen kommen. Zum anderen ermöglicht ein individueller und kreativer Umgang mit bestehenden Strukturen einen Wandel von innen heraus.[11] Auf welche Weise und inwieweit neue – im Wirbel der kulturellen Vermischung entstandene – kulturelle Praktiken zum „stickyknowledge place“[12] werden, d.h. eine gewisse Bindungsfähigkeit, Intensität und Nachhaltigkeit besitzen, ist Forschungsgegenstand der Transkulturalisierungs- und Innovationsforschung.
4. Formen der Transkulturalisierung
Gertraud Koch hat in ihrem Sammelband Transkulturelle Praktiken. Empirische Studien zu Innovationsprozessen verschiedene Möglichkeiten der kulturellen Mischung zusammengetragen, die auch hier jeweils kurz vorgestellt werden sollen: Die Kreolisierung, die Pidginisierung, die bricolage, den Kosmopolitismus und das Sampling.
Der Begriff Kreolisierung beschreibt historisch-kulturelle Prozesse in denen durch Mischung unterschiedlicher Kulturen eine neue Kulturform (Ethnogenese) entsteht. Die neu entstandene Kultur unterscheidet sich jedoch deutlich von den ursprünglichen Kulturen, aus denen sie hervorgegangen ist. Damit ist eine Kreolisierung grundlegend zu unterscheiden von dem eher spontanen und weniger formativen Modus der Pidginisierung, welche ohne „Redefinition des kulturellen Selbstverständnisses“ einhergeht.[13] Auch Begriffe wie kultureller Synkretismus oder cultural borrowing, welche synonym zur Pidginisierung benutzt werden, betonen das spontane und ereignishafte dieser Form des kulturellen Mischens.
Der Begriff bricolage , welcher ursprünglich auf den Ethnologen Claude Lévi-Strauss zurück geht, betont das Zusammenwerkeln und Basteln verschiedener Wissensbereiche zur Wissensproduktion. Da der Begriff sich allerdings eher auf disziplinübergreifende Wissensgenese bezieht, ist er eher weniger gebräuchlich in der Transkulturalisierungs-forschung.
Das Konzept des Kosmopolitismus als philosophisch-politische Ideologie, die den ganzen Erdball als Heimat betrachtet, stellt weniger den Modus der kulturellen Mischung in den Vordergrund. Vielmehr wird in der Transkulturalisierungsforschung damit die kulturelle Hybridität von Gesellschaften betont, welche sich im Zuge von Globalisierungsprozessen ergibt. Als Kosmopoliten werden daher auch Menschen mit hoher interkultureller Kompetenz verstanden.
Als jüngste Form der kulturellen Hybridisierung kommt dem Sampling als Kulturtechnik wachsende Aufmerksamkeit zu. Unter dieser postmodernen Form, importiert aus der Kulturanalyse von Musik, bezeichnet man „kulturelle Zitate“ die mittels copy-paste beliebig aneinander gereiht werden.[14] Die Art der kulturellen Verbindung die sich daraus ergibt ist flüchtig und unbeständig und erinnert an eine Collage. Während sich die Pidginisierung um das Kennen und Erkennen von kulturellen Traditionen und Symbolen dreht, appelliert das Sample eher an das Imaginative und versucht Bezüge zu den kulturellen Bedeutungssystemen absichtlich zu eliminieren und dadurch eine neue Welt zu schaffen.
Kulturelle Hybridität entsteht also auf verschiedene Weise. Ein weiterer Faktor, hinsichtlich dessen Hybridität untersucht werden kann, ist ob die entstandene Form der kulturellen Vermischung absichtsvoll, d.h. bewusst initiiert oder als unbewusster Reflex auftritt.
5. Forschungsgegenstand der Transkulturalisierungsforschung
Aus dem bisher Gesagten lässt sich folgern, dass sich die Transkulturalisierungsforschung weniger mit der Beschreibung kultureller Traditionen und Formen beschäftigt, als vielmehr mit der Analyse der Art und Weise dieser Formen und Verbindungen und ihrer Entstehung. Fragen, die die Transkulturalisierungsforschung zu beantworten sucht, sind etwa folgender Form:[15]
- Wie werden kulturelle Unterschiede überbrückt?
- Wie verbinden sich verschiedene kulturelle Formen miteinander?
- Wozu dienen neue Kreolisierungen?
- Wie beeinflussen Macht- und Dominanzverhältnisse solche kulturellen Prozesse?
- Welche Verbindung gibt es zwischen transkultureller Wissensgenese und ihrer Verbreitung?
Solche Fragen sind oft im Kontext von Globalisierungsfragen und im Anschluss an postkoloniale Diskurse im Spannungsfeld von Macht- und Dominanzstrukturen bedeutsam. Das West-Estern Divan Orchestra als Projekt, welches sich zum Ziel gesetzt hat, die verfeindeten kulturellen Gruppen des Nah-Ost Konflikts in Interaktion treten zu lassen, ist damit für die Transkulturalisierungsforschung von besonderem Interesse in vielerlei Hinsicht.
6. Transkulturalisierung als Modus der Wissensproduktion am Beispiel des West-Eastern Divan Orchestras
In ihrer Studie „Kann Musik zur Völkerverständigung beitragen? Eine Analyse des West-Eastern Divan Orchestra s“ untersucht Lisa Koch inwieweit das verbindende Element der Musik die transkulturelle Verständigung, den Austausch und das Fremdverstehen zwischen Israelis und Palästinensern begünstigt.
Das West Eastern Divan Orchestra (WEDO) oder auch Orchester des west-östlichen Divans ist ein 1999 in Weimar gegründetes Symphonieorchester, das sich zum Projekt gesetzt hat, verfeindete Nationen des Nahen Ostens über das Mittel der Musik miteinander in Interaktion treten zu lassen. Die beiden Gründer - der argentinische Dirigent russisch-jüdischer Herkunft Daniel Barenboim und der 2003 verstorbene amerikanischen stark christlich-arabisch geprägte Literatur- und Kulturwissenschaftler Edward Said - verfolgten mit diesem Projekt die Vision eines friedlichen Zusammenlebens der Völker im Nahen Osten.
[...]
[1] Vgl. Welsch, Wolfgang (1999)
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. Koch, Gertraud (2008), S.9
[4] ebd., S. 13
[5] Vgl. Welsch, Wolfgang (1999)
[6] Koch, Gertraud (2008), S. 14
[7] Vgl. ebd., S. 159 (mit Verweis auf Giddens 1991, Kraus 2006, Hörning 2004, Barth 1969; 2002, AbuLughod 1991, Cohen 2000)
[8] Auch andere Ausgangspunkte der kulturellen Mischung, wie etwa pädagogische und informationstechnische Wissenskulturen (vgl. Studie Nadine Hoser zum E-Learning) können zum Forschungsgegenstand der Transkulturalisierungsforschung werden.
[9] Ebd., S. 10
[10] Ebd., S. 155
[11] Vgl. ebd., S. 10
[12] Ebd., S. 155
[13] Vgl. ebd., S. 18
[14] Vgl. ebd., S.20
[15] Vgl. ebd., S.170f.
- Quote paper
- Marieke Jochimsen (Author), 2012, Transkulturalisierung als Modus der Wissensproduktion am Beispiel des West-Eastern Divan Orchestras, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429512
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