Im ersten Teil dieses Essays wird eingehend die Position Gräb-Schmidts zur Hermeneutik des Alten Testaments wiedergegeben, wobei im zweiten Teil auf die Auffassungen Huizings Bezug genommen wird.
Zum Abschluss des Essays werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Positionen herausgearbeitet, wobei in einem kurzen Fazit die Frage geklärt wird, inwieweit die beiden Ansätze für die hermeneutische Aufgabe fruchtbar gemacht werden können.
Es wird letztendlich die entscheidende Frage gestellt, welchen Beitrag die Systematische Theologie überhaupt zu einer Hermeneutik des Alten Testaments leisten kann. Auf eine biographische Einführung wird indes aus Rücksichtnahme auf die inhaltliche Fokussierung dieses Essays verzichtet.
Gegenwärtige Positionen zur Hermeneutik des Alten Testaments aus der Systematischen Theologie am Beispiel von Gräb-Schmidt und Huizing
Hinführung zum Thema
Im Rahmen einer systematisch-theologischen Sitzung des interdisziplinären Hauptseminars zur Hermeneutik des Alten Testaments haben wir uns intensiv mit den Positionen von Prof. Dr. Elisabeth Gräb-Schmidt und Prof. Dr. Dr. Klaas Huizing aus der Systematischen Theologie auseinandergesetzt. Als Textgrundlage fungierten hierbei zwei Aufsätze aus dem Werk Normative Erinnerung[1] mit den jeweiligen Titeln „Glauben und Verstehen – Kanon, kulturelles Gedächtnis und die hermeneutische Aufgabe der Theologie“[2] sowie „Die Weisheit als Kanon-Hermeneutin – Über die Lektoralisierung religiöser Erfahrung“[3].
Struktur und Zielsetzung des Essays
Im ersten Teil dieses Essays soll eingehend die Position Gräb-Schmidts wiedergegeben werden, wobei im zweiten Teil auf die Auffassungen Huizings Bezug genommen werden soll. Zum Abschluss sollen dann darüber hinaus eine Gegenüberstellung und eine Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden systematisch-theologischen Auffassungen zur Hermeneutik des Alten Testaments erfolgen, wobei in einem kurzen Fazit die Frage geklärt werden soll, inwieweit die beiden Ansätze für die hermeneutische Aufgabe fruchtbar gemacht werden können. Es soll zum Abschluss die entscheidende Frage gestellt und beantwortet werden, welchen Beitrag die Systematische Theologie überhaupt zu einer Hermeneutik des Alten Testaments leisten kann. Auf eine biographische Einführung wird indes aus Rücksichtnahme auf die inhaltliche Fokussierung dieses Essays verzichtet.
Elisabeth Gräb-Schmidts Position zur Hermeneutik des Alten Testaments
Elisabeth Gräb-Schmidt beginnt ihren Aufsatz mit einem kurzen Rekurs auf „Die Kanonisierung der biblischen Schriften“ sowie auf die „Bemühungen um eine biblische Theologie“[4] und bezieht sich dabei vor allem auf die Positionen Franz Overbecks und Jörg Lausters. Zwischen dem Prinzip und der Methode könne man seit der Aufklärung eine ständige Andersgewichtung vernehmen, wobei insbesondere in der Exegese die Methode die führende Stellung für sich beanspruchen konnte.
Gräb-Schmidt teilt vollkommen die Auffassung Lausters, nach der die historisch-kritische Methode zwar einerseits für unverzichtbar gehalten, aber andererseits ihre Erkenntnisse in der Systematischen Theologie nur zu wenig Beachtung finden. Sie bedauert hiermit insbesondere den mangelnden interdisziplinären Austausch zwischen den exegetischen Disziplinen und der Systematischen Theologie, die ihrerseits schon ihrem Wesen nach auf die Forschungsergebnisse der historisch-kritischen Exegese angewiesen ist, um überhaupt selbst Forschungsarbeit leisten zu können und sich dabei möglichst nicht zu weit vom biblischen Kanon zu entfernen.[5]
Einzig Bultmann mit seinem sogenannten Enmythologisierungsprogramm war nach Gräb-Schmidt dazu imstande, „die Kontextbedingtheit des biblischen Textes und […] seine Historizität festzuhalten“[6] Maßgeblich ist vor allem, dass Bultmann die Theologie stets aus der Perspektive der Geschichtlichkeit betrachtet hat, weshalb er mit seiner historisch-kritischen Methode auch verständlich machen konnte, welche kulturelle Relevanz alles Historische eigentlich besitzt. Vielmehr noch muss man Bultmanns Hermeneutik nach der Auffassung Gräb-Schmidts sogar noch als eine vertiefende Fortführung der lutherischen Hermeneutik auffassen, da das Historische mit seiner historisch-kritischen Methode noch viel präziser verortet werden konnte. Bultmanns Ansatz der Entmythologisierung ist für Gräb-Schmidt dazu in der Lage, auch den modernen Zweifeln am Schriftprinzip standzuhalten und dieses wieder einzusetzen.
Falk Wagners Leistung war es, dass er auf das christologische Defizit hingewiesen hat, welches dann besteht, wenn man die Geschichte Jesu alleinig versucht von seinem Auftreten und Wirken abhängig zu machen. Kritik an einer solchen Historisierung hält Gräb-Schmidt zwar für vollkommen angebracht, jedoch ist sie der Auffassung, dass es nicht ausreichend ist, wenn man der Historizität „einen prinzipienorientierten Grund“[7] entgegenstellt, da man hierdurch weder aller neuzeitlichen Kritik, noch dem Schriftprinzip oder dem Prinzip des Kanons gerecht werden könne.
Klaas Huizing vertritt mit seiner Rezeptionsästhetik einen gänzlich anderen Ansatz. Dieser nimmt seinen Anfang bei der Voraussetzung von Fiktionalität und versucht eine strikte Trennung zwischen Faktizität und Geltung herzustellen und postuliert diese letztendlich auch. Gräb-Schmidt kritisiert hierbei jedoch, dass diese Überwindung aber „unter der Leitperspektive der Geltungsfrage“[8] vollzogen und dadurch die Frage nach Historizität und Faktizität lediglich in einem neuen Licht erscheint.
Eine absolut herausragende Stellung nimmt für Gräb-Schmidt insbesondere das kulturelle Gedächtnis ein, wobei sie dafür plädiert, dass man sich den biblischen Texten zwar weiterhin zuwendet, aber nicht aus einer distanzierten Perspektive, sondern stets in Rückbezug auf die persönlichen Lebenserfahrungen und Vorstellungen, die man bei der individuellen Bibellektüre gewinnt. Nur so kann nach Gräb-Schmidt die historische Differenz zum Vorschein gebracht und „Bultmanns Forderung des >>Gleichzeitigwerdens<<“[9] entsprochen werden.
Die Hermeneutik Bultmanns leistet ihrer Ansicht nach einen entscheidenden Beitrag zur Hermeneutik des Alten Testaments, denn mit seinem Konzept der Entmythologisierung stellt Bultmann deutlich heraus, welche Bedeutung der hermeneutische Zirkel für das Interpretations- und das Offenbarungsgeschehen besitzt. In der Offenbarung wird deutlich, dass durch die individuelle Ursprungserfahrung Neues in Altem erfahrbar wird und dass die Vermittlung des Kanons stets auf Kommunikation angewiesen ist.
Klaas Huizings Position zur Hermeneutik des Alten Testaments
Klaas Huizing beginnt seinen Aufsatz mit dem Titel „Die Weisheit als Kanon-Hermeneutin – Über die Lektoralisierung religiöser Erfahrung“[10] mit einem Verweis auf Wolfhart Pannenberg, der schon im Jahr 1962 „Die Krise des Schriftprinzips“ ausrief. Später griff auch Falk Wagner diese Auffassung auf und gehörte nach Huizing zu jenen Dogmatikern, die stets um die Emanzipation der Dogmatik vom Prinzip der Schriftgebundenheit bestrebt waren, da man der Ansicht war, dass man nur so die herausragende Bedeutung der Dogmatik im Kanon der theologischen Disziplinen wird halten können.
Demgegenüber stehen jedoch einige Exegeten und Vertreter der sogenannten Biblischen Theologie, die sich ihrem Selbstverständnis nach nicht alleinig als Historiker verstehen, sondern stets auch um die Klärung des theologischen Gehalts der Schrift bemüht sind und somit für eine enge Zusammenarbeit von Exegese und Systematischer Theologie eintreten.[11]
Klaas Huizing spricht sich sowohl gegen jene Systematiker, die sich bereits von der Schrift distanziert haben, als auch gegen jene Exegeten aus, die nichts von der Dogmatik hören wollen. Allein durch die interdisziplinäre Forschungszusammenarbeit können beide Disziplinen voneinander profitieren und ihre jeweiligen Erkenntnisse gegenseitig fruchtbar gemacht werden. Die Beschäftigung mit der Hermeneutik des Alten Testaments betrifft nicht nur die Alttestamentler, sondern auch alle Systematiker, die sich stets die Frage nach der Bedeutung des Alten Testaments innerhalb des biblischen Kanons und für die christliche Glaubenslehre generell zu stellen haben, um ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis gerecht werden zu können.
Für Klaas Huizing muss jedwede Hermeneutik des Alten Testaments aber nicht beim Historischen ansetzen, wie das zum Beispiel bei Gräb-Schmidt der Fall ist, sondern bei der Erkenntnis, dass die alttestamentlichen Erzählungen zuallererst literarische Fiktion sind. Zur Belegung seiner These zieht er die Auffassung des dänischen Alttestamentlers Niels Peter Lemche heran, der von der Fiktionalität des Alten Testaments überzeugt ist. Historisch-kritische Forschung am Alten Testament müsse deshalb stets ihren Ausgang bei einer narratologischen Erzählanalyse nehmen und dürfe nicht mehr den ganzheitlichen Anspruch vertreten, ihrerseits die Geschichte Israels nachbilden zu können. Die einzelnen Bestandteile des alttestamentlichen Kanons können hierbei jedoch weiterhin als historische Größen verstanden werden. Die biblischen Texte erheben als solche keinen absoluten Autoritätsanspruch, sondern müssen aus dialektischer Perspektive heraus erschlossen und in der Kontextbedingtheit ihrer Entstehungssituation verstanden und auf den Verständnishorizont der Moderne bezogen werden, um für die heutige Leserschaft Geltung haben zu können. Dies ist nach Huizing die grundlegende Aufgabe jedweder Hermeneutik des Alten Testaments.[12]
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[1] Christof Landmesser / Andreas Klein (Hrsg.): Normative Erinnerung – Der biblische Kanon zwischen Tradition und Konstruktion, Leipzig 2014.
[2] Elisabeth Gräb-Schmidt: Glauben und Verstehen – Kanon, kulturelles Gedächtnis und die hermeneutische Aufgabe der Theologie, in: Ebd., S. 131-150.
[3] Klaas Huizing: Die Weisheit als Kanon-Hermeneutin – Über die Lektoralisierung religiöser Erfahrung, in: Ebd., S. 101-129.
[4] Vgl. Elisabeth Gräb-Schmidt (s. Anm. 2), S. 131.
[5] Vgl. Ebd., S. 132.
[6] Ebd., S. 133.
[7] Ebd ., S. 134.
[8] Ebd., S. 134.
[9] Ebd., S. 135.
[10] Klaas Huizing: Die Weisheit als Kanon-Hermeneutin – Über die Lektoralisierung religiöser Erfahrung, in: Christof Landmesser / Andreas Klein (Hrsg.): Normative Erinnerung – Der biblische Kanon zwischen Tradition und Konstruktion, Leipzig 2014, S. 101-129.
[11] Vgl. Ebd., S. 102.
[12] Vgl. Ebd., S. 108.
- Arbeit zitieren
- Jan Mark Budde (Autor:in), 2018, Gegenwärtige Positionen zur Hermeneutik des Alten Testaments aus der Systematischen Theologie am Beispiel von Gräb-Schmidt und Huizing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/427741
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