In den vergangenen Jahren hat man stets versucht alle Marken- und Unternehmensbereiche gemäß strengen Corporate Design Richtlinien konsistent und uniform zu gestalten. In dieser Arbeit wird reflektiert, ob das Gleichmachen in einer immer mehr nach Individualismus, neuen Erlebnissen und Abwechslung strebenden, digital vernetzten Gesellschaft noch der adäquate Umgang mit dem Thema Markengestaltung ist.
Dazu werden Faktoren des inneren syntaktischen Zusammenhalts einer Markenidentität auf ihre Fähigkeit geprüft, semantische Mittel der Markeninszenierung abzulösen. Wie könnte man solche syntaktischen Zusammenhänge definieren? Wie weit kann man sich vom Prinzip universeller Wiedererkennbarkeit entfernen, ohne dass sich die Identität einer Marke in Sub-Marken aufsplittert?
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Von Leistung zu Erlebnis
2 Gedanken zu Disruptionen
3 Das identitätsbasierte Markenführungskonzept
3.1. Strategisches Markenmanagment
3.1.1 Selbst- und Fremdbild
3.1.2 Markenpositionierung und,Grounded Innovation‘
3.2. Operatives Markenmanagement
3.2.1 Problem der Kontrolle (intern)
3.2.2 Problem der Relevanz (extern)
4 Die Kern-Peripherie-Ordnung
5 Marke als System
5.1 Markencode
5.2 Markenprogramme
6 Co-Konstruktion von Markenidentität
7 Resumé
8 Literaturverzeichnis
Einleitung
״Die gute Nachricht ist; sie haben es verstanden. Die schlechte Nachricht ist; sie haben es verstanden.“ So oder so ähnlich stellt sich wohl der Status Quo des Branding aus Sicht eines Markenstrategen dar. Einige Jahrzehnte lang haben Designbüros und Beratungsagenturen ihre Mandanten nun für das Thema Marke sensibilisiert. Mit offensichtlichem Erfolg: Heute sind sich die meisten Unternehmen der Relevanz von Marken und der Notwendigkeit ihrer strategischer Führung bewusst. Mittlerweile gibt es dazu in den Marketingabteilungen nahezu aller großen Unternehmen designierte Markenmanager. Designer in kooperierenden Agenturen nennen diese auch gerne die ״Markenpolizei“. Obwohl die etwas despektierliche Beschreibung natürlich mit einem Augenzwinkern verwendet wird, weist sie doch auf ein Problem hin: Die überregulierung der Markenkom- munika tion.
Mithilfe strenger Branding-, Identity- oder Corporate Design-Richtlinien versucht man möglichst uniforme und konsistente Markenbilder aufzubauen Konsistenz ist ein Schlüsselbegriff in der Markenkommunikation, dessen Bedeutung jedoch nicht nur beim Absender der Markenbotschaften, sondern auch auf Seiten ihres Empfängers, dem Kunden, begründet hegt: ״Bei Marken geht es um Vertrauen; aber wie sollte man jemandem trauen, der ständig ein anderes Bild von sich vermittelt“?[1] Neben dem Vertrauensaspekt sind ein klares Selbstverständnis und eine eindeutige Richtung notwendig, um sich im Markt vom Wettbewerb abzugrenzen und Kunden Orientierung im Kaufentscheidungsprozess zu geben, weshalb auch die Stärke einer Marke an der Konsistenz ihres Auftritts und Verhaltens gemessen wird.[2] In Folge dessen versuchen Unternehmen diese Richtlinien so sorgfältig wie möglich zu implementieren und ihre Marken zu schützen Ist also etwas falsch an Kommunikationsrichtlinien und konsistenten Markenbildern? Kann man hier eine Überregulierung annehmen? Auch wenn Richtlinien nicht mit Gesetzen verwechselt werden sollten, liegt das Problem natürlich nicht darin sie zu befolgen, sondern in den Zusammenhängen, die sie ordnen An dieser Stelle ist der in der Markenforschung häufig verwendete Begriff der Markenidentität zu nennen. In der Fachliteratur wird Markenidentität meist als eine Sammlung von Attributen beschrieben, die strategisch gewählt sind und eine Marke über Zeit prägen. Die Idee dabei ist, dass jede Marke einzigartige, der menschlichen Persönlichkeit nachempfundene Merkmale besitzt, die Kunden und Mitarbeiter mit ihr assoziieren Es gibt in der Markenforschung allerdings kritische Stimmen, denen zufolge diese Konzeptualisierung der Komplexität von Marken nicht ganz gerecht wird und zu einem inflexiblen, restriktiven Verhalten der Markenmanager geführt hat.5 Per se impliziert der Begriff ״Identität“ bereits eine innere Geschlossenheit, die zwangsläufig einen wie auch immer gearteten Umweltausschluss mit sich bringt. Diese Geschlossenheit wird auch dann deutlieh, wenn man Marken als systemische, selbstreferenzielle Einheiten versteht, deren Identität sich eben aus der Abgrenzung von ihrer Umwelt (Differenz) ergibt.4
Eine zu restriktive Markenführung und -kommunikation birgt insbesondere in einer immer mehr nach Individualismus, neuen Erlebnissen und AbWechslung strebenden, digital vernetzten Gesellschaft auch Gefahren: Kapferer prognostiziert Marken in diesem Fall einen Verlust ihrer Anschlussfähigkeit, also ihrer Relevanz für aktuelle und zukünftige Dialoggruppen5 Erfolgreiche Marken müssten deshalb hoch personalisierte und individuelle Markenerlebnisse schaffen und nicht nur sich selbst mit dem Kunden, sondern auch die Kunden untereinander verbinden.6 Kommunikative Innovationen und Disruptionen seien notwendig, um heute und morgen relevant und erfolgreich zu sein7 Es ergibt sich ein Problem, das wie so häufig als Pendel zwischen zwei Extremen beschrieben werden kann: Markenstärke ohne Relevanz und Relevanz ohne Markenstärke.8 Die Markenkommunikation befindet sich also in einem Spannungsfeld zwischen Wiederholung und Überraschung, Geschlossenheit und Offenheit, Redundanz und Varietät9
In dem vorliegenden Research Proposal soll untersucht werden, wie sich dieses Spannungsfeld auf die Praxis der Markenführung auswirkt. Wie tangieren Restriktion und Offenheit den Erfolg von Marken und zu welchen Problemen kann es in Folge des einen oder anderen kommen? Darüber hinaus soll diskutiert werden, welche Markenkonzeption sich als theoretische Grundlage zur Bewältigung solcher Probleme eigenen könnte. Die Annahme und vorläufige Arbeitshypothese, dass eine Überregulierung der Markenkommunikation stattfindet und dass diese möglicherweise ein zukünftiges Problem für Unternehmen darstellt, soll die Erforschung des besagten Spannungsfelds zugänglich machen Sie lässt sich in die folgenden zwei Subhypothesen aufteilen: Erstens: Durch den restriktiven Umgang mit Marken und Markenkommunikation wird auch das ihr innewohnende Potenzial beschnitten, sodass Konsistenz immer zulasten neuer Ideen und Innovationen, Reichweite, Verbreitungsmöglichkeiten, etc. forciert wird. Potenziale, die sich beispielsweise aus neuen Technologien, Events oder Social Media für die Marke ergeben, werden nicht zu genüge ausgenutzt. Dabei gilt; je restriktiver die Markenführung, desto eingeschränkter ist die Reaktionsfähigkeit der Marke und der Spielraum beim Entwickeln innovativer Kommunikations- maßnahmen und neuer Markenerlebnisse.10 Gleichzeitig muss klar sein, dass die vollständige Ausnutzung dieser Potenziale unmöglich ist, weil man selbst bei Erfolgen nie sagen könnte, ob man nicht noch erfolgreicher hätte sein können.11 Zweitens: Die Nachfrage und Erwartungen an die Qualität, Originalität und den Abwechslungsreichtum von Markenerlebnissen, Werbung, Social Media-Content, etc. sind auf Kundenseite so hoch geworden, dass Marken heutzutage dynamischer und flexibler verstanden und geführt werden müssen Hier geht es also um die grundsätzliche Präferenz von Offenheit, sodass sich auch eine anzustrebende Idealsituation verschiebt. Diese Einschätzung mag sich durch die Betrachtung aus der Design-Perspektive, die im Hinblick auf die gegenwärtige Literatur zur Thematik unterrepräsentiert scheint, ergeben; das Interesse am Entwerfen alternativer Zukünfte hegt hier gewissermaßen in der Natur der Sache.12 Die zweite Subhypothese stellt insofern eine inhaltliche Steigerung der Ersten dar, als dass hier nicht mehr nur von einer möglichen Verbesserung, sondern einem konkreten Handlungsbedarf ausgegangen wird.
1 Von Leistung zu Erlebnis
In den 1970er und 80er Jahren ging es Unternehmen in ihrer externen Korn- mimika ti on primär darum, durch Werbung die Aufmerksamkeit der Menschen für ihre Marken zu gewinnen; mit Slogans und Maskottchen, die im Radio und Fernsehen eingesetzt wurden, versuchte man eine Markenpräsenz aufzubauen, die durch ewige Wiederholung die Vorteile des eigenen Angebots klarmachen sollte.[3] In den 90er Jahren verstärkte sich das Bewusstsein, dass Marken nicht allein durch werbende Kommunikationsmaßnahmen, sondern durch eine Korn- binati on sämtlicher Unternehmensaktivitäten aufgebaut werden.[4] [5] Heute haben Unternehmen verinnerlicht, dass Marken maßgeblich ausschlaggebend in der Kaufentscheidung und damit also wertvoller Vermögensgegenstand sind; der sogenannte Markenwert fließt häufig in die Gesamtbilanzierung ein, da in der Markentreue und langfristigen Kundenbindung der ökonomische Wert der Marke begründet liegt.15 Die Stärke der Beziehung zwischen Marke und Kunde besitzt ״[...] einen signifikanten Erklärungsanteil an der Kauf-, Cross-Selling- und Weiterempfehlungsintention, sowie der Preisbereitschaft“. Das betrifft nicht nur Geschäfte zwischen Unternehmen und Privatkunden, sondern auch den Handel zwischen Unternehmen[6]
Infolge dessen hat sich auch der Umgang mit Markenkommunikation gewandelt; war das Thema Marke noch vor einigen Jahren ein Randthema neben der Produktwerbung und die Marketing-Etats entsprechend unausgewogen, gibt es heute sogar Kommunikationsmaßnahmen, die losgelöst von der Vermarktung
spezifischer Produkte, ausschließlich zur Kommunikation der Marke und ihrer Bedeutung durchgeführt werden Beliebte Inhalte sind bei solchen Maßnahmen die Innovationskraft, die Nachhaltigkeit oder das soziale Engagement der Marke. Es hat sich jedoch nicht nur das Markenverständnis der Unternehmen, sondern auch die Bedürfnisse der Kunden und ihre Anforderungen an die Markenwelt verändert. Diese gehen einher mit Veränderungen im Lifestyle, in der Technologie und im Wettbewerb, aber auch in gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Verhaltensmustern17 Eine konkrete Veränderung, die sich im Zusammenhang mit Produkt- und Markenkommunikation in den letzten Jahren immer deutlicher herauskristallisiert hat, ist der Unternehmensberatung McKinsey & Company zufolge die Priorisierung des Erlebnisses ein Produkt zu kaufen und zu benutzen über die Leistung des Produkts selbst. Daraufhin ist dieses Erlebnis zu einem Hauptwettbewerbsvorteil für zahlreiche Unternehmen geworden18 Während in der Vergangenheit besondere Eigenschaften und Qualitäten eines Produkts oder einer Dienstleistung ausschlaggebend für die positive Wahrnehmung der zugehörigen Marke waren, sind es heute eben diese Erlebnisse. Sie können einen kurzoder langfristigen Einfluss haben und sich dramatisch in ihrer Intensität, Qualität und Bedeutung unterscheiden Besonders intensive positive Erlebnisse bleiben in Erinnerung und beeinflussen die Markentreue und damit zukünftige Kaufent- Scheidungen19 In einer Analyse der Unternehmensberatung Deloitte zum Thema Customer Journey in der Automobil Branche wird das Individualisieren solcher Erlebnisse als Möglichkeit gesehen, ihnen eben dieses Maß an Denkwürdigkeit zu verleihen; ״prior linking of the car’s system to the customer’s profile enables the creation of a highly individual and enjoyable experience, e.g., by having settings adapted to personal information or having personal streaming playlists set up at the first encounter“20 überträgt man diese Erkenntnisse auf die Markenkommunikation, wobei die Verbindung zur Produktkommunikation hier in der Ausweitung auf sämtliche Unternehmensbereiche hegt, wird die ״[...] Notwendigkeit einer situativ bedingten Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen“ deutlich21 Das Markenberatungsunternehmen Interbrand nennt diese Entwicklung das ״Age of You“: ״From the way we manage our personal brands and share pieces of ourselves through various social media platforms to the increasingly personalized world of commerce - which uses purchase histories and location-based services to tailor products, events, services, and offers to whoever we are, wherever we are - our data selves are known, communicating, and growing every day. Brands that seek to lead in the Age of You will have to recognize the human in the data, uncover genuine insights, and create a truly personalized and curated experience“22
Bezüglich der Bedeutung von individuellen Markenerlebnissen - nicht nur für die Kunden von heute, sondern insbesondere für die von morgen - scheinen sich die führenden Unternehmens- und Markenberatungen also einig zu sein Es wird deutlich, dass erfolgreiche Marken dieser Anforderung gerecht werden müssen, was mit einer geschlossenen und restriktiven Markenführung nur schwer realisierbar erscheint. Während technologischer Fortschritt und sozioökonomische Veränderungen neue, bewusste oder unbewusste Bedürfnisse und Wünsche erschaffen, sind es innovative und disruptive Lösungsangebote vereinzelter Vorreiter, die aus Wünschen Forderungen werden lassen
2 Gedanken zu Disruptionen
In vielen Bereichen des Marketing kursiert aktuell der Begriff ״Disruption“. So auch im Branding. Mit sogenannten Disruptionen sind zuallererst Brüche mit Konventionen gemeint. Im disruptiven Marketing geht es um das Durchdringen eines Marktes durch disruptive Innovationen Also die Einführung neuer Angebote, die entweder neue Technologien oder bestehende Technologien in neuer Weise nutzen[7] Der Begriff Disruption wird häufig fälschlicherweise synonym mit Innovation verwendet. Allerdings übersteigen Disruptionen Innovationen in ihrer Bedeutung: Während eine Innovation etwas Neues, eine Neuinterpretation oder -Ordnung von etwas Bestehendem ist, die für sich genommen aber noch nicht zwangsläufig zu einer Veränderung der gesamten Marktsituation führt, wird eben dieser Effekt der signifikanten und vor allem nachhaltigen Markt- und Umweltveränderung durch den Begriff der Disruption beschrieben Er beinhaltet dadurch ein gewisses Maß an Zynismus, weil es weniger um das Neue, die Innovation und deren Funktion geht, als vielmehr um den Sieg über das Bestehende.
Ziel des disruptiven Marketing ist es, Dinge nicht nur anders zu machen als die Konkurrenz, sondern durch die nachhaltige Veränderung und/oder Verdrängung eines Marktes selbst zu wachsen, was es eigentlich zu einer generellen Unternehmensstrategie und nicht nur einer Marketingstrategie macht.[8] [9] Es gilt das Prinzip: Man kann einen Markt nicht erobern, wenn man an seinen Konventionen festhält.25 Als Beispiele für extrem erfolgreiche Disruptionen gelten Airb- nb für das Hotel- und Uber für das Texigewerbe. Auch Apples Musikplattform iTunes hat durch die innovative Verknüpfung von Hard- und Software, sowie
[...]
[1] Vgl. Hellmann 2003, s. 303.
[2] Vgl. Interbrand: Methodology 2015.
[3] Vgl. Michel 2017, s. 453-455.
[4] Vgl. Hellmann 2003, s. 433.
[5] Vgl. Kapferer 2005, s. 218 f.
[6] Vgl. Interbrand:The Four Ages of Branding n.d.
[7] Vgl. Ferrar n.d.
[8] Vgl. Kapferer 2005,s. 220.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. Schmitt; Simonson 1999, s. 215 ff.
[11] Vgl. Hellmann 2003, s. 339.
[12] Vgl. Von Borris 2017.
[17] Vgl Kapferer 2005, s. 218 f,
[18] Vgl. Kilian n.d.
[19] Vgl. Interbrand: The Four Ages of Branding n.d.
[20] Deloitte Digital n.d., s. 29.
[21] Vgl. Haedrich et aí. 2003, s. 19 f.
[22] Vgl. Interbrand: The Four Ages of Branding n.d.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. marketing-schools.org 2012
[9] Vgl. Stein 2016
- Arbeit zitieren
- Christian Nufer (Autor:in), 2017, Marken im Spannungsfeld zwischen Redundanz und Varietät, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/426280
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