Ein politisches System wie die Bundesrepublik Deutschland, das sich als Demokratie versteht und beschreibt, ist
„auf die aktive Beteiligung politisch kompetenter, d.h. interessierter, informierter und urteilsfähiger Bürger und Bürgerinnen angewiesen. Folglich ist es erforderlich, Jugendliche durch Erziehung und Bildung nicht nur für den Arbeitsmarkt auszubilden, sondern sie auch zur qualifizierten politischen Teilhabe zu motivieren und zu befähigen.“
Die politische Sozialisation eines Menschen beginnt schon in der Familie. Hier spielen die persönlichen Beziehungen zu Eltern und Geschwistern und die soziale Zuverlässigkeit, Sicherheit und Geborgenheit im Familienkreis eine Rolle. Aus dieser Situation heraus entsteht in Kindern ein grundlegendes Vertrauen gegenüber ihrer außerfamiliären Umwelt. Der nächster Schritt der politischen Sozialisation ist dann die Schule als Institution. Durch die Auswechselbarkeit der Lehrer lernt der Schüler, eine pädagogische, professionelle Beziehung aufzubauen, sein Verhältnis zu Schule ist nicht ganzheitlich, wie zu den Eltern, sondern partikular. Das politische Weltbild eines Kindes oder Jugendlichen wird zudem spätestens ab dem Schulalter auch stark durch die Gleichaltrigenszene, die Massenmedien und das Freizeit- und Konsumsystem geprägt.
Einer dieser Einflüsse ist sicherlich das Lesen, denn Bücherlesen gehört zu den klassischen bildenden Freizeitaktivitäten. In einer Studie über die politische Bildung in Sachsen-Anhalt wurde auch das Freizeitverhalten der Jugendlichen untersucht: 20,2% lesen mehrmals pro Woche, 14,7 % einmal pro Woche, 23,2 % alle paar Wochen, 41,9 % selten oder nie. Trotz dem gegenüber dem Lesen zunehmenden Fernsehkonsum und der Beschäftigung mit dem Internet nimmt das Lesen also immer noch eine nicht zu unterschätzende Stellung im Leben der Jugendlichen ein. Warum sollte man diesen Zustand also nicht nutzen, um auch in der Freizeit die Jugendlichen politisch zu bilden? Eine Möglichkeit dazu bietet die Kinder- und Jugendliteratur (KJL):
„Kinderbücher machen ihren Lesern und Betrachtern etwas vor. Sie bieten sich als Medien der Unterhaltung an und sind doch zugleich auch Mittel der Sozialisation. Sie wollen nur spannend oder lustig oder bunt sein und vermitteln doch zugleich eine bestimmte Welt-Anschauung und Welt-Einstellung. [...] Was Kinderbücher zu lehren vorgeben und was sie in Wahrheit lehren, ist also nicht identisch. Sie sind heimliche Erzieher.“
Inhaltsverzeichnis
I. Kinder- und Jugendliteratur – Mehr als nur Unterhaltung?
II. Die Kinder- und Jugendliteratur
a. Definition
b. Die historische Entwicklung in Deutschland
III. Der didaktische Wert von Kinder- und Jugendliteratur
IV. Beispiel: Gudrun Pausewangs „Angstliteratur“
a. Die Autorin und ihre Intention
b. „Die Wolke“ (Ravensburger Buchverlag, 1987)
c. „Reise im August“ (Ravensburger Buchverlag, 1995)
d. „Der Schlund“ (Ravensburger Buchverlag, 1995)
V. Die Rolle der Kinder- und Jugendliteratur in der Politischen Bildung
VI. Literaturverzeichnis
I. Kinder- und Jugendliteratur – Mehr als nur Unterhaltung?
Ein politisches System wie die Bundesrepublik Deutschland, das sich als Demokratie versteht und beschreibt, ist
„auf die aktive Beteiligung politisch kompetenter, d.h. interessierter, informierter und urteilsfähiger Bürger und Bürgerinnen angewiesen. Folglich ist es erforderlich, Jugendliche durch Erziehung und Bildung nicht nur für den Arbeitsmarkt auszubilden, sondern sie auch zur qualifizierten politischen Teilhabe zu motivieren und zu befähigen.“[1]
Die politische Sozialisation eines Menschen beginnt schon in der Familie. Hier spielen die persönlichen Beziehungen zu Eltern und Geschwistern und die soziale Zuverlässigkeit, Sicherheit und Geborgenheit im Familienkreis eine Rolle. Aus dieser Situation heraus entsteht in Kindern ein grundlegendes Vertrauen gegenüber ihrer außerfamiliären Umwelt. Der nächster Schritt der politischen Sozialisation ist dann die Schule als Institution. Durch die Auswechselbarkeit der Lehrer lernt der Schüler, eine pädagogische, professionelle Beziehung aufzubauen, sein Verhältnis zu Schule ist nicht ganzheitlich, wie zu den Eltern, sondern partikular. Das politische Weltbild eines Kindes oder Jugendlichen wird zudem spätestens ab dem Schulalter auch stark durch die Gleichaltrigenszene, die Massenmedien und das Freizeit- und Konsumsystem geprägt.[2]
Einer dieser Einflüsse ist sicherlich das Lesen, denn Bücherlesen gehört zu den klassischen bildenden Freizeitaktivitäten.[3] In einer Studie über die politische Bildung in Sachsen-Anhalt wurde auch das Freizeitverhalten der Jugendlichen untersucht: 20,2% lesen mehrmals pro Woche, 14,7 % einmal pro Woche, 23,2 % alle paar Wochen, 41,9 % selten oder nie.[4] Trotz dem gegenüber dem Lesen zunehmenden Fernsehkonsum und der Beschäftigung mit dem Internet nimmt das Lesen also immer noch eine nicht zu unterschätzende Stellung im Leben der Jugendlichen ein. Warum sollte man diesen Zustand also nicht nutzen, um auch in der Freizeit die Jugendlichen politisch zu bilden? Eine Möglichkeit dazu bietet die Kinder- und Jugendliteratur (KJL):
„Kinderbücher machen ihren Lesern und Betrachtern etwas vor. Sie bieten sich als Medien der Unterhaltung an und sind doch zugleich auch Mittel der Sozialisation. Sie wollen nur spannend oder lustig oder bunt sein und vermitteln doch zugleich eine bestimmte Welt-Anschauung und Welt-Einstellung. [...] Was Kinderbücher zu lehren vorgeben und was sie in Wahrheit lehren, ist also nicht identisch. Sie sind heimliche Erzieher.“[5]
Auch das „Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur“ ist von dieser Möglichkeit überzeugt, im folgenden geht es um KJL über den Nationalsozialismus:
„Nicht nur der Geschichtsunterricht kann zeitgeschichtliches Denken und Bewusstsein in Gang setzen, beeinflussen und steuern; in besonderem Maße ist dazu die Literatur und vor allem die KJL in der Lage. Sie vermag mit Hilfe anschaulich-erlebnishafter Darstellungen und durch ihre Identifikations-angebote eine Vorstellung der Nazi-Zeit zu wecken, ein Hineinversetzen in die damalige Situation und ihre Probleme erleichtern und eine emotionale wie kognitive Auseinandersetzung in Gang zu setzen.“[6]
Ziel der vorliegenden Arbeit soll es sein, zu untersuchen, inwieweit die grundlegenden Ansprüche von politischer Bildung, nach Vesper also Gewissensbildung (Wissen vermitteln, Wertemuster implementieren) und Handlungsorientierung (zu veränderter Praxis motivieren)[7], durch die KJL verwirklicht werden können.
II. Die Kinder- und Jugendliteratur
a. Definition
Als „Jugendbuch“ werden gemeinhin Bücher angesehen, die für Leser ab 12 Jahren gedacht sind. Im Vergleich zum „Kinderbuch“ sind sie realistischer (Es gibt mehr realistische als fantastische Geschichten).[8] Für diese Arbeit wird der Begriff Kinder- und Jugendliteratur (KJL) benutzt, der auch bei den meisten Autoren zu diesem Thema Verwendung findet. Er meint vor allem (aber nicht ausschließlich) die sogenannten „problemorientierten Jugendbücher“, deren Themen und Motive sich aus der spezifischen Lebenssituation der Jugendlichen speisen und deren Bedeutung für die Erziehung der Jugendlichen unbestritten ist.[9]
KJL bereitet individuelle und gesellschaftliche Konflikte und Problemlagen jugendgemäß auf und bieten damit eine brauchbare Hilfe zur Lebensbewältigung. Sie vermittelt vielfältige und zum Teil vielschichtige Informationen und kann nach Marquardt auch den Aufbau von Einstellungen und Haltungen fördern.[10] Ein Hauptmerkmal der KJL ist, dass ihre Charaktere solche Personen einschließen, mit denen sich der Leser identifiziert, und solche, von denen er sich distanziert. Sie bietet jedoch keine Rezepte zur Lösung der Konflikte des Lesers, sondern man wird herausgefordert,
„sein eigenes Verhältnis zu seiner sozialen Umwelt neu zu überdenken und aus seinem persönlichen Erlebnishorizont heraus Gegenperspektiven zu seinen Realitätserfahrungen zu gewinnen.“[11]
b. Die historische Entwicklung in Deutschland
Schon vor langer Zeit wurde die pädagogische Dimension der KJL erkannt, man denke nur an den „Struwwelpeter“, der kleinen Kindern beibringen soll, was sie zu tun und was zu lassen haben. Die politische Bildung und Erziehung durch KJL begann im 19. Jahrhundert. Das Ziel war, die Kinder auf die Veränderungen infolge von wissenschaftlichen Entdeckungen und Industrialisierung vorzubereiten und sie zum bürgerlichen Leben zu erziehen. Um die Jahrhundertwende wurde die KJL dann eher realitätsfern. Sie sollte „Kunst“ sein und als solche von politischen und klerikalen Tendenzen gereinigt werden. Da sie aber stattdessen auf die Heimat und folkloristische Elemente spezialisiert war, war sie immer noch ein Mittel der politischen Indoktrination, in diesem Fall für nationalistische Tendenzen. Das 20. Jahrhundert wurde dann zum „Jahrhundert des Kindes“. Es wurde mehr Wert auf kindgerechte Erziehung gelegt[12], und die bisherige „sei-hübsch-ordentlich-und-fromm-Pädagogik“[13] wurde abgelehnt.
In der Zeit der Weimarer Republik waren die Kinder täglich von den Auswirkungen der realen Politik betroffen. Arbeitslosigkeit, Streiks, Kinderarbeit, Armut etc. bestimmten den Alltag. Die Aufgabe der politischen KJL zu dieser Zeit war, „das Kind bewusst, organisiert und in den konkreten Formen kindlicher Erfahrung und Betätigung teilnehmen zu lassen am Kampf seiner Klasse.“[14] Die alten bürgerlichen Helden wurden durch neue, proletarische Helden als Identifikationsfiguren ersetzt. Die alte Form wurde also mit neuem Inhalt gefüllt.[15] Ähnlich kann man sich auch die Behandlung der KJL im Nationalsozialismus, der DDR und der frühen Bundesrepublik vorstellen.
Auch in den 50er und 60er Jahren erfüllte die Literatur vor allem eine Vorbildfunktion. In der Schule wurde mit KJL ein weitgehend unkritischer, nachvollziehender Unterricht praktiziert. Dem Schüler wurden Texte erschlossen, die ihn zu einem „besseren Menschen“ erziehen sollten.[16]
Seit den siebziger Jahren erhielten in der BRD die Erkenntnisse über die frühkindliche Sozialisation Einfluss auf die KJL. Die Kinderbücher sollten realitätsnaher und nach vorschulpädagogischen Kriterien geschrieben werden. Das Problem hierbei war, dass „kritische Ansätze der Erziehungswissenschaft im Kinderbuch nur dann zum Tragen [kommen können], wenn sie auf dem Markt nachgefragt werden.“[17] Die KJL wurde und wird meist von Erwachsenen gekauft, die dadurch Einfluss auf das Leseverhalten ihrer Kinder nehmen. Bei der Auswahl überwiegen meist die eigenen Erinnerungen und Vorstellungen. Es wurde kritisiert, dass die KJL Teil einer Sozialisationsstrategie wäre, der es um die Aufrechterhaltung des Status quo ginge, und damit ein wichtiges Moment der Ideologiebildung sei.[18] Es wurde also versucht, dass Erziehungsmittel KJL neu zu handhaben. Ab 1968 entstand in der BRD eine neue linke KJL. Die Macher entwickelten ihre Bücher zusammen mit Kinderladenkindern. Das wird heute als Stärke der KJL dieser Zeit angesehen.17 Ein weiteres Manko der KJL war und ist zum Teil bis heute, dass die subjektive Wirklichkeit des Kindes oft vernachlässigt wird, um eine richtige und objektive Wiederspiegelung zu gewährleisten. Dadurch wird das Lesen solcher Literatur für viele Kinder schnell langweilig, und sie beschäftigen sich nicht mehr damit. Durch die Mitarbeit von Kindern beim Entstehungsprozess wurde die KJL nicht nur „verschlingbar“, sondern warf auch Fragen auf und führte zu Auseinander-setzungen. Man war als Leser gezwungen, sich gedanklich noch länger mit dem Gelesenen zu beschäftigen.
[...]
[1] Scherr, Albert: Außerschulische Jugendbildung: Aspekte einer Bilanz und Hinweise auf Perspektiven. In: Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) (Hrsg.): Politische Bildung als Wissenschaft: Bilanz und Perspektiven. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2002. S. 69
[2] vgl. Giesecke, Hermann: Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit. Weinheim und München: Juventa Verlag. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. 2000. S. 59ff
[3] vgl. Pfaff, Nicole: Jugend-Freizeit – politische Bildung am Nachmittag? In: Krüger, Hans-Hermann und Sibylle Reinhardt, Catrin Kötters-König, Nicolle Pfaff, Ralf Schmidt, Adrienne Krappidel, Frank Tillmann: Jugend und Demokratie – Politische Bildung auf dem Prüfstand. Eine quantitative und qualitative Studie in Sachsen-Anhalt. Opladen: Leske + Budrich, 2002. S. 163
[4] vgl. Pfaff, S. 164
[5] Richter, Dieter und Jochen Vogt (Hrsg.): Die heimlichen Erzieher. Kinderbücher und politisches Lernen. Erfahrungen, Analysen, Vorschläge. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. 1974. S. 10
[6] Lange, Günter (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 1, Grundlagen – Gattungen. Hohengehren: Schneider-Verlag. 2000.S. 485
[7] Vesper, Stefan: Außerschulische Politische Bildung und Erwachsenenbildung. In: Engelland, Reinhard (Hrsg.): Utopien, Realpolitik und Politische Bildung. Über die Aufgaben Politischer Bildung angesichts der politischen Herausforderungen am Ende des Jahrhunderts. Opladen: Leske + Budrich. 1997. S. 174
[8] Marquardt, Dr. Manfred: Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur. Köln: Stam Verlag. 1995. S. 114
[9] ebenda
[10] ebenda, S. 124
[11] ebenda.
[12] Richter/Vogt, S. 31
[13] ebenda, S. 33
[14] ebenda, S. 40
[15] ebenda, S. 42f
[16] Rösch, Heidi: Entschlüsselungsversuche. Kinder- und Jugendliteratur und ihre Didaktik im globalen Diskurs. Hohengehren: Schneider Verlag. 2000. S. 45
[17] Richter/Vogt S. 35
[18] ebenda, S. 35
- Arbeit zitieren
- Susanne Opel (Autor:in), 2004, Politische Bildung durch Kinder- und Jugendliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42616
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