Thomas Manns Roman Der Zauberberg gilt als eines der interessantesten
Werke des 20. Jahrhunderts. Der Autor selbst betrachtet sein Buch als „Zeitroman
im doppelten Sinne: einmal historisch [...] und weil die Zeit selbst sein Gegenstand
ist“.1 Doch die Zeit als Gegenstand des Romans bleibt keinesfalls reflektorisch,
von der Geschichte Hans Castorps isoliert, sondern wird von Mann mit der
Geschichte seines Helden vernetzt, so dass Zeit, Erzähle n und Reflektion stets
eine Einheit bilden. Reflektionen sind im ganzen Roman immer dort angesiedelt,
wo sich etwas am Wesen des Helden verändert. Die Synthese von Zeit, Erzählen
und Reflektion in Thomas Manns Roman und wie dies mit der Verzauberung des
Hans Castorp zusammenhängt zu zeigen, wird der Hauptaspekt meiner Arbeit
sein. Bevor ich jedoch mit der Analyse am Werk beginne, möchte ich noch einige
Überlegungen zur Zeit im Allgemeinen und zur Zeit in der Erzählliteratur
vorwegnehmen.
[...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Zeit
2.1 Was ist das – Zeit ?
2.2 Zeit in der Erzählliteratur
3. Das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit in Der Zauberberg
3.1 Allgemeine Beobachtungen
3.2 Detaillierte Betrachtung
4. Die Zeitreflexion in Der Zauberberg Seite 9
5. Die Verknüpfung von Zeit, Erzählen und Reflexion
6. Zeit und Der Zauberberg in der Literatur
7. Ergebnis
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Thomas Manns Roman Der Zauberberg gilt als eines der interessantesten Werke des 20. Jahrhunderts. Der Autor selbst betrachtet sein Buch als „Zeitroman im doppelten Sinne: einmal historisch [...] und weil die Zeit selbst sein Gegenstand ist“.[1] Doch die Zeit als Gegenstand des Romans bleibt keinesfalls reflektorisch, von der Geschichte Hans Castorps isoliert, sondern wird von Mann mit der Geschichte seines Helden vernetzt, so dass Zeit, Erzählen und Reflektion stets eine Einheit bilden. Reflektionen sind im ganzen Roman immer dort angesiedelt, wo sich etwas am Wesen des Helden verändert. Die Synthese von Zeit, Erzählen und Reflektion in Thomas Manns Roman und wie dies mit der Verzauberung des Hans Castorp zusammenhängt zu zeigen, wird der Hauptaspekt meiner Arbeit sein. Bevor ich jedoch mit der Analyse am Werk beginne, möchte ich noch einige Überlegungen zur Zeit im Allgemeinen und zur Zeit in der Erzählliteratur vorwegnehmen.
2. Zeit
2.1 Was ist das – Zeit?
Es gibt nichts, was so differenziert und mannigfaltig betrachtet werden kann wie die Zeit. Ein Physiker sieht die Zeit als mathematisch festgelegte Einheit, die niemals stillsteht und mit gleicher Geschwindigkeit fortschreitet. Ein Philosoph kann auf 10 Seiten die Zeit nicht beschreiben, er benötigt dazu ein ganzes Buch, und ob dies dann ausreichend ist, bleibt häufig umstritten. Andere wiederum behaupten, dass Zeit an sich gar nicht existiert und lediglich ein Hilfsmittel für die Verständigung von uns Menschen ist. Hat zum Beispiel eine Uhr an sich schon etwas mit Zeit zu tun, oder ist sie zunächst nicht einfach nur eine Maschine, die gleichmäßig Zeiger bewegt? Und erst im menschlichen Gehirn wird aus der Stellung der Zeiger die Zeit. Ist die Zeit also nur vom Menschen gemacht? Fakt ist jedenfalls, dass es Veränderungen sind, die die Zeit formen. Diese Tatsache wird auch eine erhebliche Rolle bei meiner Betrachtung der Zeitreflexion im Roman spielen.
Es soll nun keinesfalls um den Versuch gehen, diese Fragen zu beantworten, da es unmöglich sein wird eine für alle zufriedenstellende Antwort zu finden. Die Gedanken sollen nur als äußere Leitideen für das dienen, mit dem sich meine Arbeit beschäftigt.
2.2 Zeit in der Erzählliteratur
So schwierig eine Definition der Zeit an sich ist, desto einfacher ist sie in bezug auf Prosa. Grundlage einer jeden Erzählung ist die Vermittlung von Geschehen. Dabei ist der Autor respektive der Erzähler nicht an den strengen Ablauf der Geschehnisse verbunden. Er kann den chronologischen Ablauf der Geschichte unterbrechen oder umstellen, durch Dehnen oder Raffen den Ereignissen unterschiedliche Gewichtung zukommen lassen, oder Dinge durch Vorausschauen vorwegnehmen oder rückblickend im Nachhinein erzählen. Ein Beispiel hierfür in Der Zauberberg ist der Anfang des Romans. Der Held Hans Castorp wird nur ganz kurz beschrieben, bevor der Erzähler unmittelbar mit dem Erzählen seiner Geschichte beginnt. Erst im zweiten Kapitel dann erfährt der Leser durch eine Rückblende Ereignisse aus Hans Castorps Vergangenheit, aus der Zeit vor der erzählten Geschichte. Somit kommt der Entscheidung, wie und wann ein Erzähler ein bestimmtes Ereignis erzählt, große Bedeutung in bezug auf die Gesamtwirkung zu. Deshalb bietet das Verhältnis von Zeit und Erzählen – und gerade in Der Zauberberg auch noch die Einstreuung und Ausarbeitung der Zeitreflexionen – einen hochinteressanten Interpretationsansatz.
3. Das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit in Der Zauberberg
3.1 Allgemeine Beobachtungen
Die Erzählzeit im Zauberberg, das heißt, die Zeit, die der Erzähler braucht, um die Geschichte Hans Castorps zu erzählen, umfasst, je nach Ausgabe, zirka tausend Seiten. Zwar kann hier eingewendet werden, dass die Druckseiten eines Buches keine Dauer darstellen, aber doch beschreiben sie die Länge der Zeit, die benötigt wird, um den Roman zu erzählen. So stellt auch Günter Müller fest, dass „die Druckseite als Maß für die physikalische Zeit genommen werden kann, die der Erzähler zum Erzählen seiner Geschichte braucht.“[2]
Auch die erzählte Zeit im Roman lässt sich sehr präzise bestimmen. Die Geschichte Hans Castorps beginnt „im Hochsommer“ des Jahres 1907 als „[e]in einfacher junger Mensch [...] von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen“ (S. 11)[3] reist. Enden tut sie am Vorabend des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Dazwischen liegen sieben Jahre, die Hans Castorp auf dem Zauberberg verbringt.
An dieser Stelle möchte ich nun zum Zeitablauf innerhalb der Geschichte übergehen, genauer gesagt, analysieren wie die sieben Jahre erzählte Zeit auf die tausend Seiten beziehungsweise sieben Kapitel Erzählzeit verteilt sind. Auffällig hierbei ist zunächst, dass die Länge der Kapitel generell mit dem Fortschreiten der Geschichte zunimmt. So ist beispielsweise das erste Kapitel gerade mal zwanzig Seiten lang, wohingegen das siebte Kapitel über zweihundert Seiten umfasst. Genauer betrachtet, fällt auf, dass auch die erzählte Zeit, die ein Kapitel beschreibt, stets zunimmt.
3.2 Detaillierte Betrachtungen
Hans Castorp kommt, es ist früher Abend, zu Beginn des ersten Kapitels in Davos-Platz an, wo ihn sein Vetter Joachim Ziemßen abholt. Anschließend fahren sie gemeinsam zum Sanatorium. Der restliche Tag seiner Ankunft wird im ersten Kapitel beschrieben, wobei sehr genau auf die Umwelt geachtet wird, was damit zu tun hat, dass Hans Castorp neu dort oben ist, und somit auch alles sehr detailliert wahrnimmt. Das erste Kapitel endet als „der Morgen durch seine halboffene Balkontür graute und ihn weckte“ (S. 31). Die erzählte Zeit macht somit ungefähr fünfzehn Stunden aus. Das zweite Kapitel kann bei dieser völlig außer Acht gelassen werden, da es sich inhaltlich mit einer Rückblende in die Kindheitstage des Helden beschäftigt und somit für das direkte Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit keine Rolle spielt. Es tangiert vielmehr die unter 2.2 angesprochene Möglichkeit des Erzählers, die Chronologie einer Geschichte aufzubrechen, was er in diesem Fall durch das Erzählen von Hans’ Kindheit tut.
Das dritte Kapitel schließt chronologisch unmittelbar an das Ende des ersten an. Es ist der erste Morgen, den Hans Castorp auf dem Zauberberg erlebt. Die beiden Vettern gehen frühstücken, wobei die Beobachtung entscheidend ist, dass all dies sehr zeitdeckend erzählt wird. Das Frühstück endet nach zehn Seiten Erzählzeit und die beiden begeben sich auf einen Spaziergang, auf dem sie erstmals auf Settembrini treffen. Auch hier wird die zeitdeckende Erzählweise, vor allem in der Schilderung der Unterhaltung der Dreien beibehalten. Das vierte Kapitel beginnt am Morgen des dritten Tages, an dem Hans Castorp auf dem Zauberberg verweilt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ersten drei Kapitel alle – mal mehr und mal weniger – zeitdeckend erzählt werden. Die Erklärung dafür ist folgende. Hans Castorp befindet sich nach seiner Ankunft in einer völlig neuen Umgebung, wie auch der Leser. Der Held der Geschichte muss alles Neue, das auf ihn einwirkt, verarbeiten, und auch der Erzähler muss dies dem Leser vermitteln, um sich alles vorstellen zu können. Die sehr detaillierten Beschreibungen der Umwelt Hans Castorps wirken dadurch keinesfalls aufgesetzt. So erklären sich zum Beispiel auch die seitenlangen Beschreibungen anderer Kurgäste durch den Erzähler. Der Leser der Geschichte lernt diese Personen – ebenso wie Hans Castorp – gerade erst kennen und kann sich somit in den Helden hineinversetzen. Das ist der Hauptgrund für den Eindruck des zeitdeckenden Erzählens. Es ist auch schwer, Ereignisse zu überspringen oder auszulassen, da der Erzähler dem Leser einen möglichst realistischen Einblick in das Leben im Sanatorium hinterlassen muss. Der Leser fühlt sich ein wenig wie Hans Castorp, wenn dieser feststellt: „Komisch ist und bleibt es, wie die Zeit einem lang wird zu Anfang an einem fremden Ort“ (S. 147). Dies ist und bleibt jedoch stets ein Auseinandersetzen mit der gefühlten und keinesfalls mit der wirklichen Zeit, wie auch der Held selbst weiß: „Mit Messen und überhaupt mit dem Verstand hat das ja absolut nichts zu tun, es ist eine reine Gefühlssache“ (S. 148).
Jedoch innerhalb des vierten Kapitels ist eine eindeutige Veränderung zu betrachten, was das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit betrifft. Es entstehen erstmals deutliche Raffungen wie zum Beispiel die folgende: „Es schneite den ganzen Nachmittag fort“ (S. 132), und bereits wenige Zeilen später ist eine ganze Menge Zeit vergangen, wenn es heißt: „Am nächsten Morgen schneite es nicht mehr“ (S. 132). Natürlich hat dies den Grund, dass dies sich auf das Wetter beziehende Aussagen sind. Dennoch wird auch nicht erzählt, was Hans Castorp tut, während es „den ganzen Nachmittag fort“ schneit, und auch das zu Bett Gehen ist vollkommen aufgespart.
[...]
[1] Bürgin, S. 334
[2] Müller, S. 270
[3] Alle Angaben von Seitenzahlen im fortlaufenden Text beziehen sich auf:
Mann, Thomas: Der Zauberberg. Fischer: Frankfurt, 2001.
- Arbeit zitieren
- Sandra Graf (Autor:in), 2003, Das Verhältnis von Zeit, Erzählen und Reflexion in Thomas Manns 'Der Zauberberg', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42925
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