In dieser Broschüre des GRIN-Verlags versucht der Autor eine politikhistorische Zwischenbilanz des Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Staat 1915/16 unter Einbezug der im Juni 2005 im Deutschen Bundestag einstimmig angenommenen politischen Resolution.
Übersicht
1. Armenozid - Zur Bedeutung eines Schlagworts
2. Zwischen Ignoranz und Apologie - Wolfgang J. Mommsen und andere über Armenozid
3. Völkermord als Staatsverbrechen
4. Das „ungeheure Verbrechen“ - Karl Jaspers über das Staatsverbrechen Völkermord
5. Aufarbeitung/en; Resolutionsentwurf
6. „Kavgam“ und mehr „Mein Kampf“ als Besteller in der Türkei, 2005
7. Lebenskultur und Frühwarnsystem Theoretische Aspekte des Völkermord[en]s
Literaturverzeichnis
„Der Völkermord an den Armeniern war ein Genozid am Anfang des 20. Jahrhunderts, bei dem im Zusammenhang mit dem armenischen Unabhängigkeitskampf und den Bestrebungen, einen ethnisch homogenen türkischen Nationalstaat zu schaffen, etwa 1,5 Millionen Armenier in der heutigen Türkei durch das Osmanische Reich - dem Vorgängerstaat der Türkei - getötet wurden. Im engeren Sinn versteht man unter diesem Begriff die Tötungen von 1915.
Die Aufarbeitung dieser Geschehnisse ist bis heute schwierig. Während viele Armenier den Massenmord als ungesühntes Unrecht empfinden und eine angemessene Erinnerung fordern, bestreiten die türkische Regierung und viele türkische Nationalisten entweder, dass es überhaupt Massentötungen gegeben habe, oder stellen sie als gerechtfertigte Reaktionen auf armenische Übergriffe dar [...]
Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) kämpfte das Osmanische Reich auf der Seite der Mittelmächte gegen die Entente, zu denen auch Russland gehörte. Im russisch-türkischen Konflikt im Kaukasus unterstützten die Armenier in der Hoffnung auf Unabhängigkeit die russische Seite; es gab auf russischer Seite armenische Freiwilligenbataillone.
Als die armenischen Kämpfer 1915 begannen, in den türkischen Armeniergebieten hinter den türkischen Linien zu operieren und weitere Kämpfer anzuwerben, ergriff die türkische Regierung Gegenmaßnahmen.
Am 24. April wurden alle armenischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Führer, die sich in Konstantinopel aufhielten, verhaftet, deportiert und später ermordet - insgesamt über 200 Personen. Gleichzeitig ordnete die Regierung an, dass alle im Osmanischen Reich lebenden Armenier - die vornehmlich in den Provinzen nahe der Kaukasusfront lebten - in Lagern zu internieren und nach Syrien und Mesopotamien zu deportieren seien. Fast alle der knapp zwei Millionen Armenier in diesen Gebieten wurden in den folgenden Monaten inhaftiert.
Dabei hatte die osmanische Regierung nicht die Absicht, die Armenier einfach nur aus der Nähe der Front umzusiedeln: In seinen Erlassen ordnete der damaligen Innenminister, Talaat Pascha, an, dass „alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten“ seien.
In der Folge wurden zahlreiche Armenier entweder von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen getötet oder starben auf Todesmärschen. Je nach Schätzung kamen etwa 600.000 bis 1.500.000 Armenier um. Hunderttausende Armenier, die den Genozid überlebten, mußten emigrieren.“
Soweit die Kerndarstellung in de.wikipedia Anfang Juli 2005
(http://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord_an_den_Armeniern/Entwurf [070705])
1. Armenozid - Zur Bedeutung eines Schlagworts
Zugegeben - der Titel dieses Beitrags besteht aus einem Wort, das ein Kunstwort ist: Armenozid. So heißt auch eine wichtige deutsche Netzseite (Website), die von Wolfgang [und] Sigrid Gust als Herausgeber veranstaltete http://www.armenocide.de. Gebräuchlich war das artifizielle Wortkonstrukt: Armenocide zunächst in armeno-amerikanischen Überlebenden-, Publikations- und Forschergemeinschaft/en der Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Seit den 1970er Jahren, also innerhalb der letzten drei(undhalb) Jahrzehnte, wurde Armenocide auch im Zusammenhang mit der medienvermittelten „Holocaust“-Diskussion internationalisiert und wird heute auch innerhalb der Wissenschaftler/innen, die zum Völkermord (Genozid) forschen, benützt.
Armenozid ist das deutsche Substantiv von armenocide. Beide Worte sind von Armenius cidere abgeleitet und und meinen den Völkermord im Osmanischen Staat an Armeniern als religiöser, ethnischer und politischer Minderheit während des Ersten Weltkriegs 1915/18. Im Wort finden sich sowohl die Opfergruppe (Armenier) als auch das Mordgeschehen (cidere) wieder. Über die Form des Mord(en)s ist, im Gegensatz zum viel bekannteren Begriff und Kunstwort: Holocaust (wörtlich: holokaustos im Sinne von völlig verbrannt), bei Armenozid nichts ausgesagt...obwohl doch, beim Wort genommen, im historischen Völkermordgeschehen während des Ersten Weltkriegs eher Armenier lebendig verbrannt wurden als später, während des Zweiten Weltkriegs, Juden: „Das Verbrechen dieses Völkermords [ist] in seiner kalten unmenschlichen Planung und in seiner tödlichen Wirksamkeit in der menschlichen Geschichte einmalig“ (Kohl 1987).
Im Holocaust-Wortfeld findet sich in noch allen Bedeutungsvarianten das Moment der Tötung durch Feuer, also der Verbrennung von Menschen. Genozid schließlich meint einen Stamm töten (genus cidere) und wird im deutschen Sprachgebrauch meist zur Kennzeichnung der gesamten oder teilweisen gewaltsamen Ausrottung eines Volkes oder einer Volksgruppe (Ethnie) verstanden (Albrecht 1989, 69: Synopse).
Armenozid hieß früher, vor dem Ersten Weltkrieg, im umgangssprachlichen Deutsch auch verbreitet kurz [der] „Armeniermord“ (so wie nach dem Zweiten Weltkrieg Holocaust und Shoah auch kurz [der] „Judenmord“ genannt wurden). In Friedrich Naumanns populärem politischen Buch ´Asia´ zum Beispiel findet sich 1909 unter Hinweis auf Armeniermassaker des „türkischen Barbarentums“ 1894/96 unterm (später wegen des Blutbads der ´rote Sultan´ genannten) Abdul Hamid der Ausdruck Armeniermord mit 80-100.000 Menschenopfern (Naumann 1909, 135-140; Albrecht 1989, 69; Dadrian 1988, 151-169, mit Hinweis auf eine spätere Auflage des Naumann-Buchs; historisch Lepsius 1896).
Jenseits jeden ideologisch-apologetischen Gedächtnisses war, was politisch seit dem Berliner Vertrag von 1878 mit seinem in Artikel 61 geforderten Reformen für im Osmanischen Reich lebende Armenier als christliche Minderheit „armenische Frage“ genannt wurde, jahrzehntelang historisch auch immer mit „armenischen Greuel“ (Meyers Lexikon 1924, 7. Auflage, 1. Band, 867) verbunden. Und auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung/FAZ erinnerte kürzlich an Folgen der zuletzt ausführlich vor fünfzehn Jahren als Zusammenhang von „armenischer Frage“ und auswärtiger Politik des „Deutschen Reich[s]“ (Saupp 1990, besonders 82-156; 167-230) untersuchten „Massaker, denen lange vor dem Ersten Weltkrieg schon große Gruppen des armenischen Volkes zum Opfer fielen“ und erwähnte neben den bekannten Massakern 1894/96 „neue türkische Massaker“ 1909 (FAZ 151/2.7.2005, 41)
2. Zwischen Ignoranz und Apologie - Wolfgang J. Mommsen und andere über Armenozid
Wenn einerseits vom Armenozid als „holocaust of 1916“ (Bernhard Lewis) und andererseits dem „größtem Verbrechen des Ersten Weltkriegs“ (Magnus Hirschfeld) gesprochen wurde und wird - dann erscheint es um so bemerkenswerter, daß dieses Weltverbrechen von Vertretern der deutschen Geschichtsschreibung und ihres juste milieus bis heute so gar nicht erwähnt wird: So erwähnt beispielweise d e r Geschichtsschreiber des Ersten Weltkriegs in Deutschland, Wolfgang J. Mommsen (2003²), in seinem Imperialismus-Buch wohl „die barbarischen Armeniermassaker“ 1894/95, welche auch die europäischen Großmächte seiner Meinung nach „nicht unterbinden“ konnten (Mommsen 2003², 222). Zum Tatbestand des ersten ´modernen´ historischen Genozid/Völkermord jedoch schweigt Mommsen. Statt dessen führt er inhaltlich apologetisch und formal nebulös in vagen Begriffen übers jungtürkische Regime und die drei hauptverantwortlichen Täter aus: Weil dieses Regime „die Befreiung der Völker des Osmanischen Reichs vom autokratischen Joch des Sultans auf sein Programm geschrieben“ hätte - hätte es die „Hoffnung [gegeben], daß das neue jungtürkische Regime auch gegenüber den europäischen Nationalitäten eine liberalere Haltung einnehmen würde“ (Mommsen 2003², 223). Nach den Balkankriegen 1912/13 einerseits und der „Ermordung des Großwesirs Mahmud Scherket [als] letztem Repräsentanten der alten konservativen Herrenschicht innerhalb der Führungsgruppe des Osmanischen Reiches“ im Juni 1913 andererseits war nun „die Bahn für die Jungtürken gänzlich frei geworden“ (Mommsen 2003², 225), genauer:
„Das Triumvirat Talaat, Djemal und Enver Pascha, welches nun uneingeschränkt über die Geschicke des Osmanischen Reiches verfügte, bemühte sich in Anlehnung an das Deutsche Reich um eine Regeneration des Heeres und der Verwaltung. Sie wollten der Türkei ihre einst so stolze und angesehene Stellung unter den europäischen Großmächten zurückgewinnen. In Verfolgung dieses Ziels sahen sie sich freilich in zunehmendem Maße genötigt, auf die autokratischen Methoden ihrer Vorgänger zurückzugreifen. So triumphierten am Ende die Kräfte des Nationalismus über die schwachen Ansätze einer Liberalisierung des Osmanischen Reiches“ (Mommsen 2003², 225/226).
Und in seinem neusten, im Mai 2004 als „Originalausgabe“ erschienenen, Buch zum Ersten Weltkrieg, gibt Wolfgang J. Mommsen nicht einmal mehr diese vagen Hinweise - sondern belehrt uns im Titel- und Leitbeitrag seines Buchs über den Ersten Weltkrieg, daß sich „die Türkei [...] unter Atatürk in einen halbfaschistischen Nationalstaat verwandelte“ (Mommsen 2004, 18).
Der hier zitierte Fall des noch immer und immer noch als seriös geltenden führenden Fachhistorikers Wolfgang J. Mommsen veranschaulicht, daß es offensichtlich in Deutschland noch 2003/04 möglich ist, neunzig Jahre nach Begründung „deutsch-türkischer Waffenbrüderschaft“ und gleichsam in ihrem ungebrochenen Geist, über Imperialismus und Ersten Weltkrieg wissenschaftlich zu publizieren, o h n e als apologetischer Ignoranten/ignorantischer Apologet wahrgenommen zu werden. Und dies´ ist kein Einzelfall: im ausgreifenden, 2004 digitalisierten ´Wörterbuch Geschichte´ (389-390; 842) wird im entsprechenden Stichwort der Armenozid ebensowenig erwähnt wie der „Armeniermord“, genauer: „Völkermord“ als zeitgenössisches Menschheitsverbrechen wird überhaupt nur zwei Mal im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen „Judenverfolgung“ angesprochen.
Wenn und weil das so war und so ist - dann bleibt im Grunde jede noch so beiläufige Erwähnung dieses welthistorischen Verbrechens ´hinten in der Türkei´ bedeutsam und so erwähnenswert wie beispielsweise diese Hinweise eines deutschen Islamwissenschaftlers, die, im Gegensatz zu Mommsens „Weltgeschichte“, durchaus den Stand des heutigen alteuropäisch-wissenschaftlichen Wissen zum Armenozid entsprechen:
„Die Autonomiebestrebungen armenischer Gruppen und deren Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner Rußland nahm die osmanische Regierung zum Anlaß, eine Radikallösung des ´Armenierproblems´ anzustreben. Eine große Zahl von ihnen - Schätzungen bewegen sich zwischen 600 000 und 1,5 Millionen - fiel 1915 den Verfolgungen, die offiziell als Umsiedlungsaktionen bezeichnet wurden, zum Opfer. Die Türkei verweigert sich bis heute einer historischen Aufarbeitung dieser systematischen Massenvernichtung der Armenier“ (Steinbach 2002, 8). Und zusammenfassend schreibt Udo Steinbach, Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg: „Dem Ende des Osmanischen Reiches vorangegangen war eine systematische ethnische Säuberung und Vernichtung von bis zu 1,6 Millionen Armeniern 1915/16 und die Vertreibung bzw. Umsiedlung von ca.1,2 Millionen Griechen zwischen 1912 und 1924“ (Steinbach 2004, 4).
3. Völkermord als Staatsverbrechen
Wenn über die vor allem von Raphael Lemkin (1944) beschriebene Besonderheit von Völkermordpolitik und Genozid, nämlich die Generationen andauernden destruktiv-biopolitischen Folgen geplanter und planvoll organisierter Massenmorde, hinaus zumindest wesentliche Aspekte ´modernen´ Völkermords beschrieben werden sollen, dann kann hier angeschlossen werden an (m)eine vergleichend (comparatistisch) angelegte Studie über Genozidpolitik im 20. Jahrhundert nach Hannah Arendt, für die Völkermord/Genozid [crimen ius gentium] als Staatverbrechen [crime of the state, crime de l´État] immer beides zugleich war: allgemeines „Verbrechen gegen die Menschheit“ (Arendt 1986: Eichmann, 318) einerseits und andererseits als „staatlich organisierter Verwaltungsmassenmord“ besondere Form eines Staatsverbrechens mit dem historisch neuen „Typus des Verwaltungsmörders“ (Arendt 1986: Eichmann, 318, 321, 325, 22): „a structual and systematic destruction of innocent people by a state bureaucratic apparatus“ (Irving Louis Horowitz), „an organized state murder“ (Helen Fein) zur physischen Vernichtung eines Volkes oder einer ethnischen Gruppe mit unwiderruflichen biopolitischen Folgen als spezifische Form destruktiver Vernichtungspolitik setzen immer schon staatliche Planung und staatliche Organisation, nicht aber notwendig die Durchführung (Exekution) durch staatlich bedienstete Täterstäbe voraus (Albrecht 1989, 67-76).
Entgegen jedem common-sense, dessen Alltagsverständnis vom positiven Staatsbonus ausgeht („the state can´t do wrong“, „right or wrong, my country“), geht das jeder Völkermordpolitik im 20. Jahrhundert kennzeichnende Völkermord- oder Genozidgeschehen vom Staat als aktiv planendem und organisierendem Tätersubjekt aus, genauer: Zum konzeptionellen - systematisch geleiteten, historisch fundierten und auf Völkermordverhinderung (Genocidprevention) erkenntnisbezogenen - Verständnis von Genzid- oder Völkermordpolitik reicht eben nicht das sozialwissenschaftlich geläufige paradoxe Denken aus; nötig wird vielmehr, das Undenkbare zu denken („thinking the unthinkeable“): Daß nämlich zur Gattungsbezogenheit unserer conditio humana gehört, was „Menschen aus Menschen machen können“ (Arendt 1986: Elemente, 690-702): Dem vorgängigen „Mord an der juristischen Person“ folgten Millionen Menschen, die „in den deutschen Gaskammern ´ausgemerzt´ wurden“.
Anders als - wie zitiert - in Fischers Weltgeschichte und im Geschichtlichen Wörterbuch wurden im Internationalen Militärgerichtshof (November 1945 bis Oktober 1946) ausdrücklich Vernichtungsmaßnahmen während des Krieges -gegen Armenier- als angeblich abgesunkenes stolzes Perservolk, das nun -als Armenier- „ein klägliches Dasein“ führt, mehrfach direkt angesprochen (nämlich am 8.2, am 21.3. und am 2.4.1946). Indirekt spielt der Armenozid im Zusammenhang mit Hitlers Rede/n vor den Oberkommandierenden auf dem Obersalzberg am 22. August 1939 zur Rechtsfertigung des Angriffs(krieges) auf den polnischen Staat, der dann schließlich am 1. September 1939 begonnenen wurde, eine wichtige Rolle (Albrecht n.d.). Diese tatsächlich aus zwei Teilen bestehende „Ansprache des Führers“ ist in den Nürnberger Prozeßdokumenten L-3, PS-798 und PS-1014 dokumentiert und als eine seiner auf den Angriffskrieg bezogenen „Schlüsselbesprechungen“ gewertet worden (in den IMT-Dokumentenbänden finden sich 65 Fundstellen mit Verweis aufs Datum dieser „Dschingis-Khan-Rede“ Hitlers am 22. August 1939). Und auch wenn die Aufgabe des Gerichtshofs n i c h t die Ahndung des faschistischen „Judenmords“ als „Verbrechen gegen die Menschheit, verübt am jüdischen Volk“ (Arendt 1986: Eichmann, 318) war, sondern die nationalsozialistischen (Haupt-) Kriegsverbrecher wegen „Verbre-chen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit“ anzuklagen (Bauer 1944; Glueck 1944; Lachs 1945; zuletzt Hirsch u.a. 1986) - so kann doch davon ausgegangen werden, daß, ebenso wie Hitler selbst, der Anklägerstab um Robert H. Jackson übers geschichtliche Wissen über den historischen Armenozid verfügte, um sich im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden von Einzelheiten des Völkermord an europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs an den „Armeniermord“ während des Ersten Weltkriegs „hinten in der Türkei“ erinnern zu können ... zumal der Bericht von Henry Morgenthau, bis zum US-Kriegseintritt 1917 damaliger US-Botschafter im Osmanischen Reich mit Sitz in Konstantinopel (Pera) neben der Mitverantwortung des Deutschen Reiches sowohl den geplanten Charakter der (jung-) türkischen Vernichtungspolitik als auch die Frage der Bestrafung der Regierungsverantwortlichen ausdrücklich hervorhob (Morgen-thau 1918; 1919)
4. Das „ungeheure Verbrechen“ - Karl Jaspers über das Staatsverbrechen Völkermord
Auch wenn Karl Jaspers sich in seinen im Anschluß an Hannah Arendts Hinweise zum „Menschheitsverbrechen“ vorgetragenen Überlegungen von 1966 allein auf den Völkermord an europäischen Juden im „Drittes Reich“ genannten nationalsozialistischen Staat und Machtbereich bezieht - so sind seine Argumente, daß nämlich das ungeheure Verbrechen an der Menschheit, das Genozid/Völkermord genannt und als solches radikal bekämpft und konsequent geächtet werden muß, nur als „Verwaltungsmassenmord“ mit staatlichen Mitteln denkbar und möglich ist, nach wie vor richtungsweisend und tragfähig. Zugleich unterschätzt Jaspers, bei aller berechtigten Auslobung des Rechtsstaats, die auch diesem strukturell immanenten Involutions-, Willkür- und Destruktionstendenzen (Neumann 1944) einerseits und verklärt andererseits praefreudianisch das Verhältnis von Norm(alität) und Abweichung (Albrecht 1997), indem er die in jeder Normalität inkorporierte Abweichung unterschätzt, weil er sich die nachhaltige Verkehrung dieses Verhältnisses nicht einmal gedankenexperimentell imaginieren kann: Das Wirkliche muß aber ebensowenig vernünftig sein wie das Gute stets das Böse besiegen...und kann sich nicht gerade unter rechtsstaatlicher Hülle ein „oligarchischer Richterstaat“ (Bernd Rüthers) mit Tendenzen zur kakistokratischen Berufsrichterherrschaft (Albrecht 2005) so subkutan wie nachhaltig entwickeln?
Am Beispiel des „Judenmords“ während des Zweitens Weltkriegs entwickelt/e Karls Jaspers diese Kerngedanken zu Staatsverbrechen und Verbrecherstaat als notwendige Rahmenbedingung/en (im Sinne einer condition sine qua non) für Planung, Organisation und Durchführung von Völkermord/en (zitiert nach Friedrich 2004, 353-356):
"Zum Teil waren die Verbrechen - damals wie heute - nach dem vorliegenden Strafgesetzbuch zu sühnen (wenn es auch im NS-Staat nicht geschah). Diese Verbrechen wurden in der Ausführung des Massenmordes, ohne daß sie notwendig dazugehörten, von zahlreichen einzelnen Tätern begangen. Sie machen juristisch keine Schwierigkeiten. Anders das Verbrechen des staatlichen Verwaltungsmassenmordes. Dieses den Motiven und dem Sinn nach neue Morden kann nur in einer Ausnahmesituation stattfinden, nämlich im Verbrecherstaat. Heute kann er in der Bundesrepublik so wenig wie in anderen Rechtsstaaten stattfinden. Was zu einem Ausnahmezustand gehört, kann nur durch Ausnahmegesetze erfaßt werden. Diese haben nicht den Charakter der im Rechtsstaat abgelehnten Ausnahmegesetze. Vielmehr sind sie qualifizierte Ausnahmegesetze, die in einem wiederhergestellten normalen Rechtsstaat für noch lebende Täter aus dem niedergeschlagenen Verbrecherstaat gelten, während gegenwärtig solche Täter gar nicht auftreten können.
1961 kurz vor dem Beginn des Eichmann-Prozesses in Jerusalem sagte ich in einem Interview: "Niemand leugnet, daß im Fall Eichmann ein Verbrechen vorliegt. Aber dieses Verbrieften hat die Besonderheit, daß es in keinem Strafgesetzbuch vorkommt. Diese Verbrechen werden vom ´politischen´ Willen eines Staates bestimmt. Aber Täter waren immer einzelne. und diese sind als Menschen die Schuldigen, in denen nicht eine Gesinnung, .sondern die aus einem menschheitswidrigen Prinzip fügende Tat bestraft wird. Die Besonderheit dieses Prinzips, das zum erstenmal in die Welt getreten ist, muß deutlich werden. Von Hannah Arendt hörte ich einmal im Gespräch die Unterscheidung zwischen >Verbrechen gegen die Menschheit< und den >Verbrechen gegen die Menschheit<“ In diesen erhebt eine Gruppe von Menschen den Anspruch, zu entscheiden, daß eine durch unveränderliche Merkmale gekennzeichnete andere Gruppe von Menschen nicht leben dürfte, daher auszurotten sei. Die Tat der Ausrottung durch Massenmord kann mit Erfolg nur mittels eines Staates durchgeführt werden, der die Gewalt dazu hat, Verbrechen gegen die Menschheit sind solche, die die Menschheit selber im Sinne des Menschseins bedrohen und das Dasein der Menschheit als solche in Gefahr bringen.
Es sind keine Gesinnungsverbrechen, denn das Prinzip kann nicht als eine unter Menschen mögliche Gesinnung anerkannt werden. Als Gedanke wird das Prinzip durch den Gedanken bekämpft. Wenn die Tat folgt, muß die Menschheit in uns durch die Tat antworten.
Hier handelt es sich auch nicht Kriegsverbrechen, die als Unmenschlichkeiten im Kampf mit waffentragenden Gegnern der gegen den Besiegten stattfinden. Denn, die zu Vernichtenden waren als waffenlose Juden ohne Armee nicht Kriegsgegner, Wer das behaupten wollte, wäre schwachsinnig oder bösen Willens.
[...]
- Citar trabajo
- Dr. Richard Albrecht (Autor), 2005, Armenozid - Der historische „Armeniermord" als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts , Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42887
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