Diese Masterarbeit leistet einen wichtigen Beitrag zu dem wenig erforschen Gebiet der Wortschatzarbeit im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht. Dabei wird der Forschungsstand dargestellt und aufgrund dessen ein umfassender Einblick in die Theorien zum Wortschatzvermittlungsprozess gegeben. Auch wenn die Zielgruppe des DaZ-Anfangsunterrichts im Bereich von Integrationskursen liegt, wird Wortschatzarbeit zunächst von allen Seiten beleuchtet: Prozesse im mentalen Lexikon der Lerner, Wortschatzerwerb und Prozesse der Vermittlung mit Schwerpunkt auf Semantisierungsstrategien. Anschließend folgt eine Analyse von den in Integrationskursen gängigen Lehrwerken "Berliner Platz Neu" und "Schritte Plus" hinsichtlich ihrer Funktionalität im Bereich der Wortschatzarbeit. Abschließend wird in einer Praxisuntersuchung durch Befragung von Lehrkräften ein aktueller Stand im Bereich der Wortschatzvermittlung erhoben. Die gewonnenen Erkenntnisse werden durch didaktische Schlussfolgerungen und -forderungen untermauert.
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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Eingrenzung des Forschungsgegenstands
2.1. Terminologischer Rahmen
2.2. Forschungsüberblick
3. Theorien zum Wortschatzerwerbsvermittlungsprozess
3.1. Wortschatzerwerbsprozess
3.1.1. Bedeutungserwerb
3.1.2. Speicherung im mentalen Lexikon
3.2. Wortschatzvermittlungsprozess
3.2.1. Zielgruppe Integrationskurs und -lehrkraft
3.2.2. Lehrerrolle
3.2.3. Kommunikativ-interkultureller Ansatz
3.3. Bedeutungsvermittlung
3.3.1. Semantisierungsstrategien
3.3.1.1. Haptische Semantisierungsstrategien
3.3.1.2. Visuelle Semantisierungsstrategien
3.3.1.3. Auditive Semantisierungsstrategien
3.3.1.4. Verbal-Einsprachige Semantisierungsstrategien
3.3.1.5. Verbal-Zweisprachige Semantisierungsstrategien
3.3.2. Interkulturelle Semantisierungsstrategie
3.3.3. Verständnisüberprüfungsstrategien
3.4. Zusammenfassende Überleitung
4. Lehrwerkanalyse
4.1. Analyseparameter
4.2. Schritte Plus – Hueber Verlag
4.3 . Berliner Platz NEU – Klett-Langenscheidt Verlag
4.4. Vergleich der Ergebnisse
4.5. Zusammenfassende Überleitung
5. Praxisuntersuchung
5.1. Konzeption des Untersuchungsinstruments
5.2. Datenerhebung
5.3. Auswertung
5.4. Zusammenfassung mit didaktischer Schlussfolgerung
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Semiotisches Dreieck von ODGEN/RICHARDS mit Modifizierungen von KILIAN 2008
Abb. 2: Vorgehensweise für interkulturelle Begriffserweiterung (nach MÜLLER 1994, 53)
Abb. 3: Visuelle Vermittlung von Präpositionen (vgl. HEYD 1991, 98)
Abb. 4: Wörterbuchübung mit fehlender Erklärung der Kasusendungen (SP1, 122)
Abb. 5: Semantische Felder: Mindmap zu Familie (BPN, 63)
Abb. 6: Übungsaufgabe mit Lebensweltbezug (BPN, 54)
Abb. 7: Übersicht der Semantisierungsstrategien
Abb. 8: Übersicht zur DaF/DaZ-Lehrerfahrung der Befragten in Jahren
Abb. 9: Ergebnisse der Semantisierung zu leicht und warm
Abb. 10: Ergebnisse der Semantisierung zu fliegen und regnen
Abb. 11: Ergebnisse der Semantisierung zu Fahrrad fahren und Kaffee trinken
Abb. 12: Ergebnisse der Semantisierung zu Wochenende
Abb. 13: Ergebnisse der Semantisierung zu März und Sommer
Abb. 14: Ergebnisse der Semantisierung zu Obst und Gemüse und Supermarkt
Abb. 15: Ergebnisse der Semantisierung zu Reise
Abb. 16: Ergebnisse der Semantisierung zu zum und nach
Abb. 17: Verknüpfung von Herkunfts- und Zielsprache im Semantisierungsprozess
Abb. 18: Fremdsprache als Mittler im Semantisierungsprozess im offenen Design
Abb. 19: Fremdsprache als Mittler im Semantisierungsprozess im halboffenen Design
Abb. 20: Interkulturelle Semantisierung im offenen Design
Abb. 21: Interkulturelle Semantisierung im halboffenen Design
Abb. 22: Vergleich der nach MÜLLER dominierenden Strategien
Abb. 23: Strategievielfalt im offenen Design
Abb. 24: Strategievielfalt im halboffenen Design inkl. Alternativstrategien
Abb. 25: Ausreißergruppe „Nutzung von 3 Strategien im offenen Design“
1. Einleitung
Wörter sind unser Tor zur Welt, Wörter sind unser Weg zu den Menschen: Sie ermöglichen uns das Denken, sie sind die Grundlage unserer Verständigung miteinander.
Winfried Ulrich 2007, 3
Die Möglichkeit, sich verständlich zu machen und aktiv seinen Alltag sprachlich gestalten zu können, ist ein wichtiges Gut in der heutigen Gesellschaft. Für Zugewanderte aus Ländern mit nichtdeutscher Herkunftssprache heißt es also, möglichst schnell sprachliche Kompetenzen zu erwerben, um sich mitteilen zu können. Die deutsche Standardsprache hat einen sehr komplexen und dynamischen Wortschatz, der sich stets erweitert. So zählt das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (www.dwds.de) 336.926 Einträge. Die Alltagssprache wird von der Dudenredaktion auf etwa 500.000 Wörter geschätzt und wenn Fachwortschätze hinzugezählt würden, käme man sicherlich auf einige Millionen deutscher Wörter (vgl. Detering/Stock 2013, 18-19). Aufgrund der großen Spanne und der Dynamik des Wortschatzes ist jedoch bei absoluten Angaben zu Zählungen Vorsicht geboten. Doch diese immense Anzahl von Wörtern wird nicht von jedem Deutschsprecher beherrscht, denn ein Muttersprachler1 kann, je nach Ausbildung, Beruf und Interesse, ca. 100.000 Wörter rezeptiv verstehen und produktiv 12.000 Wörter anwenden (vgl. Bohn 2013, 9).
Um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, gilt die Sprache als Schlüssel der Verständigung. Dies betrifft nicht nur die einheimischen Bürger eines Staates, sondern auch aus dem Ausland zugezogene Menschen. Besonders für Flüchtlinge und Asylsuchende, die sich in einem fremden Land ein neues – wenn auch teilweise nur vorübergehendes – Leben aufbauen möchten, ist das Erlernen der dortigen Sprache ein wichtiges Integrationskriterium. Mit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes, welches am 7. Juli 2016 verabschiedet wurde, sind Asylbewerber und Geflüchtete in Deutschland fortan dazu verpflichtet, an sogenannten Integrationsfördermaßnahmen teilzunehmen. Die Maßnahmen beziehen sich auf die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan BAMF) initiierten 700-Stunden-Integrationskurse, die sich in 600 Stunden Sprachunterricht und 100 Stunden Orientierungskurs unterteilen. Dabei werden die ersten 300 Unterrichtsstunden als „Basissprachkurs“ und die folgenden 300 Unterrichtsstunden als „Aufbausprachkurs“ bezeichnet (BAMF Merkblatt Integrationskurs), die sich an die Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (fortan GER) anlehnen. Bislang hatte das Bestehen des Sprachkurses „Zertifikat Integrationskurs“ (BAMF Website) und „Test Leben in Deutschland“ (ebd.) lediglich positive Auswirkungen auf die Dauer des Einbürgerungsprozesses. Das neue Asylbewerbergesetz verpflichtet jedoch zu „zumutbaren Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ (Entwurf eines Integrationsgesetzes 2016, Art. 4 §5a) und bei Verweigerungen seitens der Flüchtlinge und Asylbewerber drohen Leistungsabsenkungen im Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. ebd., Art. 4 § 5a Abs. 4).2 Für eine erfolgreiche Teilnehme an Integrationskursen, also dem „Zertifikat Integrationskurs“, muss der Deutsch-Test für Zuwanderer (fortan DTZ) mit dem Sprachniveau B1 bestanden sein. Dem Prüfungshandbuch zufolge müssen hierbei zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ca. 2.700 Wörter produktiv beherrscht und somit rund 900 Wörter je Niveaustufe erlernt werden (vgl. DTZ-Prüfungshandbuch 2009, 101).
Durch die aktuelle weltpolitische Situation kam es 2015 in Deutschland zu einem großen Zuwachs von Geflüchteten und Asylbewerbern, die Anfragen zu Sprachangeboten stellten. Da Institutionen, die Sprachkurse anbieten, (laut BAMF: Maßnahmeträger) nicht auf diesen Ansturm vorbereitet waren, kam und kommt es zu Engpässen beim Angebot von Sprachkursen, die erst im Laufe der Zeit reguliert werden können.3 Es wird daher eine Vielzahl an Lehrkräften gesucht, die Deutschunterricht übernehmen könnten. Durch die Notlage gab und gibt es jedoch viele Anwärter für solche Positionen, die keine explizite zweit- oder fremdsprachliche Ausbildung oder Erfahrung mit sich bringen. So kommt es, dass in vielen Gemeinden Sprachangebote von Ehrenamtlichen durchgeführt werden, mit dem Ziel, Flüchtlingshilfen zu unterstützen und den ersten Sprachkontakt herzustellen und somit den Integrationsprozess zu fördern. Dies ist als unterstützende Maßnahme sicherlich auch hilfreich. Dennoch scheint das Credo „Jeder, der Deutsch spricht, kann es auch unterrichten“ zu entstehen, welches in dieser Arbeit kritisch betrachtet wird. Schließlich sollte das strukturierte und systematische Vermitteln der deutschen Sprache nicht unterschätzt werden, denn Sprachunterricht ganzheitlich zu gestalten, also zu fördern und zu fordern, birgt mehrere Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt und für die eine fundierte Ausbildung vonnöten ist.
Um als Lehrperson einen ganzheitlichen Unterricht gestalten zu können, muss ein breitgefächertes linguistisches und fachdidaktisches Wissen zu allen Disziplinen vorhanden sein, worauf in jeglicher Unterrichtssituation zurückgegriffen werden kann. Es geht demnach nicht um einen Unterricht, in dem beispielsweise Grammatik-, Orthografie- oder Phonetikunterricht jeweils isoliert voneinander stattfindet, sondern vielmehr um einen systematischen Unterricht, der sämtliche Teildisziplinen der Linguistik in den Fertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben in sich vereint. Eine der wichtigsten Komponenten, die all diese Teildisziplin vereint, ist die Wortschatzarbeit, da ohne sprachliche Mittel kann auch keine Kommunikation entstehen (vgl. Quetz 1998, 272). Es gilt hierbei das Motto: „Je größer der Wortschatz, desto mehr Kommunikation“ (Butzkamm 2002, 252).
Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen die erste Phase des Wortschatzerwerbsvermittlungsprozesses und insbesondere die Rolle der Lehrperson in Integrationssprachkursen der Anfangsphase bis zur Niveaustufe A1.4 Es wird zunächst die terminologische Grundlage für die Arbeit gelegt und das Feld der Wortschatzarbeit mit aktuellem Forschungsstand dargestellt und eingegrenzt. Um als Lehrperson einen Eindruck davon zu haben, was beim Wortschatzerwerb im Kopfe des Lernenden passiert, wird anschließend dieser Sprachlernprozess beschrieben und dann mit Blick auf die Lehrenden untersucht, welche didaktischen Konzepte für die Vermittlung in der fachdidaktischen Forschungsliteratur vorliegen, um Bedeutungserschließungen zu initiieren. Da der im Fokus stehende Integrationsunterricht als kurstragendes Element Lehrwerke fordert, soll in einem nächsten Schritt untersucht werden, welche Semantisierungsansätze durch dieses Lehrmedium gegeben sind und was die Lehrperson dazu leisten sollte. Daraus resultierend wird in einer Untersuchung festgestellt, welche Semantisierungsstrategien in der aktuellen Praxis im Anfangsunterricht bis Niveau A1 tatsächlich angewendet werden. Aus den Untersuchungsergebnissen werden schließlich didaktische Konsequenzen abgeleitet, die als Hilfestellung für Lehrkräfte dienen sollen. Für die vorliegende Arbeit stellt sich somit folgende zentrale Frage: Wie erfolgt die konkrete Wortschatzerwerbsvermittlung im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht für Zugewanderte und welche didaktischen Schlussfolgerungen lassen sich hieraus ableiten?
2. Eingrenzung des Forschungsgegenstands
2.1. Terminologischer Rahmen
Für die Untersuchung des Wortschatzerwerbsvermittlungsprozesses gilt es zunächst, für terminologische Klarheit in dieser Arbeit zu sorgen. In dem Bereich der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik5 wird bei der Deutschvermittlung für Menschen mit nichtdeutscher Herkunftssprache zunächst zwischen Deutsch als Fremdsprache (fortan DaF) und Deutsch als Zweitsprache6 (fortan DaZ) unterschieden. In der Forschungsliteratur werden den beiden Gebieten oft Charakteristika in Form von dichotomischen Paaren zugeschrieben, die hier tabellarisch vorgestellt werden (vgl. Ahrenholz 2014, 8; ferner Runte 2015, 7):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Demnach findet DaF-Lernen im anderssprachigen Ausland statt, während der DaZ-Erwerb im deutschsprachigen Lebensraum realisiert wird. Dies soll darauf schließen lassen, dass DaF-Unterricht in gesteuerter und institutioneller, expliziter Form abläuft, während DaZ-Unterricht implizit und ungesteuert, auf natürliche Art, vollzogen wird. Die Unterscheidung zwischen dem unbewussten Erwerben und institutionalisiertem Lernen als differente Begrifflichkeiten erfolgt in der Forschungsliteratur nicht immer einheitlich und trennscharf (vgl. Runte 2015, 7). Der Grad der Steuerung wird vielfach als Kontinuum gesehen (vgl. ebd.; Klein/Dimroth 2003, 5), da gerade in Integrationskursen7 oder auch im schulischen Kontext ein institutionalisierter und gesteuerter Unterricht stattfindet. Es gibt in der Forschung außerdem eine altersspezifische Unterteilung in die der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen (Rösler 2012, 11). Das Lernen für Kinder- und Jugendliche im schulischen Alltag wirkt sich beispielsweise durch den permanenten Kontakt mit der Zielsprache und Kultur in Klassen mit vielen deutschen Mitschülern, positiv auf die Entwicklung der Sprache und Integration an sich aus. Erwachsenen Lernern bietet sich hingegen seltener die Möglichkeit an Kontakt mit Sprache und Kultur, da sie sich in ihren Integrationskursen in heterogenen Gruppen mit Teilnehmenden aus verschiedenen Herkunftsländern befinden. Ältere Lernende können jedoch im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen insofern eine gute Ausgangssituation haben, als dass sie auf einen großen Wortschatz mit jeweiligen Bedeutungsverknüpfungen und Konzepten in ihrer Herkunftssprache, und gegebenenfalls auch einer bereits erlernten Fremdsprache, zurückgreifen und somit in der Anfangsphase zunächst leichter fremdsprachliche Verknüpfungen herstellen können (vgl. Apeltauer 2014, 247).8 Diese Arbeit untersucht die Lehrerrolle in einem gesteuerten DaZ-Integrationskurs, der an Erwachsene gerichtet ist, wobei diejenigen Asylbewerber und Geflüchteten bereits mit lateinischen Buchstaben alphabetisiert sind.9
Die Frage, die sich für den Wortschatzerwerbsvermittlungsprozess ganz zentral stellt, ist, was unter Wörtern, Wortbedeutungen, Wortschatz und der damit verbundenen Wortschatzarbeit terminologisch verstanden wird. Der orthografischen Begriffsbestimmung folgend, liegt es zunächst nahe, dass Wörter Graphemfolgen seien, die durch Abstände voneinander getrennt sind (vgl. Ulrich 2011, 30). Dies ist jedoch nur ein Merkmal, das Wörter ausmacht, denn diese haben gemäß dem Zeichenmodell von de Saussure nicht nur eine schriftliche oder lautliche Ausdrucksseite, den S ignifiant, mit Phonemsequenz, Syllabierung und Betonung, sondern auch eine bedeutungstragende Inhaltsseite, den S ignifié. Letzterer beinhaltet das Konzept hinter den Wörtern sowie grammatische wortart- und morphosyntaktische Merkmale (vgl. Gallmann 1991, 262).
Die Inhalts- und Ausdrucksseite des bilateralen Sprachzeichens stehen, abgesehen von Onomatopoetika oder endozentrischen Komposita, in einer arbiträren Beziehung zueinander. Wenn Worte allerdings morphologisch in ihre Bestandteile zerlegt und analysiert werden können, so trifft es zwar zu, dass jedes Wort ein Sprachzeichen ist, jedoch nicht jedes Sprachzeichen ein Wort darstellt, da gebundene Morpheme (beispielsweise Präfixe) zwar Bedeutungen in sich tragen, aber nicht alleine stehen können (vgl. Ulrich 2011, 30). Es können also unter dem alltagssprachlichen Terminus Wort verschiedene Konzepte verstanden werden, die linguistisch unterschiedlich definiert werden. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Erwerbsvermittlung von Wörtern liegt, muss in dieser Arbeit detaillierter betrachtet werden, was unter Wort verstanden wird. Das alltagssprachliche Wort kommt so in der Linguistik nicht vor, sondern es wird zwischen syntaktischem Wort, Wortform und Lexem unterschieden (vgl. IDS: Progr@mm 2009). Syntaktische Wörter zunächst alle Wörter mitsamt ihren verschiedenen grammatischen Ausprägungen, die in der schriftlichen oder mündlichen Sprache vorkommen (vgl. Linke et al. 2004, 63). Ein syntaktisches Wort wird also durch Wortart, Kasus, Numerus und Genus bestimmt, sodass jedes vorkommende Wort in einem Satz ein syntaktisches Wort ist, auch wenn es formgleich ist und beispielsweise nur im Kasus differenziert wird (vgl. ebd.). Auch wenn die syntaktisch formgleichen Wörter durch ihre unterschiedliche Funktion im Satz unterscheiden würden, so besitzen sie nur eine Wortform. Die Wortform begrenzt sich demnach auf die rein graphematische Komponente, unabhängig von der Bedeutung. Im Deutschen gibt es viele Wörter, die eine gleiche Wortform haben, also den gleichen Ausdruck, jedoch unterschiedliche Bedeutungen vorweisen. Die Wortbedeutungen können dann einerseits polysem sein, wenn sie einen gemeinsamen Ursprung haben, wie beispielsweise Birne im Sinne von Obst oder Glühbirne. Andererseits gibt es auch Wortbedeutungen ungleichen Ursprungs, wie beispielsweise die Steuer oder das Steuer, die als Homonyme bezeichnet werden. Die Summe aller Wortbedeutungen, also alles Wortformen und damit auch die Abstraktion des syntaktischen Wortes wird unter dem Terminus Lexem subsumiert. Das Lexem als reduzierte Grundform bildet die lexikalisch-semantische Einheit des Lexikons einer Sprache, welches in Wörterbüchern abgedruckt wird. In der Lexikographie werden die Einträge jedoch nicht als Lexeme sondern als Lemma ta bezeichnet und im Zusammenhang mit dem mentalen Lexikon, wird ein Lexem Listem genannt (vgl. Gallmann 1991, 261). Terminologisch wird in dieser Arbeit jedoch einheitlich Lexem auch in Bezug auf das mentale Lexikon oder Wörterbucheinträge als grammatische Einheit verwendet. Wenn allerdings die zu lernende Form im Fokus steht, so wie in der vorliegenden Arbeit, dann werden Lexeme als lexikalische Einheit zusammengefasst. Der Begriff lexikalische Einheit ist außerdem nicht auf Einzelwörter begrenzt, sondern umfasst auch mehrgliedrige Ausdrücke, mehr oder weniger freie Wortverbindungen, wie Kollokationen oder auch Phraseologismen (vgl. Bohn/Schreiter 1996, 173).
Wie bereits erwähnt können lexikalische Einheiten bei gleicher Wortform unterschiedliche Bedeutungen haben, doch was beinhalten Wortbedeutungen ? Wortbedeutungen bilden das mentale Konzept, also den Signifiant, einer Wortform ab. Es gibt für lexikalische Einheiten grundsätzlich eine Kernbedeutung, die sowohl aus Denotaten, als auch aus Konnotaten bestehen kann, die durch die normative Konvention festgelegt für eine Gesellschaft oder einen Kulturkreis festgelegt ist. Denotative Bedeutungen sind konventionell, objektiv und neutral, während Konnotate subjektiv, assoziativ und emotional gefärbt sind und demnach Informationen zu der Beziehung des Sprechers zum Ausdruck und dem gesamt situativen Kontext beinhalten (vgl. Lehmann 2013a; ferner Selimi 2010, 22). Wortbedeutungen können auch kulturspezifische Ausprägungen haben, die für Sprachenlerner beim Kommunizieren eine wichtige Rolle spielen, da sie sich von den Bedeutungen ihrer Herkunftssprache unterscheiden können.
Terminologisch bleibt nun noch die Frage offen, was unter Wortschatz verstanden wird und wie sich dieser für DaZ-Lernende zusammensetzt. Zunächst beinhaltet der Wortschatz „all jene Wörter, die einer Person zum Verstehen und zur Kommunikation zur Verfügung stehen“ (Ender 2007, 63), die jedoch nicht auf eine Sprache beschränkt ist, sondern aus Einträgen vieler verschiedener Sprachen bestehen kann. Der im fremd- und zweitsprachlichen Kontext zu erlernende Wortschatz ist für den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (fortan GER) für die deutsche Sprache vom Europarat in dem Werk Profile deutsch festgelegt worden. Der Wortschatz besteht pro Niveaustufe aus einer bestimmten Auswahl von Lexemen und fester Wendungen, die Lernende rezeptiv verstehen oder auch aktiv produzieren können sollten. Man kann jedoch nach Hausmann davon ausgehen, dass ein Sprachlernender nicht den gesamten deutschen Wortschatz so beherrschen wird, dass die Wortschatzkenntnis eines Muttersprachlers eingeholt werden kann, da der gesamte deutsche Wortschatz generell nicht lernbar sei (vgl. Hausmann 1993, 473). Um sich jedoch verständigen und ferner integrieren zu können, ist der systematische Aufbau eines Wortschatzes von großer Bedeutung. Für diesen Prozess gibt es viele verschiedene Termini, die zum Ziel haben Wortschatz zu erwerben. So wird neben dem für diese Arbeit gebräuchlichen Terminus Wortschatzarbeit auch von Wortschatzaneignung, Bedeutungserwerb, Semantisierung, Wortschatzlernen, Vokabellernen, Erschließung lexikalischer Einheiten oder Vokabelvermittlung gesprochen (vgl. Börner 1995, 32). Diese Begrifflichkeiten sind zum einen nicht trennscharf definiert, und zum anderen insofern irreführend, als dass sie auf verschiedene Teilbereiche, die unter Wortschatzarbeit fallen, eingehen. Somit soll Wortschatzarbeit in dieser Arbeit als Hyperonym für Wortschatzerwerb und Wortschatzvermittlung gelten. Dessen Kombination, die Wortschatzerwerbsvermittlung lässt sich in drei Phasen untergliedern:
1. Semantisierung (Bedeutungserwerb) - rezeptiv
2. Vernetzung (durch Üben und Wiederholen) - reflexiv
3. Gebrauch (aktive Anwendung ) - produktiv
Während dieser Phasen durchlaufen Lernende den Prozess der zunächst rezeptiven Kenntnis lexikalischer Einheiten, die während des Übens und nachhaltigen Vernetzens im Gedächtnis reflektiert werden und danach in den produktiv gebräuchlichen Wortschatz übergehen. Der Fokus dieser Arbeit liegt in der ersten Phase der Semantisierung , in der Lernende (meist durch Lehrwerke) mit lexikalischen Einheiten konfrontiert werden, und deren Bedeutungserschließung im Anfangsunterricht meist durch die Lehrperson, unter Verwendung verschiedenster Strategien, eingeleitet und initiiert wird. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zu der Wortschatzvermittlung werden nun folgend dargestellt, bevor die theoretischen Modelle erläutert werden.
2.2. Forschungsüberblick
Die Ausgangssituation der Wortschatzarbeit haben Bohn/Schreiter im Jahre 1998 wie folgt beschrieben: „Wortschatzerwerb gilt unbestritten als das Lernproblem Nr. 1 im Fremdsprachenunterricht“ (Bohn/Schreiter 1998, 196). Herausgefunden werden könne dies vor allem auf Grundlage einer Fehleranalyse im Sprachunterricht. Die daraus resultierende Relevanz für die Forschung und Unterrichtspraxis scheint in den letzten 20 Jahren jedoch weder für den DaF- noch für den DaZ- Unterricht erkannt worden zu sein (vgl. Huneke/Steinig 1997, 126 und 2013, 180; ferner Köster 2001, 887). So wurde der These von Bohn/Schreiter auch 15 Jahre später noch große Aktualität zugesprochen, als eine Untersuchung, aus der Zweitsprachenforschung zu ungesteuertem Lernen Erwachsener, forderte, dass der Wortschatzausbau mit Fokus auf Inhaltswörtern explizit im Mittelpunkt des kommunikativen Integrationskurses stehen solle (vgl. Klein/Dimroth 2003, 158-159).10 Zwar gab es einen erkennbaren Anstieg an Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen in den 1990er-Jahren, doch Köster kritisiert, dass nach 10 Jahren Forschung zwar empirische Untersuchungen vorlägen, diese jedoch unzureichende Beachtung und Berücksichtigung im Rahmen eines wortschatzdidaktischen Konzepts bekämen (vgl. Köster 2010, 1021f). Auch Kühn stellte 2010 fest, dass die empirische Forschung zum Wortschatzerwerb des Deutschen wenig Aufmerksamkeit erhalten habe (vgl. ebd., 1025). Die Wortschatzdidaktik sei zu statisch, denn Wörter oder Wortschatz sollten nicht als Besitz, sondern als Werkzeuge für den Aufbau von Textverstehen und –produktion angesehen werden (vgl. Kühn 2010, 1252). Die besten Einführungen und Überblicksdarstellungen für die Wortschatzarbeit stammen aus dem englischsprachigen Raum.11 Im deutschsprachigen Forschungskontext werden diese erst allmählich durch Kühn (Wortschatzarbeit in der Diskussion 2000) und Tschirner (Themenschwerpunkt: Wortschatz-Wortschatzerwerb-Wortschatzlernen 2004) vertreten. Der Fokus der Wortschatzarbeit liegt in diesen Werken auf den Kriterien für Lernwortschatzauswahl sowie Lernerwörterbüchern, Prinzipien der Wortschatzarbeit im Unterricht und den Semantisierungsmethoden (vgl. Kühn 2000, 5). Letztere stehen in dieser Arbeit im Kerninteresse und werden daher im weiteren Verlauf ausführlich dargestellt und in Bezug auf die heutige Unterrichtspraxis untersucht, da hierzu keine aktuellen Ergebnisse vorliegen.
Es gibt einige wenige Untersuchungen von Semantisierungsdiskursen, die in ihren Forschungskontexten sehr heterogen bezüglich der Zielgruppen, Methodik oder Erkenntnisinteressen sind und nur punktuell dieser Arbeit zuträglich sind.12 So sollen im Folgenden nur zwei der Studien kurz vorgestellt werden. Zum einen hat Köster in seiner Studie zu Semantisierungsprozessen eine universitäre DaF-Lernergruppe auf Mittelstufenniveau mit Realschul-Fremdsprachunterricht auf Vorgehensweise und Reflektion in der Semantisierungsphase verglichen. Verwendet wurde ein Multi-Methoden-Design, mithilfe dessen durch teilnehmende und nichtteilnehmende Beobachtung, Lehrerinterviews und Fragebögen vor allem diskursanalytisch untersucht, welche Strategien verwendet werden und auf welche Weise Interaktivität zwischen Lehrenden und Lernenden im Spracherwerbsprozess stattfindet. Dass sich in den Ergebnissen drei dominierende Strategien (Synonyme, Kontextabhängigkeit und Körpersprache), und fast durchgängige Mehrfacherklärungen widerspiegeln, ist insofern interessant, als dass sie im Rahmen dieser Arbeit in Bezug auf die aktuelle Unterrichtspraxis in DaZ-Integrationskursen ggf. validiert werden können (vgl. Köster 1994, 267). Zum anderen unterstreicht die Studie von Müller aus dem Jahr 1981 mit Fokus auf interkultureller Bedeutungserklärung, dass mehr als 90% der untersuchten Lehrpersonen insgesamt nur fünf (oder weniger) verschiedene Strategien benützten. Hier wurden Übersetzungen, Paraphrasen, bestimmte Begriffsmerkmale oder Körpersprache am häufigsten zur Semantisierung verwendet. Es wurde festgestellt, dass in der gesamten Studie13 von 434 erhobenen Erklärungen nur 30 Mal eine kulturspezifische, begriffserweiternde Strategie gewählt wurde (vgl. Müller 1981, 113-146). Da Interkulturalität und landeskundliche Informationen in Integrationskursen von großer Wichtigkeit sind und somit kultursensible Semantisierungsstrategien zur Vermittlung eingesetzt werden sollten, wird die Frage interessant sein, ob diese Strategien in der heutigen Unterrichtspraxis dementsprechend auch häufiger verwendet werden.
Obwohl also mithilfe einiger Studien wichtige Erkenntnisse zur Unterrichtsvermittlung erforscht haben, gilt in der deutschsprachigen Forschung zur Wortschatzvermittlung zusammenfassend allerdings immer noch, dass ein „führendes Theoriemodell“ für die Didaktik als Datengrundlage schlicht fehle (Schmidt 2002, 336). Kühn bringt die Problematik auf den Punkt:
Es fehlt in den Bereichen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache eine kohärente, erwerbsorientierte und kompetenzbezogene wortschatzdidaktische Konzeption, die darauf abzielt, die Sprachhandlungskompetenzen der Schüler aufzubauen und zu fördern (Kühn 2010, 1252; ferner vgl. Runte 2015, 43).
Man verlasse sich fast ausschließlich auf „bekannte und bewährt eingestufte Verfahren“ (Huneke/Steinig 2010, 172), obwohl diese nicht ausreichend fundiert seien, weil empirische Daten zu „didaktische[n] Reflexionen der Erklärungsverfahren, Begründung für Auswahl, Frequenz und Zuordnung zu lexikalischen Einheiten“ (Köster 2010, 1024-1025) auch noch fehlen würden. Wenngleich es keine einheitliche Modellierung des lexikalischen Lernens gibt, so scheint die Unterrichtspraxis sich schneller weiterzuentwickeln als die theoretische Fremdsprachendidaktik (de Florio Hansen 2002).
Es werden vereinzelt Erkenntnisse aus den Bezugswissenschaften der Kognitions- und Lernpsychologie wahr- und aufgenommen und auch das Interesse an Ergebnissen der lexikalischen Semantik oder Korpuslinguistik sowie der kognitiven Psychologie und Psycholinguistik ist im Bereich der Wortschatzerwerbsvermittlung gestiegen (vgl. Runte 2015, 44). Doch muss hier bedacht werden, dass die Phase der Semantisierung von verschiedenen Perspektiven aus behandelt wird: Die Kognitionspsychologie und Psycholinguistik stellen den Lernenden und seinen Erwerbsprozess in den Mittelpunkt, während in der fremdsprachlichen Linguistik die Semantisierung lexikalischer Einheiten von der Lehrperson aktiv initiiert werden (vgl. Köster 2010, 1024). Diese Arbeit wird zwar kurz illustrieren, welche Erwerbsprozesse in den Köpfen der Lernenden ablaufen, sich aber im Kerninteresse der fremdsprachlichen Linguistik anschließen und vor allem die Rolle der Lehrperson im DaZ-Anfangsunterricht untersuchen.
Ergänzend zu den hier dargestellten Forschungsansätzen muss bedacht werden, dass gerade im Bereich des Integrationsunterrichts auch der Einfluss der Lehrmaterialien sehr groß ist. So hängt die Wortschatzerwerbsvermittlung in hohem Maß von der didaktischen Ausrichtung bzw. der Semantisierungsangebote der Lehrwerke ab (Bohn/Schreiter 1996, 178), die es im weiteren Verlauf der Arbeit zu untersuchen gilt. Die zusammengeführte Analyse der beiden Komponenten Lehrperson und Lehrmaterial, wie sie in dieser Arbeit angestrebt wird, wurde bislang noch nicht vorgenommen und stellt somit eine wichtige Ergänzung zum aktuellen Forschungsstand dar.
3. Theorien zum Wortschatzerwerbsvermittlungsprozess
3.1. Wortschatzerwerbsprozess
Das Kompositum Wortschatzerwerbsvermittlungsprozess wird in diesem Unterkapitel in seinen Bestandteilen untersucht. Zunächst wird der Wortschatzerwerbsprozess, der die Handlungsabläufe beim Bedeutungserwerb im Kopfe der Lernenden und die Speicherung derer im mentalen Lexikon beinhaltet, beleuchtet. Daran anschließend wird der Fokus auf den Wortschatzvermittlungsprozess gerichtet, in dem - insbesondere im Anfangsunterricht - die Lehrperson in Verbindung mit dem Lehrwerksmedium eine zentrale Rolle im Semantisierungsprozess einnimmt.
3.1.1. Bedeutungserwerb
Um fremdsprachliche Wortbedeutungen nachhaltig vermitteln zu können, müssen Lehrende wissen und verstehen, was im Kopfe des Lernenden vorgeht, wenn es zur ersten Konfrontation mit lexikalischen Einheiten und deren Bedeutungen kommt. Da davon ausgegangen wird, dass jede lexikalische Einheit ein Zeichenträger ist, spielt die Verknüpfung von mentalem Konzept, Ausdruck und lexikalischer Einheit als Referenten eine wichtige Rolle beim Erwerben neuer Wortbedeutungen. In dem semiotischen Dreieck von Odgen/Richards 1923 wird genau dieser Prozess dargestellt und soll hier auch anhand des von Kilian 2008 modifizierten Modells für die Erstsemantisierung lexikalischer Einheiten im Anfangsunterricht des DaZ-Unterrichts erläutert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Semiotisches Dreieck von ODGEN/RICHARDS mit Modifizierungen von KILIAN 2008
Das mentale Konzept, also alle Vorstellungen zu einer lexikalischen Einheit, wird hier nach Odgen/Richards „Thought of Reference“ benannt. In dem „Thought of Reference“ werden nicht nur die semantischen Informationen, sondern die aller linguistischen Teildisziplinen, wie lexikalische, morpho-syntaktische oder pragmatische Merkmale gespeichert (vgl. Börner 2000, 30). Kilian hat durch die Einführung einer Doppelspitze das ursprüngliche Modell modifiziert, indem zwischen „Bedeutung“ und „Begriff“ im Bereich des „Thought of Reference“ differenziert wird. Terminologisch wird die Bedeutung als die verbale Encodierung des Begriffs verstanden (vgl. Kilian 2008, 266, und Szagun 1996, 103). Demnach steht die Bedeutungsspitze in dem Modell für „konventionell zugewiesene, lexikalisierte ‚Bedeutung‘“(Kilian 2008, 266), also der Kernbedeutung einer lexikalischen Einheit, während die Begriffsspitze alle weiteren Assoziationen und linguistischen Informationen bezüglich der Ausdrucksseite im Sinne der mentalen Repräsentation beinhaltet (vgl. ebd.). In Bezug auf Fremdsprachenlernen können also beispielsweise kulturspezifische oder landeskundliche Informationen zu einer lexikalischen Einheit, dem „Begriff“, als losere Assoziationen zugeordnet werden, während die meist konventionalisierte Hauptbedeutung die Bedeutungsspitze des Models ausmacht. Die lexikalische Einheit, die im Sprachunterricht erworben werden soll, wird in dem Modell als „Referent“ bezeichnet. Diese ist nicht, wie man zunächst annehmen könnte, auf Konkreta begrenzt, denn schließlich sind auch für Abstrakta Konzeptvorstellungen im Sinne des „Thought of References“ im Kopfe vorhanden. Die phonetischen und graphematischen Informationen zu einer lexikalischen Einheit werden im Modell als „Symbol“ abgebildet und stellen die Ausdrucksseite des bilateralen Sprachzeichens dar, während die Inhaltsseite die „Bedeutung“ als Teilmenge des „Thought of References“ umfasst (vgl. ebd.).
Die Verbindungslinien zeigen, wenn man von rechts nach links vorgeht, einen möglichen Weg des Bedeutungserwerbs mit Begriffsbildung auf „Grundlage sinnlicher Wahrnehmung“ (ebd., 267). Demnach wird der Referent, sofern es ein Konkretum ist, zunächst beispielsweise durch konkretes Tasten, sinnlich wahrgenommen und dadurch wird das Konzept zur Vorstellung der lexikalischen Einheit im Gehirn bzw. im „Thought of Reference“ aktiviert. Sobald die Ausdrucksseite zu der lexikalischen Einheit präsentiert wird, kann der Lernende die Vorstellungen zu Bedeutung und Begriff mit dem Laut- bzw. Schriftbild verknüpfen. Beispielsweise wird die lexikalische Einheit Buch als „Referent“ durch konkretes Tasten wahrgenommen, die Vorstellung zu Bedeutung, Wortform, Erfahrung usw. aktiviert und durch den Ausdruck /bu:x/ oder <buch> mit dem „Symbol“ verknüpft. Die Frage, die sich allerdings stellt, ist, wie ein Referent, der nicht verdinglicht ist, also ein Abstraktum wie beispielsweise Freiheit, oder auch Funktionswörter, z.B. Präpositionen, verknüpft werden. Laut Kilian vollzieht sich der Weg des Modells andersherum, da eine „vorsprachliche pikturale mentale Repräsentation“ (ebd., 267) nicht möglich ist. Das heißt, die Begriffsbildung wird durch sprachlichen Input, der „sprachliche Erbschaft“ genannt wird, initiiert, und die Verknüpfung wird andersherum vom „Symbol“ ausgehend vollzogen. Bei lexikalischen Einheiten, die mehrere Wortformen und polysemantische Bedeutungen beinhalten, erweitert sich der Referenzbereich.14
Der Prozess, in dem erste Verknüpfungen von „Referent“, „Thought of Reference“ und „Symbol“ in Form des Modells entstehen, wird in der Fachliteratur fast-mapping genannt (vgl. ebd.). Die fertige Verknüpfung ist ein sogenannter „lexikalische[r] Schnappschuss“(ebd.) und entwickelt sich stets weiter, da die Begriffsbildung dynamisch ist und immer unter Rückbezug auf das spezifische Weltwissen des Lernenden auch die Bedeutungen neu generiert. Demnach ist Bedeutungserwerb „die kontinuierliche Annäherung an eine vollständige Repräsentation“ (Köster 2010, 1023) und es kann letztlich auch nicht geurteilt werden, ob die mentalen Repräsentationen im „Thought of Reference“ richtig oder falsch sind. Es gibt lediglich eine Art Normorientierung (vgl. Kilian 2008, 271-274).
Wie verläuft der Erwerbsprozess im DaZ-Unterricht?15 Unabhängig davon, ob der Erwerbsprozess links- oder rechtsherum verläuft, ist im Anfangsunterricht zunächst die Lehrperson der Initiator. Entweder wird durch die Lehrkraft zu dem konkreten Referenten einen Ausdruck, also das „Symbol“, geliefert, sodass die Lernenden ihre vorhandenen mentalen Konzepte aktivieren und nutzen können. Oder es werden abstrakte Referenten durch den sprachlichen Input der Lehrenden unter Verwendung verschiedenster Semantisierungsstrategien (siehe Kapitel 3.3.1.) erklärt, sodass die Verknüpfungen über die sprachliche Erbschaft von „Symbol“ zu „Thought of Reference“ zu „Referent“, entstehen können. Eine grundlegende Frage ist dabei, wie sich Erst- und Zweitsprache beim Bedeutungserwerb zueinander verhalten und, ob die zu erlernende Zweitsprache sich auf Kenntnisse der Erstsprache stützt oder getrennt erworben wird.16 Einen entscheidenden Einfluss auf die Zweitspracherwerbsforschung haben dabei die Kontrastivhypothese, die Identitätshypothese, die Interlanguagehypothese sowie die Interdependenzhypothese (vgl. Günther/Günther 2007, 141; ferner: Kniffka/Siebert-Ott 2009, 34-36; Eckhardt 2008, 22-29; Hufeisen/Riemer 2010, 740-745; Königs 2010, 755-761).
Die Kontrastivhypothese 17 beruht auf behavioristischen Grundannahmen und geht davon aus, dass die Herkunftssprache oder auch alle zuvor gelernten Sprachen18 systematisch Einfluss auf das Zweitsprachlernen nehmen, indem Vergleiche angestellt werden. Sofern dieser Einfluss sich positiv auf den Lernerfolg auswirkt, wird von positivem Transfer gesprochen. Sobald dieser jedoch Störungen und Fehler in der Zielsprache Deutsch hervorbringt, spricht man von negativem Transfer oder Interferenz. (vgl. Rösler 2012, 242-245; ferner Heyd 1991, 14, oder Kniffka/Siebert-Ott 2009, 34f). Der Bedeutungserwerb einer lexikalischen Einheit kann demnach bei Ähnlichkeit in Homophonie oder Homographie positiv ausfallen, so beispielsweise bei Internationalismen wie Musik, Supermarkt oder Minute. Hier muss quasi kein neuer lexikalischer Schnappschuss erstellt werden. Stattdessen werden minimale Änderungen im „Symbol“ auf phonetischer oder graphematischer Ebene vorgenommen. Auf der anderen Seite treten Interferenzen, bei sogenannten false friends auf. Ein Beispiel ist das englische Wort brief, das ins Deutsche übersetzt kurz heißt und nicht wie man annehmen könnte Brief als Ausdruck bzw. deutsches „Symbol“ mit Bedeutung eines Schriftstückes. So muss dann ein komplett neuer lexikalischer Schnappschuss erstellt werden und bei der Semantisierung sollte beim sprachlichen Input diese Falle, soweit möglich, thematisiert werden.19 Einzelne empirischen Studien weisen allerdings darauf hin, dass Lernprobleme auch aus Vermeidungsstrategien heraus entstehen können und nicht nur auf Interferenzen beruhen (vgl. Eckhardt 2008, 23).
Die Identitätshypothese20 gilt als eine Gegenbewegung zu der Kontrastivhypothese, die beim Erwerb nicht die Unterschiede der Sprachen, sondern die Ähnlichkeiten betont und auf kognitivistischen bzw. nativistischen Erklärungsansätzen beruht (vgl. Rösler 2012, 245). Demnach soll das Sprachlernen in gewisser Weise wie der muttersprachliche Ersterwerb verlaufen, also als ein natürlicher vom Lernenden unbewusster Lernprozess, der sich auf die Struktur der Sprachen fokussiert. Fehler durch beispielsweise Übergeneralisierungen, Simplifizierungen oder Regularisierungen werden hier nicht negativ für den Erwerb interpretiert, sondern als „notwendige Entwicklungsstadien“ (Heyd 1991, 16), um die Struktur der Sprache umfassend zu verstehen und lernen zu können. Diese Hypothese wirft die Frage auf, inwieweit dieser so natürliche Lernprozess mit gesteuertem Unterricht zusammenpasst. Da die Herkunftssprache laut diesem Ansatz keinen Einfluss auf den Bedeutungserwerb einer lexikalischen Einheit nimmt, ist das Vorwissen im „Thought of Reference“ auch für den Erwerb eines Ausdrucks unerheblich und die Sprachen selbst interkorrelieren nicht. Forschungsergebnisse zu parallelen Erwerbssequenzen sind dabei von Vertretern dieser Hypothese kaum oder unzureichend berücksichtigt, sodass dies kritisiert wurde und eine abgeschwächte Variante, in der die Parallelität der Erwerbsprozesse auf die Annahme universaler linguistischer Kompetenzen reduzieren ist, gelten soll (vgl. Eckhardt 2008, 25).
Die Interlanguagehypothese 21 vertritt die Position, dass Lernende im Verlauf des Sprachenerwerbs verschiedene Zwischenstadien einnehmen, die eigene Sprachen, auch „Interimsspache“, “Lernersprache“ oder „Zwischensprache“ (vgl. Rösler 2012, 247; ferner Kniffka/Siebert-Ott, 2009, 35) genannt, entwickeln. Diese Interimssprachen weisen sowohl Merkmale der Erstsprache als auch der Zielsprache auf sowie solche, die beiden Sprachsystemen nicht entspringen. Dies geschieht, indem Lernende schrittweise Hypothesen aufstellen und diese auf Basis des Vorwissens verifizieren oder falsifizieren. In der Psycholinguistik von Wode auch als Dekomposition bezeichnet (vgl. Wode 1993, 81). Es kann hierdurch natürlich zu festgefahrenen Fehlern oder Stagnation im Erwerbsstadium, sogenannten Fossilierungen, kommen, sofern diese nicht im gesteuerten Unterricht gezielt angesprochen und überwunden werden (vgl. Heyd 1991, 21). Für den Bedeutungserwerb kann man ableiten, dass beispielsweise Regelwissen zu morphologischen Wortbildungsprozessen beim Entschlüsseln oder Kreieren der Ausdrucksseite zu dem Referenten und der mentalen Repräsentation helfen können. Es wird zwar kritisiert, dass Ergebnisse zu Langzeitstudien fehlen und Begrifflichkeiten nicht eindeutig definiert sind, dennoch wird diese Hypothese relativ verbreitet akzeptiert (vgl. Eckhardt 2008, 26).
Die Interdependenzhypothese wurde parallel zur Interlanguagehypothese um 1970 von Cummins entwickelt (vgl. ebd., 26). Hier sind die Kompetenz der Erstsprache sowie die kognitive Disposition des Lernenden entscheidend für den Erfolg der Zielsprache. Mit der sogenannten Schwellenhypothese wird die Korrelation zwischen Sprachkompetenz und akademischem Erfolg bei Schülern untersucht. Dafür wird zwischen der Alltagskommunikationskompetenz Basic Interpersonal Communication Skills (fortan BICS), die sich eher auf die konzeptionell mündliche Sprache konzentriert und nach circa zwei Jahren Sprachlernens beherrscht wird, und der kognitiv-akademischen Sprachkompetenz Cognitive Academic Language Proficiency (fortan CALP), die konzeptionell schriftlich ausgerichtet ist und nach circa neun Lehrjahren beherrscht wird, unterschieden. Nach Cummins ist das Erreichen des CALP Schwellenniveaus erforderlich, um akademisch erfolgreich agieren zu können (vgl. Cummins 1984, 28-31).
In seiner Doppeleisbergmetapher veranschaulicht Cummins, dass sich das sprachliche Wissen eines Lernenden, auch Common Underlying Proficiency (fortan CUP), nicht nur strikt auf eine Sprache begrenzt, sondern alle linguistischen und kognitiven Kenntnisse sich gegenseitig bedingen können (vgl. Cummins 2000, 191). Durch die Spitzen der Eisberge, die zunächst die beiden BICS als Oberflächenphänomene darstellen, wird deutlich, dass oberflächliche Strukturen nicht direkt auf andere Sprachen übertragen werden können, wie beispielsweise grammatische Regelsysteme. Andererseits können die mentalen Konzepte gerade im Bedeutungserwerb mit dem „Thought of Reference“ verglichen werden. Die Konzepte zu „Begriff“ und „Bedeutung“ zu einem „Referent“, die aus einer Sprache schon vorhanden sind, werden genutzt und so modifiziert, dass ein „Symbol“ dazu verknüpft werden kann. Auch diese Hypothese wurde bzw. wird vielfach kritisiert und für die Erforschung des DaZ-Bereichs als „fruchtbar“ gehalten (vgl. Hufeisen/Riemer 2010, 744). Schließlich haben DaZ-Lernende oft das Bedürfnis, den neuen, zielsprachlichen Bedeutungen ein Äquivalent ihrer Herkunftssprache zuzuordnen, dies wird durch die Nutzung des vorhandenen mentalen Konzepts gefördert (vgl. Rösler 2012, 171). Lutjeharms beruft sich auf experimentelle Daten, wenn sie schreibt, dass „ein fremdsprachliches Wort oft erst über eine Aktivierung des muttersprachlichen Übersetzungsäquivalents mit dem Begriff verbunden“ wird (Lutjeharms 2004, 16) und dass diese Strukturen genutzt werden sollten. Lernende brauchen indes „kein völlig neues Begriffssystem zu erwerben“ (ebd., 20). Beim Erstellen oder Erweitern der verschiedenen lexikalischen Schnappschüsse sei es vor allem wichtig, eine generelle Verständnisüberprüfung und einen Abgleich der begrifflichen Konzepte lehrerseitig zu initiieren, da „Bedeutungsnuancen oder Unterschiede zwischen Übersetzungsäquivalenten“ vorherrschen und gegebenenfalls zu Missverständnissen führen könnten (vgl. ebd., 21). Wie die lexikalischen Schnappschüsse untereinander verbunden sind oder generell im Gehirn repräsentiert bzw. abgelegt sind, wird im Folgenden zu besprechen sein.
3.1.2. Speicherung im mentalen Lexikon
Für diese Arbeit ist vor allem interessant, wie die lexikalischen Schnappschüsse im Gedächtnis gespeichert werden. Der Teil des Langzeitgedächtnisses, „in dem die Wörter einer Sprache mental repräsentiert sind“ (vgl. Schwarz 2008, 105), der also das Wissen über lexikalische Einheiten beinhaltet und diese kodiert und enkodiert, wird als mentales Lexikon bezeichnet. Der Begriff mentales Lexikon wird in der Wissenschaft oft unterschiedlich gebraucht und definiert. Laut Ulrich wird der Begriff auch oft synonymisch mit Wortschatz verwendet, da dieser dort abgespeichert wird (vgl. Ulrich 2007, 22). Das mentale Lexikon fungiert als „Nahtstelle zwischen spezifischen Sinneseindrücken (bei Sprachperzeption: Input) oder motorischen Mustern (bei der Sprachproduktion: Output) auf der einen Seite und mental repräsentierten Wissensstrukturen auf der anderen Seite“ (Raupach 1994, 21). Diese Sinneseindrücke, also die komplexen lexikalischen Einheiten, werden im mentalen Lexikon als „Ganzheiten“ (Römer 2015, 5) aufgenommen und mit umfangreichen Informationen zu allen linguistischen Kernbereichen gespeichert, also neben lexikalisch-semantischen auch phonologische, morphologische und syntaktische Angaben (vgl. Schwarz 2008, 105). In der Forschung gibt es Tendenzen, die besagen, dass die Informationen nicht gemeinsam, im Sinne des bilateralen Sprachzeichens mit Inhalts- und Ausdrucksseite, sondern einzeln abgespeichert werden, da Forschungen zu aphasischen Störungen und Versprechertypen darauf hinweisen (vgl. ebd., 108). Es ist dabei weitestgehend unumstritten, dass das mentale Lexikon nach inhaltlichen Kriterien und nicht beispielsweise alphabetisch aufgebaut ist, deshalb kann der Terminus mentales Lexikon irreführend sein (vgl. Wolff 2000, 102).
Die Frage, die sich in Bezug auf diese Arbeit in erster Linie stellt, ist, wie sich mehrere Sprachen im mentalen Lexikon zueinander verhalten. Gibt es ein gemeinsames mentales Lexikon, oder sind Spracheinträge in koordinierender, subkoordinierender oder gemischter Organisationsform gespeichert? In diesem Forschungsgebiet gibt es noch keine umfassenden Erkenntnisse, sondern nur Hypothesen, die noch zu belegen sind. Die „spärlichen“ Ergebnisse aus Priming-Experimenten lassen vermuten, dass eine gemeinsame Repräsentation wahrscheinlich ist (vgl. Lutjeharms 2004, 15). Man geht also davon aus, dass das herkunftssprachliche und das fremdsprachliche mentale Lexikon in einer engen Beziehungen zueinander stehen (vgl. Köster 2010, 1023).
Zu der Frage, wie der inhaltliche Lexikonspeicher organisiert oder repräsentiert wird, gibt es eine Vielzahl konkurrierende Modelle, die Annahmen zu Struktur und Anordnung von den lexikalischen Schnappschüssen beinhalten. Welches Modell am ehesten der Realität entspricht, muss durch zukünftige empirische Forschung gezeigt werden: Ein häufig genannter Modellvorschlag ist das sogenannte Netzwerkmodell. Dort werden lexikalische Einheiten als Knoten in Netzen repräsentiert und deren Verbindungen zu anderen Knoten als weiterer Informationsgehalt ausgedrückt (vgl. Wolff 2000, 106). Einige Forschungen legen nahe, dass das mentale Lexikon mit seinen Knotenpunkten multimodal angelegt ist und dadurch sowohl sprachliches Wissen und mentale Konzepte als auch nichtsprachliches Wissen im Sinne des Referenten als Konkretum abspeichert wird (vgl. Schwarz 2008, 108-115). Die Einträge zu den lexikalischen Einheiten werden mit ihren kontextabhängigen Merkmalen (im Sinne der Merkmalstheorie)22 oft als typische Repräsentation23 gespeichert und es wird davon ausgegangen, dass sie nach lexikalischen Kategorien angeordnet sind, denn „auch die semantischen Informationen sind einander nach bestimmten Ordnungsprinzipien zugeordnet“ (Wolff 2000, 103). Die Ordnungsprinzipien beruhen demnach auf semantischen Beziehungen. Diese drücken Synonymie oder Koordination durch Antonyme, Heteronyme oder Kohyponyme aus, aber auch hierarchische Beziehungen wie Hyperonym-Hyponym-Relationen. So sind Wortbedeutungen und Wortarten aufgrund dieser Relationen miteinander verknüpft und in assoziativen semantischen Feldern vernetzt. Wenn also beispielsweise die lexikalische Einheit Stuhl gelernt wird, können bereits bekannte Bedeutungen zu z.B. Tisch, sitzen oder Möbel als Hilfestellung fungieren oder auch leichter gelernt werden, da sie im mentalen Lexikon dann eng miteinander verknüpft gespeichert werden. Auch ähnlich klingende Wortformen scheinen stark untereinander vernetzt zu sein (vgl. Aitchison 1997, 292). Nach Möglichkeit sollten die lexikalischen Einheiten mit allen Sinnen aufgenommen und mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden, denn je vielfältiger diese verknüpft sind, desto leichter sind sie abrufbar und auch vor dem Vergessen geschützt (vgl. Apeltauer 2014, 242). Für die Wortschatzvermittlung sollte die Erkenntnis, dass Lernende „am Anfang des L2-Erwerbsprozesses stark dazu tendieren, Wortschatz in syntagmatischen Strukturen zu speichern, während später paradigmatische Strukturen vorherrschen“ (Wolff 2000, 108), dringend in die didaktisch-methodische Vorgehensweise der Semantisierung aufgenommen werden. So sollten in der Anfangsphase des Wortschatzerwerbsprozesses Angebote durch Lehrmittel oder Lehrperson gemacht werden, die den Lernenden ermöglichen auch selbstständig Verknüpfungen paradigmatischer Natur herzustellen. Zwar ist es unklar, ob das mentale Lexikon auch allgemeines Weltwissen oder nur sprachliches Wissen speichert (vgl. Schwarz 2008, 106), dennoch werden neue Informationen immer mit Rückbezug auf das Weltwissen verarbeitet (vgl. Peleki 2008, 135; ferner Köster 2000, 202). Indes ist die Möglichkeit, sich im Unterrichtsgeschehen über Bedeutungskonzepte auszutauschen, essentiell, sodass auch eine qualitative Begriffserweiterung, die gerade für das interkulturelle Lernen sehr wichtig ist, stattfinden kann. Je mehr Informationen über einen Begriff vorhanden sind, desto mehr kann dieser durch sein Netzwerk mit anderen auf verschiedenen Ebenen verknüpft sein. In der Wortschatzvermittlung soll den Lernenden Raum für selbstständige Ordnung und Anregungen für subjektive Geschichten oder Empfindungen zu lexikalischen Einheiten für die Verknüpfung gegeben werden, da so lexikalische Einheiten vielfältiger vernetzt würden (vgl. Köster 2001, 888). So folgt aus den bisherigen Erkenntnissen der Bezugswissenschaften insgesamt, dass sowohl mehrkanalige, ganzheitliche, kognitiv affektive Semantisierung als auch die Herkunftssprache als Lernhilfe in die Wortschatzvermittlung einzubeziehen sind (vgl. Köster 2000, 202). Der folgende Abschnitt wird diesen Vermittlungsprozess vertiefen.
3.2. Wortschatzvermittlungsprozess
Nachdem nun die theoretische Grundlage des lernerseitigen Wortschatzerwerbs dargelegt wurde, wird im Folgenden die Lehre im Vordergrund stehen. Unter Lehren wird die gezielte Steuerung von Lernprozessen verstanden, die gerade im Anfangsunterricht des DaZ-Unterrichts im Rahmen eines Integrationskurses unabdingbar ist (vgl. Krumm 2010, 907). Zu der Steuerung gehören dann die Institutionen sowie „die das Lehren steuernden Richtlinien, Curricula und Lehrpläne“ als auch die Lehrpersonen, die vor allem dann im Fokus stehen, wenn von Prozessen gesprochen wird (vgl. ebd., 207). Zur Lehrseite wird zudem auch das Medium, meist in Form eines Lehrwerks, gezählt (vgl. Börner 2000, 31).So soll im Folgenden ein kurzer Einblick in die Rahmenbedingungen der Zielgruppe der Integrationskurse gegeben, anschließend die Lehrerrolle und fachdidaktischen Ansätze erläutert und explizit auf die theoretischen Kenntnisse zur Semantisierungsphase eingegangen werden bevor eine exemplarische Analyse der Lehrmittel und Untersuchung der aktuellen Unterrichtspraxis dargestellt wird.
3.2.1. Zielgruppe Integrationskurs und -lehrkraft
Die Integrationskurse sind für Migranten zum Erwerb von Aufenthaltstiteln verpflichtend, werden durch den Bund gefördert und durch private oder öffentliche Maßnahmeträger durchgeführt. 2005 wurden diese Kurse als Erbe der in den 1990er Jahren entwickelten bundesdeutschen Sprachförderung eingeführt (vgl. Kaufmann 2010, 1096). Um einheitlichen Sprachunterricht und Sprachprüfungen zu gewährleisten, hat das Bundesministerium des Inneren (fortan BMI) im Herbst 2006 das Goethe Institut mit der Entwicklung eines Rahmencurriculums für die Integrationskurse sowie der Entwicklung einer skalierten Sprachprüfung der Niveaustufen A2 bis B1 auf Grundlage des GERs betraut. Das seit 2007 vorliegende Rahmencurriculum definiert die Ziele und Inhalte, die als Orientierung für Lehrende, aber auch Prüfungsentwickler, Lehrbuchautoren, Kursplaner, etc. dienen sollen (vgl. Rahmencurriculum 2007, 2). Die Kursteilnehmenden setzen sich aus verschiedensten Herkunftsländern zusammen und bilden so eine sehr heterogene Gruppe. Die Heterogenität basiert auf vielen Faktoren, beispielsweise Alter, Geschlecht, Muttersprache, Mehrsprachigkeit, gesellschaftliche und kulturelle Sozialisation, sowie Lernerfahrung, Bildungsstand, Bedürfnisse, auch Motivation oder Migrationserfahrung und psychosoziale Belastungen (vgl. ebd., 5f). Lehrende müssen also umfangreich ausgebildet sein, dass Heterogenität als Chance gesehen und ganzheitlich anspruchsvoll-angemessene Sprachunterricht gewährleistet wird. Es fehlen in der Forschung Ergebnisse dazu, welchen unterschiedlichen Lernbedarf diese Teilnehmenden haben und welcher Unterricht für sie förderlich sei (vgl. Kaufmann 2010, 1096). Als Reduzierung der differenten Lernbedingungen werden Maßnahmeträger dazu angehalten, sofern möglich, eine Kursdifferenzierung nach Leistung vorzunehmen, sodass die Lernprogression nicht zu stark variiert, sodass beispielsweise ein Alphabetisierungskurs vorweggeschaltet wird. Ziel soll also sein, den Lernenden schnellstmöglich sprachliche Handlungsfähigkeit zu vermitteln, da die Sprache laut Rahmencurriuclum als Mittel zur Integration fungiert. So ist die Partizipation an der Kommunikation für alle Lebensbereiche der Zugewanderten in Deutschland essentiell, um sich und ihre Belange mündig in die Gesellschaft einbringen zu können (vgl. Rahmencurriculum 2007, 9). Sie haben somit von Beginn an das Bedürfnis, sich verständlich zu machen und über ihre eigene Welt, Kultur, Religion oder Wertesysteme sprechen zu können. Die Wortschatzauswahl sollte genau diese Möglichkeit schaffen (vgl. Rösler 2012, 170). Welcher lexikalische Inhalt explizit für die Niveaustufe A1 vorgesehen ist, ergibt sich aus der vom Europarat in Auftrag gegebenen Konkretisierung des GERs durch das Werk Profile deutsch, in dem der spezifische zu lernende Wortschatz pro Niveaustufe festgelegt wurde.24 Diese Konkretisierung und Umsetzung in Form der „Can-do“ Beurteilung soll durch die kurstragenden Lehrwerke, die vom BAMF zugelassen wurden, das Strukturgerüst in Integrationskursen darstellen.
Für den spezifischen Bereich der Wortschatzaneignung, also der „lexikalischen und morpho-syntaktischen Lerninhalte“ (Rahmencurriculum 2007, 18) lassen sich im Rahmencurriculum die Lernziele aus „Handlungsfeld, Situation, Beispiel und Aktivität“ (ebd.) der sprachlichen Handlungen ableiten. Es gibt demnach keine spezifische Vorgaben, sondern nur den Hinweis, lexikalische Einheiten, die „unerlässlich für die sprachliche Handlungsfähigkeit“ (ebd., 18) der Lernenden sind, in Prüfungen und Lehrwerke aufzunehmen. Es wird hingegen explizit aufgeführt, welche landeskundlichen Kenntnisse in der jeweiligen Niveaustufe erwartet werden und ein Schwerpunkt auf kulturell unterschiedliche Sensibilisierung gelegt (vgl. ebd., 55-116). Folglich sind es diese beiden Schwerpunkte der kommunikativen und interkulturellen Unterrichtsgestaltung, die in einem späteren Abschnitt von fachdidaktischer Seite für die Wortschatzvermittlung näher beleuchtet werden. Zur methodisch-didaktischen Ausrichtung der Lehrenden werden im Rahmencurriculum allerdings keine Aussagen getroffen, da entsprechende Kenntnisse bei den durchführenden, zertifizierten Lehrkräften vorausgesetzt werden (vgl. ebd., 3). Eine spezifische Lehrerausbildung für die Erwachsenenbildung gibt es für DaZ allerdings bislang noch nicht. Stattdessen gibt es Regularien, die vom BAMF vorausgesetzt werden, damit angehende Lehrkräfte die notwendige Zertifizierung erhalten, um Integrationskurse unterrichten zu dürfen. Diese wurden aufgrund des personellen Bedarfs durch die aktuell vorherrschende politische Situation zum 1. September 2015 gelockert, sodass beispielsweise pädagogische Abschlüsse neu bewertet wurden und schneller zu einer Zertifizierung führen (vgl. BAMF 2015a). Neben einschlägigen DaZ- bzw. DaF-Zertifikaten und Hochschulabschlüssen werden gegebenenfalls Zusatzqualifizierungen erforderlich, deren erfolgreiche Teilnahme für die Zertifizierung als Integrationslehrkraft unter Umständen unabdingbar ist. In Zusatzqualifikationsmaßnahmen werden umfassende Grundlagen auch in Bezug auf didaktisch-methodische Vorgehensweisen gelegt. Für den Bereich der Wortschatzerwerbsvermittlung wird in dem Leitfaden zur Zusatzqualifizierung explizit aufgeführt, dass Kenntnisse der „gängigen und ökonomischen Formen der Semantisierung“ vorhanden sein müssen (BAMF 2015b, 35). Außerdem werden u.a. Entschlüsselungsstrategien, Umgang mit zweisprachigen Lexika oder Einwirkung von Kulturdimensionen auf Begriffsinhalte thematisiert, sodass diese Kenntnisse für die Untersuchung der aktuellen Unterrichtspraxis vorausgesetzt und erwartet werden können.
3.2.2. Lehrerrolle
Eine Lehrperson hat ein komplexes Aufgabenfeld, welches vielfältige Kompetenzen erfordert, um einen sinnvollen Umgang mit Lehrwerken und festgelegte Lernziele gewährleisten zu können. Der Begriff Lehrerrolle weist schon auf die Schauspielrollen-Metapher hin, die als Lehrperson zu füllen ist. So spielen Lehrende eine Rolle, die durch Erwartungen und Handlungen durch das soziale Gefüge geprägt ist. Für den Zweitsprachenunterricht postulieren Witte/Harden, dass sichere Sprachbenutzung und interkulturelle Kompetenz essenziell sind, um ein „einfühlsames didaktisch-methodisches Eingehen“ (Witte/Harden 2010, 1333) auf die Lernenden zu gewährleisten. Dafür ist es wichtig, dass eine Selbstreflexion und Selbstbeobachtung des Unterrichts von Lehrenden zur Bewusstwerdung und Optimierung regelmäßig durchgeführt wird. Dass das Lehrverhalten einen Einfluss auf das Lernverhalten nimmt, ist empirisch gesichert (vgl. Bromme 1997, 195). Indes ist es verwunderlich, dass es keine Untersuchungen dazu gibt, wie sich zielsprachliche und zielkulturelle Kompetenz der Lehrenden auf den Unterricht und Lehr-Lernprozess auswirken (vgl. Witte/Harden 2010, 1324-1333). Im fachdidaktischen Diskurs wurde in der Vergangenheit bei Publikationen der Fokus im Lernprozess auf die Lernenden gelegt, als auf die Lehrperson bzw. die Lehrerrolle im Lehrprozess (vgl. ebd., 1324).
Im Bereich der Integrationskurse mit stets sprachlich und kulturell heterogenen Lernbedingungen müssen Lehrende flexibel agieren können und auf spezifische Situationen angemessen reagieren. Diese müssen sodann beurteilt und interkulturell bewertet werden, um entsprechende Maßnahmen zur Förderung zu initiieren; immer unter dem Gesichtspunkt, ein multikulturelles, angenehmes Unterrichtsklima zum Lernen zu schaffen. Die Lehrperson kann also auch eine beratende Funktion einnehmen, die durch gezielte Steuerung und methodische Abwechslung für motivierenden Sprachunterricht sorgt, der auch individuell ganzheitlich fördert und fordert. Gerade im Anfangsunterricht, wo noch kaum gemeinsame Sprache zur Interaktion bzw. Verständigung vorhanden ist, spielt Ganzheitlichkeit eine wichtige Rolle. Gemeint ist der Einsatz von allen Sinnen bzw. Kanälen.25 Unter mehrkanaligem Lernen wird der mentale Prozess verstanden, der nicht nur die Fertigkeiten des Lesens, Sprechens, Hörens und Schreibens einbezieht, sondern auch „Vorstellungen von Klängen, Rhythmen, Melodien, Farben, Formen, Gerüchen, Geschmacks- und Tastempfindungen, Mimik und Gestik“ (Bohn/Schreiter 1996, 198). Für die Wortschatzeinführung, also die Phase der Semantisierung, heißt es, dass diese Kanäle zur Erklärung genutzt werden sollten, aber auch, dass die lexikalischen Einheiten nicht isoliert stehen, sondern in einem reichen Kontext vorkommen sollten. Damit sind nicht nur allgemeine Schlüsse von Wortform zu Wortfamilien gemeint, sondern jegliche situationsabhängige Assoziationen, in denen die lexikalische Einheit vorkommen kann. Der Kontext sollte also gemäß den Leitzielen für Integrationskurse einer natürlichen Situation nahekommen, da diese das Lernen und den Transfer erleichtern. Bei zu großer Abstraktion und geringem Identifikationspotential kommt es andernfalls laut Apeltauer zu Lernproblemen oder Lernblockarden (vgl. Apeltauer 2014, 246). Die Semantisierung im Kontext hat außerdem eine große Wichtigkeit, da die deutsche Sprache über viele lexikalische Einheiten verfügt, die mehrere Bedeutungen haben bzw. annehmen können. In diesen Fällen ist der Textzusammenhang ausschlaggebend und soll kurz illustriert werden: Denn auch wenn in dieser Arbeit ein vergleichsweise einfacher Grundwortschatz bis Niveaustufe A1 im Fokus steht, werden Lernende im Anfangsunterricht mit den verschiedenen Verwendungen und Verbindungen von beispielsweise gehen -je nach Kontext- in Berührung kommen. So ist die zuerst erlernte Hauptbedeutung, dass Menschen gehen, sich also bewegen, recht eindeutig. Auch der Zusatz, dass Tiere gehen können ist noch nicht problematisch. Nach kurzer Zeit muss allerdings festgestellt werden, dass auch Uhren gehen, also das Merkmal Lebewesen nicht ausschließlich mit gehen verbunden werden kann, sondern die Bedeutung metaphorisch ist. Der Kontext liefert Informationen zu den lexikalischen Einheiten, die alle gemeinsam abgespeichert werden und dafür sorgen, dass viele Verknüpfungspunkte im mentalen Lexikon zur Vernetzung verfügbar sind. Lehrende sollten demnach darauf achten, dass die Bedeutungen im reichhaltigen, authentischen Kontext gelernt werden und gegebenenfalls nachsteuern, wenn lexikalische Einheiten in Lehrwerken beispielsweise isoliert vorkommen.26
Zusätzlich zur ganzheitlichen, mehrkanaligen, flexiblen Unterrichtskompetenz müssen Lehrende auch im Blick haben, dass Lernende pro Unterrichtseinheit nur begrenzt neue Wörter im Gedächtnis aufnehmen können. Laut Gedächtnisforschung von Miller 1956 können ungefähr sieben lexikalische Einheiten, auch Chunks genannt, pro Unterrichtseinheit aufgenommen und verarbeitet werden (vgl. Schwarz 2008, 103). So ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der Unterrichtspraxis einer der beiden prominenten Umgangsweisen mit Wortschatz laut Bohn beinhaltet, dass aus Zeitdruck der Wortschatz nicht explizit im Unterricht thematisiert, aber dennoch gefordert und vorausgesetzt wird. Die zweite Art mit Wortschatzarbeit umzugehen ist, durch ein lernerorientiertes Unterrichtskonzept deutlich zu machen, warum welche Wörter zu lernen sind und wie dies effektiv umgesetzt werden kann (vgl. Bohn 2013, 6). Der letztere Ansatz wäre für den Stellenwert bzw. die Wichtigkeit der Wortschatzvermittlung, auch in Bezug auf den zuvor thematisierten Erwerbsprozess, angemessener und soll in dieser Arbeit als Lehrleitziel einer Lehrperson verstanden werden. Ferner kommt hinzu, dass Lehrende in Integrationskursen auch die alltägliche Lebenswelt in den Unterricht holen sollten und gerade bei sprachlichen Herausforderungen in der Alltagsbewältigung flexibel den Unterricht gestalten müssen. Es ist häufig so, dass durch ungesteuertes, natürliches Lernen im deutschen Sprachbad auch unkorrekt gebräuchliche Strukturen sich bei Teilnehmenden einschleichen. Diese fossilierten Fehler sollten unbedingt im Unterricht von der Lehrperson aufgegriffen, thematisiert und bewältigt werden.
3.2.3. Kommunikativ-interkultureller Ansatz
Aus den zugrundliegenden Konzepten der Integrationskurse wird deutlich, dass handlungsorientierte Kommunikation und Interkulturalität als zentrale Zielsetzung fungieren. Auch wenn es bislang noch keine, auf empirischen Befunden basierenden, einheitlichen Konzeptionen zur Didaktik und Methodik des DaZ-Unterrichts gibt (vgl. Kapitel 2.2.), so gilt es, kurz zu erläutern, was die fachdidaktischen Konzepte des kommunikativen und interkulturellen Ansatzes als Lehrkonzepte vorsehen: Der kommunikative Ansatz hat zunächst zum Ziel, dass Lernende „sich im Alltag der Zielsprache zurechtfinden“ können (Rösler 2012, 76). Demnach werden Unterricht und Lehrwerk nicht anhand grammatischer Progression, sondern thematisch anhand von Kommunikationssituationen organisiert. Die sprachlichen Mittel zur Verständigung im Alltag werden systematisch vermittelt und es wird großen Wert auf authentische Situationen, Kontexte und Beispiele gelegt, um Berührungspunkte zur Lebenswelt der Lernenden zu schaffen. Die Authentizität wird beispielsweise durch Modalpartikel, wie ja, eigentlich,.. etc. erschaffen, die u.a. als Kennzeichen konzeptionell mündlicher Sprache dienen. Der kommunikative Ansatz hat somit eine starke Verknüpfung zur Interlanguagehypothese, da erwartet wird, dass Lernende Hypothesen zur Zielsprache bilden und sich schrittweise sprachlich weiterentwickeln (vgl. Rösler 2012, 76-81). Die Herkunftssprache soll keine besondere Rolle im Lehrprozess spielen, da in der Zielsprache gelernt wird und Einsprachigkeit erwünscht ist (vgl. Kniffka/Siebert-Ott 2009, 96). Für die Semantisierung im Anfangsunterricht bedeutet dies, dass sich auf einsprachige Strategien zur Bedeutungserklärung beschränkt werden sollte. Die einseitige Orientierung am deutschen Alltag berücksichtigt allerdings nicht, dass Lernende auch sprachliche Mittel benötigen, um sich über ihren eigenen kulturellen Kontext austauschen zu können. Aufgrund dessen sollte im Integrationskursunterricht eine Verbindung zum interkulturellen Ansatz angestrebt werden, denn dort kommt die Artikulation der eigenen Lebenswelt und Erfahrung hinzu. Es findet eine Sensibilisierung für Unterschiede statt, wobei Vorurteile abgebaut, positive Einstellungen vermittelt und Toleranzfähigkeit geübt werden soll (vgl. Rösler 2012, 81-86). Der Unterricht wird so gestaltet, dass Lernende ausdrücken und reflektieren können, wie sie die „deutsche Sprache, Deutschland, das Land, dessen Kultur, dessen Sprache“ (Löschmann 1993, 10) sehen und erleben. Demnach sollen vielfältige Auseinandersetzungen mit der deutschen Sprache und ihren Sprachlernprozessen gefördert und nicht rein landeskundliche Aspekte vermittelt werden.
Bei der Wortschatzeinführung wird auf sprachsensiblen, kulturellen Kontext Wert gelegt, damit Bedeutungsunterschiede der begrifflichen Konzepte deutlich gemacht werden können. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass im Unterricht Wortbedeutungen durch Einordnung zu verschiedenen Kulturdimensionen27 vermittelt werden. So können Bedeutungen lexikalischer Einheiten wie beispielsweise mein Freund, ein Freund von mir oder Bekannter durch Nähe-Distanz-Relation, unter Berücksichtigung kultureller Unterschiede bzw. Auslegungen, eingeordnet und abgestuft werden (vgl. Rösler 2012, 83). Lehrende und Lernende sollten sich zudem über ihre kulturspezifischen Konzepte austauschen, damit eine qualitative Begriffserweiterung im „Thought of Reference“ stattfinden kann und kulturell angemessen agiert wird. Dazu wird im folgenden Abschnitt im Bereich der kulturellen Semantisierungsstrategien genauer auf Handlungsmöglichkeiten eingegangen.
3.3. Bedeutungsvermittlung
In Bezug auf die Bedeutungsvermittlung wird sich in dieser Arbeit auf die semantische Komponente konzentriert, was jedoch nicht ausdrücken soll, dass der phonetischen, graphischen und grammatisch-kombinatorischen nicht gleichermaßen Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Im Anfangsunterricht sollte sukzessive vorgegangen werden, indem die phonetische Präsentation zuerst gelehrt, dann die Bedeutung vermittelt bzw. verknüpft und im dritten Schritt dann das Schriftbild präsentiert wird (vgl. Heyd 1991, 92; ferner Bohn/Schreiter 1996, 175). Da im Deutschen die Graphem-Phonem-Korrespondenz für fehlerhafte Aussprache sorgen könnte und auch herkunftsprachliche Lautvorstellungen irritieren könnten, ist diese Reihenfolge sinnvoll, gerade um Transferschwierigkeiten zu vermeiden. Jedoch ist auch der Schritt der Bedeutungsvermittlung ein komplexer Vorgang, zu dem laut Müller in Handbüchern zur Methodik im Wortschatzbereich „kaum detaillierte Hinweise für eine gezielte schrittweise Bedeutungsvermittlung“ (Müller 1994, 52) gegeben werden. Somit schlägt er in seiner Fernstudieneinheit Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung eine Vorgehensweise vor, die auch für diese Arbeit als sinnvoll erachtet wird und nach der sich eine Lehrperson im Anfangsunterricht beim Semantisierungsprozess richten sollte:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Vorgehensweise für interkulturelle Begriffserweiterung (nach MÜLLER 1994, 53)
In dem ersten Schritt wird durch die im Folgenden aufgeführten Semantisierungsstrategien die kontextabhängige Kernbedeutung identifiziert und erklärt. Erst im Anschluss daran sollte der Begriffsbereich qualitativ durch landeskundliche oder kulturspezifische Informationen erweitert werden. Einen wichtigen Stellenwert in diesem Prozess nimmt die Verständniskontrolle ein. Schließlich muss gesichert sein, dass die Lernenden die Bedeutungen der neuen lexikalischen Einheiten verstanden haben, damit diese in den nächsten Phasen des Übens und Anwendens korrekt benutzt werden können.
3.3.1. Semantisierungsstrategien
Das Repertoire an Methoden zur Bedeutungsvermittlung ist insofern begrenzt und scheint seit den 1970er Jahren nicht signifikant gewachsen zu sein, als dass es nur endliche Möglichkeiten gibt, Semantisierungsprozesse zu initiieren (vgl. Bahns 2004, 204). Die Empfehlungen der Semantisierungsstrategien gehen auf Typologien von Doyé (1971 und 1982) und Baur/Grzybek (1990) zurück. Diese wurden von der Fremdsprachendidaktik für die Deutschdidaktik adaptiert und werden heute vor allem in Studienreihen für angehende Lehrkräfte aufgelistet (vgl. Heyd 1991, Müller 1994, Kaufmann 2008 und Bohn 2013). Die im Folgenden angeführte Sammlung der Semantisierungsstrategien wurde mit ihren Beispielen - sofern möglich - der Zielgruppe des Niveaus A1 angepasst.28 Es gibt in der Forschungsliteratur keine Einigkeit über die Art der Gruppierung von Semantisierungsstrategien, sodass sie hier zunächst anhand der verschiedenen Lerntypen gegliedert werden: haptisch, visuell und auditiv. Da letztlich alle Strategien kognitiv fördernd und fordernd sind, wird im Anschluss daran nach verbal-einsprachigen und -zweisprachigen Strategien unterschieden. Diese Sortierung soll den Lehrkräften helfen, lerntypenorientiert zu arbeiten sowie individuelle und differenzierte Angebote zu unterbreiten.
Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es nicht die eine richtige Methode gibt, um Lernenden den semantischen Inhalt einer lexikalischen Einheit zu vermitteln. Es hängt von den Eigenschaften der lexikalischen Einheiten sowie dem Leistungsstand der Lernenden bzw. deren Lernvoraussetzungen ab. Oft ist es ein Zusammenspiel von mehreren Strategien, auch um in den heterogenen Gruppen vielseitig das Vorwissen, also die mentalen Konzepte der Lernenden, zu aktivieren. Auf Grundlage der hier zusammengestellten Strategien soll in der Untersuchung zur aktuellen Praxis analysiert werden, welche Strategien und Strategiekombinationen für welche Wortklassen genutzt werden.
[...]
1 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit werden geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen nicht differenziert. Die gewählte männliche Form schließt die adäquate weibliche Form gleichberechtigt ein.
2 Außerdem werden für besonders engagierte Ausländer deutliche Vorteile für die Niederlassungserlaubnis und Arbeitsmarktintegration im neuen Integrationsgesetz als Anreiz geschaffen.
3 Das neue Integrationsgesetz stellt die Maßnahmeträger vor weitere Herausforderungen, da die Wartezeiten für Berechtigte bis zum Zustandekommen eines Integrationskurses von bisher drei Monaten auf sechs Wochen verkürzt werden soll.
4 Eine Ausweitung auf das Sprachniveau B1 des GER würde den Rahmen dieser Arbeit und den Fokus maßgeblich verschieben, sodass hier nur der Hinweis auf eine mögliche Folgeuntersuchung und -forschung gegeben werden kann.
5 Auch wenn Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik sich zwar mit demselben Wirklichkeitsfeld beschäftigen, aber aufgrund ihrer Zielsetzung getrennte Bereichen zuzuordnen sind, so ist diese Unterscheidung in dieser Arbeit nicht weiter relevant, da nur die Ergebnisse beider in Bezug auf DaF und DaZ von Interesse sind. (Sprachlehrforschung hat zum Ziel, Erkenntnisse aus den Bezugs- und Nachbarwissenschaften zusammenzuführen, während bei der Fremdsprachendidaktik der Bezug zum neusprachlichen Unterricht und dessen Vermittlung im Fokus stehen soll (vgl. Runte 2015, 35).)
6 Die Zweitsprache wird auch in Anlehnung an den englischsprachigen Terminus second language als L2 in der Fachliteratur bezeichnet, während die Muttersprache als Erstsprache mit L1 abgekürzt wird. Die Termini Muttersprache und Herkunftssprache werden in dieser Arbeit als Synonyme benutzt.
7 Weitere Ausführungen dazu in Kapitel 3.2.1.
8 Diese Annahmen beruhen auf strukturellen Untersuchungen der kontrastiven, behavioristisch ausgerichteten Linguistik, welche Lernen auf positiven und negativen Transfer zur Herkunftssymbolik zurückführen (vgl. auch Baur/Grzybek 1990, 256). Dies wird auch im Kapitel 3.1.1. noch einmal aufgeführt.
9 Diese Eingrenzung der Lernervorerfahrungen wird gemacht, da sich der Wortschatzerwerbsprozess, also das Herstellen von Verknüpfungen unter Einbezug des Schriftbilds, innerhalb des Alphabetisierungsprozesses im Anfangsunterricht zunächst langsamer vollzieht und auch eine differente, darauf ausgelegte, Didaktik benutzt.
10 Eine Übersicht der Forschungsergebnisse im Bereich des ungesteuerten Erwerbs, der sehr schwierig zu überprüfen ist, und aufgrund des Umfangs nicht Gegenstand dieser Arbeit sein kann, findet man in Runte 2015,7.
11 Dazu: Nation 2001, Schmitt 2000, Thornbury 2002 und Bahns 2004.
12 Weiterführend wären beispielsweise: Henrici 1982, Baur/Grzybek 1986, Henrici/Herlemann 1987, de Florio-Hansen 1994, Kalka 2002.
13 In dem Forschungsbericht sind keine Angaben zum Lernstand der Lerngruppen vorhanden, sodass die Niveaustufe unklar ist.
14 Auf der Niveaustufe A0 bis A1 sind jedoch kaum mehrgliedrige komplexe Einheiten, wie Idiome oder metaphorische Wortbedeutungen zu lernen, weshalb diese auch nicht explizit Gegenstand dieser Arbeit sind und werden nicht weiter thematisiert werden.
15 Zunächst muss festgehalten werden, dass es in der sehr jungen DaZ-Forschung in diesem Bereich noch keine empirisch belegten Aussagen darüber gibt, wie Bedeutungserwerb im Gehirn verarbeitet oder gespeichert wird.
16 Es können im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht alle Theorien oder Annahmen, die es im Bereich der Fremdsprachenforschung gibt, dargelegt werden, daher werden nur einige zentrale Erkenntnisse vorgestellt, die nicht den Anspruch auf absolute Korrektheit oder Vollständigkeit erheben können.
17 Begründer/ Vertreter dieses Ansatzes sind unter anderem: Fries 1945; Lado 1957.
18 Die Ergebnisse zu Forschungen von Tertiärerwerb, also Deutsch nach anderen Fremd-/Zweitsprachen zu erlernen, werden in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt, da dies für diese Arbeit zu umfangreich werden würde, jedoch ein interessanter Aspekt für weitere Forschungen ist. Mehr dazu beispielsweise bei Marx/Hufeisen 2010, 826-831.
19 Natürlich kann man in einer heterogenen Lerngruppe nicht davon ausgehen, dass die Lehrperson alle in der Lerngruppe vertretenen Sprachen so beherrscht, dass alle möglichen Interferenzen vorgebeugt werden kann.
20 Begründer/Vertreter dieses Ansatzes: Corder 1967; Krashen 1973.
21 Begründer/Vertreter des Ansatzes: Selinker 1972; Reinecke 1935.
22 Die Merkmalstheorie wird in Katsaounis 2006 in Bezug auf das mentale Lexikon modelliert.
23 In Roschs Studie aus 1975 zur Prototypensemantik wurde festgestellt, dass Wortbedeutungen prototypische Vorstellungen beinhalten können. Die Arbeit mit prototypischen und auch stereotypischen Vorstellungen kann im Sprachunterricht gewinnbringend und ökonomisch sein, sollte jedoch als Orientierungspunkt verwendet werden und Sensibilisierung für diese im Vordergrund haben, um so negativer Verstärkung entgegen wirken (vgl. Löschmann 1993, 9).
24 Eine kritische Betrachtung des Grundwortschatzes bzw. seiner Auswahl ist für diese Arbeit nicht zielführend, wäre jedoch ein interessantes Forschungsthema. Dazu Funk 2005, 119-133.
25 Die Forderung nach mehrkanaliger, ganzheitlicher, kognitiv affektiver Semantisierung wurde im vorangegangenen Kapitel aus Ergebnissen der bezugswissenschaftlichen Forschungen abgeleitet.
26 Die explizite Nachsteuerung durch beispielsweise die Kreation eines eigenen Szenarios wird als Semantisierungsstrategie S5 im folgenden Abschnitt noch einmal thematisiert.
27 Eine Erläuterung jeglicher Kulturdimensionen nach Hall 1977, Trompenaars 1993 oder Hofstede 2001 würde über den Fokus und Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Das Wissen Lehrender zu Kulturdimensionen wird für kompetenten kultursensiblen Unterricht vorausgesetzt.
28 Die ausgewählten Beispiele können hier nicht jede mögliche Kategorie, morphologische Struktur oder logische Beziehung anführen, sie erheben also nicht den Anspruch, vollständig zu sein.
- Citar trabajo
- Carolin Carstens (Autor), 2016, Deutsch als Zweitsprache. Zur Rolle der Lehrperson in der Wortschatzvermittlung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418391
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