Seit jeher hat der Mensch das Bedürfnis, die Geheimnisse der Zukunft zu enthüllen. Die Zeitlichkeit des Menschen, das Gebundensein an die ewige Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist für die menschliche Erfahrung eine universale Konstante. Die Vergangenheit, die uns konditioniert, die Gegenwart in ihrer Flüchtigkeit, und die Zukunft als Bereich unentdeckter Möglichkeiten und dunkel heraufziehenden Schicksals sind der kulturunabhängige Rahmen, in dem menschliche Erfahrung stattfindet. Kulturell bedingt allerdings sind die Konzepte und Methoden zur Erschließung und Verarbeitung der Grundkonstante ‘Zeit’.
Durch die Zeitalter hat der Mensch je unterschiedliche Antworten gefunden, um aus seiner Erfahrung und Erinnerung heraus die Unberechenbarkeit der Zukunft zu meistern. Immer sind die Antworten an Lebensfragen geknüpft, die wir uns alle stellen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Diesen elementaren Fragen, die schon die ältesten Schriften stellen, hat Kant noch hinzugefügt: Was sollen wir tun? Was können wir wissen? Was dürfen wir glauben? Die Grundfragen Kants meinen nicht nur die individuelle Dimension, sondern haben auch das Miteinanderleben der Menschen im Auge, das seine Ordnung durch ethisch motiviertes Handeln errichtet, und sie zielen auf das Leben des Geistes, in dem Individuum und Gesellschaft sich durch die Erkenntnis ‘zeit’-loser Wahrheit Stabilität zu geben versuchen. Über den Selbsterhalt hinaus heißt die Aufgabe für den Menschen also: Meisterung der Zukunft, Meisterung der Zeit, und bedeutet nichts anderes, als über den kreativen Prozeß der Erschaffung seines Lebens in all seinen Aspekten die Kontrolle zu erlangen. Das ist im Prinzip das Ziel, sei es nun für das Individuum, sei es für die Gesellschaft oder den Staat.
Inhalt
Einleitung
Was ist Prophetie?
Zur historischen Rolle der Prophetie in der Politik (Exkurs)
Die Prophezeiungen des Nostradamus
Begründung des Interesses
Biographisches
Verschlüsselung
Zeitgenössische Rezeption und Kritik
Zusammenhänge von Prophetie und Politik heute
Literaturliste
Einleitung
Seit jeher hat der Mensch das Bedürfnis, die Geheimnisse der Zukunft zu enthüllen. Die Zeitlichkeit des Menschen, das Gebundensein an die ewige Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist für die menschliche Erfahrung eine universale Konstante. Die Vergangenheit, die uns konditioniert, die Gegenwart in ihrer Flüchtigkeit, und die Zukunft als Bereich unentdeckter Möglichkeiten und dunkel heraufziehenden Schicksals sind der kulturunabhängige Rahmen, in dem menschliche Erfahrung stattfindet. Kulturell bedingt allerdings sind die Konzepte und Methoden zur Erschließung und Verarbeitung der Grundkonstante ‘Zeit’.
Durch die Zeitalter hat der Mensch je unterschiedliche Antworten gefunden, um aus seiner Erfahrung und Erinnerung heraus die Unberechenbarkeit der Zukunft zu meistern. Immer sind die Antworten an Lebensfragen geknüpft, die wir uns alle stellen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Diesen elementaren Fragen, die schon die ältesten Schriften stellen, hat Kant noch hinzugefügt: Was sollen wir tun? Was können wir wissen? Was dürfen wir glauben? Die Grundfragen Kants meinen nicht nur die individuelle Dimension, sondern haben auch das Miteinanderleben der Menschen im Auge, das seine Ordnung durch ethisch motiviertes Handeln errichtet, und sie zielen auf das Leben des Geistes, in dem Individuum und Gesellschaft sich durch die Erkenntnis ‘zeit’-loser Wahrheit Stabilität zu geben versuchen. Über den Selbsterhalt hinaus heißt die Aufgabe für den Menschen also: Meisterung der Zukunft, Meisterung der Zeit, und bedeutet nichts anderes, als über den kreativen Prozeß der Erschaffung seines Lebens in all seinen Aspekten die Kontrolle zu erlangen. Das ist im Prinzip das Ziel, sei es nun für das Individuum, sei es für die Gesellschaft oder den Staat.
Diese Arbeit spürt dem Phänomen der Prophetie in der Politik nach. Dieses Phänomen wird gemeinhin dem Bereich der Religion zugeordnet, in einem weiteren Sinne aber, als kulturspezifische Antwort auf die existenzielle Aufgabe der Meisterung der Lebens-Zeit, ist Prophetie ein Begriff, der dem Numinosum des Noch-Nicht-Gewordenen, der Zukunft, eher gerecht wird als etwa wissenschaftliche Prognosen und Extrapolationen. In einem ersten Schritt wird daher der Begriff der Prophetie im individuellen und gesellschaftlichen Kontext genauer untersucht und auf Strukturmerkmale hinsichtlich der politischen Bedeutung geprüft. Ein historischer Exkurs soll dann zeigen, daß es sich durchaus lohnt, Prophetie in ihrer Wirkung auf die Politik zu diskutieren. In vielen Hochkulturen war die Weissagung eine Grundlage für wesentliche Entscheidungen des Herrschers. In anderen hatten die Propheten einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Staatsgeschäfte. Am Beispiel des Astrologen Nostradamus soll dann ein konkreter Fall der Prophetie am Beginn der Neuzeit untersucht und anhand der gefundenen Strukturkriterien geprüft werden, bevor ich abschließend auf die Prophetie in den modernen Gesellschaft von heute eingehe.
Was ist Prophetie?
Vordergründig könnte man die Botschaft eines Propheten schlicht als Ankündigung zukünftiger Ereignisse auffassen. Ein strikt deterministisches Verständnis von Prophezeiungen hält den Anforderungen des Denken jedoch nicht stand – es wird zum Opfer des ‘divinatorischen Paradoxons’: wenn eine Vorhersage gemacht wird, dann kann verhindert werden, daß sie eintritt, und somit ist sie falsch. Dem Phänomen der Prophetie ist mit logischen Mitteln nicht beizukommen: viel wichtiger ist die soziologische Funktion des Propheten.
Ein interessantes Beispiel finden wir in dem Propheten Samuel und König David. Ohne die Prophezeiungen Samuels hätte David vielleicht niemals die Zielbestimmtheit entwickelt, die ihn zum großen König der Juden machte, er hätte nie seine Bestimmung entdeckt und wäre weder im Vergleich mit seinen Brüdern noch in den Augen seines Volkes dieser Aufgabe würdig erschienen. Wahrscheinlich hätte er im Kampf mit Goliath niemals den Wagemut des von Gott Erwählten entwickelt, der ihn zum Sieg führte. Die Prophezeiungen Samuels haben einen König ‘gemacht’, sie haben wirkungsmächtig die kollektiven Erwartungen, das kollektive und individuelle Bewußtsein manipuliert, so daß tatsächlich eintrat, was eintreten sollte.
Die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Weissagung ergibt sich so gesehen aus der Wirkung der Prophezeiung auf die symbolische Kommunikation in der Gesellschaft. Betrachtet man die Weissagung hinsichtlich dessen, was sie zu bewirken versucht, so ist sie nicht als Beschreibung einer einzutretenden Wirklichkeit, sondern als symbolischer Akt aufzufassen, der eine soziale Realität erst formt – im Extrem eben die Wirklichkeitswahrnehmung des Individuums oder der Gesellschaft manipuliert und einen Gestaltungsvorschlag für die individuelle Realität unterbreitet, der eine ‘Reaktion’ auf die Herausforderung der Zukunft dann möglich macht. Oder wie Rahner sagt: "Der »Prophet« sagte keine Zukunft voraus, sondern setzte den Menschen der Gegenwart ein neues Ziel."[1]
Ein Prophet ist als Prophet nicht für einen Einzelnen da, sondern spricht ein größeres Publikum an. Seine Prophezeiungen haben kollektive Ereignisse zum Thema. Ein Astrologe beispielsweise ist, auch wenn er kollektive Ereignisse vorhersagt, noch nicht unbedingt ein Prophet. Dazu ist vielmehr erforderlich, daß seine Stimme gehört wird, daß das, was er zu sagen hat, sich zum Kontext kollektiver Erwartungen in Beziehung setzt. Der Prophet spricht immer in eine geschichtliche, religiöse, soziale, politische Situation hinein. Der Begriff der Prophetie umfaßt daher neben einem irgendwie gearteten divinatorischen Akt immer auch eine Funktion im Rahmen der Gesellschaft und des staatlichen Gemeinwesens.
Jedoch nimmt der Prophet, anders als der charismatische Führer, zur Gesellschaft oft eine Distanzposition ein. Der charismatische Führer benutzt seine Gaben zur Legitimation seiner Herrschaft, der Prophet dagegen nutzt seine Position zur kritischen Reflektion von Herrschaft, Ordnung, Mensch. Man könnte diese Distanz auch als den Versuch eines kollektiven Bewußtseins deuten, aus sich hinaus einen archimedischen Bezugspunkt zu projizieren, der – im geistigen Urgrund verankert – eine Selbstreflektion als quasi unvoreingenommene Bewertung erlaubt. Diese Bewertung transzendiert die üblichen Erfahrungskategorien des menschlichen Daseins. Im Propheten konkretisiert sich das Experiment des kollektiven Bewußtseins. Der Prophet ist Überbringer göttlicher Botschaften oder Künder des Weltgesetzes. Die Realität, von der und aus der heraus er kündet, wurde nicht selten als göttlich, als transzendent, als überweltlich bezeichnet, und so muß die Qualität der Kündung dem übernatürlichen Charakter seiner Sendung entsprechen. Der Urgrund, aus dem der Prophet spricht und der Wille, den er kündet, ist, zumindest im Judaismus, mit den Attributen von dauerhafter Gültigkeit, göttlicher Allwissenheit und unveränderlichem Ratschluß ausgestattet. Der Prophet ist von daher nicht greifbar, er kann samt seiner Botschaft der weltlichen Ordnung nicht einfach einverleibt und zugerechnet werden.
Eine Phänomenologie der Prophetie mag durchaus bizarre Blüten zutage fördern. Praktischerweise lohnt es sich, mit Rahner vier verschiedene Typen zu unterscheiden[2], die bei ihm allerdings in ihrer Abgrenzung deutlich auf die Möglichkeit einer gottgewirkten Offenbarung durch den Mund des Propheten als dem höchsten Typus ausgerichtet sind.
Der erste von vier Typen ist die profane Weissagung, die technisch orientiert ist, "allein im Dienste rein weltlicher Interessen steht und nur zum Nutzen der irdischen, geldlichen usw. Daseinsbehauptung verwendet" wird.
Der zweite Typus umfaßt sogenannte parapsychologische prophetische Phänomene, die Rahner durch deren psychologische Enge und das Fehlen einer religiösen Dimension gekennzeichnet sieht, und die er von der gottgewirkten Prophezeiung durch das "Fehlen einer eigentlich religiösen Zwecksetzung, eines Eingebautseins in eine religiöse Sinndimension" unterscheidet. "... wenn man zum Beispiel an die Prophetien des Mühlhiasl ... denkt ... dann sieht man doch sofort, worauf es ankommt. Solche Vorhersagen ... haben etwas eigenartig Deutliches und Sinnloses zugleich: irgendetwas dem Seher selbst Unverständliches wird gesehen. Der Seher weiß nicht, wie weit sich das Gesehene erstreckt, ... ob es wirklich den Kern einer zukünftigen Geschichte beinhaltet."
Als dritten Typus nennt Rahner die geschichtstheologisch ahnende Zukunftsschau großer Männer, die eher dem Bereich der Utopie oder des "werbenden Ideals" zuzuordnen ist, aber sich zudem noch durch die geniale Weitsicht ihrer Urheber auszeichnet.
Und schließlich die wahrhaft gottgewirkten Offenbarungen. Der Theologe Rahner sagt dazu: "die Zeit ist eine innere Modalität dessen, was geschöpflich wird, nicht aber eine Modalität des Verhältnisses Gottes zur Welt. Darum ist das Zukünftige nicht für Gott selbst erst noch zukünftig. Darum ist ihm das Künftige gegenwärtig. Er kann es darum mitteilen, wenn er will.”
Im Rahmen einer politikphilosophischen Analyse des Phänomens der Prophetie allerdings hat die Möglichkeit einer "wahrhaft gottgewirkten Offenbarung" keine Bedeutung, darüber soll hier nicht spekuliert werden. Nur soviel: wenn man den Begriff "Gott" als Schlüsselsymbol für die Potenz und Potentialität der menschlichen Existenz betrachtet, als Transzendenzpol für das Wesen, das sich selbst in jedem Schritt transzendiert, indem es über sich hinauswächst, dann kann man eine Geschichtstheologie betreiben, die die Prophezeiung nicht für die Welt vereinnahmt, sondern sie als Momentum des Transzendenzbedürfnisses des Menschen deutet. Teilhard nennt dies den Punkt Omega, der, ohne eine deistische Teleologie zu unterstellen, für die dem Menschen und dem Kosmos eingeborene Entwicklungsdynamik steht.[3]
[...]
[1] Rahner, S. 98
[2] Zitate aus Rahner, S. 91-100
[3] siehe Pierre Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos, München 1959
- Citar trabajo
- Manfred Kipfelsberger (Autor), 1998, Prophetie und Politik - über die politische Wirksamkeit der Prophetie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41735
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