Ich habe in dieser Arbeit zum Ziel, eine gesprächsanalytische Untersuchung von Chat-Kommunikation vorzunehmen und sie mit Face-to-face-Konversation zu vergleichen.
Im zweiten Kapitel liefere ich einen Einblick in die Chat-Kommunikation und ihre Besonderheiten. Dafür stelle ich in Abschnitt 2.2 die technischen und kommunikativen Rahmenbedingungen dar, die im erheblichen Maße die Interaktion im Chat beeinflussen. Im letzten Abschnitt des zweiten Kapitels wird noch die Bedeutung von Nicknames im Chat beschrieben.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der medialen und konzeptionellen Einordnung von Chat-Kommunikation. Mit Hilfe der Forschungsergebnisse von Koch/Oesterreicher (1994) wird die Frage behandelt, ob es sich beim Chat um ein Gespräch oder einen Text handelt, die in Abschnitt 3.3 schließlich geklärt werden soll.
Im vierten Kapitel gehe ich zum Hauptteil der Arbeit über, einen umfassenden Vergleich der Chat-Kommunikation mit Face-to-face-Gesprächen. Im ersten Teil nehme ich einen Vergleich auf der Ebene der Gesprächsorganisation vor. Dafür erläutere ich zunächst die Gesprächorganisation in der Face-to-face-Kommunikation und dabei insbesondere das Turn-taking-Modell von Sacks/Schegloff/Jefferson (1974), um danach die Organisation von Chat-Gesprächen darzustellen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Die Kernfrage ist, inwiefern das Turn-taking-Modell in der Chat-Kommunikation überhaupt zum Einsatz kommt. Abschnitt 4.1.6 stellt zu dieser Frage erst die Positionen von Nils Lenke und Peter Schmitz (1995) sowie von Denise E. Murray (1989) vor, bei denen es sich um Gegner des Turn-taking-Modells im Chat handelt. Diese Positionen werden in den folgenden Abschnitten auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, wofür ich Auszüge aus einem allgemeinem Web-Chat verwende, der sowohl für registrierte als auch nicht registrierte Benutzer zugänglich ist. Anhand eines größeren Chat-Auszugs untersuche ich, inwieweit in Chat-Gesprächen Elemente des Turn-taking-Modells auftauchen. In Abschnitt 4.1.7 ziehe ich schließlich ein Fazit.
Im zweiten Teil untersuche ich, in welchem Maße nonverbales Verhalten und paralinguistische Elemente aus Face-to-face-Gesprächen in der Chat-Kommunikation simuliert werden können und auch müssen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundsätzliches zur Chat-Kommunikation
2.1. Das Neue an der Chat-Kommunikation
2.2. Technische und kommunikative Rahmenbedingungen
2.3. Besonderheiten der Chat-Kommunikation
2.4. Nicknames
3. Zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit
3.1. Elemente konzeptioneller Mündlichkeit in der Chat-Kommunikation
3.2. Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit
3.3 Einordnung der Chat-Kommunikation
4. Unterschiede des Chats zur Face-to-face-Konversation
4.1. Gesprächsorganisation
4.1.1. Allgemeine Prinzipien der Gesprächsorganisation
4.1.2. Sprecherwechsel in Face-to-face-Gesprächen
4.1.3. Reparaturprozeduren in Face-to-face-Gesprächen
4.1.4. Zur interaktiven Konstruktion von Beiträgen
4.1.5. Wichtige Aspekte für die Gesprächsorganisation in der Chat-Kommunikation
4.1.6. Sprecherwechsel in der Chat-Kommunikation
4.1.6.1. Paarsequenzen in der Chat-Kommunikation
4.1.6.2. Turn-taking-Modell oder reines Adressierungsmodell
4.1.6.3. Reparaturprozeduren
4.1.6.4. Einzelgespräch/ Mehrpersonengespräch
4.1.7. Fazit
4.2. Darstellung von paralinguistischen und nonverbalen Elementen im Chat
4.2.1. Substitutionsmöglichkeiten
4.2.1.1. Emoticons
4.2.1.2. Zuschreibungs-Turns und infinite Verb-Letzt-Konstruktionen
4.2.1.3. Großschreibung
4.2.1.4. Buchstaben- und Satzzeichen-Reduplikation
4.2.1.5. Abkürzungen und Akronyme
4.2.2. Fazit
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ich habe in dieser Arbeit zum Ziel, eine gesprächsanalytische Untersuchung von Chat-Kommunikation vorzunehmen und sie mit Face-to-face-Konversation zu vergleichen.
Im zweiten Kapitel liefere ich einen Einblick in die Chat-Kommunikation und ihre Besonderheiten. Dafür stelle ich in Abschnitt 2.2 die technischen und kommunikativen Rahmenbedingungen dar, die im erheblichen Maße die Interaktion im Chat beeinflussen. Im letzten Abschnitt des zweiten Kapitels wird noch die Bedeutung von Nicknames im Chat beschrieben.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der medialen und konzeptionellen Einordnung von Chat-Kommunikation. Mit Hilfe der Forschungsergebnisse von Koch/Oesterreicher (1994) wird die Frage behandelt, ob es sich beim Chat um ein Gespräch oder einen Text handelt, die in Abschnitt 3.3 schließlich geklärt werden soll.
Im vierten Kapitel gehe ich zum Hauptteil der Arbeit über, einen umfassenden Vergleich der Chat-Kommunikation mit Face-to-face-Gesprächen. Im ersten Teil nehme ich einen Vergleich auf der Ebene der Gesprächsorganisation vor. Dafür erläutere ich zunächst die Gesprächorganisation in der Face-to-face-Kommunikation und dabei insbesondere das Turn-taking-Modell von Sacks/Schegloff/Jefferson (1974), um danach die Organisation von Chat-Gesprächen darzustellen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Die Kernfrage ist, inwiefern das Turn-taking-Modell in der Chat-Kommunikation überhaupt zum Einsatz kommt. Abschnitt 4.1.6 stellt zu dieser Frage erst die Positionen von Nils Lenke und Peter Schmitz (1995) sowie von Denise E. Murray (1989) vor, bei denen es sich um Gegner des Turn-taking-Modells im Chat handelt. Diese Positionen werden in den folgenden Abschnitten auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, wofür ich Auszüge aus einem allgemeinem Web-Chat verwende, der sowohl für registrierte als auch nicht registrierte Benutzer zugänglich ist. Anhand eines größeren Chat-Auszugs untersuche ich, inwieweit in Chat-Gesprächen Elemente des Turn-taking-Modells auftauchen. In Abschnitt 4.1.7 ziehe ich schließlich ein Fazit.
Im zweiten Teil untersuche ich, in welchem Maße nonverbales Verhalten und paralinguistische Elemente aus Face-to-face-Gesprächen in der Chat-Kommunikation simuliert werden können und auch müssen. Dafür stelle ich in den nächsten Abschnitten die verschiedenen Substitutionsmöglichkeiten dar und zeige auch hier anhand von Beispielen aus der Chat-Kommunikation, wie sie eingesetzt werden und welche Auswirkungen sie auf die Kommunikation haben. In 4.2.2 ziehe ich zu diesem Thema ein weiteres Fazit
Zum Abschluss dieser Arbeit fasse ich in Abschnitt 5 die wichtigsten Punkte dieser Arbeit noch einmal zusammen.
2. Grundsätzliches zur Chat-Kommunikation
2.1. Das Neue an der Chat-Kommunikation
Durch den Medienwandel der letzten Jahre ist eine Fülle neuer Kommunikationsformen entstanden. Hierbei muss besonders die Errungenschaft des Internets herausgestellt werden und das daraus entstandene E-Mailen und Chatten. Diese Kommunikationsformen sind heutzutage äußerst populär und aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Die Tatsache, dass sich im Internet Netzwerkdienste etabliert haben, die eine direkte sprachliche Kommunikation zwischen den Benutzern des Internets ermöglichen und sich zudem immer weiter ausbreiten, ist vom großen linguistischen Interesse (Beisswenger 2000: 13), da es sich um neue bis dato unerforschte Kommunikationsformen handelte. Der Chat stellt hierbei, im Gegensatz zur zeitversetzten E-Mail- und Foren-Kommunikation, eine bemerkenswerte Novität dar. Die Kommunikationspartner etablieren einen gemeinsamen Kommunikationsraum, indem sie sich mittels getippter Beiträge miteinander unterhalten können. „Zum ersten Mal wird schriftliche Sprache genuin und im großen Stil für die situationsgebundene, direkte und simultane Kommunikation genutzt.“ (Storrer 2001: 439) „Im großen Stil“ bedeutet, dass die Direktkommunikation über das Medium „Schrift“ nicht mehr länger auf Randbereiche beschränkt bleibt. Zwar bestand schon vorher die Möglichkeit zur schriftbasierten Direktkommunikation[1], jedoch war es gegenüber dem Sprechen keine ökonomische Kommunikationsform und deshalb weniger genutzt. Mit „genuiner Nutzung von schriftlicher Sprache“ ist gemeint, dass „die Schriftlichkeit in keinem systematischen Verhältnis zu einer vorgängigen oder nachträglichen medialen Mündlichkeit steht“ (Storrer 2001: 439), d.h. die Chat-Texte sind nicht für die mündliche Wiedergabe konzipiert. Eine sehr wichtige Neuheit des Chat besteht darin, dass man in der Regel davon ausgehen kann, dass der Chat-Teilnehmer, dessen Beitrag man gerade liest, in diesem Moment ebenfalls am Chat teilnimmt und den Kommunikationsverlauf verfolgt. Die Anwendungsmöglichkeiten für die Kommunikationsform „Chat“ nehmen immer weiter zu. Das Treffen im Chatraum kann z.B. ein Telefonat oder eine Telefonkonferenz ersetzen. Auch Beratungsgespräche, auf welchem Gebiet auch immer, können im Chat organisiert werden.
Im Freizeitbereich dient der Chat u.a. zur Kontaktaufnahme und –pflege, oder einfach als Forum für Unterhaltungen. Die Anonymität dieses Kommunikationsmediums bietet die Möglichkeit unter dem Schutz der Anonymität und unverbindlich verborgene Persönlichkeitsanteile auszuleben. Für Menschen, die viel am Computer arbeiten, bietet der Chat die Möglichkeit die Isolation des Arbeitsplatzes aufzuheben, oder sich einfach nur abzulenken (Vgl. Döring 1998: 112). „Der Chat ist also keine neue kommunikative Gattung oder Gesprächsart, sondern eine Kommunikationstechnologie, mit der sich einerseits viele ‚traditionelle’ Gesprächsarten in getippter Form organisieren lassen , in der aber auch neue Gesprächsarten entstehen, die kein Pendant in der Mündlichkeit mehr haben.“ (Storrer 2001: 440) Zwar weisen die Chats Ähnlichkeit mit schon vorhandenen Gesprächsarten in getippter Form auf (hierzu mehr in Kapitel 3), doch könnte man sich bei Chat-Protokollen aufgrund ihrer kommunikationstechnischen und sprachlichen Besonderheiten nur unter großen Schwierigkeiten vorstellen, sie mündlich vortragen zu lassen, d.h. die technischen Randbedingungen machen die Chats zu einer neuen Kommunikationsform, die sich durch spezifische kommunikative Merkmale und durch eigene sprachliche Strukturen auszeichnet. Im nächsten Abschnitt werden diese technischen und kommunikativen Rahmenbedingungen nun genauer dargestellt.
2.2. Technische und kommunikative Rahmenbedingungen
Der Chat, wie wir ihn heute kennen wurde in seinen Grundzügen 1988 von dem finnischen Studenten Jarkko Oikarinen entwickelt. Obwohl dieses Kommunikationssystem ursprünglich lediglich für eine lokale Mailbox konzipiert war, hat es bis heute allen anderen Online-Kommunikationsformen den Rang abgelaufen. Es handelt sich um eine Kommunikationsform, die es den Teilnehmern möglich macht, direkt, synchron und wechselseitig über das Internet zu kommunizieren. Die Textproduktion erfolgt über Computertastatur und erscheint nach Drücken der Return- oder Entertaste auf dem Bildschirm aller Chat-Teilnehmer. Technisch gesehen handelt es sich beim Chat um eine Form synchroner computervermittelter Kommunikation (Computer-mediated communication, kurz CMC), die auf dem Client-Server-Prinzip basiert. Um diese Kommunikationsform nutzen zu können, muss eine Software, ein so genanntes Client-Programm, installiert werden, die den Datenaustausch zwischen dem Client, also dem Computer des Teilnehmers, und dem zentralen Chat-Server ermöglicht (vgl. Storrer 2001). Zunächst wird die Verbindung zum Internet hergestellt, dann das Chat-Programm aktiviert und schließlich erfolgt die Einwahl in einen so genannten Chatraum bzw. Kanal (Um ein Chaos bei der von so vielen Teilnehmern genutzten Kommunikationsform zu vermeiden, unterteilt man dieses weltumspannende Netz in Kanäle oder Chaträume). Der letzte Schritt ist die Eingabe des Textes und die Bestätigung mittels Drücken der Enter-Taste. Dadurch wird der produzierte Text an den Server geschickt, der ihn dann an alle beteiligten Rechner weiterschickt, bis er letztendlich auf den Displays der beteiligten Chat-Teilnehmer erscheint. Der Abstand zwischen Bestätigen und dem Erscheinen auf dem Bildschirm ist nahezu zeitgleich. Das Angebot an Chaträumen ist beinahe grenzenlos, jedoch muss zwischen drei verschiedenen schriftbasierten Chat-Formen[2] unterschieden werden:
- Dem Internet-Relay-Chat (IRC), der in den späten 80-er Jahren von dem finnischen Studenten Jarkko Oikarinen entwickelt wurde und von einem Verbund von IRC-Servern als eigenständiger Dienst spezieller Client-Software betrieben wird.
- Den so genannten Web-Chats, die mit Hilfe von gängigen WWW-Browsern (z.B. Netscape, MS Internet-Explorer) genutzt werden können
- Den Online-Chats, die von großen Providern mit spezieller Client-Software organisiert werden. (Vgl. Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 84)
Die Unterschiede zwischen diesen drei Chat-Formen, die überwiegend technischer Natur sind, sind für die weitere Arbeit nicht von Belang. Von großer Bedeutung sind allerdings die technischen Rahmenbedingungen, die alle drei Chat-Formen gemein haben.
- Die Textproduktion im Chat, also die eigentliche Texteingabe eines Chat-Teilnehmers, kann von den anderen Chattern nicht mitverfolgt werden. Der Text wird für die anderen Teilnehmer erst sichtbar, wenn er an den Server übermittelt wurde (Vgl. Storrer 2002: 7; Beißwenger 2002: 10). Zwar gibt es einige Chatformen, die Instant Messenger, bei denen die Teilnehmer darüber informiert werden, wenn der Interaktionspartner gerade einen Beitrag produziert, jedoch wird auch dadurch die Asynchronität zwischen Textproduktion- und Rezeption nicht aufgehoben, da die Textproduktion nach wie vor unsichtbar bleibt.
- Die Sequenzierung der Beiträge erfolgt nicht nach inhaltlichen Kriterien, sondern ergibt sich aus der zeitlichen Abfolge des Eintreffens der Beiträge beim Server[3]. Die Turn-Verteilung erfolgt also „nach dem Mühlen-Prinzip: Wer zuerst kommt mahlt zuerst [...]. Dabei können Bruchteile von Sekunden über die Turnreihenfolge entscheiden“ (Wichter 1991: 78f).
- Die Chatdienste bieten ihren Teilnehmern die Möglichkeit, zwei Arten von Beiträgen zu erstellen: (i) Äußerungs-Turns und (ii) Zuschreibungs-Turns. Handelt es sich um einen Äußerungs-Turn, so wird der Text in seiner ursprünglichen Form belassen, d.h. „die direkte Rede wiedergegeben“ (Beißwenger 2002: 15). Im Gegensatz zu Äußerungs-Turns erfolgt die Texteingabe bei einem Zuschreibungs-Turn in spezieller Syntax (hierzu mehr in 4.2.1.2), die anschließend „automatisch in eine in der dritten Person formulierte Aussage“ (Storrer 2002: 9) umgewandelt wird. Automatisch vom Chatprogramm generierte Servermeldungen werden ebenfalls den Zuschreibungs-Turns zugerechnet. Dies geschieht z.B. bei Wechseln des Pseudonyms oder Betreten bzw. Verlassen des Raums.
Beispiel für einen Zuschreibungs- und einen Äußerungs-Turn (Storrer 2001: 442):
(1) 5 ruebennase langweilt sich immer noch
(…)
7 (SPOOKY) Hallo ruebennase, wieso langweilst du dich?[4]
Bei Beitrag 5 handelt es sich um einen Zuschreibungs-Turn. Dies erkennt man daran, dass er in der dritten Person erscheint. Als Reaktion auf diesen Zuschreibungs-Turn erscheint in 7 der Äußerungs-Turn von Spooky.
- Die meisten Chatdienste bieten die Möglichkeit an, Beiträge nur ganz bestimmten Teilnehmern zugänglich zu machen, ohne dass die anderen Teilnehmer davon etwas mitbekommen. Diese Funktion nennt man flüstern. Im Unterschied zur Face-to-face-Kommunikation bleibt den anderen Chat-Teilnehmern nicht nur der Textinhalt verborgen, „sondern auch die Tatsache des Flüsterns als solche“ (Storrer 2002: 8).
- Jeder Beitrag, der beim jeweiligen Chat-Server eingetroffen ist, wird protokolliert. Dadurch ist es jedem Teilnehmer jederzeit möglich, ältere Beiträge noch einmal anzuschauen.
- Möglich ist auch eine passive Chat-Teilnahme: Man kann sich in einen Chat-Raum oder in einen Kanal einwählen, ohne selber Textbeiträge zu leisten – man „lurkt“ oder „idlet“, wie ein solches Verhalten in der Chatter-Sprache genannt wird. „To lurk“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „lauern“, „verborgen liegen“ und „to idle“ so viel wie „leer laufen“, „müßig sein“, „rumtrödeln“.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich beim Chatten um eine elektronische, an den Computer gebundene Kommunikationsform handelt, die nur online ausgeführt werden kann. Die Kommunikation erfolgt wechselseitig und nahezu synchron. Der Chat ist grundsätzlich multilateral, d.h. zu den „Many-to-many-conversations“ zu rechnen, wobei er zudem auch „One-to-many-conversations“ sowie „Many-to-one-conversations“ enthalten kann. Schließlich besteht auch die Möglichkeit einer One-to-one-conversation (siehe flüstern). Der nächste Abschnitt stellt die Besonderheiten dar, die der Chat gegenüber anderen Kommunikationsformen bietet.
2.3. Besonderheiten der Chat-Kommunikation
Wenn man sich die Rahmenbedingungen anschaut, so erscheint das Chatten eine recht umständliche Kommunikationsform zu sein, verglichen mit einem mündlichen Gespräch (Telefonat, Face-to-face-Kommunikation). Allerdings bringt der Chat gerade aufgrund der Schriftlichkeit Mehrwerte gegenüber dem mündlichen Gespräch mit. In einem mündlichen Gespräch gibt es traditionell zwei Rollen, die ein Teilnehmer einer Unterhaltung einnehmen kann: Er kann entweder Sprecher oder Zuhörer sein. In der computervermittelten Kommunikation gibt es weitere Möglichkeiten, wobei auch mehrere Rollen/Aktivitäten gleichzeitig eingenommen werden können (Vgl. Garcia & Jacobs 1999).
Ein Chatter kann:
- eine Nachricht verfassen,
- eine Nachricht senden,
- Nachrichten lesen,
- auf eine Nachricht warten
- oder nebenher arbeiten bzw. andere Tätigkeiten ausführen.
Augrund der Tatsache, dass getippte Gespräche mit den Augen rezipiert werden, kann die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes überwunden und die Beiträge aller Anwesenden gleich gut wahrgenommen werden (Vgl. Storrer 2002).
2.4. Nicknames
Um überhaupt an einem Chat teilnehmen zu können, ist vorher die Wahl eines „Nicknames“ notwendig. Der jeweilige Chat-Teilnehmer hat bei der Wahl des Pseudonyms die freie Entscheidung, solange das gewünschte Pseudonym nicht an einen anderen Chat-Teilnehmer bereits vergeben ist. Er kann entweder seinen eigenen Namen, Variationen davon, oder ausgedachte Phantasienamen angeben. Der gewählte Name hat die Aufgabe der Zuordnung der eigenen getippten Beiträge. In den Äußerungs-Turns erscheint er vor dem jeweiligen Turn, in den Zuschreibungs-Turns wird der Name vom Programm automatisch in die Subjektposition gesetzt. Verlässt oder betritt man den Chat-Raum, zeigt das System dies durch einen Satz wie z.B. „ Nickname verlässt den Raum“ an. Neben der Zuordnung der eingetippten Beiträge dient der Nickname auch als „die Visitenkarte des jeweiligen Chatters […]. Mit ihm werden Identitäten aufgebaut und Teilrepräsentationen des Selbst gezeigt.“ (Gallery 2000: 76). Diese Prozesse werden wesentlich dadurch ermöglicht, dass die Wahl des Pseudonyms im Gegensatz zum herkömmlichen Spitznamen nicht fremdbestimmt ist, sondern häufig als Teil der Selbstdarstellung genutzt wird. So finden sich nicht selten spezifische Neigungen, Interessen, Hobbys, Idole usw. des Chat-Teilnehmers in seinem Nickname wieder (Gallery 2000: 76). Häufig werden für den Nickname nur herkömmliche Vornamen verwendet, aber es kommt auch vor, dass Begriffe aus Bereichen wie Fantasy und Märchen, Sport, Musik, Comic, Film u.a. benutzt werden. Bereits mit der Wahl des Nicknames entscheidet man, ob man im Chat Aufmerksamkeit erhält, oder auf geringes Interesse stößt. Je ausgefallener, origineller oder provokativer ein Nickname ist, desto höher ist die Chance, im „Getümmel“ des Chatraums die Aufmerksamkeit der anderen Chat-Teilnehmer auf sich zu ziehen. Mit der Wahl des Nicknames verbunden sind insbesondere Fragen wie: Welches Publikum möchte ich mit meinem Namen ansprechen? oder: Welche Assoziationen sollen mit meiner Netz-Identität verknüpft werden (Vgl. Gallery 2000: 77)?
Nicht selten schaffen Nicknames Kommunikationsanlässe, wodurch der Einstieg in eine Konversation erleichtert wird. In vielen Chat-Räumen besteht neben der Wahl eines Nicknames noch eine zweite Möglichkeit der Selbstdarstellung. Die Chat-Teilnehmer können sich eine Farbe aussuchen, in der der eigene Nickname sowie die Turns auf dem Bildschirm erscheinen sollen. Besonders in Chats mit regelmäßigen Teilnehmern ist diese zusätzliche Identifikationsmöglichkeit von Vorteil. Zudem kann mit einem Farbwechsel ein Gefühlszustand ausgedrückt werden (z.B. rot für Erröten) (Beisswenger 2002).
Bei aller Kreativität unterliegt die Vergabe eines Pseudonyms gewissen Beschränkungen; im IRC beispielsweise aufgrund limitierter Tastatursymbole. In vielen Web- und Online-Chats wird die Selbstbestimmung des maximal aus neun Zeichen bestehenden Nicknames auch dadurch beschränkt, dass jeder User mittels Registrierung „seinen“ Namen schützen kann und das Pseudonym somit (wie im IRC) nicht doppelt vergeben wird. Das stellt gewissermaßen eine Einschränkung der Selbstwahl dar (Vgl. Gallery 2000: 76). Dennoch besteht die Möglichkeit durch eine leichte Veränderung (durch Veränderung der Schreibweise oder durch das Hinzufügen typographischer Symbole), sein Wunsch-Pseudonym doch noch registrieren zu lassen.
3. Zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit
In der medialen Interpretation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit bilden diese beiden Begriffe eine Dichotomie. Ein Text wird entweder gesprochen oder geschrieben realisiert. Beispiele für Kommunikation im mündlichen Medium sind Telefongespräche, Diskussionen, Vorträge, Konferenzen, Sitzungen usw. Im schriftlichen Medium werden Bücher, Artikel, Briefe oder Zeitungen produziert. In der Computerkommunikation existiert derzeit praktisch nur ein Medium, in dem Sprache realisiert werden kann: der geschriebene Text.
3.1. Elemente konzeptioneller Mündlichkeit in der Chat-Kommunikation
In der Chat-Kommunikation gibt es immer die Gemeinsamkeit, dass sich die Chat-Teilnehmer als Sprecher und nicht als Autoren sehen. Das wird auch dadurch deutlich, dass Chatter ihre sprachlichen Handlungen als „reden“, „sprechen“, „sagen“ oder auch „hören“ bezeichnen. Schon die Bezeichnung „Chat“[5] lässt erkennen, dass diese Kommunikationsform von den Nutzern dem Gespräch und nicht den Texten im alltagssprachlichen Sinn zugerechnet wird, obwohl beim Chatten ja getippt, also geschrieben wird und die Teilnehmer räumlich getrennt sind. Viele Chatter haben das Gefühl, dass sie sich mit anderen Chat-Teilnehmern „unterhalten“, was insbesondere an der Synchronizität und dialogischen Struktur dieser Kommunikationsform liegt. Demzufolge werden Beiträge in Chats auf dem Hintergrund des mündlichen Gesprächs und nicht dem Anfertigen von Schrifttexten konzeptualisiert. Dennoch kann man auch immer wieder ein Bewusstsein über das zwitterhafte Wesen der Chat-Kommunikation zwischen gesprochener und geschriebener Sprache beobachten, was im folgenden Beispiel deutlich wird (Storrer 2001: 445):
(2) (dr.hc) könnd ich mis höen?
(…)
(Findalf) dr,hc. nur schwach, es fehlen Buchstaben…
Die Tatsache, dass die meisten Teilnehmer den Chat als Gespräch ansehen, führt zu einer Übertragung von sprechsprachlichen Elementen in eine schriftlich realisierte Form der Kommunikation. Es stellt sich somit die grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Chat.
3.2. Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit
Die Begriffe „mündlich“ versus „schriftlich“ können sich sowohl darauf beziehen, ob man spricht oder schreibt, als auch darauf, ob es sich um einen spontanen, dialogischen Text handelt oder um einen reflektierten, monologischen. Zahlreiche Studien, die sich bislang mit dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beschäftigt haben, kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Chat-Kommunikation eine „Zwitterstellung zwischen synchronen Kommunikationsformen gesprochener Sprache und asynchronen Medien geschriebener Sprache“ (Lenke/Schmitz 1995: 121, zit. nach Runkehl et al. 1998: 83) einnimmt. Bei der kommunikationstheoretischen Einordnung des Chats hat sich das Modell der konzeptionellen Mündlichkeit/ Schriftlichkeit von Koch und Oesterreicher (1994) bewährt. Koch und Oesterreicher (1994) differenzieren zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit. Der Aspekt des Mediums bezieht sich hierbei lediglich auf die Realisierung einer sprachlichen Äußerung, die entweder mündlich (d.h. phonisch, z. B. ein Gespräch oder Vortrag) oder schriftlich (d.h. graphisch, z. B. ein Brief, Kochrezept oder Memo) stattfinden kann. Der Aspekt der Konzeption hingegen ist nicht dichotomisch, sondern wird durch ein Kontinuum repräsentiert, dessen Pole einerseits „konzeptionelle Mündlichkeit“, andererseits „konzeptionelle Schriftlichkeit“ darstellen. Die Konzeption einer sprachlichen Handlung bezieht sich auf „den Duktus, die Modalität der Äußerung“ (Storrer 2000: 153), so wird beispielsweise ein wissenschaftlicher Vortrag zwar medial mündlich realisiert, er steht jedoch der konzeptionellen Schriftlichkeit sehr nahe. Ein Gespräch unter Freunden wird ebenfalls medial mündlich realisiert, dieses steht jedoch der konzeptionellen Mündlichkeit näher. Koch und Oesterreicher (1994) zeigen, dass sich die beiden Endpunkte dieses Kontinuums durch Parameter wie raum-zeitliche Nähe (tendiert zur Mündlichkeit) bzw. Distanz (tendiert zur Schriftlichkeit) beschreiben lassen. Demzufolge wird die Kommunikationsform, die dem Pol „gesprochen“ entspricht, als „Sprache der Nähe“ bezeichnet, die dem Pol „geschrieben“ entsprechende Kommunikationsform als „Sprache der Distanz“. Sprachliche Nähe bzw. Distanz sind durch bestimmte Kommunikationsbedingungen sowie Versprachlichungsstrategien gekennzeichnet (vgl. Koch & Oesterreicher 1985: 24):
- Die Kommunikationsbedingungen der Sprache der Nähe sind z.B. Dialog, Vertrautheit der Partner, Face-to-face-Interaktion, freie Themenentwicklung, keine Öffentlichkeit, Spontaneität, Affektivität. Ihre Versprachlichungsstrategien sind Prozesshaftigkeit, Vorläufigkeit sowie geringere Informationsdichte, Kompaktheit, Komplexität, Elaboriertheit und Planung, etc.
- Die Kommunikationsbedingungen der Sprache der Distanz sind entsprechend Monolog, Fremdheit der Partner, raumzeitliche Trennung, Themenfixierung, Öffentlichkeit, Reflektiertheit, Objektivität und Weitere. Unter den Versprachlichungsstrategien finden sich, ebenfalls in Entsprechung zu denjenigen der sprachlichen Nähe, „Verdinglichung“, Endgültigkeit sowie eine größere Informationsdichte, Kompaktheit, Komplexität, Elaboriertheit und Planung etc.
Mit Hilfe dieser Eigenschaften soll im folgenden Abschnitt nun eine sprachwissenschaftliche Einordnung der Kommunikationsform „Chat“ unternommen werden.
3.3. Einordnung der Chat-Kommunikation
Die Frage, ob es sich beim Chat um einen „Dialog mit freier Themenentfaltung, spontan, emotional, involviert, expressiv usw. – also eine „Sprache der Nähe“ “ (Hess-Lüttich/Wilde 2003) handelt, kann anhand des Modells von Koch/Österreicher geprüft werden. Folgende Kommunikationsbedingungen der Sprache der Nähe treffen ganz auf die Chat-Kommunikation zu:
- Dialog: Zwar hat im Gesamtchat jeder Teilnehmer die Möglichkeit, einen Beitrag zu produzieren, wenn er es möchte, jedoch finden sich die Teilnehmer zu Einzelchats zusammen, die jeweils nur aus wenigen Teilnehmern bestehen und in denen eine dialogische Struktur vorherrscht.
- freie Themenentwicklung: In moderierten Chats ist eine freie Themenentwicklung nur eingeschränkt möglich, da man sich an den vorgegebenen Kommunikationsrahmen halten muss. Allerdings sind die wenigsten Chats moderiert, wodurch eine freie Themenentwicklung meistens gegeben ist. Aber auch in unmoderierten Chats gibt es Regeln, an die es sich zu halten gilt, und die von sog. Operatoren überwacht werden. Bei Verstoß gegen diese Regeln kann man vom zuständigen Operator sanktioniert werden. In Face-to-face-Gesprächen gibt es ebenfalls Regeln, an die es sich zu halten gilt. Bei Verstoß gegen diese Regeln werden je nach Schwere des Falls Maßnahmen ergriffen (siehe auch 4.1.3).
- Spontaneität: Die Äußerungen werden kaum geplant, was mit dem schnellen Tempo der Interaktion und dem sprechsprachlichem Charakter der Kommunikation zusammenhängt. Spontaneität und eine sehr geringe Planung lassen sich beispielsweise an Tippfehlern, an zahlreichen Smileys und anderen konventionellen Mitteln erkennen.
- „involvement“: Chat-Beiträge stehen wie Beiträge in direkten Gesprächen nicht alleine, sondern sind lediglich Bestandteil eines Gesprächs und somit in die Konversation eingebunden.
- Affektivität: Obwohl die Beiträge im Chat graphisch und nicht phonisch produziert werden, geschehen sie häufig im Affekt, da man wie in Face-to-face-Gesprächen nicht viel Zeit hat, um auf andere Beiträge zu reagieren, will man nicht übergangen werden. Aus diesem Grund sind rasch produzierten Beiträge auch emotionaler, als Beiträge, für die man sich mehr Zeit gelassen hat.
- Expressivität: Für die Expressivität gilt gleiches wie für die Affektivität. Aufgrund der kurzen Zeit, die man hat, auf andere Beiträge zu reagieren, um im Gespräch zu bleiben, fallen die Beiträge emotionaler aus. Verglichen mit einem Face-to-face-Gespräch wäre es so, dass man sich im ersten Moment über eine Sache furchtbar ärgert, die man vielleicht nach einigen Minuten schon wieder gelassener sieht. Es besteht auch zusätzlich die Möglichkeit, dass man im ersten Moment etwas falsch versteht und verärgert reagiert, was jedoch nicht passiert wäre, hätte man ein bißchen über den betroffenen Beitrag nachgedacht. Den Chattern stehen zum Ausdrücken von Emotionen einige graphostilistische Elemente wie z.B. Smileys zur Verfügung. Sie gehören inzwischen zu den weit verbreiteten Konventionen der Chat-Kommunikation (siehe 4.2.1.1).
Folgende Kommunikationsbedingungen der Sprache der Nähe treffen mit Einschränkungen zu:
- Vertrautheit der Partner: Natürlich sind sich die Chat-Teilnehmer in den meisten Fällen nicht so vertraut, wie es Menschen im realen Leben sein können; jedoch kann man vor dem Hintergrund praktischer Chat-Erfahrung sagen, dass das Verhalten der Chatter einige Hinweise auf eine „virtuelle Vertrautheit“ liefert. Unter diesen Hinweisen findet sich beispielsweise der generelle Gebrauch des „Du“, das schnelle Vorstoßen zu teilweise sehr persönlichen Themen oder die unverblümte Art, mit der die Beiträge der Gesprächsteilnehmer kommentiert werden.
- keine Öffentlichkeit: Diese Kommunikationsbedingung trifft für Chat-Gespräche im Flüstermodus voll zu, für die „regulären“ Chat-Gespräche nur bedingt: Die abgeschickten Beiträge sind zwar für sehr viele Leute über mehrere Sekunden oder gar Minuten sichtbar und können theoretisch auch ausgedruckt und damit dauerhaft konserviert und verbreitet werden, jedoch bietet die durch den Nickname garantierte weitgehende Anonymität der Gesprächsbeteiligten „Schutz“ vor einer weiteren Öffentlichkeit. Anonymität ist kein Kriterium für „Sprache der Nähe“, aber es ist ein Mittel, sich vor Öffentlichkeit zu schützen. Die Gesprächspartner, mit denen man kommuniziert, bilden zwar keine Ausnahme, jedoch kann man im Laufe der Kommunikation immer mehr über einander in Erfahrung bringen, und somit die Anonymität abbauen.
- Situationsverschränkung: Der virtuelle Raum, in dem Chat-Kommunikation stattfindet, bietet zwar nicht so strikte äußere Bedingungen wie ein realer Raum bei einer Face-to-face-Interaktion, jedoch sind Kommunizierende auch im Chat durch gewisse äußere, vor allem technische Bedingungen gebunden. So ist es z.B. unerlässlich, vor einem Computer zu sitzen (zu liegen oder zu stehen), die Verbindung zum Internet hergestellt zu haben (und sich über das Medium der Schrift) ins Gespräch einzubringen. Man kann von einem gemeinsamen virtuellen Raum sprechen, von einer virtuellen Co-Präsenz der Chat-Teilnehmer sprechen.
Folgende Kommunikationsbedingung der Sprache der Nähe trifft nicht zu:
- Face-to-face-Interaktion: Im Gegensatz zu direkten Gesprächen ist man beim Chatten raum-/ zeitlich von seinen Kommunikationspartnern getrennt.
Die von Koch/Oesterreicher (1985) aufgeführten Eigenschaften der Sprache der Nähe treffen alle auf die Chat-Kommunikation zu:
- Vorläufigkeit: Vorläufigkeit spielt in der Chat-Kommunikation genauso wie in direkten Gesprächen eine wichtige Rolle, da sich die Beiträge an vorherigen Beiträgen zu orientieren haben.
- geringere Informationsdichte: Da Beiträge in der Chat-Kommunikation rasch und kurz erfolgen müssen, kann der Informationsgehalt eines Beitrags folglich nicht so groß sein, wie Beiträge, denen eine größere Überlegungsphase und Produktionszeit vorausgeht.
- geringere Kompaktheit: Für die Kompaktheit gilt das gleiche wie für die Informationsdichte. Aufgrund der geringen Planungsphase und Produktionszeit sind die Beiträge nicht sonderlich kompakt.
- geringere Komplexität: Beiträge in der Chat-Kommunikation sind meist sehr einfach geschrieben, da nicht viel Zeit zur Produktion eines Beitrags zu Verfügung steht, wodurch die Beiträge nicht sonderlich komplex sind.
- geringere Elaboriertheit: A ufgrund der kurzen Zeit, die zur Produktion eines Beitrags im Chat zur Verfügung steht, sind Beiträge nicht sonderlich elaboriert.
- geringere Planung als bei konzeptuell schriftlichen Texten: Dies liegt ebenfalls daran, dass Chat-Beiträge möglichst schnell erfolgen müssen, um die Pausen möglichst gering zu halten. Die Planungsphase ist dementsprechend ebenfalls geringer.
(3) Das Nähe-/ Distanz-Kontinuum nach Koch/Oesterreicher
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schema (3) veranschaulicht das Modell der konzeptionellen Mündlichkeit/ Schriftlichkeit von Koch/Oesterreicher (1994). Hinter den Begriffen Sprache der Nähe bzw. Sprache der Distanz stehen grundlegende Eigenschaften von Kommunikationssituationen. Alle diese Eigenschaften können auf die kommunikative Distanz vs. kommunikative Nähe zwischen Kommunikationspartnern zurückgeführt werden. Auch diese beiden Begriffe bilden ein Kontinuum mit skalierbaren Parametern wie: Öffentlichkeit, Vertrautheitsgrad der Kommunikationspartner, Emotionalität, Dialog/Monolog, Spontaneität u.a. Die Raute in Schema (3) stellt die Abstufungen innerhalb des Kontinuums dar und gleichzeitig das Medium, in dem ein Beitrag realisiert wird (phonisch/graphisch) (Vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 18). Dabei stellen die verschiedenen Buchstaben innerhalb der Raute verschiedene Äußerungsformen dar. Bei k handelt es sich z.B. um eine Verwaltungsvorschrift, die medial schriftlich realisiert wird und eindeutig der „Sprache der Distanz“ zuzuordnen ist (Eigenschaften wie Monolog, Fremdheit der Partner raumzeitliche Trennung etc.). Dagegen handelt es sich bei d um ein abgedrucktes Interview, dass zwar ebenfalls medial schriftlich realisiert wird, jedoch die Eigenschaften von „Sprache der Nähe“ besitzt. So lässt sich ein abgedrucktes Interview ohne Schwierigkeiten mit verteilten Rollen medial mündlich vortragen. Dagegen gibt es aber auch medial mündlich realisierte Äußerungsformen, die der „ Sprache der Distanz“ zuzuordnen sind, wie i. Dabei kann es sich z.B. um einen Vortrag handeln. Dieser wird zwar mündlich vorgetragen, besitzt aber eindeutig die Eigenschaften von „Sprache der Distanz“. Bei einem Vortrag handelt es sich um einen elaborierten Text, dem eine lange Planungsphase vorausgeht, und den man sich eben so gut durchlesen könnte.
Storrer (2001) bestätigt die Einordnung des Chat als konzeptionelle mündliche, medial schriftlich realisierte Kommunikationsform und verweist auf die Besonderheiten der Kommunikationsform Chat gegenüber anderen konzeptionell mündlichen Formen (Storrer 2002: 4): „Der mündliche Duktus in Hörspielen, Film- und Radioskripten oder Schlagertexten ist ja dadurch motiviert, dass die darin fixierten Texte für das Sprechen bzw. Singen konzipiert sind. [...] Die konzeptionelle Mündlichkeit blieb also bislang stets in der einen oder anderen Weise an die mediale Mündlichkeit gebunden. Eine solche Bindung fehlt der Chat-Kommunikation. Die mündliche Reproduktion von Chat-Protokollen ist nicht intendiert. Mehr noch: Chat-Protokolle würden sich aufgrund ihrer sprachlichen Besonderheiten überhaupt nur unter großen Schwierigkeiten mündlich vortragen lassen.“ Das bedeutet, dass Chat weder die Transkription einer mündlichen Interaktion ist wie z.B. ein Gerichtsprotokoll, noch für eine spätere orale Realisierung verfasst wird wie etwa ein Hörspiel oder Theaterstück. Trotzdem besteht eine enge Verbindung zur Oralität. Es bleibt festzuhalten, dass mit Hilfe des vorgestellten Konzepts von Koch/Oesterreicher, Chat-Kommunikation als medial schriftliche aber konzeptionell mündliche Kommunikationsform, also als Sprache der Nähe definiert werden kann.
Obwohl sich die Sprachwissenschaftler hinsichtlich der konzeptionellen Mündlichkeit von Chat-Kommunikation weitestgehend einig sind, lehnt Beisswenger eine eindeutige Zuordnung zu den Polen konzeptioneller Mündlichkeit/Schriftlichkeit ab und bezeichnet die Chat-Kommunikation als konzeptionellen Hybrid (Beisswenger 2002), also eine Mischform sowohl mit Teilen konzeptioneller Mündlichkeit als auch von konzeptioneller Schriftlichkeit. Seiner Ansicht nach kann lediglich auf materieller Ebene (nämlich als Graphizität und Phonizität) eine klare Dichotomie angenommen werden, nicht jedoch auf der konzeptionellen Ebene. Er begründet dies damit, dass Mündlichkeit und Schriftlichkeit als kulturelle Techniken nicht als alternative Komplemente nebeneinander entstanden sind, sondern sich vielmehr das eine aus dem anderen aufgrund sich wandelnder Bedürfnisse komplexer werdender gesellschaftlicher Strukturen entwickelt hat (Vgl. Beisswenger 2002). Aus diesem Grund ist für Beisswenger eine Vermischung von konzeptioneller Mündlichkeit und konzeptioneller Schriftlichkeit sehr gut möglich.
[...]
[1] Computervermittelte Kommunikation gab es schon lange bevor sich die Chat-Kommunikation durchsetzte. In den spätern sechziger Jahren begann man vor allem in den USA so genannte Mailboxen zu betreiben. Sie dienten dazu, in Foren Meinungen auszutauschen und Dateien zur Verfügung zu stellen. Außerdem konnten sich die Mailbox-User untereinander E-Mails senden. Die ersten Chats entstanden im Rahmen dieser Mailboxen und dienten den Usern dazu, mit dem Betreiber der Mailbox Kontakt aufzunehmen. Interessant wurde diese Art der Kommunikation erst, als die ersten Mailboxen an mehrere Telefonleitungen zugleich angeschlossen wurden. So konnten sich mehrere User zur gleichen Zeit einwählen, und natürlich dauerte es nicht lange, bis die ersten Chats entwickelt waren und sich sogleich größter Beliebtheit erfreuten. Mit dem Siegszug des Internets wuchsen auch die Chat-Systeme.
[2] Schriftbasierte Chat-Formen sind die gängigen; nicht schriftbasierte, sondern grafische Chat-Formen kommen
nur sehr selten vor und können zu den Sonderformen des Chat gerechnet werden.
[3] Inwieweit dies das sprachliche Handeln der Chat-Teilnehmer beeinflusst, wird in Kapitel 4 noch ausführlich behandelt.
[4] Die Chat-Beispiele sind aus der angegebenen Literatur übernommen. In diesen Beispielen sind die Turns nummeriert.
[5] Das englische Wort „chat“ bedeutet auf Deutsch in etwa „Plauderei“, „Geplauder“, „Schätzchen“, „Plausch“
- Arbeit zitieren
- Sebastian Stumpf (Autor:in), 2005, Chat-Kommunikation und Face-to-face-Kommunikation - Ein konversationsanalytischer Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41802
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