Berufsorientierung spielt in der schulischen Karriere eines/r Schüler/in eine wesentliche Rolle für einen erfolgreichen Eintritt in eine anspruchsvolle Arbeitswelt. In diesem Zusammenhang stellt die neunte Klasse des technischen Sekundarunterrichtes ein wichtiges Übergangsjahr dar, in dem die Schüler/innen vor der schwierigen Aufgabe stehen die Weichen für ihren zukünftigen (Aus-)Bildungsweg zu stellen.
Diese Arbeit stellt den Berufsorientierungsprozess während der unteren Stufe des technischen Sekundarunterrichts in Luxemburg dar. Ziel der Arbeit ist es, besondere Schwächen und Hindernisse im Prozess offenzulegen, damit die bestehende Berufsorientierung diesen wirksamer begegnen kann. Die theoretische Grundlage dieser Arbeit basiert auf deutsch- und französischsprachiger Forschungsliteratur, die sich in verschiedenster Weise und unterschiedlicher Gewichtung mit der Thematik Berufsorientierung beschäftigt, bei der der Fokus auf verschiedene Berufswahltheorien gelegt wird.
Eine ausführliche Darstellung des Prozesses unter Einbeziehung der verschiedenen Akteure und deren Zusammenspiel im Feld stellt das Hauptgerüst dieser Arbeit dar. Die Perspektiven von Schüler/innen der neunten Klasse und Lehrer/innen mit bedeutender Erfahrung im Feld wurden durch informelle, unstrukturierte und zufällige Gespräche aufgenommen. Diese Felderfahrungen wurden gekoppelt mit der Analyse von Kurzaufsätzen der Schüler/innen im Zusammenhang mit ihren Schwierigkeiten beim Orientierungsprozess. Dadurch wurden besondere Hindernisse im Bildungs- und Berufsberatungsprozess des unteren technischen Sekundarunterrichtes offengelegt.
Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Erwartungen, Einstellungen und Interessen der verschiedenen Akteure mit unklaren Rollenverteilungen und zum Teil gesetzlich undefinierte Aufgaben. Des Weiteren weisen die Jugendlichen Schwierigkeiten auf, ein klares Orientierungsprojekt zu definieren. Diese sind auf Selbstzweifel, Informationsmangel und Unterstützungsmangel im familiären Umfeld zurückzuführen. Ein Gesetzesprojekt, das 2015 der Regierung vorgelegt wurde, soll der Bildungs- und Berufsberatung einen umfassenden gesetzlichen Rahmen verschaffen. Doch ist es die Aufgabe der Schulentwicklung, sich den Bedürfnissen der Jugendlichen zu stellen und als Bindeglied zwischen allen Akteuren zu fungieren.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1 Begriffsklärung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
1.1 Berufsorientierung
1.2 Vielfalt der europäischen Bildungssysteme
1.3 Berufsorientierung aus europäischer Sicht
1.4 Kriterien einer guten Berufsorientierung
1.5 Historische Fakten und gesetzlicher Rahmen für Luxemburg
1.6 Der technische Sekundarunterricht in Luxemburg
1.7 Cycle inférieur des technischen Sekundarunterrichts in Luxemburg
1.8 Zielgruppe
1.9 Problembeschreibung und Fragestellung
2 Methodisches Vorgehen
2.1 Systematische Literaturrecherche
2.2 Befragung der Schüler/innen/Lehrer/innen
3 Theoretischer Rahmen
3.1 Berufswahl
3.2 Berufswahltheorien
3.2.1 Allokation (Zuweisung)
3.2.2 Entwicklung
3.2.3 Entscheidung
3.2.4 Interaktion
3.3 NeuereAnsätze
3.3.1 Life Designing
3.3.2 Zufallstheorien
3.3.3 Berufswahlbereitschaft/kompetenz
3.4 Konsequenzen der Berufswahltheorien für die Praxis
3.5 Einflussfaktoren der Berufsorientierung
3.6 Hindernisse
3.6.1 Unentschlossenheit
3.6.2 Soziale Ungleichheiten und Orientierung
4 Akteure der Berufsorientierung in Luxemburg
4.1 AkteureinderSchule
4.1.1 Schulführung
4.1.2 Klassenlehrer/in
4.1.3 Fachlehrer/innen
4.1.4 Spos
4.2 Externe Akteure
4.2.1 Familiäres und soziales Umfeld
4.2.2 Maisondel’orientation
4.2.3 Externe Partner
4.3 Zusammenwirken derAkteure und deren Implikation
4.4 Berufsorientierungsprozess
4.5 Erkenntnisse durch die Darstellung des Berufsorientierungsprozesses
5 Berufsorientierung aus der Sicht der Akteure
5.1 Analyse der Aussagen
5.2 Ergebnisse der Befragung
5.3 Vergleich der verschiedenen Perspektiven
6 Empfehlungen für die luxemburgische Berufsorientierung
6.1 Empfehlungen
6.2 Das Thüringer Berufsorientierungsmodell
7 Schlussfolgerung und Diskussion
7.1 Schlussfolgerung
7.2 Diskussion
7.2.1 Fragestellung
7.2.2 Kritikpunkte
7.2.3 PersönlicheErfahrung
Literaturverzeichnis
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.
Meinen herzlichen Dank an Herrn Prof. Dr. Justin Powell, der als Betreuer meine Arbeit durch seine Erfahrung und seine hilfreichen Anregungen wirksam begleiten und meine Eigeninitiative erhalten konnte.
Zudem möchte ich einen besonderen Dank an Herrn Prof. Dr. Andreas Hadjar richten, der uns als Studiendirektor stets durch seine Verfügbarkeit zur Seite stand und dem ich zusammen mit Herrn Prof. Dr. Justin Powell zu verdanken habe, dass ich bei diesem Masterstudiengang dabei sein durfte.
Ich erweitere auch mein Dank an alle Dozierenden des Masters im Management und Coaching für ihre bereichernden Seminare und an meine Kommilitonen für die zahlreichen Debatten und Anregungen, die mir geholfen haben, mich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln.
Ein besonderer Dank gilt allen Schüler/innen und Kollegen, ohne deren Aussagen und Partizipation diese Arbeit nicht hätte entstehen können.
Ich möchte meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen danken, die mich immer unterstützt haben. Insbesondere möchte ich meiner Kollegin Julia Retzlaff danken, die sich bereit erklärt hat, meine Arbeit gegenzulesen und mit konstruktiver Kritik zu versehen.
Auch meiner Schulleitung gilt ein besonderer Dank für ihren Rückhalt sowie der Anpassung meiner Stundenpläne, die mir das reibungslose Verfolgen dieses Masterstudiums erleichtert haben.
Einen ganz besonderen herzlichen Dank geht an meine Frau für ihre Großzügigkeit, Geduld, Verständnis und bedingungslose Unterstützung während der letzten drei Jahre.
Abstract
Berufsorientierung spielt in derschulischen Karriere eines/r Schüler/in eine wesentliche Rolle für einen erfolgreichen Eintritt in eine anspruchsvolle Arbeitswelt. In diesem Zusammenhang stellt die neunte Klasse des technischen Sekundarunterrichtes ein wichtiges Übergangsjahr dar, in dem die Schüler/innen vor der schwierigen Aufgabe stehen die Weichen für ihren zukünftigen (Aus-)Bildungsweg zu stellen.
Diese Arbeit stellt den Berufsorientierungsprozess während der unteren Stufe des technischen Sekundarunterrichts in Luxemburg dar. Ziel der Arbeit ist es, besondere Schwächen und Hindernisse im Prozess offenzulegen, damit die bestehende Berufsorientierung diesen wirksamer begegnen kann.
Die theoretische Grundlage dieser Arbeit basiert auf deutsch- und französischsprachiger Forschungsliteratur, die sich in verschiedenster Weise und unterschiedlicher Gewichtung mit der Thematik Berufsorientierung beschäftigt, bei der der Fokus auf verschiedene Berufswahltheorien gelegt wird.
Eine ausführliche Darstellung des Prozesses unter Einbeziehung der verschiedenen Akteure und deren Zusammenspiel im Feld stellt das Hauptgerüst dieser Arbeit dar. Die Perspektiven von Schüler/innen der neunten Klasse und Lehrer/innen mit bedeutender Erfahrung im Feld wurden durch informelle, unstrukturierte und zufällige Gespräche aufgenommen. Diese Felderfahrungen wurden gekoppelt mit der Analyse von Kurzaufsätzen der Schüler/innen im Zusammenhang mit ihren Schwierigkeiten beim Orientierungsprozess. Dadurch wurden besondere Hindernisse im Bildungs- und Berufsberatungsprozess des unteren technischen Sekundarunterrichtes offengelegt.
Die Ergebnisse zeigen unterschiedliche Erwartungen, Einstellungen und Interessen der verschiedenen Akteure mit unklaren Rollenverteilungen und zum Teil gesetzlich Undefinierte Aufgaben. Des Weiteren weisen die Jugendlichen Schwierigkeiten auf, ein klares Orientierungsprojekt zu definieren. Diese sind auf Selbstzweifel, Informationsmangel und Unterstützungsmangel im familiären Umfeld zurückzuführen.
Ein Gesetzesprojekt, das 2015 der Regierung vorgelegt wurde, soll der Bildungs- und Berufsberatung einen umfassenden gesetzlichen Rahmen verschaffen. Doch ist es die Aufgabe der Schulentwicklung, sich den Bedürfnissen der Jugendlichen zu stellen und als Bindeglied zwischen allen Akteuren zu fungieren.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Maßnahmenkategorien holistischer Berufsorientierung und deren Ziele
Tabelle 2: Kriterien für gute Berufsorientierung
Tabelle 3: Angebot des Cycle Inférieur des technischen Sekundarunterrichts
Tabelle 4: Ausbildungswege nach der 9. Klasse
Tabelle 5: Schwierigkeiten/Hindernisse bezüglich der Berufsorientierung
Tabelle 6: Interaktionistische Berufswahldeterminanten
Tabelle 7: Berufswahltheorien in der Praxis (Eigendarstellung)
Tabelle 8: Kompensierungskriterien 9TE/9STPA
Tabelle 9: Zugangskriterien für den technischen Ausbildungszweig
Tabelle 10: Beispielhafte Zensuren von 4 Schüler/innen
Tabelle 11: Verteilung derOrientierungsschwierigkeiten
Tabelle 12: NaturderOrientierungsschwierigkeiten
Tabelle 13: Anzahl genannter Schwierigkeiten
Tabelle 14:Antworten Frage 11
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Einflüsse aufden Berufsorientierungsprozess (Eigendarstellung)
Abb. 2: Idealtypische Berufsorientierung einer Schule nach Jahrgangsstufe und Wissensform
Abb. 3: Das luxemburgische Schulsystem
Abb. 4: Dertechnische Sekundarunterricht
Abb. 5: Bildungswegtypen
Abb. 6: Strategie für die Durchführung der Masterarbeit
Abb. 7: Holland’s hexagonales RIASEC-Modell
Abb. 8: Komponenten des Selbstkonzepts
Abb. 9: Entscheidungsverlauf bei entscheidungstheoretischen Ansätzen
Abb. 10: Modell der Interessenbildung
Abb. 11: Gesellschaftliche und individuelle Präferenzen bei der Berufswahl
Abb. 12: Aufgaben der Interaktionspartner der Berufswahl
Abb. 13: Modell derzentralen Faktoren der Berufswahlbereitschaft
Abb. 14: Ursachen für Unentschlossenheit
Abb. 15: Besuch des Gymnasiums nach sozialer Herkunft 1950 und 1989
Abb. 16: Bildungsstand: Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland nach höchstem Schulabschluss in 1.000 (Stand 2012)
Abb. 17: Verteilung der Schüler/innen nach Nationalität (2011/2012) (in %)
Abb. 18: Abschlusszeugnisse des Luxemburgischen ES
Abb. 19: Zusammenwirken der einzelnen Akteure und ihre Nähe zum Berufsorientierungsprozess
Abb. 20: Bildungs- und Berufsberatungsprozedur im Cycle Inférieur
Abb. 21: Die Phasen des Thüringer Berufsorientierungsmodells
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Eine Phase, die im Leben eines Menschen einen eminent wichtigen Stellenwert einnimmt, ist die Entscheidung für einen Beruf. Diese muss in der Jugendphase getroffen werden. Am Ende der unteren Stufe des luxemburgischen technischen Sekundarunterrichts stehen die Jugendlichen der 9. Klasse vor dieser wichtigen Vorentscheidung. In dem wichtigen Übergangsjahr stehen sie vor einer Herausforderung, bei der die Weichen für ihren zukünftigen (Aus-)Bildungsweg gestellt werden müssen.
Jedoch sind für Jugendliche zu diesem Zeitpunkt die Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf Beruf nicht ausreichend entfaltet. Ihre Selbstwahrnehmung ist verzerrt und ihre Selbstreflexionskapazität nicht genügend entwickelt um diesen wichtigen Übergang und Berufsorientierungsprozess erfolgreich und autonom zu gestalten. Die eigene Aktivität und Beteiligung ist aber, um diesen schwierigen und kaum vorhersehbaren Weg zu gehen, von hoher Bedeutung, damit Jugendliche nachhaltige Kompetenzen entwickeln, um in Bezug auf das lebenslange Lernen, das von der Europäischen Union befürwortet wird, auch zukünftige Übergänge erfolgreich zu meistern.
An dieser Stelle soll die Berufsorientierung, die Thema dieser Arbeit ist, eingreifen. In der schulischen Karriere eines/r Schüler/s/in ist demnach eine wirksame Berufsorientierung ein wesentlicher Verbündeter hinsichtlich eines erfolgreichen Eintritts in eine sich ständig im Wandel befindliche und anspruchsvolle Arbeitswelt. Doch die Vielfalt der angebotenen Ausbildungsmöglichkeiten und umfassenden Informationsveranstaltungen kann für Jugendliche und deren Eltern verwirrend sein. Des Weiteren können Hindernisse wie ungenügende Schulergebnisse oder ein Mangel an Unterstützung dazu führen, dass sie den gewünschten Weg nicht gehen können. Die Berufsorientierung steht somit vor der Herausforderung, sich in diesem Spannungsfeld mit ganz individuellen Lebenslagen auseinanderzusetzen.
Ein Gesetzesprojekt, das 2015 der Regierung vorgelegt wurde, soll der luxemburgischen Berufsorientierung einen umfassenden gesetzlichen Rahmen verschaffen. Ziel dieser Arbeit ist es, Empfehlungen für den Aufbau zukünftiger Berufsorientierungskonzepte vorzulegen und der Frage nachzugehen, welche spezifischen Berufsorientierungskonzepte einen Mehrwert für den unteren technischen Sekundarunterricht darstellen könnten. Dabei sollen besondere Schwächen und Hindernisse im Prozess offengelegt werden, damit die bestehende Berufsorientierung diesen wirksamer begegnen kann.
Diese Arbeit stellt als Hauptgerüst den aktuellen luxemburgischen Berufsorientierungsprozess mit allen involvierten Akteuren bis zum Abschluss der unteren Stufe des technischen Sekundarunterrichts vor. Die Perspektiven von Schüler/innen der neunten Klasse, die Felderfahrung von Lehrer/innen sowie die Erkenntnisse klassischer und neuerer Theorien der Berufswahl, die als theoretische Grundlage dieser Arbeit dienen, sollen Aufschluss über besondere Hindernisse und Schwierigkeiten geben, die den besagten Berufsorientierungsprozess prägen.
Im ersten Kapitel dieser Arbeit soll der Begriff Berufsorientierung geklärt werden und der Untersuchungsgegenstand eingegrenzt werden. Damit die luxemburgische Berufsorientierung in einen Kontext gesetzt werden kann, wird das luxemburgische Bildungssystem zunächst mit den europäischen Bildungssystemen verglichen. Die Darstellung der Berufsorientierung auf europäischem Niveau soll zu Kriterien einer guten Berufsorientierung führen. Einige historische Fakten in Bezug auf das Thema dieser Arbeit sowie sein gesetzlicher Rahmen werden beleuchtet. Eine ausführliche Darstellung der unteren technischen Sekundarstufe soll die Zielgruppe dieser Arbeit einrahmen.
Die methodische Vorgehensweise wird im zweiten Kapitel geklärt und stellt die Strategie zur Bearbeitung der Fragenstellung vor. Die gewählten Forschungsmethoden sind qualitativer sowie quantitativer Natur und basieren auf einschlägige Literatur.
Die eigentliche Berufswahl bildet einen bedeutenden Aspekt der Berufsorientierung. Nach der Klärung dieses Begriffs wird im dritten Kapitel der theoretische Rahmen der Arbeit dargestellt. Hier wird eine Auswahl an Theorien präsentiert, die verschiedene Aspekte von Berufswahlverhalten behandeln. Diese Theorien veranschaulichen Berufswahl und Berufswahlverhalten aus diversen Perspektiven und legen in der Zusammenstellung komplexe Zusammenhänge offen. In der Konsequenz geht es darum, Schlussfolgerungen zu ziehen und diese in den Kontext einer holistischen Berufsorientierung zu setzten sowie Einflussfaktoren und bedeutende Hindernisse aufzuzeigen.
Im vierten Kapitel werden die wesentlichen Akteure der Berufsorientierung aus verschiedenen Bezugssystemen und deren Wirken auf den Berufsorientierungsprozess beschrieben sowie deren Einfluss aufeinander beleuchtet. Des Weiteren wird der Prozess über die drei Jahre der unteren technischen Sekundarstufe, dem Cycle inférieur, erläutert und reflektiert.
Auf die Aussagen der Schüler/innen einer 9. Klasse des technischen Sekundarunterrichtes und einiger Lehrer/innen mit erheblicher Erfahrung in der Berufsorientierung aufbauend, widmet sich das fünfte Kapitel explizit den Hindernissen und Schwierigkeiten im Berufsorientierungsprozess. Zur Hinführung auf diesen Themenbereich sollen die aus der Theorie erarbeiteten Schwierigkeiten als Grundlage genutzt werden um die Aussagen der Akteure zu analysieren. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollen Hindernisse und Schwierigkeiten aufdecken, die für die Berufsorientierung im Cycle inférieur des technischen Sekundarunterrichts besonders beachtet werden sollen.
Ausgehend von den Erkenntnissen, die durch diese Arbeit gewonnen wurden, werden in Kapitel 6 Empfehlungen für die luxemburgische Berufsorientierung im technischen Cycle inférieur und für den Aufbau zukünftiger Berufsorientierungskonzepte vorgelegt. Mit dem Thüringer Berufsorientierungsmodell, wird ein Modell vorgeschlagen der diesen Empfehlungen ein mögliches Umsetzungsrahmen verschafft um ein ganzheitliches Berufsorientierungskonzept aufzubauen. Abschließend soll erörtert werden, ob und welche Grenzen sich bei dieser möglichen Förderung zeigen.
Abschließend werden in Kapitel 7 die zentralen Erkenntnisse, Kritikpunkte und offenen Fragen dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt. Eine persönliche Reflektion über die Herausforderungen und Grenzen dieser Arbeit sowie die Implikationen für die praktische Gestaltung schulischer Berufsorientierung sollen dieses letzte Kapitel abrunden.
Ein Überblick über die verwendete wissenschaftliche Literatur vervollständigt die vorliegende Arbeit.
1 Begriffsklärung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
1.1 Berufsorientierung
Zur Orientierung im schulischen Kontext sagte ein Schüler der 9. Klasse des technischen Sekundarunterrichtes, Folgendes:
„Orientierung ist eine Person auf ein Platz machen, wo man hingehört.“
Der Begriff Orientierung ist sehr vielseitig und im institutionellen Kontext der Bildung insbesondere für die Orientierung der Jugendlichen in der Unterstufe des Sekundarunterrichts hinsichtlich ihrer zukünftigen Bildungswege bedarf es einer kontextbezogenen Definition.
In Luxemburg sowie in französischen Sprachkontexten wird zu diesem Zweck der Begriff Orientation scolaire et professionnelle benutzt, was im wörtlichen Sinne schulische und berufliche Orientierung bedeutet. Es kann hier vom Berater eine eher wegweisende und lenkende Haltung hinsichtlich eines Bildungs- und/oder Berufswegs gedeutet werden, wobei der Ratsuchende diesen Weg selber einschlagen soll. In englischen Sprachkontexten, ist die Rede von vocationai guidance. Hier stehen die Begriffe Berufung und Führung im Mittelpunkt, die eher eine führende und begleitende Haltung des Beraters implizieren, die es dem Ratsuchenden ermöglichen soll seine innerste besonderen Befähigungen zu erforschen um seinen Bildungs- und/oder Berufsweg optimal zu gestalten. Schließlich wird in deutschen Sprachkontexten der Begriff Bildungs- und Berufsberatung benutzt, der ein breiteres Spektrum an Deutungen zulässt. Diese drei Begriffe erlauben es jedoch eine gemeinsame Finalität hervorzubringen: Die des direkten oder indirekten - durch Erstausbildung oder zwischenzeitliche Ausbildung - Weges bis hin zum (Wieder-)Eintritt ins Berufsleben.
Im Folgenden soll für den luxemburgischen Kontext der Begriff Bildungs- und Berufsberatung geklärt werden. Dazu gibt das luxemburgische Bildungsministerium Definitionen die gegenüber der aktuellen Politik hinsichtlich der Bildungs- und Berufsberatung zentral sind:
„Die Orientierung bezieht sich auf eine Reihe von Aktivitäten, die dem Bürger jederzeit in seinem Leben ermöglichen, seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen zu identifizieren, um fundierte Entscheidungen hinsichtlich der Wahl seiner Ausbildung sowie seiner beruflichen Tätigkeit zu treffen und dies mit dem Wunsch, der Entwicklung seiner Person und der Gesellschaft zu dienen“ (Menje, 2016).
Des Weiteren zitiert das Bildungsministerium die internationale Vereinigung für Bildungs- und Berufsberatung (AIOSP):
„Die Bildungs- und Berufsberatung begleitet und fördert ein Lernen während des gesamten Lebens und hilft Individuen, Perioden der Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen. Eine Bildungs- und Berufsberatung von hoher Qualität setzt sich nicht nur für die persönliche Entwicklung und die Chancen der Beschäftigung einer Person ein, sondern sie trägt auch zu einer größeren und nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung bei" (ebd.).
Die OECD (2004, S.19) sieht seinerseits Bildungs- und Berufsberatung wie folgt:
„Bildungs- und Berufsberatung ist ein Dienstleistungsangebot, das darauf ausgerichtet ist, Individuen jeden Alters und zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens dabei zu unterstützen, Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsentscheidungen auf einer gut vorbereiteten und informierten Basis eigenständig zu treffen und ihr Berufsleben selbst in die Hand zu nehmen. Berufsberatung hilft Menschen, sich über ihre Zielvorstellungen, Interessen, Qualifikationen und Fähigkeiten klar zu werden. Sie hilft ihnen, den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem zu verstehen und diese Kenntnisse auf das zu beziehen, was sie selbst über sich wissen. Umfassende Berufsberatung erschließt Informationen über den Arbeitsmarkt und über Bildungsmöglichkeiten, indem sie diese organisiert, systematisiert und verfügbar macht, wann und wo Menschen sie benötigen.“
Hintz et al. (1993, S.119) schreiben der Schule im Wesentlichen drei Funktionen zu:
- die Qualifikationsfunktion
- die Selektionsfunktion
- die Integrationsfunktion
Diese Funktionen sind in den oben dargestellten Definitionen, wenn auch ¡dealtypisch, deutlich enthalten. Etwas trivialer, jedoch sehr pragmatisch, ist folgende Definition:
„Berufsberatung (von der Arbeitsagentur durchgeführte) ist Beratung in allen Fragen der Berufswahl, der Ausbildung und des beruflichen Fortkommens. Des Weiteren ist im Duden online die Rede von Berufslenkung, welche definiert wird als „Berufsberatung mit dem Ziel, den Nachwuchs von überfüllten (Mode-)Berufen weg in Mangelberufe zu lenken“ (vgl. Duden online).
Hier wird eine mögliche zusätzliche Funktion der Bildungs- und Berufsberatung, vor allem in Arbeitsagenturen oder im tertiären Bildungsbereich sichtbar. Bildungs- und Berufsberatung kann in diesem Kontext eine regulierende Funktion einnehmen, die eine strategische Besetzung des Arbeitsmarkts ermöglicht. Da diese Arbeit sich aber dem Kontext des sekundären Bildungsbereiches widmet, wird nicht tiefer auf diese Funktion eingegangen.
Die Schule soll also durch effektive Bildungs- und Berufsberatung den Jugendlichen ermöglichen, sich für das spätere Leben in Beruf und Gesellschaft zu qualifizieren, in dem diese im Hinblick auf verschiedene Schullaufbahnen und Lebenschancen sortiert werden, damitsie möglichst reibungslos in derGesellschaft ihren Platz finden können.
Sofern man bereit ist, der Beratung eine Orientierungsfunktion in wichtigen Entscheidungssituationen zuzuerkennen, stellt Beratung im Bildungskontext letztlich eine Entscheidungshilfe dar. Andreani und Lartigue (2006)[1] liefern die lateinische Herkunft des Wortes Orientierung: „Oriens, der Morgen, das Licht, die Hoffnung, das Erwecken zum Leben“ mit der den Autoren nach die Analogie gemacht werden kann zur Suche eines Ziels, das zu erreichen ist, sowie der Suche nach dem richtigen Weg, dem zu folgen ist mit dem Risiko, sich zu irren, wobei eine persönliche Implikation des Individuums in seinen Entscheidungen einhergeht. Guichard und Huteau (2005, S.110) sagen, dass die Orientierung sowohl die Produktions- und Reproduktionsmodalitäten der sozialen und technischen Einteilung der Arbeit und der Handlung als auch die Tatsache, seinem Leben eine bestimmte Richtung zu geben, bezeichnet. Dem Begriff Orientierung eine einzige Definition zu geben, scheint komplex zu sein, ebenso komplex wie die Komplexität und Einzigartigkeit jedes Individuums. Demnach gibt es nicht eine Berufsorientierung, sondern Berufsorientierungen und nicht nur eine Definition, sondern Definitionen.
Köck (2010, S. 13), versteht unter dem Begriff Berufsorientierung einen längerfristigen Prozess, „der alle didaktischen Maßnahmen und individuellen Entwicklungsschritte zur Ausbildung unterschiedlicher Dispositionen umfasst, die eine rationale Wahl für eine berufliche Option, ihre zielstrebige Realisierung oder eine flexible, den Arbeitsmarktbedingungen angepasste Modifizierung ermöglichen.“
Des Weiteren benutzt Köck (ebd.) den Begriff Employability, der ein Konzept bezeichnet, das auf die Ausbildung sowohl fachlicher als auch nichtfachlicher Kompetenzen, insbesondere auch im interkulturellen Bereich, ausgerichtet ist, um beschäftigungsfähig zu werden und zu bleiben. Nach Duden wird Employability folgendermaßen definiert: „Einsetzbarkeit im Beruf; Fähigkeit, auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen“ (vgl. Duden online).
Für Schudy (2002, zit. in Köck 2010, S. 33) weist der Begriff der Berufsorientierung „in verschiedene Richtungen und wird daher relativ vieldeutig verwendet. Subsumiert wird darunter eine subjektive Haltung einzelner Akteure im Kontext von Schule und Bildung, die Adaption curricularer Elemente an Anforderungen und Erfordernisse beruflicher Handlungsfelder oder generell die Ausrichtung bestimmter Fächer oder sogar Schularten. Angesichts der Erosion der Kontanten klassischer Erwerbsbiographien wird Berufsorientierung auch als notwendige lebenslange Disposition hervorgehoben, die berufliche Mobilität sicherstellen soll. Des Weiteren wird Berufsorientierung im Sinne von Berufswahlorientierung bzw. Berufswahlvorbereitung verstanden.“
Abb. 1: Einflüsse aufden Berufsorientierungsprozess (Eigendarstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch ihren Charakter als Prozess stellt die Berufsorientierung eine unabdingbare Verbindung zwischen der Gegenwart und der Zukunft der Jugendlichen dar. Abb. 1 zeigt Berufsorientierung als Prozess und als das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den individuellen Erwartungen der Jugendlichen, seien diese karriere- oder familienzentriert, ihren schulischen und persönlichen Fähigkeiten und den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedürfnissen, damit diese berufliche und persönliche Zufriedenheit erreichen.
1.2 Vielfalt der europäischen Bildungssysteme
Die Vollzeitschulpflicht endet in den europäischen Bildungssystemen häufig beim Übergang von Sekundarbereich I zu Sekundarbereich II oder dem Ende der einheitlichen Struktur (Europäische Kommission 2009, S. 60). In einigen Ländern, wie Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich oder dem Vereinigten Königreich entspricht das Ende der Vollzeitschulpflicht jedoch nicht dem Ende des Sekundarbereichs I. Hier liegt das Ende der Schulpflicht in einem Teil des Sekundarbereichs II (ebd., S. 61). So auch in Luxemburg, wo dieser Übergang, schon ein Jahr bevor die Vollzeitschulpflicht von 16 Jahren erreicht ist, stattfindet und somit das letzte Jahr der Vollzeitschulpflicht im Sekundarbereich II absolviert wird.
In den skandinavischen Einheitsschulen (Schweden, Norwegen, Island, Dänemark, Finnland), werden die Schüler/innen vom 7. bis zum 16. Lebensjahr nach gemeinsamem Lehrplan, in der selben Klassengruppe und von einem/einer gleichbleibenden Klassenlehrer/in unterrichtet. Ab der Grundschule sind die Fachlehrer/innen verschieden und Klassenwiederholung gibt es hier nicht (vgl. Oelkers 2010, S. 13).
Das selektive angelsächsische Bildungssystem sucht die Kontinuität in der Gymnasialstufe. Ganz wie im skandinavischen Modell wird das Erlangen der Autonomie dem von Wissen vorgezogen (ebd., S.7).
Das System germanischen Typs (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande), zu dem auch Luxemburg gehört, versteht eine sehr früh in drei Branchen geteilte Orientierung (ebd., S.15f): Das Gymnasium (in Luxemburg: enseignement secondaire), das vor allem zum Zweck des Weiterstudiums im Hochschulbereich abzielt, die Realschule (in Luxemburg: enseignement secondaire technique), die auf das Berufsleben abzielt, obwohl, in Luxemburg einige Wege den Zugang zu einem
Hochschulstudium ermöglichen und die von Hauptschulen (in Luxemburg: Régime préparatoire) unterstützte Berufsausbildung.[2]
Diese Aufteilung spiegelt sich in ähnlicher Weise in Polen wieder, wo unterschieden wird zwischen Gymnasium, technischen Schulen und Berufsschulen.
Der lateinische Bildungssystemtyp (Frankreich, Italien, Spanien) wird durch mehr Aufmerksamkeit auf den Erwerb von Wissen und Fähigkeiten charakterisiert. Somit ist das Steuersystem des Wissens, Prüfungen, Noten und sogar Klassenwiederholung in höherem Anteil als bei anderen Systemen vorzufinden (ebd., S.8f.).
Durch seine Ähnlichkeit mit dem germanischen Bildungssystemtyp sollen in der vorliegenden Arbeit für das luxemburgische Bildungssystem vor allem die deutschsprachigen theoretischen Impulse dienen.
1.3 Berufsorientierung aus europäischer Sicht
In Europa hat Berufsorientierung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen u.a. bewirkt durch den raschen Wandel der Berufswelt (vgl. Härtel in Prager, Clemens 2010, S.78). Die Berufsorientierung ist demnach ein Thema, das alle europäischen Bildungssysteme mit Spezifitäten im Zusammenhang mit Geschichte und Politik der verschiedenen Länder betrifft. Sie ist jetzt Teil des europäischen Rahmens für die Ausund Weiterbildung.
Ende der neunziger Jahre wurde in Skandinavien die Notwendigkeit, die Wahlfreiheit zu fördern wiederholt bekräftigt. Spanien unterstreicht durch seine curricularen Pläne, dass der Orientierungsprozess den Jugendlichen ermöglichen soll ihre Bildungswege kompetent zu wählen. Österreich z.B. ermöglicht auch den Jugendlichen, bestmöglich die bestehenden Möglichkeiten des Bildungssystems zu nutzen und verantwortungsvoll den Bildungsweg gemäß des Profils ihrer Talente, ihrer Persönlichkeit und ihrer Interessen zu wählen. Diese Entwürfe haben die Regelungen und die Organisation der Orientierung, die im Rahmen von Bildungssystemen erfolgt, beeinflusst (vgl. Leclercq, 1997).
Die OECD (2004, S.24) beobachtete, dass trotz vieler Beispiele für gute Praxis die nationalen Berufsberatungsdienste in vielen Ländern große Lücken aufweisen. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen Studie der OECD, dem europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung und der europäischen Stiftung für Berufsbildung (im Auftrag der Europäischen Kommission). Der Zugang zu diesen Dienstleistungen ist begrenzt, vor allem für Erwachsene. Allzu oft konzentrieren sich diese Leistungen auf sofortige Entscheidungen und sind nicht daran interessiert, den Personen beizubringen ihren Bildung- und/oder Berufsweg zu verwalten und somit für nachhaltige Beratung in diesem Bereich zu sorgen. Weiterhin wird in dieser Studie die Qualifizierung der Berater für solche Dienste als unzureichend bezeichnet, da diese die Bedürfnisse der Ratsuchenden oder die modernen Beratungsmethoden, die Beratung flexibler gestalten könnten, nicht berücksichtigen. Diese Dienste sind zwischen verschiedenen Ministerien sowie zwischen öffentlichen Verwaltungen und anderen Interessensgruppen mangelhaft koordiniert. Die politischen Entscheidungsträger sind bemüht um eine Bildungspolitik während des gesamten Lebens umzusetzen durch eine aktive Politik der Beschäftigungsfähigkeit und dersozialen Gerechtigkeit.
Im November 2008 nahm der europäische Bildungsministerrat in Brüssel eine Entschließung, in der lebensbegleitende Berufsorientierung besser in Bildungs- und Ausbildungsstrategien eingeschlossen werden soll. Die Entschließung dreht sich um vier Schwerpunkte (Conseil de l’Union Européenne, 2008):
- Das Fördern der Erwerbsfähigkeit während des gesamten Lebens bewirken
- Die Vereinfachung des Zugangs zu den Beratungsdiensten für alle Bürger
- Die Qualitätssicherung der Beratungsdienste entwickeln
- Die Koordinierung und Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene fördern.
Das European Lifelong Guidance Policy Network (ELGPN) hat in Anlehnung an diese vier Schwerpunkte eine Reihe von Leitlinien herausgearbeitet, die die Länder der Europäischen Union dabei unterstützen sollen, politische Strategien und Systeme der Bildungs- und Berufsberatung zu entwickeln (Elgpn, 2014). Diese Leitlinien schreiben sich in eine lebensbegleitende Berufsorientierung ein, wobei die Berufsorientierung in der unteren Sekundarstufe eine wesentliche Säule darstellt. U.a. bieten diese Leitlinien Unterstützung für eine bessere Koordinierung der Dienste. Des Weiteren soll das Potenzial neuer Technologien entwickelt werden und die Wirksamkeit der Dienstleistungen erhöht werden. Demnach sind den Informationen bezüglich der Arbeitswelt, des Arbeitsmarkts und den Berufsbildern hohe Beachtung zu schenken. Sicherlich sind handwerkliche, sicht- und spürbare Formen der Berufstätigkeit immer noch anschaulich zu präsentieren, dennoch befinden sich Inhalte und Arbeitsweisen in einem Prozess der Änderung und der Weiterentwicklung, die berufliche Tätigkeiten zunehmend abstrakt gestalten. Informations- und Kommunikationstechnologien in fast allen Bereichen sind in diese neuen beruflichen Wirklichkeiten eingebettet und fordern einen hohen Grad an Aktualisierung und an Wissensarbeit (vgl. Härtel in Prager, Clemens 2010, S.78).
Berufsorientierung ist somit für europäische Bildungspolitik zur Implementierung von Strategien für lebenslanges Lernen von zentraler Bedeutung. Gerade in der Schule in der die Grundlage für eine nachhaltige Berufsorientierung gesetzt wird, soll dieser Dimension zukünftig eine bedeutsame Beachtung geschenkt werden.
1.4 Kriterien einer guten Berufsorientierung
Im folgenden Abschnitt sollen grundlegende, in der Literatur zu findende Kriterien einer guten Berufsorientierung dargestellt werden, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit dem luxemburgischen Berufsorientierungsfeld gegenübergestellt werden.
Wirksame Berufsorientierung bedarf einer holistischen Sichtweise. Kayser (2013, S.10) stellte für den deutschsprachigen Raum fest, dass es „keine theoretisch und empirisch fundierte Übersicht oder Struktur (gibt), um die verschiedensten Akteure, Maßnahmen und ihre Wirkfaktoren einzuordnen, Ansatzpunkte aufzuzeigen oder Bestrebungen zu lenken.“ Außerdem bemängelt er die Strukturierung von Berufsorientierung sowie ein Defizit theoretischer Fundierung im deutschsprachigen Diskurs: „Viele Autoren binden in Bezug auf Maßnahmen und Akteure zwar verschiedene Forschungsbefunde ein, integrieren diese aber nicht in einem schlüssigen Gesamtkonzept. Dafür fehlt die Einbindung eines differenzierten, abgesicherten Verständnisses über Einflüsse und Eigenschaften des Berufsorientierungs- und Berufswahlprozesses sowie der Rolle von Akteuren darin (ebd., S.35).“
Berufsorientierung zielt auf berufliche und persönliche Zufriedenheit ab (s. Kapitel 1.1). Demnach spielt die Berufswahl eine wesentliche Rolle um ein solches Vorhaben erfolgreich zu gestalten. Jedoch basieren konzeptionelle Überlegungen zur schulischen Berufsorientierung, wie oben erwähnt, oft nicht auf Theorien der Berufswahl. Aus der Praxis entstandene Modellprojekte scheinen hier maßgebend zu sein (vgl. Dreer in Brüggemann und Rahn 2013, S. 336). Jung (in Brüggemann und Rahn 2013, S. 300) erkennt, dass „angemessene konzeptionelle und didaktische Realisierungen (...) eher eine Ausnahme“ sind.
Für die Berufsorientierung ist wesentlich, ob das Berufsbildungssystem am Berufskonzept orientiert[3] ist, das zu Qualifikationen führt, die eher geschlossen und abgegrenzt sind, oder ob die Berufsorientierung kompetenzorientiert, modularisiert und offen ist[4] (Jung in Brüggemann und Rahn 2013, S. 305). Jung (ebd., S. 305ff.) unterscheidet vier didaktische Konzepte:
- Fachkonzept: Hier wird Berufsorientierung als Fach betrachtet und als „das erfolgversprechende didaktische Organisationsprinzip.“
- Verbundkonzept: Kann nur ähnlichen Erfolg wie das Fachkonzept haben „wenn der Verbund aus den arbeits- und berufsbezogenen Unterrichtsfächern Wirtschaft, Technik und Haushalt/Textil besteht und eine klare Aufgabenteilung (...) existiert.“
- Schulkonzept: Hier wird „Berufsorientierung als Querschnittsqualifikation“ gesehen. Dieses Konzept kann nur erfolgreich sein, wenn es durch „Schulprogramminhalte und Schulprofile auf der Zielebene definiert und von einer breiten Mehrheit getragen“ wird.
- Integrative Konzepte „basieren auf einem erfolgreichen Fach- oder Verbundkonzept und integrieren dieses in das schulische Gesamtkonzept.“
Somit haben Schulen unterschiedliche Ansatzmöglichkeiten, Berufsorientierung didaktisch zu verankern und methodisch zu implementieren. Des Weiteren fasst Jung (in Brüggemann und Rahn 2013, S. 308f.) in seinem Beitrag zusammen, was eine exzellente Schule ausmacht. „Eine exzellente Schule (...) kennzeichnet sich:
- durch ein Schulprogramm und Schulprofil, die den Übergang fördern und von allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft (...) mitgetragen und mitgestaltet werden
- durch eine fundierte Konzeption des studien- und berufsorientierenden Kerns (...), in dem die wesentlichen Gegenstandsbereiche sachgerecht und methodenvielfältig inszeniert werden und (...) zu einer intentionalen und curricularen schulischen Gesamtaufgabe verknüpft
- durch eine Vielfalt von außerschulischen Kontakten und Kooperationen, (...)
- durch eine schulische und überschulische Fort- und Weiterbildung, in der fachlich gebildete Lehrpersonen zeitgemäß weitergebildet und die mitwirkenden Fachfremden (teilweise) grundgebildet werden.
Schulische Unterrichtskonzepte zur Berufsorientierung können die Lernleistungen von Jugendlichen im Sinne einer Stärkung von Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit nur dann erfolgreich unterstützen, wenn sie als durchgängiges Leitprinzip dauerhaft sowohl im Curriculum als auch in der Schulkultur verankert sind (Famulla 2013, S.21).
Zudem soll der Berufsorientierungsprozess bestimmte Phasen durchlaufen, die Köck (2010, S.34f.) ausgehend von verschiedenen Phasenmodellen unterteilt hat in:
- eine längere Orientierungsphase, während der Schüler/innen Wissen über Berufe und Berufsfelder sowie über die Anforderungen dieser Berufe und Ausbildungsplatzangebote im Wunschberuf sammeln. Dabei entwickeln sie auch Wissen übersieh selbst
- eine Entscheidungsphase, in der Praxiserfahrung im Vordergrund steht
- eine Realisierungsphase, bei der nach geeigneten Ausbildungsstellen gesucht wird, Bewerbungen erstellt und eventuelle Misserfolge gemeistert werden. Abschließend soll diese mit einem Ausbildungsvertrag und der Einschreibung in einer weiterführenden Ausbildung enden (vgl. Bertelsmann 2009, S.15).
Geeignete Maßnahmen sollen diesen ganzen Prozess durch jede Phase wirksam begleiten. Kayser (2013, S.72f.) hat 83 empirische Untersuchungen zu diesen Maßnahmen aus dem deutschsprachigen Raum analysiert und davon 43 mit ausreichender, forschungsmethodischer Güte identifiziert. Daraus hat er Maßnahmen kategorisiert und deren Ziele für eine holistische Berufsorientierung definiert (s. Tabelle 1)·
Tabelle 1: Maßnahmenkategorien holistischer Berufsorientierung und deren Ziele
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Kayser (2013, S.72f,).
Das Maß an notwendigen Maßnahmen (s. Tabelle 1) für eine gute Berufsorientierung kann erst im Zusammenwirken unterschiedlichster Elemente an einer Schule gestaltet werden. Das Wesentliche ist, dass alle einzelnen Akteure an der Schule daran beteiligt sind. Erst dann, wenn theoretisch fundiert, die verschiedenen Ebenen (Schulleitung, Curriculum, Fachlehrkräfte, Berufsberatungsteam, externe Partner, usw.) miteinander interagieren und von diesen Akteuren die Berufsorientierung aktiv gestaltet wird, kann eine systematische Förderung von Selbstreflexion und Orientierung beginnen.
Damit gute Berufsorientierung gelingt benötigt die Schule nicht nur einzelne fachlich gebildete Lehrpersonen, sondern ein sich ergänzendes Team, das sich gegenseitig, sowohl emotional als auch vom Aufwand her, entlastet. Weiter soll mehr Wissen und Potential für gegenseitige Anregung eingebracht werden, damit Expertise und Handlungsfähigkeit zur Berufsorientierung bestehen bleibt, wenn jemand im Team ausfällt und die konzeptionelle Arbeit in die Kontinuität eingeschrieben werden kann (vgl. Kayser 2013, S.140).
Durch eine bewusste Gestaltung der einzelnen Handlungsebenen innerhalb des schulischen Kontextes entstehen Handlungszusammenhänge und Aufgaben, die eigene Instrumente und Materialien erfordern. Die Tabelle 1 zeigt die Diversität und Bedeutsamkeit der Maßnahmen unter dem Konzept des Orientierungs- und Reflexionswissens. Damit diese für die einzelnen Jahrgangsstufen aussagekräftig werden, soll anhand eines konkreten Beispiels (s. Abb. 2) aus einer Potsdamer Oberschule dargelegt werden, wie eine Schule Berufsorientierung nach Jahrgangsstufen, ¡dealtypisch differenziert, gestalten könnte (Potsdam 2015, S.26ff.).
Obwohl die meisten Berufsorientierungsmaßnahmen in den Klassenstufen 8 und 9 eingesetzt werden, kann ab Jahrgang 7 mit dem Unterrichtsfach „Wirtschaft - Arbeit - Technik“ (WAT) begonnen werden. Eine spielerische Einführung in die Berufswelt, obwohl diese für Schüler/innen der 7. Klasse noch nicht sehr relevant ist, soll erste Annäherungen ins Orientierungswissen ermöglichen (vgl. Potsdam 2015, S.27).
In diesem Jahrgang sollte ebenfalls die Einführung des Berufswahlpasses stattfinden, der die Schüler/innen während des ganzen Berufsorientierungsprozesses begleiten und unterstützen soll, „in dem er Angebote zur Berufsorientierung vorstellt und dabei hilft, das persönliche Stärkenprofil zu ermitteln“ (ebd.). Der Weg zur Berufswahl soll mit allen notwendigen Unterlagen dokumentiert werden, die sinnvoll für eine überlegte Berufswahl sind.
In der 8. Klasse wird die Entwicklung von Orientierungswissen fokussiert. In diesem Zusammenhang findet der Besuch im Berufsinformationszentrum (BIZ) statt, bei dem die Schüler/innen die Möglichkeit haben viele Berufsfelder kennenzulernen. Die Projektwoche zur Berufsorientierung wird auch in der 8. Klassenstufe fortgeführt, es wird damit begonnen, das Reflexionswissen zu stärken (ebd.). Das Praxislernen hat hier besondere Bedeutung. Auf dieser Potsdamer Schule werden Praktika in der Schule vor- und nachbereitetet, im Betrieb durchgeführt sowie in einem Zentrum für Aus- und Weiterbildung in Klasse 8. „In den Bereichen Handel, Dienstleistungen, Handwerk und Soziales werden die Schüler/innen an einem Tag (4 Stunden) in der Woche über Berufsbereiche aufgeklärt und sammeln selbst erste praktische Erfahrungen. (Potsdam 2015, S.27)“. Damit wird ihr Reflexionswissen angeregt.
In der 9. Klasse ist die Verbindlichkeit eines Betriebspraktikums, die Präsenz bei Veranstaltungen im BIZ sowie die Nutzung der Online-Angebote der Agentur für Arbeit für alle Schüler/innen hervorzuheben.
Abb. 2: Idealtypische Berufsorientierung einerSchule nach Jahrgangsstufe und Wissensform
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7. Klasse 2. HJ
Mittels Online-Tests können sie ihre Stärken und Schwächen und dazu passende Berufsbilder erkunden (ebd., S. 28).
Im Jahrgang 10 wird im BIZ ein Bewerbertraining durchgeführt, das die Berufswahlkompetenz durch weitere praktische Umsetzung entwickelt. Während des WAT-Unterrichts haben die Schüler/innen die Möglichkeit ihre praktischen Erfahrungen im Klassenverband auszuwerten und zu reflektieren. Dabei wird angenommen, dass, obwohl im 2. Halbjahr dieses Jahrgangs die meisten Entscheidungen bezüglich des Ausbildungsplatzes oder weiterführender Bildungswege feststehen sollten, ein letztes Betriebspraktikum absolviert wird, die Entscheidungen ein letztes Mal reflektiert werden (ebd., S. 28).
Die Organisation von Berufsorientierungsmaßnahmen nach Geschlechtern zu differenzieren wird von den Lehrpersonen als nicht notwendig eingeschätzt[5] (ebd.).
Insgesamt lassen sich grundlegende Prinzipien für gute Berufsorientierung in folgender Tabelle zusammenfassend darstellen.
Tabelle 2: Kriterien für gute Berufsorientierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Bertelsmann 2007 in Potsdam 2015, S.24
Hervorzuheben ist ebenfalls das Einbeziehen der Elternkompetenz. Den Eltern kommt im Berufsorientierungsprozess wie bei der Kompetenzentwicklung eine wesentliche Rolle zu (Famulla2013, S.29). Die Eltern und die restlichen Akteure dieses Prozesses sollen in eine kooperative Verantwortung gezogen werden und zwar durch eine/n Koordinator/in, der/die der Schulleitung im Bereich der Berufsorientierung zur Seite stehen (ebd., S.31).
1.5 Historische Fakten und gesetzlicher Rahmen für Luxemburg
Wie in ganz Europa hat Berufsorientierung in Luxemburg zunehmend an Bedeutung gewonnen. 1975 befand sich die Bildungsberatung in Luxemburg noch weitgehend im Aufbau. Norbert Ewen, Psychologe am Centre Universitaire du Luxembourg, hat die damalige Situation kurz dargestellt. Er zitiert einige Einrichtungen, die sich mit Schullaufbahn- bzw. Bildungsberatung in Luxemburg beschäftigen (Ewen 1975, S.157ff,):
- Im nationalen Dokumentations-, Schul- und Berufsberatungsdienst, ein zentraler Informationsdienst über Schullaufbahnen und tertiäre Bildungsmöglichkeiten im Ausland, das heute als CEDIES[6] bekannt ist, gab es keine signifikanten Impulse für die Bildungsberatung.
- Der psychologische Dienst der pädagogischen Hochschule hat für die Bildungsberatungsproblematik mit klinischem Arbeitsmodell und wissenschaftlich wegweisend hohe Impulse gegeben. Hier wurde versucht die Gesamtsituation des Ratsuchenden zu erfassen.
- Der psychologische Dienst und Schulberatung (heute SPOS[7] ) war anfangs an Gymnasien vom Schulpsychologen geleitet, der parallel noch unterrichtete um den Bezug zur schulischen Alltagsrealität nicht zu verlieren. Doch fehlende Anweisungen führten zu unterschiedlichen Arbeitsweisen in den verschiedenen Schulen.
Da sie obligatorische Beratung ablehnten, warteten, wie auch bei sonstiger psychologischer Beratung, die klinisch geschulten Berater auf den Ratsuchenden. Hier verlief die Beratung eher individuell, was dazu beitrug, wichtige Aspekte des Bildungsberatungsproblems besserzu erkennen.
Ewen (1975, S.159) listete damalige Erkenntnisse auf:
- Sozial schwache und die meisten Schüler/innen die eine Beratung nötig hätten, suchen von sich aus keine Beratung
- Organisierte Schullaufbahnberatung kommt oft zu spät
- Es gibt Lern- und Anpassungsprobleme und die Bereitschaft zum Wechsel in einen anderen, niedrigeren Schultypus ist meistens äußerst gering
- Schulische Beratung sollte so gefasst und geplant werden, dass sie für schwierige Fälle auch eine Lösung darstellt
- Schule und Lehrer/innen müssen selbst mitwirken: Dazu ist bessere psychologisch-pädagogische Ausbildung der Lehrer/innen nötig.
In seinem Beitrag bedauert Ewen (1975, S.157), dass es nur offizielle Gründungsparagraphen und keine gesetzliche Regelung der Funktionen oder Arbeitsweisen dieser Dienste gibt. Dies hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt.
In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 1990 in Kraft trat, wird das Recht auf Bildung als Menschenrecht definiert. Dazu hat der Staat die Aufgabe dafür zu sorgen, dass für alle Kinder Informationen bezüglich ihrer Bildungsmöglichkeiten sowie Bildungs- und Berufsberatung verfügbar und zugänglich sind[8]. Des Weiteren soll der Staat die Entfaltung der Persönlichkeit und die Entwicklung ihrer Begabungen sowie der geistigen und körperlichen Fähigkeiten im vollem Umfang ihres Potenzials fördern. Dazu sollen die Kinder vorbereitet werden, Verantwortung in einer freien Gesellschaft zu übernehmen im Geiste des Verständnisses, des Friedens, der Toleranz, der Gleichstellung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie indigener Herkunft.[9]
Die Schulen sind verantwortlich dafür, Ausbildung zu gewährleisten und zusätzlich zum Wirken der Familien, die Ausbildung der Schüler/innen nach den Gesetzen und Vorschriften des klassischen und technischen Sekundarschulwesens zu gewährleisten. Der/die Schüler/in erhält eine Ausbildung, die ihn/sie zu einer anerkannten Zertifizierung führen soll, ihm/ihr das Erwerben eines allgemeinen Wissens ermöglicht und ihn/sie für das Arbeitsleben und die Wahrnehmung ihrer Verantwortung als
Mensch und Bürger vorzubereitet. Zudem wird dem/der Schüler/in in seiner persönlichen Entwicklung und Berufsorientierung geholfen[10].
Diese Orientierung besteht darin, den Schüler/innen ihre Fähigkeiten und ihre Bestrebungen bewusst zu machen und sie und ihre Eltern über die verschiedenen Möglichkeiten weiterer Bildungswege sowie Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren und zu beraten, den Jugendlichen bei ihrer Wahl zu führen und bei der Erarbeitung eines persönlichen Ausbildungsprojekts zu begleiten. Dazu sollen Schüler/innen auch über ihre Fortschritte informiert werden und bei Bedarf weitere Unterstützung bekommen[11].
Ewen (1975, S.162) stellt den damaligen Willen der Politik dar, im Rahmen einer Schulreform die Arbeitsweise des psychologischen Dienstes und der Schulberatung zu uniformieren. Als Ziel hat sie Aufklärung, Information, Chancengleichheit (durch einheitliche, systematische und obligatorische Bildungsberatung) und Wirtschaftlichkeit, damit Zweifelsfälle minimisiert werden. Trotz des damaligen politischen Willens gibt es heute immer noch keine klare einheitliche Regelung der Bildungsberatung.
In seinem Ausblick erwartet Ewen eine Grundstruktur, in der eine psychologischmedizinisch-pädagogische Kommission ihre Individualberatung von der Primarschule bis zum Ende der Schulpflicht in enger Zusammenarbeit mit den Lehrenden systematisch an bestimmten Zeitpunkten ausbauen würde (ebd., S.164).
Im November 2007, schon vor dem Beschluss des Ministerrats von 2008, hat die damalige Bildungsministerin[12] ein nationales Forum beauftragt, ein Konzept und eine nationale Strategie für Informations-, Bildungs- und Berufsberatung während des gesamten Lebens aufzustellen und damit auch für den Übergang am Ende der 9. Klasse. Ende Juli 2010 kam dieses nationale Forum zu ersten Schlussfolgerungen[13]. Eine davon führte im Februar 2012 zur Eröffnung des Maison de l’Orientation (s. Kapitel 4.2.2.), das wichtige Dienste für die Bildungs- und Berufsberatung vereint. Im März 2015 wurde in der Abgeordnetenkammer ein Gesetzesprojekt[14], eingereicht das die Berufsorientierung gesetzlich einrahmen soll und die Organisation der Maison de l’Orientation anstrebt (Forum Orientation, 2015). Dieses Gesetz zielt u.a. darauf ab, dass alle Sekundarschulen, die an die Programme der öffentlichen luxemburgischen Bildung gebunden sind - dazu gehören in Luxemburg auch private Sekundarschulen - ein Unterstützungssystem für Schüler/innen auf der Bildungs- und Berufsberatungsebene anbieten. Jede Schule hat als Aufgabe ein
Orientierungskonzept zu entwickeln, das auf die spezifischen Bedürfnisse der Lernenden angepasst ist. Hier sollen die Informationen über das Schulsystem und die Ausbildungswege enthalten sein inklusive der Bildungsmöglichkeiten im tertiären Bereich, sowohl in Luxemburg, als auch im Ausland. Des Weiteren soll die sozioökonomische Welt, insbesondere der Arbeitsmarkt, bekannt gemacht werden. Dieser Ansatz soll dem Individuum ermöglichen, seine Fähigkeiten zu entfalten, damit er/sie Entscheidungen zum Bildungsweg treffen kann um ein persönliches Ausbildungsprojekt zu entwickeln. Dazu muss er/sie im Einklang mit einem Rahmen von Mindeststandards sein, der von Schulen in Bezug auf die Bildungs- und Berufsberatung erfüllt werden soll.
In diesem Sinne, und um in Luxemburg das Potenzial neuer Technologien und Medien zu nutzen, wurde ein Dienstleistungsangebot im Einklang mit dem Beschluss des Ministerrats von 2008, die Webseite beruffer.anelo.lu, als Informationsplattform in der Berufsorientierung entwickelt. Diese umfassende Informationsquelle stellt im heutigen Berufsorientierungsfeld ein wesentliches Instrument dar.
1.6 Der technische Sekundarunterricht in Luxemburg
Damit für die Zielgruppe dieser Arbeit ein Rahmen gesetzt werden kann, wird in diesem Kapitel das luxemburgische Bildungssystem dargestellt. Des Weiteren wird auf die Unterstufe des luxemburgischen Sekundarunterrichtes, der Kontext, in dem sich für diese Arbeit die Berufsorientierung abspielt, fokussiert.
Das luxemburgische Bildungssystem (Abb. 2) ist in Kindergarten, Grundschule und Sekundarstufe unterteilt. Seit der Durchführung der Grundschulreform von 2009[15] ist der Kindergarten Teil der Grundschule (Enseignement fondamental). Nach Abschluss der Grundschule (ca. ab dem 12. Lebensjahr) werden die Schüler/innen in verschiedene Ausbildungsrichtungen des allgemeinen (Enseignement secondaire ES) oder des technischen Sekundarunterrichts (Enseignement secondaire technique EST) orientiert.[16]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Das luxemburgische Schulsystem
Quelle: Menje/Uni 2015a
An dieser Stelle soll der spezifischen Sprachsituation Luxemburgs über die gesamte schulische Laufbahn hohe Bedeutung gegeben werden. Durch den Gebrauch sowie die Anerkennung von Luxemburgisch, Französisch und Deutsch, als Amtssprachen, werden diese drei Hauptsprachen in den luxemburgischen Schulcurricula sehr früh eingebunden. Ab einem Alter von 3 Jahren wird Luxemburgisch als Lehrsprache benutzt und ab dem 6. Lebensjahr wird neben Luxemburgisch auch Deutsch zur Lehrsprache. Ein Jahr später kommt Französisch als Fremdsprache hinzu. Diese drei Sprachen begleiten die Schüler/innen dann bis zum Austritt aus dem luxemburgischen Schulsystem. Mathematik sowie Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften werden in der Grundschule auf Deutsch unterrichtet. Ab der Sekundarstufe ist Französisch die Lehrsprache für Mathematik. Je nach Ausbildungsweg kann ab der 12. Klasse wahlweise auf Französisch oder Deutsch verzichtet werden, wobei Luxemburgisch über die ganzen Jahre als gemeinsame Arbeitssprache mitschwingt. Ab der 8. Klasse wird dann auch Englisch als Fremdsprache unterrichtet.
Die deutsche Sprache, die weitestgehend als Lehrsprache dient, bereitet vielen Schüler/innen Schwierigkeiten. Demnach gibt es ab der 10. Klasse die Möglichkeit einige Ausbildungswege, in sogenannten RLS-Klassen (régime linguistique spécifique), mit Französisch als Lehrsprache zu absolvieren.
Erwähnenswert ist hier auch die besondere demographische Situation Luxemburgs. 47% der luxemburgischen Gesamtpopulation sind Ausländer. Luxemburg liegt damit weit über dem europäischen Durchschnitt (Statec, 2016). Die meisten Ausländer sind Portugiesen (16% der Gesamtpopulation) gefolgt von Bürger aus den Nachbarländern Luxemburgs (12,8%) und Italien (3,5%). Für die Schule hat diese Tatsache folglich auch Auswirkungen. Im Schuljahr 2013/14 waren 56,2% aller Schüler/innen, Luxemburger/innen und 43,8% Ausländer (Menje/Université du Luxembourg, 2015a). Dies bringt mit sich, dass viele Schüler/innen eine andere Muttersprache haben (vor allem Portugiesisch), die sie zusätzlich zu den drei offiziellen Sprachen und Englisch beherrschen.
Die luxemburgische Sekundarstufe ist eingeteilt in 2 Hauptzweige: Den allgemeinen Sekundarunterricht und den technischen Sekundarunterricht. Beide Formen des Sekundarunterrichtes sind kostenlos.
Das Ziel des allgemeinen Sekundarunterrichtes (ES) ist das Vermitteln von Allgemeinwissen in den Bereichen wie Sprachen, Literatur, Mathematik, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Kunst und Wirtschaftswissenschaften. Der ES wird in Luxemburg noch immer als Eliteunterricht und als Königsweg für den späteren Einstieg in die tertiäre Ausbildung angesehen. Als Abschlusszeugnis des ES erhalten die Schüler/innen das Diplôme de fin d’études secondaires (Abitur), das zu einem Universitäts- und Hochschulstudium berechtigt, was einer allgemeinen Hochschulreife entspricht. Zu bemerken ist hier, dass 78,7% der Absolventen von luxemburgischer Nationalität sind und lediglich 21,3% Ausländer. Im technischen Sekundarunterricht (EST) ist die Verteilung mit 54,7% Luxemburger und 46,3% Ausländer analog zur Gesamtpopulation (ebd.).
Das EST, das den Rahmen dieser Arbeit liefert, ist eher auf die Vorbereitung auf das Berufsleben, in dem eine allgemeine, soziale und technische Ausbildung gewährleistet wird, zugeschnitten. Doch ermöglichen einige wenige Wege den Zugang zu einem Hochschulstudium. Der technische Sekundarunterricht wird in Schulen erteilt, von denen einige Sonderausbildungen in verschiedenen Bereichen anbieten: Bereiche, zu denen Bauwesen, Mechanik, Gastronomie, Landwirtschaft, Verwaltung oder das kaufmännische Gewerbe zählen (vgl. Menfp, 2015).
Der technische Sekundarunterricht ist in drei Stufen eingeteilt (vgl. Menje, 2015):
- Unterstufe (Cycle inférieur): 7. bis 9. Klasse
- Mittelstufe (Cycle moyen): 10. bis 11. Klasse
- Oberstufe (Cycle supérieur): 12. bis 13. Klasse (bzw. 14. Klasse der gesundheits- und sozialberuflichen Fachrichtung)
Mittelstufe und Oberstufe sind als ein ganzer Ausbildungszyklus zu betrachten. In der Mittel- und Oberstufe wird mit der eigentlichen Berufsausbildung begonnen. Nach Abschluss der Unterstufe (s. Kapitel 1.7), findet der Übergang zur Mittelstufe statt, eines der zentralen Themen dieser Arbeit. Hier haben die Jugendlichen, abhängig von ihren schulischen Ergebnissen, drei mögliche Ausbildungswege (vgl. Koenig, 2010, S. 434):
- Technische Ausbildung (Régime technique)
- Technikerausbildung (Régime de la formation de technicien)
- Berufsausbildung (Régime professionnel)
Technische Ausbildung (Régime technique)
Der technische Ausbildungszweig wird mit dem Abschlusszeugnis des technischen Sekundarunterrichts (Diplôme de fin d’études secondaires/ Fachabitur) abgeschlossen, das einer allgemeinen Hochschulreife entspricht. Dennoch ist zu bemerken, dass die Fachrichtungen recht spezifisch sind und die Vorbereitung auf universitäre Studien somit auch recht spezifisch ausfallen, was bei der Wahl des weiteren Bildungsweges der Jugendlichen beachtet werden soll. Dieser Ausbildungszweig umfasst 5 Fachrichtungen[17]: Verwaltungstechnische und kaufmännische Fachrichtung (Division Commerce et Gestion: CM); allgemeine technische Fachrichtung (Division Technique Générale: TG); gesundheits- und sozialberufliche Fachrichtung (Division Paramédicale et Sociale: PS); naturwissenschaftliche Fachrichtung (Division Sciences Naturelles: SN) und Kunst (Division Artistique: AR). Mit Ausnahme der gesundheits- und sozialberuflichen Fachrichtung, bei der erst nach der 14. Klasse das Abschlussdiplom erlangt wird, dauert die Ausbildung vier Jahre (vgl. Menje, 2015). Nach gemeinsamen Mittelstufen (10. und 11. Klasse), in der Oberstufe (12. und 13. Klasse) spitzen sich die Ausbildungen noch spezifischer in bestimmte Richtungen zu. So steht beispielsweise ein/e Schüler/in, der/die eine 10PS und 11PSin dergesundheits- und sozialberuflichen Fachrichtung erfolgreich absolviert hat, für den Übergang in die 12. Klasse wieder vor einer wichtigen Entscheidung. Er/sie hat hier die Wahl zwischen drei verschiedenen Ausbildungswege: Krankenpfleger/Krankenschwester, Sozialwissenschaft oder Erzieher/in. Diese Aspekte sind schon bei der Entscheidung Ende der 9. Klasse zu berücksichtigen.
Technikerausbildunq (Régime de technicien)
Der beruflich-technische Ausbildungszweig wird mit dem Techniker-Diplom (Diplôme de technicien/ Technisches Abitur) abgeschlossen. Hier sind 9 Ausbildungswege möglich, die sich in 17 verschiedenen Spezialisierungen verzweigen:
Verwaltungstechnische und kaufmännische Fachrichtung, Landwirtschaft, Kunst, Elektrotechnik, Bauwesen, Hotelwesen und Tourismus, Informatik, Mechanik und Gebäudetechnik. In der Technikerausbildung wird keine gesundheits- und sozialberufliche Fachrichtung angeboten. Die Ausbildung ist jeweils in 2 Jahre Mittelstufe und 2 Jahre Oberstufe eingeteilt. Der Unterricht im TechnikerAusbildungszweig wird in Form von semestriellen Modulen erteilt.
Dieser Ausbildungszweig bereitet in erster Linie auf das Berufsleben vor. In der gewählten Fachrichtung ist jedoch, nach Erlangen des Techniker-Diploms, auch ein Fachhochschulstudium möglich. Jedoch müssen für diesen Zweck zusätzliche Module in Form von Leistungskursen absolviert werden (vgl. Menje, 2015).
Berufsbildender Ausbildungszweig (Régime professionnel)
Die berufliche Ausbildung (régime professionnel) bietet den einfachsten und spezifischsten Zugang zu einer beruflichen Qualifikation. Abhängig von den schulischen Leistungen haben die Schüler/innen die Wahl zwischen dem fachlichberuflichen Eignungsnachweis (DAP) oder dem manuellen Berufsbefähigungszeugnis (CCM). Die berufliche Ausbildung wird als duales System, Ausbildung im Betrieb und in Berufsschule angeboten. Hier werden drei Arten der Organisation der Ausbildung unterschieden:
- begleitend: Praktische Ausbildung im Betrieb im Rahmen eines Lehrvertrags mitgemeinsamertheoretischerAusbildung in derSchule
- gemischt: Theoretische Ausbildung in Vollzeit für ein oder zwei Jahre an einer Schule und die restliche Ausbildung begleitend
- Vollzeitausbildung: Ausbildung in der Schule, mit Betriebspraktika.
Die Berufsausbildung hat zum Ziel, in einem geordneten Ausbildungsgang die notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen für die Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt zu vermitteln. Ferner soll sie die erforderliche Berufserfahrung ermöglichen. Die möglichen Ausbildungen dauern jeweils 3 Jahre und können mit entweder mit dem Diplom der beruflichen Reife {Diplôme d'Aptitude Professionelle - DAP) oder mit dem Berufsbefähigungszeugnis (Certificat de capacité professionnelle - CCP) abgeschlossen werden. Mit dem DAP kann eine Ausbildung im Hinblick auf den Erhalt eines Meisterbriefes fortgesetzt werden. Das CCP wird nach der beruflichen Grundausbildung (Formation professionnelle de base) ausgestellt, die vor allem in theoretischer Hinsicht ein vereinfachtes Programm im Vergleich zur DAP-Ausbildung anbietet. Es ermöglicht entweder den Einstieg in den Arbeitsmarkt oder den Übergang zur beruflichen Erstausbildung. Der Unterricht im berufsbildenden Ausbildungszweig wird, wie beim Techniker-Ausbildungszweig, in Form von Modulen erteilt (vgl. Menje, 2015).
Die Jugendlichen haben in den drei Ausbildungszweigen die Wahl zwischen über 100 Ausbildungsmöglichkeiten[18]. Diese komplexe Ausbildungsvernetzung, die im luxemburgischen Schulsystem eingeschrieben ist, stellt sowohl für viele Jugendliche und deren Eltern, als auch für die Lehrer/innen eine große Herausforderung dar. Dazu bringt der ständige Wandel der Berufsbilder ebenfalls regelmäßig Änderungen und Anpassungen der Berufsausbildung mit sich, was vom Lehrpersonal einen hohen Anpassungsgrad erfordert und es zum Teil verwirrend ist, den Überblick zu behalten.
1.7 Cycle inférieur des technischen Sekundarunterrichts in Luxemburg
Am Ende der Grundschule erleben die Kinder einen ersten entscheidenden Übergang, den Übergang in die Sekundarschule. Hier ist der zuständige Orientierungsrat, zusammengesetzt aus einem Bezirksinspektor, der/des jeweiligen Grundschullehrers/in sowie zwei Lehrer/innen aus dem technischen Sekundarunterricht, für die Orientierung der Kinder verantwortlich. Außerdem kann ein Psychologe der Zentralstelle für schulpsychologische Beratung und Schulorientierung CPOS (Centre de Psychologie et d'orientation scolaires) auf Anfrage der Eltern als Berater am Orientationsgespräch teilnehmen (Menje, 2015b). Er muss eine Entscheidung darüber treffen, welchen Zweig des Sekundarunterrichtes die Kinder im darauffolgenden Jahr besuchen werden. Das Orientierungsrat erstellt einen Orientierungsbeschluss, der den Zugang zu einer der 3 Unterrichtsarten für die 7. Klasse ermöglicht (ebd., S.9):
- Allgemeiner Sekundarunterricht (7ieme ES) (in Deutschland entspricht dies dem Niveau eines Gymnasiums)
- Technischer Sekundarunterricht (7ieme ST) (in Deutschland entspricht dies dem Niveau einer Realschule)
- Modular-Unterricht (7ieme MO) des vorbereitenden Ausbildungszweigs des technischen Sekundarunterrichts (in Deutschland entspricht dies dem Niveau einer Hauptschule).
An dieser Stelle wird eine starke Stratifizierung des luxemburgischen Schulsystems sichtbar. Im Zusammenhang mit Berufsorientierung machte Neubert auf die Nachteile, die eine solche Stratifizierung für die Akteure die in einem solchen Kontext wichtige Entscheidungen treffen sollen, aufmerksam: „Je differenzierter und anspruchsvoller ein Bildungssystem ist, desto größer wird das Orientierungs- und Beratungsbedürfnis jener sein, die sich in ihm zurechtfinden und Entscheidungen treffen müssen“ (Neubert, 1977, S. 419). Das luxemburgische Bildungssystem ist komplex und stark stratifiziert, was zu einer starken Selektion führt und Integration für Individuen mit sozial schwacher Herkunft, besonders für solche mit Migrationshintergrund, zu einer schweren Aufgabe gestaltet.
Angekommen in der Unterstufe des technischen Sekundarunterrichtes sollen die Grundkenntnisse in Sprachen, Mathematik und den Wissenschaften (Sozial- und Naturwissenschaften) erweitert und vertieft werden. Die Schüler/innen sollen in Richtung einer späteren Ausbildung geführt und auf die weiterführenden Kurse in den verschiedenen Ausbildungszweigen der Mittelstufe vorbereitet werden. In den unteren Klassen ist Deutsch Unterrichtssprache, mit Ausnahme, wie im klassischen Sekundarunterricht, des Französischunterrichts und Mathematik, in dem auf Französisch unterrichtet wird. Es gibt jedoch auch Klassen mit einer speziellen Sprachenregelung, in denen Französisch Unterrichtssprache ist. Englisch wird ab der 8. Klasse unterrichtet.
Am Ende dieses Zyklus sollen die Jugendlichen sich für einen bestimmten Bildungsweg entscheiden. Daher hat die Unterstufe des technischen Sekundarunterrichtes ebenfalls eine Orientierungsmission, bei der Berufsorientierung eine Schlüsselrolle spielt. Die Schüler/innen sollen hier zum Bildungsweg oder Handwerk gebracht werden, je nach Interessen und Fähigkeiten. Aus diesem Grund werden praktische Kurse in die Unterrichtsprogramme eingebaut, die die Schüler/innen in Verbindung mit den unterschiedlichen Berufsfamilien und den Berufen setzen. Der Kontakt zur Berufswelt wird durch Praktika, Firmenbesuche u.a. ergänzt.
Die Unterstufe umfasst die 7., 8. und 9. Klassen (7e, 8e und 9e), sowie Modularklassen des vorbereitenden Ausbildungszweigs des technischen Sekundarunterrichts, für Schüler/innen die am Ende des 4. Zyklus des Grundschulunterrichts die festgelegten Ziele nicht erreicht haben (Régime préparatoire - 7MO) (vgl. Tabelle 4). Als eine Reaktion auf die schlechten PISA-Ergebnisse Luxemburgs im Jahr 2000 (Menfp, 2007) wird das Projet Cycle Inférieur (PROCI), in der Unterstufe des Sekundarunterrichts, damals in vier luxemburgischen Sekundarschulen und seit 2003 mittlerweile in zehn implementiert. Im Rahmen dieses Pilotprojekts sollte eine Reformierung der unteren Klassenstufen des EST erprobt werden (ebd., 2007). Zu den im Projekt realisierten Neuerungen gehören kleinere Klassen, in denen eine durchgehende Betreuung eines gleichbleibenden Lehrerteams von der 7. bis zur 9. Klasse stattfindet, sowie eine differenziertere kompetenzorientierte Bewertung der Stärken und Schwächen der Schüler/innen, die gezielte Beförderungsmaßnahmen ermöglicht. Für diese Arbeit von hoher Bedeutung gehört ein Orientierungsverfahren, basierend auf die relevante Kenntnis jedes/r Schülers/in durch dieses gleichbleibende Lehrerteam, das gezielter auf die Stärken der Schüler/innen ausgerichtet ist. Hierbei wird dem Klassenrat eine höhere Elastizität in seinen Entscheidungen eingeräumt. Damit soll eine gerechtere Orientierung nach der 9. Klasse ermöglicht werden, in der der Klassenrat, den Jugendlichen den Zugang zu Bildungswege bescheinigt, der deren Fähigkeiten und Vorstellungen entspricht[19].
Zu bemerken ist, dass die Differenzierung zwischen theoretischem Unterricht (TE) und Orientierungsunterricht (PO) im PROCI abgeschafft wurde. Hier sollen die Schüler/innen beider Niveaus zusammen in einer Klasse über die ganze Unterstufe, unter der Bezeichnung STP, zusammenbleiben und individuell ihren Stärken nach Förderkurse besuchen. Doch im Verlauf der Jahre verleitete das stark stratifizierte luxemburgische Bildungssystem wieder zu einer Differenzierung innerhalb des PROCI und Schüler/innen, die nur Basiskurse besuchen können, werden in ihrer Berufsorientierung mit Schüler/innen aus dem Orientierungsunterricht (PO) verglichen und jene, die Förderkurse besuchen, kommen dem theoretischen Unterricht (TE) sehr nahe. Beides soll in dieser Arbeit als gleichwertig angesehen werden. Demnach werden in dieser Arbeit 9TE mit 9STPA (PROCI Avancé) und 9PO mit 9STPB (PROCI Base) ähnlich differenziert.
Tabelle 3: Angebot des Cycle Inférieur des technischen Sekundarunterrichts
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigendarstellung nach Menje2015.
Modular-Unterricht
Der Vorbereitungsunterricht verfolgt drei verschiedene Ziele:
1. Einfügen der Schüler/innen in den technischen Sekundarunterricht
2. Integrierung in eine angemessene Berufsausbildung
3. Schüler/innen, die diese Bildungswege nicht gehen können, zu helfen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Um diese Ziele zu erreichen werden Deutsch, Französisch und Mathematik in Form von Modulen unterrichtet, wodurch die Schüler/innen ihrem Rhythmus entsprechend lernen und ihren schulischen Rückstand aufholen können. Es sind keine Module für Englisch vorgesehen. Sehr gute Ergebnisse während dieses Vorbereitungsunterrichts ermöglichen den Schüler/innen den Zugang zu den Klassen der Unterstufen mit höherem Anspruch, d.h. der 7. Klasse des technischen Sekundarunterrichtes, der 8. oder der 9. Klasse des Orientierungsunterrichts, der 9. Klasse des praxisbezogenen Unterrichts oder einer Berufsausbildung. Der jeweilige Klassenrat entscheidet hier auf Basis der bestandenen Module, deren Mindestanzahl für den Übergang in eine 9PR oder in eine Berufsausbildung gesetzlich klar festgelegt sind. Dagegen ist für den Übergang in eine Klasse des technischen Sekundarunterrichtes eine positive Bewertung des Klassenrates ausreichend. Es ist hinzuzufügen, dass Klassenwiederholungen im Modular-Unterricht nicht vorgesehen sind.
7. Klasse des technischen Sekundarunterrichts (7ST, 7STP)
In der 7. Klasse des technischen Sekundarunterrichts sieht der Lehrplan die Sprachen Französisch und Deutsch, Mathematik, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Einführung in die Technologien und Ausdrucksfächer vor. Des Weiteren werden die Schüler/innen mit den Fach-, Lehr- und Lernmethoden vertraut gemacht und soziale und personale Kompetenzen gefördert.
8. Klasse des theoretischen (8TE, 8STPA) und 8. Klasse des Orientierungsunterrichts (8PO, 8STPB)
Gemäß der in der 7. Klasse erzielten Ergebnisse werden die Schüler/innen in eine 8. Klasse des theoretischen Unterrichts versetzt. Diejenigen, die in der 7. Klasse dem vorgeschriebenen Lehrplan nur schwer folgen konnten, werden in eine Anpassungsklasse versetzt, die 8. Klasse des Orientierungsunterrichts. Diese Ausbildungswege unterscheiden sich durch ihre allgemeine Orientierung, die Gewichtung derverschiedenen Unterrichtsfächerund die Unterrichtsmethoden.
9. Klassen
Die 9. Klasse stellt für die Jugendlichen ein Jahr der Entscheidungen dar. Nach dem Übergang von der Grundschule zur Sekundarschule ist dies der zweite Übergang in ihrer Bildungsbiographie.
Tabelle 4: Ausbildungswege nach der 9. Klasse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Menje 2015.
Das Bestehen dieser Klasse ermöglicht den Zugang zum technischen Ausbildungszweig, zur Technikerausbildung oder zum berufsbildenden (dualen) Ausbildungszweig. Zu den beiden Ausbildungszweigen in der 8. Klasse kommt für Schüler/innen die dem vorgeschriebenen Lehrplan auf einer 8PO nur schwer folgen konnten, auf dem Niveau der 9. Klasse noch eine 9. Klasse des praxisbezogenen Unterrichts (9PR) hinzu. Diese Klasse (9PR) bereitet ausschließlich auf die berufliche Ausbildung (Régime professionnel) vor.
Am Schluss der 9. Klasse wird im Klassenrat, der sich aus dem Schuldirektor, den Klassenlehrer/innen und einem Vertreter des SPOS (Service de Psychologie et d’Orientation Scolaire) und den Lehrkräften zusammensetzt, nach vorgeschriebenen Kriterien, die im Wesentlichen auf den Noten der Schüler/innen basiert, die Orientierung der Schüler/innen in den ihren Zielen und Fähigkeiten am besten entsprechenden Mittelstufenbereich ausgearbeitet (s. Tabelle 4).
1.8 Zielgruppe
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Berufsorientierung der Jugendlichen im 9. Schuljahr (9TE, 9PO und 9STP) des technischen Sekundarunterrichtes. Laut des neulich erschienenen Bildungsberichts (Menje/Université du Luxembourg, 2015a) besuchen insgesamt 98’271 Schüler/innen in Luxemburg eine Schule. Davon sind 26998 im technischen Sekundarunterricht eingeschrieben. In der unteren Stufe des Sekundarunterrichts wurden 13’316 Schüler/innen gezählt, was ungefähr die Hälfte der Schüler/innen im EST ausmacht. 4884 der Jugendlichen sind vom Untersuchungsgegenstand betroffen, d.h. diejenigen, die eine 9TE, 9STP oder 9PO besuchen, stellen 18% der Schüler/innen des EST und rund 5 % der gesamten luxemburgischen Schülerpopulation dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Der technische Sekundarunterricht
Quelle: nach Menje/Uni 2015a
In einer qualitativen Studie der Unaf (Humann, 2009) wurden vier verschiedene Bildungswegtypen erkannt. Die Typologie organisiert sich um die folgenden beiden Achsen:
Eine Achse (Ordinate) legt die Jugendlichen gemessen an ihre Fähigkeit eine Entscheidung hinsichtlich ihrer Orientierung zu treffen, mit einerseits eher unentschiedenen Jugendlichen (in den wichtigen Momenten der Orientierung) und andererseits, Jugendlichen mit Ideen, Leidenschaften und klaren Träumen hat, welche ihnen helfen sich zu orientieren.
Die andere Achse (Abszisse) legt die Jugendlichen entsprechend den auf ihrem Orientierungsweg getroffenen Schwierigkeiten, mit einerseits den Jugendlichen, die Hindernisse in ihrem Orientierungsprojekt begegnet sind und andererseits, die Jugendlichen die die notwendigen Gelegenheiten gehabt haben, um sich zu orientieren wie sie es wünschten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Bildungswegtypen
Quelle: Humann (2009):
Somit werden folgende Bildungswege unterschieden:
- lineare Bildungswege: Die Jugendlichen haben eine klare Vorstellung davon, in welche Richtung sie sich orientieren sollen und kennen keine besonderen Hindernisse in Bezug auf ihren Orientierungswunsch.
- flexible Bildungswege: Die Jugendlichen haben Ideen und Wünsche, müssen jedoch wegen unüberbrückbarer Hindernisse die Richtung wechseln; dennoch wissen sie sich schnell in andere Projekte zu investieren.
- eklektische Bildungswege: Die Jugendlichen haben viele Interessen und sind schulisch ziemlich erfolgreich, tun sich aber sehr schwer eine bestimmte Richtung zu wählen.
- chaotische Bildungswege: Die Jugendlichen haben keine klare Vorstellung von dem was sie später machen wollen, überlassen ihre schulische Karriere dem Zufall, und selbst wenn der Zufall ihnen manchmal eine zutreffende Richtung zeigt, tun sie sich sehr schwer und stehen sich selbst im Weg.
Übersetzt vom Autor.
[...]
[1] Übersetzt vom Autor.
[2] Das luxemburgische Bildungssystem ist ausführlich in Kapitel 1.6. dargestellt.
[3] Wie es in Luxemburg und vor allem in mitteleuropäischen Ländern ist (vgl. Oelkers2010, S.15).
[4] Wie beispielsweise in Großbritannien und manchen Ländern Nordeuropas (vgl. Oelkers2010, S.13).
[5] Aus diesem Grund und weil die Bearbeitung der Genderfrage für diese Arbeit zu umfangreich wäre, wird nicht spezifisch daraufeingegangen.
[6] Der Centre de Documentation et d'information sur l'Enseignement Supérieur (CEDIES) bietet Informationen und Beratung über luxemburgische und internationale Hochschulen.
[7] Siehe Kapitel 4.1.4.
[8] Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention (Anhang 1.1.).
[9] Artikel 29 der UN-Kinderrechtskonvention (Anhang 1.1.).
[10] Anhang 1.3.: Chapitre 2 - Art. 2.
[11] Anhang 1.3.: Chapitre 4 - Art. 12.
[12] Madame Delvaux-Stehres Mady war von 2004 bis Ende 2013 luxemburgische Ministerin für Erziehung und berufliche Ausbildung
[13] Nachzulesen bei orientation.script.lu http://orientation.script.lu/wp-content/uploads/2015/02/Conclusions- Forum-Orientation.pdf
[14] Im Anhang 2 nachzulesen.
[15] Siehe Anhang 1.6.
[16] An dieser Stelle wird auf die Klärung der ersten Übergangsphase verzichtet.
[17] Nachzusehen im Anhang 3.
[18] Ausführlich im Anhang 3 dargestellt.
[19] Umfassende Darstellung der Orientierungsprozedur im Kapitel 4.4.
- Citation du texte
- Henrique Da Costa (Auteur), 2016, Lebhaft, unbekümmert und orientierungslos. Die Notwendigkeit spezifischer Berufsorientierungskonzepte im "Cycle Inférieur" des technischen Sekundarunterrichts in Luxemburg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416004
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