In dieser Arbeit werden die drei großen sozialwissenschaftlichen Paradigmen Strukturfunktionalismus, methodologischer Individualismus und Sozialkonstruktivismus systematisch auf ihren Erklärungsbeitrag zu Genese, Bestand und Tradition von Institutionen untersucht. Anliegen ist es, die Relevanz dieser Ansätze für die sog. Neoinstitutionentheorie zu reflektieren. Handelt es sich dabei nurmehr um alten Wein in neuen Schläuchen?
1 Inhaltsverzeichnis und Gliederungsübersicht
2 Problemstellung
3 Sozialwissenschaftliche Perspektiven
3.1 Soziologie
3.2 Politologie
3.3 Synthese
4 Problembereiche von Institutionentheorie
4.1 Institutionengenese
4.1.1 Strukturfunktionalismus
4.1.2 Methodologischer Individualismus
4.1.3 Sozialkonstruktivismus
4.2 Bestand und Wandel von Institutionen
4.2.1 Strukturfunktionalismus
4.2.2 Methodologischer Individualismus
4.2.3 Sozialkonstruktivismus
4.3 Persistenz, Tradition und Legitimation
4.3.1 Strukturfunktionalismus
4.3.2 Methodologischer Individualismus
4.3.3 Sozialkonstruktivismus
4.4 Zwischenfazit
5 Institutionenanalyse nach Lepsius
5.1 Qualifizierter Institutionsbegriff
5.2 Institutionenanalyse
5.3 Beispiel
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
2 Problemstellung
Die Strukturreform an unseren Hochschulen macht es deutlich: zahlreiche akademische Disziplinen, namentlich in den »Humanities« und Sozialwissenschaften sind gehalten, ihr Profil zu überprüfen, ihre Kompetenzen abzustecken und nach außen darzustellen, kurz und im Jargon: ihr Portfolio akademischer Dienstleistungen zu optimieren. Ein solches Umfeld ist womöglich auch geeignet, eine gewisse Rückbesinnung der soziologischen Fachvertreter auf die soziologische Theorie zu bewirken, welche sich inmitten einer wachsenden Zahl von Bindestrich-Soziologien zuletzt etwas bescheiden ausnahm. In dem Maße jedoch, wie Grundkonzepte der Soziologie, etwa die Frage nach sozialer Ordnung, nach Kooperation und Spezialisierung, wieder en vogue werden, wird sich auch auf eine weitere klassische Stärke der soziologisch orientierten Sozialwissenschaft besonnen: die Analyse von Institutionen und Organisationen. Diese Domänen von der Politikwissenschaft und der Ökonomie sich zurück zu ertrotzen, könnte für die (deutschsprachige) Soziologie ein lebenswichtiges, in jedem Falle aber lohnendes Unterfangen werden. Der Weg dorthin führt über die kritische Sichtung klassisch gewordener institutionentheoretischer Annahmen hin zu einer Neo-Institutionentheorie.
Diese Arbeit versteht als eine Skizze eben solch einer Sichtung und ist insoweit auch eine Hommage an einige soziologische Klassiker, die z. Zt. in der Lehre gern in zweiten oder gar dritten Aufguss gegeben werden. Die Fragstellung bewegt sich entlang zweier Achsen: auf einer systematischen Ebene sollen folgende Problembereiche erörtert werden: Genese, Bestand und Wandel sowie Persistenz und Legitimation von Institutionen. Auf einer theoriegeschichtlichen Ebene sollen die drei m.E. wirkmächtigsten Ansätze der Nachkriegszeit auf diese Problembereiche hin befragt werden: der Strukturfunktionalismus Talcott Parsons, der Sozialkonstruktivismus der Wissenssoziologie Peter Bergers und Thomas Luckmanns sowie einige Ansätze des methodologischen Individualismus im Zugriff von Brennan/Buchanan, Hayek und Mann. Abschließend möchte ich mit Lepsius Vorschlag zur Institutionenanalyse noch einen Beitrag aufgreifen, der bewusst über die dargestellten Ansätze hinausgeht.
Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich auf Synopse von Institutionsbegriffen ausdrücklich verzichten. Als Institution wird zunächst verstanden, was die zu behandelnden Richtungen als solche bezeichnen. Die Frage nach Inhalt und Pragmatik des Institutionsbegriffes wird abschließend am Beitrag von Lepsius diskutiert.
3 Sozialwissenschaftliche Perspektiven
Sowohl Soziologie als auch Politikwissenschaft bedienen sich des Institutionsgedankens zur Lösung ihrer Mehrebenenprobleme. Institutionen nehmen dabei stets eine intermediäre Stellung ein, werden aber in beiden Disziplinen verschieden konzeptualisiert.
3.1 Soziologie
Das fundamentale Mehrebenenproblem der Soziologie ist im Kern ein Aggregationsproblem: die Beziehung zwischen subjektiv-individuellen Kalkülen und objektiv-gesellschaftlichen Strukturen, kurz: Individuum und Gesellschaft. Dabei bedienen sich sowohl mikrosoziologische als auch makrosoziologische Ansätze des Institutionsbegriffes. Symbolischer Interaktionismus und methodologischer Individualismus sehen in Institutionen gleichsam die Erzeugnisse (bewusst oder emergent) faktischer Interaktion von Individuen, die sich zur Gesellschaft aufaggregieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Institutionen im Mehrebenenmodell der Soziologie
In Abwandlung eines Thatcher-Diktums: es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Institutionen. Der Strukturfunktionalismus betrachtet Institutionen dagegen gleichsam als Operationalisierung von Gesellschaft, als Instanzen, in denen das normative soziale Programm in die Lebensführung der Menschen vermittelt wird. Die Systemtheorie schließlich hat das Mehrebenenproblem apodiktisch gelöst. Institutionen sind hier Interaktionspatterns zur Reduktion der alltäglichen Komplexität des Lebens in Gesellschaft.
3.2 Politologie
Das Mehrebenenproblem in der Politikwissenschaft besteht hingegen eher in der Vermittlung zwischen Gesellschaft als soziokulturellem Interaktionszusammenhang und dem Staat als der politisch verfassten Gesellschaft. Dies drückt sich bspw. in der Trennung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht aus. Während das Zivilrecht die Beziehungen der Bürger untereinander regelt, regelt das öffentliche Recht die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat. In diesem Falle ist das öffentliche Recht nicht nur politologisch-theoretisch, sondern auch faktisch eine intermediäre Institution zwischen Gesellschaft und Staat. Als weiteres Beispiel mögen Parteien dienen. Sie haben als zentrale Institutionen der politischen Willensbildung eine Zwitterstellung zwischen Staat und Gesellschaft inne: als Regierungs- oder Oppositionsparteien sind sie Teil der politischen Organisation, ein »Organ« im Sinne des § 63 BVerfGG, als gesellschaftliche Vereinigung können sie sich gleichzeitig auf Grundrechte (als Schutz gegen staatliche Eingriffe) berufen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Institutionen im Mehrebenenmodell der Politologie
Das Mehrebenenproblem der Politikwissenschaft ist insofern kein Aggregationsproblem, sondern ein systematisches Problem der Delegation und Ausübung von Herrschaft (Souveränität) in einem Gemeinwesen. Institutionen sind hier also Vermittler zwischen den kulturellen und ökonomischen Strukturen und Prozessen einer Gesellschaft und dem Staat als einer Art normativem Überbau (im besten Sinne), mithin: zwischen sozialem Ist-Zustand und politischem Soll-Zustand.
3.3 Synthese
Eine Institutionentheorie darf sich m.E. auf keinen der beiden skizzierten Aspekte beschränken, muss also den verhaltenswissenschaftlichen Bezugsrahmen der Soziologie und den normativen Bezugsrahmen der Politikwissenschaft vereinen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Synthese sozialwissenschaftlicher Institutionskonzepte
Die Abbildung zeigt den Versuch, den Institutionsbegriff zur Schnittstelle zu machen, an der sich die Modelle von Soziologie und Politikwissenschaft treffen können. Institutionen vermitteln hier als politische Institutionen zwischen Individuum (Bürger) und Staat (bspw. Wahlrecht oder Körperschaftsrecht) sowie als soziale Institutionen zwischen Individuum und Gesellschaft (prinzipiell alle sog. Handlungsskripte). Zugleich stehen Institutionen in einem Wechselwirkungszusammenhang mit der Gesellschaft, die sie verändern und von der sie Impulse empfangen (makrosoziologische Annahme). Schließlich steht das Individuum als Staatsbürger in einem unmittelbaren Verhältnis zum Staat.
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