Einleitung
Es gibt kaum einen Bundesligaspieltag, an dem es in oder außerhalb der Stadien keine gewaltsamen Auseinandersetzungen von Fußballfans gibt. Meist unbemerkt von Presse und Polizei verabreden sich verfeindete Hooligangruppen im Internet oder per Telefon, um sich abseits vom jeweiligen Spiel auf Wiesen oder Parkplätzen zu prügeln. Seltener finden die Auseinandersetzungen im Stadion, bzw. auf dem Weg dorthin statt, da die Polizei die verschiedenen Gruppen von einander zu trennen versucht, was ihr jedoch nicht immer gelingt, so dass Hooligan-Gruppen die jeweiligen Gegner attackieren können. In besonderem Maße zu größeren Sportveranstaltungen wie Europa- oder Weltmeisterschaften ist die Sorge groß, dass Ausschreitungen auf der Straße die Ereignisse auf dem Fußballfeld überschatten. In völliger Undifferenziertheit werden dabei von vielen Medien, ‚Experten’ und Sportfunktionären die Gewalttäter in eins gesetzt mit den Hooligans. Tatsächlich lassen sich bei derartigen Ausschreitungen, wie beispielsweise 1998 in Lens, als am Rande der Fußballweltmeisterschaft ein französischer Polizist von deutschen Schlägern lebensgefährlich verletzt wurde, kaum unterscheiden, aus welchem Milieu die Täter kommen. Hooligans sind heterogene Gruppen, bestehend aus Menschen verschiedenartiger Herkunft: rechte, linke, migrantische, mittelständige, sozial schwache, gut-bürgerliche Jugendliche und Erwachsene sind in den Reihen der Hooligans anzutreffen. Schwerpunkt dieser Arbeit ist zunächst eine umfassende Darstellung des Phänomen des Hooliganismus. Zu fragen wird sein, wie es möglich ist, dass ein Teil der Hooligans Rassismus gegenüber aufgeschlossen ist. Dann wird Rassismus im Stadion in allen Dimensionen untersucht, wobei hierbei nicht nur Hooligans gemeint sind, sondern auch alle anderen Fußballfans, Spieler, Trainer und Verband. Dabei wird dann erläutert werden, dass Rassismus kein hooliganspezifisches Problem ist, sondern umfassender verstanden werden muss. Nachdem einige Gegenbewegungen zu Rassismus im Stadion dargestellt werden, wird abschließend die Frage erörtert ob Hooliganismus und getrennt davon ob Rassismus beim Fußball Anlass von Kriminalprävention und Objekt der Sozialpädagogik sein kann. Die Frage nach dem wie soll hier nicht diskutiert werden. Aufgrund der Fragestellung nach Hooliganismus und Rassismus als Anlass der Kriminalprävention ..., bezieht sich diese Arbeit ausschließlich auf deutsche Verhältnisse.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hooliganismus – Beschreibung eines Phänomen
2.1. Geschichte des Hooliganismus
2.2. Genese des Begriffs ‚Hooligan’
2.3. Fußball-Fanszene
2.4. Qualität der Hooligan-Gewalt
2.5. Organisationsstruktur der Hooligan-Cliquen
2.6. soziale Herkunft der Hooligans
2.7. Forschung über die Ursachen der Hooligangewalt
Exkurs: ‚Der autoritäre Charakter’
2.8. Hooliganismus im Blickwinkel des ‚autoritären Charakter’
3. Rechte im Fußballstadion Zabrze – ein Beispiel für Rechtsextremismus im Stadion
3.1. Entwicklungen von Rechtsextremismus in der Bundesliga
3.2. Antisemitismus im Fußball
3.3. Spieler, Trainer und DFB als Vorbilder?
3.4 Rechte Symbolik in der Fankurve als ‚Provokation’?
3.5. Antirassistische Bestrebungen im Stadion
3.5.1. DFB
3.5.2. Fan-Initiativen gegen Rechts
3.5.3. BAFF
3.5.4. Antifaschistische Fußballvereine
4. Hooliganismus als sozialpädagogisches Handlungsfeld?
5. Rassismus unter Fußballfans als Anlass von Kriminalprävention?
6. Literatur
1. Einleitung
Es gibt kaum einen Bundesligaspieltag, an dem es in oder außerhalb der Stadien keine gewaltsamen Auseinandersetzungen von Fußballfans gibt. Meist unbemerkt von Presse und Polizei verabreden sich verfeindete Hooligangruppen im Internet oder per Telefon, um sich abseits vom jeweiligen Spiel auf Wiesen oder Parkplätzen zu prügeln.
Seltener finden die Auseinandersetzungen im Stadion, bzw. auf dem Weg dorthin statt, da die Polizei die verschiedenen Gruppen von einander zu trennen versucht, was ihr jedoch nicht immer gelingt, so dass Hooligan-Gruppen die jeweiligen Gegner attackieren können.
In besonderem Maße zu größeren Sportveranstaltungen wie Europa- oder Weltmeisterschaften ist die Sorge groß, dass Ausschreitungen auf der Straße die Ereignisse auf dem Fußballfeld überschatten. In völliger Undifferenziertheit werden dabei von vielen Medien, ‚Experten’ und Sportfunktionären die Gewalttäter in eins gesetzt mit den Hooligans. Tatsächlich lassen sich bei derartigen Ausschreitungen, wie beispielsweise 1998 in Lens, als am Rande der Fußballweltmeisterschaft ein französischer Polizist von deutschen Schlägern lebensgefährlich verletzt wurde, kaum unterscheiden, aus welchem Milieu die Täter kommen. Hooligans sind heterogene Gruppen, bestehend aus Menschen verschiedenartiger Herkunft: rechte, linke, migrantische, mittelständige, sozial schwache, gut-bürgerliche Jugendliche und Erwachsene sind in den Reihen der Hooligans anzutreffen. Schwerpunkt dieser Arbeit ist zunächst eine umfassende Darstellung des Phänomen des Hooliganismus. Zu fragen wird sein, wie es möglich ist, dass ein Teil der Hooligans Rassismus gegenüber aufgeschlossen ist. Dann wird Rassismus im Stadion in allen Dimensionen untersucht, wobei hierbei nicht nur Hooligans gemeint sind, sondern auch alle anderen Fußballfans, Spieler, Trainer und Verband. Dabei wird dann erläutert werden, dass Rassismus kein hooliganspezifisches Problem ist, sondern umfassender verstanden werden muss. Nachdem einige Gegenbewegungen zu Rassismus im Stadion dargestellt werden, wird abschließend die Frage erörtert ob Hooliganismus und getrennt davon ob Rassismus beim Fußball Anlass von Kriminalprävention und Objekt der Sozialpädagogik sein kann. Die Frage nach dem wie soll hier nicht diskutiert werden.
Aufgrund der Fragestellung nach Hooliganismus und Rassismus als Anlass der Kriminalprävention und aufgrund nationaler Unterschiede der Begebenheiten diesbezüglich, bezieht sich diese Arbeit ausschließlich auf deutsche Verhältnisse.
2. Hooliganismus – Beschreibung eines Phänomen
2.1. Geschichte des Hooliganismus
Nicht erst seit dem modernen Fußball gibt es gewaltsame Auseinandersetzungen am Rande von Sportveranstaltungen. Bereits bei großen Sportereignissen in der Antike in Olympia und Delphi gab es laut dem Geschichtsschreiber Tacitus Sicherheitsmaßnahmen und Weinverbote, da wiederholt betrunkene Zuschauer bei Wettkämpfen randalierten (vgl. Fritsch/Pilz ,1996 S.218).
Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunächst in England der Fußball als Breiten- und Massensport entstand, gab es bereits häufig Ausschreitungen, die jedoch kaum eine Nachricht wert waren. „Platzstürme“ und Flaschenwürfe auf Schiedsrichter und gegnerische Spieler waren typische Formen damaliger Gewalt (vgl. Murray, 1984 S.218).
Eine der ersten schweren Ausschreitungen fand 1909 in Glasgow bei dem Pokalendspiel der beiden lokalen Mannschaften ‚Celtic’ und die ‚Rangers’ statt, nachdem den Anhängern eine zuvor versprochene Verlängerung verweigert wurde und diese den Platz stürmten. Die Fans beider Vereine zündeten Torpfosten an, zerstörten Kassenhäusschen und lieferten sich wüste Schlägereien untereinander und mit der Polizei und Feuerwehr, bei denen ungefähr 100 Menschen verletzt wurden. Die lokale Presse schrieb am nächsten Tag vom „King Hooligan“ (vgl. Murray, 1984 S.168).
In Deutschland gab es erstmals 1931 Ausschreitungen. Bei einem Spiel zwischen Hertha BSC und der Spielvereinigung Fürth wurde ein Spieler aufgrund eines umstrittenen Elfmeters von aufgebrachten Zuschauern attackiert und niedergeschlagen (vgl. Fritsch/Pilz, 1996, S.204). Bis weit in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts blieb die Gewalt von Zuschauern anlassbezogen (vermeintliche Fehlentscheidungen des Schiedsrichters etc.) und richtete sich weniger gegen die Anhänger der gegnerischen Mannschaft.
Ca. ab der Fußballweltmeisterschaft in England im Jahr 1966 setzten nach und nach folgende drei Entwicklungen ein, die zur Vermehrung von gewalttätigen Auseinandersetzungen führten. In dieser Zeit fingen jugendliche Fußballzuschauer an, sich in Stehplatzbereiche im Stadion abzusondern (vgl. Ek, 1996 S.34). Aufgrund zunehmender Mobilität war der Besuch von Auswärtsspielen einfacher möglich. So gab es häufiger einen Fan-Block der Auswärtsmannschaft, welcher sich meist auf der gegenüberliegenden Tribüne der Heimfans befand. In dieser ‚Wir-Die-Situation’ wurde nun nicht mehr nur der eigenen Mannschaft zugejubelt, sondern wurden zunehmend auch die gegnerischen Fans zunächst verbal und dann physisch angegriffen (vgl. ebd.). Der dritte Punkt ist die umfassendere Professionalisierung und Durchkapitalisierung des Fußballs, welches das Verhältnis vom Sportler zum Zuschauer immer mehr entfremdet. Die Spieler identifizieren sich nur noch seltener mit dem Verein und wechseln häufig ihre Arbeitgeber, während früher die Spieler oft aus dem ‚Viertel’ des Vereins kamen und in die örtliche Infrastruktur eingebunden waren.
Die so genannte „Professionalisierungsthese“ geht auf Ian Taylor (1975) zurück und beschreibt den Wandel vom lokalen Repräsentanten zum geschäftstüchtigen Vollprofi. Obwohl in England die Spieler bereits ab 1885 Vollprofis waren, verdienten die Spieler bis weit in die 50er Jahre nicht mehr als durchschnittliche Arbeiter und Angestellte. Der Sportler war jemand von ‚nebenan’, der sein Hobby zum Beruf machen konnte und dessen Namen oft in den Sportseiten der Heimatzeitung zu finden war (vgl. Taylor 1975, S.250) und hielt sich in den lokalen Wirtshäusern und Vereinsgaststätten auf und war so für jedermann erreichbar.
Durch ansteigende Gehälter und Transfersummen, die Taylor 1975 bis dahin konstatierte und deren weitere Potenzierung bis heute er bestimmt nicht erahnte, lösten sich die Spieler zunehmend von der Verbundenheit mit dem eigenen Verein und die Kluft zwischen Spieler und Fan wurde immer größer. Taylor vermutet hinter dem ‚Fußballvandalismus’ den Versuch der Hooligans, dem Besuch eines Fußballspieles einen neuen Sinn zu geben. Sie sähen in den Schlägereien die Möglichkeit, sich Aufmerksamkeit auf die Probleme der Entfremdung zu verschaffen. Die Hooligans interpretieren ihre Gewalt als Loyalität gegenüber dem Verein. Sachschäden werden meist an öffentlichem Eigentum begangen. Derartige Zerstörungen werden als Maßnahmen empfunden, den Vereinsfunktionären klarzumachen, wer der „wirklich richtige“ Fan ist. So wird die Bereitschaft angezeigt, alles für den Verein zu machen. Das heimische Stadion hingegen gilt den Hooligans als „heilige Stätte“ (vgl. Taylor, 1975 S.262 f.). Schlägereien mit einer Hooliganclique aus einer anderen Stadt bzw. von einem anderem Verein, bieten den meist jugendlichen Hooligans eine starke Identifikation im Gegensatz zum Spieler, der nur dort antritt, wo er das meiste Geld verdient (vgl. Taylor, 1975 S.256).
Was Taylor hier zunächst für England konstatierte, hatte starken Einfluss auf Erscheinungsformen der Hooligans auf dem europäischen Festland. Viele Trends aus der Subkultur der englischen Fußballfans wurden, um einige Jahre versetzt, von den Deutschen übernommen (vgl. Ek 1996, S.117).
2.2. Genese des Begriffs ‚Hooligan’
Der Begriff ‚Hooligan’ stammt aus England und bedeutet übersetzt soviel wie „Rowdy, Raufbold, gewalttätig“ (Langenscheidts Wörterbuch, zit. nach Lehmann, 2000, S.299). Laut Smolinsky bezieht sich der Name auf eine irische Arbeiterfamilie aus London, die Ende des 19. Jahrhunderts für wüste Schlägereien und Alkoholexzesse bekannt war (vgl. Smolinsky, 1991, S.99). Zunächst wurde der Begriff als Beleidigung und Schimpfname verwandt, später jedoch von den gewalttätigen Fußballfans adaptiert und als Markenzeichen benutzt.
Bis in die Mitte der achtziger Jahre wurden Fußballfans vornehmlich als ‚Schlachtenbummler’ bezeichnet, worin sich eine gewisse Affinität des Fußballsports zu dessen militärischen Traditionen ausdrückt. Weitere Begriffe, die diese Tradition belegen sind etwa ‚Angriff’, ‚Sturm’, ‚Schlachtruf’, ‚Anfeuern’, ‚Bomber’ usw. (vgl. Fritsch/Pilz, 1996, S.204). Seit den achtziger Jahren werden also gewalttätige Fußballfans nicht mehr unter die ‚Schlachtenbummler’ subsumiert, sondern zunehmend als Hooligans bezeichnet.
2.3. Fußball-Fanszene
Wie bereits angedeutet sind Fußballfans von ihrer (sozialen, politischen) Herkunft sehr heterogen. Ebenfalls differenziert sich – unabhängig von ihrer Herkunft – die Fanszene in verschiedene Gruppen bzw. Phänomenologien. Benke und Utz beispielsweise unterscheiden die Fans in ‚Novizen’ (junge Fußballfans, die von Freunden mit ins Stadion genommen werden und sich in die Welt des Fußballs langsam einarbeiten)‚ ‚Kutten(träger)’ (eingefleischte Fans, die sich völlig mit dem Verein identifizieren), ‚Veteranen’ (ältere Fans ab 25, die sich von ‚Kutten’ zu ‚normalen’ Fans gewandelt haben) und Hooligans (vgl. Lehmann, 2000 S.299).
Heitmeyer und Peter (1988) hingegen stellen bei der Ausdifferenzierung eher die subjektive Motivation der Stadiongänger in den Mittelpunkt, wenn sie zwischen konsumorientierte, fußballzentrierte und erlebniszentrierte Fans unterscheiden. Für konsumorientierte Fans steht das Erleben von Spannungssituationen im Mittelpunkt. „Fußball ist austauschbar und stellt eine Freizeitbeschäftigung neben anderen dar“ (Heitmeyer/Peter, 1988, S.33). Diese Fans finden soziale Bestätigung vorwiegend in anderen Bereichen und haben daher eine schwache Gruppenorientierung im Umfeld des Stadions (vgl. ebd.).
Für den fußballzentrierten Fan sind der Fußball und der Verein, dem er auch bei Misserfolg treu bleibt, nicht austauschbar. Das Leben dieser Fans ist sehr stark auf den Fußball ausgerichtet und soziale Anerkennung findet er über den Fanclub oder die Stadionclique. Der Fan-Block wird „wird als eigenes unverzichtbares Territorium gesehen“ (ebd.). Diese Fans „sind am ehesten mit den ‚Kuttenträgern’ […] gleichzusetzen“ (Benke/Utz zit. n. Lehmann, 2000, S.299).
In dieser Einteilung von Heitmeyer und Peter zählen die Hooligans zu den erlebnisorientierten Fans. Für diesen Fan-Typus hat Fußball nur eine nebensächliche Bedeutung. Fußball ist austauschbar, wichtig jedoch ist der Sport als ‚Spektakel’. Der Kontakt zu anderen Jugendlichen ist wichtiger als der Spielverlauf. Es geht ihnen darum, dass ‚was los ist’ und dass die Situationen spannend sein müssen (vgl. Heitmeyer/Peter, 1988 S.32). Auch wie der fußballzentrierte Fan findet der Erlebnisorientierte soziale Anerkennung über den Fußball, jedoch mit einem anderen Schwerpunkt: „Macht und Anerkennung durch Masse und Anonymität, nicht durch Vereinszugehörigkeit“ (Lehmann, 2000, S.299 f.).
Eine weitere Einteilung, die über die qualitativen Unterschiede der Fantypen Aufschluss gibt, ist die der Polizei, die verständlicherweise andere Prioritäten hat, als etwa der motivorientierte Ansatz Heitmeyers und Peters. Da die Polizei, als Hüterin der öffentlichen Ordnung, notwendigerweise sich auf Gruppeneinteilungen zu konzentrieren hat, die hauptsächlich deren Gewaltbereitschaft berücksichtigen, unterteilt diese die Fans in A-, B- und C-Fans.
A-Fans sind hierbei die friedlichen Fußballzuschauer, B-Fans gelten als gelegentliche Schläger und die Kategorie C kennzeichnet die zur Gewalt entschlossenen Fans. Im Jahr 1998 schätzte der ‚Spiegel’ die Anzahl der Fans der Kategorien B und C zusammen auf 7800 (vgl. Lehmann, 2000, S.300). Für den Zeitraum von 1998 bis 2000 registrierte die Polizei eine Zunahme der C-Fans um 40 Prozent (vgl. ebd.). Lehmann räumt jedoch ein, dass eine weitere Dunkelfeldforschung notwendig sei, „um die genauen Ausmaße der Zu- oder Abnahme der Gewaltbereitschaft unter den Fußballfans“ (ebd.) feststellen zu können.
Tendenziell, so Farin, gehe die Tendenz jedoch zurück. Laut Polizeibeobachtungen halbierte sich die Anzahl der Hooligans in Deutschland von ca. 14.000 in der Saison 1991/92 auf maximal 7.000 in der Saison 1998/99, beides inklusive der ‚gelegentlich gewalttätigen’ Fans (vgl. Farin, 2001 S. 193).
2.4. Qualität der Hooligan-Gewalt
Durch massive Polizeipräsenz im Stadion und auf den Wegen dorthin, durch zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen (u.a. baulicher Art) und durch bessere Überwachung der Szenen, weichen Hooligans auf andere Gebiete aus, um sich mit den gegnerischen Gruppen zu schlagen. So verabreden sich die Hooligans telefonisch oder per Internet zu Treffen in den Fußgängerzonen in den Innenstädten oder auf Parkplätzen, um sich ungestört von der Polizei, schlagen zu können. Aufgrund von derartigen eher konspirativen Zusammentreffen sind die Gruppen kleiner geworden (durchschnittlich 50 Mann). In solch kleinen Gruppen kann man sich unauffälliger bewegen und die einzelnen Mitglieder kennen sich untereinander besser, wodurch die Verbindlichkeit erhöht und das Zusammengehörigkeitsgefühl verfestigt wird.
Auch wenn ältere Hooligans den Verfall des ‚Ehrenkodex’ beklagen, gibt es zumindest noch Reste desselben. Zu diesem ‚Kodex’ zählen unausgesprochene, aber für ‚echte’ Hooligans verbindliche Regeln, wie etwa, dass nur unbewaffnet gegen etwa Gleichstarke gekämpft wird, die dies auch wollen. Unbeteiligte werden in der Regel also nicht attackiert. Wenn jemand am Boden liegt, so gilt er als geschlagen und es wird nicht weiter auf ihn eingeschlagen oder –getreten.
Häufig, wenn es bei Hooligan-Gewalttaten zum Einsatz von Waffen kommt – meist Messer oder Leuchtspurmunition – oder Geschäfte geplündert werden, beschuldigen Hooligans gern die Jüngeren, sich nicht an den Kodex gehalten zu haben (vgl. Ek, 1996 S.75).
Im Gegensatz zu früheren Phasen der Auseinandersetzungen bis in die Mitte der achtziger Jahre sind nicht mehr die Verletzung territorialer Rechte Anlass körperlicher Verteidigung, „sondern das Kräftemessen unter den Fans […]stellt nun die Grundlage dar“ (Matthesius, 1992 S.191). Matthesius macht polizeiliche Sicherheitsvorkehrungen dafür verantwortlich, dass das Fußballterritorium und der zu verteidigende Fußballverein an Bedeutung verlieren. „Es findet eine territoriale Ausdehnung auf den Innenstadtbereich statt, ferner entwickeln sich die Auseinandersetzungen nicht mehr spontan, sondern werden unter Gleichgesinnten verabredet“ (Matthesius, 1992 S.192).
Bei derartigen Kämpfen ist das Ziel, die gegnerische Gruppe in die Flucht zu schlagen (vgl. Matthesius, 1992 S.200). „Wichtig hierbei, daß es sich möglichst um eine starke Gruppe handelt“ (ebd.).
Zwischen dem ersten Blickkontakt der gegnerischen Gruppen, dem Aufeinanderstürmen, der wüsten Schlägerei und der Flucht vor der Polizei liegen dabei eher Sekunden als Minuten (vgl. Farin, 2001 S.183). Der kurze Moment des Boxkampfes ist nur ein kleiner Teil des Hooligan-Alltags, der andere Teil, „die Jagd des gegnerischen Mobs durch die Innenstädte, vorbei an einem unfreiwilligem Publikum mit vor Schrecken und Empörung geweiteten Augen, das gegenseitige Provozieren, die Gesänge und Rufe, das rhythmische Einklatschen“ (Farin/Seidel-Pielen, 1993 S.97) gehört genauso dazu.
Aufgrund massiver Polizeipräsenz kommt es jedoch selten zu direkten Kontakten zwischen Hooligan-Gruppen. Falls dies doch geschehen sollte, prügeln sich meistens nur die ersten zehn oder zwanzig Mann aus den ersten beiden Reihen, während sich der Rest des Mob mit dem ‚Dabeisein’ zufrieden gibt (vgl. ebd.).
2.5. Organisationsstruktur der Hooligan-Cliquen
Der Aufbau der Hooligan-Szene ist normalerweise sehr hierarchisch aufgebaut. Buford unterteilt die Hierarchien beispielsweise in „Generäle“ und „Adjutanten“ (Buford, 1992, S.140), treffender dürfte jedoch eine Aufsplittung in ‚Jüngere’ und ‚Ältere’ sein, wobei die ‚Älteren’ aufgrund von Respekt durch zahlreiche Kampferfahrungen Führungspositionen innerhalb der Szene gegenüber den ‚Jüngeren’ einnehmen. Matthesius erweitert diese Trennlinie und unterscheidet zwischen drei Generationen: ‚Alt-Hools’, welche wiederum die zweite Generation durch ihr Verhaltensweisen prägten. Während die zweite Generation noch in Ansätzen die alten Fanstrukturen zeigen, hat die Dritte sich stärker von diesen gelöst. Sie lehnt sich gegen die Alt-Fans aufgrund „ihres unmodischen Kleidungsstils, ihrer für sie anachronistischen Treue zum Verein und aufgrund des in ihren Augen ‚asozialen’ Verhaltens ab“ (Matthesius, 1992, S.38).
Für ältere Hooligans sind verabredete Schlägereien jenseits des Stadions eher untypisch als für die jüngere Generation, die den Fußball zwar als Anlass der Auseinandersetzung nimmt, aber eben ‚Ersatz’ finden kann.
Die unterschiedliche Qualität der Gewalt der ersten und der dritten Generation (die Zweite ist eher der Ersten ähnlich) drückt sich eben in der Spontaneität der ersten Generation, während für die Dritte eher typisch ist, sich entweder zu geplanten Schlägereien zu treffen oder sich aber ein oft langwieriges Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei in den Innenstädten zu liefern, um die Beamten loszuwerden und auf gegnerische Gruppen zu treffen. Häufig konzentrieren sich jüngere Hooligans eher auf das Demolieren von öffentlichen Einrichtungen, weil ihnen möglicherweise zu Schlägereien mit den älteren und kampferprobteren Hooligans der Mut fehlt. Auch wenn sich die Jüngeren am Verhalten der älteren Hooligans orientieren, da diese gruppenintern ein größeres Ansehen genießen, gehören sie dennoch nicht zum ‚harten Kern’ und versprechen sich stattdessen durch aggressives Auftreten einen Aufstieg in der Gruppenhierarchie (vgl. Ek, 1996, S.171). Durch diese Differenz der Generationen bleibt häufig der Ehrenkodex auf der Strecke und wird – wie oben erwähnt – oft gar nicht oder nur teilweise angewandt.
Nicht nur die Gewaltakte selbst, sondern auch der größere Teil des Hooliganalltags wird als sportliches Treiben angesehen. „Draufrennen“, „Wegrennen“, längere Joggingläufe gehören hier dazu, wobei die Mehrzahl mit dem bloßen Dabeisein und Zuschauen bereits zufrieden sei (vgl. Ek, 1996 S.76). Kennzeichnend für Hooliganaktivitäten ist weniger das Aufeinandertreffen der einzelnen Gruppen als diverse Rituale, Rennereien und permanente Beobachtung durch die Polizei. Für gewaltfaszinierte Jugendliche lohnt dich das kosten- und zeitaufwendige Hooligan-Dasein nur, wenn zumindest etwas Interesse am Fußball besteht (wobei natürlich dieses Interesse wie oben genannt modifizierbar ist und auch auf andere Freizeitaktivitäten abgeleitet werden kann).
2.6. soziale Herkunft der Hooligans
Hooligans sind weder milieugeschädigte Underdogs, noch von Arbeitslosigkeit und Bildungsdefiziten gepeinigte Modernisierungsverlierer (vgl. Farin, 2001 S. 176), als welche Heitmeyer und Peter jugendliche Hooligans darstellen, wenn diese das Phänomen des Hooliganismus mit den Schlagwörter ‚Individualisierung’ in der ‚Risikogesellschaft’ erklären wollen (Heitmeyer/Peter, 1988 S. 21 ff.).
Der Fußballplatz jedoch ist nicht mehr, wie etwa vor zwanzig Jahren, ein rein proletarischer Ort, sondern – wie eine Marketingstudie aus dem Jahr 1999 feststellte – „[...] ist aus seiner sozialstrukturellen Verortung herausgerissen. Fußballfan zu sein ist zu einem freien optionalen Lifestyle geworden, dem sich jeder, der Lust dazu hat, frei zuordnen kann“ (zit. n. Farin, 2001 S. 177). Die immer wieder kolportierte Aussage, dass Hooligans aus den benachteiligten Unterschichten der Gesellschaft kommen und nur die eigene erfahrene Gewalt im Stadion weitergeben, ist schlechtweg empirisch nicht belegbar. „Selbst unter den ganz Harten“ so der Jugendforscher Farin, „trifft man heute mehr Lehrer, Verwaltungsangestellte oder selbständige Kleinunternehmer als arbeitslose Hauptschulabbrecher“ (ebd.).
[...]
- Citation du texte
- Christian Uhrheimer (Auteur), 2005, Hooligans und Rassismus im Stadion - Beschreibung zweier Phänomene als mögliche Anlässe von Kriminalprävention, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42425
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