Religionsunterricht zwischen Tradition und Aufbruch. Was bringen wir den Schüler(-innen) bei? Und vor allem wie?
Auf der einen Seite wird ein neues Bewusstsein, zur Förderung einer religiösen und interreligiösen Kompetenz, gefordert. Als Gründe werden unter anderem Konflikte aufgrund einer unreflektierten Religiosität genannt. Auf der anderen Seite jedoch wird eine Trennung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Konfessionen – aufgrund der zunehmenden religiösen Vielfalt – als nicht mehr zukunftsfähiges Modell angesehen. Ein friedliches Miteinander sei nur in einem Religionsunterricht möglich, in dem alle partizipieren dürfen. Jedoch müssen auch hier Schwierigkeiten auf der schulorganisatorischen Ebene berücksichtigt werden. Aufgrund rückläufiger Geburtenraten und Taufen, kann rein konfessionell getrennter Religionsunterricht oft gar nicht mehr angeboten werden. Diese Erscheinungen betreffen ganz Deutschland, jedoch gibt es abhängig vom Bundesland, vom Stadtteil und von der Schulform große individuelle Unterschiede in der Art und Weise der Durchführung des Religionsunterrichtes. Als Folge dieser Herausforderungen gibt es daher inzwischen einige unterschiedliche Konzeptionen des Religionsunterrichtes, die versuchen sich den aktuellen Bedingungen anzupassen.
Im Rahmen dieser Hausarbeit soll diese Problematik behandelt werden. Was bedeutet Religion heute noch in der Schule? Wie kann sich das Fach in einer säkularisierten, durch gesellschaftliche Veränderungen geprägten Gesellschaft durchsetzen? Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Modelle für den religiösen Lernprozess? Wo gibt es Vor- beziehungsweise Nachteile für die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, das Fach? Welche Zukunftsoptionen sind denkbar?
Diese wissenschaftliche Hausarbeit diente als Zulassungsarbeit für das erste Staatsexamen an Sekundarstufen in Baden-Württemberg und wurde mit der Note 1,5 bewertet.
Inhaltsverzeichnis
1. Hinführung - Eine gemeinsame Herausforderung
2. Situationsanalyse - Eine Gesellschaft im Wandel
2.1 Gesellschaftliche und religiöse Entwicklung in Deutschland
2.2 Überzeugungswandel - Säkularisierung und Individualisierung
2.3 Länderspezifischer Umgang mit religiöser Pluralität
2.3.1 Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland
2.3.2 Rechtliche und organisatorische Grundlagen
3. Kirchliche Positionen
3.1 Katholische Perspektive
3.1.1 Unitatis redintegratio (1964)
3.1.2 Beschluss der Würzburger Synode (1974)
3.1.3 Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (1996)
3.1.4 Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (2005)
3.1.5 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (2016)
3.2 Evangelische Perspektive
3.2.1 Vorgeschichte
3.2.2 Identität und Verständigung (1994)
3.2.3 Zehn Thesen zum Religionunterricht (2006)
3.2.4 Religiöse Orientierung gewinnen (2014)
3.2.5 Ökumene im 21. Jahrhundert (2015)
3.3 Fazit
4. Unterschiedliche Modelle von Religionsunterricht
4.1 Leitfragen und Ziele des Vergleichs
4.2 Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht
4.2.1 Koko - was ist das?
4.2.2 Koko aus der Schülerperspektive
4.2.3 Koko aus der Lehrerperspektive
4.2.4 Weitere Perspektiven
4.3 Das Hamburger Modell
4.3.1 „Unterricht für alle“ - was ist das?
4.3.2 Hamburger Modell aus der Schülerperspektive
4.3.3 Hamburger Modell aus der Lehrerperspektive
4.3.4 Weitere Perspektiven
4.4 Vergleich beider Modelle
4.4.1 Konsequenzen des KoKo RU
4.4.2 Konsequenzen des Hamburger Modells
4.4.3 Diskussion
5. Entwicklung eines zukunftsweisenden Modells
5.1 Vom KoKo RU zum RKRU?
5.2 Neues Modell - neue Herausforderungen
6. Zusammenfassung
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
1 Hinführung - Eine gemeinsame Herausforderung
Wie sollte der Religionsunterricht im 21. Jahrhundert aussehen? Brauchen wir konfessionell getrennten Unterricht oder eine Ökumene? Ist ein gemeinsamer Religionsunterricht für alle die Antwort auf die religiöse Vielfalt, der wir in Deutschland gegenüberstehen? Oder muss komplett umgedacht und ein neues Unterrichtsmodell entwickelt werden? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaft- ler, Theologen und Pädagogen gleichermaßen und die Antwortversuche darauf sind sehr unterschiedlich.
Auf der einen Seite wird ein neues Bewusstsein, zur Förderung einer religiösen und interreligiösen Kompetenz, gefordert. Als Gründe werden unter anderem Konflikte aufgrund einer unreflektierten Religiosität genannt. Auf der anderen Seite jedoch wird eine Trennung der Schülerinnen und Schüler1 in verschiedene Konfessionen - aufgrund der zunehmenden religiösen Vielfalt - als nicht mehr zukunftsfähiges Modell angesehen. Ein friedliches Miteinander sei nur in einem Religionsunterricht möglich, in dem alle partizipieren dürfen. Jedoch müssen auch hier Schwierigkeiten auf der schulorganisatorischen Ebene berücksichtigt werden. Aufgrund rückläufiger Geburtenraten und Taufen, kann rein konfessio- nell getrennter Religionsunterricht2 oft gar nicht mehr angeboten werden. Diese Erscheinungen betreffen ganz Deutschland, jedoch gibt es abhängig vom Bun- desland, vom Stadtteil und von der Schulform große individuelle Unterschiede in der Art und Weise der Durchführung des RU. Als Folge auf diese Herausforde- rungen gibt es daher inzwischen einige unterschiedliche Konzeptionen des RU, die versuchen sich den aktuellen Bedingungen anzupassen.
Das wirft wiederum neue Fragen auf: Was bedeuten unterschiedliche Modelle für religiöse Lernprozesse? Wo gibt es Vor- bzw. Nachteile für die SuS, Lehrkräfte, das Fach? Was muss geändert werden um den Religionsunterricht in einer Zeit von Säkularisierung und Individualisierung wieder anschlussfähig zu machen?
Welche Positionen sich dabei gegenüberstehen und welcher Weg sich für die Zukunft abzeichnet, soll im Rahmen dieser Hausarbeit untersucht werden.
Zunächst möchte ich mit einer einführenden Situationsanalyse, in Kapitel 2, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen darstellen, die zur Entwicklung von al- ternativen Unterrichtsmodellen geführt haben. In Kapitel 3 wird die Sicht der Kir- chen auf den RU anhand wichtiger Dokumente erläutert. Kapitel 4 stellt den Hauptteil der Arbeit dar und beschäftigt sich mit dem Vergleich zweier unter- schiedlicher Konzeptionen von RU. Im Fokus stehen dabei der konfessionell-ko- operative Religionsunterricht als Beispiel eines Modells, wie es in Baden-Würt- temberg oder Niedersachsen durchgeführt wird und der Religionsunterricht für alle, wie er in Hamburg stattfindet. Beide Modelle werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und anschließend unter bestimmten Kriterien miteinan- der verglichen. Die beiden Hauptfragen, die der Untersuchung zugrunde liegen, sind:
1.) Wie wird im entsprechenden Modell mit den beiden Konfessionen, katho- lisch/evangelisch, umgegangen?
2.) Wie wird im entsprechenden Modell mit anderen Religionen umgegangen?
Unter Kapitel 5 soll anschließend ein hypothetisches Modell vorgestellt werden, das sowohl die Vor-, als auch die Nachteile der beiden Modelle berücksichtig und eine Alternative für die Zukunft darstellen könnte.
Im abschließenden Kapitel 6, findet eine Zusammenfassung und kritische Würdigung der Ergebnisse statt.
Ich entschied mich für dieses Thema, da ich es als angehende Religionslehrerin für einen elementaren Baustein halte, mich mit der Konzeption des Faches zu beschäftigen. Der Umgang mit religiöser Vielfalt ist eine Thematik, die auch die Zukunft meiner Arbeit beeinflussen wird. Im Hinblick auf die bevorstehende Erziehungs- und Bildungsarbeit, ist es mir wichtig mich fachwissenschaftlich mit der Thematik beschäftigt zu haben um meinen eigenen Standpunkt reflektiert begründen und im Unterricht umsetzen zu können.
2 Situationsanalyse - Eine Gesellschaft im Wandel
2.1 Gesellschaftliche und religiöse Entwicklung in Deutschland
Dem aktuellsten Bericht des statistischen Bundesamtes vom 29. März 2016 zu- folge, nahm im Jahr 2015 die Gesamtbevölkerung Deutschlands im Vergleich zum Vorjahr um 978 000 Personen zu und lag am Jahresende bei 82,2 Millionen. Das ist der höchste Bevölkerungszuwachs seit 1992. Hauptursache für den Zu- wachs der Bevölkerungszahl ist die stark gestiegene Zuwanderung mit einem Überschuss von 1 139 000 Personen im Jahr 2015, was gegenüber dem Jahr 2014 einen Zuwachs von + 550 000 Personen ausmacht (vgl. Statistisches Bun- desamt (Hrsg.) (2016): S.7) In Deutschland leben insgesamt 17, 1 Millionen Men- schen mit Migrationshintergrund. 9,3 Millionen davon haben einen deutschen Pass und 7,8 Millionen werden als Staatsfremde oder Ausländer bezeichnet, da sie keinen Pass haben und somit im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG keine Deut- schen sind. Rund 11,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund haben Äei- gene Migrationserfahrung“, was bedeutet, dass sie im Ausland geboren wurden und eingewandert sind (vgl. Mediendienst Integration in Zusammenarbeit Statis- tisches Bundesamt, Mikrozensus 2015). In Baden-Württemberg haben derzeit rund 2 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Dies entspricht einem Anteil von ca. 21%. Damit liegt das Land im Bundesvergleich nach Bayern auf dem 2. Platz. Den größten Anteil hierunter machen Türkischstämmige aus, ge- folgt von Italienern, Einwohnern aus dem ehemaligen Jugoslawien, Polen, Grie- chenland, Russland und Tschechien in dieser Reihenfolge (vgl. Statistisches Landesamt BW (Hrsg.) (2016): S. 164-167). Die zunehmenden Einwanderungs- zahlen führen auch zu einer Pluralisierung unserer Gesellschaft und einer enor- men religiös-weltanschaulichen Vielfalt. Doch nicht nur die Anzahl an verschie- denen Religionen, sondern auch die Anzahl der Konfessionsfreien steigt, was durch die nachfolgende Abbildung verdeutlicht wird:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Religiöse Untergruppen in Deutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt 2014, EKD, Katholische Bischofskonferenz Veröffentlichung der Religionsgemeinschaften (Stand: 2014).
Wie man in der Grafik sehen kann, gibt es in Deutschland inzwischen sogar mehr Konfessionsfreie, als Katholiken oder Protestanten. Zusammen stehen den Kon- fessionsfreien (34%) zwar immer noch fast doppelt so viele Christen (knapp 60%) gegenüber, jedoch sprechen die ansteigenden Zahlen der Kirchenaustritte für ei- nen klaren Trend, der unter dem nachfolgenden Punkt 2.2 noch genauer erläutert wird. Die restlichen 7,1% verteilen sich auf 2,6% Muslime, 2,2% ÄAndere“, 1,3% Orthodoxe, 0,9% Evangelische Freikirchen und 0,1% jüdische Gemeinden.
Um jedoch ein Verständnis für die Breite der religiösen Ausprägungen in Deutschland zu bekommen, reicht diese Grafik nicht aus. Bei weiterer Ausdifferenzierung wird klar, dass es allein im Christentum einige verschiedene Strömungen gibt, die sich teils sehr voneinander unterscheiden.
So wird nicht nur unterschieden in Katholiken und Protestanten, sondern auch in verschiedene evangelische Bekenntnisse, zu denen lutherische, unierte, refor- mierte oder teilweise auch evangelisch-freikirchliche Ausprägungen zählen. Da- neben gibt es noch orthodoxe und teils auch fundamentalistisch Ausprägungen des Christentums. Auch Sondergemeinschaften und neue Religionen (wie die Zeugen Jehovas, die auch als Sekte bezeichnet werden) sowie Esoterik und Na- turreligionen stellen religiöse Minderheiten dar, die einen immer größeren Anteil ausmachen und daher nicht zu vernachlässigen sind. Bedingt durch die Einwan- derung wachsen auch andere, nichtchristliche Religionen - allen voran der Islam. Darunter gibt es wiederum unterschiedliche Strömungen, wie die Schiiten und die Sunniten und andere, die oft nur wenig bekannt sind. Beispiele wären der Sufismus (eine islamische Strömung), das Bahaitum (Ursprung im Iran), die Ma- roniten (eine der größten und ältesten Religionsgemeinschaften im Libanon) und viele mehr. Aber auch im Buddhismus, Hinduismus und Judentum gibt es einige Untergruppen, die in Deutschland aufgrund der Religionsfreiheit bestehen kön- nen. So wird davon ausgegangen, dass es in Deutschland inzwischen rund 100 verschiedene Glaubensrichtungen gibt (vgl. Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V. (REMID) (Hrsg.): Religionen & Weltanschauungsge- meinschaften). Zudem bekennt sich, wie schon erwähnt, ein sehr großer Teil der Bevölkerung dazu, keiner Religion anzugehören. Hier gilt es jedoch zu unter- scheiden zwischen Konfessionslosen und Atheisten. Ca. 34% der Deutschen sind zwar konfessionslos, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht religiös sind. Damit ist lediglich gemeint, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind. Atheisten hingegen glauben generell nicht an Gott, wobei es auch unter ihnen unterschied- liche Auffassungen und freireligiöse Bewegungen gibt. So können sie beispiels- weise dem Agnostizismus zugeordnet werden, der davon ausgeht, dass sich die Existenz, wie aber auch die Nichtexistenz eines Gottes nicht beweisen lässt (vgl. Auffarth/Kippenberg/Michaels (2006): S. 72).
Angesichts der Zuwanderung ist die religiöse Verteilung im internationalen Kon- text auch interessant um Aussagen über die Entwicklung in Deutschland machen zu können. Dies kann anhand der nachfolgenden Statistik verdeutlicht werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Major Religions of the World Ranked by Number of Adherents.
The Association of Religion Data Archives, according to Encyclopaedia Britannica National Profiles, Department of Sociology, The Pennsylvania State University, University Park, PA, Quelle http://www.thearda.com/QuickLists/QuickList_125.asp>
Obwohl das Christentum (Christianity) im weltweiten Vergleich immer noch die größte Religion darstellt (etwa 2,3 Mrd. Anhänger), ist jedoch ein stetiger Rück- gang zu verzeichnen. Der Islam hingegen ist mit 1,6 Mrd. Anhängern sehr stark vertreten und breitet sich statistisch gesehen immer weiter aus. Mit etwa 940 Mio. Anhängern steht der Hinduismus an dritter Stelle, gefolgt vom Buddhismus mit etwa 460 Mio. Anhängern und dem Judentum mit ca. 15 Mio. (Vgl. Abb. 2).
Etwa im gleichen Maße, wie der Christentum abnimmt, steigt die Zahl der Agnostizisten (Agnosticism). Wie ist das zu erklären? Mögliche Hintergründe sollen im nachfolgenden Unterpunkt dargestellt werden.
2.2 Überzeugungswandel - Säkularisierung und Individualisierung
Zwei Schlagworte, die sich im Zusammenhang mit der steigenden Anzahl von Kirchenaustritten immer wieder in der Literatur finden, sind Säkularisierung (oder Entkirchlichung) und Individualisierung (vgl. Heimbach-Steins/Kruip/Wendel (2011): S. 53 ff.). Mit der Säkularisierung ist der schwindende Einfluss von religi- ösen Institutionen auf das öffentliche und private Leben gemeint. Bis zu Beginn der Moderne war es die Kirche, die den Menschen vorschrieb, wie sie zu leben hatten, wenn sie sich die Aussicht auf das Paradies im Jenseits erhalten wollten. Im gegenwärtigen Leben der meisten Menschen der Industrienationen, kann sie bestenfalls Empfehlungen für ein religiöses Leben äußern. Wer sich nicht an sol- che Empfehlungen hält, hat jedoch auch nichts zu befürchten. Viel wichtiger als Religion und Kirche scheinen in der heutigen Gesellschaft Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu sein (vgl. Becker/Diewald (2014): S. 14). Dieser Trend äußert sich unter anderem in den steigenden Zahlen der Kirchenaustritte. Warum einer Kirche angehören, die Geld kostet und zu der man ohnehin keinen Bezug hat? Im Rekordjahr 2014 traten 217.716 Christen aus der Kirche aus (vgl. Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.), Pressemeldung vom 15.07.2016 - Nr. 126). In einer Studie der EKD waren die drei Gründe für den Austritt mit der höchsten Zustim- mung ÄKirche unglaubwürdig“, ÄKirche gleichgültig“ und Äbrauche keine Religion für‘s Leben“ (vgl. EKD (Hrsg) (2014): S.81). Der zuletzt genannte Grund be- schreibt zugleich das Prinzip der Individualisierung. Was man Äbraucht“, definiert in der heutigen Gesellschaft jeder für sich selbst. ÄWas bringt mir Religion über- haupt?“ scheint die vorherrschende Frage zu sein. Und sie ist angesichts des aufgeklärten, informierten, anspruchsvollen Lebens - Ä[einem] Paradies [im Dies- seits] mit freie[n] Möglichkeiten, technisch garantierte[n] Sicherheiten, maximaler Selbstverwirklichung und luxuriöser Bequemlichkeit […]“ (Kunstmann (2010): S. 60) auf den ersten Blick nicht leicht zu beantworten.
Mit der Frage, welche konkreten Glaubenshaltungen die Deutschen, insbesondere die Jugend, hat, beschäftigten sich die Theologen und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Andreas Feige und Dr. Carsten Gennerich. In ihrem Forschungsprojekt befragten sie mehr als 8000 konfessionsgebundene, konfessionslose und muslimische Berufschüler/-innen aus ganz Deutschland zu ihrer Alltagsethik, Moral und Religion. Bei der Frage nach dem Glauben - die konkrete Frage lautete: ÄWer und was lenken meinen Lebensverlauf?“ - lag die Antwort Änur ich selbst“ auf dem 1. Platz. Danach gaben die Jugendlichen das Zusammenleben mit den Eltern/Familie/Lebenspartner an und auf den dritten Platz wählten sie ÄFreunde“. Erst im letzten Drittel (Platz 8 von 12) folgte Gott (vgl. Feige/Gennerich (2008): S. 82-88).
Interessant sind auch die Ergebnisse zum ÄSinn des Lebens“. Mit gleicher Punkt- zahl auf den ersten Platz wurden gewählt: Ä…muss ich mir ganz allein selber schaffen/erarbeiten“, Ä…finde ich vor allem in dem, was ich selbst gestalten kann“, und Ä…finde ich vor allem in meiner Freizeit“. Auf den letzten Plätzen be- fanden sich die ÄArbeit“ als Sinngeber und der ÄGlaube daran, dass es einen vor- bestimmten Sinn des Lebens gibt“. Diese Studie verdeutlicht nur noch einmal mehr den Wertewandel unserer heutigen Gesellschaft. „Nur ich selbst… bin für meinen Lebensverlauf verantwortlich“. ÄDen Sinn des Lebens …muss ich mir ganz allein selber schaffen“. Beide Aussagen klingen selbstbewusst und losge- löst von jeglicher Instanz. Auf der anderen Seite erwecken sie jedoch auch den Eindruck von auf sich allein gestellt sein.
Tatsächlich bietet das Leben in unserer pluralistischen Gesellschaft ein schier unübersehbares Angebot alternativer Lebens- und Sinndeutungsmöglichkeiten. Was auf der einen Seite der freien Entwicklung des Individuums zugutekommt, bedeutet auf der anderen Seite ein Problem für die Findung und Wahrung der persönlichen Identität (vgl. Tauz (2007): S. 49 ff.). Besonders Kinder und Jugend- liche, die diese Identitätsfindung noch nicht beendet haben, stehen einer be- schleunigten Modernisierung ohne feste Rückkopplung an traditionelle Werte ge- genüber. Wie verschiedene empirische Untersuchungen belegen, fehlt den Her- anwachsenden häufig die identitätssichernde Kraft traditioneller Institutionen und verpflichtender sozialer Orientierungsmuster, auch wenn sie es selbst oft nicht zugeben wollen (ebd. S. 50). Statt in der Kirche treffen sich Jugendliche in Ju- gendzentren oder an selbst gewählten Äheiligen Orten“ um dort ihren eigenen Glauben zu leben. Beeinflusst durch Massenmedien und Trends des sozialen Umfeldes entwickeln sie so ihre eigenen ÄErsatzreligionen“, die sich in ver- schiedenste Richtungen entwickeln können (vgl. Weimer (2002): S. 31).
2.3 Länderspezifischer Umgang mit religiöser Pluralität - warum gibt es so viele unterschiedliche Formen von Religionsunterricht?
Die gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln sich auch in der Gestaltung der Bildungspläne wieder. Nicht nur bezüglich der Lerninhalte, sondern auch hin- sichtlich der Organisation nimmt der RU so eine Sonderstellung in der Schule ein. Je nach Bundesland variieren die Bildungspläne und damit die Angebote im Fach. Allein in Baden-Württemberg finden sich im neuen Bildungsplan, der im Sommer 2016 in Kraft getreten ist, sieben konfessionell getrennte Unterrichtsan- gebote (Alevitische Religionslehre (im Folgenden RL), Altkatholische RL, Evan- gelische RL, Islamistische RL sunnitischer Prägung, Jüdische RL, Katholische RL, Syrisch-Orthodoxe RL) und Ethik (vgl. Startseite des Landesinstitutes für Schulentwicklung unter http://www.xn--bildungsplne-bw-9kb.de/,Lde/Startseite). Je nach Bedarf und personellen Ressourcen können diese Angebote auch von Schule zu Schule variieren. Generell können sie in drei Übergruppen zusammen- gefasst werden (vgl. Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst (Hrsg.) (2012) unter http://remid.de/info_religionsunterricht/):
1. Konfessioneller Bekenntnis- oder Religionsunterricht (KBU) mit den Unterformen eines konfessionell getrennten- und eines konfessionell-ko- operativen RU.
2. Überkonfessionelle Religionskunde (ÜRK) mit einzelnen konfessionell ausgerichteten Angeboten einer spezifischen Religionskunde (KRK) und als grundsätzliches Ersatzangebot Ethik und Vergleichbares. Ein Beispiel ist das Fach ÄLebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ (LER) in Brandenburg oder ÄWerte und Normen“ in Niedersachsen.
3. Interreligiöse Kooperationen (IK)
Beispiele sind kooperative Unterrichtsformen von katholischen, evangelischen und muslimischen Religionslehrer/innen in Nordrhein-Westfalen oder auch das Hamburger Modell eines dialogischen Religionsunterrichts für alle.
Die beiden Unterrichtsmodelle, die wir im Folgenden untersuchen wollen (Hamburger Modell und konfessionell-kooperativen RU) haben individuelle geschichtliche, rechtliche und organisatorisch Hintergründe, die an dieser Stelle in einem kurzen Überblick dargestellt werden sollen:
2.3.1 Geschichte des Religionsunterrichts in Deutschland
RU ist der älteste Unterricht überhaupt. Die Ursprünge gehen auf das Mittelalter (ca. 6. -15. Jh.) zurück, in dem die Theologie als wesentlicher kultureller Inhalt im Zentrum stand. Daraus entwickelten sich sogenannte ÄLateinschulen“, die kirch- lich getragenen wurden und fast ausschließlich biblische Geschichten, christli- chen Legenden und Bräuche lehrten. Martin Luther legte dann mit der Reforma- tion (1517 - 1648) den Grundstock für die ersten Schulen, in denen neben dem Katechismus auch Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt wurde. Es zeich- nete sich außerdem eine Strukturierung in Klassenstufen ab und es wurden erste didaktische Überlegungen angestellt. Zur damaligen Zeit wurde anhand des Ka- techismus gelehrt. Insbesondere auf höheren Schulen wurde zudem die Bibel- sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein unterrichtet. Für lange Zeit blieb so- mit die Religion in Deutschland bestimmend im Schulunterricht. Eine wesentliche Neuerung des RU kam erst mit der Aufklärungszeit (ca. 17. - 18. Jh.). Erstmals stand das Individuum im Mittelpunkt und der Glaube an die Vernunft und die Na- turwissenschaften führte zur Entstehung fachlicher Trennung und moderner pä- dagogischer Ansätze. Bis dahin war es jedoch vom sozialen und finanziellen Sta- tus der Familie abhängig, ob Kinder die Schule besuchen konnten. Erst ab dem 19. Jh. wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt und die Bildung stand einer breiten Bevölkerungsmasse offen (vgl. Kunstmann (2010): S. 102 ff.). Dennoch hatten die Kirchen immer noch großen Einfluss, was sich erst nach dem Ersten Weltkrieg (1918) mit dem Sturz der Landesherren änderte. Die bis dahin gleich- berechtigte Stellung von Zepter und Altar wurde grundlegend in Frage gestellt was letztendlich zur Trennung von Staat und Kirche führte. Der Art. 137 Abs. 1 des GG, ÄEs besteht keine Staatskirche“, stammt aus der Weimarer Reichsver- fassung und besteht bis heute weiter. In Bezug auf den Fortbestand des RU in der Schule wurde Art. 149 Reichsverfassung beschlossen, der inhaltlich auch für die Formulierung des heute geltenden Art. 7 GG maßgeblich war (vgl. Tabbert (2006): S. 3). Auf diese Weise war es möglich, in Deutschland den RU auch nach der Trennung von Staat und Kirche aufrechtzuerhalten - nämlich im Modell eines Unterrichts, der inhaltlich von den Religionsgemeinschaften bestimmt wird und der dadurch die Neutralität des Staates wahren kann. In der Zeit nach dem Zwei- ten Weltkrieg (1945) fand eine Neuorientierung statt, die den RU länderabhängig spaltete und zur heutigen Vielfalt des Faches führte. Seit 1949 gilt der Art. 7 des GG, nach dem Religion ein Äordentliches Lehrfach“, also benotet und verset- zungsrelevant, ist. Die Ausnahme bilden nach Artikel 141 des GG Länder, die schon vor dem 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung hatten. Diese Bestimmung wurde vom Parlamentarischen Rat mit Rücksicht auf die Rechtslage in Bremen eingefügt und wird daher auch „Bremer Klausel“ genannt. Sie besagt, dass der RU im Sinne des Grundgesetzes, weil er inhaltlich nicht von einer Religionsgemeinschaft verantwortet wird, keine Ägemeinsame Angelegen- heit“ (res mixta) ist (ebd. S.7). Dadurch wurden in den Ländern Bremen, Bran- denburg und Berlin, andere Unterrichtstypen (wie bspw. Religionskunde vgl. 2.3) ermöglicht.
2.3.2 Rechtliche und organisatorische Grundlagen
Die Einrichtung des RU ist für die Schulträger verpflichtend, aber auf der Ebene von Eltern, Schülern und Lehrern freiheitlich geregelt. Ab dem 14. Lebensjahr sind die SuS "religionsmündig" und dürfen selbst über ihre Religionszugehörig- keit sowie die Teilnahme am RU entscheiden (vgl. Kunstmann 2010: S. 109). Eine Ausnahme bildet Bayern und das Saarland, indem die SuS erst ab dem 18. Lebensjahr selbst über ihre Religion entscheiden dürfen. Während der römisch- katholische RU sich in der Regel an SuS der eigenen Konfession wendet (Trias: konfessionelle Homogenität von Lehrer, Schüler und Lehrplan (ebd. S.21), kön- nen am evangelischen Religionsunterricht nach eigenem Selbstverständnis Schüler aller Glaubensvorstellungen teilnehmen (Bias: konfessionelle Homoge- nität von Lehrer und Lehrplan). Aus der Perspektive der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG dient der RU unter Anbetracht des Art. 7 GG der Sicherung der Grund- rechtsausübung. D.h. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sollen sich frei und selbständig religiös orientieren können (Vgl. Tabbert (2006): S. 5).
3 Kirchliche Positionen
Der RU als Ägemeinsame Sache“ von Kirche und Staat ist entsprechend auch abhängig von den Positionen, die unsere großen Religionsgemeinschaften dazu beziehen. Etwa Mitte der sechziger Jahre wurden seitens der Kirchen die ersten Überlegungen geäußert, wie es mit dem RU weitergehen sollte. Religionslehrer, Theologen und die Gesellschaft bemerkte, dass dieses Unterrichtsfach seine über lange Zeit unangefochtene Selbstverständlichkeit in der Schule verloren hatte. Mit der Gesellschaft änderte sich auch die Beziehung zwischen Kirchen und Gesellschaft, was dazu führte, dass eine christliche Sinngebung und Welt- deutung immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde (vgl. 2.2). So wurde die Sinnhaftigkeit der Religion in Frage gestellt. Sollte Religion ein öffentliches Lehr- fach bleiben, oder ist sie eher Privatsache? Die nachfolgenden Dokumente zei- gen zunächst aus katholischer, dann aus evangelischer Perspektive die Stellung- nahmen zum Unterrichtsfach Religion auf:
3.1 Katholische Perspektive
3.1.1 Unitatis redintegratio (1964)
Die Unitatis redintegratio (UR) heißt übersetzt Ädas Dekret über den Ökumenis- mus“. Dieses Dokument wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert und am 21. November 1964 beschlossen. Die Verordnung umfasst Gedanken zur konfessionellen Kooperation und gliedert sich in drei Kapitel. Im ersten geht es um die katholischen Prinzipien hierzu, im zweiten um die praktische Verwirkli- chung und im dritten um die vom Römischen Apostolischen Stuhl getrennten Kir- chen und kirchlichen Gemeinschaften. In Absatz 7 heißt es, dass durch Ämensch- liche Gebrechlichkeit“ eine ÄVerstümmelung“ der Kirchen entstanden sei und sich die Kirche nach der Einheit der Christenheit sehne. Weiter geht es darum, dass die gegenseitigen Beziehungen durch gemeinsame Aktivitäten gestärkt werden sollen um Vorurteile zwischen den Konfessionen abzubauen. Dabei sei die Be- teiligung Ävon wohlunterrichteten Sachverständigen“ wichtig, um eine Ausweitung des Wissens über die jeweilig andere Konfession zu erreichen (UR 4). Voraus- gesetzt, der Dialog gelingt, Ä[…] erwerben alle eine bessere Kenntnis der Lehre und des Lebens jeder von beiden Gemeinschaften und eine gerechtere Würdi- gung derselben. Von hier aus gelangen diese Gemeinschaften auch zu einer stärkeren Zusammenarbeit in den Aufgaben des Gemeinwohls“ (vgl. Spinka (2016): S. 3). Dieses Dokument bringt zum ersten Mal eine Neuausrichtung der römisch-katholischen Kirche gegenüber den anderen christlichen Konfessionen zur Sprache und gilt daher als Wegbereiter für konfessionelle Kooperationen (vgl. Hilberath (2005): S. 69-223).
3.1.2 Beschluss der Würzburger Synode (1974)
Die Würzburger Synode oder offiziell ÄGemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ fand von 1971 bis 1975 in Würzburg statt. Ihr Ziel war es die Umsetzung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu för- dern. Zwischen Januar 1971 und November 1975 fanden insgesamt acht Sit- zungsperioden statt. In der sechsten Vollversammlung, vom 20.-24. November 1974, wurde ein Beschluss zur Ökumene im RU gefasst (vgl. Kluger (2005): S.30). Schon damals zeigte sich, dass die Differenzen zwischen den Konfessionen von der Gesellschaft immer weniger wahrgenommen wurden und das Interesse an den Unterschieden zwischen den katholischen und evangeli- schen Positionen abnahm. Aufgrund dieser Entwicklung wurde ein starres Fest- halten an Konfessionalität nicht mehr als zeitgemäß erachtet und zur Vertretung gemeinsamer Interessen eine Kooperation der Konfessionen im RU vorgeschla- gen (vgl. Die Deutschen Bischöfe (1974): S. 34f.). So heißt es direkt im ersten Satz (Unterpunkt 2.7.1): ÄDie Beschäftigung mit den Standpunkten anderer, der Respekt vor ihren Überzeugungen und das engagierte Gespräch mit ihnen ge- hört wesentlich zu einem zeitgemäßen konfessionellen Religionsunterricht.“ Es geht um gegenseitiges Verständnis durch alle Schulstufen und Unterrichtseinhei- ten. Unter 2.7.5 heißt es: RU ist Ä[…] zur Offenheit verpflichtet; der Gesinnung nach ökumenisch“. (Vgl. Volz (1976): S. 117 f.).
3.1.3 Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (1996)
Im Jahre 1996 veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz eine Verlautba- rung zur Konfessionalität des katholischen RU, die zur konkreten Umsetzung des Faches in der Schule deutliche Positionen bezieht. Die unterschiedlichen Kon- fessionen seien mit ihrem Bekenntnis der ÄSitz im Leben“ jedes Schülers. Damit würde sich ein konkreter Erfahrungsraum für das gelebte und gelehrte Glaubens- zeugnis eröffnen (vgl. Die Deutschen Bischöfe (1996): S. 50.). An der Verlautba- rung halten die katholischen Bischöfe fest, da eine Ökumene die konfessionellen Differenzen aufheben würde. Daher sollen die Beteiligten - ausgehend vom eige- nen Bekenntnis - in einen Dialog zu treten. ÄIn diesem Sinne muss jeder katholi- schere Religionsunterricht, der sich konfessionell versteht, in ökumenischem Geist erteilt werden.“ (vgl. Die deutschen Bischöfe (1996): S. 76). Ziel sei ein Lernprozess, der gleichzeitig das Trennende und Verbindende in den Fokus der Aufmerksamkeit stellt. Ein gegenseitiger Austausch soll ermöglichen, Ämit den Augen der anderen Konfessionen zu sehen.“ (vgl. ebd. S. 58.). Diese Grundhal- tung soll mit einer ökumenischen Öffnung noch entschiedener als zuvor zur Zu- sammenarbeit zwischen der evangelischen und katholischen Kirche auffordern. Jedoch sprechen sich die Bischöfe deutlich gegen interkonfessionelle, überkon- fessionelle oder ökumenische Formen des RU aus. Ebenso soll das Fach nicht auf Religions- und Lebenskunde reduziert werden (vgl. ebd.).
3.1.4 Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (2005)
Neun Jahre später wird der ÄSitz des Lebens“ als ÄZugang zur Wirklichkeit“ be- schrieben, wodurch die eigene Konfessionalität nochmals an Bedeutung gewinnt. Nur mit Ihrer Hilfe würden sich die SuS innerhalb der wachsenden religiösen Plu- ralität zurechtfinden und sich bewusst für einen eigenen Standpunkt in Glaubens- und Lebensfragen entscheiden können (vgl. Die Deutschen Bischöfe (2005): S. 7). Da die religiöse Erziehung innerhalb der Familien immer weiter abnimmt, sei der RU oft ein Ort der Erstbegegnung mit dem Glauben (vgl. ebd. S. 14 f.). Der RU hätte daher drei Hauptaufgaben: ÄDer Vermittlung von strukturiertem und le- bensbedeutsamen Grundwissen über den Glauben der Kirche, dem Vertrautma- chen mit den Formen gelebten Glaubens und die Förderung religiöser Dialog- und Urteilsfähigkeit.“ (vgl. ebd. S. 18 ff.). Der realistischen Einschätzung der ge- sellschaftlichen Veränderungen steht jedoch die prägende Kraft des Taufsakra- mentes gegenüber. Selbst wenn die SuS im Privaten wenig Berührungspunkte mit dem Glauben haben, seien sie doch durch die Taufe mit der katholischen Kirche verbunden. Dadurch kann eine starke Verknüpfung des RU mit der Glau- benspraxis hergestellt werden. Die Religionslehrer/-innen sollen sich ihrerseits als Glaubenszeugen bewusst zur Kirche bekennen und am kirchlichen Leben teilnehmen (vgl. ebd. S. 23 f.). Zu einer möglichen Zusammenarbeit zwischen dem katholischen und evangelischen RU äußern sich die Bischöfe eher zurück- haltend. Sie merken an, dass die Ä[…] konfessionelle Ausprägung dem Glau- benszeugnis seine spezifischen Konturen gibt“ (vgl. ebd. S. 10 f.). Andererseits schließt Ädas Konfessionalitätsprinzip, das auch den grundgesetzlichen Vorga- ben entspricht, […] Formen konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht keineswegs aus.“ (vgl. ebd. S. 10 f.). Bezugnehmend auf erste Studien erkennen die Bischöfe an, dass Begegnungen zwischen beiden Konfessionen neue Lernchancen für die SuS bereitstellen, jedoch müsse noch an konkreten Umset- zungsvorschlägen für die Praxis gearbeitet werden (vgl. ebd.).
3.1.5 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (2016)
Die neueste Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz erschien am 22. November 2016 und ist in insgesamt fünf Kapitel unterteilt.
Bereits im Vorwort erläutert der Vorsitzende, Reinhard Kardinal Marx, dass mit dieser Erklärung kein Modell einer Kooperation von katholischem und evangeli- schem RU vorgelegt werden soll, sondern ein Rahmen, indem die Diözesen Äzu- sammen mit den evangelischen Landeskirchen eigene Formen der Kooperation entwickeln können, die den regionalen Gegebenheiten gerecht werden und den konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen stärken“ (vgl. Die Deutschen Bischöfe (2016): S. 6).
In der Einleitung stellen die Autoren fest, dass im RU die Förderung eines Ver- ständnisses für religiöse Wahrheitsansprüche wichtig sei, um den religiös-welt- anschauliche Differenzen mit Toleranz zu begegnen. Konfessionalität sei dafür nicht nur notwendig, sondern ein Qualitätsmerkmal des RU (vgl. ebd. S. 7). Wei- ter wird der Sinn eines konfessionellen RU unterstrichen, indem die Pluralität von religiös bildenden Fächern neue Möglichkeiten interreligiösen Lernens eröffnen, die von den Lehrkräften - als Experten einer bestimmten Konfession oder Reli- gion - didaktisch gestaltet und begleitet werden. Der konfessionelle RU verbinde auf diese Weise die Förderung religiöser Dialogfähigkeit mit der Entwicklung ei- ner eigenen religiösen Position (ebd. S.8). Jedoch müssten die aktuellen Ent- wicklungen in didaktische und organisatorische Überlegungen integriert werden, da die rückläufige Zahl der Taufen die Einrichtung von parallelen katholischen und evangelischen Klassen oft nicht mehr zulasse. Daher sei die gegenwärtige Frage, ob und wie eine erweiterte Kooperation den konfessionellen RU in der Schule sichern und zu seiner Qualitätsentwicklung beitragen kann (ebd. S. 8).
In Kapitel 2 geht es um den konfessionellen RU im ökumenischen Geist. Neben der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Umgang mit dem christli- chen Glauben muss der RU die ÄEntwicklung religiöser Orientierungsfähigkeit im persönlichen und gesellschaftlichen Leben“ fördern. Ziel sei eine Äkonfessorische Kompetenz“ (ebd. S. 11). Dabei dürfe wirkliche Ökumene die eigenständigen Konfessionen nicht abstrahieren, da diese zum Christentum dazugehören.
Auf der einen Seite werden die Konsfessionen als ein Äzu überwindendes Übel“ beschrieben, auf der anderen Seite zeugen sie jedoch auch vom ÄReichtum des Christentums.“ (vgl. ebd. S. 13). Jedoch dient Ädie Kooperation von katholischem und evangelischem RU [der] ökumenischen Öffnung und wird daher ausdrücklich befürwortet.“ (vgl. ebd. S. 14). Dabei halten die Bischöfe jedoch weiter daran fest, dass keine Verschmelzung von katholischer und evangelischer Religion zustande kommen darf. Im Vordergrund stehe die Herausarbeitung individueller Unterschiede auf dem Hintergrund gemeinsamer Inhalte. Ein überkonfessioneller RU, sowie ein multireligiöser oder religionskundlicher Unterricht würde diesen Vorstellungen wiedersprechen (vgl. ebd. S. 15 f.).
In Kapitel 3 wird erneut die Brisanz der veränderten Situation des RU herausge- stellt, der zufolge länderabhängig unterschiedliche Modelle von RU entstanden sind. Nach einer ausführlichen Beschäftigung mit den unterschiedlichen Model- len, werden am Ende des dritten Kapitels folgende Gemeinsamkeiten festgehal- ten:
1.) Es sollen sowohl Gemeinsamkeiten, als auch konfessionelle Unterschieden gestärkt werden.
2.) Die Kooperationen müssen in die Lehrpläne integriert werden.
3.) Die Kirchen unterstützen diese Vorhaben aktiv.
4.) Der RU in gemischtkonfessionellen Gruppen ist immer konfessionell - koope- rativ, da sich seine Konzeption nach der Konfessionszugehörigkeit der Lehr- kraft richtet.
5.) Die Mitwirkungsrechte der Kirchen bleibt auch beim konfessionell-kooperati- ven RU gewahrt (vgl. Quirmbach (2017): S. 2 f.).
Es wird zusätzlich darauf verwiesen, dass sich das Modell von gemischtkonfes- sionellem Unterricht, auch ohne vorherige Absprache mit den Kirchengemein- den, immer weiter ausbreitet. Gründe dafür seien unter anderem Lehrermangel.
[...]
1 Nachfolgend abgekürzt mit SuS
2 Nachfolgend abgekürzt mit RU
- Quote paper
- Adrienne Kaergel (Author), 2017, Religiöse Vielfalt in der Schule. Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht im Vergleich zum Hamburger Modell, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/417873
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