Diese Arbeit beleuchtet die kommunitaristische Kritik an John Rawl und seinen Theorien. In der liberalen Theorie nach Kant ist das Recht den Vorstellungen eines guten und gelingenden Lebens vorgeordnet, da diese von den Individuen so unterschiedlich gesetzt werden, dass sie nicht zu einem gemeinschaftlichen Prinzip taugen. Die Individuen setzen daher ein in gegenseitigem Interesse formuliertes Gesetz fest, das ihnen erlaubt, ihre Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen, ohne anderen dadurch Schaden zuzufügen.
Die liberale Theorie betrachtet die Gesellschaft als Assoziation von Individuen, von denen ein jedes seine Konzeption eines guten oder wertvollen Lebens hat. Die Funktion des Stattes sollte die Ermöglichung dieser Lebenspläne sein und dabei einem Prinzip der Gleichheit folgen. Ein sich liberal verstehender Staat darf sich nicht auf eine bestimmte Auffassung des guten Lebens gründen, sondern allein auf Prinzipien der Gerechtigkeit.
John Rawls steht in dieser liberalen Tradition wenn er schreibt: " In der Theorie der gerechtigkeit als Fairness nimmt man nicht beliebige neigungen der Menschen als gegeben hin, um dann nach der besten Art ihrer Erfüllung zu suchen. Vielmehr sind Bedürfnisse und Ziele von Anfang an durch die Grundsätze der Gerechtigkeit beschränkt."
In der Schrift "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" schreibt Kant : "Der Begriff aber eines äußeren Rechts überhaupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnisse der Menschen zu einander hervor; und hat gar nichts mit dem Zwecke, den alle Menschen natürlicher Weise haben (der Absicht auf Glückseligkeit), und der Vorschrift der Mittel , dazu zu gelangen, zu tun: so daß auch daher dieser letztere sich in jenes Gesetze schlechterdings nicht , als Bestimmungsgrund derselben, mischen muß ." [1] Das Recht ist den Vorstellungen eines guten und gelingenden Lebens vorgeordnet, da diese von den Individuen so unterschiedlich gesetzt werden, daß sie nicht zu einem gemeinschaftlichen Prinzip taugen . Die Individuen setzen daher ein in gegenseitigem Interesse formuliertes Gesetz fest, daß ihnen erlaubt, ihre Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen, ohne dadurch anderen Schaden zuzufügen . Auf diese Einsicht Kants stützt sich die liberale Theorie . Sie betrachtet die Gesellschaft als Assoziation von Individuen, von denen ein jedes seine Konzeption eines guten oder wertvollen Lebens hat . Die Funktion des Staates sollte die Ermöglichung dieser Lebenspläne sein und dabei einem Prinzip der Gleichheit folgen . Wenn der Staat aber selbst für die eine oder andere Konzeption des guten Lebens einträte, würde sie nur die Ansicht einiger Bürger vertreten, anderer aber nicht , was schließlich zur Diskriminierung führen würde . Daher darf sich ein sich liberal verstehender Staat nicht auf eine bestimmte Auffassung des guten Lebens gründen, sondern allein auf Prinzipien der Gerechtigkeit, welche dazu beitragen sollen, die i n der Gesellschaft miteinander konkurrierenden Ansprüche von Individuen zu entscheiden . John Rawls steht in dieser liberalen Tradition , wenn er schreibt : "In der Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß nimmt man nicht beliebige Neigungen der Menschen als gegeben hin, um dann nach der besten Art ihrer Erfüllung zu suchen. Vielmehr sind Bedürfnisse und Ziele von Anfang an durch die Grundsätze der Gerechtigkeit beschränkt. Man kann das so ausdrücken, daß in der Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß der Begriff des Rechten dem des Guten vorgeordnet ist."[2] In Analogie zur Theorie Kants muß Rawls von Neigungen und Glücksvorstellungen abstrahieren, um die Gerechtigkeitsgrundsätze seiner "Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß" nicht von bestehenden Bedürfnissen oder gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig zu machen. Zu diesem Zweck bestimmt er eine faire Ausgangssituation, den Urzustand, auf dessen Grundlage die Individuen einen Vertrag abschließen. In diesem Urzustand sind im Prinzip alle gleich und treffen sämtliche Entscheidungen hinter einem Schleier des Nichtwissens über mögliche individuelle Besonderheiten, aus denen Vor- oder Nachteile entstehen könnten . Es gibt keine Beschränkungen bezüglich des allgemeinen Wissens über Gesetzmäßigkeiten und Theorien . Keiner jedoch kennt seine Stellung in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status, ebensowenig sein Los bei der Verteilung natürlicher Gaben, wie Intelligenz oder Körperkraft . Die Festlegung der Gerechtigkeitsgrundsätze hinter einem Schleier des Nichtwissens soll gewährleisten, daß dabei niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird . Die Prinzipien, die wir in einer solchen Situation vernünftigerweise wählen würden, sind folgende : „1 . Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2.Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß a)vernünftigerweise zu erwarten ist , daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und b)sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen ." [3]
An diesem zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz, dem Differenzprinzip, entzündet sich die Kritik M.Sandels. Er kritisiert den Atomismus der Rawlschen Konstruktion, die beinhaltet, daß vereinzelte und voneinander unabhängige Personen vor aller Vergesellschaftung in zweckrationaler Wahl ihre Ziele autonom setzen . Diese Vorstellung verkennt aber ihre eigenen Grundlagen und gefährdet sie dadurch . So ist das Differenzprinzip als Teilungsprinzip angewiesen auf eine moralische Bindung unter denjenigen, deren Vor- und Nachteile aufeinander abgestinunt werden sollen. Aber: „Was das Differenzprinzip zwar voraussetzt , aber selbst nicht zu liefer n vermag, ist ein Weg zur Identifikation derjenigen, in deren Gemeinschaft meine Vorteile zu Recht als Allgemeinbesitz betrachtet werden, d . h. ein Weg, un~ selbst als von vornherein gemeinschaftlich verpflichtet und moralisch engagiert zu verstehen . " [4] Für Sandel folgt daraus, daß die Gerechtigkeit nicht vorrangig sein kann, da unsere Identitäten durch unsere Konzeption des Guten gebildet werden . Die moralische Kraft unserer überzeugungen ist demnach untrennbar mit unserem Selbstverständnis als Mitglied einer partikularen Gemeinschaft verknüpft . Sandel versucht also dadurch, daß er die anthropologischen Prämissen Rawls' als Irrtum entlarvt, den Vorrang der Konzeption des Guten vor der Gerechtigkeit zu beweisen . Der Begriff des Guten wi rd von einem anderen Konununitaristen, Charles Taylor, noch etwas genauer definiert . Er unterscheidet "konvergente Güter" von einem "unmittelbar gemeinsamen Gut" . Die Bereitstellung konvergenter Güter entspringt dem Selbstinteresse eines jeden Individuums . Da das Individuum diese Güter nicht allein bereitstellen kann, muß dafür kollektiv gesorgt werden . Taylor bezeichnet dies, als "Fälle kollektiv instrumentellen Handelns" . [5] Im Unterschied dazu ist das unmittelbar gemeinsame Gut, ein Gut was wir teilen . Dieses basiert auf einem Sinn geteilten Schicksals, in dem das Teilen selbst von Wert ist . Es bilden sich dadurch, im Gegensatz zu bloß konvergenten Ich-Identitäten, die auf einem Band der Solidarität beruhenden Wir-Identitäten, welche das gemeinsame Gut als bindend betrachten und es gegebenenfalls auch verteidigen. Ebenso wie Sandel konstruiert Taylor ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der deskriptiven Ebene der Sozialanthropologie und der normativen Ebene der gesellschaftlichen Prinzipien der Handlungskoordinierung, wenn er schreibt : „Die Definition eines republikanischen Regimes, wie es im klassischen Sinne verstanden wird, setzt eine vom Atomismus verschiedene Ontologie voraus, die dem atomistisch infizierten "common sense" fremd ist . Sie setzt voraus , daß wir die Beziehungen zwischen Identität und Gemeinschaft untersuchen und die verschiedenen Möglichkeiten unterscheiden, insbesondere den möglichen Ort von Wir-Identitäten gegenüber bloß konvergenten Ich- Identitäten und die daraus folgende Rolle von gemeinsamen gegenüber konvergenten Gütern . "[6] Freilich ist den kommunitaristischen Kritikern recht zu geben, wenn sie behaupten, daß die liberale Begründungsargumentation die für die Inviduation konstitutive Rolle des sozialen Umfelds und des sich in ihm verknotetem Geflechts personaler und kollektiver Identitätsbestimmungen nicht erfaßt . Aber was folgt daraus für die normative Ebene? Zunächst ist zu beachten welchen Strang der liberalen Tradition die kommunitaristischen Kritiker im Auge haben . Unter Vernunft verstand Hobbes die instrumentelle Rationalität des konsequent durchkalkulierten, individuellen Selbstinteresses. Dieses allein motiviert die Individuen dazu, einen Vertrag mit anderen abzuschließen . In diesem Sinne ist immer die Position des "free riders" am rationalsten, d . h . die Position dessen, der solange die Verträge einhält , wie es in s einem Interesse liegt, sich aber vorbehält jene zu brechen, wenn er einen parasitären Vorteil ohne Sanktionsrisiko genießen kann . Es ist offensichtlich diese liberale Tradition, die die kommunitaristische Kritik im Blick hat, wenn sie von Atomismus und instrumenteller Rationalität als Gefährdungen der Gemeinschaft spricht . l5 Der zweite Aspekt des Liberalismus geht, wie bereits oben erwähnt, auf Kant zurück und ist mit dem Hobbeschen Aspekt unvereinbar . Kants praktische Vernunft ist nicht die instrumentellstrategische Vernunft der Klugheitsregeln, die im Dienste des individuellen Selbstinteresses stehen . Sie ist auf das Universalisierungsprinzip der Gerechtigkeit bezogen und transzendiert insofern jedes empirische Selbstinteresse . Die Selbstgesetzgebung der Vernunft a priori bezieht sich auf das für alle gültige Sittengeset z . Somit ist die Entdeckung und Vereinbarung allgemein zustimmungsfähiger Normen gestützt auf die Einsicht moralisch urteilsfähiger Subjekte in das , was ale gemeinsam wollen könnten . Bei Rawls sind diese Bestimmungen der praktischen Vernunft eingegangen in die Beschränkungen, denen die Individuen im Urzustand unterliegen . Daraus wird deutlich, daß dieser Strang des Liberalismus sich nicht atomistisch auf die Individuen als Interessensubjekte gründet , sondern auf das moral ische Prinzip der Intersubjektivität und Reziprozität . Das Subjekt des Rawlsschen Urzustandes ist eine Symbolisierung des empirischen Subjekts, welches sich durch keine traditionell festgelegten Normen gebunden fühlt . Der moralische Standpunkt, den wir finden müssen, um ein moralisches Urteil mit Anspruch auf Intersubjektivität fällen zu können, wird durch die Perspektive der Unparteilichkeit erreicht . Nur wenn wir von eigenen Interessen absehen, ist es möglich, Bedi ngungen zu schaffen, die es ermöglichen, in Fragen der Gerechtigkeit einen Konsens herbeizuführen . Dies ist die Konsequenz aus Kants Urteil, daß sich individuelle Konzepte des guten Lebens nicht universalisieren lassen.
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[1] I. Kant "Über den Gemeinspruch : Das mag in der Theorie richtig sein taugt aber nicht für die Praxis" in: Werkausgabe in 12 Bänden, Hg . von W. Weischedel; Frankf.a.M . 1991, Bd.11, S. 144
[2] J. Rawls "Eine Theorie der Gerechtigkeit" ; Frankf . a .M. 1979, S . 49ff
[3] J. Rawls a . a . O.; S. 81
[4] M. Sandel "Die verfahrensrechtliche Republik und das ungebundene Selbst" in : A. Honneth (Hg.) "Kommunitarismus - Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften"; Frankf . a .M. 1994 , S. 29
[5] Ch. Taylor "Aneinander vorbei : Die Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus" in : A. Honneth (Hg . ) a . a.O., S. 114
[6] Ch . Taylor a.a . O. , S . 116
- Quote paper
- Philip Hamdorf (Author), 1999, Die kommunitaristische Kritik an John Rawls, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/415918
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