Die am häufigsten genannten Merkmale in den oft nicht ganz einheitlich lautenden Definitionen des virtuellen Unternehmens (hier im folgenden in einem übergreifenden Netzwerk-Kontext, auch virtuelle Organisation genannt) sind die rechtliche Selbstständigkeit, räumliche Verteiltheit, und die intendiert temporäre Zusammenarbeit der Akteure (Scholz 1994 b, S.38). Aus dem Verzicht auf eine zentrale Koordinationsinstanz und wegen der damit einhergehenden vermeintlichen Kostenersparnisse sowie der Flexibilitätserhöhung erhoffen sich die VU (Virtuellen Unternehmen) Effizienzvorteile gegenüber herkömmlichen Organisationsformen. Als Koordinationsmechanismus und Basis für die Kooperation wird an Stelle dessen auf das gegenseitige Vertrauen der Akteure abgestellt.
Fraglich ist jedoch wie es zu der Ausbildung von Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern in VU überhaupt kommen soll. Insbesondere stellt sich diese Frage mit Blick auf die konstitutionellen Merkmale der VU, die den in der einschlägigen Literatur vorzufindenden Entstehungsbedingungen von Vertrauen (vgl. z. B. Luhmann 1989) zumindest auf den ersten Blick nicht zu entsprechen scheinen. Kann Vertrauen im VU demnach überhaupt entstehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungen
Tabellen
Abkürzungen
1. Einführung
2. Das Vertrauensdilemma in virtuellen Unternehmen
2.1 Wesentliche Merkmale virtueller Unternehmen
2.2 Vertrauen als Kooperationsbasis in VU?
2.3 Informationsdefizit, Kommunikation und Vertrauen
3. Spieltheoretische Betrachtung von Vertrauen
3.1 Die Rolle von Vertrauen in Kooperationssituationen
3.2 Die Gefangenendilemma-Situation im VU
3.2.1 Untersuchung der Merkmale und Handlungsalternativen
3.2.2 "Schatten der Zukunft" - wie die Zukunft das gegenwärtige Handeln beeinflusst
3.2.3 Bedeutung von Sanktionsmöglichkeiten und drohender Vergeltung im VU
4. Systemtheoretische Betrachtung von Vertrauen
4.1 Ausgewählte Aspekte der Vertrauensbildung
4.1.1 Zeitperspektive, Erfahrungen und Vertrauensbildung
4.1.2 Reduktion von Komplexität durch Vertrauen
4.1.3 Kontrolle des Vertrauens
4.2 Systemvertrauen
4.2.1 Kontrolle im System
4.2.2 Die Grenzen des virtuellen Systems
5. Vertrauensbildung im Netzwerk Virtuelles Unternehmen
5.1 Das Virtuelle Unternehmen als Unternehmensnetzwerk
5.2 Reputation in Virtuellen Unternehmen
5.3 Unternehmenskultur in Virtuellen Unternehmen
6. Kritisches Resümee
Literatur
Abbildungen
Abb. 3-1: Auszahlungsmatrix der Unternehmen A und B bei alternativ wechselseitiger Kooperation bzw. wechselseitiger Defektion.
Abb. 3-2: Auszahlungsmatrix der Unternehmen bei einseitiger Kooperation, bzw. einseitiger Defektion
Abb. 3-3: Auszahlungsmatrix im "Informationstransfer-Dilemma"
Abb. 3-4: Individuelle Handlungspräferenzen bei einmaligem Spiel.
Abb. 6-1: Untersuchungsfortgang und Ergebniszusammenfassung Fehler! Textmarke nicht definiert.
Tabellen
Tabelle1: Abgrenzung der Virtuellen Organisation
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einführung
Die am häufigsten genannten Merkmale in den oft nicht ganz einheitlich lautenden Definitionen des virtuellen Unternehmens (hier im folgenden in einem übergreifenden Netzwerk-Kontext, auch virtuelle Organisation genannt) sind die rechtliche Selbstständigkeit, räumliche Verteiltheit, und die intendiert temporäre Zusammenarbeit der Akteure (Scholz 1994 b, S.38). Aus dem Verzicht auf eine zentrale Koordinationsinstanz und wegen der damit einhergehenden vermeintlichen Kostenersparnisse sowie der Flexibilitätserhöhung erhoffen sich die VU (Virtuellen Unternehmen) Effizienzvorteile gegenüber herkömmlichen Organisationsformen. Als Koordinationsmechanismus und Basis für die Kooperation wird an Stelle dessen auf das gegenseitige Vertrauen der Akteure abgestellt.
Fraglich ist jedoch wie es zu der Ausbildung von Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern in VU überhaupt kommen soll. Insbesondere stellt sich diese Frage mit Blick auf die konstitutionellen Merkmale der VU, die den in der einschlägigen Literatur vorzufindenden Entstehungsbedingungen von Vertrauen (vgl. z. B. Luhmann 1989) zumindest auf den ersten Blick nicht zu entsprechen scheinen. Kann Vertrauen im VU demnach überhaupt entstehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Die Problemstellung soll in Abschnitt 2 näher verdeutlicht werden. Im Vorfeld der Untersuchung werden dazu das zugrunde gelegte Verständnis und die untersuchungsrelevanten Merkmale von VU abgebildet. Einführend folgen dann, angesichts ihrer besonderen Bedeutung bei der Ausgestaltung von (Kooperations-) Beziehungen im VU, Betrachtungen zum Thema Kommunikation bzw. Information.
Die Bedingungen die eine (Kooperations-) Situation im VU kennzeichnen werden im dritten Abschnitt mittels spieltheoretischer Erkenntnisse über Entstehungsbedingungen von Kooperation näher untersucht. Die Unternehmen, die sich zu einem VU zusammenschließen, werden hier auch als einzelne "Akteure" aufgefasst, deren Interaktion sodann ähnlich der zweier Individuen untersucht werden kann. Somit wird die Anwendung der Untersuchungen von Robert Axelrod (1995) möglich, der die Entstehung von Kooperation auf Grundlage der Gefangenendilemma-Situation analysiert hat. Diese sollen die Identifizierung erster vertrauensrelevanter Merkmale und deren Ausprägungen im VU ermöglichen. Insbesondere wird dabei dem Zeithorizont, in dem die Zusammenarbeit stattfindet, genauer der "Dauerhaftigkeit", bzw. "Wiederholbarkeit" der Interaktion, bei der Ausbildung von Vertrauen zwischen zwei Akteuren im VU eine bedeutende Rolle zukommen.
In Abschnitt drei dieser Arbeit werden dann ausgewählte Vertrauensaspekte aus systemtheoretischer Perspektive näher betrachtet und in ihrer Ausprägung und Bedeutung für Vertrauen im VU diskutiert. Der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann (1989) hebt die Bedeutung des Vertrauens für die Reduktion von (Umwelt-) Komplexität hervor, was den Blick auf die VU als ein hoch komplexes und "dynamisches " System" lenkt. Das Systemvertrauen als eine besondere Form des Vertrauens, das sich nicht auf einzelne Personen, bzw. Akteure, sondern auf (soziale und/oder ökonomische) Systeme bezieht, könnte im VU daher an die Stelle von Persönlichem Vertrauen treten. Dies wird hier geprüft und durch einige Überlegungen zum VU in seiner Eigenschaft als System abgerundet.
Im Anschluss daran steht das VU mit seinen Eigenschaften als Netzwerk-Organisation im Mittelpunkt der Betrachtungen. Untersucht wird, ob die VU als Netzwerk den Aufbau von Reputation ermöglicht und somit die Vertrauensbildung seiner Mitglieder beeinflussen kann. Ein weiteres häufig in seiner Vertrauen beeinflussenden Wirkung hervorgehobenes Element ist die Unternehmenskultur. Abschließend wird am Ende dieser Arbeit die Möglichkeit einer gemeinsamen Unternehmenskultur im VU, im Sinne von gemeinsamen Werten und Normen beleuchtet.
2. Das Vertrauensdilemma in virtuellen Unternehmen
2.1 Wesentliche Merkmale virtueller Unternehmen
Die in der Literatur angeführten Definitionen und Merkmale virtueller Organisationen sind vielfältig und mehr oder weniger umstritten (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 107-124.; Mertens et al. 1998, S. 3; Becker, 1999). Eine „trennscharfe Operationalisierung“ der VU findet daher nur selten statt (vgl. Scholz 1994 b, S.12).
Dem soll hier begegnet werden durch die Fokussierung des Untersuchungsinteresses auf den Gegenstand des VU aus institutioneller Sicht als eine „interorganisatorische Verbindungsform von organisatorischen Einheiten außerhalb der Unternehmensgrenzen“, die „virtuelle interorganisationale Kooperation“ (vgl. Scholz 1996, S. 205), mit einer definitorischen Eingrenzung bestimmter, als zentral erachteter Merkmale und konzeptioneller Bausteine.
Virtuelle Organisationen werden im Folgenden ihrer Grundidee (vgl. Scholz 1996, S: 208) nach, als Netzwerke von Unternehmen betrachtet, die
„…in ihrer reinen Form als temporäre, projekthafte Kooperationen von rechtlich selbständigen Unternehmen verstanden [werden können], die mittels gemeinsamer IKT-Architektur (technologische Komponente) und durch die Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette (prozessuale Komponente) individuell auf Kundenbedürfnisse (kontextuelle Komponente) abgestimmte Produkte - idealiter zum Zeitpunkt der Nachfrage - erzeugen, ohne daß dem Kunden die arbeitsteilige Leistungserbringung auch nur ansatzweise transparent wird“ (Weibler/Deeg 1998, S. 109). "Die Verbundorganisation verzichtet weitgehend auf die Institutionalisierung zentraler Funktionen" (Klein 1994, S. 309, zitiert nach Weibler/Deeg 1998, S. 109).
Ähnlich definieren auch Vertreter der Wirtschaftsinformatik den Begriff des VU als
„…eine Kooperationsform rechtlich unabhängiger Unternehmen, Institutionen und/oder Einzelpersonen, die eine Leistung auf Basis eines gemeinsamen Geschäftsverständnisses erbringen. Die kooperierenden Einheiten beteiligen sich an der Zusammenarbeit vorrangig mit Ihren Kernkompetenzen und wirken bei der Leistungserstellung gegenüber Dritten wie ein einheitliches Unternehmen. Dabei wird auf die Institutionalisierung zentraler Managementfunktionen zur Gestaltung, Lenkung und Weiterentwicklung des VU weitgehend verzichtet und der notwendige Koordinations- und Abstimmungsbedarf durch geeignete Informations- und Kommunikationssysteme gedeckt. Das VU ist mit einer Mission verbunden und endet mit dieser“ (Mertens et al. 1998, S. 3).
In Anlehnung an diese beiden Definitionen sollen im Vorfeld der Untersuchung diejenigen Merkmale hervorgehoben und beschrieben werden, die für die Untersuchung des Phänomens "Vertrauen in Virtuellen Unternehmen" relevant sein könnten.
1) Lose Kopplung der organisatorischen Einheiten
Die Partnerunternehmen des VU sind rechtlich unabhängig, haben "kein gemeinsames juristisches Dach" (Scholz 1994 b, S: 19), treten jedoch nach außen hin als ein einheitliches Unternehmen auf. Die Zusammenarbeit basiert auf einem eher lockeren Zusammenschluss der Teilnehmer und Kontrollmechanismen, die sicherstellen, dass jeder Teilnehmer seinen Teil der Leistung ordnungsgemäß erbringt, existieren nur eingeschränkt (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 112).
Verträge über eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit werden, u. a. aufgrund von Vertragskosten, nur mündlich oder auf elektronischem Wege getroffen, und bleiben aufgrund der Unabsehbarkeit zukünftiger Anforderungen notwendigerweise unvollständig (vgl. Mertens 1994, S. 169). "Zudem würde eine detaillierte Beschreibung verschiedenster zukünftiger Entwicklungen und entsprechend starre Regelungen dem offenen und dynamischen Charakter der Kooperation und damit auch ihren strategischen Zielen widersprechen" (Szyperski/Klein 1993, S. 199; vgl. Scholz 1994 b, S. 20). Eine vertragliche Bindung liegt somit nur in informaler, zeitlich befristeter Form vor (vgl. Scholz 1994 b, S. 20).
Dieses Merkmal lässt darauf schließen, dass Sanktionsmöglichkeiten für defektives Verhalten nicht vorhanden, oder zumindest nur unter erschwerten Bedingungen durchsetzbar sind (vgl. Steven/Otterpohl 2000, S. 181). Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob Sanktionsmöglichkeiten in anderer Form als auf rechtlichem Wege existieren.
2) Entmaterialisierung
Das Attribut der „Virtualität“, das immer auch das Fehlen von bestimmten physischen Attributen des ursprünglichen Objektes bedeutet (vgl. Scholz 1994 b, S5), weist auf einen Übergang vom Materiellen zum Immateriellen hin (vgl. Linde 1997, S:39), und impliziert somit eine räumliche und zeitliche Flexibilität der VU. Diese wird realisiert durch die folgenden zwei Merkmale:
a) Räumliche Verteiltheit der Unternehmen
Die Akteure des VU können durchaus als "physisch-reale“ Unternehmen existieren, müssen sich jedoch nicht in räumlicher Nähe befinden, ja sogar ein persönliches Zusammentreffen ihrer menschlichen Vertreter wird originär nicht vorausgesetzt. Da die Kommunikation im VU im Wesentlichen mittels ausgereifter IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) erfolgen soll (vgl. Scholz 1994 b, S.20), ist auch ein Zusammenschluss von weltweit angesiedelten Unternehmen zu einem VU möglich.
Dies hat zur Folge, dass sich Verhaltensweisen des Kooperationspartners nicht, oder nur schwer beobachten und kontrollieren lassen. Die Zusammenarbeit zwischen den Partnern ist daher in ganz besonderem Maße von einer intensiven Kommunikation und von einem offenen Informationsaustausch abhängig.
b) Flexibler, temporärer Charakter der Zusammenarbeit
"Agiert die Organisation in einer dynamischen Umwelt, ist sie im Zeitablauf mit sich wandelnden Kundenbedürfnissen konfrontiert. Je dynamischer die Umwelt der Organisation ist, desto schneller und stärker vollzieht sich die Wandlung der Kundenbedürfnisse" (Tomenendal 2002, S.2).
Die Zusammenarbeit im VU ist zeitlich befristet (Scholz 1994, S. 21). Die Unternehmen schließen sich flexibel, idealiter zum Zeitpunkt der Kundenanfrage (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 109) zum VU zusammen. Ihr Ziel ist die Ausnutzung zeitlich begrenzter Marktpotentiale, weshalb die Kooperation intendiert temporär ist (vgl. Olbrich 1994, S. 28; Schräder 1996, S.32, zitiert nach Steven/Otterpohl 2000, S. 179). Die Organisationsstruktur ist variabel und damit nicht starr (Scholz 1994 b, S.20), so dass sich auch die Unternehmensgrenzen im Fluss befinden (vgl. Linde 1997, S.48).
3) Keine zentrale Koordinationsinstanz
Die Partner in einem VU sind gleichberechtigt, es werden keine (zusätzlichen) Hierarchien eingeführt. Zur Senkung der Gemeinkosten und Erhaltung der Flexibilität (u. a. in zeitlicher Hinsicht) verzichten sie weitgehend auf Institutionalisierung zentraler Funktionen (vgl. Steven/Otterpohl 2000, S. 179), so z. B. eine unternehmensübergreifende Leitung, Planung, Entscheidung und Kontrolle (vgl. Scholz 1994 b, S. 20). Die Koordination soll durch Selbstorganisation erfolgen (vgl. Scholz 1997, S. 331; Sydow 1992, S. 116; Weibler/Deeg 1998, S. 113).
Je nach Ausprägung dieser Merkmale, lässt sich auch das „Ausmaß der Virtualisierung“ des Unternehmens unterscheiden. Stellenweise wird dies auch durch den Begriff des Virtualisierungsgrades (vgl. Wüterich et al. 1997, S. 229) ausgedrückt. „Virtuell“ bezeichnet etwas, das die „Eigenschaften anderer Dinge besitzt“, das zwar nicht real, aber doch der Möglichkeit nach existiert, im Sinne einer „Als-ob-Realität“. „Virtuell“ kann auch mit Begriffen wie „anpassungsfähig“ und „interaktiv“ in Verbindung gebracht werden (vgl. Davidow/Malone 1997, S.13; Mertens/Faisst 1996, S. 280).
Zur Abgrenzung des VU zu „klassischen“ Kooperationsformen führt Scholz (1994, S. 12) folgende Merkmale an:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle1: Abgrenzung der virtuellen Organisation
Quelle: angelehnt an Scholz (1994 b, S.129).
Das Ziel, das mit dem Konzept des VU verfolgt wird, ist eine Ausnutzung von temporären Marktpotentialen, was durch den flexiblen Charakter des VU ermöglicht werden soll. Der entscheidende Vorteil moderner Organisationsmodelle, so auch der VU, gegenüber herkömmlichen Formen der Unternehmensorganisation wird in ihrer organisationalen Einfachheit gesehen (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 113).
"Um Kundenbedürfnisse, die sich stark wandeln, optimal zu befriedigen, muß die Organisation ein hohes Maß an Flexibilität aufweisen, das heißt, Umfang und Art der Tätigkeit der Organisation müssen eine hohe Variabilität im Zeitablauf besitzen" (Tomenendal 2002, S.2). Diese Flexibilität soll vor allem durch die "lose Kopplung organisatorischer Einheiten und die arbeitsteilige und dezentrale, marktnahe Erstellung von Leistungsprozessen" (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 113) erreicht werden.
"Insgesamt ergibt sich das Modellbild eines offenen Handlungssystems zur Abbildung einer hoch flexiblen Organisation, in der sich Strukturen nur für kurze Zeit, an einzelnen Orten, ohne ausgeprägte Bindungskraft bilden, um sich „fließend" (Linde 1997, S. 49) jederzeit optimal an Kundenbedürfnisse anpassen zu können" (vgl. Tomenendal 2002, S.28 f.).
2.2 Vertrauen als Kooperationsbasis in VU?
Aus den dargestellten konstitutiven Merkmalen von VU, insbesondere dem Fehlen einer zentralen Instanz, die die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren sicherstellt, geht ein weiteres in der Literatur oft gefordertes konstitutives Merkmal hervor: das Vertrauen der Akteure zueinander als Basis und Grundlage der Kooperation in der VU. "Vertrauen wird zu einer notwendigen Voraussetzung für deren Existenz, da es als ein konstitutives Merkmal von Netzwerkorganisationen, virtuellen und verteilten Unternehmensstrukturen gilt" (vgl. z.B. Powell 1996; Sydow 1996; Handy 1995; Loose/Sydow 1994; Wurche 1994; Reichwald et al. 2000, zitiert nach Picot et. al. 2003, S. 123; vgl. auch Szyperski/Klein, S. 199; Scholz 1994 b, S. 129). Nach Picot et al. (2003, S. 124) kann Vertrauen sogar einen wichtigen Wettbewerbsvorteil konstituieren.
Während die Notwendigkeit von Vertrauen in interkooperativen Beziehungen, so insbesondere im VU, vielerorts betont und überzeugend begründet wird (vgl. z. B. Wurche 1994), fehlt es noch an näheren Erklärungen wie dieses "gleichsam von selbst" entstehen soll. An Stelle dessen wird es häufig einfach als konstituierendes Merkmal und Prämisse für die Zusammenarbeit im VU festgestellt (vgl. Weibler/Deeg 1998, S. 116). "VU setzen bekanntermaßen auf ein Vertrauen, das a priori gar nicht vorhanden ist, sondern erst geschaffen werden muß." (Weibler/Deeg 1998, S. 116).
Mit Blick auf die oben beschriebenen konstitutiven Merkmale des VU fragt sich jedoch, wie zwischen den Akteuren, die rein informationstechnisch miteinander verbunden sind und bei wechselnder Mitgliedschaft intendiert zeitlich begrenzt zusammenarbeiten, Vertrauen überhaupt entstehen soll (vgl. Sydow 1996, S. 12; Tomenendal 2002, S. 2; Weibler/Deeg 1998, S. 116). Vielmehr könnte die Vermutung nahe liegen, dass diese infolge ihrer Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Akteure zwar Vertrauen im VU unbedingt erforderlich machen, doch einer Vertrauensbildung gerade entgegenstehen, diese unter Umständen sogar unmöglich machen. Dies würde ein Dilemma bei der Ausgestaltung des VU und stringenter Anwendung des Grundkonzeptes darstellen (vgl. Sydow 1996, S. 12).
Nach Niklas Luhmann (1989) beruht Vertrauen auf Täuschung. "Eigentlich ist nicht so viel Information gegeben, wie man braucht um erfolgssicher handeln zu können. Über fehlende Information setzt sich der Handelnde willentlich hinweg" (Luhmann, 1989, S. 33). Doch findet dies keineswegs ohne jeden Zusammenhang mit der Umwelt statt, "(…) vielmehr sind die Strukturen der Umwelt, vor allem die der Sozialordnung, durchaus von Bedeutung für die Frage, ob und in welcher Form Vertrauen gedeihen kann" (Luhmann 1989, S. 34). Wenn Vertrauen ohne Rücksicht auf Partner, Situation und Umstände rein internen Bedingungen folgt, ist dies eine "Art pathologisches Vertrauen" (vgl. Luhmann 1989, S: 34). In der Regel ist aber davon auszugehen, dass der Mensch objektive Anhaltspunkte dafür sucht, ob Vertrauen gerechtfertigt ist oder nicht. Man kann sich nicht vollständig und zuverlässig über künftiges Verhalten anderer informieren, doch können durch die Information über gewisse strukturelle Eigenarten des sozialen Systems, in dem man agiert, notwendige Anhaltspunkte für eine Vertrauensbildung gewonnen werden, um so den "Informationsmangel (zu) überbrücken" (vgl. Luhmann 1989, S: 40).
Damit richtet sich der Blick auf das Konzept der VU und auf die Frage, welche "Anhaltspunkte" für eine Vertrauensbildung ein vertrauengebender Akteur, explizit oder implizit sowie bewusst oder unbewusst, vorfinden kann. Dies soll im Einzelnen im Fortlauf dieser Arbeit beleuchtet werden. Methodisch stellt sich in der vorliegenden Arbeit also die Frage, ob die dem Konzept des VU zugrunde liegenden, konstitutiven Merkmale mit den Entstehungsbedingungen von Vertrauen vereinbar sind, und führt sodann im Ergebnis zu der Antwort auf die originäre Frage, ob eine Ausbildung von Vertrauen im VU möglich ist oder nicht.
2.3 Informationsdefizit, Kommunikation und Vertrauen
Schon Davidow und Malone (1997, S. 65) sahen Informationen als die "treibende Kraft der virtuellen Unternehmen". Insbesondere das Merkmal der räumlichen Verteiltheit und das Ziel der zeitlichen Flexibilität der Kooperationspartner erfordert eine enge und gleichzeitig flexible Kommunikationsanbindung. "Diese dient vor allem dazu, sich auszutauschen, sich abzustimmen, Feedback zu geben sowie den Zugang zu gemeinschaftlichen [oder jeweils unternehmenseigenen] Datenbeständen, Projektunterlagen usw. einfach und schnell zu ermöglichen" (vgl. Pribilla et al. 1996, S. 252, zitiert nach Hesch 1997, S.144). Diese offenen IKT-Systeme sollen einen weitreichenden Einblick in die Aktivitäten der Netwerkpartner erlauben, und gar "partiell aufwendige vertrauensbildende Maßnahmen" ersetzen und zugleich unterstützen (vgl. Miles/Snow 1986, S. 64-66, zitiert nach Szyperski/Klein 1993, S:194).
Kommunikation kann über einen reinen Informationsaustausch hinaus auch dazu dienen, Reputation aufzubauen, und somit die Vertrauensbildung beeinflussen. Doch muss Kommunikation dazu gewissen Anforderungen gerecht werden: "Wesentlich für den Aufbau von Reputation ist (…) die Häufigkeit und Offenheit der Kommunikation, so daß Vertrauenswürdigkeit und -bereitschaft steigen" (vgl. Loomis 1959; Sako 1992, S. 126-133; Borch 1994, zitiert nach Eggs 2001, S.98). Mit den notwenigen Bedingungen, die Kommunikation in dieser Hinsicht erfüllen muss, beschäftigt sich Abschnitt 5.2 eingehender.
Kommunikation bildet also einen wichtigen und geeigneten Rahmen, in dem Vertrauen ausgebildet und etabliert werden kann. Doch stellt sich die Umsetzung dieses zentralen Erfolgsfaktors "Kommunikation", bzw. Information keineswegs unproblematisch dar. Ein "Vertrauensproblem" ergibt sich, wenn bei bestehenden Informationsasymmetrien die Gefahr der opportunistischen Ausnutzung der Informationen durch den Empfänger besteht (vgl. Picot et al. 2003, S. 131; Szyperski/Klein 1993, S. 194). Denn durch "Informationsfreigabe" machen sich die Partner eben auch verwundbar (Sprenger 2002, S. 107 ff.), was Vertrauen bereits voraussetzt, und die geforderte "offene Kommunikation" im Allgemeinen recht fraglich erscheinen läst.
Im Hinblick auf Vertrauensbildung ergibt sich die Paradoxie, dass die Bildung von Vertrauen Kommunikation voraussetzt, ebenso wie gewisse Formen der Kommunikation Vertrauen bereits erfordern (vgl. Picot et al. 2003, S. 131). Kommunikation allein also generiert nicht Vertrauen. Denn über die Vertrauenswürdigkeit des Informationsgebers - man könnte hier unter dem Vertrauensaspekt auch vom Vertrauensgeber sprechen - entscheidet letztendlich die nachfolgende Realisation dessen, was dem Informationsempfänger (Vertrauensnehmer) gegenüber mittels verschiedener Kommunikationskanäle (Worte, konkludentes Verhalten, oder auch über IKT) mitgeteilt wurde (vgl. Picot et al. 2003, S. 131; Luhmann, 1989, S.41).
"Die Bildung von Vertrauen ist häufig auf leicht interpretierbare Situationen angewiesen und setzt die Fähigkeit voraus, kommunikative Äußerungen und Signale Dritter möglichst korrekt deuten zu können" (Picot et al. 2003, S. 131). " Kommunikation ist nicht nur Information, sondern auch Interaktion (vgl. Schulz von Thun 2000, S. 82) und beinhaltet neben wörtlich übermittelten Informationen auch Nachrichten auf der nonverbalen Ebene, d.h. Stimme, Körpersprache und Mimik, deren Wahrnehmung durch den Informationsempfänger für das richtige Verständnis der Nachricht von großer Bedeutung ist (vgl. Schulz von Thun 2000, S. 82; Molcho 1983, S. 16). Im VU, dessen Akteure nur über IKT miteinander kommunizieren, d. h. über Technik nicht über "Person", lässt sich in diesem Sinne auf der Interaktionsebene ein Defizit feststellen. Bedenkt man, dass Kommunikation immer auch ein Teil von Selbstdarstellung ist (vgl. Schulz von Thun 2000, S: 106 ff; Molcho 1983, Luhmann 1989, S. 40 f.), die man nur im Ganzen erfassen und richtig verstehen kann, dann reicht die Interpretation einzelner Teile nicht aus (vgl. Molcho 1983, S. 18). Wo persönliche Treffen nur die Ausnahme bilden, bleibt auch eher verborgen, was nicht gesehen werden soll.
Damit sind dem Einsatz der IKT besonders dann "immanente Grenzen gesetzt (…), wenn persönliche Anwesenheit und zwischenmenschliche Face-to-face-Kommunikation zur Lösung von Informations- und Kommunikationsproblemen erforderlich sind" (Picot et al. 2003, S. 298). Zum Dilemma, das sich aus der Erfordernis der Kommunikation über IKT und der damit jedoch verbundenen (Rest-) Anonymität zwischen den Akteuren ergibt, bemerkt Handy ( 1995, S. 46): "Paradoxically, the more virtual an organization becomes, the more its people need to meet in person (…) Videoconferences are more task focused, but they are easier and more productive if the individuals know each other as people, not just as images on the screen".
Dem Urteil von Picot et al. (2003, S: 298) nach kann der Aufbau von Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern nicht ohne persönlichen Kontakt realisiert werden, wobei Telekommunikation "höchstens eine unterstützende Funktion (…)" im Rahmen der Interaktionen einnehmen, und nicht etwa "partiell aufwendige vertrauensbildende Maßnahmen" ersetzen kann (vgl. Miles/Snow 1986, S. 64-66, zitiert nach Szyperski/Klein 1993, S:194). Für diese Einschätzung dürfte auch ein Ergebnis der Feldstudie von Mertens et al. (1998) zu den Möglichkeiten und Grenzen der Informationsverarbeitung in virtuellen Unternehmen sprechen: hier konnte beobachtet werden, "(…) daß Unternehmen elektronische Formen der Kommunikation lediglich zur Feinabstimmung einsetzen. Die Grobkoordination, also die Allokation von Ressourcen sowie die generelle Regulation, erfolgen eher face to face oder aber hierarchisch, im letzten Fall teilweise elektronisch unterstützt (vgl. Sieber 1996, zitiert nach Mertens et al. 1998).
Vielmehr ist der Blick zusätzlich auf das Problem zu richten, dass die Virtualisierung oftmals eine Anpassung der informationstechnischen Infrastruktur, das heißt die Einführung neuer IKT – Produkte, erfordert. Die damit verbundenen technischen und finanziellen Probleme sollen hier nicht Gegenstand der Diskussion sein, doch ist ein möglicher Widerstand der Mitarbeiter in den "realen" Unternehmen ein Faktor, der sich negativ auf die Vertrauensbildung auswirkt. Diese könnten damit überfordert sein, gleichzeitig mit Unternehmen zu kooperieren die sie nicht kennen, ein u. U. neues Produkt zu entwickeln, bzw. "die eigentliche Mission zu verfolgen", und neue Informationstechnik für das VU kennen zu lernen (vgl. Mertens et al. 1998, S. 129).
Es bleibt daher festzuhalten, dass der lediglich über IKT erfolgende Kontakt der Akteure in VU, ohne ein persönliches Treffen, als ein Faktor identifiziert werden kann, der einer Vertrauensbildung in der Realität der "virtuellen Wirtschaft" entgegenstehen kann, sie mit Sicherheit zumindest aber erschwert.
3. Spieltheoretische Betrachtung von Vertrauen
3.1 Die Rolle von Vertrauen in Kooperationssituationen
Zahlreiche Untersuchungen zum Vertrauensthema finden sich in der spieltheoretischen Theorie und Praxis. Zur empirischen Überprüfung und Beobachtung kooperativen Verhaltens finden hier experimentelle Spiele Anwendung, insbesondere auch das Gefangenendilemma-Paradigma (vgl. Koller 1990, S.2; Weibler 2001, S.194). Dabei geht es um die Beobachtung kooperativen bzw. nicht-kooperativen Verhaltens, wodurch dann auf das "verborgene Konstrukt" Vertrauen geschlossen wird (vgl. Weibler 2001, S. 194). "Die Wahl eines Kooperativen Spielzuges wurde dabei mit Vertrauen gleichgesetzt, da Kooperation mit dem Risiko einhergeht, ausgenutzt zu werden." (Koller 1990, S.2). Auch Deutsch definierte und operationalisierte Vertrauen bereits als die Wahl einer risikoreichen Verhaltensweise (vgl. Deutsch 1976, S.140).
Obgleich sich bei Einnahme eines solchen Blickwinkels ein enger Zusammenhang zwischen Vertrauen und Kooperation feststellen lässt, gilt jedoch zu beachten, dass "Kooperation nicht ausschließlich zur Bestimmung von Vertrauen benutzt werden kann" (Good 1988, zitiert nach Weibler 2001, S. 194). Beispielsweise kann kooperatives Verhalten lediglich das Ergebnis mangelnder besserer Verhaltensalternativen sein, oder zufälliges, sich selbst verstärkendes Verhalten, ohne dass es in solch einem Fall des Vertrauens der Akteure bedarf (vgl. Weibler 2001, S. 194).
Erst der Umstand, dass die den "Experimentalsituationen" zugrunde gelegten Idealbedingungen realiter selten vollständig gegeben sind, begründet die Notwendigkeit von Vertrauen in solchen Situationen. So sind in typischen Kooperationssituationen in der Praxis möglicherweise Handlungsspielräume nicht völlig kontrollierbar, zukünftige Erträge ungewiss, oder aber nichtkooperatives Verhalten (Defektion) aufgrund von fehlenden Überwachungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres aufzudecken und beobachtbar. Diese "Begründungslücke" Kooperativen Verhaltens gilt es dann doch mittels Vertrauen der Akteure zueinander zu überbrücken (vgl. Wurche 1994, S.151; Weibler 2001, S. 195). Vertrauen wird hier als eine geeignete Motivation betrachtet, diese "Begründungslücke" zu schließen. Nach Wurche (1994, S.144) "(…) erweist es sich als zweckmäßig, Vertrauen als eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung zu rekonstruieren, ohne die die (beiderseitigen) Chancen einer Kooperation nicht nutzbar sind; jedoch zielt Vertrauen damit durchaus der Gewinnerzielung des einzelnen Akteurs bzw. Unternehmens und ist von einer altruistischen Sichtweise zu unterscheiden.“
[...]
- Citar trabajo
- Agica Reiser (Autor), 2003, Das Kooperationsproblem in virtuellen Unternehmen - Eine kritische Analyse mit Lösungsansätzen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41803
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