Hohe Flexibilität, Leistungsvermögen und Stressresistenz. Das sind die Anforderungen, die unsere Gesellschaft sowie die Wirtschaft an die gerade heranwachsende Generation Z stellen. Nach ihrem Schulabschluss steht sie vor den Herausforderungen einer von Stress bewegten Welt.
Ausschlaggebend ist dann vor allem das Vertrauen in sich selbst. Die sogenannte Selbstwirksamkeit gibt den Absolventen die Zuversicht, stressige Situationen erfolgreich meistern zu können. In seiner Publikation erklärt Mats Tuttas, wie der Schulunterricht dieses Selbstvertrauen fördern kann.
Entscheiden die Erfahrungen in der Grundschule darüber, wie ein Kind später mit dem Druck der modernen Gesellschaft umgeht? Welche Rolle spielt das Stigma eines niedrigeren Bildungszweiges bei der Selbstwirksamkeit eines Heranwachsenden? Tuttas verdeutlicht, unter welchem Druck Schüler heute stehen und zeigt, wie man Stress erfolgreich bewältigt.
Aus dem Inhalt:
- Selbstwirksamkeit;
- Resilienz;
- Stress;
- Schule;
- Pädagogik;
- Generation Z
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Schulpädagogische und bildungspolitische Aktualität
1.1 Thesenformulierung und Vorgehensweise
2 Zentrale Aspekte der Resilienzforschung
2.1 Theoretische Einbettung des Resilienzkonzepts
2.2 Die Entstehung der Resilienzforschung
2.3 Risikoerhöhende und –mildernde Faktoren in der Entwicklung Heranwachsender
2.4 Das Resilienzfaktorenkonzept
3 Exemplarische Aufarbeitung des Resilienzfaktors Selbstwirksamkeit
3.1 Die Selbstwirksamkeitstheorie nach Bandura
3.2 Entwicklungskontexte der Selbstwirksamkeit
3.3 Quellen der Selbstwirksamkeit
4 Empirische Aufarbeitung des Forschungsstandes
4.1 Ausgewählte Forschungsergebnisse mit resilienzorientierter Ausrichtung
4.2 Ausgewählte Forschungsergebnisse mit selbstwirksamkeitsorientiert Ausrichtung
5 Selbstwirksamkeit von Schülerinnen und Schülern der Klasse 10 verschiedener Schulformen
5.1 Fragestellung und Forschungshypothese
5.2 Rahmenbedingungen
5.3 Methode
5.4 Evaluation der Forschungsergebnisse
5.5 Zusammenfassung und Diskussion ausgewählter Forschungsergebnisse
6 Förderung der Selbstwirksamkeit in der pädagogischen Praxis
7 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang: Fragebogen der durchgeführten Pilotstudie zur allgemeinen und schulbezogenen Selbstwirksamkeit
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Risikoerhöhende und risikomildernde Faktoren in der kindlichen Entwicklung
Abbildung 2: Flussdiagramm zur Bestimmung von Risikofaktoren
Abbildung 3: Entwicklungsmodell zur Entstehung von Resilienz nach Werner 1993
Abbildung 4: Rahmenmodell von Resilienz
Abbildung 5: Grundlagenpyramide für die Ausbildung von Resilienz
Abbildung 6: Unterscheidung von Wirksamkeits- und Ergebniserwartung
Abbildung 7: Jahrgangskohorten
Abbildung 8: Clusteranalytische Verlaufsformen zur schulbezogenen Selbstwirksamkeit
Abbildung 9: Schulbezogene Selbstwirksamkeitsentwicklung (oben links) in Beziehung zu den Leistungen in Mathematik, Deutsch und Englisch
Abbildung 10: Anzahl der Teilnehmer sortiert nach der Schulform
Abbildung 11: Die „Bücherfrage“ mit den entsprechenden Antwortmöglichkeiten
Abbildung 12: Hoch-, Niedrig- & Mittelwerte der allgemeinen Selbstwirksamkeit aufgeteilt auf die untersuchten Schulformen
Abbildung 13: Gesamtverteilung der Punktzahl zur allgemeinen Selbstwirksamkeit
Abbildung 14: Hoch-, Niedrig- & Mittelwerte der untersuchten Schulen der schulbezogenen Selbstwirksamkeit
Abbildung 15: Auswertung der schulbezogenen Selbstwirksamkeit
Abbildung 16: Allgemeine Selbstwirksamkeit in Korrelation zur schulbezogenen Selbstwirksamkeitserwartung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Entwicklungsaufgaben nach Havighurst für die ersten sieben Lebensjahre
Tabelle 2: Familiäre Schutzfaktoren
Tabelle 3: Soziale Schutzfaktoren
Tabelle 4: Matrix der totalen Effekte (LISREL Modell)
Tabelle 5: ITEMS für Allgemeine Selbstwirksamkeit
Tabelle 6: ITEMS für schulbezogene Selbstwirksamkeit
Tabelle 7: Mittelwerte der einzelnen Items des Fragebogens zur allgemeinen Selbstwirksamkeit
Tabelle 8: Allgemeine Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit von der Anzahl der Geschwister
Tabelle 9: Allgemeine Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit zum Geschlecht
Tabelle 10: Allgemeine Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit zum Alter
Tabelle 11: Allgemeine Selbstwirksamkeit im Verhältnis zu der Anzahl der vorhandenen Bücher im Elternhaus
Tabelle 12: Mittelwerte der einzelnen Items zur schulbezogenen Selbstwirksamkeit
Tabelle 13: Schulbezogene Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit von der Anzahl der Geschwister
Tabelle 14: Schulbezogene Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit zum Geschlecht
Tabelle 15: Schulbezogene Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit zum Alter
Tabelle 16: Selbstwirksamkeit im Verhältnis zu der Anzahl der vorhandenen Bücher im Elternhaus
1 Schulpädagogische und bildungspolitische Aktualität
Text Generation Z, so werden diejenigen genannt, die unter 20 sind und aktuell auf den Arbeitsmarkt kommen. Die Erwartungen an die Arbeitswelt sind hoch: geregelte Arbeitszeiten, unbefristete Verträge und klare Strukturen. Dies erfordert eine Umstellung der Unternehmen, die jedoch nicht weniger hohe Erwartungen an die Arbeitssuchenden haben: hohe Flexibilität und Leistungsvermögen sowie Stressresistent sollen sie sein (vgl. Bedürftig 2016). Frisch aus der Schule kommend, welche ihnen gerade noch als „sozialer Erfahrungsraum“ (Ulich 2001, S.1) zur Verfügung stand konnten die Schülerinnen und Schüler[1] geschützt ihre Rolle in der Gesellschaft finden und Kompetenzen erwerben. Nun müssen sie beweisen, ob ihr erworbenes Selbstkonzept den Belastungen der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes standhält. Welcher Gymnasiast sein Studium stressbedingt aufgeben wird oder welcher Hauptschüler seine intensive Ausbildung mit Bravour meistern wird, ist häufig primär auf dessen Stressbelastung und die subjektive Empfindung zurückzuführen. Hieraus ergibt sich die Frage, wie es dazu kommt, dass Menschen unterschiedlich auf stressbelastende Erlebnisse reagieren, diese bewältigen und sogar an ihnen wachsen.
1.1 Thesenformulierung und Vorgehensweise
Der Begriff Resilienz beschreibt eben diese Eigenschaft. Ursprünglich aus der Werkstoffkunde kommend beschreibt er Materialien, die sich unter Druck verbiegen und nach der Belastung zu ihrem Ausgangszustand wieder zurückkehren (vgl. Wellensiek 2011, S. 18). Im psychologischen Kontext umfasst Resilienz die menschliche Fähigkeit nach einer Stressbelastung in den psychischen Ursprungszustand zurückzukehren. Diese Ressource aufzubauen und zu fördern, findet aktuell Einzug in alle Bereiche der Gesellschaft. Trainingsprogramme sollen Mitarbeiter aus Unternehmen stressresistent machen. Auch in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten oder Schule fasst der Begriff Resilienz immer mehr Fuß. Kinder sind in diesen Räumen biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken ausgesetzt. Resilienz, nicht als stabile Charaktereigenschaft, sondern als zu erlernende Fähigkeit, muss daher zu unterschiedlichen Entwicklungszeitpunkten immer wieder neu erworben werden (vgl. Wustmann 2009, S.18). Als Grundlage eines resilienten Wesens sehen Forscher die Selbstwirksamkeit. Diese bestimmt wie wirksam ein Mensch sein eigenes Verhalten einschätzt und das Denken darüber bzw. die Erwartung daran, wie eine zu bewältigende Situation ausgehen wird. Sie entscheidet, wie kreativ Menschen an Probleme herantreten und ist eine wichtige Voraussetzung für das „psychische und körperliche Wohlbefinden und für hohe Berufs- und Lebenszufriedenheit“ (Schwarzer & Jerusalem 2002, S. 36).
Studien zeigen das Ausmaß von schulischem Stress auf. So lässt sich zusammenfassend sagen, dass ein Drittel der Schülerinnen und Schüler den Schulalltag als stressig wahrnehmen (vgl. LBS Kinderbarometer 2015). Dies endet laut Edelstein (2002) „häufig mit Resignation, Hoffnungslosigkeit und Selbstwertverlust“ (ebd., S. 16). Stressresistent zu sein wird jedoch nicht nur im schulischen Alltag, sondern auch auf dem späteren Arbeitsmarkt eine immer größere Bedeutung zugesprochen. Der Schule kommt diesbezüglich jedoch eine besondere Bedeutung zu. Mit der Umstellung des Schulalltags auf eine Ganztagssituation verbringen Schülerinnen und Schüler mehr Zeit in der Schule als in anderen Institutionen. Diesbezüglich wird die Notwendigkeit von resilienz- bzw. selbstwirksamkeitsfördernden Schulprogrammen deutlich. Die im schulischen Alltag entstehenden sozialen Interaktionen sehen Ulich und Jerusalem (1996) als „Nährboden für das Selbstkonzept“ (1996, S.18). Studien belegen, dass Menschen mit einer höheren Selbstwirksamkeit eine höhere Leistung erbringen (vgl. Bierhoff 2012). Dieser Aussage soll daher im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit mit folgender auf den schulischen Kontext bezogenen Hypothese nachgegangen werden:
Schülerinnen und Schüler der 10ten Klasse eines Gymnasiums haben eine höhere Selbstwirksamkeit als Schülerinnen und Schülern der 10ten Klasse einer Gesamtschule und einer Hauptschule?
Um diese These umfangreich beantworten zu können, setzt sich die Arbeit aus differenten Teilen zusammen. Nachdem bereits in Kapitel 1, welches die Einleitung bildet, die schulpädagogische und bildungspolitische Aktualität sowie die Wichtigkeit des Themas beschrieben wurde, soll nun die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit dargelegt werden mit der das Thema Selbstwirksamkeit als Resilienzfaktor in der Sekundarstufe I strukturiert aufgeschlüsselt wird. Im Anschluss an die Einleitung wird sich in Kapitel 2 die theoretische Einbettung des Resilienzkonzepts (Kapitel 2.1) und dessen Entstehung (Kapitel 2.2) aus der Entwicklungspsychopathologie anknüpfen. Dabei wird in Kapitel 2.2.1 die begriffliche Annäherung an die Resilienzforschung und eine versuchte Definition des Wortes Resilienz vorgenommen. Das Kapitel 2.2.2 wird mit den Charakteristika der Resilienzforschung abschließen. Um einen besseren Überblick über die Wirkungsweisen von risikoerhöhenden und –mildernden Faktoren zu erhalten, befasst sich Kapitel 2.3 mit dem Risikofaktorenkonzept (Kapitel 2.3.1.1) und dem Schutzfaktorenkonzept (Kapitel 2.3.2.1) wie auch den dazugehörigen Wirkungsweisen bzw. -mechanismen. Abschließen wird das Kapitel 2 mit dem Resilienzfaktorenkonzept (Kapitel 2.4) um innerhalb des Rahmenmodells von Resilienz (Kapitel 2.4.1), die zuvor genannten Theorien und Konzepte zu verorten. Die Selbstwirksamkeit, ein Faktor der aus dem Resilienzfaktorenkonzept stammt, wird in Kapitel 3 exemplarisch aufgearbeitet. Dabei wird zuerst die Theorie nach Albert Bandura (Kapitel 3.1) beschrieben, um anschließend über die Entwicklungskontexte der Selbstwirksamkeit (Kapitel 3.2) zu sprechen. Abschließend wird das Kapitel 3 mit den Quellen der Selbstwirksamkeit (Kapitel 3.3). Um ein besseres Verständnis über die Entstehung der vorliegenden Theorie zu erlangen, wird in Kapitel 4 mit Bezug zum Thema der empirische Forschungsstand aufgearbeitet. Dabei dienen Forschungsergebnisse mit resilienz- (Kapitel 4.1) und selbstwirksamkeitsorientierter (Kapitel 4.2) Ausrichtung zur Orientierung. Kapitel 5 präsentiert den eigenständigen Forschungsteil der Masterarbeit, der sich der bereits erwähnten Hypothese widmet. Dazu wird zuerst die Fragestellung sowie Forschungshypothese (Kapitel 5.1) herausgestellt. Die Rahmenbedingungen werden in Kapitel 5.2 beschrieben, die der Durchführung der Methode (Kapitel 5.3) zugrunde lagen. Die Ergebnisse werden in Kapitel 5.4 evaluiert und daraufhin in Kapitel 5.5 ausreichend diskutiert wie auch neue Forschungsansätze herausgearbeitet. Auf die Forschungsergebnisse und die präsentierten Theorien wird sich in Kapitel 6 die Förderung in der pädagogischen Praxis beziehen. Abschließen wird die Arbeit mit einem Ausblick (Kapitel 7) über weitere Forschungsansätze sowie einem Blickwinkel auf die pädagogische Praxis.
2 Zentrale Aspekte der Resilienzforschung
Zunächst wird die theoretische Verortung des Resilienzkonzepts vorgenommen. Daran wird sich die Entstehung der Resilienzforschung als zentrale Begrifflichkeit anschließen und demnach eine begriffliche Annäherung an Resilienz vorgenommen werden. Die unterschiedlichen Auffassungen von Resilienz sowie die Charakteristika der Resilienzforschung sollen dargelegt werden. Im weiteren Verlauf werden die risikoerhöhenden und –mildernden Faktoren in der Entwicklung von Heranwachsenden kontrastiert. Abschließen wird das Kapitel mit dem Resilienzfaktorenkonzept, durch welches ein zusammenfassender Abschluss der Resilienzforschung gegeben werden kann.
2.1 Theoretische Einbettung des Resilienzkonzepts
Kommt ein Kind auf die Welt, ist es direkt dem Prozess der Sozialisation ausgesetzt. Hurrelmann (2012) beschreibt diesen als wechselseitige Beziehung und Auseinandersetzung des Individuums und seiner Umwelt zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit (ebd., S.12f). Die Familie als primäre Sozialisationsinstanz hat für die ersten Jahre einen wesentlichen Einfluss auf den Entwicklungsverlauf des Kindes. „Die frühe Kindheit ist die kritischste und für Störungen anfälligste Phase im Leben des Menschen“ (Barzelton & Greenspan 2002, S.10). In dieser Zeit hat jedes Kind elementare Bedürfnisse, deren Förderung durch ihre Bezugsperson/en geschehen sollte, jedoch, laut Barzelton und Greenspan (2002), in keinem Land wirklich erfüllt werden (vgl. ebd., S.9). Diese Bedürfnisse unterteilen sich in sieben Grundbedürfnisse:
1. Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen,
2. Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation,
3. Das Bedürfnis nach Erfahrung, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind,
4. Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen,
5. Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen,
6. Das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und nach kultureller Kontinuität,
7. Das Bedürfnis nach einer gesicherten Zukunft. (ebd., S.7)
Das Erfüllen der Bedürfnisse trägt zur positiven Entwicklung eines Kindes bei. Ein Nicht-Erfüllen kann sich negativ auf die intellektuelle, emotionale und moralische Entwicklung des Kindes auswirken (vgl. ebd. S.10f). Des Weiteren beschreibt die Entwicklungspsychologie Entwicklungsaufgaben, die ein Heranwachsender in bestimmten Lebensphasen zu bewältigen hat. Die von Havighurst (1953) definierten Lebensphasen hat Olbrich (1982) in der unten stehenden Tabelle 1 zusammengefasst. Die Phasen unterteilen sich in die Frühe Kindheit (0-2 Jahre), die Kindheit (2-4 Jahre) und die Phase des Schulübergangs bzw. frühen Schulalters (5-7 Jahre) (vgl. Olbrich 1982, S. 112; Havighurst 1953, S. 9, Barzelton & Greenspan 2002, S. 25). Havighurst beschreibt diese Aufgaben und deren Effekt wie folgt:
A developmental task is a task which arises at or about a certain period in the life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to succes with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by the society, and difficutly with later tasks (Havighurst 1953, S. 2).
Aus Tabelle 1 geht hervor, dass z.B. während der frühen Kindheit ein Kind Anhänglichkeit, Objektpermanenz, sensomotorische Intelligenz und einfaches kausales Denken sowie motorische Funktionen entwickeln. Diese Entwicklungsübergänge (Transitionen) in eine neue Periode, die neue Entwicklungsaufgaben an das Kind stellt, gestalten sich als ein dynamischer Prozess und können als kritische Phasen bezeichnet werden, in denen ein Kind erhöhte Vulnerabilität aufzeigt (vgl. Wustmann 2009, S. 30). Zeigt sich ein Kind gewissen Belastungen gewachsen, geht es mit dieser Erfahrung gestärkt in künftige Aufgaben und schafft damit gute Voraussetzungen diese erfolgreich zu bestehen (vgl. ebd., S.28f). Unter Einfluss von Störungen im Sozialisationssystem kann die Bewältigung dieser Aufgaben (Tabelle 1) wie bereits oben erwähnt, zu Erfolg oder Misserfolg führen. Diese Störungen treten tagtäglich in der Welt auf, wie z.B. Unfälle, Gewaltverbrechen, Trennungen/Scheidungen oder Kriege, um nur einige zu nennen (vgl. Fuhrer 2011, S. 203f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Entwicklungsaufgaben nach Havighurst für die ersten sieben Lebensjahre
(Olbrich 1982, S. 112)
Haben diese Störungen einen negativen Einfluss auf die Entwicklungsaufgaben und Grundbedürfnisse entstehen Krisen, die den Heranwachsenden, die Heranwachsende vor eine Bewältigungsaufgabe stellt. Durch Hilfe der Wiederanpassung an die Herausforderungen einer Krise wird diese bewältigt und der/die Heranwachsende erwirbt Fähigkeiten und Kompetenzen, die zur Bewältigung weiterer Entwicklungsaufgaben nötig sind (vgl. Filip & Aymanns 2010, S. 19; Furher 2011, S. 204).
Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2002, S. 27f).
Hierbei wird bei der Entwicklung von Kompetenzen zwischen kumulativer, (neu erlerntes) Verhalten wird durch bewegen in der Lebensumwelt gefestigt, und interaktionaler, durch Reaktionen von Personen gefestigtes Verhalten, Kontinuität gesprochen. Beide genannten Prozesse führen zur Erhaltung oder Erweiterung der Kompetenz (vgl. Wustmann 2009, S. 21). Doch eine Bewältigung bedeutet nicht, dass eine Krise nicht noch einmal auftreten kann. Laut Berndt (2014) kommen „Probleme, mitunter schwerwiegende, [...] unweigerlich auf jeden Menschen zu, immer wieder und ständig neu“ (Berndt 2014, S. 10). Das bedeutet, dass es „um die Fähigkeit geht, sich von einer schwierigen Lebenssituation nicht ‚unterkriegen zu lassen’ bzw. ‚nicht daran zu zerbrechen’“ (Wustmann 2009, S. 18). Dass sich Menschen durch die verschiedenen Einflüsse während ihres Sozialisationsprozesses unterschiedlich entwickeln, ist bekannt. Kein Mensch ist gleich. Doch wie kommt es, dass sich Kinder „trotz massiver Beeinträchtigung positiv entwickeln, im Vergleich zu denjenigen Kindern, die unter gleichen Bedingungen – d.h. gleich hoher Risikobelastung – psychische Beeinträchtigungen aufweisen“ (ebd., S. 18). Emmy Werner (2012), schreibt dazu, dass eine Vielzahl von Jahren die Aufmerksamkeit von Experten auf Menschen gerichtet war, die durch biologische und psychosoziale Risikofaktoren negative Effekte in ihrer Lebensgeschichte aufwiesen und folge dessen an verschiedenen Störungen litten (vgl. Werner 2012, S.28). Mit der Orientierung, weg von einem Defizitansatz, und hin zu einem ganzheitlichen salutogenetischen Modell, drehte Aaron Antonovsky 1979 den bisherigen pathogenetischen Forschungsansatz um. Er schaute stattdessen auf die Aspekte, die Menschen dabei halfen gesund zu werden und zu bleiben. Anhand der folgenden Metapher versucht Antonovsky den vorgenommenen Perspektivwechsel zu verdeutlichen:
Menschen schwimmen in einem Fluss voller Gefahren, Strudel und Stromschnellen. In der pathogenetisch orientierten Medizin versucht der Arzt, den Ertrinkenden aus dem Strom zu reißen. In der Salutogenese geht es dagegen vielmehr darum, den Menschen zu einem guten Schwimmer auszubilden, damit er ohne ärztliche Hilfe Strudel und Stromschnellen meistert (Wustmann 2009, S. 26).
Eine der ersten Studien zu diesem Phänomen, die sich nicht auf die defizitären, sondern auf die positiven Entwicklungsverläufe bezog, wurde von Emmy Werner durchgeführt. 1955 begann sie mit ihrer Studie und untersuchte 698 Entwicklungsverläufe von Kindern, die in diesem Jahrgang auf der Hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden (siehe Kapitel 4.1.1). Ziel dieser prospektiven Längsschnittstudie war es, auf der einen Seite einen gesamten Geburtenjahrgang bis in das Erwachsenenalter zu begleiten und auf der anderen die Langzeitkonsequenzen perinataler Komplikationen in Bezug auf die Lebensentwicklung zu erfassen. Emmy Werners Beobachtung der Risikogruppen zeigte, dass es bei belastenden Lebensumständen nicht zur Störung der Entwicklung eines Kindes kommen muss, sondern sich auch positive Verläufe zeigen können (vgl. Werner 1992, S. 262). Beobachtete Kinder mit positiven Verläufen wurden als widerstandsfähige Kinder bezeichnet (vgl. Wustmann 2009, S. 18) und ihnen gelang es, „Entwicklungsrisiken weitestgehend zu vermindern oder zu kompensieren, negative Einflüsse auszugleichen und sich gleichzeitig gesundheitsförderliche Kompetenzen anzueignen“ (ebd., S. 18). Genau diese Kinder weckten das Forschungsinteresse und der Grundstein für die Resilienzforschung war gelegt.
2.2 Die Entstehung der Resilienzforschung
Basierend auf dem Konzept der Salutogenese nach Aaron Antonovsky (Antonovsky 1979) und diversen Veröffentlichung von Emmy Werner (Werner & Smith 1982, 1992, 2001), entwickelte sich die Resilienzforschung als Zweig der Entwicklungspsychopathologie. Das generelle Ziel war und ist: „ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, welche Faktoren und Bedingungen psychische Gesundheit und Stabilität bei Kindern, die besonderen Entwicklungsrisiken ausgesetzt sind, erhalten und fördern“ (Wustmann 2009, S. 22). Es sollte hervorgehoben werden, in welchem Ausmaß das Leben durch Störungen geformt wurde, welche Abwehrkräfte die Kinder mitbrachten und welche Bewältigungskompetenzen sie zur Sicherung ihrer psychischen Gesundheit entwickelten (vgl. Göppel 1997, S. 19).
Den untersuchten Kindern wurde während der 80er Jahre lange Zeit die Adjektive ‚unverwundbar’, ‚unbesiegbar’ und ‚unverwüstlich’ zugeschrieben. Dies geschah, obwohl niemand wusste, woher diese Kinder ihre Stärke nahmen und wie es ihnen möglich war, sich an die negative Lebenssituation anzupassen (vgl. Wustmann 2009, S. 27). Das ausgelöste Forschungsinteresse über die Persönlichkeitsmerkmale der „Superkids“ (vgl. Kauffmann et al. 1979) und deren Lebensumstände erhöhte sich stark (vgl. Göppel 2000, S. 80f). Schnell wurde durch neue Forschungsergebnisse die Idee einer ‚Unverwundbarkeit’ verworfen, da jeder Mensch Belastungsgrenzen hat und auch nach einer Beschädigung widerstandsfähiges Verhalten aufzeigen konnte und somit mit seinen Stärken und Schwächen zusammen gesehen werden sollte (vgl. Wustmann 2009, S.28; Hildenbrand 2012, S. 20f). Der Begriff ‚Unverwundbarkeit’ versprach mehr als er halten konnte und wurde durch den prosaischen aber spezifischeren Begriff ‚resilient’ ersetzt, um die Eigenschaften der Kinder zu beschreiben (vgl. Garmezy et al. 1984, S. 98f). Der Begriff der Resilienz ermöglicht es Abstufungen, wie z.B. mehr oder weniger resilient, vorzunehmen.
2.2.1 Begriffliche Annäherung und Definition
„Der Begriff der Resilienz leitet sich aus dem Englischen ‚resilience’ ab und [kann allgemein als] [...] Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität“ (Föhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014, S. 9) bezeichnet werden. Entsprungen aus der Werkstoffkunde, beschreibt er die Eigenschaft eines biegsamen Materials das nach einer Belastung wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehrt (vgl. lexikon.stangl.eu/593/resilienz). Es gestaltet sich als schwierig eine einheitliche Definition des Begriffs Resilienz zu finden, da dieser als interdisziplinärer Begriff, bei Verwendung in unterschiedlichen Themenfeldern wie z.B. der Medizin, Psychologie, Pathologie, der Pädagogik, sowie verschiedenen Schwerpunkten unterschiedlich definiert wird. Nachfolgend sollen Anhand verschiedener Definitionen die für die Resilienzforschung wichtigen Aspekte herausgearbeitet werden.
Die „Abwesenheit bestimmter Störungen oder Verhaltensprobleme trotz vorhandener Risiken“ (Lösel & Bender 2008, S. 57) definiert einen pathologischen, defizitorientierten Ansatz, aber auch eine allgemeine Sichtweise auf den Begriff Resilienz. Die Psychologin Pauline Boss greift den Aspekt der Risiken auf, beschreibt jedoch einen ressourcenorientierten Ansatz: „Resilient sein heißt gedeihen trotz widriger Umstände, heißt also, trotz schlimmer Erfahrungen die physische und psychische Gesundheit erhalten und Freude am Leben finden“ (Boss 2006, S. 67). Im deutschsprachigen Raum wird vermehrt auf die Definition von Corinna Wustmann zurückgegriffen:
Resilienz bezieht sich insofern nicht nur auf die reine Abwesenheit psychischer Störungen (wie z.B. antisoziales/aggressives Verhalten, Delinquenz, Ängste, Depressionen, Drogenkonsum, Sucht oder psychosomatische Störungen), sondern schließt den Erwerb bzw. Erhalt altersangemessener Fähigkeiten und Kompetenzen der normalen kindlichen Entwicklung mit ein (Wustmann 2009, S. 20)
und ist Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen Individuum und Umwelt (Vgl. Ladwig, Gisbert, Wörz 2001, S. 44). Hammelstein et al. beschreiben den Erwerb von Fähigkeiten als „Prozesse oder Phänomene [...], die eine positive Anpassung des Individuums trotz vorhandener Risikofaktoren widerspiegeln“ (Hammelstein et al. 2006, S. 18). An eine genauere Definition der, durch die Risikofaktoren beeinflussten, Entwicklungsrisiken knüpft Wustmann zwei Bedingungen an, unter denen Resilienz entsteht:
Resilienz meint eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken. An die Bedeutung von Resilienz sind damit zwei wesentliche Bedingungen geknüpft: 1. Eine signifikante Bedrohung für die kindliche Entwicklung und 2. Eine erfolgreiche Bewältigung dieser belastenden Umstände (Wustmann 2009, S. 18).
Die durch die Risikofaktoren gestörte Bewältigung, der an das Individuum gestellten Entwicklungsaufgabe wird „unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen“ (Welter-Enderling & Hildenbrand 2006, S. 13) gemeistert. Zu betonen ist, dass Masten et al. Resilienz als einen Prozess um die Fähigkeit der erfolgreichen Anpassung an gefährdende Bedingungen sehen (vgl. Masten et al. 1990, S. 430f).
Aus dem Blickwinkel der Schulpädagogik ist die oben genannte Definition nach Wustmann (2009) für die vorliegende Arbeit am geeignetsten und bietet sich als Arbeitsdefinition an. Den oben angeführten Definitionen ist zu entnehmen, dass es auf der einen Seite um eine wechselseitige Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft und die daraus resultierende Entwicklung geht, auf der anderen Seite betonen die Wissenschaftler die Wichtigkeit der Interpretation von seelischen Empfindungen (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 9). Laut Wustmann ergeben sich daher drei Charakteristika der Resilienz die im anstehenden Kapitel 2.2.2 weiter ausgeführt werden.
2.2.2 Charakteristika der Resilienzforschung
2.2.2.1 Resilienz als Prozess
Resilienz entwickelt sich aus der Interaktion zwischen Kind und Umwelt und gilt nicht als Persönlichkeitsmerkmal, welches seit der Geburt vorhanden ist. „Es handelt sich dabei um einen Interaktionsprozess, an dem das Kind, sein näheres und sein weiteres soziales Umfeld beteiligt sind, wobei das Kind immer im Kontext seiner Entwicklungsbedingungen und Lebensverhältnisse zu sehen ist“ (Zander 2008, S. 19). Sowohl die Person, als auch die Umwelt sind an der Entwicklung beteiligt und bedingen sich wechselseitig. Der interaktionale und bidirektionale Entwicklungskontext gilt als nicht feststehend und ist daher dynamisch und transaktional (vgl. Wustmann 2009, S. 28). „Unter einer Transaktion versteht man, dass sich alle an einer Interaktion beteiligten Faktoren gegenseitig beeinflussen und dadurch in qualitativ andere Faktoren transformiert werden“ (Petermann & Petermann 2002, S. 46). Das bedeutet, dass „das Kind regulierend auf seine Lebensumwelt ein[wirkt], indem es sie aktiv mitgestaltet und konstruiert“ (Wustmann 2009, S. 29). Gemeint ist damit „die aktive Rolle des Individuums im Resilienzprozess, d.h. auf welche Art und Weise das Individuum mit [...] Risikosituationen umgeht“ (ebd., S.29) und das Kind die Fähigkeit besitzt „selbst für sein aktuelles Wohlbefinden zu sorgen“ (Zander 2008, S. 16). Die Wahrnehmung einer Risikosituation des Individuums ist rein subjektiv und hängt davon ab, wie diese bewertet wird (vgl. Wustmann 2009, S. 29). Die Qualität von Resilienz liegt „darin, wie Menschen mit Lebensveränderungen umgehen und was sie hinsichtlich ihrer Lebenssituation tun“ (Opp et al. 1999, S. 16).
Masten et al. (1990) und Rutter (1993) weisen darauf hin, dass Resilienz nicht als angeborenes Persönlichkeitsmerkmal oder personenspezifische Eigenschaft zu sehen ist, sondern im Laufe verschiedener Entwicklungs- und Anpassungsprozesse erworben werden muss. Aus einer falschen Auffassung könnte sonst der Irrglaube entstehen, dass bei Kindern, die das benannte Persönlichkeitsmerkmal der Resilienz nicht vorweisen, eine Stärkung der Resilienz unwirksam wäre.
2.2.2.2 Resilienz als zeit- und situationsabhängiges Konstrukt
Kinder können während ihres Lebens zu unterschiedlichen Zeitpunkten gegenüber gewissen Risikoeinflüssen resilient sein und zu einem anderen Zeitpunkt, beeinflusst durch andere Risikofaktoren, nicht. Dies liegt daran, dass nach Auffassung des heutigen Forschungstandes, Resilienz nicht als stabile Charaktereigenschaft bezogen auf die Immunität gesehen wird, sondern als variierendes Konstrukt, welches durch zeitliche und situationsspezifische Faktoren beeinflusst wird (vgl. Wustmann 2009, S. 31f). Dass Resilienz keine lebenslang anhaltende Kompetenz, sondern eine situationsspezifische Widerstandsfähigkeit ist, zeigt die Längsschnittstudie von Farber und Egeland (1987). Sie schätzten die Resilienz misshandelter Kinder zu drei Messzeitpunkten ein (Säuglinge, Kleinkinder, Vorschulkinder) abhängig davon, ob Entwicklungsaufgaben erfolgreich bewältigt wurden. Es zeigte sich, dass während des ersten Messzeitpunktes 50% der Kinder als resilient eingestuft wurden. Während des zweiten Messpunktes reduzierte sich die Prozentzahl auf 40%. Diese halbierte sich während des Vorschulalters, dem dritten Messzeitpunkt nochmal auf 20%. Diese Abnahme war darauf zurückzuführen, dass je länger Kinder unter risikobedingten Lebensbedingungen aufwuchsen, desto schwieriger wurde es Entwicklungsaufgaben zu meistern (vgl. ebd., S. 253ff; Wustmann 2009, S. 31).
2.2.2.3 Resilienz als lebensbereichsspezifische Dimension
‚social resilience’, ‚emotional resilience’ oder ‚educational resilience’ sind Begriffe welche durch Nachforschungen entstanden sind, ob Resilienz von einem Lebens- bzw. Kompetenzbereich in einen anderen zu übertragen ist. Es hat sich gezeigt und Kaufman et al. (1994) fundierte diese These, dass sich Resilienz nur auf einen spezifischen Lebensbereich bezieht. Es wurden dazu misshandelte Kinder untersucht, die resilientes Verhalten im Bereich der Schule zeigten. Nur 21% dieser Kinder zeigte jedoch auch resilientes Verhalten in Bezug auf ihre soziale Kompetenz (vgl. Kaufmann et al. 1994, S. 220ff; Wustmann 2009, S. 32). Nach diesen Erkenntnissen gilt es, die Resilienz nicht nur situationsspezifisch, sondern auch multidimensional zu fördern.
2.3 Risikoerhöhende und –mildernde Faktoren in der Entwicklung Heranwachsender
Die Veränderung des Blickwinkels (siehe Kapitel 2.2) von einem defizitorientierten, hin zu einem kompetenzorientierten Ansatz hatte zur Folge, dass sich die Resilienzforschung fortan damit befasste herauszufinden, welche Bedingungen Risiken für die Entwicklung Heranwachsender mildern und welche sie erhöhen. Aus der unten aufgeführten Abbildung 1 lässt sich entnehmen, dass eine Vielzahl risikoerhöhender Faktoren (Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren) zur Entstehung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter bei[tragen]. Dem gegenüber stehen risikomildernde Faktoren, die die Risiken ‚puffern’ bzw. eine Widerstandsfähigkeit (Resilienz) fördern (Petermann & Scheithauer 1999, S. 3).
Aus den genannten Einflussfaktoren haben sich aufgrund der Forschungsergebnisse (siehe Kapitel 4) zwei Konzepte entwickelt. Beide Konzepte können zur Prävention kindlicher Entwicklungsstörungen durch Resilienzförderung verwandt werden. Die beiden Konzepte und deren Auswirkung auf das Individuum sollen im weiteren Verlauf der Arbeit differenzierter beschrieben und dargestellt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Risikoerhöhende und risikomildernde Faktoren in der kindlichen Entwicklung
(modifiziert nach Petermann 1997, S. 3)
2.3.1 Risikoerhöhende Faktoren
2.3.1.1 Das Risikofaktorenkonzept
Risikofaktor bedeutet „das bei einer Gruppe von Individuen, auf die dieses Merkmal zutrifft, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung im Vergleich zu einer unbelasteten Kontrollgruppe erhöht“ (Laucht 1999, S. 303) ist. Es beschreibt die Höhe der Wahrscheinlichkeit, dass bei Auftreten eines Risikofaktors, Entwicklungsstörungen entstehen können. Risikofaktoren treten häufig in einer Ansammlung (Kumulation) auf und selten isoliert, was dazu führt, dass das Risiko für psychische Störungen erhöht ist, wenn zwei oder mehr Risikofaktoren zeitgleich auftreten (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 65f). Hervorzuheben gilt, dass es sich bei dem Risikofaktorenkonzept nicht um ein Kausalitätskonzept handelt, sondern dies viel mehr als ein Wahrscheinlichkeitskonzept definiert wird. Es ist nicht determiniert, dass bei Auftreten eines Risikofaktors auch eine Entwicklungsstörung auftreten muss, sondern dass sich Störungen in der Entwicklung „erst in Abhängigkeit von der Abwesenheit weiterer Faktoren durchsetzen“ (Opp et al. 1999, S. 14). Die epidemiologische Risikoforschung hat das Ziel, zum einen Bedingungen, die jene Beeinträchtigung auf die kindliche Entwicklung erhöhen, herauszufinden und zum anderen bestimmte Gruppen, die in ihrer Entwicklung gefährdet sind, festzustellen und Gemeinsamkeiten aufweisen (vgl. Wustmann 2009, S. 36). Durch die Forschung der Entwicklungspsychopathologie konnten die Entwicklungsgefährdungen in zwei Gruppen eingeteilt:
1. Vulnerabilitätsfaktoren – biologische und psychologische Merkmale des Kindes
2. Risikofaktoren – psychosoziale Merkmale der Umwelt
(vgl. Wustmann 2009, S. 36; Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 66f)
Um Risikofaktoren herauszuarbeiten, zu charakterisieren sowie Personen mit erhöhtem Risiko zu identifizieren, haben Kraemer et al. das untenstehende Flussdiagramm entworfen (siehe Abbildung 2). Dabei wird der Blick auf einen Faktor geworfen, der das Kind beeinflussen könnte. Ist dieser nicht veränderbar, wie z.B. das Geschlecht des Kindes, wird von einem fixen Marker oder strukturellem Faktoren gesprochen (z.B. Geschlecht des Kindes) (vgl. Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 68). „Fixe Marker werden zuweilen auch als Vulnerabilitätsfaktoren bezeichnet“ (Scheithauer et al. 2000, S. 68). Entsteht eine Veränderung des Verhaltens durch die Manipulation eines Faktors, kann von einem variablen Risikofaktor gesprochen werden (z.B. Gewicht oder Alter). Die variablen werden zudem in diskrete Faktoren und kontinuierliche Faktoren unterschieden. Diskrete Faktoren führen bei Auftreten zu einer unmittelbaren Veränderung. Kontinuierliche Faktoren variieren in ihrer Auswirkung und ihrem Ausmaß über die Zeit. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diskrete Faktoren Einflüsse, die zu einem gewissen Zeitpunkt auf das Individuum wirken, kennzeichnen. Wogegen kontinuierliche Faktoren Einfluss auf den kompletten Entwicklungsverlauf des Individuums haben (vgl. Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 66ff). Des Weiteren gibt es eine Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Einflussfaktoren auf das Individuum. Direkte Faktoren können als proximal „näher umschriebene Risikobedinungen [bezeichnet werden], die zumeist direkt mit einem Outcome verknüpft sind“ (vgl. Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 66ff), indirekte über einen Mediator wirkende als distal (vgl. Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 66ff).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Flussdiagramm zur Bestimmung von Risikofaktoren
(aus Scheithauer, Niebank & Petermann 2000, S. 66, modifiziert nach Scheithauer & Petermann 1999, S.5 in Anlehnung an Kraemer et al. 1997, S. 341)
2.3.1.1.1 Vulnerabilitätsfaktoren
Der Begriff Vulnerabilität beschreibt, wie stark die Entwicklung eines Kindes durch Risikofaktoren ungünstig beeinflusst werden kann. Sie äußert sich als besondere Empfindlichkeit gegenüber Umweltbedingungen und ist dafür verantwortlich, dass Risiken nicht unmittelbar zur Erkrankungen führen (Petermann et al. 1998, S. 222).
D.h., der Begriff Vulnerabilität, geht demnach von einer Schwäche oder Defiziten des Kindes aus, wodurch es in seiner Entwicklung mehr gefährdet ist als andere. Während der in Kapitel 2 beschriebenen Transitionen weist ein Kind eine besonders hohe Vulnerabilität, sprich eine hohe Anfälligkeit für Risikofaktoren, auf. Diese Zeitspannen werden Phasen erhöhter Vulnerabilität genannt (z.B. Übergang Kita/Schule, Pubertät) (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 24). Dabei unterscheidet Scheithauer et al. (2000) zwischen primären und sekundären Vulnerabilitätsfaktoren. Zu den primären Vulnerabilitätsfaktoren zählen z.B. genetische Dispositionen oder Komplikationen bei der Geburt, genannt Faktoren, durch die das Kind in seiner Entwicklung von Geburt an beeinflusst ist. Die sekundären Vulnerabilitätsfaktoren beschreiben die Auswirkungen, die ein Kind erst während der Auseinandersetzung mit der Umwelt erwirbt (z.B. unsichere Bindungsorganisation) (vgl. Scheithaueret al. 2000, S. 67; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 20). Zu den Vulnerabilitätsfaktoren gehören: „prä-, peri- und postnatale Faktoren wie z.B. Frühgeburt, neuropsychologische Defizite, genetische Faktoren, chronische Erkrankungen, schwierige Temperamentsmerkmale, unsichere Bindungsorganisation“ (Wustmann 2009, S. 38), um nur einige zu nennen.
2.3.1.1.2 Risikofaktoren
„Nur die Faktoren, die im zeitlichen Verlauf vor dem Eintreten negativer Verhaltensweisen oder psychischer Störungen auftreten können als Risikofaktoren bezeichnet werden (Scheithauer & Petermann 1999, S. 78) (siehe Abbildung 2). „Zu den Risikofaktoren, deren Einfluss auf die kindliche Entwicklung langfristig untersucht worden ist, gehören: wirtschaftliche Notlage der Familie, psychische Krankheit und Alkoholismus der Eltern, Missbrauch und Vernachlässigung der Kinder“ (Werner 2012, S. 28). Das Zitat macht deutlich, dass die Risikofaktoren zum einen von dem Verhalten sowie den Dispositionen von engen Familienangehörigen aber zum anderen auch vom weiteren sozialen Umfeld des Kindes abhängen, wie z.B. chronische familiäre Disharmonie (vgl. Wustmann 2009, S. 37f). Die Mannheimer Risikokinderstudie (siehe Kapitel 4.1.2) von Lauch et al. (1996) hat sich mit den Entwicklungsverläufen von Kindern mit einer Entwicklungsgefährdung durch das soziale Umfeld (psychosoziale Risiken) beschäftigt. Die Ergebnisse haben die Auswirkungen von psychosoziale Risiken vor allem auf die sozio-emotionale und kognitive Entwicklung verdeutlicht.
Insbesondere wurden in der Mannheimer Risikokinderstudie (siehe Kapitel 4.1.2) die psychosozialen Risiken (z.B. Aufwachsen in widrigen familiären Verhältnissen) mit ungünstigen Entwicklungsverläufen bis zum Alter von viereinhalb Jahren verknüpft, wodurch Auswirkungen die sich insbesondere auf die kognitive und sozio-emotionale Entwicklung festgestellt werden konnten (vgl. Laucht et al. 1996, S. 70ff).
2.3.1.1.3 Traumatische Erlebnisse
Risikoeinflüsse die in einer extremen Form auftreten, werden auch als traumatische Erlebnisse bezeichnet. Diese werden als „existentielle Erfahrungen, in denen die Endlichkeit des eigenen Lebens konkret erfahren wird [bezeichnet]. [...] Traumatische Lebenserfahrungen sprengen die Grenzen vorhersehbarer Erfahrungsspielräume und werden zuerst ohnmächtig hingenommen“ (Butollo & Gavranidou 1999, S. 461f). Das außer Kraft setzen der Bewältigungsmechanismen und der damit verbundenen Ohnmacht wird durch die Lebensgefährdung und der Machlosigkeit, der Situation entgegen wirken zu können, ausgelöst. Traumatische Erfahrungen können individuelle, familiär oder national erlebt werden und sind bei Analyse an die Bedeutung folgender Faktoren geknüpft (vgl. Wustmann 2009, S. 39):
- Nähe zum Geschehen
- Größe des Überraschungsmoments
- Art der Beobachtung
- Nähe der Beziehung zu den verletzten oder getöteten Personen
- Ausmaß der selbsterlebten Schmerzen bzw. körperlichen Beschädigungen
(Wustmann 2009, S. 39)
„Individuen, die Traumata wie Kriege und Naturkatastrophen bewältigt haben, zeigen wohl am deutlichsten diese menschliche Fähigkeit zur Resilienz“ (Wustmann 2009, S.19). Zu den traumatischen Erlebnissen zählt Wustmann (2009) folgende Ereignisse: „Natur-, technische, oder durch Menschen verursachte Katastrophen wie Erdbeben, Flugzeugabsturz, Kriegs- und Terrorerlebnisse, schwere Unfälle, direkte Erfahrung mit körperlicher Gewalt, etc.“ (Wustmann 2009, S. 40.
2.3.1.2 Wirkmechanismen risikoerhöhender Faktoren
Risikofaktoren treten im Entwicklungsverlauf eines Individuums selten allein auf, sondern häufig kumulierend. Wichtig ist, Risikofaktoren nicht als einzelnes Merkmal herauszufiltern, viel mehr eine Interdependenz zwischen bestimmten Einflüssen herzustellen. Daraus ergibt sich, dass Individuen, die diversen Risikofaktoren gleichzeitig ausgesetzt sind, auch ein erhöhtes negatives Entwicklungsrisiko haben und anfälliger für psychische Störungen sind (vgl. Laucht 1999, S. 75f, Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 24). Demnach ist weniger die Art des Risikofaktors ausschlaggeben für die negative Entwicklung des Individuums, sondern abhängig von der Stärke der Kumulation risikoerhöhender Faktoren (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S.25).
Neben der Kumulation verschiedener Risikofaktoren [...] [ist] die Abfolge im Auftreten risikoerhöhender Bedingungen (Risiko- und Vulnerabilitätsfaktoren) und deren Wechselwirkungen in Abhängigkeit von der psychosozialen Entwicklung des Kindes von Bedeutung (Scheithauer & Petermann 1999, S. 4).
Eine Vermutung für die Wechselwirkung und Abfolge risikoerhöhender Bedingungen nennt Moffitt (1993). Er führt an, dass sich antisoziales Verhalten durch neuropsychologische Schädigungen im Nervensystem eines Kindes zeigt welches durch prä- und perinatale Komplikationen ausgelöst wird. Folge dessen äußern sich die Schädigung durch z.B. schwieriges Temperament, Entwicklungsverzögerungen oder kognitive Defizite, die sich durch schlechte schulische Leistungen im späteren Entwicklungsverlauf des Kindes zeigen. (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 5ff; Moffitt 1993, S. 674ff). Durch das schwierig entwickelte Temperament können Konflikte zwischen Eltern und dem Kind auftreten, die sich negativ auf die zu entwickelnden Verhaltensweisen auswirken (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 5ff Shaw et al. 1996, S. 681f). Laut Petermann und Petermann (1997) werden die elterlichen Reaktionen auf das impulsive Verhalten des Kindes immer aggressiver und führen schlussendlich oft zu Familienkonflikten und deren Eskalation (vgl. ebd., S. 25f; Petermann & Scheithauer 1999, S. 8;). Risikofaktoren, die sich während verschiedener Altersabschnitte auf die Entwicklung auswirken, haben unterschiedlichen Einfluss auf das Ausmaß der psychischen Störung. Erfährt beispielsweise das Kind während der ersten vier bis fünf Lebensjahre eine Scheidung der Eltern, stellt dies einen Risikofaktor dar. Der Grund dafür ist, dass das Bindungsverhalten zwischen Kind und Eltern negativ beeinflusst wird und somit für das Kind eine erhöhte Chance besteht antisoziales Verhalten zu entwickeln (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 10f; vgl. Shaw et al. 1997, S. 692). Hervorzuheben ist, dass neben der Eltern-Kind-Beziehung auch das Erziehungsverhalten der Eltern im frühen Kindesalter eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Risikofaktoren spielt. Antisoziale Verhaltensweisen des Kindes können nicht nur durch eine Störung des Bindungsverhaltens als Risikofaktor, sondern auch durch Erziehungspraktiken wie körperliche Züchtigung oder Vernachlässigung, ausgelöst werden (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 10ff; Scheithauer et al. 2000, S. 69f).
Neben den zuvor genannten Altersunterschieden, sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede anzuführen. Jungen zeigen hinsichtlich eines antisozialen Verhaltens eine größere Vulnerabilität gegenüber familiären Risikofaktoren während der Kindheit, Mädchen hingegen während der Adoleszenz. Bei Mädchen scheinen verschiedene Formen der körperlichen Misshandlung bzw. des sexuellen Missbrauchs oder die Geburt eines Geschwisterkindes [...] in stärkerem Maße mit antisozialem Verhaltensweisen verknüpft zu sein als bei Jungen (vgl. Petermann & Scheithauer 1999, S. 12).
2.3.2 Risikomilderne Faktoren
2.3.2.1 Das Schutzfaktorenkonzept
„Unter risikomildernden bzw. schützenden/protektiven Bedingungen werden nach Rutter (1990) psychologische Merkmale oder Eigenschaften der sozialen Umwelt verstanden, welche die Auftretenswahrscheinlichkeit psychischer Störungen senken, bzw. die Auftretenswahrscheinlichkeit eines positiven bzw. gesunden Ergebnisses (z.B. soziale Kompetenz) erhöhen“ (Wustmann 2009, S. 44). Schutzfaktoren bilden den Gegenspieler zu den Risikofaktoren und können als solche bezeichnet werden „wenn damit eine Risikosituation ‚ab gepuffert’ bzw. beseitigt werden kann“ (Gröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 27). Damit ein Schutzfaktor, der, von den Risikofaktoren ausgelösten, Belastung entgegen wirken kann, ist im Zeitablauf das Auftreten des protektiven Faktors vor dem risikoerhöhenden Faktor von Bedeutung. Unabhängig davon, ob ein Risikofaktor auftritt und damit verbunden ein erhöhtes Entwicklungsrisiko besteht, kann bei dem Vorhandensein eines Schutzfaktors von förderlichen Bedingungen für die Entwicklung gesprochen werden (vgl. Wustmann 2009, S. 45). Zander hat herausgestellt, „dass Schutzfaktoren mindestens drei Funktionen haben: 1) sie können risikomildernd wirken, 2) sie können entwicklungsfördernd sein und 3) ihr Fehlen kann generell ein Störungspotenzial darstellen, das Fehlen von Schutzfaktoren kann als Risikofaktor gedeutet werden“ (Zander 2008, S. 40). Anknüpfend an die drei Funktionen der Schutzfaktoren ist es möglich, diese zu differenzieren und in vier Kategorien einzuteilen:
Generell protektive Faktoren: haben unmittelbare förderliche Auswirkungen, sowohl bei Kindern mit hohem als auch mit niedrigem Risiko;
Stabilisierende protektive Faktoren: wirken stabilisierend auf die erreichte Kompetenz angesichts steigenden Risikos;
Ermutigende protektive Faktoren: bestärken darin, sich mit Stress auseinander zusetzen, sodass die eigene Kompetenz der Stressbewältigung wächst;
Protektive aber reaktive Faktoren: wirken sich generell vorteilhaft aus, allerdings in geringem Maße, wenn das Risiko hoch ist
(Luthar et al. 2000, S. 547).
Für die Entwicklung von Resilienz im Lebenslauf eines Individuums sind zwei Einflussgrößen von zentraler Bedeutung: „zum einen personelle Ressourcen (Eigenschaften des Kindes) und zum anderen soziale Ressourcen (Schutzfaktoren in der Betreuungswelt des Kindes)“ (Wustmann 2009, S. 46). Ergänzend zu Wustmann, ist es möglich die Betreuungswelt des Kindes in zwei weitere Unterkategorien zu teilen, das direkte Umfeld des Kindes: die Familie und das weitere soziale Umfeld (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2009, S. 28). Hervorzuheben gilt, dass die benannten Ebenen nicht als isolierte Bereiche zu betrachten sind, sondern immer in Wechselwirkung zu einander stehen (z.B. erwirbt ein Kind bestimmte Kompetenzen erst in der kontinuierlichen Interaktion mit der Umwelt) (vgl. Wustmann 2009, S.46). Scheithauer und Petermann führen ergänzend zu den zuvor genannten Aspekten den Begriff der Resilienzfaktoren ein, den sie als Zusammenwirken von schützenden Bedingungen im Kontext Kind und Umwelt sehen. Sie klassifizieren Schutzfaktoren daher wie folgt:
Kindbezogene Faktoren: Eigenschaften, die das Kind beispielsweise von Geburt an aufweist, wie ein positives Temperament
Resilienzfaktoren [siehe Kapitel 2.4]: Eigenschaften, die das Kind in der Interaktion mit seiner Umwelt sowie durch die erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben im Verlauf erwirbt; diese Faktoren haben bei der Bewältigung von schwierigen Lebensumständen eine besondere Rolle, z.B. positives Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugung [siehe Kapitel 3] aktives Bewältigungsverhalten Umgebungsbezogene Faktoren: Merkmale innerhalb der Familie und im weiteren sozialen Umfeld des Kindes, z.B. eine stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson, Modelle positiven Bewältigungsverhaltens (Petermann und Scheithauer 1999, S. 8f)
In der auf Hawaii durchgeführten Kauai-Studie von Werner (siehe Kapitel 4.1.1) wurden die Mütter von resilienten Kindern gebeten Persönlichkeitsmerkmalen ihrer Kinder zu beschreiben. Es stellte sich heraus, dass Kinder mit einem Jahr als „aktiv, liebevoll, anschmiegsam, freundlich und ‚pflegeleicht’ beschrieben“ (Werner 2012, S. 31) wurden. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass die Kinder in ihrer motorischen sowie sprachlichen Entwicklung anderen Kindern voraus waren und „von unabhängigen Beobachtern als angenehm, fröhlich, freundlich, aufgeschlossen und gesellig beschrieben“ (Werner 2012, S. 31) wurden (vgl. Werner 2012, S. 31). Über diese beschriebenen Eigenschaften verfügt das Kind von Geburt an und sie werden als kindbezogene Schutzfaktoren bezeichnet (vgl. Wustmann 2009, S. 46). Zudem hatten die beschriebenen Individuen im Laufe ihrer Jugendjahre „den Glaube an ihre eigene Wirksamkeit entwickelt und waren überzeugt, dass sie die Probleme, mit denen sie konfrontiert waren, durch eigenes Handeln bewältigen konnten [...] anders als diejenigen ihrer Altersgenossen, die Probleme nicht bewältigen konnten“ (Werner 2012, S.31f). Der aktuelle Forschungsstand (siehe Kapitel 4) hat diverse personelle Schutzfaktoren herauskristallisiert: „das Temperament des Kindes, kognitive Fähigkeiten, Internale Kontrollüberzeugung, Selbstwirksamkeitserwartung (siehe Kapitel 3) sowie aktive Bewältigungsstrategien“ (Bengel et al. 2009, S. 49).
[...]
[1] Im folgenden Verlauf der Arbeit wird Schülerinnen und Schüler mit SuS abgekürzt.
- Citation du texte
- Mats Tuttas (Auteur), 2018, Förderung der Stressbewältigung in der Schule. Die Selbstwirksamkeit in der Grundschule und ihr Einfluss auf die Resilienz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/429240
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