In der Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Familienzeichnungen von sechs bis zehn Jahre alten Kindern aus Europa, der arabischen Welt und Subsahara-Afrika bestehen.
Zur Beantwortung der Frage wurden insgesamt 201 Zeichnungen aus insgesamt dreizehn Ländern untersucht, die in drei Ländergruppen unterteilt wurden: Europa (Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal), arabische Welt (Dschibuti, Libanon, Syrien, Tunesien) und Subsahara-Afrika (Benin, Nigeria, Subsahara-Afrika).
Im ersten Teil der Arbeit soll zunächst mit Hilfe von theoretisch-literaturanalytischen Grundlagen auf Kinderzeichnungen eingegangen werden. Dabei sollen die Entwicklungsstufen von Kinderzeichnungen beschrieben werden. Zudem wird diskutiert, welche Erkenntnisse Bildmaterial liefert sowie welche kulturellen Einflüsse Kinderzeichnungen haben können. Des Weiteren soll ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Forschungsliteratur zu kulturvergleichenden Kinderzeichnungen gegeben werden. Im Anschluss soll darauf eingegangen werden, inwieweit derzeit im Kunst- bzw. Gestaltenunterricht auf das Thema Interkulturalität und Transkulturalität eingegangen wird.
Im zweiten Teil soll auf Basis von theoretisch-literaturanalytischen Grundlagen auf das Thema Familie eingegangen werden. Dabei soll erläutert werden, welche Informationen man von Familienzeichnungen bekommen kann, welche Bedeutung das Thema Familie in der Kunstpädagogik hat, wie sich das Familienbild in der Gesellschaft in Deutschland gewandelt hat und zuletzt wie das Familienbild in anderen Kulturen aussieht.
Im empirischen Teil dieser Arbeit sollen auf formal-ästhetischer Ebene die Darstellung der menschlichen Figur sowie der Familie, des Raumes und der Umgebung verglichen werden. Die Ergebnisse sollen mit Hilfe der bestehenden Forschungsliteratur, persönlicher Kommunikation und eigener Erfahrungen kulturell eingeordnet werden. Somit soll untersucht werden, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen den dargestellten Symbolisierungsformen und den Lebensbedingungen der Kinder aus den verschiedenen Regionen gibt.
Inhalt
1 Einleitung
2 Kinderzeichnungen
2.1 Entwicklungsstufen von Kinderzeichnungen
2.1.1 Schmierphase
2.1.2 Kritzelphase
2.1.3 Schemaphase
2.1.4 Jugendalter
2.2 Bildmaterial als Erkenntnisquelle
2.3 Kulturelle Einflusse auf die Kinderzeichnung
2.4 Uberblick zur Forschungsliteratur
2.5 Inter- und transkulturelle Kunstpadagogik
3 Familie
3.1 Die Familienzeichnung
3.2 Das Familienthema in der Kunstpadagogik
3.3 Der Wandel des Familienbildes in Deutschland
3.4 Das Familienbild im kulturellen Vergleich
3.4.1 Migration in Deutschland
3.4.2 Der Wert des Kindes fur seine Eltern
3.4.3 Rollenverteilungen in der Familie
3.4.3.1 Europa
3.4.3.2 Subsahara-Afrika
3.4.3.3 Arabische Welt
4 Ergebnisse und Diskussion
4.1 Material und Methoden
4.2 Menschliche Figur
4.2.1 Augen
4.2.2 Nase
4.2.3 Mund
4.2.4 Haare
4.2.5 Hande
4.2.7 Brust
4.2.8 Knie
4.2.9 Kleidung und Schmuck
4.2.10 Geschlechterunterschiede
4.3 Strukturelle Charakteristika der Familiendarstellung
4.3.1 Familienmitglieder
4.3.2 GroBendarstellung der Familienmitglieder
4.3.3 Nahe und Distanz der Familienmitglieder
4.3.4 Anordnung der Familienmitglieder
4.3.5 Familienmitglieder bei einer Aktivitat
4.4 Raum und Umgebung
4.4.1 Positionierung der Familienmitglieder auf dem Zeichenblatt
4.4.2 Raumdarstellung
4.4.3 Elemente in der Umgebung
5 Zusammenfassung und Ausblick
6 Abbildungsverzeichnis
7 Tabellenverzeichnis
8 Diagrammverzeichnis
9 Quellen
Danksagung
An dieser Stelle mochte ich all jenen danken, die mich im Rahmen dieser Staatsexa- mensarbeit begleitet haben. Ganz besonders mochte ich Herrn Dr. Joachim Penzel und Frau Dr. Siglinde Spuller von der Martin-Luther-Universitat Halle-Wittenberg fur ihre fachliche Unterstutzung danken.
Des Weiteren mochte ich all den Personen danken, die mich dabei unterstutzt haben, Kinderzeichnungen aus den verschiedenen Landern zu erhalten: Niklas Nilsson aus Da- nemark, Juliane ReiBig, Rosa Scherer und Grit Winterfeld aus Deutschland, Michael Lancaster aus GroBbritannien, Sara Bottino aus Italien, Pawel St^pien aus Polen, Daniel Santos aus Portugal, Houda El Noor aus Dschibuti, Ghanem Kassem aus dem Libanon, Modar Sulieman und Rawnak Hassan aus Syrien, Yasmina Matar aus Tunesien, Hubert Bright Gbessemehlan und Silvere Hounsou aus Benin, Zayd Gaya und Samir Balarabe Gaya aus Nigeria sowie Angelika Schindel, Grundschulleiterin der Deutschen Schule Pretoria in Sudafrika.
1 Einleitung
Lange wurden Forschungsergebnisse zu Kinderzeichnungen wie die Entwicklungsstu- fen von Kinderzeichnungen oder Merkmale der zeichnerischen Bildkomposition als universelle Phanomene angesehen (vgl. Schuster 2000: 128). Erst jungste Forschungen machen deutlich, welchen Einfluss kulturelles und historisches Wissen auf menschli- ches Verhalten (vgl. Oerter 1988: 333), aber auch die Wahrnehmung und Einstellungen (vgl. Mayekiso 1986: 191) haben.
Mit zunehmender Globalisierung und Internationalisierung vieler Bereiche des taglichen Lebens gewinnen kulturvergleichende Studien in zahlreichen Fachbereichen wie der Soziologie, Anthropologie, Psychologie oder Demografie an Bedeutung (vgl. Tromms- dorff et al. 2005: 313). Sie bieten die Moglichkeit, ein besseres Bewusstsein fur die Chancen einer kulturell vielseitigen Gesellschaft zu bekommen. Im Zuge der Globalisierung und Migration entstehen vollig neue ,,Bild- und Medienwelten [...][, die] indi- viduelle[...] Lebenswelten und globale Entwicklungen ganz neu arrangieren“ (Muller 2013: 177). Schulen und therapeutische Einrichtungen stehen nun vor der Herausforde- rung, sich mit den verschiedensten kulturellen Ausdrucksweisen von Kindern und Ju- gendlichen auseinanderzusetzen, um einen bestmoglichen Umgang mit der kulturellen Vielfalt zu ermoglichen. Bisher findet das Thema Interkulturalitat und Transkulturalitat jedoch noch wenig Berucksichtigung in Schulen (vgl. Rist 2009, zitiert nach Oswald 2010: 401f.). Aus diesem Grund soll die vorliegende Arbeit zu einer verstarkt international und interkulturell ausgerichteten Kunstpadagogik beitragen. Des Weiteren soll die Arbeit Moglichkeiten aufzeigen, wie das Lesen, Beurteilen und Verstehen von Kinderzeichnungen aus verschiedenen Kulturen aussehen kann.
Die Untersuchung von Kinderzeichnungen aus anderen Landern geht auf eine nun be- reits mehr als hundertjahrige Geschichte zuruck. Es gibt jedoch nur wenige Forschungen, die sich mit Kinderzeichnungen aus verschiedenen Kulturen auseinandersetzen und es konnte keine Untersuchung gefunden werden, die Lander zu Landergruppen zusam- menfasst, die sich kulturell nahestehen und diese mit anderen Landergruppen vergleicht.
Die Zeichnungen wurden bei bisherigen Studien in der Regel aus westlichen Ansichten heraus untersucht, wobei hinterfragt werden muss, was die Perspektive der Kultur, in der die Forschung betrieben wird, fur einen Einfluss auf die Auswertungsergebnisse hat (vgl. Wolter 2007: 2). Eine interkulturelle Untersuchung von Kinderzeichnungen konnte Ergebnisse liefern, die dazu beitragen konnen, Kinder in ihrem nonverbalen Ausdruck besser zu verstehen, ,,Lem- und Entwicklungsanreize zu ermitteln und gegebenenfalls auch therapeutische Hilfestellungen leisten zu konnen“ (Muller 2013: 163). Daneben konnen die Zeichnungen von Kindern aus verschiedenen Landern auch zur inter- und transkulturellen Bildung genutzt werden, um sich der eigenen Kultur und Lebensum- stande bewusst zu werden, Verstandnis und Neugier fur andere Kulturen zu entwickeln und Vorurteile abzubauen (vgl. Jager 2013: 603).
Wahrend meines Praktikums an der Deutschen Schule Pretoria in Sudafrika vom Febru- ar bis Marz 2016 fiel mir bei einer Kunststunde in einer englischsprachigen Vorschul- klasse auf, dass die Kinder alle ihre Hautfarben zeichneten, wahrend ich dies bisher in der Haufigkeit eher weniger unter deutschen Kindern beobachtet hatte. Die Beobach- tung war Anlass fur die Frage, ob die durch die Apartheid gepragte Gesellschaft in Sud- afrika vielleicht Einflusse auf die Kinderzeichnungen haben konnte. Leider konnte diese Fragestellung schlussendlich nicht mit in die Analyse dieser Studie einflieBen, da viele Kinder offenbar keine farbigen Stifte zur Verfugung hatten. Diese Beobachtung wurde jedoch zum Ausgangspunkt, mich genauer mit kulturellen Unterschieden in Kinderzeichnungen auseinanderzusetzen. Um Zeichnungen aus den untersuchten Landergrup- pen zu erhalten, halfen mir personliche Kontakte. Diese lernte ich vor allem durch mein Praktikum an der Deutschen Schule Pretoria in Sudafrika, zwei Praktika an englischen Grundschulen (3 Monate an der St. Peter's Primary School, Ardingly und 2 Wochen an der Reay Primary School in London), meinen Erasmusaufenthalt an der Newcastle University (GroBbritannien), drei Deutschkurse des Goetheinstitutes mit Schulern aus aller Welt, fur die ich als Praktikant und spater als Betreuer, arbeitete sowie meine Arbeit bei ESN Halle (Erasmus Student Network), kennen.
Ein GroBteil der Migranten, die derzeit nach Deutschland kommen, stammt aus der ara- bischen Welt und Subsahara-Afrika (vgl. Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge 2017: 8). Aus diesem Grand soil die vorliegende Studie dem Vergleich von Subsahara- Afrika und der arabischen Welt mit Europa dienen. Die Altersgruppe der einbezogenen Kinder wurde auf sechs bis zehn Jahre beschrankt. Der Grand dafur ist einerseits, dass die Arbeit im Rahmen des Grundschullehramtsstudiums verfasst wurde, aber auch, dass Kinder ab diesem Alter mehr Kontakt mit der Welt auBerhalb ihres Elternhauses haben und somit sehr gut die Welt, die sie zu Hause erleben und die Welt auBerhalb, die sie mit dem Beginn der Schule erleben, vereinen (vgl. Serjouie 2010: 425). Fur das Zei- chenmotiv ,,Familienzeichnung“ habe ich mich entschieden, da Familienzeichnungen neben der unterschiedlichen Darstellung der Menschen, Aufschlusse uber Familien- konstellationen, Umgebung, Aktivitaten und Wertevorstellungen, die innerhalb einer sich kulturell nahestehenden Landergruppe verbreitet sind, geben konnen.
In der vorliegenden Arbeit soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Unter- schiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Familienzeichnungen von sechs bis zehn Jahre alten Kindern aus Europa, der arabischen Welt und Subsahara-Afrika bestehen.
Zur Beantwortung der Frage wurden insgesamt 201 Zeichnungen aus insgesamt drei- zehn Landern untersucht, die in drei Landergruppen unterteilt wurden: Europa (Dane- mark, Deutschland, GroBbritannien, Italien, Polen, Portugal), arabische Welt (Dschibuti, Libanon, Syrien, Tunesien) und Subsahara-Afrika (Benin, Nigeria, Subsahara-Afrika).
Bei der vorliegenden Arbeit wurde eine eher formanalytische Auswertungsmethode gewahlt. Es wurden nur teilweise Kriterien des Mann-Zeichen-Test (MZT) von Ziler (1990) verwendet, weil die hier vorliegende Studie eine kulturspezifische Realisation dessen darstellt und um diese herauszustellen noch andere Kriterien einbezogen werden mussen. Aus diesem Grund findet man hier eine Art angepassten MZT, der eine kulturspezifische Untersuchung zulasst. Bei der vorliegenden quantitativen Untersuchung wurde daher, in Anlehnung an die Kriterien, die in John-Winde und G. Roth-Bojadzhiev (1993: 316-320), Liebertz et al. (2001: 123-162), Schreiber und Richter (2001: 269-284) und Ziler (1990) aufgefuhrt werden, ein eigener Merkmalkatalog erstellt. Zur Auswer- tung der erfassten Kriterien wurde der Merkmalkatalog in eine Excel Tabelle ubertragen und die Zeichnungen aus den einzelnen Landergruppen hinsichtlich der Merkmale un- tersucht.
Im ersten Teil der Arbeit soil zunachst mit Hilfe von theoretisch-literaturanalytischen Grundlagen auf Kinderzeichnungen eingegangen werden. Dabei sollen die Entwick- lungsstufen von Kinderzeichnungen beschrieben werden. Zudem wird diskutiert, wel- che Erkenntnisse Bildmaterial liefert sowie welche kulturellen Einflusse Kinderzeichnungen haben konnen. Des Weiteren soll ein kurzer Uberblick uber die Entwicklung der Forschungsliteratur zu kulturvergleichenden Kinderzeichnungen gegeben werden. Im Anschluss soll darauf eingegangen werden, inwieweit derzeit im Kunst- bzw. Gestal- tenunterricht auf das Thema Interkulturalitat und Transkulturalitat eingegangen wird.
Im zweiten Teil soll auf Basis von theoretisch-literaturanalytischen Grundlagen auf das Thema Familie eingegangen werden. Dabei soll erlautert werden, welche Informationen man von Familienzeichnungen bekommen kann, welche Bedeutung das Thema Familie in der Kunstpadagogik hat, wie sich das Familienbild in der Gesellschaft in Deutschland gewandelt hat und zuletzt wie das Familienbild in anderen Kulturen aussieht.
Im empirischen Teil dieser Arbeit sollen auf formal-asthetischer Ebene die Darstellung der menschlichen Figur sowie der Familie, des Raumes und der Umgebung verglichen werden. Die Ergebnisse sollen mit Hilfe der bestehenden Forschungsliteratur, personli- cher Kommunikation und eigener Erfahrungen kulturell eingeordnet werden. Somit soll untersucht werden, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen den dargestellten Symbolisierungsformen und den Lebensbedingungen der Kinder aus den verschiedenen Regionen gibt.
2 Kinderzeichnungen
2.1 Entwicklungsstufen von Kinderzeichnungen
Heutzutage wird meist davon abgesehen, genaue Altersangaben fur die verschiedenen Merkmale in der Entwicklung von Kinderzeichnungen festzulegen. Grand dafur ist, dass das Zeichnen in einer bestimmten Entwicklungsstufe stark von ,,sozio-kulturellen Bedingungen“ (Mollenhauer 1969: 271f.) sowie ,,historischen und kulturellen Mustem und Systemen“ (Wiegelmann-Bals: 2009: 29) beeinflusst wird. Auch die ,,Anregung und [...] [das] Vorbild der Geschwister“ (Schuster 1994: 32) oder anderer nahestehen- der Kinder oder Erwachsener konnen eine Rolle spielen. Nicht auBer Acht zu lassen ist zudem die Situation, in dem sich das Kind befindet, sein Befinden, aber auch das Zei- chenmaterial (vgl. Gernhardt 2012: 11). Dementsprechend treten die Stufen unter- schiedlich spat auf und teilweise werden typische Entwicklungsmerkmale (wie z.B. der KopffuBler) ganzlich ubersprungen (vgl. Schuster 1994: 32). Altersangaben konnen aus diesem Grund nur als grober Richtwert dienen. Im Folgenden sollen die vier Entwick- lungsstufen von Kinderzeichnungen: Schmierphase, Kritzelphase, Schemaphase und Jugendalter kurz erlautert werden. Die in der vorliegenden Studie untersuchten Zeich- nungen sollten in die Schemaphase und den Beginn des Jugendalters einzuordnen sein.
2.1.1 Schmierphase
Spuren zu setzen, sind Bedurfnisse, die bereits seit Anbeginn der Menschheit zu be- obachten sind (vgl. Keller 2010: 8). ,,[V]om achten bis neunten Monat“ (Wolter 2010: 61) an erzeugen die Kinder mit der Hand oder den Fingern Spuren beispielsweise im ,,Brei, Sand oder Matsch“ (Gernhardt 2012: 7). Diese Aktivitaten ,,entstammen der Freude an Bewegung, Funktionslust genannt“ (Wolter 2010: 61). Zu sehen, dass die im Material hinterlassene Spur bestandig ist, hinterlasst beim Kind ein Gefuhl der Zufrie- denheit (vgl. Wolter 2010: 61).
2.1.2 Kritzelphase
Die Kritzelphase beginnt bei den meisten Kindem „zwischen eineinhalb und drei Jah- ren“ (Gernhardt 2012: 7). Diese Phase beginnt damit, dass das Kind die Fahigkeit ent- wickelt zu greifen (vgl. Wolter 2010: 61), womit es ihm ermoglicht wird, beispielsweise einen Stift zu halten und damit auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Die Kritzelphase lasst sich noch einmal in drei Phasen unterteilen: „Hiebkritzel[...][,]Gestenkritzel[...] [und] Konzeptkritzel“ (Wolter 2010: 61).
Am Anfang zeichnet das Kind sog. „Hiebkritzel“ (Wolter 2010: 61): Durch „die Bewe- gung des gesamten Armes hinterlasst [das Kind] einen punktformigen Hieb mit einem auslaufenden Ruck auf der Flache“ (Wolter 2010: 61). Hinzu kommen „Schwingkritzel“ (Schuster 1994: 33) und „strichartige Kritzel“ (Wolter 2010: 61). Mit etwa 18 Monaten werden sog. „Gestenkritzel“ (Wolter 2010: 61) gezeichnet. Zeichenbewegungen sind nun nichtmehr ausschlieBlich zufallig, sondern konnen unterbrochen und gesteuert werden (vgl. Wolter 2010: 61). Das Kind beginnt jetzt die Linie zur Kreisform zu schlieBen (vgl. Wolter 2010: 61). Beim „Konzeptkritzeln“ (Wolter 2010: 61), auch „sinnunterleg- te[s] Kritzeln“ (Schuster 1994: 13) genannt, welches mit etwa zwei Jahren und funf Monaten beginnt, findet man erstmalig „erkennbare Darstellungsanteile“ (Wolter 2010: 61f.). Das Kind beginnt hier auch, das Gezeichnete zu beschreiben und ihm eine Bedeu- tung zu geben, auch wenn sich diese oft nur schwer oder gar nicht in der Zeichnung wiedererkennen lasst (vgl. Schuster 1994: 34 f., Wolter 2010: 62). Teilweise werden den Zeichnungen zu einem spateren Zeitpunkt sogar andere Bedeutungen zugewiesen (vgl. Schuster 1994: 35).
2.1.3 Schemaphase
Mit zwei Jahren und sechs Monaten bis zu funf Jahren beginnen die Kinder, bestimmte zeichne- rische Elemente, sog. Schemata wie „Kreis, Strich, Oval, Zickzack usw. [...] [herauszubil- den], aus denen alle Abbildungen aufgebaut werden“ (Schuster 1994: 35). Menschen werden von vielen Kindern als sog. „Kopffufiler“ (siehe Abbildung 1) dargestellt (Wolter 2010: 62), ei- ner Menschendarstellung, bei dem aus dem Kopf direkt die Beine hervorgehen (er musste daher eigentlich „Kopfbeinler“ heifien). Es gibt zahlreiche mogliche Ursachen fur die Zeichnung des KopffuBlers: Die Kinder vergessen, dass es einen Bauch gibt, der Kreis stellt Kopf und Bauch zugleich dar, der Rumpf befindet sich fur die Kinder ge- danklich zwischen den Beinen oder aber die Kinder bevorzugen Symmetrie (die Kopf- fuBler-Zeichnung ist symmetrischer als eine Zeichnung mit Bauch) (vgl. Schuster 1994: 43- 46). Zunachst ist die Farbwahl willkurlich, mit zunehmenden Alter ubernehmen Kinder jedoch meist die kulturell vorgegebenen Farben (vgl. Schuster 1994: 36). Diese stimmen jedoch nicht immer mit der Realitat uberein: Beispielsweise ist das Wasser in deutschen Gewassern eher grun oder braun, wird jedoch von Kindern in der Regel blau gezeichnet (vgl. Schuster 1994: 36). Um eine Tiefendarstellung zu ermoglichen, zeich- nen Kinder oft sog. ,,Streubilder“ (Schuster 1994: 36, Gernhardt 2012: 2), bei denen die Figuren und Gegenstande ohne gemeinsame Ausrichtung uber das gesamte Blatt Papier verteilt werden (vgl. Schuster 1994: 36).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kopffubler, Turkei(l), Asil, Junge 6 Jahre
Im Alter von funf bis acht Jahren losen sich die Kinder vom KopffuBlerschema und beginnen Konturen zu den schematischen Zeichnungen hinzuzufugen (vgl. Schuster 1994: 36). So wird beispielsweise ,,das Gesicht im Profil“ (Schuster 1994: 36) gezeichnet. Zudem zeichnen Kinder sog. ,,Transparentbilder“ (Schuster 1994: 36), auch „Ront- genbilder“ (Schuster 1994: 47) genannt, bei denen das Innere eines Objektes gezeigt wird, was jedoch auBerlich nicht sichtbar ist und sich uberdeckende Linien nicht wegge- lassen werden (vgl. Schuster 1994: 36f.). Laut Schuster (2010: 37) verwenden „96 Pro- zent der 8jahrigen eine Grundlinie, auf der die Figuren und Gegenstande der Abbildung stehen“.
2.1.4 Jugendalter
Im Alter von acht Jahren bis zur Adoleszenz versuchen die Kinder immer naturalisti- scher zu zeichnen (vgl. Schuster 1994: 37). Den meisten Kindern gelingt es, nicht sicht- bare Bildteile auszulassen und perspektivisch zu zeichnen (vgl. Schuster 1994: 37). Es werden drei Arten perspektivischer Zeichnungen unterschieden: ,,Schragbilder“ (Academic o. J., Lerch o. J.) (Linien, die schrag nach hinten verlaufen, sollen die Raum- tiefe verdeutlichen), ,,Luftbilder“ (Academic o. J., Lerch o. J.) (Ansicht des Raumes von oben, ahnlich eines Stadtplanes) und ,,Horizontalbilder“ (Academic o. J., Lerch o. J.) (horizontaler Blick auf den Raum, Himmel und Erde treffen sich, typische Himmels- und Grundlinien sind eingezeichnet) (vgl. Academic o. J., Lerch o. J.).
2.2 Bildmaterial als Erkenntnisquelle
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt sich um eine kulturvergleichende Studie, bei der Familienzeichnungen das Untersuchungsinstrument sein sollen, um die Sicht des Zeichners1auf die eigene Familie, aber auch die Erfahrungen und Lebensumstande der jeweiligen Region sichtbar zu machen. Neben der Abbildung von Lebenserfahrungen sind Familienzeichnungen aber vor allem auch Ausdruck kultureller Identitat (vgl. Muller 2013: 162). Diese lasst sich beispielsweise in Familienkonstellationen (GroBendar- stellungen, Anordnung der Familienmitglieder), Gestaltungsmerkmalen wie der Darstel- lung verschiedener Korperteile sowie von Kleidung und Schmuck oder in der Abbil- dung der Umgebung erkennen. Damit stellt die Kinderzeichnung ein Medium dar, ne- ben der AuBenwelt auch die Innenwelt des Zeichners zum Ausdruck zu bringen (vgl. Muller 2010: 413). Im Zentrum der Erforschung von Kinderzeichnungen steht daher das Verstandnis uber ihr subjektiv Gemeintes, welches einen Nachvollzug ihrer Lebens- wirklichkeit bedingt (vgl. Muller 2010: 412). Nach Wichelhaus (1989: 197) lassen sich die Zugangswege zur Erforschung von Kinderzeichnungen in drei Gruppen unterteilen, die jedoch miteinander zusammenhangen: Die Kinderzeichnung als Entwicklungspha- nomen, als Ausdruck der Personlichkeit und als asthetisches Phanomen.
Zeichnungen sind eine nonverbale Kommunikationsform, die eine Kommunikation er- leichtern kann. Kinder sind oft noch nicht in der Lage, abstrakte Inhalte und innere Bil- der sprachlich auszudrucken (vgl. Muller 2010: 416). Die Kinderzeichnung bietet ihnen einen Weg, ihre Sichtweise auf die Familie mit Hilfe von Symbolisierungsformen (vgl. Muller 2010: 416, Mayekiso 1986: 3) darzustellen. Die Fahigkeit der Abstraktion ent- wickelt sich erst spater, weshalb eine Betrachtung des Kindesalters von Noten ist, um die Zeichnung und vorhandene Ausdrucksformen in die Phasen der Entwicklung kindli- cher Zeichnungen einordnen zu konnen (vgl. Muller 2010: 416). Der nonverbale Aspekt der Kinderzeichnung hat bei kulturvergleichenden Studien zudem den Vorteil, dass kei- ne sprachbedingten Verstandigungsschwierigkeiten entstehen. ,,Kinderzeichnungen sind als Entwicklungsgeschehen uber den westlichen Kulturraum hinaus zu beobachten und ermoglichen als Datenquelle auch einem ,,kulturfremden Forscher Zugang zu einer Kommunikationsbasis“ (Muller 2010: 413).
Andere Ideen, die Kinder gerne ausdrucken wurden, lassen sich hingegen nur schwer von ihnen zeichnerisch darstellen. So wurde beispielsweise in Otto und Otto (1987: 248) beschrieben, dass eine Schulklasse dazu aufgefordert wurde, die Familie im Urlaub zu zeichnen. Ein Madchen hatte den ganzen Urlaub uber nur mit der Schwester gespielt und nicht mit dem Bruder und hatte Schwierigkeiten, dies in einem Bild darzustellen. Aus diesem Grund unterscheidet NeuB (2005: 337f.) zwei Ebenen: Die Reprasentations- und Imaginationsebene. Die Reprasentationsebene, das sinnlich Wahrnehmbare, kann durch den Betrachter erschlossen werden. Sie umfasst beispielsweise die dargestellten Farben und Formen. Die Imaginationsebene dagegen umfasst die imaginierten Elemen- te, die nur dem Bildautor (hier dem Kind) bekannt sind. Sie bezieht sich darauf, was der Zeichner mit seinem Bild assoziiert, das heiBt auf Vorstellungen und Phantasien, die er zu seiner Zeichnung hat.
Der Betrachter von Kinderzeichnungen kann nie vollstandig objektiv sein, da die Art und Weise der Interpretation von Zeichnungen mit dem sozialen und kulturellen Hinter- grund des Betrachters und dessen Erfahrungen in der Bildbetrachtung variiert (vgl. Mul- ler 2010: 409, Mollenhauer 1997: 249). Das Deuten und Verstehen von Kinderzeichnungen stellt daher eine Herausforderung dar, da es von individuellen, geschichtlichen und kulturellen Bedingungen des Interpreten abhangt (vgl. Muller 2010: 409).
Da die Kinderzeichnung durch eine Vielzahl aus potenziellen und situativen Einflussen bestimmt wird, stellt sie ein vielschichtiges Kommunikationsphanomen dar (vgl. Muller 2010: 410, Wichelhaus 1989: 197). Entscheidende Einflusse konnen beispielsweise von der Familie, Gesellschaft, Kultur und Medien ausgehen (vgl. Serjouie 2010: 428). Der Vergleich von Kinderzeichnungen aus verschiedenen Landern kann sehr nutzlich sein, um herauszufinden, welche Eigenschaften der Kinderzeichnungen aus der kindlichen Entwicklung selbst hervorgehen und welche auf kulturelle Hintergrunde zuruckzufuhren sind (vgl. Schuster 1994: 156). Daher fordert Mollenhauer (1997: 249), dass bei der Interpretation von Kinderzeichnungen neben dem Erkennen der Strukturen des Ge- zeichneten auch der Kontext der Bildentstehung betrachtet werden muss, das heiBt der Verwendungszusammenhang und die Selbstaussagen des Kindes. Aufgrund der Vielzahl der in die Untersuchung einbezogenen Lander war es hier jedoch leider nicht mog- lich, derartige Kontexte zu berucksichtigen.
Das Medium Kinderzeichnung hat den Vorteil, dass es weniger vom „Forscherblick“ (Muller 2010: 415) beeinflusst ist, als viele andere Datenquellen, wie beispielsweise der Fragebogen oder das Interview. Grand dafur ist, dass das Kind eigenstandig uber das Familienleben reflektiert und seine Sicht dazu wiedergibt, ohne dabei kontinuierlich von den Intentionen des Forschers beeinflusst zu werden. Nachteilig ist jedoch, dass die Interpretation von Kinderzeichnungen und somit die Transformation des Gezeichneten in Sprache das Risiko einer ungenugenden „Ubersetzung“ und somit einer eingeschrankten Gultigkeit mit sich bringt. (vgl. Muller 2010: 412-415)
2.3 Kulturelle Einflusse auf die Kinderzeichnung
Kulturelle Kontexte, in denen Kinder aufwachsen, nehmen einen entscheidenden Ein- fluss auf die identitatsrelevanten Wertevorstellungen und das Verhalten von Individuen (vgl. Muller 2013: 162). Sie beeinflussen die Art und Weise, in denen Menschen sich und ihre Umwelt wahrnehmen (vgl. Muller 2013: 162). Heranwachsende erfahren ihre Sozialisation durch die Interaktion mit Gesellschaften und Kulturen, der Natur, traditio- nellen und modernen Medien, aber auch Sozialsystemen wie Institutionen und sozialen Gruppen (vgl. Muller 2013: 165), wobei die Familie die wohl nachhaltigste Sozialisati- onsinstanz darstellt (vgl. Maccoby 2015: 4).
Mit zunehmendem Alter nimmt der Einfluss der Gesellschaft und Kultur (vgl. Muller 2013: 165) auf die Kinder und Jugendlichen zu, was sich auch in deren gestalterischen Ausdruck wiederfinden lasst. Besonders in der Phase der spaten Kindheit und fruhen Jugend beginnen die Heranwachsenden, sich neue Gestaltungskonzepte zu erarbeiten, die sich unter anderem an ,,professionelle[n] Kunststilen, an subkulturellen Ausdrucks- formen oder an [...] Bildwelten aus den technischen Medien [orientieren]. Politik, Oko- logie und Gesellschaftskritik konnen ebenso pragend sein“ (Muller 2013: 165).
2.4 Uberblick zur Forschungsliteratur
Die Erforschung von Kinderzeichnungen in den Wissenschaften geht auf eine uber hun- dertjahrige Geschichte zuruck (vgl. Muller 2010: 411, Wolter 2007: 2)2. Altere kultur- vergleichende Studien zu Kinderzeichnungen wie beispielsweise die von Levinstein (1905: 80) und Maitland (1899, zitiert nach Levinstein 1905: 77) fanden heraus, dass Kinderzeichnungen in verschiedenen Landern und Kulturen bis zum Alter von zehn Jahren fast gleich sind. Diese Studien waren in ihrer Methodik jedoch noch nicht sehr anspruchsvoll und verglichen nur die Zeichnungen von Kindern aus zwei Kulturen (,,Eskimo“ Kinder und ,,zivilisierte“ Kinder (Levinstein 1905: 79)). Auch wurden die gefundenen Unterschiede lediglich auf die Umgebung und das zur Verfugung stehende Material zuruckgefuhrt und kulturelle Differenzen nicht in Betracht gezogen.
Spatere Untersuchungen zogen bereits mehrere Lander mit ein, wie beispielsweise die Studie von Anastasi und Foley (1936: 700), die Kinderzeichnungen aus 42 Landern erforschte. Untersucht wurden dabei, inwieweit sich geographische, klimatische und lokale Charakteristika auf die Zeichnungen auswirken und auch kulturelle Unterschiede wurden hier schon beschrieben (vgl. Anastasi und Foley 1936: 715). Untersuchungen ab etwa 1970 zeigen ein erweitertes kulturelles Verstandnis. Row (1988) beispielsweise untersuchte Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ontogenese (vgl. Row 1988: 529) und Phylogenese (vgl. Row 1988: 186-224), die in den Kinderzeichnungen kennt- lich werden. In der neueren Forschungsliteratur lasst sich eine Anzahl an Untersuchun- gen zu Familienzeichnungen aus verschiedenen Landern finden. Dazu gehoren Studien von Wolter (2007), die Bilder von Kindern aus Ghana betrachtete, Muller (2013), die deutsche und chilenische Kinderzeichnungen untersuchte, Mayekiso (1986), die Abbil- dungen von Kindern aus Sudafrika erforschte, sowie Gernhardt (2012), die Familienzeichnungen von Kindern aus Deutschland, Kamerun und der Turkei analysierte. Ein Forschungsvorhaben, das Familienzeichnungen nicht von Landern, sondern vielmehr von Landergruppen, die durch kulturelle Gemeinsamkeiten gepragt sind, miteinander verglich, war in der Forschungsliteratur nicht zu finden. Aus diesem Grund widmet sich die vorliegende Arbeit der entsprechenden Zusammenfassung von Landern zu Lander- gruppen, die sich kulturell nahestehen, so dass Verallgemeinerungen uber diese Gebiete getroffen werden konnen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Regionen herausgestellt werden konnen.
Die Zusammenfassung zu Landergruppen bringt jedoch auch Schwierigkeiten mit sich. So lassen sich zahlreiche Unterschiede zwischen den Landern einer Landergruppe, aber auch bereits innerhalb der in einem Land befindlichen Gesellschaftsschichten und Regi- onen finden. Dennoch ist es moglich, bestimmte Charakteristika zu generalisieren. Dies wird daran erkennbar, dass viele Merkmale gehauft innerhalb einer Landergruppe auf- treten, wahrend sie in anderen nicht oder nur in deutlich geringer Anzahl vorhanden sind.
2.5 Inter- und transkulturelle Kunstpadagogik
Der Begriff „Interkulturalitat“ bezeichnet die Interaktion zwischen Kulturen, wenn- gleich sich diese gegenseitig beeinflussen und es verschiedenste Dynamiken in deren Interaktion geben kann. Seit den 1990er Jahren hat der Begriff „Transkulturalitat“ den Begriff „Interkulturalitat“ weitgehend in der kunstpadagogischen Theoriebildung abge- lost. „Transkulturalitat“ beschreibt ebenfalls das Verhaltnis von Kulturen zueinander. Dabei werden jedoch Kulturen als „Konstrukte ohne klare Grenzen“ (Wagner 2017: 469) angesehen, die sich gegenseitig beeinflussen, zerstoren, abgrenzen, ubernehmen etc., wobei je individuelle Auspragungen der Kultur entstehen. (vgl. Wagner 2017: 469)
Mit zunehmender Globalisierung steht die Kunstpadagogik vor zahlreichen Herausfor- derungen. Einerseits mussen Kunstpadagogen aufgrund der digitalen Medien, Entraum- lichung von Kommunikation sowie der grenzenlosen Verbreitung von Bildmaterial as- thetische Bildung neu denken (vgl. Lutz-Sterzenbach 2017: 204). Andererseits stellt die zunehmend heterogene Schulerschaft Lehrende vor die Aufgabe, inklusiven Kunstunter- richt zu gestalten und gleichzeitig die Schulerschaft fur verschiedenste Kulturen zu sen- sibilisieren.
Mit wachsenden Migrantenzahlen und Migrantenkindern, die teilweise schon in der zweiten Generation in Deutschland leben, hat man im Kunstunterricht nicht selten eine heterogene Gruppe aus Schulern mit den verschiedensten kulturellen Hintergrunden (vgl. Wolter 2007: 257). Die Herausforderung, vor der die Kunstpadagogik nun steht, ist es, kunstpadagogische Vermittlungen, Didaktiken, Forschungen und kulturelle, asthetische Werte zu finden, die den heutigen transkulturellen Anforderungen gerecht werden. Ein Se- hen zu entwickeln, das an kein festes Territorium oder Nationen gebunden ist. (Wolter 2007: 259)
In der Kultusministerkonferenz wurden die Ziele der interkulturellen Bildung und Er- ziehung folgendermaBen formuliert:
Schulen stehen vor der Aufgabe, allen Kindern und Jugendlichen unabhangig von ihrer Herkunft umfassende Teilhabe an Bildung und Chancen fur den groBtmoglichen Bildungs- erfolg zu eroffnen, zur erfolgreichen Gestaltung von Integrationsprozessen und damit zu ei- nem friedlichen, demokratischen Zusammenleben beizutragen und Orientierung fur ver- antwortungsbewusstes Handeln in der globalisierten Welt zu vermitteln. (Kultusminister- konferenz 2013: 2)
Des Weiteren kann der Kunstunterricht aber auch einen guten Rahmen darstellen, um den Heranwachsenden einen Perspektivwechsel zu anderen Kulturen zu ermoglichen, um somit zur Empathie und Anerkennung des „Fremden“ beizutragen (vgl. Lutz- 2 Kinderzeichnungen Sterzenbach 2017: 205). Die Beruhrung und Auseinandersetzung mit anderen Kulturen leistet nicht nur einen Beitrag dazu, eine sensiblere Einstellung fur Menschen anderer Kulturgruppen zu entwickeln, sondern auch dazu, die Vielfalt unterschiedlicher Kulturen als Bereicherung wahrzunehmen (vgl. Jager 2013: 610, Oswald 2010: 295). Dies konnte ein Schritt gegen das Anwachsen der rechtspopulistischen Tendenzen in Europa sein.
Leider fand das Thema Interkulturalitat jedoch bisher nur wenig Beachtung im Fach Kunst bzw. Gestalten in Deutschland und wird so beispielsweise auch nicht im Fach- lehrplan Grundschule Gestalten von Sachsen-Anhalt erwahnt (vgl. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt o. J.). Rist (vgl. 2009, zitiert nach Oswald 2010: 401) refe- riert erstmals uber eine Pilotstudie aus dem Jahr 2008 mit 42 Kunstpadagogen an 30 Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen in Baden-Wurttemberg und beschreibt, dass 90 Prozent der Befragten sich wahrend ihrer Aus- und Weiterbildung gar nicht oder nur teilweise mit dem Thema Interkulturalitat befasst haben. Zu der Frage, welche Facher geeignet waren fur die Thematisierung von Interkulturalitat, stand Kunst an dritter Stel- le: 100 Prozent gaben Religionspadagogik an, 95 Prozent Deutsch und 78 Prozent Kunst (vgl. Rist 2009, zitiert nach Oswald 2010: 401). Zur Frage, wie stark Kunstpadagogen in ihrem Unterricht auf die multikulturellen Schulklassen eingehen, gaben lediglich 18 Prozent an, „ziemlich“ oder „sehr stark“ darauf einzugehen, wahrend 57 Prozent das Thema „allenfalls ein wenig“ und 23 Prozent „uberhaupt nicht“ thematisieren. Die Stu- die zeigt deutlich, dass der Kunstunterricht der multikulturellen Situation in den Klassen nicht gerecht wird und wie sich die mangelnde Ausbildung in dem Bereich im Unter- richt wiederspiegelt. Gefordert wird daher von Lehrern, Produzenten von Lehrmitteln, Fachverbanden sowie Beteiligten der Lehrerbildung, das Thema Interkulturalitat ver- starkt im Unterricht zu thematisieren (vgl. Rist 2009, zitiert nach Oswald 2010: 402).
Um auf die Herausforderungen einzugehen, vor der die Kunstpadagogik mit der zuneh- menden Migration und Globalisierung steht, fand im April 2012 in Nurnberg der Kon- gress „Interkultur. Kunstpadagogik remixed“ (Ratzel et al. 2017: 5) statt. Auf der Ta- gung wurde das vom BDK (Bund Deutscher Kunsterzieher), erstellte Papier diskutiert, korrigiert und erganzt. Das daraus resultierende „Nurnberg-Papier“ fordert, dass Kinder und Jugendliche mittels bildnerischen Gestaltens und Reflektion dazu angeregt werden, kulturelle Vielfalt wahrzunehmen, zu analysieren und bewerten. Sie sollen „fahig werden, eigene Ideen zu entwickeln, umzusetzen und zu kommunizieren, um kulturelle Teilhabe in der Vielfalt zu erreichen“ (Lutz-Sterzenbach et al. 2013: 2).
Zum Umgang mit Inter- und Transkulturalitat im Grundschulbereich lasst sich nur sehr wenig Literatur finden. Ein von Selle (1981: 264) vorgestellter Ansatz war es, bei einem Fest im Jahr 1978 deutsche und turkische Eltern zusammenzubringen. Mehr Literatur lasst sich dagegen fur den Kunstunterricht in weiterfuhrenden Schulen finden, der sich in Teilen auch auf den Grundschulbereich ubertragen lassen konnte. Das Buch diversity im Kunstunterricht“, herausgegeben von Ernst Wagner, Rainer Wenrich und Ann- Jasmin Ratzel (2017), stellt eine Vielzahl von Projekten fur eine inter- und transkultu- relle Vermittlungspraxis vor. Im Folgenden soll je ein Projekt zur Begegnung mit au- Berschulischen Gruppen sowie dem Umgang mit kultureller Diversitat im Kunst- bzw. Gestaltenunterricht vorgestellt werden.
Ein Projekt zur Begegnung mit auBerschulischen Gruppen fand unter dem Titel: „Zeige mir, wo du lebst, und zeige mir, was du siehst“ (Stranghoner 2017: 65) mit 29 Schulern der neunte bis zwolfte Klasse des Gymnasium Weilheim und 25 Asylbewerbern und Gefluchteten der Asylsozialberatungsstelle der evangelischen Kirche Weilheim statt. Zu Beginn des Schuljahres beschaftigten sich die Schuler mittels „fotografischer Bil- der[...], Serien und Collagen mit der Frage, was sie bildnerisch als ,,schon“ empfanden [wobei sich mittels der] Geschichte der Fotografie, technische[n] Besonderheiten sowie Moglichkeiten der Bildsprache“ (Stranghoner 2017: 65) an das Thema angenahert wur- de. Im Anschluss daran lautete die Aufgabe, eine Bilderserie unter dem Thema „Zeige mir, wo du lebst“ (Stranghoner 2017: 66), anzufertigen. Ab dem Halbjahr wurden die Gefluchteten dazu eingeladen, unter dem nun erweiterten Titel „Zeige mir, was du siehst“ (Stranghoner 2017: 66) am Seminar teilzunehmen. Nachdem die Schuler den Gefluchteten in Kleingruppen ihre bereits angefertigten Fotos vorgestellt hatten, welches eine erste Annaherung zwischen den Schulern und Gefluchteten ermoglichte, er- hielten die Asylbewerber Einwegkameras. Sie bekamen den Arbeitsauftrag, gemeinsam mit den Schulern in ihrer neuen Umgebung alles festzuhalten, was ihnen vertraut, schon oder aber auch fremd erschien. Im Laufe der Zeit verschwanden etwaige Unsicherheiten und der Unterricht wurde der Ausgangspunkt fur eine gemeinsame Fotoexkursion und dem Austausch untereinander. Es stellte sich wahrend des Projektes heraus, dass weni- ger die Ergebnisse als die gemeinsame Erkundung der Umwelt und der Kontakt und Austausch zwischen den beiden Gruppen zum eigentlichen Inhalt des Projektes wurde. Die Ergebnisse stellten schlussendlich nicht den Blick der einzelnen Gruppen, sondern vielmehr ein gemeinsames Ergebnis, ein vereinigter Blick der beiden Gruppen auf den Ort sowie die Menschen in Weilheim dar. Dabei wurden nicht nur Beruhrungsangste und Vorurteile zwischen den Teilnehmern, sondern auch zu den Passanten des Ortes Weilheim abgebaut. (vgl. Stranghoner 2017: 65ff.)
Ein Projekt zum Umgang mit kultureller Diversitat fuhrte die 11. Klasse des Augusti- nus-Gymnasiums Weiden, einer Schule mit geringem Migrationsanteil unter dem Titel „Schonheitsideale im Wandel der Zeit und Kulturen“ (Zimmermann 2017: 32) durch. Das Projekt begann damit, dass Ece Gauer, eine Kunststudentin aus der Turkei, den Schulern Street-Style-Fotos aus turkischen Modeblocks zeigte. Diese Fotos zeigten ,,coole, stylische, schone Menschen, die der Fotograf zufallig auf der Strafie trifft“ (Zimmermann 2017: 32). Die Schuler uberraschte, dass diese Fotos in der Turkei ge- macht wurden, da sie die Vorstellung hatten, dass Turkinnen ein Kopftuch tragen und eher weniger attraktiv gekleidet sind. Im Anschluss wurden den Jugendlichen weitere Fotos nun aus Deutschland und der Turkei gezeigt, wobei die Schuler meist nicht sagen konnten, ob die Fotos in Deutschland oder der Turkei entstanden. Es wurde die Schluss- folgerung gezogen, dass Jugendliche in Munchen und Istanbul einen ahnlichen Stil ha- ben und man, teilweise abgesehen vom Kopftuch, das als modisches Accessoire ver- wendet wurde, oft nicht unterscheiden kann, wo die Jugendlichen herkommen. Darauf- hin wurden zunachst einmal Stereotypen thematisiert und hinterfragt. Im Anschluss folgte ein Exkurs zu Schonheitsidealen im Wandel der Zeit, wobei Kunstler, angefangen von griechischen Kuroi uber Rubens bis hin zu Shirin Neshat und Cindy Sherman the- matisiert wurden. Die praktische Arbeit begann mit dem Arbeitsauftrag, der in Anleh- nung an die Arbeit von Cindy Sherman, darin bestand sich mit Hilfe von Schminke und Accessoires so zu inszenieren wie auf Fotografien der Idole der Schuler. Dieser Ar- beitsauftrag wurde zum Anlass, die in den Medien verbreiteten Idole und deren Schon- heitsideale zu hinterfragen. Im zweiten Teil wurde diese Fragestellung wieder aufgegrif- fen und die entstandenen Fotos genutzt, um daraus Collagen anzufertigen, in denen mit Hilfe der Fotovernahung der jeweilige Traumkorper kreiert werden sollte. Hierzu wur- den die bereits vorhandenen Fotos genommen und mit Korperteilen vernaht, die aus Fotos aus dem Internet ausgeschnitten wurden. So wollte ein Schuler beispielsweise groBere Oberarme haben und eine Schulerin einen flacheren Bauch. Damit wurden den Schulern einerseits die eigenen Schonheitsvorstellungen deutlich, andererseits zeigte sich auch der asthetische Bruch, der dadurch entstand. Zum Abschluss des Projektes wurde die Gewinnerin von Germanys Next Top Model 2013, Lovelyn Enebechi, einge- laden, die uber ihre Erfahrungen mit den Medien und aufgrund ihrer dunkleren Hautfar- be auch uber Rassismus berichtete. (vgl. Zimmermann 2017: 32-35)
3 Familie
Die Familie aus Sicht des Kindes wird seit den 1980er Jahren in der neuen Kindheits- forschung thematisiert (vgl. Mey 2001: 10). Ziel ist es, unter Einbeziehung von Erzie- hungswissenschaft und Soziologie besonders nach dem Erleben der Kinder zu fragen (vgl. Mey 2001: 10-14). Kinder werden dabei nicht mehr als spatere Erwachsene gese- hen, sondern als eigenstandige Personen, mit eigenen Ansichten, Interessen und Rech- ten, die zum Familienleben beitragen (vgl. Muller 2010: 405).
3.1 Die Familienzeichnung
Die Untersuchung von Familienzeichnungen von Kindern aus verschiedenen Kulturen bietet die Moglichkeit, eine ganz andere Perspektive auf die Lebensumstande in den jeweiligen Kulturen zu bekommen, als dies in vielen Sozialisationsstudien der Fall ist, in denen meist die Erwachsenensicht untersucht wird. Nach dem Verstandnis des ,,dy- namischen Kulturbegriffes“ (Muller 2013: 168) steht das zeichnende Kind in Wechsel- wirkung mit seiner individuellen Umwelt und entwickelt sich in Abhangigkeit von sei- nen materiellen aber auch gesellschaftlich sozialen Strukturen. Die Familienzeichnung als Untersuchungsinstrument stellt hier ein Kommunikationsmedium des Kindes dar (vgl. Balakrishnan et al. 2012: 1), um Informationen uber Familienbeziehungen und Interaktionsvorgange innerhalb der Familie zu bekommen. Kinderzeichnungen ermogli- chen es, einen relativ unzensierten Einblick in die ,,Verweisstrukturen der Bedeutungs- konstruktionen“ (Muller 2013: 168) von Kindern zu geben. Dabei konnen auch unbe- wusste Wahrnehmungen dargestellt und erkannt werden, die beispielsweise mittels ei- nes Interviews nicht identifiziert werden konnten.
3.2 Das Familienthema in der Kunstpadagogik
Das Thema Familie ist seit den 1980er Jahren Standard in Kunstpadagogik (vgl. Otto und Otto 1987: 246-251). Beispielsweise lasst sich das Thema im kunstpadagogischen Werk ,,Auslegen. Asthetische Erziehung als Praxis des Auslegens in Bildern und des Auslegens von Bildem“ von Gunter und Maria Otto aus dem Jahr 1987 finden. Darin wird unter anderem beschrieben, wie man sich dem Thema Familienbilder im Unterricht annahern kann. Im dort beschriebenen Beispiel fertigen die Kinder zunachst eine Sam- melmappe mit Familienfotos ihrer eigenen Familie sowie aus Zeitungsausschnitten an. Bei der Sammeltatigkeit und der Auseinandersetzung mit den Familienbildern setzen sich die Kinder aktiv mit ihrer eigenen Familie und anderen Familien auseinander. Sie lernen teilweise entfernte Familienmitglieder wie beispielsweise ihre GroBeltern als Kinder aussahen. In der daran anschlieBenden Phase werden Fotos aus dem Bildmaterial der Kinder ausgelegt und gemeinsam Schwerpunkte ge- funden: Filmstars, die britische Konigsfamilie (siehe Abbildung 2), die GroBeltern, die heilige Familie. AnschlieBend wird gemeinsam be- sprochen, welche Unterschiede man zwischen den einzelnen Familien erkennen kann und wie sich diese begrunden lassen. Ein Urlaubsfoto der britischen Konigsfamilie (siehe Abbildung 2) wird zum Anlass, daruber zu sprechen, wie die britische Konigsfamilie ihren Urlaub verbringt. Danach wird gefragt, woran man erkennt, dass es ein Urlaubsfoto ist und wie die Kinder selbst im Urlaub aus- sehen. Zudem wird diskutiert, was die Unter- schiede zwischen einem Urlaubsfoto von fruher und heute sind. Im Anschluss daran sollen die Kinder selbst ihre Familie im Urlaub zeichnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die britische Konigsfamilie das erste Mal durch Fotos kennen und sehen, (Ottound 1987 248 )
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Rembrandt, Familienbild, 1668 (Hammer-Tugendhat 2012: 139)
Danach finden auswertende Gesprache uber die Zeichnungen und deren Bedeutung statt. Um die Frage der Darstellung von Beziehungen zwischen Familienmitgliedern in Zeichnungen zu beantworten, wurde den Kindern an- schlieBend das Bild Rembrandt: Familienbild (siehe Abbildung 3) gezeigt. (vgl. Otto und Otto 1987: 246 ff.)
Dazu wurden folgende inhaltliche Fragen gestellt:
- Wer hat was mit wem zu tun?
- Wer kummert sich um wen?
- Weristdas„Oberhaupt“?
- Wer steht im Zentrum? (Otto und Otto 1987: 250)
Bei der Beantwortung der Fragen besteht die Regel, dass alle Behauptungen, Meinun- gen und Antworten aus dem Bild heraus begrundet werden mussen (vgl. Otto und Otto 1987: 250-251).
Ein weiterer Ansatz, sich im Unterricht mit dem Thema Familie auseinanderzusetzen, ware es, in einem Theaterstuck das eigene Familienleben nachzuspielen (vgl. Selle 1981: 265).
Leider lassen sich in der Literatur nur wenige Ansatze zum Umgang mit Familienbil- dern aus verschiedenen Landern finden. In Otto und Otto (1987: 246-251) beispielswei- se wird lediglich thematisiert, wie die britische Konigsfamilie ihren Urlaub verbringt, der Fokus liegt jedoch eher auf dem Vergleich der Familie von fruher und heute und den Familienformen in verschiedenen Teilen der Gesellschaft.
3.3 Der Wandel des Familienbildes in Deutschland
Seitdem der GroBteil der Bevolkerung nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitete, loste in Europa die Kleinfamilie die GroBfamilie ab (vgl. Parin 1996: 28). Die Kleinfamilie hatte vor allem Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre ihre Blutezeit in Deutschland (vgl. Peuckert 2012: 20). Seit Mitte der 1960er Jahre ist das Familienbild in Deutschland, aber auch in vielen weiteren entwickelten Industriegesellschaften, einem deutlichen Wandel ausgesetzt (vgl. Peuckert 2012: 1). Viele Sozialwissenschaftler spre- chen von einer Krise der Ehe und Familie, es wird sogar vom Ende der Familie gespro- chen (vgl. Peuckert 2012: 1, Nave-Herz 2004: 58). Diese Ansicht wird von vielen im Hinblick auf die 1950er bis Mitte der 1960er Jahre vertreten, in der die „modeme Kleinfamilie''- das heiBt ein Ehepaar mit seinen leiblichen Kindern - stark dominierte und somit als Norm angesehen wurde (vgl. Peuckert 2012: 1). Heute lebt die Mehrheit der Bevolkerung immer noch in Familien bestehend aus verschiedengeschlechtlichen Eltern und ihren leiblichen Kindern (vgl. Peuckert 2012: 1, Muller 2013: 169). Dennoch haben die sinkenden Geburtenraten und Zahlen der EheschlieBungen, aber auch die steigenden Scheidungszahlen zu einer verstarkten Pluralisierung von Familienstrukturen aber auch der Zunahme der Akzeptanz von ,,altemativen Familienformen“ gefuhrt (vgl. Peuckert 2012: 17-19, Muller 2013: 164).
In der Vergangenheit definierte sich Familie in der Regel durch eine Verbindung aus biologischer und sozialer Elternschaft (vgl. Konig 2002: 57). Diese strikte Verbindung scheint sich jedoch in der Gegenwart zunehmend zu losen (vgl. Peuckert 2012: 404). So lassen sich neben der ,,klassischen Familie“ aus einem oder zwei Elternteilen, die die biologische und soziale Elternschaft aufweisen, alternative Familienformen finden, bei der lediglich die soziale Elternschaft besteht oder nur fur ein Elternteil eine biologische Elternschaft besteht (vgl. Kuhnt und Steinbach 2014: 41). Beispiele hierfur sind ,,Pfle- ge-, Adoptiv- und Stieffamilien“ (Kuhnt und Steinbach 2014: 41) aber auch ,,Insemina- tionsfamilien“ (Peuckert 2012: 381), bei denen aufgrund von Unfruchtbarkeitsbehand- lungen wie beispielsweise der kunstlichen Befruchtung maximal ein Elternteil die bio- logische Elternschaft aufweist. Mit dem Wandel des Familienbegriffes wird zunehmend die klassische Geschlechtsdifferenzierung (Mutter/Vater) aufgehoben (vgl. Nave-Herz 1994: 15f.) und die Zahl der Kinder, die bei gleichgeschlechtlichen Eltern, in sog. ,,Re- genbogenfamilien“ aufwachsen, nimmt zu (vgl. Dethloff 2004: 195, Muller 2013: 169). Auch auf die Generationendifferenz (Eltern/Kind) wird zunehmend verzichtet (vgl. Na- ve-Herz 1994: 15ff.) und man findet ein zunehmend differenzierteres Verstandnis uber die Zugehorigkeit von Personen und auch Tieren zur Familie (vgl. Muller 2013: 162).
Daneben wird vor allem seit den 1960er Jahren von einer zunehmenden Individualisie- rung gesprochen (vgl. Schimank 2012). Individualisierung bezeichnet den Ubergang von Individuen von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung. Ursachlich dafur sind hauptsachlich eine Wohlstands- sowie Bildungssteigerung, eine Verringerung der Arbeitszeiten (vgl. Schimank 2012) sowie ein Wandel der Geschlechterrollen. Mit der Wohlstandssteigerung geht einher, dass ein immer geringerer Anteil der Bevolkerung in der Landwirtschaft tatig ist (vgl. Parin 1996: 28) und sich somit Arbeitnehmer zuneh- mend Arbeitsplatze in Stadten, oft entfernt vom Geburtsort und Elternhaus, suchen (vgl.
[...]
1Aus Grunden der besseren Lesbarkeit wurde im Folgenden immer nur die mannliche Form verwendet.
2Eine umfassende Erlauterung der Untersuchung traditioneller Kinderzeichnungen lasst sich beispiels- weise bei Richter (2001: 35-88) finden.
- Quote paper
- Clara Winterfeld (Author), 2018, Ein Vergleich von Kinderzeichnungen aus Europa, der arabischen Welt und Subsahara-Afrika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/421161
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