Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die rüstigen, häufig vorzeitig entberuflichten Alten eines verjüngten Alters, die sogenannten „jungen“ oder „neuen“ aktiven Alten, die mehr als nur die Früh- und Vorruheständler verkörpern und die aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung noch Unternehmungen realisieren, die Personen ihres Alters vor 50 Jahren nie gewagt hätten. Es sind die jungen bzw. neuen Alten, die durch ihr Verhalten im Begriff sind, mit dem überkommenen Bild vom defizitären, eingeschränkten alten Menschen gründlich aufzuräumen und „(...) die sich nicht in die Klischees des Alters einordnen lassen.“ (Tokarski, 1998, S. 111).
Die Diskussionen um das Thema der sogenannten „neuen“ Alten haben bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eingesetzt. Anlass war die Verabschiedung des Vorruhestandsgesetzes, das von 1984 bis 1988 den vorzeitigen Berufsaustritt mit 59 Jahren ermöglichte (vgl. Tokarski/Karl, 1989, S. 9). Seither wird versucht, die „neuen“ Alten als eigenständige gesellschaftliche Gruppe soziologisch abgrenzbar und bestimmbar zu machen.
Während sich einerseits Bemühungen finden, die Gruppe der „neuen“ Alten altersmäßig einzugrenzen, wird aus gerontologischer Sicht unter dem Begriff der „neuen“ Alten eher ein „state of mind“ verstanden, der vorrangig die positiven Seiten des Alterns herauszustellen versucht, die heute in modernen Gesellschaften realisierbar sind. Die Bezeichnung „neue“ Alte soll damit lediglich die Möglichkeiten und Chancen aufzeigen (wie z. B. Aktivitäten wahrnehmen, versäumte Freiheiten nachholen, lebenslange Wünsche verwirklichen), die gegenwärtig ältere Menschen haben können (vgl. ebd., S. 11f.).
In dieser Arbeit soll die wachsende Gruppe der neuen, jungen Alten, beleuchtet werden, die ihre Familienarbeit nach Auszug der erwachsenen Kinder abgeschlossen hat und/oder die als ArbeitnehmerInnnen vorzeitig, vielfach schon mit 50 Jahren, aus dem Erwerbsarbeitsleben ausgeschieden sind. Dabei soll aufgezeigt werden, dass diese verjüngten Alten als neue gesellschaftliche Gruppe, die weitgehend noch gesund und auf der Suche nach neuen nachberuflichen Möglichkeiten ist, Fragen bewusster Lebensplanung für weitere 20, 30 Jahre und mehr sehr interessiert gegenübersteht, was mittlerweile auch zunehmend von der Öffentlichkeit und den Medien wahrgenommen und aufgegriffen wird...
Inhaltsverzeichnis
Einführung
1. Alter und Altern als Thema der Soziologie
2. Demographische Alterung, ihre Ursachen und Prognosen
3. Theoretischer Überblick
4. Die neuen Alten – ein Produkt des Strukturwandels des Alters
4.1 Auswirkungen der veränderten Altersstruktur und der sich verändernden Alternsbedingungen auf Individuum und Gesellschaft
4.2 Konzepte des gesellschaftlichen Strukturwandels des Alters
4.2.1 Verjüngung des Alters
4.2.2 Entberuflichung
4.2.3 Feminisierung des Alters
4.2.4 Singularisierung
4.2.5 Hochaltrigkeit
4.3 Die neuen Alten und ihre empirische Begrenztheit: Weitere Erklärungsansätze
4.4 Verhaltensdiskrepanzen der neuen Alten
5. Kritische Betrachtungsweisen zum Strukturwandel-Ansatz
6. Das Altersbild einer aktiv gebliebenen Generation in Gesellschaft, Medien und Werbewelt
7. Lebensstile, Bedürfnisse, Konsumverhalten
8. Produktives Altern
9. Nachberufliche Tätigkeiten im Bildungsbereich
9.1 Bildungsangebot Volkshochschule
9.2 Seniorenstudium als wissenschaftliche nachberufliche Aktivität
9.3 Junge Alte und neue Techniken
10. Funktion und Bedeutung der nachberuflichen Weiterbildung
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einführung
Aufgrund demographischer Veränderungen nehmen ältere Menschen eine immer wichtigere Rolle in unserer Gesellschaft ein, denn die Lebensspanne, die Menschen im Rentenalter noch vor sich haben, verschiebt sich immer weiter nach oben und nach unten. Dies ist einerseits bedingt durch die Verlängerung der Lebensdauer aufgrund u. a. medizinischer Fortschritte und andererseits auf eine „Verjüngung“ des Alters durch ein früheres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zurückzuführen.
Diese lange Lebensphase ist heute von einer solchen Vielfalt geprägt, die es nicht mehr rechtfertigt, das Alter generell als negativ im Sinne von kontaktarm, unaktiv, traurig, langweilig, lebensüberdrüssig, krank und hilflos zu etikettieren. Sicherlich gibt es alte, kranke und einsame Menschen, aber der größte Teil der Älteren hat allen Grund, sich auf die vielen Möglichkeiten und Aktivitäten zu besinnen, die ihm gegenwärtig offen stehen.
In unserem Alltag finden sich mittlerweile viele Beispiele dafür, dass Älterwerden nicht gleichbedeutend ist mit Krankheit, Verlust, Beeinträchtigung, Isolation und Ausgeschlossensein. Es gibt Ältere, die ihr Leben völlig neu gestalten. Sie bereisen ferne Länder, besuchen kulturelle Veranstaltungen, studieren noch einmal oder stellen ihr Wissen, ihre Erfahrungen Jüngeren zur Verfügung. Insgesamt zeigen sie sich beweglich, agil und denken nicht daran, sich auf das traditionelle „Altenteil“ zurückzuziehen. Insofern ist es berechtigt, verschiedene Senioren-Altersgruppen zu differenzieren aufgrund der unterschiedlichen Art ihrer Lebensgestaltung.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die rüstigen, häufig vorzeitig entberuflichten Alten eines verjüngten Alters, die sogenannten „jungen“ oder „neuen“ aktiven Alten, die mehr als nur die Früh- und Vorruheständler verkörpern und die aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung noch Unternehmungen realisieren, die Personen ihres Alters vor 50 Jahren nie gewagt hätten. Es sind die jungen bzw. neuen Alten, die durch ihr Verhalten im Begriff sind, mit dem überkommenen Bild vom defizitären, eingeschränkten alten Menschen gründlich aufzuräumen und „(...) die sich nicht in die Klischees des Alters einordnen lassen.“ (Tokarski, 1998, S. 111).
Die Diskussionen um das Thema der sogenannten „neuen“ Alten haben bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eingesetzt. Anlass war die Verabschiedung des Vorruhestandsgesetzes, das von 1984 bis 1988 den vorzeitigen Berufsaustritt mit 59 Jahren ermöglichte (vgl. Tokarski/Karl, 1989, S. 9). Seither wird versucht, die „neuen“ Alten als eigenständige gesellschaftliche Gruppe soziologisch abgrenzbar und bestimmbar zu machen.
Während sich einerseits Bemühungen finden, die Gruppe der „neuen“ Alten altersmäßig einzugrenzen, wird aus gerontologischer Sicht unter dem Begriff der „neuen“ Alten eher ein „state of mind“ verstanden, der vorrangig die positiven Seiten des Alterns herauszustellen versucht, die heute in modernen Gesellschaften realisierbar sind. Die Bezeichnung „neue“ Alte soll damit lediglich die Möglichkeiten und Chancen aufzeigen (wie z. B. Aktivitäten wahrnehmen, versäumte Freiheiten nachholen, lebenslange Wünsche verwirklichen), die gegenwärtig ältere Menschen haben können (vgl. ebd., S. 11f.).
In dieser Arbeit soll die wachsende Gruppe der neuen, jungen Alten, beleuchtet werden, die ihre Familienarbeit nach Auszug der erwachsenen Kinder abgeschlossen hat und/oder die als ArbeitnehmerInnnen vorzeitig, vielfach schon mit 50 Jahren, aus dem Erwerbsarbeitsleben ausgeschieden sind. Dabei soll aufgezeigt werden, dass diese verjüngten Alten als neue gesellschaftliche Gruppe, die weitgehend noch gesund und auf der Suche nach neuen nachberuflichen Möglichkeiten ist, Fragen bewusster Lebensplanung für weitere 20, 30 Jahre und mehr sehr interessiert gegenübersteht, was mittlerweile auch zunehmend von der Öffentlichkeit und den Medien wahrgenommen und aufgegriffen wird. Insbesondere die jungen Alten zeigen vermehrte Bedürfnisse, sich neuen Herausforderungen zu stellen und selbstgewählte Aufgaben zu übernehmen, was häufig zur Aufnahme eines verspäteten Studiums oder zu anderen kreativen Aktivitäten führt (vgl. Veelken, 1990, S. 20, 34).
Weiterbildung im Sinne von lebenslangem Lernen stellt eine wesentliche Voraussetzung für individuelle und gesellschaftliche Entwicklung dar, weshalb in dieser Arbeit besonders auf die nachberuflichen Tätigkeiten im Bildungsbereich eingegangen wird, um u. a. deren Bedeutung für die älteren Erwachsenen nach dem Berufsaustritt herauszustellen.
Gleichzeitig soll deutlich werden, dass die Wünsche nach weiterer Entfaltung und Selbstverwirklichung im dritten Lebensalter eine Umgestaltung der bisherigen Bildungsangebote erfordern, denn Weiterbildung im Alter darf nicht nur als Konsumangebot von Vorträgen, Diashows und Reden zu Fragen des Alters gesehen werden.
Theoretische Grundlage dieser Arbeit bildet die These vom „Strukturwandel des Alters“ nach Hans Peter Tews, der in seinem soziologisch-deskriptiven Ansatz in fünf Konzepten versucht, die Lebenslagen älterer Personen unter Berücksichtigung der demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen darzustellen. Dabei behandelt er die Frage, ob es das gesellschaftliche Phänomen der „neuen“ Alten bzw. ein „neues“ Alter als Ergebnis des Wandels der Sozialstruktur gibt.
1. Alter und Altern als Thema der Soziologie
Die Soziologie beschäftigt sich erst seit ca. 50 Jahren näher mit dem gesellschaftlichen Phänomen Alter. Sie wird vielfach als Bindestrich-Soziologie bezeichnet, die in erster Linie anwendungsorientiert handelt und sich häufig auf einen theoretischen Fundus stützt, der aus anderen speziellen Soziologien (z.B. Familiensoziologie) resultiert, die schon Jahre vorher dieses Thema behandelten. Jedoch kann man „seit etwa 1960 (...) von einem eigenen (...) Forschungsbereich sprechen“, auch wenn bis heute die theoretische Konzeption „Alter(n)“ noch immer nicht ausreichend methodisch von der allgemeinen Soziologie erforscht wurde (Prahl/Schroeter, 1996, S. 23). Wesentliche Gründe für das erst in jüngster Zeit zunehmende Interesse sind die demographischen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wie auch die sozialstrukturellen Veränderungen, die seit Mitte der 80er Jahren von Tews als „Strukturwandel des Alters“ bezeichnet werden (vgl. Tews, 1990, zit. n. Clemens, 1998, S. 83) und in dieser Arbeit noch ausführlich dargestellt werden.
Mit dem Begriff Alter wurde in den wissenschaftlichen Texten noch vor ca. 30 Jahren eine klar umrissene Altersspanne verbunden, die mit dem Rentnerdasein im Alter von 65 Jahren begann und mit dem Tod endete.
Diese an den Berufsaustritt gekoppelte Altersbestimmung hat schon deshalb kaum noch Relevanz, weil aufgrund arbeitsmarktpolitischer Entscheidungen oder unterschiedlich begründeter Vorruhestandsregelungen immer weniger Personen bis zu ihrem 65. Lebensjahr berufstätig sind. Zum anderen gibt es eine große Anzahl von Menschen, die z. B. durch wegfallende Berufsbilder aufgrund des technologischen Fortschritts, durch Behindertsein usw. überhaupt nicht oder nur noch teilweise dauerhaft beschäftigt werden können. Aus dieser Vielzahl von Gründen macht es kaum noch Sinn, den Eintritt in die Altersphase mit dem Berufsaustritt zu verknüpfen (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S.13).
Auch die Realität, dass heutzutage der Bevölkerung fast ein Drittel an Lebenszeit nach Beendigung ihrer Berufszeit verbleibt, lässt den Begriff „Ruhestand“ zweifelhaft erscheinen. Opaschowski (1994, S. 140, zit. n. Prahl/Schroeter, 1996, S. 142) schlägt deshalb eine Neudefinition der dritten Lebensphase nach dem Berufsaustritt vor. Danach wird das dritte Leben, „vita tertia“, unterteilt in eine Phase der Neuorientierung (55-69 Jahre), in der das Ausscheiden aus dem Beruf dominant ist und neue Lebensziele festgesetzt werden, in eine weitere Phase der Konsolidierung (70-79 Jahre), in der sich die Älteren auf ein Leben nach der Berufsausübung einrichten und letztlich in die Altersphase (80 Jahre und mehr).
Im Gegensatz zur Bevölkerungswissenschaft, die nach wie vor von einem Altersbeginn ab 65 Jahren ausgeht, werden in der Soziologie differenzierte Alterskategorien verwendet, die diese heterogene Großgruppe von älteren Personen präziser darstellt. Als gebräuchlich haben sind dabei folgende Einteilungen der Lebensphase Alter herauskristallisiert, die sich jedoch teilweise überschneiden:
45 – 60 Jahre: die jungen Alten ( meist durch vorzeitigen Berufsaustritt)
60 – 75 Jahre: die neuen, aktiven, (auch) jungen Alten
75 – 90 Jahre: die Alten
90 – 100 Jahre: die Hochbetagten
über 100 Jahre: die Langlebigen.
In der Regel weist jede Altersgruppe bestimmte Phänomene auf, die als Vorstellung in der begrifflichen Benennung mitschwingen. So bezeichnet der Begriff „neue Alte“ die Lebensweise eines gesunden, kontaktfreudigen, flexiblen, interessierten und allem Neuen gegenüber aufgeschlossenen Menschen, während der Begriff „Hochbetagte“ eher die Assoziation der Pflegedürftigkeit in den Vordergrund stellt (vgl. ebd., S. 13).
Da sich mittlerweile die ältere Generation aufgrund ihrer bildungsmäßigen Interessen, ihrer wirtschaftlichen Lage, dem damit zusammenhängenden veränderten Status in der Gesellschaft sowie aufgrund ihrer individuellen Lebensvorstellungen zu einer sehr differenzierten Bevölkerungsgruppe entwickelt hat, wird in den jüngeren soziologischen Werken verstärkt darauf hingewiesen, dass der Begriff Alter die multiplen Lebensformen der älteren Menschen nicht ausreichend berücksichtigt und beschreibt. Deshalb muss die Kategorie „Alter“ um den Prozess „Altern“ erweitert werden. Die Soziologie unterscheidet dabei mehrere Bereiche, in denen Alternsprozesse ablaufen: Aufzuführen sind im einzelnen auf der Individualebene die lebenslangen Sozialisationsvorgänge, im demographischen Sektor die Verschiebungen der Bevölkerungsstruktur (die ältere Bevölkerung nimmt im Gegensatz zur jüngeren Bevölkerung zahlenmäßig zu) und auf der Ebene der Gesellschaft der Wandel der Sichtweisen über das Älterwerden und der damit verbundenen Lebensweisen. „Auf allen drei Ebenen macht es also Sinn, Altern als Prozeßbegriff zu verwenden.“ (ebd., S. 14).
Neben dieser differenzierten inhaltlichen Spezifizierung von Alter und Altern erscheint gleichermaßen die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen zum Thema des Alter(n)s in verschiedenen Disziplinen interessant.
Während in den biologischen Wissenschaften das Alter(n) „als das ontogenetische Gegenstück zum Phänomen der „Entwicklung“ oder des „Wachstums“ (growth)“ (Baltes/Baltes, 1992, S. 10) betrachtet wird, wobei Alter(n)sphänomene meist mit Funktionsverlust oder Leistungsabbau gleichgesetzt werden, vertreten Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaftler die Ansicht, dass das Alter(n) als psychologisch und kulturell entstandenes Phänomen gleichermaßen wachstumsartige und positive Perspektiven aufweist. Interessant ist hierbei die Frage, wie die positiven Sichtweisen des Alter(n)s trotz auftretender biologischer Abbauprozesse aussehen können. Als Hauptbegründung wird angeführt, dass kulturelle Einflüsse, technischer Fortschritt sowie die Kraft durch Wissen effektiver sein können als die biologischen Ressourcen. Das heißt, dass z. B. Personen, die lesen können, Analphabeten gegenüber im kognitiven Bereich im Vorteil sind, selbst wenn die Letztgenannten über bessere biologische Voraussetzungen verfügen. Demnach sind also neben einem Leistungsabbau des Organismus auch sehr wohl positive Aspekte des Alter(n)s zu finden, nämlich wenn der alternde Mensch zum Beispiel seine Tätigkeiten altersgemäß fortführt bzw. seine Wissensbasis im Sinne von „lebenslangem Lernen“ weiterentwickelt (vgl. Rosenmayr, 1990, zit. n. Baltes/Baltes, 1992, S. 11).
2. Demographische Alterung und ihre Ursachen und Prognosen
Unter einem demographischen Alterungsprozess versteht man normalerweise die Altersstrukturverschiebung einer Bevölkerung, nämlich der wachsende Anteil der älteren Menschen in bezug zur Gesamtbevölkerung (vgl. Wingen, 1990, S. 60).
Graphische Darstellungen über die altersmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung erinnerten in der Vergangenheit immer an das Bild einer Tanne, deren ausladender unterer und mittlerer Stamm die nachrückenden jüngeren und mittleren Generationen symbolisierte, die sich dann Richtung Tannenspitze mit zunehmendem Alter ausdünnten. Mittlerweile verändern sich die Konturen der Tanne immer mehr zur Gestalt eines Pilzes hin, dessen kontinuierlich schlanker werdender Stiel die abnehmenden jüngeren Altersgruppen darstellt und der Pilzkopf die relativ größer werdende Gruppe älterer Menschen aufzeigt (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S. 102).
Diese Strukturverschiebung im Altersaufbau der Bevölkerung lässt sich auch durch die nachfolgenden Zahlen leicht verdeutlichen:
Anfang des 20. Jahrhunderts machte der Anteil der ca. vier Millionen in Deutschland lebenden Menschen von 60 Jahren und älter nur etwa 8 % der Gesamtbevölkerung aus. Knapp 100 Jahre später hat sich der Prozentsatz auf ca. 20 % vergrößert, d. h., dass heute jeder fünfte unserer Bewohner 60 Jahre alt und älter wird. Dieses demographische Altern verläuft zahlenmäßig jedoch ungleich zwischen Männern und Frauen. Während im Verlauf des letzten Jahrhunderts die Zahl der 60jährigen Männer um das Dreifache stieg, konnten Frauen ihre Anzahl in der gleichen Altersgruppe um das Vierfache steigern.
Gründe für den immer höheren weiblichen Altenanteil sind zum einen gegeben durch die höhere Lebenserwartung der Frauen und zum anderen durch die gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege (vgl. Roloff, 1996, S. 3).
Vorausschätzungen nach wird sich der Anteil der über 60jährigen Menschen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands von 20,8 % in 1990 auf ca. 29,7 % im Jahr 2020 steigern. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass diese Steigerung von mehr als 40 % bis 2030 noch zunehmen wird (vgl. Klose, 1993, S. 15).
Dieser fortschreitende Alterungsprozess (nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den anderen westlichen Industrienationen) lässt sich durch zwei wesentliche Fakten begründen, nämlich einerseits durch den seit längeren anhaltenden Geburtenrückgang und andererseits durch die gestiegene Lebenserwartung aufgrund des deutlichen Rückgangs der Sterblichkeit in jüngeren Lebensjahren (vgl. Wingen, 1990, S. 60).
Durch die stetige Reduzierung der Geburtenrate, die schon mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte und seither kontinuierlich anhält, steigt automatisch der relative Anteil der älteren Menschen in unserer Gesellschaft.
Die Ursachen für den anhaltenden Geburtenrückgang liegen einmal in dem gesunkenen wirtschaftlichen Wert, den Kinder in einem Wohlfahrtsstaat in bezug auf Absicherung im Alter oder im Krankheitsfall für ihre Eltern einnehmen. Zum anderen belegen zahlreiche soziologische Untersuchungen, dass der rapide politische, wirtschaftliche und soziale Wandel bei vielen jungen Menschen (vor allem in den neuen Bundesländern) Unsicherheiten hervorruft, weshalb die Geburtenplanung heutzutage häufig aufgeschoben wird.
Zahlenmäßig lässt sich dieser Prozess folgendermaßen darstellen: Während 1871–1880 eine Frau im Schnitt noch fünf Kinder lebend gebar, pendelte sich zwischen 1935 und 1970 die Zahl der Geburten auf durchschnittlich nur noch zwei Kinder pro Frau ein (vgl. Roloff, 1996, S. 3f.).
Ein weiterer drastischer Rückgang der Geburtenziffern konnte seit dem Jahr der Wende verzeichnet werden: Während die Geburtenzahlen in den alten Bundesländern in den letzten Jahren auf 1,0 bis 1,4 Kinder pro Frau sanken, findet in den neuen Bundesländern „der größte „Gebärstreik“ der Weltgeschichte statt (mit weniger als 0,7).“ (Prahl/Schroeter, 1996, S. 100).
Als zweiten wesentlichen Punkt für die Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung kann die kontinuierliche Erhöhung der Lebenserwartung, also der deutlich rückläufige Trend der Sterblichkeit, angeführt werden. Während im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur 76,5 % der Säuglinge ihr erstes Lebensjahr erreichten, erlebten 1993 fast alle Lebendgeborenen ihren ersten Geburtstag (vgl. Roloff, 1996, S. 5).
Aber nicht nur die stark gesunkene Säuglingssterblichkeit, sondern auch die drastische Verringerung der Morbiditätsrate in den mittleren und höheren Altersgruppen sind verantwortlich dafür, dass heutzutage immer mehr Menschen mit einem höheren Alter rechnen können. Obwohl sich die genetisch und physiologisch bestimmte Höchstaltersgrenze nicht nach oben verschoben hat, können aber immer mehr Personen davon ausgehen, einmal zur Gruppe der Hochbetagten bzw. Langlebigen zu zählen (vgl. Wingen, 1990, S. 62).
Die durchschnittliche Lebenserwartung der heute Geborenen liegt für Jungen bei 72,25 Jahren, dagegen für Mädchen bei 78,71 Jahren. Eine wissenschaftlich anerkannte Erklärung dieses geschlechtsspezifischen Unterschieds in bezug auf die höhere Lebenserwartung der Frauen steht allerdings noch aus (vgl. Roloff, 1996, S. 6). Zwar werden auch heute zahlreiche Männer aufgrund des über 50 Jahre anhaltenden Friedens sehr viel älter, was in Zukunft die Lebenserwartung der Männer im Vergleich zu den Frauen im Schnitt stärker ansteigen lässt, aber dennoch besteht die überwiegende ältere Bevölkerung aus weiblichen Personen, so dass man sagen kann, „daß das demographische Altern stärker für den weiblichen als für den männlichen Bevölkerungsteil zutrifft.“ (Roloff, 1996, S. 6).
Unter dem Altern einer Bevölkerung kann also nicht verstanden werden, dass sämtliche Personen ein hohes und immer höheres Alter erreichen. Wenn man von maximaler Lebensspanne spricht, so kennzeichnet diese das Alter in Jahren, das Menschen unter optimalen Bedingungen erreichen können. Wir können mittlerweile auf zuverlässige Daten zurückgreifen, die belegen, dass aber trotz guter Voraussetzungen auch heute die überwiegende Mehrheit der Menschen dieses Lebensalter nicht erreicht, dagegen aber auch früher schon einige Menschen zwischen 100 und 120 Jahre alt wurden. Trotzdem hat sich die Zahl der Menschen, die im 20. Jahrhundert ein dreistelliges Lebensalter erreicht haben, enorm vergrößert, wie folgende Zahlen zeigen: Zu Beginn des letzten Jahrhunderts erreichten ca. 20 Personen in Deutschland das 100. Lebensjahr bzw. wurden älter. Heute dagegen erreichen schon gut dreitausend Menschen dieses hohe Alter.
Obwohl es keine zuverlässige Vorausschätzung für die Entwicklung der künftigen Lebenserwartung aufgrund mannigfaltiger Einflussfaktoren geben kann, geht die Demographie von einer weiteren Steigerung der maximalen Lebensspanne von etwa 120 Jahren nicht aus (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S. 99).
Was den künftigen durchschnittlichen Anstieg der Lebenserwartung betrifft, so geht das Statistische Bundesamt in der 9. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung von der Annahme aus, dass die Lebenserwartung in der Zeit von 1997 bis 2050 im Schnitt um vier Jahre zunehmen und der Bevölkerungsaufbau Deutschlands sich in den nächsten 50 Jahren gravierend verändern wird.
Demnach würde die weibliche durchschnittliche Lebenserwartung auf 84 Jahre und die männliche auf 78 Jahre ansteigen. Die Geburtenrate bliebe mit 1,3 Kinder pro Frau gleichbleibend niedrig, so dass – wollte man das heutige Verhältnis von Jung und Alt konstant halten – ca. 3,4 Mio. Menschen pro Jahr nach Deutschland einwandern müssten (vgl. Kruse, 2001, S. 26f.).
Das zahlenmäßige Ergebnis der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2000) stellt sich wie folgt dar:
Während gegenwärtig 22,5 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre und älter sind, 56,1 Prozent der Menschen zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr stehen und 21,4 Prozent jünger als 20 Jahre sind, wird im Jahr 2050 die Gruppe der älteren Menschen ab 60 Jahren 36 Prozent, die Gruppe der 20- bis 40jährigen 47,7 Prozent und die Gruppe der unter 20jährigen 16,3 Prozent ausmachen. Die Zahlen beruhen auf der Annahme einer Zuwanderung von 200.000 ausländischen Bürgern. Trotz der angenommenen Zuwanderung wird sich die Gesamtbevölkerung von gegenwärtig 82 Millionen auf 69,9 Millionen im Jahr 2050 reduzieren, so dass sich der Altersaufbau der Bevölkerung in den jüngeren und älteren Altersgruppen zwischen 1950 und 2050 bei fast gleicher Bevölkerungszahl gegensätzlich entwickelt hat: „Waren 1950 etwa doppelt so viele Menschen unter 20 Jahre alt, so wird es im Jahre 2050 mehr als doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen geben.“ (Kruse, 2001, S. 29).
Auf diese demographischen Entwicklungen und Verschiebungen in der Altersstruktur stützt sich vorwiegend der Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre entwickelte „Strukturwandelansatz des Alters“ nach Tews, der als Konsequenz dieser Altersstrukturveränderungen auf die Notwendigkeit zur Differenzierung der älteren Menschen in „junge“ und „alte“ Alte aufmerksam macht (vgl. Tews, 1989, S. 128). Der sich hier anschließende kurze theoretische Überblick über die klassischen soziologischen Ansätze der Alter(n)sforschung veranschaulicht dabei neben deren Entwicklung auch gleichzeitig eine eingeschränkte Erklärungskraft und verweist damit auf die Bedeutsamkeit des sozialstrukturell begründeten Ansatzes von Tews, der gesellschaftliche Entwicklungen und differenzierte Lebenslagen der Älteren in seine Betrachtungen mit einbezieht.
3. Theoretischer Überblick
Innerhalb der vergangenen 50 Jahre haben sich in der soziologischen und psychologischen Literatur eine Reihe von Konzepten zur Thematisierung des Alter(n)s entwickelt, die nach wie vor als klassische Ansätze bezeichnet werden, obwohl sie mittlerweile in verschiedenen Teilbereichen als veraltet gelten. Vorreiter für die Formulierung theoretischer Ansätze war in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts die USA, die sich vom Altenbild des unselbständigen, inaktiven, duldenden, hinfälligen und einsamen Menschen leiten ließ. Aus dieser Sichtweise entwickelten sich die Defizit-Theorie, die Disengagement-Theorie und als Reaktion darauf die Aktivitäts-Theorie (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S. 278). Die eben genannten Ansätze sollen im folgenden kurz dargestellt werden:
Die Anhänger der Defizit-Theorie vertreten die Ansicht, dass mit dem Älterwerden der Menschen automatisch eine Reduzierung physischer, psychischer und emotionaler Fähigkeiten, Fertigkeiten und Geschicklichkeiten verknüpft ist, die sich mit zunehmendem Alter intensiviert. Hierzu wurden zahlreiche medizinische und psychologische Untersuchungen durchgeführt, mit deren Hilfe die Funktionsverluste der älteren Personen in bezug auf deren kognitive und körperliche Fähigkeiten sowie deren Reaktionsvermögen erforscht und dargestellt wurden.
Die Ergebnisse dieses Forschungszweiges werden allerdings heftig kritisiert, da sie zu wenig das Leben in unseren Gegenwartgesellschaften berücksichtigen, in denen ein Zurückgehen von Körper- und Geisteskräften nicht mehr den Stellenwert für das Überleben hat wie in Jäger- und Sammlergesellschaften. Altersbedingte Funktionseinbußen wie z. B. Seh- und Hörschwächen oder Gehbehinderungen werden heute durch geeignete Hilfsmittel ausgeglichen und dienen somit kaum noch als Alterskriterium. Weiterhin ist zu klären, inwieweit auftretende Einschränkungen durch den Alterungsprozess bedingt sind oder ob sie durch eine belastende Umwelt (Arbeits-, Familien-, Freizeitbereich) erzeugt werden. Jüngere wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Defizite nicht nur im Alter, sondern ebenso in Abhängigkeit der alltäglichen Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Bedingungen auftreten können. Soziologisch interessant dabei ist in erster Linie, was in der Gesellschaft jeweils als Defizit bezeichnet und wie es bewertet wird bzw. welche gesellschaftlichen Strukturen sich daraus entwickeln (vgl. ebd., S. 278f.).
In den 60er Jahren entwickelte sich, ebenfalls von den USA ausgehend, die Disengagement-Theorie nach Cumming/Henry (1961), die folgende zentrale Aussagen macht:
- Der ältere Mensch zieht sich naturgegeben mit zunehmendem Alter aus verschiedenen Gruppen und gemeinschaftlichen Aktivitäten zurück.
- Dies ist auch nötig, damit sich der alte Mensch auf sich selbst besinnen kann und sich auf das näherrückende Lebensende vorbereiten kann.
- Das Konzept befürwortet es, dass betagtere Menschen sich keine großen Verpflichtungen mehr aufladen und damit verbunden eher Beziehungen zu Gleichaltrigen als zu Jüngeren pflegen sollen (vgl. Witterstätter, 1995, S. 93).
Die Befürworter der Theorie gehen davon aus, dass diese Rückzüge von den alten Menschen dann bewusst gewählt werden, wenn die Älteren ihre physischen, psychischen und emotionalen Defizite wahrnehmen. Gleichzeitig soll das Disengagement für die ältere Bevölkerung eine Befreiung von bestimmten sozialen Normen ermöglichen, weil das Kürzertreten in bestimmten Lebensbereichen nicht mehr die Einhaltung der dafür geltenden Regeln erforderlich macht. Die Rückzüge werden dann besonders positiv empfunden, wenn ältere Personen ihre persönlichen Gründe für einen Rückzug (z. B. das Nachlassen eigener Fähigkeiten) in sozialstrukturellen Entwicklungen (z. B. in gesellschaftlichen Altersbildern, die den Rückzug befürworten) wiederfinden (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S. 279). Im Vergleich zum Defizit-Modell betrachtet also die Disengagement-Theorie den Alterungsprozess nicht aus der Sicht des Verlustes, sondern verbindet den Rückzug mit einer entbürdenden, befreienden und entspannenden Entfaltung.
Die Disengagement-Theorie hat mit ihren massiven Rückzugsbefürwortungen heftige Kritik ausgelöst und zu umfangreichen empirischen Studien geführt, die jedoch belegen, „daß hohe Aktivität im Alter mit großer Zufriedenheit korreliert (und vice versa)“ (Prahl/Schroeter, 1996, S. 280). Andere Untersuchungen zeigen, dass die Disengagement-Theorie nur für Teilbereiche im Leben älterer Menschen zutrifft: Oft ziehen sich betagtere Menschen aus bestimmten Lebensbereichen zurück, um sich anderen Interessengebieten um so intensiver widmen zu können. Aus einigen empirischen Studien geht weiterhin hervor, dass viele ältere Personen gerade nach sogenannten kritischen Ereignissen - wie z. B. unmittelbar nach dem Eintritt in den Ruhestand – der Disengagement-Theorie vorübergehend entsprechen. Nach erfolg-reicher Bewältigung der Belastungssituation kehren diese älteren Personen aber wieder zu einer aktiven Lebensführung mit sozialen Kontakten zurück. Wenn man davon ausgeht, dass es auch eine Reihe von jungen Menschen gibt, die eine zurückgezogene Lebensweise bevorzugen und diese dann meist auch im Alter beibehalten, wird offensichtlich, dass Disengagement keine ausschließlich altersbedingte Erscheinung ist (vgl. Witterstätter, 1995, S. 94).
Defizit- und Disengagement-Theorie finden ihren Gegenpol in der Aktivitäts-Theorie, die nach 1945 ebenfalls in den USA entwickelt wurde (vgl. Havighurst/Neugarten/Tobin, 1964; vgl. Tartler, 1961, zit. n. Prahl/Schroeter, 1996, S. 280;) und darlegt, dass bei älteren Personen eine hohe Wechselbeziehung zwischen deren Aktivitäten und Lebenszufriedenheit besteht. Die Aktivitäts-Theorie liefert folgende zentrale Aussagen:
- Je aktiver der alternde Mensch ist, desto mehr Zufriedenheit und Glück empfindet er.
- Zieht er sich dagegen aus aktiven Unternehmungen und verpflichtenden Beschäftigungen zurück, so kann dies zu Selbstwertkrisen führen, was kein erfolgreiches Altern darstellt.
- Nur derjenige betagte Mensch ist glücklich, der noch rege und leistungsfähig ist, von anderen Menschen gebraucht wird und bestimmte Aufgaben in der Gesellschaft erfüllt (vgl. Witterstätter, 1995, S. 93).
In seiner Erhebung zeigt Tartler (1961, S. 151), dass die überwiegende Mehrheit der untersuchten älteren Menschen auch im fortgeschrittenen Alter ihre jahrelang gelebten Aktivitäten beibehält. „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, handelte es sich ausschließlich um solche Beschäftigungen, die sich aus dem jeweiligen Beruf ergeben hatten, und eigentlich nur eine Konzentrierung des Interesses auf ein mehr oder weniger eng umgrenztes Spezialgebiet der beruflichen Tätigkeit darstellte. (...) Bei vielen von ihnen nahm diese Liebhaberei nicht nur Arbeitscharakter an, sondern wurde zu einer berufsähnlichen Beschäftigung, die in Form von Nachhilfeunterricht, Vortrags- und Publikationstätigkeit in unterschiedlichem Ausmaß auch honoriert wurde.“ (Tartler, 1961, S. 150f.)
Um die mit dem Alter zwangsläufig verknüpften Rollenveränderungen durch Ereignisse wie Berufsaufgabe, reduzierte familiäre Aufgaben oder auch Partnerverlust zu kompensieren und um das Altersbild in der Gesellschaft zu verbessern, empfiehlt Tartler eine Menge von Aktionen zur aktiven Altenarbeit. Erfolgreiche Maßnahmen sieht er z. B. in der Gründung von Altenclubs, im Organisieren von Kontaktangeboten für ältere Personen oder ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen und Verbänden (vgl. Tartler, 1961, S. 151ff.).
Doch auch diese Theorie bleibt nicht unkritisiert, da die Menge von Aktivitäten im höheren Lebensabschnitt allein nicht glücklich macht. Der individuelle Lebenslauf trägt entscheidend dazu bei, inwieweit der eine mit mehr Aktivitäten und der andere mit weniger Aktivitäten Lebenszufriedenheit und Glück empfindet. Außerdem gibt Witterstätter (1995, S. 93) die Gefahr der Bildung einer „Alten-Subkultur“ zu bedenken, die darin besteht, dass die immer größer werdende Gruppe älterer Menschen durch ein Überangebot spezieller Altenaktivitäten von der übrigen Gesellschaft zunehmend separiert wird. Als Beispiel führt er die Mallorca-Urlaubsaufenthalte in der Zwischensaison sowie die amerikanischen Altensiedlungen an.
Im Gegensatz zum Defizit-Modell und zur Disengagement-Theorie nimmt die Aktivitäts-Theorie in der psychologischen und pädagogischen Disziplin einen beträchtlichen Stellenwert ein. Für soziologische Untersuchungen ist ihre Erklärungskraft aber eingeschränkt, da die Wechselwirkungen zwischen soziostrukturellen Bedingungen und Alternsproblematik nicht thematisiert werden. Die im Kapitel 2 dieser Arbeit angeführten demographischen Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und die damit einhergehenden Veränderungen in der Lebenserwartung derzeitiger Generationen sind aber das Resultat technischer und medizinischer Entwicklung und damit ein Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung. Deshalb müssen die Berücksichtigung des gesellschaftlichen Strukturwandels sowie die differenzierten Lebenslagen der älteren Menschen in theoretische Konzepte mit einfließen, damit das Alternsphänomen zufriedenstellend beschrieben werden kann (vgl. Prahl/Schroeter, 1996, S. 281).
Tews (vgl. Lehr, 2000, S. 195) greift diese Forderung auf und stellt in seinem Strukturwandelansatz der ausgehenden 1980er Jahre die Situation der älteren Personen unter Berücksichtigung der demographischen und gesellschaftlichen Veränderungen dar. Dabei stellt er ganz allgemein fest, dass sich die Struktur des Alters und seine strukturellen Rahmenbedingungen verändert haben und bildet u. a. die These, dass „Altern in unserer Gesellschaft (...) am markantesten durch gesellschaftlich-strukturellen Wandel beeinflusst“ ist (Tews, 1993, S. 15).
4. Die neuen Alten – ein Produkt des Strukturwandels des Alters
Das Anliegen Tews besteht darin, in seinem soziologisch-deskriptiven Ansatz die Lebenslagen älterer und alter Menschen unter Berücksichtigung der strukturellen Veränderungen des Alters in unserer Gesellschaft zu beschreiben. Der „sich wandelnde gesellschaftlich-strukturelle Kontext des Alters, in den Einstellungs- und Verhaltensänderungen eingebettet sind“ (Tews, 1989, S. 126), gestaltet einerseits maßgeblich die Lebenssituation im Alter (vgl. ebd. S. 130) und wirft andererseits die Frage auf, inwieweit es das gesellschaftliche Phänomen der „neuen Alten“ bzw. ein „neues Alter“ gibt (vgl. ebd., S. 126).
Wesentlich für Tews Ansatz ist die „Bestimmung individueller und kollektiver, in der Zeit ablaufender Prozesse/Übergänge/Veränderungen, die gesellschaftlich-strukturell verursacht oder wenigstens beeinflußt sind.“ (Tews, 1993, S. 15).
Ausgehend von einem Wandel der Struktur des Alters sowie veränderten strukturellen Rahmenbedingungen stellt er folgende drei Thesen auf:
1. Sozialstrukturelle Veränderungen beeinflussen am auffallendsten das soziale Alter.
2. Strukturelle Konzepte sind zur Beschreibung und Erklärung dieser Veränderungen notwendig.
3. Alter muss als Bestimmungsfaktor gesellschaftlicher Entwicklungen in die Betrachtungen mit einbezogen werden (vgl. ebd. S. 15).
4.1 Auswirkungen der veränderten Altersstruktur und der sich verändernden Alternsbedingungen auf Individuum und Gesellschaft
Die oben dargestellten demographischen Alterungsprozesse verlaufen ruhig und schleichend über einen längeren Zeitraum hinweg und verlängern sukzessive die Altersphase, indem sie einerseits durch die höhere Lebenserwartung die Altersgrenze nach oben und andererseits (z. B. auf dem Arbeitsmarkt) die Altersgrenze unterhalb der gesetzlichen Altersgrenze nach unten verschieben (vgl. Klose, 1993, S.16f.).
Tews stützt sich in seinem Strukturwandelkonzept auf diese durch höhere Lebenserwartung bzw. früheren Berufsausstieg bedingte neue „Ausweitung der Altersphase“ in unserer Gesellschaft, die sich mittlerweile über einen Zeitraum von ca. 50 Jahren erstreckt, wenn man von 55jährigen bis über 100jährigen Menschen ausgeht. Deshalb erscheint es kaum angebracht, generell von „den Alten“ zu reden, weshalb Tews eine Differenzierung zwischen „jungen Alten“ und „alten Alten“ sowie eine individuelle Differenzierung in bezug auf Selbsteinschätzung und Identität für notwendig hält (vgl. Tews, 1993, S. 16).
Weiterhin geht Tews von einer Neustrukturierung der Altersgrenzen aus (vgl. ebd., S. 23):
Das Alter mit seinen Altersgrenzen und Alterseinschätzungen wird durch biologische, psychologische und soziologisch-soziale Faktoren bestimmt, wobei aber die Altersentwicklung in Bezug auf Altersgrenzen und Alterseinschätzungen differenziert zu betrachten ist. Während man als 70jähriger aufgrund biologischer Kriterien noch nicht zu den Alten gehört, wird man gesellschaftlich als alt betrachtet mit Beginn der Berufsaufgabe. Dabei klaffen Selbst- und Fremdeinschätzungen bei den älteren Menschen auseinander: Von den anderen als alt wahrgenommen, fühlen sie sich selbst als noch nicht alt, solange der Gesundheitszustand stabil ist.
Altersgrenzen und Alterseinschätzungen verschieben sich also in Abhängigkeit zum jeweiligen körperlichen und seelischen Wohlbefinden sowie zur Unabhängigkeit in der Lebensführung der älteren Personen und schlagen sich auch in den Wahrnehmungsprozessen nieder.
In einer Gesellschaft, in der eine zeitige Berufsaufgabe immer mehr zur Normalität wird, der Gesundheitszustand des älteren Personenkreises immer länger als unproblematisch bezeichnet werden kann und dessen psychologische Kompetenz jenseits der Lebensmitte auf sehr vielen Gebieten zunimmt, werden die Altersgrenzen zwar nicht aufgehoben, sondern verschoben und verändert in „sichtbare und weniger sichtbare, fixiertere oder eher fließende“ (Tews, 1993, S. 23). Diese Veränderungen und Verschiebungen in den Bereichen sonst üblicher Alternsbestimmungen sind das Ergebnis eines gesellschaftlichen Wandels (vgl. Tews, 1989, S. 130).
Aber nicht nur die demographischen Strukturen verändern sich, sondern auch die damit einhergehenden sich verändernden Bedingungen des Alterns in ökonomischer, politischer und familialer Hinsicht haben Auswirkungen auf Individuum, Gesellschaft und Wirtschaft. Demnach beschreibt Tews die jungen Alten mit folgenden herausragenden Merkmalen:
Ihr Gesundheitszustand ist noch relativ stabil, die meisten sind materiell gut abgesichert, mittlerweile frei von den herkömmlichen Belastungen für Beruf und Familie und verfügen zunehmend über eine höhere Bildung. Aus dieser Lebenssituation heraus entstehen veränderte Ansprüche, Bedürfnisse und Vorstellungen, wie die erweiterte und unbelastetere verbleibende Lebenszeit sinnvoll und befriedigend verbracht werden kann (vgl. Tews, 1989, S. 129).
Ein weiteres Merkmal der jungen Alten zeigt sich in vermehrten politischen Aktivitäten. Als Wählergruppe stellen sie mittlerweile ein Drittel der Wahlberechtigten mit der höchsten Wahlbeteiligung und werden umso mächtiger, „je mehr man um sie werben muss“ (ebd., S. 130). Dies ist einer der Gründe, weshalb in den letzten Jahren über die „wachsende Altenmacht“ und deren potentielle Einwirkung auf politische Geschehnisse diskutiert wird. Wenn man davon ausgeht, dass die 60- bis 70jährigen SeniorInnen die wahlfreudigste Gruppe darstellen, leuchtet ein, dass die älteren Wähler über die Wahlmehrheit in unserer Gesellschaft bestimmen (vgl. Mackroth/Ristau, 1993, S. 297). Das Wählerpotential der jüngeren Generation dagegen nimmt aufgrund der demographischen Entwicklungen zahlenmäßig ab, weshalb nach Necker (1993, S. 84) auf eine ausgeglichene Politik geachtet werden muss, die weder die Bedürfnisse der einen noch der anderen Generation einseitig in den Vordergrund stellt.
In diesem Sinne sieht Tews eine immer größer werdende Altenmacht bei den nachwachsenden älteren Generationen entstehen, je beweglicher die älteren Menschen in ihren Wahlmöglichkeiten werden (vgl. Tews, 1987b, 1990d, zit. n. Tews, 1993, S. 20).
Ein zusätzlicher aktueller Diskussionspunkt ist die Ansammlung von Vermögenswerten, über die die ältere Generation durch eine kontinuierliche Wohlstandsentwicklung, durch auszahlungsreife Versicherungen sowie Haus- und Grundstückbesitz verfügt. Im Hinblick auf die künftig zu erwartenden Kapitalumschichtungen über Erbschaften in Westdeutschland schreibt Schröder (1990, zit. nach Tews, 1993, S. 20f.): „So ist zu erwarten, dass allein durch Erbschaften bis zum Jahr 2000 insgesamt knapp zwei Billionen Mark familienintern umgeschichtet werden: 800 Milliarden Mark Geldvermögen, 840 Milliarden Mark, die aus fälligen Kapitallebensversicherungen herrühren. Hierbei ergeben sich im Hinblick auf die Generation von Erben folgende Konsequenzen:
- Immer mehr Erbschaftsfälle (...) stehen in erheblicher Größenordnung zur Umschichtung an.
- Die zu erwartenden Erbschaftsübertragungen in Form von Geld- und Grundvermögen erfolgen auf immer weniger Erben.“
Hier stellt sich die Frage, ob damit eine gesellschaftliche Aufwertung des Alters erfolgt durch die Aufwertung der Älteren als Erblasser.
Gleichzeitig zeigen die Modifikationen der Altersstruktur auch starken Einfluss auf die Rentenversicherung. Stehen gegenwärtig noch mehr als zwei Arbeitende einem Rentner gegenüber, wird im Laufe dieses Jahrtausends ein Berufstätiger einen Rentenempfänger mitfinanzieren müssen. Da aber die Höhe der Renten neben der Anzahl der Arbeitskräfte und Produktivität entscheidend von der geleisteten Arbeitszeit abhängt, werden die älteren Beschäftigten von morgen wohl eher mehr als weniger arbeiten müssen (vgl. Necker, 1993, S. 87).
Lehr (1990, S. 120) geht davon aus, dass nicht nur aufgrund der demographischen Entwicklungen, sondern auch aufgrund der veränderten Anforderungen am Arbeitsplatz ältere Berufstätige demnächst „mangels jüngerer Arbeitskräfte (...) wieder gebraucht und umworben“ werden. Da diese höheren arbeitsmäßigen Anforderungen immer mehr im geistigen Ersatz zur Muskelarbeit bestehen, sind ältere Menschen, sofern sie die Chance der beruflichen Weiterbildung nutzen, im Gegensatz zu den früher herrschenden Arbeitsbedingungen im Vorteil. Darüber hinaus bieten die veränderten heutigen Arbeitsinhalte (also zunehmend weniger Muskelarbeit durch die technischen Fortschritte, dafür mehr Kopfarbeit) auch Frauen die Möglichkeit, sich einen Zugang zu allen Berufen zu ermöglichen.
Gerontologischen Befunden nach ist die Gruppe der älteren Personen heute viel länger leistungs- und aufnahmefähig, so dass das Alter als solches kein Kriterium mehr für Beschäftigung sein kann (vgl. Necker, 1993, S. 88).
Diese angeführten Faktoren werden sich in positiver Art und Weise einerseits auf den älteren Menschen und andererseits auch auf die Gesellschaft wie folgt auswirken (vgl. Lehr, 1990, S.120):
- Selbstbewusstsein und Selbstbild der älteren Generation werden aufgewertet,
- geistige Aktivitäten und ein flexibles Verhalten werden durch Weiterbildungsmaßnahmen unterstützt, wodurch einem altersmäßigen Abbau entgegengearbeitet wird,
- das Altersbild erhält einen positiven Stellenwert in der Gesellschaft,
- die Bejahrten bleiben informiert, gehören damit nicht automatisch zum alten Eisen und bleiben sozial integriert,
- Kosten im Gesundheitswesen können reduziert werden (unter anderem aufgrund der positiveren Gestimmtheit der älteren Menschen).
Als eine weitere Auswirkung des Alterungsprozesses auf die Wirtschaft wird von Necker (1993, S. 88) ein Wandel der Nachfragestrukturen angeführt. Die älteren Konsumenten sind in der Regel an anderen Verbrauchsgütern interessiert bzw. bevorzugen andere Dienstleistungen als jüngere Menschen. Hier reagiert der Markt sehr flexibel und passt sich – unter Einsatz der Medien – postwendend an, worauf im Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird.
Die aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass ältere Menschen auf vielfache Art und Weise nachdrücklich Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen ausüben können (vgl. Tews, 1993, S. 20). Gleichermaßen prägt und verändert der gesellschaftliche Strukturwandel des Alters ganz entscheidend die Lebenssituation der Menschen im Alter, die Tews mit den nachfolgend aufgeführten fünf Konzepten zu beschreiben versucht.
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- Citar trabajo
- Ursula Hoffmann-Kramer (Autor), 2002, Die verjüngten Alten - Entstehung, Bedürfnisse, Aktivitäten einer neuen Gesellschaftsgruppe, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42278
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