1. Vorwort
Dass das Thema der Liebe nicht nur in der Narrativik/Narrative, sondern auch in der Lyrik
durch die Jahrhunderte hindurch ein strukturbildendes Element ist, dürfte weithin bekannt sein.
Dass das gleichgeschlechtliche Begehren oder aber Literatur mit homosexuellem Inhalt über
die Jahrhunderte hinweg von der Literaturwissenschaft geflissentlich übersehen worden ist, ist
ein Manko, das man erst in den letzten Jahrzehnten versucht zu revidieren. Wenngleich in diesem
Jahrhundert diverse Ansätze versucht worden sind, Literatur auch unter diesem Aspekt
genauer zu betrachten, gelang der Durchbruch erst in den letzen beiden Jahrzehnten. Während
verschiedene Literaturwissenschaftler dem Thema des gleichgeschlechtlichen Begehrens in
ihren Untersuchungen nur ein paar Fußnoten einräumten, bilden andere das Thema der Homosexualität
expressis verbis in sehr fundierten und extensiven Arbeiten ab.
In der vorliegenden Arbeit soll es primär darum gehen, die verschiedenen Thematisierungsmöglichkeiten
vom Themenkomplex „Homosexualität“ bei drei Lyrikern genauer zu beleuchten,
die sich diesem Thema auf sehr unterschiedliche Art und Weise nähern. Anhand ausgewählter
Passagen aus Gedichten von Walt Whitman, Adrienne Rich und Thom Gunn wird
aufgezeigt, wie diese sich jeweils dem Thema auf ihre individuelle Art und Weise nähern.
Selbstverständlich können nur ausgesuchte Textpassagen als Beispiele herangenommen werden,
da eine andere Vorgehensweise den Rahmen dieser Arbeit zweifelsohne sprengen würde.
Aus den jeweiligen Gedichtzyklen werden vorzugsweise jene Stellen herausgesucht, die sich
speziell mit dem Thema der Homosexualität beschäftigen und somit als Argumentationsgrundlage
dienen. Diese Arbeit hat also nicht den Anspruch, dem gesamten Oeuvre der behandelten
Schriftsteller gerecht zu werden, sondern unter diesem Gesichtspunkt der Homosexualität zu
behandeln. Werden die Passagen genauer besprochen, ist es natürlich unabdingbar, auch biografische
Elemente der jeweiligen Schriftsteller als integralen Bestandteil in die Arbeit zu verflechten,
da meines Erachtens die individuelle Biografie der einzelnen Dichter stark mit dem
Schreiben, gerade in der Lyrik, verwoben ist.
[...]
Gliederung
1. Vorwort: Zielsetzung, Inhalt und Konzeption der Arbeit
2. Homosexualität und Literatur: Historischer und literaturgeschichtlicher Rückblick und die Bedeutung der Homosexualität in Literatur und Gesellschaft
3. Die Thematisierung der Homosexualität bei Walt Whitman in The Leaves of Grass
4. Homosexualität in Twenty-One Love Poems von Adrienne Rich: Eine Hymne auf die Frauenliebe unter dem Einfluss des Feminismus
5. Die Literalisierung von Homosexualität und Aids in The Man with Night Sweats von Thom Gunn.
6. Resümee und weiterführende Aspekte
1. Vorwort
Dass das Thema der Liebe nicht nur in der Narrativik/Narrative, sondern auch in der Lyrik durch die Jahrhunderte hindurch ein strukturbildendes Element ist, dürfte weithin bekannt sein. Dass das gleichgeschlechtliche Begehren oder aber Literatur mit homosexuellem Inhalt über die Jahrhunderte hinweg von der Literaturwissenschaft geflissentlich übersehen worden ist, ist ein Manko, das man erst in den letzten Jahrzehnten versucht zu revidieren. Wenngleich in diesem Jahrhundert diverse Ansätze versucht worden sind, Literatur auch unter diesem Aspekt genauer zu betrachten, gelang der Durchbruch erst in den letzen beiden Jahrzehnten. Während verschiedene Literaturwissenschaftler dem Thema des gleichgeschlechtlichen Begehrens in ihren Untersuchungen nur ein paar Fußnoten einräumten, bilden andere das Thema der Homosexualität expressis verbis in sehr fundierten und extensiven Arbeiten ab.
In der vorliegenden Arbeit soll es primär darum gehen, die verschiedenen Thematisierungsmöglichkeiten vom Themenkomplex „Homosexualität“ bei drei Lyrikern genauer zu beleuchten, die sich diesem Thema auf sehr unterschiedliche Art und Weise nähern. Anhand ausgewählter Passagen aus Gedichten von Walt Whitman, Adrienne Rich und Thom Gunn wird aufgezeigt, wie diese sich jeweils dem Thema auf ihre individuelle Art und Weise nähern. Selbstverständlich können nur ausgesuchte Textpassagen als Beispiele herangenommen werden, da eine andere Vorgehensweise den Rahmen dieser Arbeit zweifelsohne sprengen würde. Aus den jeweiligen Gedichtzyklen werden vorzugsweise jene Stellen herausgesucht, die sich speziell mit dem Thema der Homosexualität beschäftigen und somit als Argumentationsgrundlage dienen. Diese Arbeit hat also nicht den Anspruch, dem gesamten Oeuvre der behandelten Schriftsteller gerecht zu werden, sondern unter diesem Gesichtspunkt der Homosexualität zu behandeln. Werden die Passagen genauer besprochen, ist es natürlich unabdingbar, auch biografische Elemente der jeweiligen Schriftsteller als integralen Bestandteil in die Arbeit zu verflechten, da meines Erachtens die individuelle Biografie der einzelnen Dichter stark mit dem Schreiben, gerade in der Lyrik, verwoben ist.
Bevor die drei Lyriker genauer vorgestellt werden, wird der Versuch unternommen, das Phänomen der Homosexualität in der Literatur in einem Gesamtkontext, vor allen Dingen aber in einen historischen und literaturgeschichtlichen Rückblick, einzubetten und die Bedeutung dieses Phänomens für die Literatur, aber auch die Gesellschaft, herauszuarbeiten. Dabei werden Bezüge zu englischsprachigen, aber mitunter auch zu deutsch- oder französischsprachigen Erscheinungen hergestellt. Diese Vorgehensweise erscheint insofern sinnvoll, als die bloße Untersuchung der einzelnen Textpassagen der jeweiligen Lyriker dem interessanten Thema nicht gerecht würden.
Bei der gesamten Darstellung wird man nolens volens verschiedene Teilbereiche ausklammern müssen, so dass die gesamte Darstellung mehr als Überblick verstanden werden soll. Der Fokus liegt somit auf der Herausarbeitung gleichgeschlechtlichen Schreibens und dessen Wirkung auf die Literatur und dem Aufzeigen der verschiedenen Schattierungen und Möglichkeiten bzw. Realisierungsmöglichkeiten, der sich diese drei Lyriker bedient hatten. Da die gesamte Arbeit in deutscher Sprache abgefasst ist, werden Teile der besprochenen Textpassagen in ihren Übersetzungen interpretiert, andere in der Originalsprache. Dies kann insofern ohne weitere Bedenken geschehen, da bei den Übersetzungen große Sorgfalt angewandt wurde.
2. Homosexualität und Literatur: Historischer und literaturgeschichtlicher Rückblick und die Bedeutung der Homosexualität in Literatur, Literaturwissenschaft und Gesellschaft
" I am the love the dare not speak its name". Auf diesen oft zitierten und in der Homosexuellenforschung manchmal auch etwas überstrapazierten Satz trifft man sehr häufig. Es ist der Beginn eines Gedichtes von Lord Alfred Douglas, dem Geliebten Oscar Wildes, und er charakterisiert die Stellung der Homosexualität in der damaligen viktorianischen Gesellschaft meines Erachtens vortrefflich. Der Skandal um Oscar Wilde von 1896 ist ein sicherlich markantes Geschehen aber auch Datum der Homosexuellengeschichte, da hier ein Exemplum statuiert wurde, wie man mit dem Thema der Homosexualität im viktorianischen England umging. Wilde, der mit The Picture of Dorian Gray (1892) einen Roman verfasst hatte, bei dem die Homosexualität indirekt von Bedeutung war, wurde aufgrund seiner Liebe zu Lord Alfred Douglas zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, an dessen Folgen er bekannterweise dann im Jahre 1900 starb. Bezeichnenderweise war es Lord Alfred Douglas, von dem auch die oben zitierten Zeilen stammen, der sich in späteren Jahren gänzlich von seiner homosexuellen Neigung und auch von seiner Beziehung zu Oscar Wilde distanzierte. Angesichts der vielen Belege und Beweise erscheint dieses Dementi eher wie die späte Negation des eigenen Ichs als ein ernstzunehmendes Faktum. Doch dies nur am Rande.
Untersucht man jedoch das Zusammenspiel von Homosexualität und Literatur, kann man noch wesentlich weiter zurückgehen, um festzustellen, dass homosexuelles Schreiben schon viel früher in der Literatur existent war.
William Shakespeare, für viele der Pontifex maximus in der englischen Literatur, liefert uns mit seinen Sonetten ein Stück Literatur, in dem gleichgeschlechtliches Begehren, wenn auch nur symbolisch und indirekt, aber immerhin angedeutet wird. Es ist viel über die Homo- bzw. Bisexualität des Autors diskutiert worden, und ebenso sind die Sonette von diversen Literaturwissenschaftlern unterschiedlich interpretiert worden, und dies nicht selten recht kontrovers. Unbetritten ist jedoch eines: In den ersten 126 Sonetten findet sich in jedem Fall eine erotische Ansprache an einen jungen Mann, ein Paradigma, das in den Dark Lady Sonetten später heterosexuell umfunktioniert wird.
Schon im Anfangssonett wird die atemberaubende Schönheit eines Jünglings gepriesen, wenn es da heißt „Though that art now the world´s fresh ornament / And only herald to the gaudy springs“ (I,9-10)
Obgleich dem jungen Mann hier zweifelsohne nahe gelegt wird zu heiraten, kann seine Zurückhaltung auch als eine Art homosexuelle Tendenz gelesen werden. Diese Ambivalenz zieht sich auch durch die weiteren folgenden zwanzig Sonette hindurch. Mehrdeutige Anspielungen eröffnen eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten, die auch eine Enkodierung gewisser homosexueller Tendenzen erlauben. In Sonett 19 werden beispielsweise die Gender-Zuordnungen innerhalb des Sonetts einfach umgedreht. Während in den Zeilen 3 bis 6 das geliebte Wesen eindeutig als weiblich erscheint, erscheint es in den Zeilen 7 und 8 männlich. Von Belang ist hier die gender-übergreifende Schönheit. Der Jüngling wird sowohl von Männern als auch von Frauen geliebt.
Im Grunde spielt es eine nur untergeordnete Rolle, ob Shakespeare selbst homosexuell war, oder ob diverse Sonette einem schönen Jüngling mit den Initialen WH gewidmet waren. Vielmehr ist es interessant zu konstatieren, dass auch hier homosoziale und homosexuelle Begehrungen, wenngleich nicht direkt, zum Ausdruck gebracht werden. In Twelfth Night spielt er mit den Geschlechterrollen, löst diese, indem er sie umkehrt auf, was schlussendlich zu einem amüsanten Verwirrspiel führt
Obgleich, wie am Beispiel von Shakespeare oder auch Oscar Wilde sehr deutlich aufgezeigt, homosexuelle Literatur über die Jahrhunderte hinweg existiert hat, ist es dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass erst im 20. Jahrhundert gleichgeschlechtliches Begehren seinen angemessenen und auch deutlichsten Ausdruck fand. Es ist vor allen Dingen von Belang, dass unter dem Einfluss der Psychoanalyse von Sigmund Freud Homosexualität und deren verschiedenenartigsten Manifestationen unter anderen Blickwinkeln gesehen wurden. Es war Ende des 19. Jahrhunderts als sich in Deutschland der Sexualmediziner Magnus Hirschfeld das erste Mal mit dem Phänomen der Homosexualität auseinander setzte und mit seiner Feststellung der sogenannten Zwischenstufen Furore machte. Zusehends wurde das Phänomen der Homosexualität, der Bisexualität, aber auch der Transsexualität nicht mehr nur schlichtweg pathologisiert und als krankhaft betrachtet, sondern von einem psychologischen Standpunkt heraus neu gedeutet. Dies hatte natürlich auch auf die Literatur eminente Auswirkungen. In der englischsprachigen Literatur wurde von E. M. Forster 1914 der erste homosexuelle Roman Maurice verfasst. Interessanterweise wurde dieser Roman erst nach Forsters Tod im Jahre 1971 publiziert. In der Tatsache, dass dieser Roman schließlich erst posthum veröffentlicht worden war, spiegelt sich sehr deutlich die Angst und Zurückhaltung der einzelnen Autoren, das Thema ad publicam zu besprechen. Ganz anders verhielt es sich mit Radclyffe Hall, die im Jahre 1928 mit ihrem Roman The well of lonliness den ersten Roman publizierte, in dem der Lesbianismus thematisiert wurde.
Von einer prüden viktorianischen Gesellschaft wurde der Roman zunächst abgelehnt und es wurde sogar ein Gerichtsverfahren angestrengt, das aber dank der Unterstützung, auch namhafter Schriftsteller wie E. M. Forster, relativ schnell abgebrochen wurde. Auch Virginia Woolf oder Vita Sackvelle-West, die zu jener Zeit eine Liebesbeziehung miteinander hatten, und ebenso wie Forster der Bloomsburry Group, angehörten, machten aus ihrer Neigung zueinander keinen Hehl. Virginia Woolf rechnete beispielsweise in ihrem Roman Orlando (1928) indirekt mit der ablehnenden Haltung ihrer Geliebten Vita Sackvelle-West ab.
Innerhalb der Lyrik war es dann W. H. Auden, der eine große Anzahl von Gedichten mit gleichgeschlechtlichem Inhalt verfasste. Obwohl diverse Romane oder Gedichte veröffentlicht wurden, in denen dieses Thema mehr oder weniger explizit formuliert worden war, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass es nur wenige Schriftsteller waren, die offen und ohne Hemmungen zu diesem Thema schrieben.
In juristischer, aber auch soziologischer Hinsicht ist zu erwähnen, dass gerade nach dem Zweiten Weltkrieg in der britischen, amerikanischen und auch deutschen Gesellschaft eine Prüderie aufzufinden war, die diesem Thema letztlich sehr pessimistisch und sehr ablehnend gegenüber stand. Nicht zu vergessen ist hierbei, dass der Paragraph 175, der gleichgeschlechtliche Handlungen mit starken juristischen Konsequenzen ahndete, erst in den siebziger Jahren, in manchen Ländern erst in den achtziger Jahren, gänzlich abgeschafft wurde.
Schriftsteller wie Allen Ginsburg, William S. Bourroughs, W. H. Auden, Hard Crain oder auch Autoren Adrienne Rich und Thom Gunn setzen sich für eine Liberalisierung und einem progressiveren Denken hinsichtlich dieses Themas ein. Die Stonewall Riots von 1968, die wahrscheinlich in ihrer Dimension und in ihrer Wirkung nicht überbewertet werden dürfen, setzten zumindest eine Zäsur. Man ging erstmals auf die Straße um öffentlich gegen die Unterdrückungsmechanismen der Polizei und für mehr Rechte von Schwulen und Leseben zu demonstrieren.
Natürlich waren die Postulate der Protestierenden, in der Realität nicht selten schwer umzusetzen und es sollte noch ein langer und steiniger Weg vor ihnen liegen.. Interessant ist auch ein Blick auf den Umgang der Literaturwissenschaft mit der Homosexualität. Wie schon in meinem Vorwort erwähnt, widmeten sich der ein oder andere Literaturwissenschaftler diesem bislang marginalisierten Thema. Manche Literaturwissenschaftler, wie beispielsweise Hans Mayer, der zu der fatalen, aber ebenso banalen und literaturwissenschaftlich im Übrigen völlig unbegründeten, Annahme kommt, dass Homosexuelle wie folgt charakterisiert werden könnten: „Abgegrenzte Männerwelt, frauenfeindlich, sozial heimatlos, parasitär"[1]
Gerade in der angelsächsischen Literaturwissenschaft wurden vor allen Dingen in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren eminente Forschungen auf diesem Sektor betrieben. Zu erwähnen sind hier Literaturwissenschafter wie Gregory Woods, Martin Dubberman oder aber auch Claude J. Summers. Verschiedenartigste Texte wurden nun unter einem anderen Gesichtspunkt gelesen und auch dahingehend interpretiert. Schriftsteller, die bis zu dieser Zeit unbekannt waren oder aber deren gleichgeschlechtlichem Schreiben keine weitere Bedeutung gewidmet war, rückten nun in ein neues Blickfeld. Während von vielen Literaturwissenschaftlern diverse Autoren und deren homosexuelle Neigung bislang verschwiegen oder schlichtweg unter den Teppich gekehrt worden waren, geht es diesen Literaturwissenschaftlern nicht nur darum zu konstatieren, dass eben diverse Schriftsteller selbst gleichgeschlechtliche Begehren hatten und diese auch auslebten, sondern dass eben diese Tatsache für ihr Schaffen von Bedeutung waren.
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[1] Hans Mayer: Außenseiter, Frankfurt am Main, 1975; Sonderausgabe 1977, S. 174
- Citar trabajo
- Sven Weidner (Autor), 2001, Homosexualität als lyrisches Thema bei Walt Whitman "Leaves of Grass", Adrienne Rich "Twenty-One Love Poems" und Thom Gunn "The Man with Night Sweats", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42385
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