„Jede Gesellschaft verfügt über ihre eigene, für sie charakteristische Form des Kriegs. Was wir heute als Krieg zu bezeichnen pflegen, was Politiker und Militärs als solchen definieren, ist tatsächlich ein spezifisches historisches Phänomen, das sich in Europa zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert herausbildete, obgleich es auch seitdem verschiedene Entwicklungsphasen erlebt hat. Der Krieg war äußerst eng mit der Herausbildung des modernen Staates verbunden. […] Das dieser Staatstypus neuen Formen der politischen Ordnung zu weichen beginnt, wie sie aus den Globalisierungsprozessen hervorgehen, entwickelt sich auch der Krieg, wie wir in gegenwärtig verstehen, zum Anachronismus. “
Mary Kaldor fasst anschaulich den Prozess und die daraus entstehenden Konsequenzen zusammen, deren Ausdifferenzierung hier erarbeitet wird. Im Fokus befindet sich die zuneh-mende Enthegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zu einer zunehmenden (Re-) Kommerzialisierung und (Re-) Privatisierung der Gewalt führte. Weder über die genaue Definition des Gegenstandes, noch über die Konsequenzen herrscht dabei Einigkeit; dies zeigt sich besonders an dem Faktum, dass selbst um die genaue Bezeichnung des Gewaltzustandes ge-rungen wird:
„Der Begriff des nicht-staatlichen Krieges ist insofern unglücklich, als in der bloßen Negation des staatlichen Krieg immer noch dem staatlichen Krieg der Primat zuerkannt wird. Die Vielfalt nicht-staatlicher Kriege ist jedoch so groß, dass für sie keine allgemein anerkannte gemeinsame Bestimmung gibt. Begriffe wie »primitive Kriegsführung« (John Keegan), »low-intensity-conflicts« (Martin van Crefeld), »Stam-meskriege«, »wilde Kriege« (Wolfgang Sofsky) oder auch »Gewaltmärkte« (Georg Elwert) betonen jeweils einen Aspekt, ohne dass der Vielfalt dieser Kriege ausreichend Rechnung getragen würde.“
Dazu gesellen sich weitere Umschreibungen, z.B. der »asymmetrische Krieg« bei Herfried Münkler, der »neue Krieg« von Mary Kaldor und die »privatisierte Gewalt« bei Erhard Eppler.
Im Gegensatz zur politischen und militärischen Elite sind sich die Autoren darüber einig, dass der gehegte Krieg ein Rudiment vergangener Epochen ist.
Inhalt
1 Einleitung
2 Neue Kriegsformen
2.1 Fazit
3 Die Demontage des Nationalstaats
3.1 Die Privatisierung der Gewalt von unten
3.2 Die Privatisierung der Gewalt von oben
3.3 Krieg und Ökonomie
4 Lösungsansätze
4.1 Weltinnenpolitik?
4.2 Rückfall in Anachronismen?
5 Schluss
6 Bibliographie
1 Einleitung
„Jede Gesellschaft verfügt über ihre eigene, für sie charakteristische Form des Kriegs. Was wir heute als Krieg zu bezeichnen pflegen, was Politiker und Militärs als solchen definieren, ist tatsächlich ein spezifisches historisches Phänomen, das sich in Europa zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert herausbildete, obgleich es auch seitdem verschiedene Entwicklungsphasen erlebt hat. Der Krieg war äußerst eng mit der Herausbildung des modernen Staates verbunden.[1] […] Das dieser Staatstypus neuen Formen der politischen Ordnung zu weichen beginnt, wie sie aus den Globalisierungsprozessen hervorgehen, entwickelt sich auch der Krieg, wie wir in gegenwärtig verstehen, zum Anachronismus.[2] “
Mary Kaldor fasst anschaulich den Prozess und die daraus entstehenden Konsequenzen zusammen, deren Ausdifferenzierung hier erarbeitet wird. Im Fokus befindet sich die zunehmende Enthegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zu einer zunehmenden (Re-) Kommerzialisierung und (Re-) Privatisierung der Gewalt führte. Weder über die genaue Definition des Gegenstandes, noch über die Konsequenzen herrscht dabei Einigkeit; dies zeigt sich besonders an dem Faktum, dass selbst um die genaue Bezeichnung des Gewaltzustandes gerungen wird:
„Der Begriff des nicht-staatlichen Krieges ist insofern unglücklich, als in der bloßen Negation des staatlichen Krieg immer noch dem staatlichen Krieg der Primat zuerkannt wird. Die Vielfalt nicht-staatlicher Kriege ist jedoch so groß, dass für sie keine allgemein anerkannte gemeinsame Bestimmung gibt. Begriffe wie »primitive Kriegsführung« (John Keegan), »low-intensity-conflicts« (Martin van Crefeld), »Stammeskriege«, »wilde Kriege« (Wolfgang Sofsky) oder auch »Gewaltmärkte« (Georg Elwert) betonen jeweils einen Aspekt, ohne dass der Vielfalt dieser Kriege ausreichend Rechnung getragen würde.“[3]
Dazu gesellen sich weitere Umschreibungen, z.B. der »asymmetrische Krieg« bei Herfried Münkler, der »neue Krieg« von Mary Kaldor und die »privatisierte Gewalt« bei Erhard Eppler.
Im Gegensatz zur politischen und militärischen Elite sind sich die Autoren darüber einig, dass der gehegte Krieg ein Rudiment vergangener Epochen ist. Denn der gehegte Krieg war das Produkt einer bestimmten Zeit und bestimmter Umstände: Die Form dieses Krieges entwickelte sich unter dem Schrecken des 30-jährigen Kriegs (Westfälischer Friede) und ist eng mit der Entstehung des Nationalstaates verbunden. Entscheidend ist die Entkopplung von marktwirtschaftlichen Prinzipien, denn die Kosten durch die stehenden Heere, die Umschulung der Fußtruppen vom primitiven Gevierthaufen zu gedrillten Infanteristen und die Entwicklung immer teurerer Kriegsgeräte, anfänglich z.B. Artillerie, ließ sich nicht mehr amortisieren[4], sodass die Militärausgaben im 18. Jahrhundert ca. drei Viertel des Staatshaushaltes ausmachten[5]. Die enormen Kosten führten so auch zu einer Bürokratisierung, die notwendig wurde, um die enormen Geldmengen verwalten zu können. Trotz der Reglementierung des Kriegsgeschehens führte das System des gehegten Staatenkriegs in die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Ab diesem Zeitpunkt setzte ein zuerst latenter und dann manifester Prozess der Entstaatlichung von Krieg ein, der sich in der Form des Ost-West-Konflikts, d.h. der Einordnung der Staaten in militärische Bündnisse oder der Entwicklung von Atomwaffen, die den Clausewitz’schen Krieg endgültig ad absurdum führten, äußerte. In der Erscheinung von Massakern, enthemmten Kriegsökonomien und des globalen Terrors hat diese Entwicklung vorläufig ihren Höhepunkt gefunden.
Handelt es sich bei dieser Tendenz um einen Rückfall in vorstaatliche, amorphe Anarchie oder einen Verwüstungskrieg, wie er am Rande vergangener Großreiche stattfand, oder ist, gemäß Mary Kaldors Postulat, von einem vollkommen neuen Zustand auszugehen, der weder mit herkömmlichen Strukturen zu erklären und welchem schon gar nicht mit herkömmlichen Strukturen beizukommen ist. Denn diese neue Form des Kriegs beruht zum Großteil auf dem Konzept des Nationalstaates, der immer mehr in Bedrängnis gerät. Doch „[k]önnen wir uns eine Befriedung ohne territoriale Grenzen vorstellen?“[6]
2 Neue Kriegsformen
Das die Reglementierung des kriegerischen Geschehens nicht ausreichend war, wurde den
Verantwortlichen Militärs und Politikern spätesten nach den menschenverachtenden Schlachten von Langemarck und Verdun und der Totalisierung des Zweiten Weltkrieges klar. Hier wurde schon mit notwendigen Merkmalen des alten Krieges gebrochen: Die Stellungskriege des Ersten Weltkriegs offenbarten die Tatsache, dass territoriale Zugewinne trotz immensem „Menschenmaterial“ kaum mehr möglich waren[7] und der Zweite Weltkrieg schließlich die zentrale Errungenschaft des gehegten Kriegte hinfort fegte: Die Unterscheidung zwischen Zivilist und Kombattant und die zwischen Front und Hinterland. Wie zu Zeiten des vorstaatlichen Krieges gehörten nun wieder v. a. Zivilisten zu den Kriegsopfern – als evidentes Beispiel dient hier der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Interkontinentalraketen[8] marginalisiert den Clausewitz’sche Idealkrieg, denn Clausewitz ging davon, dass „die Reichweite der Waffen nicht unbegrenzt sein darf“[9]. Ein atomarer Konflikt lässt sich nicht mehr der Clausewitz’schen Strategie und Taktik zuordnen, denn das Handeln des Gegners kann aufgrund der Vernichtungskraft von Atomwaffen schlichtweg ignoriert werden oder der Gegenspieler mit einem einzigen Schlag besiegt werden kann[10]. Denn Clauswitz Verständnis von Strategie schließt gewisse Unabwägbarkeiten, Trägheit und Friktion mit ein, die im atomaren Konflikt nicht gegeben sind. Das atomare Wettrüsten führte schließlich dazu, dass es den Weltmächten paradoxerweise nicht möglich war Krieg gegeneinander zu führen. Stattdessen wurden Stellvertreterkriege in der ganzen Welt geführt.
Mit den „neuen Konflikten“, in denen einer oder mehrere der Akteure nichtstaatlich oder transnational agieren, gerät der Staat außerordentlich in Bedrängnis, denn das meistens asymmetrische Gewaltverhältnis benachteiligt das Handeln des Staats, da die nichtstaatlichen Akteure selten ein Territorium verteidigen müssen und in der Lage sind äußerst flexibel zu operieren. Stehen sich ein nichtsstaatlicher und ein staatlicher Akteur gegenüber, ist das Verhältnis zudem von Irregularität geprägt, denn die Akteure betrachten sich selten als legitime Gegner, was Clausewitz als Vorraussetzung für einen gehegten Krieg betrachtete.
„ Während der Staat versucht seinen privilegierten politischen Status zu erhalten und seine Militärmacht auszunutzen, wird der substaatliche Akteur versuchen diesen Status zu unterminieren und vermeiden, den Krieg nach den Bedingungen des Staates zu führen. Anstatt ihre Aktionen frontal gegen den Militärapparat des Staates zu richten, wird die politische Gruppe versuchen, mit sogenannten hit-and-run-Aktionen zu operieren, die als einzelne zu klein sind, um dem Staat wirklich zu schaden, die aber in ihrer Gesamtheit den Widerstandswillen des Staates brechen können. “[11]
Als Beispiel lässt sich der Kampf der peruanischen Regierung gegen die maoistische Rebellenorganisation Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) nennen. Zwischen 1980 und 1990 startete Sendero Luminoso etwa 300 Aktionen (Bombenanschläge, Morde und Attentate), dazu kamen Dorfbesetzungen, die Zerstörung von Infrastruktureinrichtungen und sogar die öffentliche Exekutionen linksorientierter Politiker. Der Staat reagierte nachdrücklich und ließ eine Meuterei in mehreren Gefängnissen mit Waffengewalt niederschlagen – nur eine einzige Geisel überlebte das Blutbad. Bei der Niederschlagung des Aufstandes kamen insgesamt 249 Gefangene ums Leben, 124 davon wurden erschossen, nachdem sie sich bereits ergeben hatten.[12] Dass Staaten äußerst energisch in solchen Konflikten handeln, ist nach wie vor gewöhnlich. In Thailand ist ein Streit um die Frage entbrannt, ob es sich bei den seit Januar 2004 gewalttätig agierenden Aufständischen im Süden des Landes um Banditen oder Extremisten handelt. Es scheint, als ob die Regierung unter Premierminister Thaksin Shinawatra sehr darum bemüht ist, durch die Einstufung der Attentäter als Kriminelle den Vorfall herunterzuspielen und die Tötung von mehr als 100 Menschen zu legitimieren. Diese Version wird von Ahmed Somboon Bualang von der Universität Prinz Songhkla in Pattani bezweifelt: ‚ „Diejenigen, die gestorben sind, müssen an mehr geglaubt haben, als an Separatismus. Warum greifen sie sonst mit bloßen Händen die Streitkräfte an?“ ’[13]
Auch wenn mehrere nichtstaatliche Parteien miteinander kämpfen, gerät der Staat in eine erhebliche Zwangslage. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, on der Staat sich zurückhält oder eingreift, denn das zentrale Moment solcher bürgerkriegsähnlichen Kämpfe ist die Tatsache, dass es sich dabei um Konflikte existenzieller Natur handelt, die dem Staat keinen Raum zur Entfaltung lässt. Egal wie ein Staat reagiert, das Vorgehen wird meistens als falsch charakterisiert.
Durch die modernen, einfach zu bedienenden, billigen und leichten Waffen mit hoher Schussfrequenz (kein Zielen mehr notwendig, einfach „draufhalten“ genügt), wie z.B. die Kalaschnikow AK47, aber auch die G3/G36 („Braut des Soldaten“) des deutschen Herstellers Heckler und Koch, die in der ganzen Welt unter Lizenz hergestellt werden, kann an diesen Konflikten jeder vom Kind bis hin zur alten Frau teilnehmen.
So kommt es, dass v. a. in Afrika viele Kinder[14] als preiswerte und äußerst rücksichtslose Kämpfer eingesetzt werden – „[i]hre Schutz- und Selbsterhaltungstriebe sind noch nicht voll ausgebildet, Kämpfen ist für sie ein Spiel, und ist erst einmal Blut geflossen, steigern sie sich schnell und hemmungslos in einen Rausch der Gewalt, der sie besonders gefürchtet, weil extrem unberechenbar macht.“[15] In Bunia im Kongo tragen die Kindersoldaten gerne Frauenkleider, Stöckelschuhe, Perücken, Piratentücher, vom Autor des Artikels als „happy horror“ bezeichnet.[16] Andreas Herberg-Rothe berichtet über „Hitler the Killer“ - so wird der elfjährige liberianische Abraham von den erwachsenen Kämpfern genannt – der die Erwartungen an seinem Namen voll zu erfüllen scheint: „Manchmal wurde ihm befohlen, Männern die Augen herauszuschneiden. Er habe das getan, erzählt Abraham, und sein Vorgesetzter fügt hinzu, Kinder seien die besten Soldaten.“[17]
„Kriegsherren schicken die jüngsten Soldaten oft in die vorderste Kampflinien. Sie dienen als Schutzschilde, Lockvögel oder Gefahrenanzeiger. Man stellt sie an Straßensperren oder jagt sie in Minengürtel, eo sie verstümmelt oder zerfetzt werden.“[18] All diese Aufgaben erledigen sie ohne Widerspruch. Dazu führt offenkundig die Tatsache, dass diese zum Kämpfen lediglich Waffen und Drogen brauchen, wenn sie nicht ohnehin zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Reguläre Söldner oder Soldaten wollen finanziell versorgt werden und desertieren, wenn der wirtschaftliche Anreiz weg bricht bzw. sie sind nur äußerst schwer zum Kämpfen zu bewegen.
An der Rekrutierung von Kindersoldaten zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen Zivilist und Kombattant in diesem transnationalen Konflikten an Bedeutung verliert. Die zivilen Strukturen werden nun Teil des Kriegs, was zu einer Totalisierung des Konflikts führt. In modernen Konflikten sind somit wieder zum Großteil Zivilisten die Opfer[19]. Diese Gewaltform beraubt den Krieg eines weiteren Kriteriums Clausewitz’ – denn Krieg beginnt erst mit Verteidigung. Diese Privatisierung des Krieges führt schließlich dazu, dass die existierenden nationalen Grenzen immer weniger geachtet werden – sei es um die Gebiete jenseits des Staates als Rückzugsgebiet zu nutzen, die Einflusssphäre zu vergrößern oder auch zur finanziellen Bereicherung. Oftmals sind die Regierungen der betroffenen Länder auch nicht an einer Lösung des sich ausbreitenden Kriegszustandes interessiert, weil sie selbst an kriminellen Aktivitäten teilhaben, die im Schatten des Krieges stattfinden bzw. zumindest davon profitieren.
Asymmetrische Kriegsführung hat eine lange Tradition, z. B. wehrten sich die Spanier nach Partisanentaktik gegen die französische Besetzung, sodass die Guerilleros nach fünf Jahren (1814) das Gefecht für sich entscheiden konnten. Partisanenkrieg und Terrorismus sind die Waffen der Schwachen, die gegen einen sowohl quantitativ, als auch waffentechnisch weit überlegenen Gegner kämpfen. Terroristen und Partisanen haben dessen ungeachtet die entscheidenden Vorteile auf ihrer Seite – die Faktoren Raum und Zeit: Durch die ubiquitäre, permanente und allgegenwärtige Bedrohung, wird der Feind fortwährend demoralisiert[20]. Dadurch, dass die räumliche Differenzierung zwischen Front und Hinterland entfällt und sich das gesamte Territorium zur Front wandelt, stehen die regulär kämpfenden Truppen unter beständigem Druck. Durch dezentralisierte Strukturen und flache, indifferente Hierarchien ist der Partisan/Terrorist zu äußerst flexiblem Agieren in der Lage und durch die u. U. nicht vorhandene Strategie äußerst unberechenbar. Der Staat gerät besonders unter Druck, wenn ein solcher Konflikt längere Zeit und mit unverminderter Härte andauert: Entweder muss er mit äußerster Härte gegen die Guerilla vorgehen und riskiert dadurch - da sich der Partisan oder Terrorist in der Bevölkerung zu verstecken versucht -, dass die zivile Bevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Oder der Guerilla gewinnt die Überhand und kann den Staat auf diese Weise delegitimieren.
Diese Taktik nutzt der neue global agierenden Terrorist (z.B. Al-Qaida), der die Gestalt des Dritten[21], im Gegensatz zum Partisanen, für nicht weiter schützenswert erachtet, sondern gerade diesen zu treffen versucht, da diese am Verwundbarsten ist. Einem modernen demokratischen Staat, bleiben kaum Reaktionsmöglichkeiten, denn sein Handlungsspielraum ist äußerst eingeschränkt, was Gegengewalt und Kontrollmaßnahmen betrifft, da diese meistens eine eklatante Verletzung von Bürgerrechten darstellen. Der Terrorist nutzt ganz gezielt die beinahe unkontrollierbare mediale/kommunikative Infrastruktur des „Feindes“ im Bewusstsein dessen aus, dass deren Autonomie für eine demokratische Gesellschaft notwendig und damit unantastbar ist – ergo: Der gut getarnte Terrorist, der „Schläfer“, ist in einem demokratischen System präventiv kaum antastbar.
Neuer Terror beruht des weiteren auf der Strategie, den Tod des Attentäters einzukalkulieren, welcher schon bei den Assassinen Hassan-I-Sabbahs im 11. Jahrhundert als besonders ehrenhaft galt. Dies ermöglicht den Attentätern Anschläge ungeahnter Dimensionen, denn der schwierigste Teil eines Anschlags, ist die Flucht des Ausführenden, die nun entfällt. Der neue Terrorist sucht nur peripher nach Legitimation[22], denn er ist vom Faktor Boden entkoppelt und sieht Gewalt in dieser Form nicht als notwendige Zwischenstufe, wie Mao Tse-tung und Che Guevara , sondern als Zenit und Selbstzweck. Die terroristischen Anschläge verfolgen das Ziel, „bei minimalem Eigenaufwand dem Gegner einen maximalen Schaden zuzufügen. [… Sie] werden so geplant, dass die Druckwelle des Schreckens um ein vielfaches größer ist als die des zur Explosion gebrachten Sprengstoffs.“[23] Als Antagonist zum Rechtsstaat, der tendenziell abgebaut wird, erlebt der Nationalstaat seit dem 11.09.2001 eine ungeahnte Renaissance durch den Terrorismus, erkennbar an der nach den Anschlägen in den USA wogenden Patriotismuswelle.
[...]
[1] Mary Kaldor: Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung. Frankfurt a. M., 2000, S. 26.
[2] Ebd., S. 27.
[3] Andreas Herberg-Rothe: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt a. M., 2003, S. 24.
[4] Vgl. Herfried Münkler: Die Privatisierung des Krieges. Warlords, Terrornetzwerke und die Reaktion des Westens, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 1 (2003), S. 12f.
[5] Vgl. Kaldor, a. a. O., S. 32.
[6] Ebd., S. 220.
[7] Seit dem Zweiten Weltkrieg bis ins Jahr 2004 haben Kriege kaum zur Ziehung neuer Grenzen beigetragen; lediglich im Nahen Osten 1948/1949 kam es durch die Gründung des Staates Israel zur Veränderung des Grenzverlaufs (vgl. Martin van Creveld: Die Zukunft des Krieges. München, 1998, S. 41.).
[8] Die amerikanische Minuteman 3 trifft den Gegner bis zu einer Entfernung von 14.800km und die russische SS-11 Sego kann immerhin 13.000km entfernte Ziele erreichen. Praktisch unendlich wird die Reihweite durch die Transportmöglichkeit solcher Raketen auf U-Booten (z.B. das amerikanische Trident C-5-System mit 12.500km Reichweite) bzw. durch den geplanten Abschuss von Basen im Weltraum (Ballistic Missiles by Range. Online im Internet, URL http://www.cdiss.org/btablec.htm.).
[9] van Creveld, a. a. O., S. 301.
[10] van Creveld, a. a. O., S. 300.
[11] Christopher Daase: Das humanitäre Völkerrecht und der Wandel des Krieges, in: Humanitäres Völkerrecht. Politische, rechtliche und strafgerichtliche Dimensionen. Jana Hasse, Erwin Müller, u. a.. Demokratie, Sicherheit, Friede. Frieden durch Recht. Band 133. Baden-Baden, 2001, S. 136f.
[12] Vgl. Regina Bauer, Paul Glass u. a.: (13.07.2002): Der "Leuchtende Pfad" von Peru. Online im Internet, URL http://www.hls.sha.bw.schule.de/konflikt/peru/peru.htm.
[13] Willi Germund: Separatisten oder bloß Banditen? Mehr als 100 aufständische Muslime im Süden Thailands getötet/Regierung schürt Spannungen, in: Badische Zeitung Nr. 99 / 29.04.04 (Jg. 59), S. 6.
[14] „Es wird geschätzt, dass die Zahl der Kinder, die als Soldat ihren Dienst tun, heute bei rund 300.000 liegt. Das jüngste registrierte Kind ist sieben Jahre alt, die meisten der unter fünfzehnjährigen sind in nichtstaatlichen Organisationen zu finden.“ (Christine Kreuzer: Kinder in bewaffneten Konflikten, in: Humanitäres Völkerrecht. Politische, rechtliche und strafgerichtliche Dimensionen. Jana Hasse, Erwin Müller, u. a. (Hrsg). Demokratie, Sicherheit, Friede. Frieden durch Recht. Band 133. Baden-Baden, 2001, S. 306.)
[15] Münkler, Privatisierung Krieg, a. a. O., S. 13.
[16] Vgl. Birgit Virnich und Bartholomäus Grill: Krieg der Kinder, in: Die Zeit 28.08.2003/Nr. 36, S. 14.
[17] Herberg-Rothe, a. a. O., S. 75.
[18] Virnich, a. a. O., S. 14.
[19] Das Verhältnis getötete Zivilisten zu aktiven Kriegsteilnehmern hat sich vom Anfang des Jahrhunderts bis heute nahezu umgekehrt. War es 1918 noch ein Rate von 1:10, liegt diese heute bei etwa 8-10:1 (Vgl. Erhard Eppler: Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt. Die Privatisierung und Kommerzialisierung von Gewalt. Frankfurt a. M., 2002, S. 60.).
[20] Vgl. Münkler, Privatisierung Krieg, a. a. O., S. 25f.
[21] Eben die Person, die potenziell die Weltanschauung und Einstellung des Freischärlers teilt und die auf keinen Fall in den Konflikt mit einbezogen werden darf.
[22] Diese ist größtenteils a priori gegeben und ergibt sich weniger aus direkten Zwängen, als überwiegend aus der Vorstellungen der Existenz post-mortem, z.B. bei radikalen Islamisten, aber ebenso bei Sekten, wie den Davidianern oder Aum.
[23] Münkler, Privatisierung Krieg, a. a. O., S. 16.
- Citar trabajo
- Philip Baum (Autor), 2004, Das Chamäleon 'Krieg' - Privatisierung und Kommerzialisierung von Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert und die Konsequenzen für Nationalstaat und Weltpolitik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41525
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