„Kaiserlich“ wurde Enea Silvio Piccolomini (1404-1464) offenbar nicht empfangen, als er 1442 seinen Dienst am Hofe Friedrichs III. antrat: „Glaub auch nur nicht, dass man Dir silberne oder gläserne Becher vorsetzt; bei jenen fürchtet man, dass er gestohlen, bei diesen, dass er zerbrochen wird. Du musst aus einem Holzbecher trinken, welcher schwarz, alt, stinkend ist, an dessen Grund Weinstein fest geworden ist und in den die Herren sonst zu pissen pflegen“, schrieb der große italienische Humanist 1444 an seinen Freund Johannes von Eich. „De curialium miseriis“ – „Über das Elend der Hofleute“ – heißt sein Traktat. Der aus Siena stammende Geistliche geht auch im weiteren Verlauf hart ins Gericht mit seinen höfischen Glaubensbrüdern nördlich der Alpen: Die „Witzereißer, Schmähsüchtigen und Brüller“ hätten das Sagen bei Hofe - Frauen trieben es jeweils mit dem Höfling, der gerade den größten Einfluss habe. Das Fleisch stinke; der Käse sei „lebendig, voller Würmer und Löcher“. Und schlafen müsse man oft auf Brettern, auf nacktem Stein oder in Sturm und Hagel und bei der Kälte: „Dein Schlafgesell hat Ausschlag und kratzt sich die ganze Nacht, ein anderer hustet, ein anderer bedrängt dich mit seinem übelriechendem Atem. Bisweilen liegt auch ein Aussätziger bei dir. Und da schnarcht der eine, der andere furzt, ein dritter wirft die Schuhe herum. Die Besoffenen kommen schlafen, erzählen, schwätzen, stoßen auf, balgen sich, werfen einander um und stehen wieder auf, um zu pissen.“
Piccolominis Text wurde zu einem wahren Bestseller des ausgehenden Mittelalters: etwa 80 Abschriften, zwei deutsche Übersetzungen und 15 Drucke zwischen 1470 und 1500 kann die Forschung belegen. Mit „Über das Elend der Hofleute“ ist damit ein vorläufiger Höhepunkt in der Reihe hofkritischer Schriften erreicht. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich im höfischen Umfeld der Mächtigen aus moralischen Ratschlägen und Beobachtungen eine eigene Literaturgattung gebildet: Die Hofkritik. Ihre Anfänge liegen in der Antike.
„Bei Hof, bei Höll“ – Warum verdirbt der Hof den Charakter?
Über Entstehung und Funktion der mittelalterlichen Hofkritik als Gesellschaftskritik
Von Matthias Thiele
„Kaiserlich“ wurde Enea Silvio Piccolomini (1404-1464) offenbar nicht empfangen, als er 1442 seinen Dienst am Hofe Friedrichs III. antrat: „Glaub auch nur nicht, dass man Dir silberne oder gläserne Becher vorsetzt; bei jenen fürchtet man, dass er gestohlen, bei diesen, dass er zerbrochen wird. Du musst aus einem Holzbecher trinken, welcher schwarz, alt, stinkend ist, an dessen Grund Weinstein fest geworden ist und in den die Herren sonst zu pissen pflegen“, schrieb der große italienische Humanist 1444 an seinen Freund Johannes von Eich. „De curialium miseriis“ – „Über das Elend der Hofleute“ – heißt sein Traktat. Der aus Siena stammende Geistliche geht auch im weiteren Verlauf hart ins Gericht mit seinen höfischen Glaubensbrüdern nördlich der Alpen: Die „Witzereißer, Schmähsüchtigen und Brüller“ hätten das Sagen bei Hofe - Frauen trieben es jeweils mit dem Höfling, der gerade den größten Einfluss habe. Das Fleisch stinke; der Käse sei „lebendig, voller Würmer und Löcher“. Und schlafen müsse man oft auf Brettern, auf nacktem Stein oder in Sturm und Hagel und bei der Kälte: „Dein Schlafgesell hat Ausschlag und kratzt sich die ganze Nacht, ein anderer hustet, ein anderer bedrängt dich mit seinem übelriechendem Atem. Bisweilen liegt auch ein Aussätziger bei dir. Und da schnarcht der eine, der andere furzt, ein dritter wirft die Schuhe herum. Die Besoffenen kommen schlafen, erzählen, schwätzen, stoßen auf, balgen sich, werfen einander um und stehen wieder auf, um zu pissen.“
Piccolominis Text wurde zu einem wahren Bestseller des ausgehenden Mittelalters: etwa 80 Abschriften, zwei deutsche Übersetzungen und 15 Drucke zwischen 1470 und 1500 kann die Forschung belegen. Mit „Über das Elend der Hofleute“ ist damit ein vorläufiger Höhepunkt in der Reihe hofkritischer Schriften erreicht. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich im höfischen Umfeld der Mächtigen aus moralischen Ratschlägen und Beobachtungen eine eigene Literaturgattung gebildet: Die Hofkritik. Ihre Anfänge liegen in der Antike. Immer wieder ist der römische Autor Marcus Annaeus Lucanus (39-65 n.Chr.) viel zitiertes Vorbild: „Exeat aula, qui vult essere pius“ - „Es verlässt den Hof, wer fromm sein möchte“, schrieb der in seinem Hauptwerk „Der Bürgerkrieg“. Lucanus musste es wissen: Der Neffe des Kaiserberaters Seneca lebte selbst am Hofe Neros und dürfte das bunte Treiben im Umfeld des Kaisers aus eigener Anschauung gekannt haben. Auch dem Satiriker Juvenal (ca. 60-140 n Chr.) schien das Hofleben offenbar befremdlich: In einem seiner Werke lässt er den Kronrat die Frage der Zubereitung eines Steinbutts wie eine Staatsaffäre behandeln.
Der Historiker Thomas Szabò vom Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen hat die Geschichte der Hofkritik von der Antike bis in die Frühe Neuzeit erforscht. Obwohl Piccolomini die antiken Autoren kannte, lassen sich nach Szabòs Ansicht die Satiren eines Juvenal nur bedingt mit der Hofkritik eines Piccolomini vergleichen: „Dem antiken Kaiserhof wurde keine moralische Vorbildfunktion unterstellt. Die Kritik der Antike richtete sich deshalb weniger gegen bestimmte Gruppen der Gesellschaft als vielmehr gegen den Menschen und seine Natur als solche“, erklärt Szabò. Bei der mittelalterlichen Hofkritik verhalte es sich ganz anders: „Sie richtete sich gegen die Motive und Handlungsweisen der am Hofe tätigen Personen sowie gegen deren Lebensweise und Wertevorstellungen. Dabei war sie stark von den christlichen Moralvorstellungen geprägt.“
Geistliche aus dem Umfeld des Herrschers waren es folglich, die im Mittelalter als erste den moralischen Zeigefinger erhoben. Ihre Mahnungen richteten sich zunächst an den eigenen Stand: Der Corveyer Abt Paschasius Radbertus (+ nach 853) und Bischof Thegan von Trier (+847) zum Beispiel. Beide Oberhirten geißeln das Streben der Hofkleriker nach Geld und Einfluss. Thegan wirft den geistlichen Ratgebern des Königs gar vor, sich „jähzornig, streitsüchtig, übelrednerisch, ungerecht, hochfahrend, unstet und schamlos“ zu gebärden.
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- Matthias Thiele (Autor), 2005, Bei Hof, bei Höll - Warum verdirbt der Hof den Charakter? Über Entstehung und Funktion der mittelalterlichen Hofkritik als Gesellschaftskritik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41730
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