Der Zweite Weltkrieg ließ die japanische Bevölkerung verunsichert zurück und „die entstandenen Bedürfnisse der Menschen nach Halt, Sicherheit und Geborgenheit führten zum plötzlichen Aufkommen zahlreicher ‚Neuer Religionen‘.“ Sie entstanden häufig aus Laieninitiativen heraus, die ein Misstrauen gegenüber der Priesterschaft entwickelt hatten. Innerhalb einer „Neuen Religion“ existierte deshalb oft keine Unterscheidung zwischen Laien- und Priesterklasse mehr. Neue religiöse Bewegungen, die viel Zulauf bekamen, waren z.B. die Reiyūkai, Risshō Kōseikai und die Sōka Gakkai. Vor allem Letztere erzielte große Erfolge. „Sōka Gakkai is considered the largest of the Japanese shinshūkyō (New Religions) and one of the most visible overseas.“ Heute gehören ca. 8,27 Millionen Haushalte in Japan zur Sōka Gakkai und der Dachverband Sōka Gakkai International (SGI) zählt weltweit mehr als 1,5 Millionen Anhänger. Damit gehören ca. 2% der japanischen Bevölkerung der Sōka Gakkai an.
In dieser Arbeit soll zunächst die Entstehung der Sōka Gakkai und die Gründe ihres politischen Engagements geklärt werden. Anschließend wird die Gründung der bewegungseigenen Partei Kōmeitō beleuchtet und die Konflikte aufgezeigt, die diese mit sich brachte. Im Zuge dessen wird mit Hilfe des amerikanischen Religionssoziologen José Casanova und seiner Kritik an den Säkularisierungstheorien von Weber und Durkheim das Phänomen der Sōka Gakkai und der Kōmeitō untersucht. Dabei beschränkt sich die Betrachtung auf den Zeitraum zwischen 1960 und 1993. Als Grundlage der Untersuchung dient sein Buch „Public Religions in the Modern World“, in dem er mit Hilfe von Fallstudien in den 1980er Jahren einen Bedeutungszuwachs der Religion u.a. in Polen, Spanien und den USA feststellte, der der ihnen prophezeiten Marginalisierung durch die klassischen Säkularisierungstheorien widersprach.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die Sōka Gakkai als Neue Religion
2. Die Kōmeitō – Der politische Arm der Sōka Gakkai
3. Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Der Zweite Weltkrieg ließ die japanische Bevölkerung verunsichert zurück und „die entstandenen Bedürfnisse der Menschen nach Halt, Sicherheit und Geborgenheit führten zum plötzlichen Aufkommen zahlreicher ‚Neuer Religionen‘.“[1] Sie entstanden häufig aus Laieninitiativen heraus, die ein Misstrauen gegenüber der Priesterschaft entwickelt hatten. Innerhalb einer „Neuen Religion“ existierte deshalb oft keine Unterscheidung zwischen Laien- und Priesterklasse mehr. Neue religiöse Bewegungen, die viel Zulauf bekamen, waren z.B. die Reiyūkai, Risshō Kōseikai und die Sōka Gakkai.[2] Vor allem Letztere erzielte große Erfolge. „Sōka Gakkai is considered the largest of the Japanese shinshūkyō (New Religions) and one of the most visible overseas.“[3] Heute gehören ca. 8,27 Millionen Haushalte in Japan zur Sōka Gakkai und der Dachverband Sōka Gakkai International (SGI) zählt weltweit mehr als 1,5 Millionen Anhänger. Damit gehören ca. 2% der japanischen Bevölkerung der Sōka Gakkai an. „No other organization of any type in Japanese history has matched Sōka Gakkai's Success in building a centrally administered group of active participants with committed members in every community, at every socioeconomic level, and in every vocational sphere.“[4]
In der vorliegenden Arbeit soll zunächst die Entstehung der Sōka Gakkai und die Gründe ihres politischen Engagements geklärt werden. Anschließend wird die Gründung der bewegungseigenen Partei Kōmeitō[5] beleuchtet und die Konflikte aufgezeigt, die diese mit sich brachte. Im Zuge dessen wird mit Hilfe des amerikanischen Religionssoziologen José Casanova und seiner Kritik an den Säkularisierungstheorien von Weber und Durkheim das Phänomen der Sōka Gakkai und der Kōmeitō untersucht. Dabei beschränkt sich die Betrachtung auf den Zeitraum zwischen 1960 und 1993. Als Grundlage der Untersuchung dient sein Buch „Public Religions in the Modern World“, in dem er mit Hilfe von Fallstudien in den 1980er Jahren einen Bedeutungszuwachs der Religion u.a. in Polen, Spanien und den USA feststellte, der der ihnen prophezeiten Marginalisierung durch die klassischen Säkularisierungstheorien widersprach.
Die verwendeten japanischen Begriffe werden in der Hepburn-Umschrift wiedergegeben[6] und bei japanischen Personennamen wird der Nachname zuerst genannt.
1. Die Sōka Gakkai als Neue Religion
Der Lehrer und Schuldirektor[7] Makiguchi Tsunesaburō (1871-1944) gründete 1930 die Sōka Kyōiku Gakkai (Value Creation Education Study Assosiation), den Vorgänger der ab 1945 als Sōka Gakkai geführten Gemeinschaft. Makiguchi war nicht zufrieden mit dem japanischen Bildungssystem, das in seinem Fokus auf die Naturwissenschaften und bevorstehende Examen, seiner Meinung nach, den Blick auf das verlor, was im Alltag der Kinder essenziell sei. Für ihn war es wichtiger, die Schüler auf das Erwachsensein vorzubereiten und ihnen praktische Anleitungen für das Leben mitzugeben. „In fact, he became convinced that pupils were capable of developing knowledge by themselves from personal experiences and that the true role of the teacher was simply to help facilitate this process.“[8]
Mit anderen Lehrern tauschte er sich innerhalb des Verbandes über philosophische Themen aus und sie publizierten Zeitschriften, die ihre Ideen zum Voranbringen des japanischen Bildungssystems und der Gesellschaft beinhalteten. Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Grundschullehrer Toda Jōsei (1900-1958), konvertierte Makiguchi im Jahr 1928 zur buddhistischen Sekte Nichiren Sōshū. Diese Entscheidung schlug sich wenige Jahre später auch im Kurs des Verbands nieder, dessen Führungsriege sich nun der absoluten religiösen Hingabe verschrieb.[9]
Die Sōka Gakkai gründete unter Ikeda in den 1960er Jahren eigene Bildungs- und Kulturinstitutionen, „darunter Schulen, eine Stiftung zur Bildungsförderung [...], Kulturhäuser, Museen sowie eine Konzertvereinigung.“[10] 1971 folgte schließlich die Eröffnung der Sōka Universität in Hachiōji, Tōkyō.[11] Mit diesen Maßnahmen drang die Gemeinschaft weiter vor in das Alltagsleben ihrer Anhänger.
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen beschreibt Casanova als Differenzierung. Ursprünglich war damit die Differenzierung der der säkularen Sphäre[12] gemeint, jedoch sei der Begriff auch auf Entwicklungen innerhalb einer religiösen Gemeinschaft übertragbar.[13]
Ein Grund für die politische Motivation der Sōka Gakkai ab den 1960er Jahren ist bei ihrem Kernpunkt, dem Streben nach Glück im Leben jedes Einzelnen, zu suchen. Das Ziel soll demnach nicht nur das individuelle Glück sein, sondern die Religion müsse „auch der Gemeinschaft und der Gesellschaft das Erreichen von Glück ermöglichen.“ Somit engagieren sich die Anhänger nicht nur für das Wohl der eigenen Gemeinde, sondern das der gesamten Gesellschaft.
Ein weiterer Grund liegt in der politischen Lage der 1950er Jahre, in der die Liberaldemokratische Partei und die Sozialistische Partei Japans keine zufriedenstellenden Lösungen für die Unternehmer und die Arbeiter bot.[14] Das aufkommende politische und gesellschaftliche Engagement der Sōka Gakkai kann, nach Casanova, als Deprivatisierung bezeichnet werden. Damit ist gemeint, dass die religiösen Traditionen sich nicht der Rolle beugt, die ihnen laut klassischer Säkularisierungstheorien zukommt: Marginalisierung und Privatisierung. Die nun entstehenden religiös motivierten sozialen Bewegungen gehen über ihre klassische Aufgabe der Seelsorge hinaus und formulieren politische Fragestellungen, treten in Gegenposition zu den in erster Linie säkularen Organisationen.[15]
2. Die Kōmeitō – Der politische Arm der Sōka Gakkai
Der erste Vorstoß in die Politik erfolgte mit dem 1962 gegründeten Kōmei Seiji Renmei („Bund für saubere Politik“).[16] Daraus entstand wiederum die Kōmeitō, die 1964 von der Sōka Gakkai gegründet wurde. Die Partei stand von Beginn an in der Kritik, eine religiöse Partei zu sein, die gegen die Religionsfreiheit verstoße.[17] Gegen diese Vorwürfe wehrte man sich, da die Partei keine religiösen Ziele verfolge. Jedoch argumentierte man mit den Motiven der Sōka Gakkai: „Die offizielle Absicht der Kōmeitō war es, dem einzelnen Menschen zu helfen, sein persönliches Glück zu finden.“[18]
Die japanische Verfassung regelt in Artikel 20 die Beziehung zwischen Staat und Religion.
„Jedermann ist die Freiheit des religiösen Bekenntnisses gewährleistet. Keine religiöse Gemeinschaft darf vom Staat mit Sonderrechten ausgestattet werden oder politische Macht ausüben [...] Der Staat und seine Organe haben sich der religiösen Erziehung und jeder anderen Art religiöser Betätigung zu enthalten.“[19]
Dieser Artikel regelt die Trennung säkularer Sphären von religiösen Strukturen in Japan. Die Gründung der Kōmeitō und die damit einhergehende religiös motivierte Politisierung der Sōka Gakkai kann als ein weiteres Indiz der Differenzierung innerhalb der Religion gesehen werden. Mit dem Vordringen in die Politik konnte die Sōka Gakkai für ihre Ziele auch Menschen außerhalb ihrer Anhängerschaft mobilisieren bzw. indirekt missionarisch wirken.
„Die Erweiterung des Wirkungsspektrums der Sōka Gakkai um eine politische Dimension bedeutete gleichzeitig eine Zunahme der Kommunikationskanäle, mithilfe derer die Missionierungstätigkeit der Organisation auf eine breitere Basis gestellt werden sollte.“[20]
In den 1990er Jahren fiel die Kōmeitō den Veränderungen in der politischen Landschaft zum Opfer und löste sich 1993 schließlich auf.[21]
3. Fazit
Aus der gesellschaftlichen Krise nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Religion im Allgemeinen und die Neuen Religionen im Speziellen einen enormen Aufschwung in Japan. Die Sōka Gakkai ist ein Beispiel dafür, dass sich Religion nicht der ihr prophezeiten Marginalisierung im Zuge der Säkularisierung beugt. Durch gezieltes Vordringen in die Bildung und Kultur durch die Gründung von Schulen, Museen und weiteren Institutionen verfolgte die Sōka Gakkai eine Agenda, die über ihre rein religiöse Sphäre hinausgeht. Weiterhin betrat sie mit der Gründung ihrer eigenen Partei Kōmeitō die politische Bühne und beteiligte sich somit aktiv am gesellschaftlichen Geschehen. Damit erreichte die Sōka Gakkai auch Wähler, die nicht unmittelbar aus ihrer Anhängerschaft stammten.
Für weitere Erkenntnisse wäre eine Untersuchung der Neuen Kōmeitō nötig, die sich 1998 formierte. Diese grenzt sich allerdings stärker von der Sōka Gakkai ab, da sie, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, finanziell und organisatorisch unabhängig von ihr sei. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Gemeinschaft ihren Erfolgskurs ohne die Kōmeitō fortsetzen konnte.
[...]
[1] Sybille Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan: Geschichte und zeitgeschichtliche Bedeutung von Sōka Gakkai, Kōmeitō und Neuer Kōmeitō (München: Iudicium, 2010), Zugl.: Marburg, Univ., Diss. 2010, 14
[2] Ebd., 20
[3] Erica Baffelli, „'The Gakkai is Faith; the Kōmeitō is Actio': Sōka Gakkai and 'Buddhist Politics',“ in Politics and Religion in Modern Japan: Red Sun, White Lotus, hrsg. v. Roy Starrs (Houndmills: Palgrave Macmillan, 2011), 216–39, 217
[4] Levi McLaughlin, „Electioneering as Religious Practice: A History of Sōka Gakkai's Political Activities to 1970,“ in Kōmeitō: Politics and Religion in Japan, hrsg. v. George Erhardt et al., Japan research monograph 18 (Berkeley, CA: University of California, 2014), 52f.
[5] Die Neue Kōmeitō wird thematisch ausgeklammert, da sie den Rahmen dieser Arbeit übertreten würde.
[6] Bei Zitaten kann es zu Abweichungen in der Schreibweise kommen.
[7] Karel Dobbelaere, Soka Gakkai: From Lay Movement to Religion, Studies in contemporary religions 3 (Turin: Signature Books, 1998), 2
[8] Ebd., 1f.
[9] Levi McLaughlin, „Electioneering as Religious Practice“ in Kōmeitō (s. Anm. 5), 53
[10] Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan, 178
[11] Ebd., 179
[12] „Each of the major modern societal systems, the state and the economy, as well as other major modern cultural and institutional spheres of society - science, education, law, art - develops its own institutional autonomy, as well as its intristic functional dynamics.“ José Casanova, Public Religions in the Modern World (Chicago: The University of Chicago Press, 1994), 212
[13] Ebd.
[14] Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan, 166
[15] Casanova, Public Religions in the Modern World, 5.
[16] Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan, 43
[17] Ebd., 31
[18] Ebd., 41
[19] Wilhelm Röhl, Die japanische Verfassung (Frankfurt a.M.: Metzner, 1963), 104
[20] Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan, 42f.
[21] Ebd., 201
- Quote paper
- Anonymous,, 2016, Die Sōka Gakkai und die Kōmeitō im Japan des 20. Jahrunderts. Betrachtung unter dem Aspekt der Säkularisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416714
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