Die Forschungsarbeit über den Ehediskurs in Johannes von Tepls „Der Ackermann“ entstand während des Sommersemesters 2001 im Rahmen eines Thematischen Proseminars zu diesem Text an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Die Untersuchung beginnt mit einer Darstellung der theologischen und moralphilosophischen Grundlagen der Ehe aus Bibel (Paulus), Patristik (Augustinus) und Scholastik (Abelaerd, Albertus Magnus, Thomas von Aquin). Die Stigmatisierung der Frau als Bedrohung für die Sexualmoral wird kontrastiert mit der sozialen Wirklichkeit des Mittelalters, wonach ein genussvolles Sexualleben durchaus Billigung erfuhr. Daraufhin wird der sozioökonomische Wandel im Mittelalter und dessen Bedeutung für das Ehebild in der zeitgenössischen Literatur erörtert. Die räumliche Enge der Adelshöfe und Städte hatte die Männer zur Verfeinerung der Umgangsformen gezwungen; die Ideologie des höfischen Verhaltens und erste literarische Zirkel waren entstanden. In der Literatur des Hochmittelalters war die Frau idealisiert worden; gemäß dem christlichen Ehebegriff sollte der Mann der Oberschicht zur ehelichen Treue diszipliniert werden. Als im 14. Jahrhundert wirtschaftliche Krisen zum Untergang des die höfische Kultur bestimmenden ordo-Gedankens führen, entsteht eine empirisch-naturwissenschaftliche Geisteshaltung. In diesem Kontext kommt es in der spätmittelalterlichen Literatur zu ersten Verschmelzungen der bis dahin strikt voneinander getrennten Liebes- und Ehediskurse. (Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue) Ehestiftend wirken nicht mehr politische oder ökonomische, sondern emotionale Motive.
Erst vor diesem Hintergrund wird die Wortwahl des um seine verstorbene Gattin trauernden Ackermann verständlich. Metaphern wie „somerblume“ oder „turckeltawbe“ enthalten nicht nur ein generelles Frauen- und Ehelob, ein Teil der Forschungsliteratur begreift den Text als gänzlich neuartigen Entwurf der Ehe, indem diese mit dem Gefühl der Liebe kombiniert werde. Die Darstellung weiterer kontroverser Forschungspositionen zum Ehediskurs, zur Bedeutung des Fürbittegebets im 34. Kapitel sowie zur Frage, ob es sich bei Margaretha um eine bloße Fiktion handele, schließt sich an.
Eine umfangreiche Bibliographie rundet die informative Untersuchung ab.
Gliederung
I. Vorwort
II. Stadtbürgerliche Ehediskurse: Ackermann und Margaretha
A. Die Ehe im Mittelalter und der Ehediskurs in der Literatur
1. Die biblische Eheauffassung
2. Einfluss von Patristik und Scholastik
3. Ehemoral und soziale Wirklichkeit
4. Der Wandel im Mittelalter
a) Entstehung von Adelshöfen und Städten
b) Ehebegriff zu Beginn der mittelhochdeutschen Literatur
c) Entstehung der bürgerlichen Ethik im Mittelalter
5. Der Ehediskurs in der spätmittelalterlichen Literatur
B. Ehediskurs im „Ackermann“
C. Exkurs
1. Bedeutung des Akrostichons
2. Margaretha – nur eine Autorfiktion
III. Nachwort
I. Vorwort
Das Thema der vorliegenden Arbeit ist identisch mit dem Thema des ebenfalls vom Verfasser gehaltenen Referats in der Seminarsitzung am 12.07.2001. Naturgemäß ist die Hausarbeit umfangreicher ausgefallen; die Schwerpunkte sind aber anders gewichtet worden. So ist insbesondere auf die Darstellung der Ehe im Mittelalter als juristisches Phänomen wegen deren geringen thematischen Relevanz verzichtet worden.
Aufbau und Inhalt der Arbeit orientieren sich an der Einsicht, dass ohne ein Verständnis der geistigen - sprich theologischen und philosophischen - Grundlagen der Ehe sowie ohne ein ständiges Mitbewusstsein der Diskrepanz jeglicher Ehemodelle zur sozialen Wirklichkeit die Entwicklung des stadtbürgerlichen Ehediskurses unzugänglich bleiben muss. Ebenso erscheint die Skizzierung der sozioökonomischen Veränderungen im Mittelalter unverzichtbar, um mit der Entwicklung der bürgerlichen Ethik die conditio sine qua non dieses literarischen Aspekts zu veranschaulichen. Die späte Untersuchung der Elemente von Liebes- und Ehediskurs im „Ackermann“ hat wiederum den Nebeneffekt, potentiellen Irritationen beim Leser vorzubeugen, die das uneinheitliche Meinungsspektrum hinsichtlich der Wertigkeit des Ehediskurses im Text hervorrufen könnte, falls selbiges bereits zu Beginn der Arbeit erörtert worden wäre.
Der Verfasser wünscht viel Vergnügen bei der Lektüre.
II. Hauptteil
A. Die Ehe im Mittelalter und der Ehediskurs in der Literatur
Die Institution der Ehe in der christlichen Kultur des Abendlandes beruht vor allem auf den Aussagen der Bibel und deren Kommentierung in Patristik und Scholastik.
1. Die biblische Eheauffassung
Grundlage der christlichen Ehebetrachtung sind auch im Mittelalter die einschlägigen Textstellen der Bibel.[1] In der Genesis[2] und den Evangelien[3] erscheint die Ehe als integraler Bestandteil des Schöpfungsvorgangs. Mit der dort verwendeten Formel der Vereinigung von Mann und Frau zu „einem Fleisch“ wird die Unauflöslichkeit der Ehe statuiert;[4] nach Paulus[5] dient die Ehe primär der Vermeidung von sexueller Freizügigkeit.[6] Dieser postuliert keinesfalls die Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern stuft in der Tradition der Genesis[7] das männliche Geschlecht höher ein als das weibliche.[8] Sein Schweigegebot[9] und seine Forderung nach Unterordnung[10] an die Adresse der Frauen bereiten den Boden für misogyne Tendenzen, welche den Frauen die Möglichkeit der Predigt und die Ausübung eines Kirchenamts verwehrt.[11]
2. Einfluss von Patristik und Scholastik
Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe werden auch in Philosophie und Lehre der Kirchenväter, der sog. Patristik, betont.[12] In Anlehnung an Paulus entwickelte Augustinus (354 bis 430) mit bedeutenden Folgen für die Geschichte diese Ehelehre: Die Ehe ist zwar ein Gut, aber ein verdorbenes.[13] Dies ergebe sich aus dem Zwiespalt von gottgegebener Fruchtbarkeit und willlentlicher Begierde, der sog. Konkupiszenz, welche als Resultat des Sündenfalls Intellekt und Gebet ausschalte.[14] In der Ehe müsse die Lust zum Zweck der Fortpflanzung geduldet werden;[15] das an sich sündhafte Verhalten werde durch das Sakrament der Ehe als „remedium concupiscentiae“ gerechtfertigt[16]. Nichtsdestotrotz ist nach Augustinus jede Ehe durch die Sexualität mit Sünde belastet, was mit der Folgerichtigkeit der Erbsündelehre ebenfalls für die Nachkommen gelte.[17]
Die Patristik allgemein und besonders Augustinus schaffen das Begriffsrepertoire der nachfolgenden philosophischen Epoche der Scholastik.[18]
In der Frühscholastik wird vor allem die Sakramentalität der Ehe, welche sich aus der priesterlichen Einsegnung ergibt, herausgestellt.[19] Der eheliche Ursprung wird im Paradies lokalisiert, ihre Würde von dem Heilswerk jesu Christi abgeleitet.[20] In den drei Ehegütern Nachkommenschaft, Glaube und Sakrament (als Heilmittel) wird die Einheit von Schöpfungs- und Erlösungsordnung abgebildet.[21] Obwohl erst die geschlechtliche Vereinigung die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe herstelle, sei diese vorrangig Sakrament im Konsens der Ehepartner.[22] Nach der frühscholastischen Etablierung der Ehe als Sakrament fügen die Hochscholastiker der Ehetheologie das Element der Gnadenwirksamkeit hinzu.[23] Auf Initiative des Thomas von Aquin (1225 bis 1274) wird die Ehe als gadenvermittelndes Heilszeichen beim Konzil von Lyon 1274 lehramtlich bestätigt.[24]
Der Einfluss des Augustinus macht sich in der Scholastik vor allem hinsichtlich der Bewertung der Sexualität innerhalb der Ehe bemerkbar: Dessen Stigmatisierung lediglich der willentlichen Begierde beim Geschlechtsverkehr wird übertragen auf jede lustvoll empfundene Vereinigung.[25] Abaelard (1079 bis 1142) opponiert zumindest partiell gegen die Verdammung der Sexualität, weil dadurch der Schöpfer selbst getroffen werde, der mit dem Leib auch das Lustempfinden kreiert habe.[26] Dagegen unterstützt Albertus Magnus (1193 oder 1207 bis 1280) weitgehend die Position des Augustinus, wenn er die Unvermeidbarkeit von Lustgefühlen beim Zeugungsakt zwar einräumt, zugleich aber als Kompensation für die Ablenkung des Menschen vom Göttlichen durch die Sexualität selbige als widergeistige Macht brandmarkt.[27] Wie sein Lehrer Albert bezieht sich auch Thomas von Aquin auf Aristoteles und stellt die Ehe in einen naturwissenschaftlichen Kontext: Ihr Ziel sei die Fortpflanzung und die Erziehung der Nachkommen; Liebe könne dagegen nur beim Geschlechtsverkehr stattfinden.[28] Weiterhin betrachtet Thomas analog der gesellschaftlichen Realität die sozialen Rollen der Ehepartner als Teile einer Gemeinschaft.[29] Der Frau obliege danach die christliche Erziehung der Kinder und die Verwaltung des ehelichen Haushalts, wohingegen der Mann als Familienoberhaupt fungiere.[30] Trotzdem wird die Virginität weiter idealisiert und die Ehe als pragmatische Kompromisslösung für die menschliche Haltlosigkeit im Ergebnis abgewertet.[31]
3. Ehemoral und soziale Wirklichkeit
Die Moraltheoretiker des Mittelalters sehen in der Frau eine Bedrohung der Moral; diese Misogynie stützen sie auf die Behauptung, die sexuelle Begierde werde wesentlich von der Frau ausgedrückt. Der Adel wiederum fürchtet insbesondere den weiblichen Ehebruch, da er die Ehe vorrangig als Bund zweier Sippen betrachtet[32].
Im Spätmittelalter (14. und 15. Jahrhundert) klaffen moralische Verhaltensregeln und soziale Wirklichkeit immer mehr auseinander. So werden in fast jeder Kommune alljährlich zahllose Bußen wegen Ehebruchs, Konkubinats oder heimlicher Heirat verhängt. Kirche und öffentliche Meinung akzeptieren partiell die außerehelichen sexuellen Aktivitäten der jungen Menschen, weil Eheschließungen aufgrund der ökonomischen Stagnation im 15. Jahrhundert länger aufgeschoben werden. Stattdessen steigt die Anzahl der unverheirateter zusammenlebender Paare; auch findet Sexualität innerhalb von Jugendgruppen oder mit Prostituierten statt. Aus Quellen über Methoden der Empfängnisverhütung lässt sich folgern, dass genussvolles Sexualerleben in der Gesellschaft keineswegs abgelehnt wird.
[...]
[1] Vgl. Knoch, W., S. 1616, in: Lexikon des Mittelalters, 3. Band, S. 1616 – 1618 (Stichwort „Ehe“: Theologie und Liturgie), herausgegeben von Robert-Henri Bautier, München, Zürich 1986.
[2] Vgl. 1. Buch Mose 1, 27 und 2, 18 – 24.
[3] Vgl. Matthäus-Evangelium 19, 1 – 12; Markus-Evangelium 10, 1 – 11.
[4] Vgl. hierzu auch Lukas-Evangelium 16, 18.
[5] Vgl. 1. Korinther-Brief 7, 2.
[6] Weitere Nachweise bei Angenendt, Arnold, S. 269 f., in:: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 2. Auflage, Darmstadt 2000.
7 Vgl. 1. Buch Mose 2, 22.
8 Vgl. 1. Korinther-Brief 11, 7 – 9.
9 Vgl. 1. Korinther-Brief 14, 33b – 36.
10 Vgl. 1. Timotheus-Brief 2, 12 –15.
[11] Vgl. Angenendt, S. 262.
[12] Vgl. Knoch, S. 1617.
[13] Vgl. Angenendt, S. 280.
[14] Vgl. Angenendt, S. 281.
[15] Vgl. Angenendt, S. 281.
[16] Vgl. Knoch, S. 1617.
[17] Vgl. Angenendt, S. 281.
[18] Vgl. Störig, Hans Joachim, S. 233, in: Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 17. Auflage, Stuttgart, Berlin, Köln 1999.
[19] Vgl. Knoch, S. 1617.
[20] Vgl. Knoch, S. 1617.
[21] Vgl. Knoch, S. 1617.
[22] Vgl. Knoch, S. 1617.
[23] Vgl. Knoch, S. 1618.
[24] Vgl. Knoch, S. 1618.
[25] Vgl. Angenendt, S. 282.
[26] Vgl. Angenendt, S. 282.
[27] Vgl. Dallapiazza, Michael, S. 8, in: minne, hûsêre und das ehelich leben. Zur Konstitution bürgerlicher Lebensmuster in spätmittelalterlichen und frühhumanistischen Didaktiken, Frankfurt/M. 1981.
[28] Vgl. Dallapiazza, S. 8 f.
[29] Vgl. Dallapiazza, S. 9.
[30] Vgl. Dallapiazza, S. 9.
[31] Vgl. Dallapiazza, S. 9.
[32] Vgl. zu diesem Kapitel: Prevenier, W./de Hemptinne, Th., S. 1638 f., in: Lexikon des Mittelalters, 3. Band, S. 1635 – 1640 (Stichwort „Ehe“: Ehe in der Gesellschaft des Mittelalters), herausgegeben von Robert-Henri Bautier, München, Zürich 1986.
- Arbeit zitieren
- Dr. phil. Ass. iur. M.A. Reiner Scheel (Autor:in), 2001, Stadtbürgerliche Ehediskurse: Ackermann und Margaretha, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42653
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