Bei dieser Hausarbeit handelt es sich um einen orginellen Versuch, das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit auf zwei Ebenen zu vergleichen. Zum einen temporär und zum anderen im Spannungsfeld zwischen politikwissenschaftlicher Theorie und politischer Praxis. Als Vergleichsgegenstände werden zum einen das 1971 veröffentlichte Hauptwerk des US-amerikanischen Philosophen John Rawls "A Theory of Justice" und zum anderen die Aussagen des SPD-Politikers Rudolf Scharping und des Poliktikwissenschaftlers Wolfgang Merkel am Rande einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Soziale Gerechtigkeit" an der Universität Heidelberg im Sommer 2001 untersucht. Die vorliegende Arbeit hat keinen Anspruch auf streng genommene wissenschaftliche Stringenz bei der Durchführung des Vergleichs. Das wäre auch aufgrund des ungewöhnlichen Designs nicht machbar. Viel mehr liegt ihr Reiz in dem orginellen Ansatz. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass der zentrale Unterschied zwischen dem Philosophen Rawls und Scharping bzw. Merkel der Umgang mit dem "Paradox der gerechten Ungleichheit" (Scharping) ist.
Inhalt
1. Einleitung
2. John Rawls
3. Theorie der Gerechtigkeit als Fairness
4. Diskussion Merkel/Scharping über Soziale Gerechtigkeit
5. Vergleichende Schlussbetrachtung
David Christoph Lerch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.Einleitung
Dass wir zu Beginn des 21.Jahrhunderts vor grundlegend neuen politischen, ökonomischen wie auch gesellschaftlichen Voraussetzungen stehen, wird einem mittels Medien fast täglich mitgeteilt. Phänomene wie die Osterweiterung der EU, die Erschließung neuer globaler Märkte oder die Individualisierung der Gesellschaft werden unter dem klangvollen Begriff der Globalisierung subsumiert. Hauptprofiteure dieser globalisierten Welt sind, leicht nachvollziehbar, die großen Weltkonzerne, deren Machtbereich für mich immer bedenklichere Ausmaße annimmt. Wenn beispielsweise der Vizepräsident vom Bund Deutscher Industrie (BDI) Hans-Olaf Henkel diese Woche in einem Phoenix-Gespräch den Hauptverdienst an der Demokratisierung Südafrikas den Initiativen von Mercedes-Benz, BMW etc. zuspricht, sollte sich die Politik ernsthaft fragen, ob sie noch die zentralen weltpolitischen Fäden in der Hand hat oder ob sie nicht längst ein Spielball des Primats wirtschaftlicher Interessen geworden ist. In dieser sich veränderten Welt, in der die Bedeutung des shareholder-value höher erscheint als die des Individuums, ist die Frage nach der Sozialen Gerechtigkeit aktueller denn je. Entwickelt sich unsere Welt zu einer einzigen sozialdarwinistischen Ordnung oder stellen Begriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur leere Floskeln dar?
Wie die aktuellen Verhältnisse im Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich aussehen und wie sich diese verändern könnten, werde ich versuchen mit der Darstellung der Vorträge des stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD Rudolf Scharping sowie des Direktors des Instituts für politische Wissenschaft der Universität Heidelberg Wolfgang Merkel zu erläutern, die beide bei einer Veranstaltung am 6.6.2001 über „Leitlinien für einen gerechten Sozialstaat“ referierten.
Um diese Diskussion gewissermaßen auf ihren philosophischen Grundgehalt zu prüfen, werde ich davor die Theorie des in Fragen der Sozialen Gerechtigkeit bedeutendsten Philosophen des vergangenen Jahrhunderts John Rawls untersuchen, der noch heute an der Harvard Universität in den USA lehrt.
In einem abschließenden Teil versuche ich dann Verbindungslinien zwischen den theoretischen Gedanken des Philosophen und den auf die aktuellen politischen Fragen zugeschnittenen Vorträgen von Scharping und Merkel aufzuzeigen. Dass dies sich als nicht ganz einfach erweist und daher bisweilen etwas konstruiert wirken mag, liegt wohl an der Distanz zwischen Theorie und Praxis, sowie an der Vielschichtigkeit der vorhandenen politischen Situation.
2. John Rawls
John Rawls wurde am 21.2.1921 in Baltimore im Bundesstaat Maryland/USA geboren. Er studierte an der Cornell University und in Princeton, wo er 1950 auch promovierte. In der Folgezeit kam er über Lehraufträge an der Cornell University und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) 1962 zu einer Philosophie-Professur an der Harvard University, die er seitdem innehat. Vorbereitet durch seine vielbeachteten Aufsätze „Outline for a Decision Procedure for Ethics“ (1951), „Two Concepts of Rules“ (1955), „Justice as Fairness“ (1958) und “Distributive Justice” (1967) erscheint 1971 sein Hauptwerk “A Theory of Justice”, das 1975 ins Deutsche übersetzt wird. Im Jahre 1980 nimmt Rawls in den „John Dewey Lectures“ an der New Yorker Columbia University wichtige Veränderungen an seiner Theorie vor. 1993 erscheint eine Zusammenstellung der Rawlsschen Aufsätze aus den Jahren 1978-1989 mit dem Titel „Political Liberalism“.
Vor allem mit seinem Hauptwerk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ hat John Rawls die politische Philosophie der Gegenwart wie kein anderer geprägt. Seine Gedanken haben die schon von Peter Laslett 1956 tot gesagte Teildisziplin wiederbelebt und ihr durch ihre polarisierende Wirkung neues Leben eingeflößt. So schreibt der deutsche Philosophieprofessor Wolfgang Kersting in der Einleitung seines Buches „John Rawls zur Einführung“ „wohl kein philosophisches Werk hat in diesem Jahrhundert so schnell so große Aufmerksamkeit erregt und eine so intensive und weitgespannte Diskussion ausgelöst wie dieses schwergewichtige Buch des Harvard-Professors“. Kersting ordnet Rawls` „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ ohne Bedenken sowohl im Bezug „auf gedankliche Substanz als auch im Hinblick auf seine wirkungsgeschichtliche Bedeutung“ ein in die Reihe der großen europäischen Werke der politischen Philosophie, wie z.B. Platons „Politeia“ oder Lockes „Two treatises of Government“.
3.Theorie der Gerechtigkeit als Fairness
Bei der Entwicklung seiner Gerechtigkeitstheorie richtet John Rawls seinen Blick auf die Grundstruktur der Gesellschaft. Sie ist für Rawls der Gegenstand der Gerechtigkeit, da sie die Basis bzw. die Ausgangsposition bildet, von der aus eine Gesellschaft erst beginnt zu handeln. Die Grundstruktur legt die Lebenschancen der Menschen fest, sowohl was Rechte und Pflichten als auch was Verteilungsverhältnisse von Gütern anbelangt, insofern stellt sie den Hauptgegenstand der Überlegungen zur Sozialen Gerechtigkeit dar. Gerade bei natürlich auftretenden Ungleichheiten wie Reichtum oder auch besondere Begabung bedarf es einer gerechten Grundstruktur in einer Gesellschaft, um soziale Ungerechtigkeiten zu vermeiden.
Bei der nun folgenden Suche nach Grundsätzen einer gerechten Grundstruktur einer Gesellschaft legt Rawls noch zwei Prämissen zugrunde. Erstens geht er von einer geschlossenen Gesellschaft aus, d.h. von einer Gesellschaft, die keinerlei Beziehungen zu anderen Gesellschaften pflegt. Zum zweiten nimmt er „vollständige Konformität“ an, er betrachtet also eine vollkommen gerechte Gesellschaft, in der jeder seinen Teil zum Erhalt der gerechten Ordnung beiträgt.
Rawls Hauptgedanke bei der Entwicklung dieser Grundsätze ist derjenige, dass die Grundsätze zu wählen sind, auf die sich freie, gleiche, vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse einigen können. Dazu entwickelt er eine Theorie, die die Gesellschaftsvertragstheorien von Locke, Rousseau und Kant verallgemeinert und auf eine höhere Abstraktionsstufe stellt. Auch Rawls geht von einem Naturzustand aus, den er Urzustand nennt und der als vorstaatlich, nicht in einem historischem oder evolutionärem, sondern in einem rein theoretischem, hypothetischem Sinne, zu verstehen ist. In diesem Urzustand haben die beteiligten Personen weder eine Kenntnis von ihrer späteren Stellung innerhalb der Gesellschaft, von ihrem Anteil an noch zu verteilenden Gaben wie Intelligenz oder Körperkraft noch von ihren individuellen Ansichten von Gut und Böse. Die Akteure befinden sich hinter dem sog. „Schleier des Nichtwissens“ (engl. "veil of ignorance”). Dieser sorgt dafür, dass sich alle in der gleichen Lage befinden und erstens niemand aufgrund bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse bevorteilt werden kann, zweitens niemand die Grundsätze so konstruieren kann, dass er in seiner späteren Rolle in der Gesellschaft davon profitiert und drittens bestimmte individuelle Neigungen und Bestrebungen nicht in den Grundsätzen enthalten sind. In dieser Situation wird nun jeder Handelnde die Rawlssche „Maximin-Strategie“ anwenden, wie sich im Folgenden an einem Beispiel aufzeigen lässt. Nehmen wir an es gibt in einer Dreipersonenwelt drei mögliche Güterverteilungen: 10 : 8 : 1, 7 : 6 : 2, 5 : 4 : 4. Außerdem ist es nicht bekannt, mit welcher Wahrscheinlichkeit man die beste bzw. die schlechteste Position innerhalb einer Allokation zugewiesen bekommt. Daher wird die Strategie nach Rawls sich für die dritte Güterverteilung entscheiden, da es diejenige Verteilung ist, bei der die schlechteste Position innerhalb der möglichen Allokationen am Besten ausfällt. Es ist leicht ersichtlich, dass die anderen beiden Möglichkeiten sowohl eine höhere bestmögliche Zahl als auch insgesamt einen höheren Durchschnitt anbieten, jedoch verbunden mit dem Risiko am Ende mit dem schlechtesten Ergebnis des Beispiels auskommen zu müssen. Ob ein bestimmtes Risiko annehmbar ist oder nicht, hängt natürlich von der individuellen Risikobereitschaft eines jeden ab, doch wenn wir davon ausgehen, dass sich auch das Wissen um besondere spätere Neigungen vor dem Schleier des Nichtwissens befindet, ist der Rawlssche Risikoausschluß sehr gut nachvollziehbar.
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- Arbeit zitieren
- David Christoph Lerch (Autor:in), 2001, Soziale Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen politikwissenschaftlicher Theorie und politischer Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42113
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