Inwieweit ist der (kommerzielle) Wert eines Werkes abhängig vom Künstler/der Künstlerin? Was determiniert den Preis von Kunstwerken? Ist der Preis ein geeignetes Qualitätsmerkmal? Ich versuche diese Fragen zu beantworten, indem ich mich mit verschiedenen Bereichen der Kunsttheorie, -geschichte und des Kunstmarktes auseinandersetze. Zunächst werde ich dafür auf wichtige Begriffe eingehen. Die Definition von Kunst wird einen besonderen Rahmen einnehmen, da der Begriff „Kunst“ allein schon ein Thema für philosophische Diskurse ist.
Dennoch werde ich versuchen, eine allgemeine Auffassung des Begriffes abzudecken, welcher im Rahmen der Arbeit relevant ist. Darauffolgend werde ich die Geschichte des Künstlers/der Künstlerin von dem/der Handwerker/in zur Marke skizzieren, da diese einen wichtigen Hintergrund für die Auffassung von Künstler/innen liefert. Hieran schließen sich ausgewählte kunsttheoretisch Ansätze, die einerseits für die Definition von Kunst, andererseits auch für andere Aspekte des Kunstsystems und der Auffassung von Kunstwerken, sowohl in formaler wie inhaltlicher Hinsicht, wichtig sind. Anschließend soll erläutert werden, wie sich der kommerzielle Wert von Kunstwerken zusammensetzt, und weshalb es wichtig ist, die Bestandteile und Teilnehmer des Kunstmarktes, sowie deren Motive zu beleuchten.
Dieser kommerzielle Aspekt soll schließlich die Verknüpfung zur Auseinandersetzung mit der These bilden, inwiefern es gerechtfertigt ist, den Preis eines Kunstwerks als Qualitätsmerkmal heranzuziehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition wichtiger Begriffe
2.1 Wert
2.2 Kunst
3 Kunsthistorischer Exkurs
3.1 Der*die Kunstler*in - von dem*der Handwerker*in uber den*die geniale*n Schopfer*in zur Marke
3.2 Arten von Kunstler*innen und die Erweiterung der Kunst
3.2.1 Marcel Duchamp: Readymades
3.2.2 Joseph Kosuth - Konzeptkunst
3.2.3 FLUXUS und der Tod des Autors*der Autorin
3.2.4 Joseph Beuys
3.2.5 Andy Warhol - Kunst, Konsum, Kommerz
4 Vom Kunstmarkt und dem kommerziellen Wert der Kunst
4.1 DerPreis
4.1.1 Provenienz
4.1.2 Original - Falschung - Kopie
4.1.3 Zustand
4.1.4 AsthetischeBewertung
4.1.5 Angebot und Nachfrage
4.2 Kunst und Geld
4.2.1 Kunst als Investment und Spekulationsobjekt
4.2.2 Kunst als Statussymbol
4.2.3 Kunst als Representation
4.3 Der*die Handler*in
4.4 Der*die Sammler*in
4.5 Das Museum
4.6 Kunstkritik
4.6.1 Bedeutung von Kritik
4.6.2 1st Kunstkritik tot? Ein kurzer Diskurs
4.6.3 Probleme von Kunstkritik
4.7 Der*die Kunstler*in im Kunstmarkt
5 Fazit: derPreis als Qualitatsmerkmal?
6 Literatur
1 Einleitung
Zwei Ereignisse der jungeren Vergangenheit haben mein Interesse geweckt und Fragen nach dem Wert und der preislichen Einordnung von Kunstwerken aufgeworfen:
Im November 2017 fand eine schon jetzt legendar gewordene, gerade einmal zwanzig Minu- ten dauernde Auktion im Hause Christie's statt, in dessen Rahmen ein Bild von Leonardo da Vinci fur die Rekordsumme von knapp 450 Millionen Dollar versteigert wurde (Zeit Online 2017). Mit „Salvator Mundi“, so der Titel des Werks, ist nach Angaben von Christie's nun auch das letzte Bild von da Vinci in Privatbesitz. Besonders interessant ist jedoch nicht unbe- dingt das Bild an sich, sondern sein kunsthistorischer Hintergrund. Das ca. 500 Jahre alte Bild gait zunachst als verschollen oder zerstort, ehe man es wieder entdeckte. Expert*innen gingen seitdem davon aus, dass es sich nicht um ein Original von da Vinci handelte, sondern eher eine Arbeit oder Kopie einer seiner Schuler*innen sei. Aus diesem Grund wurde es zunachst fur nur 45 Pfund im Jahre 1958 verkauft. 2005 wurde es jedoch erneut eingeschatzt und als echt eingestuft. Im Zuge dessen wurde es so stark restauriert, da es ernste Beschadigungen aufwies, dass man heute die Echtheit nicht mehr zweifelsfrei bestimmen kann (vgl. ebd.). Christie's inszenierte die Auktion gekonnt, bewarb das Bild als ,,Der letzte da Vinci“ in einer groB angelegten Medienkampagne und fuhrte es erstaunlicherweise unter Nachkriegs- und Gegenwartskunst; wohl ein Faktor, warum es zu ebendieser Rekordsumme kam (vgl. Weiss 2017).
Das nachste Ereignis liegt nun schon einige Zeit zuruck. Wolfgang Beltracchi, dem wohl be- kanntesten Kunstfalscher der letzten Jahre, gelang es uber Jahrzehnte hinweg Bilder bekann- ter Meister*innen, darunter Heinrich Campendonk, Max Pechstein, Max Ernst, Andre Derain, Marcoussis, Picasso und viele mehr, zu falschen und als solche unerkannt sehr gewinnbrin- gend zu vertreiben. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist mehr als spannend und faszinie- rend, gewahrt sie doch Einblick in das Wesen der Kunst, der Kunstler*innen, aber auch besonders des Kunstmarkts. Beltracchi schuf die Bilder teils nach Abbildungen verschollener Originale, teils, und das ist meiner Meinung nach die groBte Leistung, aus eigener Kreativitat, indem er die Handschrift und Motive der Kunstler*innen ubernahm und so deren Werk fort- setzte. Dabei achtete er penibel auf die Zusammensetzung der Materialien, die er verwendete, damit die Falschung als solche nicht zu erkennen ist. Vorerst mit Erfolg: Er inszenierte die Bilder mit solch einer perfekten Technik, simulierte gekonnt den Alterungsprozess und die Provenienz mithilfe seiner Frau, die sich unter anderem als GroBmutter Jagers in gestellten Bildern ausgab, und gefalschten Galerist*innen und Galeriestempeln, dass es ihm gelang, selbst gestandene und hoch angesehene Kunstexpert*innen zu tauschen und deren Expertise zu erlangen. Durch diese Falschungen erwirtschaftete Beltracchi mehrere Millionen Euro. 2010 wurde er dann anhand chemischer Verfahren uberfuhrt und zu einer sechsjahrigen Haft- strafe verurteilt. Seine Frau Helene wurde zu vier Jahren verurteilt. Beide konnten die Strafe in einem offenen Vollzug verbuBen. Auch wenn sein Handeln juristisch einer Straftat gleich- kommt, so weckt die kunstlerische Fertigkeit seines Schaffens mein Interesse: das Studieren von kunstlerischen Stilen und die Fortfuhrung eines Gesamtwerkes, ohne Vorlagen und Originate erscheint mir, losgelost von juristischen Rahmenbedingungen und ethisch-moralischen Anspruchen, als eine eigenstandige, kunstlerische Strategic, die als solche eine gewisse kunst- geschichtliche Vergangenheit aufweisen kann. Umso mehr verwundert mich die Reaktion des Kunstmarkts und der Kaufer*innen auf die Falschungen, die erst durch die nachgeahmte Un- terschrift zu solchen wurden. Einerseits ist es verstandlich, dass man erbost ist, wenn man ein Werk in einer vermeintlichen Gewissheit kauft, und es sich in einem spateren Moment als et- was ganzlich anderes, eine Falschung herausstellt. Andererseits haben die Bilder offensicht- lich eine enorme und authentische Wirkung, wenn auch unter anderem Namen.
Der Name des Kunstlers*der Kunstlerin scheint in beiden Fallen einen groBen Einfluss auf die Bewertung der Werke zu haben. Er steht im Vordergrund und scheint den Wert von Kunst zu determinieren. Deutlich zu erkennen an da Vinci: als Kopie eines Schulers*einer Schulerin zunachst nur 45 Pfund wert, steigert sich sein Preis ins unermessliche als vermeintliches Original. Bei Beltracchi ist diese Einschatzung noch deutlicher zu verfolgen, da die Werke, wel- che zuvor fur mehrere Millionen Euro verkauft wurden, nun als Falschung nichts mehr wert zu sein scheinen. Die Qualitat des Bildes hat sich nicht geandert, lediglich der Name ist ein anderer. Fur aufstrebende Kunstler*innen scheint mir dies eine sehr groBe Hurde zu sein. Aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass es sehr schwer ist, die eigenen Werke offentlich aus- zustellen und somit einem breiteren Publikum zuganglich zu machen, da viele Galerien nur namhafte und bekannte Kunstler*innen ankaufen und ausstellen wollen. Auch dies scheint im ersten Moment verstandlich, schlieBlich ziehen groBe Namen ein groBeres Publikum an, und damit steigt der Profit fur Galerien, Kunstler*innen und Museen. Doch das Problem bleibt das gleiche: Der Wert der Kunst, die innewohnende Wirkung, wird vom Bekanntheitsgrad des Kunstlers*der Kunstlerin anscheinend uberdeckt.
In folgender Arbeit mochte ich mich mit dieser These auseinandersetzen und dabei fur mich wichtige Fragen beantworten. Inwieweit ist der (kommerzielle) Wert eines Werkes abhangig vom Kunstler*der Kunstlerin? Was determiniert den Preis von Kunstwerken? 1st der Preis ein geeignetes Qualitatsmerkmal?
Ich versuche diese Fragen zu beantworten, indem ich mich mit verschiedenen Bereichen der Kunsttheorie, -geschichte und des Kunstmarktes auseinandersetze. Zunachst werde ich dafur auf wichtige Begriffe eingehen. Die Definition von Kunst wird einen besonderen Rahmen ein- nehmen, da der Begriff „Kunst“ allein schon ein Thema fur philosophische Diskurse ist. Den- noch werde ich versuchen, eine allgemeine Auffassung des Begriffes abzudecken, welcher im Rahmen der Arbeit relevant ist. Darauffolgend werde ich die Geschichte des Kunstlers*der Kunstlerin von dem*der Handwerker*in zur Marke skizzieren, da diese einen wichtigen Hin- tergrund fur die Auffassung von Kunstler*innen liefert. Hieran schlieBen sich ausgewahlte kunsttheoretisch Ansatze, die einerseits fur die Definition von Kunst, andererseits auch fur an- dere Aspekte des Kunstsystems und der Auffassung von Kunstwerken, sowohl in formaler wie inhaltlicher Hinsicht, wichtig sind. AnschlieBend soil erlautert werden, wie sich der kommerzielle Wert von Kunstwerken zusammensetzt, und weshalb es wichtig ist, die Bestandteile und Teilnehmer des Kunstmarktes, sowie deren Motive zu beleuchten. Dieser kommerzielle Aspekt soil schlieBlich die Verknupfung zur Auseinandersetzung mit der These bilden, inwie- fern es gerechtfertigt ist, den Preis eines Kunstwerks als Qualitatsmerkmal heranzuziehen.
2 Definition wichtiger Begriffe
2.1 Wert
Der Begriff „Wert“ ist nicht einfach zu bestimmen. Werte kommen in der Mathematik, der Okonomie und der Ethik bzw. dem gesellschaftlichen Zusammenleben vor, und alle haben in ihrem Kern eines gemeinsam: sie bilden eine gewisse Messung oder ein Verhaltnis ab. Grund- legend handelt es sich also um das Ergebnis eines vergleichenden Vorgehens.
Werte in wirtschaftlicher Hinsicht werden oftmals gleichgesetzt mit dem Preis. Sie sollen da- bei als eine messbare BezugsgroBe dienen, um die Bedeutung von Gutem/Waren, besonders im Vergleich zu anderen Gutern, zu messen. Nach Marx unterscheidet man zwischen dem Ge- brauchswert und okonomischen Wert, welcher sich nach der Arbeitswerttheorie daran bemisst, welche Arbeitszeit in die Produktion einer Ware investiert wurde. D.h. die investierte „ab- strakte“ Arbeit bildet die Grundlage fur den Wert eines Produkts (vgl. Marx 1957, S. 43). Der Gebrauchswert steht dabei fur die eigentliche Funktion der Ware, seine Nutzlichkeit zur Be- friedigung von Bedurfnissen, und kann sich von Person zu Person unterscheiden (vgl. Marx 1957, S. 40). Eine Ware an sich hat dabei keine Wertgegenstandlichkeit, also ein Produkt an sich keinen „Wert“ (vgl. ebd. S. 42), sondem gewinnt diesen erst im Verhaltnis zu anderen Waren, also im Austausch. Daraus folgt, dass der okonomische Wert jedoch nur in einer Ge- sellschaft eine Rolle spielt, in der Waren getauscht werden. Aus diesem Wert leitet sich der Tauschwert ab, welcher den Wert konstituiert, mit dem Preis oder der Menge Geld gleichgesetzt werden kann.
Betrachtet man Kunst und in diesem Zusammenhang den Wert, so denkt man zwangslaufig u.a. an asthetische und kulturelle Werte. Insofern ist der Wert gleichbedeutend mit der Funktion, welche an sich einen Gebrauchswert im weiteren Sinne darstellen kann. Da ich in der fol- genden Arbeit jedoch nicht auf die grundsatzlichen Funktionen und Qualitatskriterien einge- hen mochte, sondem ich mich vor allem auf die okonomischen Werte beziehen werde, sollen diese hier nur am Rande erwahnt werden:
Kunst ermoglicht asthetische Erfahrungen, wobei Asthetik ein sehr weiter Begriff ist. Der Begriff meint eigentlich „sinnliche Wahmehmung“ oder „Erkenntnis“, abgleitet aus dem Grie- chischen, und umfasst als philosophische Disziplin, im 18. Jahrhundert durch Alexander Gottlieb Baumgarten begrundet, alle Arten von Wahmehmungen. Damit ist sie nicht nur auf das Schone begrenzt (vgl. Fenner 2013). Da auch die Welt asthetische Erfahrungen bieten kann, ist diese Funktion fur die Kunst nicht konstitutiv, und wird daher durch die kunstspezifische „kunstasthetische Funktion“ erganzt (vgl. Bahr 2013). ,,Die wichtigste Kunstfunktion durfte die Funktion sein, ,eine bestimmte asthetische Erfahrung hervorzurufen, die sich von der as- thetischen Erfahrung, die andere Sinnesdinge hervorrufen, in spezieller Weise unterscheidet. Man hat die spezifische asthetische Erfahrung von Kunst zum Beispiel als eine asthetische Erfahrung zu fassen gesucht, die in ein Verstehen einmunden kann und will, das niemals defini- tiv gelingt'“ (ebd.). Diese Funktion verkorpert jedes Kunstwerk und ist damit konstitutiv. Ne- ben diesen internen, subjektiven Funktionen der Kunst, die zu ihrem Wert beitragen, kommen aber auch externe, soziale und kulturelle Funktionen, wie Representation oder Status (s. Kapi- tel 4.4.4 und 4.2.3.).
Der kulturelle Wert ist dabei abhangig von einer kulturellen Wertehierarchie, wonach alle Be- standteile einer Kultur auch einen gewissen Wert haben (vgl. Groys 2002, S. 55). Diese Hierarchic wird von einem strukturierten kulturellen Gedachtnis gebildet, beispielsweise in Form von Museen oder Archiven, dessen Aufgabe es ist, veraltete und irrelevante Kulturmuster zu entfernen, und neue, relevante Bestandteile aufzunehmen (vgl. ebd.). Das Neue wird bevor- zugt, weil es sich vom Alten unterscheidet. Damit geht eine Umwertung einher: Profane, also bisher nicht vom Archiv erfasste Dinge, werden in einem valorisierenden Prozess mit den be- stehenden kulturellen Werten verglichen und aufgewertet, wohingegen bestehende kulturelle Werte herabgesetzt werden (vgl. ebd. S. 56). Ein Beispiel dafur sind die Readymades von Duchamp (s. Kapitel 3.2.1.). Die Innovation, das Neue, wird jedoch nur aufgewertet, wenn es der okonomischen Logik folgt (vgl. ebd. S.63), wobei Okonomie einen „Handel mit Werten innerhalb bestimmter Werthierarchien meint“ (ebd., S.14). Dies ist der Fall, wenn die Innovation die bestehenden kulturellen Werte nicht abwertet und somit zum Fortbestand der Kultur beitragt (vgl. ebd., S. 63-65). Demnach ist die „Frage nach dem Wert eines Werkes [...] also eine Frage nach seinem Verhaltnis zur Tradition und zu den anderen kulturellen Werken“ (ebd., S.18).
Im Folgenden spielen bei der Betrachtung der Werte von Kunst vor allem kommerzielle/oko- nomische Werte eine Rolle und sind in erster Linie gleichzusetzen mit dem Preis. Die Frage- leitung der Arbeit geht dabei vor allem auf die Zusammensetzung und Rechtfertigung eben- dieser Preise ein, die fur Kunstwerke gezahlt werden und als Untersuchungsobjekt dienen. Dennoch sollen dabei auch andere Werte eine Rolle spielen, wie beispielsweise gesellschaftli- che und kulturelle Werte. Die jeweiligen Wertesysteme werden daher in den folgenden Ab- schnitten dezidiert benannt.
2.2 Kunst
Fur das Wort „Kunst“ gibt es mindestens so viele Definitionen, wie es Kunstler*innen gibt. Fast jede*r moderne Kunstler*in hat eine eigene Auffassung von dem Begriff, und genauso hat wohl auch jede*r Nicht-Kunstler*in eine ganz eigene Vorstellung von dem, was Kunst und Nicht-Kunst ist. Den Begriff zu definieren ist eine nahezu unmogliche Aufgabe, da sich die Kunst und die kunstlerischen Strategien unaufhaltsam im Wandel befinden, wie die folgenden Abschnitte zeigen werden. Jede Generation, jede Zeit hat ihre eigene Kunst. Besonders nach dem Dadaismus, nach den Readymades von Duchamp und nach Beuys wurde der Begriff „Kunst“ um so viele Facetten erweitert, dass er letztlich alles umfassen kann. Ich mochte da- her im Folgenden nicht versuchen, eine allgemeingultige Definition von Kunst zu finden, son- dern Eckpunkte abstecken, innerhalb derer sich eine Vorstellung von Kunst bewegen kann, die im Rahmen dieser Arbeit gultig ist.
Die heutige Auffassung von Kunst ist historisch gewachsen. Angefangen in der Antike liefert Platons Philosophic eine erste Definition von Kunst und ihrer Qualitat: Sein Hohlengleichnis besagt, dass das sinnlich Wahrnehmbare letztlich nur ein Abbild oder Schatten der eigentli- chen Wirklichkeit, des Wesens der Dinge sei. Fur Platon ist die Kunst nur ein Abbild des Ab- bilds, wodurch sich der*die Betrachter*in noch weiter von der eigentlichen Wirklichkeit ent- femt, und daher von ihm kategorisch abgelehnt wird. Dennoch liefert er zugleich ein Quali- tatsmerkmal von Kunst: Etwas ist fur ihn Kunst, wenn es dem Abbild der Wirklichkeit besonders nahe kommt (vgl. Merten 2006, S. 11). Hierbei schimmert das naturalistische Bestreben der antiken Kunst durch. Auch findet man hier eine These, die immer wieder auftaucht, wenn es um Kunst geht: Kunst kommt von Konnen. Eine weitere Sichtweise fugt Aristoteles hinzu. Fur ihn gehort zur Kunst nicht nur die moglichst genaue Abbildung der Wirklichkeit, sondern auch die Wiedergabe des Wesens des abgebildeten Objekts, um es so zu charakterisieren (vgl. ebd.). Des Weiteren setzt sich schon Aristoteles fur „freiere“ Kunste ein, also Kunst, die nicht an feste Regeln gebunden ist, da sie so der Gleichformigkeit und Langeweile vorbeugen kann (vgl. TrebeB 2006, S. 218). Diese beiden Ansichten der Kunst, sowohl getrennt als auch kom- biniert, lassen sich auch heute noch so vemehmen und bilden Qualitatskriterien fur Kunst, welche sich am ehesten als Zusammenspiel von Inhalt und Form ubersetzen lassen und damit die Basis fur die formalistische Kunst und Kritik bilden.
„Einen verbindlichen K.[unst]begriff, der alle K.[unst]e auf ein gemeinsames Prinzip zuruck- fuhren soil, entwickelt demgegenuber der burgerliche K.[unst]diskurs des 18. J[ahr]h. [undert]s. Als K.[unst] soil gelten, was frei von alien Zwecken und mit subjektivem Wohlge-fallen wahrgenommen wird“ (TrebeB 2006, S. 217). Sie werden vor allem als Befriedigung asthetischer Bedurfnisse aufgefasst und grenzen sich somit von der auBerasthetischen Gegen- standswelt ab. Bedeutend ist hierbei vor allem die attestierte „Zwecklosigkeit“ von Kunst, die auch im 20. Jahrhundert noch von Kunstler*innen wie Marcel Duchamp proklamiert wird. Gemeint ist hiermit die Selbstzweckhaftigkeit der Kunst, da sie durchaus gewisse Funktionen, wie die Befriedigung asthetischer und geistiger Bedurfnisse, verfolgen kann.
Bis zum 20. Jahrhundert beschrankt sich das Kunstschaffen groBtenteils auf den Nachah- mungsaspekt, welcher diesen Kriterien unterworfen ist. Kunst soil entweder exakt abbilden oder eine idealisierte Abbildung bewirken (vgl. Merten 2006, S. 11). Mit Anfang des 20. Jahr- hunderts ruckt dieser Aspekt zunehmend in den Hintergrund, da die Fotografie die Abbildung der Wirklichkeit wesentlich exakter ubemehmen kann. Zu dem nachbildenden Aspekt kommt unter Kandinsky die Abstraktion und die damit einhergehende „Vergeistigung“ der Kunst, welche nun fur Interpretationen offen ist. Fur Kandinsky ist Kunst nur dann Kunst, wenn sie die Geistigkeit anregt (vgl. Merten 2006, S. 12). Auf Basis der im fruhen 20. Jahrhundert ein- gefuhrten Pluralitat der Objekte, die als Kunst gelten konnen, formulierte Umberto Eco seine Theorie uber das „offene Kunstwerk“ als Konzept der „Beteiligung des Rezipienten an der Generierung des Kunstwerks“ (Schalk 2002, S. 1). „,Offenheit' wird als zentrale asthetische Kategorie der modernen Kunst ausgewiesen. Moderne Kunstwerke transportieren keinen ein- deutigen ,Sinn', der vom Rezipienten lediglich passiv aufgenommen wird, sondern gewinnen injeder Interpretation eine je eigene ,Bedeutung'“(ebd.).
Marcel Duchamp und Andy Warhol sorgen ebenfalls dafur, dass der Kunstbegriff erweitert wird. Durch die Readymades und Warhols Boxen und Suppendosen werden nun auch Alltags- gegenstande in den kunstlerischen Kontext gebracht und als Kunstwerke wahrgenommen. Al- les kann Kunst werden. Nach dem amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto wird aber nicht automatisch alles gleich zur Kunst; Kunstwerke sind immer ,,uber etwas“, wohingegen alltagliche Gegenstande dies nicht sind. Dadurch, dass sie in einen neuen Kontext gestellt werden, sagen sie etwas uber etwas aus und ermoglichen somit einen neuen Blick. Wichtig ist auch hier der Interpretationsaspekt: „Lasst ein Gegenstand keine Interpretation zu, so kann er keine Kunst sein“ (Merten 2006, S. 13). Ahnlich sieht es auch Patrick Werkner: Die folgenden kunstlerischen Strategien und Bewegungen beschaftigten sich zudem u.a. damit, die Grenze zwischen Leben und Kunst zu uberschreiten. Dennoch sei dies „irrefuhrend“ und „hatte das Ende der Kunst bedeutet“ (Werkner 2007, Seite 188). Die Materialien, die innerhalb jener Stromungen verwendet wurden, werden weiterhin vom Kunstsystem absorbiert und aufbe- wahrt, beispielsweise im Museum. Damit sind sie „sauberlich getrennt vom ,Leben', wenn darunter der profane Alltag verstanden wird.“ (Werkner 2007, Seite 188-189). Laut Werkner ist Kunst also losgelost vom Alltagsleben. Ebenso sieht es auch Boris Groys, wenn er schreibt, dass Kunst sich vom Profanen unterscheidet (vgl. Groys 2008, S. 31) und das Museum letzt- lich einen Gegenstand zu einem Kunstwerk erhebt, weil es ihn von der Alltagswelt trennt (ebd.).
Kunst wird Kunst, wenn sie als solche eingestuft wird. Nach Willi Bongard: „Kunst ist ein gesellschaftliches Phanomen, Kunst ist eine soziale Ubereinkunft - Kunst ist, was im Be- wusstsein einiger Weniger, die sich damit befassen, als Kunst angesehen wird“ (Werkner 2007, Seite 188-189). Das Problematische an dieser Ansicht ist, dass diese Definition unmog- lich allgemeingultigen Charakter haben kann, wenn die Entscheidungshoheit bei einer sich mit Kunst beschaftigenden Elite liegt. Nicht konforme Einschatzungen werden dabei auBer Acht gelassen, wodurch der subjektive Charakter, der der Betrachtung von Kunstwerken inne- wohnt, verloren geht. Das Urteil daruber, was als Kunst verstanden wird, oder was gute und was schlechte Kunst ist, kann jedoch immer nur ein vorlaufiges sein, da sich alle Teilnehmer*innen des Kunstmarktes auch irren konnen (vgl. Groys 2008, S. 6 f.). Wird schlechte Kunst neu bewertet oder entdeckt, heiBt es in letzter Konsequenz, dass sie in das re- gulare Kunstsystem eingegliedert wird. Des Weiteren muss konstatiert werden, „dass sich die modemen K.[unst]institutionen nach den Gesetzen der neuzeitlichen Marktwirtschaft organi- sieren und insofern zur Kapitalisierung des K.[unst]betriebs beitragen“ (TrebeB 2006, S. 219). Das Verhaltnis der Geschmacksbildung zwischen Kunstmarkt, Sammler*innen, und dem Pu- blikum ist letztlich nicht klar zu beschreiben und umstritten (vgl. ebd.).
Versucht man Kunst in Kategorien wie Malerei, Plastik/Skulptur, Poesie, Film, etc. zu fassen, wird man ebenfalls schnell an Grenzen stoBen, da sich ebenjene Gattungen im Laufe der Zeit massiv weiterentwickelt und miteinander vermischt haben. „Mit der Ablosung normativer as- thetischer Standards durch ein pluraleres K.[unst]verstandnis scheint sich auch ein nach Gat- tungsmerkmalen und hierarchischen Wirkungspotentialen strukturiertes System der K.[unst]e uberholt zu haben“ (TrebeB 2006, S. 217). Vor allem die zeitgenossische Kunst hat, wie die folgenden Kapitel zeigen werden, zur Korrektur der bisher genannten Kunsttheorien gefuhrt.
Als zeitgenossische Kunst versteht man in der Regel keine einheitliche Kunstrichtung, son- dern vielmehr eine Vielzahl von Stilen, die meist mit dem Einsetzen des abstrakten Expressio- nismus ab 1945 bis in die Gegenwart festgesetzt wird. Pommerehne und Frey ordnen dieser Kategorie nur bildende Kunst zu, welche sich als Hoch- bzw. Museumskunst prasentiert, und sich somit von Kaufhaus- und Trivialkunst abhebt (vgl. Merten, S. 16). Bildende Kunst geht dabei auf abbildende Kunst zuruck und meint vor allem eine zusammenfassende Bezeichnung fur Malerei, Bildhauerei, Grafik und Kunsthandwerk. Im weitesten Sinne umfasst der Begriff zusatzlich die Bereiche Architektur und (kunstlerische) Fotografie (vgl. Brockhaus 2010, S. 776). Im Allgemeinen unterscheidet man demgegenuber die darstellende Kunst, also Schau- spiel, Tanz und Pantomime, teils auch Film (vgl. ebd. S. 1388).
Im Laufe der kunstlerischen Entwicklung, vor allem unter Einbeziehung von Aktions-, Performance- und Videokunst, lassen sich aber auch hier keine klaren Unterscheidungen mehr tref- fen. Kunst ist pluralistisch und in ihrer Struktur haufig gegensatzlich und widerspruchlich (vgl. Groys 2008, S. 1 f.). Kunst ist aber nicht nur gleichbedeutend mit dem Ergebnis, dem materiellen Kunstwerk, sondern wurde mittlerweile um den kunstlerischen Prozess erweitert, welcher in sich selbst als Kunst angesehen werden kann, sowie ein Kunstwerk auch nicht mehr ausgefuhrt werden muss (s. Konzeptkunst).
Der im Rahmen dieser Arbeit von mir angedachte Begriff von Kunst grundet sich auf den hier dargestellten Definitionen und Sichtweisen zu zeitgenossischer Kunst, wobei keine gezielte Unterscheidung zwischen bildender und darstellender Kunst getroffen wird, da diese praktisch nicht mehr existiert. Zeitgenossische Kunst soil heiBen: Kunst, die nach 1945 entstanden ist und auch gegenwartig produziert wird, und vom bestehenden Kunstsystem (Kunstler*innen, Kurator*innen, Kritiker*innen, Museen, Galerien, Kunstinstitutionen und -messen) als solche anerkannt wird. Dies gilt auch fur den allgemeinen Kunstbegriff, begrundet auf der sozialen Ubereinkunft des Kunstsystems, welcher demnach auch nicht-zeitgenossische Kunst, so etwa Leonardo da Vinci, oder eben auch Duchamps Readymades, welche zeitlich vor 1945 begrundet wurden, umfasst. Spezifische kunsttheoretische Positionen, die unter diesem hier definier- ten Kunstbegriff subsumiert werden, erfahren in dem folgenden kunsthistorischen Exkurs eine Erlauterung.
3 Kunsthistorischer Exkurs
3.1 Der*die Kunstler*in - von dem*der Handwerker*in uber den*die geniale*n Schopfer*in zurMarke
Kunstler*innen waren nicht immer Kunstler*innen in unserem heutigen Sinne. Kunst, speziell Malerei und Bildhauerei, gait in der Antike als eine der sogenannten „artes mechanicae“, den mechanischen Kunsten, zu denen auch Weberei, Tischlerei und Ackerbau gehorten. Kunstler*innen waren also ursprunglich Handwerker*innen.
Im Mittelalter waren Maler*innen und Bildhauer*innen, wie andere Handwerker*innen auch, im Zunftwesen organisiert. Diese Zunfte regelten die Ausbildung, Rechtsprechung und, aus heutiger Sicht besonders interessant, die Einhaltung formaler Normen. Ebenso waren sie preislich gebunden an handwerkliche Eigenschaften, wie „Format, Anzahl der dargestellten Figuren, Wert der verwendeten Farben und anderen Materialien“ (Krieger 2007, S. 13). In- haltliche und gestalterische Vorgaben wurden zu jener Zeit vertraglich vor Anfertigung festge- legt und von den Auftraggeber*innen diktiert. Damit waren Kunstler*innen tatsachlich nur mit der handwerklichen Ausfuhrung einer vorgegebenen Gestaltungsaufgabe betreut. Die so- ziale Anerkennung stieg uber die Jahre, sodass vor allem Architekt*innen damit begannen, „Initialen oder Konterfeis an geeigneter Stelle anzubringen und damit ihr Werk zu signieren“ (Krieger 2007, S. 14). Der Drang nach Selbstdarstellung wuchs uber die Jahrhunderte und kulminierte gegen Ende des 15. Jahrhunderts in den ersten autonomen Selbstbildnissen, was bedeutet, dass diese Selbstdarstellung das zentrale Bildthema ausfullten. Mit Aufkommen des Personenkultes begannen nun auch ,,die humanistischen Gelehrten im 14. Jahrhundert, Bio- grafien bedeutender Personlichkeiten, der ,viri illustri' zu verfassen“ (Krieger 2007, S. 15). Zu ebenjenen gesellten sich alsbald Kunstler*innen. Giorgio Vasari, der Begrunder der Kunst- geschichtsschreibung, verfasste um 1550 das mehrere Bande umfassende Werk ,,Le vite de1 piu eccelenti pittori scultori e archittetori“, welches ausfuhrliche Biografien vieler Kunst- ler*innen, Bildhauer*innen und Architekt*innen umfasste.
Eine bedeutende Wende markierte die Entdeckung der Zentralperspektive durch Filippo Brunelleschi, welcher die Kunst wissenschaftlich fundierte und diese mathematisch begrundete. Damit trug er zur Intellektualisierung der Kunst bei. Hiermit ging die Forderung von Leone Battista Alberti einher, „nicht nur eine Verwissenschaftlichung der Tatigkeit und Kompetenzen des Malers“ (Krieger 2007, S. 17) zu verlangen, sondern auch das bisher nur Furst*innen und Herrscher*innen zugestandene Leitbild des „uomo universale“, also des all- gemein gebildeten Menschen, auf die Kunstler*innen auszuweiten und diesen mehr Ruhm zu- zugestehen. Generell fand ein Paradigmenwechsel statt von der Handarbeit zu einer intellek- tuellen Arbeit; und dies sollte sich auch im Preis fur die Kunst niederschlagen. Kunstler*innen sollten nun nicht mehr nur nach der Zeit, die sie fur ein Kunstwerk aufbrachten, bezahlt wer- den, sondern auch nach ihrem Konnen und ihrer Kenntnis. Oberste Maxime sollte jedoch die Bescheidenheit der Kunstschaffenden bleiben: Nicht nur Ruhm und Geld sollten angestrebt werden, sondern auch eine hohe Qualitat der Arbeiten und ein Ausbau der Expertise. Als Ver- korperung ebenjener Forderungen trat Leonardo da Vinci auf, welcher seinerseits erklarte, dass Kunstler*innen uber wissenschaftliche Kenntnisse verfugen mussen, die sich nicht in reiner Naturbeobachtung erschopften, sondern auch der theoretischen Kenntnisse bedurften. Auf dieser Grundlage war die Schaffung von Institutionen, wie der Kunstakademie, eine notwen- dig gewordene Konsequenz. Die erste Kunstakademie wurde schlieBlich 1563 in Florenz ge- grundet und bedeutete die Loslosung vom Zunftwesen.
Im 16. Jahrhundertbildete sich zudem eine Stromung, welche ebenjene kunstlerische Eigenart in den Fokus ruckte, welche nicht zu erlernen sei: das „ingenium“, aus dem Lateinischen zu ubersetzen mit Begabung oder Talent. Ebendieses Argument geht einher mit einem weiteren wichtigen Paradigmenwechsel, welcher sich in dieser Zeit vollzog. Noch im 15. Jahrhundert war die Nachahmung das hochste Ziel der Kunst. Diese „imitatio“ implizierte in der Ausbil- dung der Kunstler*innen auch die „aemulatio“, zu ubersetzen mit Wetteifer, welches eines der grundlegendsten Verfahren der kunstlerischen Ausbildung bildete. Hierbei wurden Meister- werke kopiert, jedoch auch oftmals in einer eigenen Interpretation ausgefuhrt, mit dem Ziel, das Original moglichst zu ubertreffen. Schon vor den Kunstakademien war die Kopie von Werken das gangigste Mittel der Ausbildung. Schuler*innen begannen zunachst kleine Figu- ren durch Nachahmung zu uben und zu perfektionieren, bis sie diese dann in den Hintergrund von Auftragsarbeiten ihres Meisters*ihrer Meisterin einbringen durften. So wurde der Arbeits- aufwand fur den*die Meister*in verringert, welcher sich auf das Hauptmotiv konzentrieren konnte. Spater konnten dann die Schuler*innen ganze Gemalde unter Anweisung und Skizzen des Meisters*der Meisterin anfertigen, welche*r nur noch den Feinschliff ubernahm und das Bild dem*der Auftraggeber*in ubergab. Ein sehr bekanntes Beispiel fur diese Arbeitsweise ist Rubens. Viele seiner Werke wurden von seinen Schuler*innen in einer fabrikartigen Umge- bung hergestellt. Begrundet wurde dieses Vorgehen durch seine vorausgegangene Planung; er lieferte das Konzept und Skizzen, seine Schuler*innen fuhrten die Arbeit aus (vgl. Galenson, S. 187). Dennoch war die Arbeit nicht komplett losgelost von seinem handwerklichen Zutun, da er das Bild zum Abschluss nochmals verfeinerte. Da Vinci oder Michelangelo konnten im Gegensatz dazu keine Assistent*innen fur sich die Kunstwerke ausfuhren lassen, da sie expe- rimentelle Kunstler waren, deren Ergebnis noch nicht vorher festgelegt wurde, und weil sie nicht an die Teilung von Invention und Ausfuhrung glaubten (vgl. ebd.).
Die Vorstellung des „ingenium“, oder des Genies, ist mit der Vorstellung der Inspiration eng verbunden. „Denn seine besondere Begabung versetzt den Kunstler ja gerade in die Lage zu jener Schau hoherer Dinge, die er den normalen Menschen voraus hat und die er in seinen Kunstwerken materialisieren kann“ (Krieger 2007, S. 23). Der*die Kunstler*in gait nun nicht mehr als abhangig von einer gottlichen Eingebung, sondern hatte die Imaginationskraft selbst inne. Seit dem 16. Jahrhundert wurde diese Vorstellung der Loslosung von gottlicher Eingabe zunehmend von der Vergottlichung der Kunstschaffenden verdrangt. So schrieb Vasari: ,,Die Besitzer so seltener Gaben sind nicht einfach Menschen, sondern sterbliche Gotter“ (ebd., S. 27). Die Vergottlichung der Kunstler*innen ist jedoch kein Phanomen, das der Renaissance entspringt. Es hat vielmehr seine Wurzeln in der Antike, welche die Schopfung durch ein gott- liches Wesen mit den handwerklichen Schopfungen verglich. Jedoch liegt der grundlegende Unterschied darin, dass Gott als Schopfer mit den Handwerker*innen verglichen wird, wohin- gegen die Renaissance diesen Vergleich umkehrt, begrundet durch das Aufkommen des Hu- manismus, welcher den Menschen in das Zentrum der Weltanschauung stellte. „Und da Gott den Menschen, wie es in der Genesis heiBt, nach seinem Bilde geschaffen hat, hat er ihm auch Gestaltungskraft verliehen. Daher ist dem Menschen aufgetragen, nach gottlichem Vorbild selbst schopferisch tatig zu werden“ (ebd., S. 30). Interessant ist auch, dass bildkunstlerisches Schaffen den immateriellen Kunsten, anders als fruher, gleich- oder sogar hohergestellt war, da es in seinem Schaffen als Analogie zur gottlichen Kreation betrachtet werden konnte (vgl. ebd., S. 31). Auch wenn in dieser Epoche ein gewaltiger Statuswechsel des Kunstlertums stattfand, so blieb zumindest offiziell das Ideal bestehen, Kunst fur die Patron*innen, Institution und den Ruhm der Kunst zu betreiben, selbst wenn Kunstler*innen nun, im Status Akade- miker*innen und anderen Intellektuellen gleich, personlich die Preise fur ihre Kunstwerke festlegen und somit einen Reichtum erstreben konnten, der vorher fur Kunstschaffende un- denkbar war (vgl. Galenson 2009, S. 340).
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, besonders gefordert durch die Aufklarung, wurde der Geniebegriff sakularisiert und der geniale Mensch zum neuen Ideal erhoben. Damit ging die endgultige Gleichstellung der bildenden Kunst mit Musik und Poesie einher. „In der Asthetik erlangen die ,schonen Kunste' nun insofem weitere Aufwertung, als sie die sinnlichen Emp- findungen als eigenstandige Erkenntnisform neben der rationalen Erkenntnis etabliert. [...] Aus seiner [des Genies] Subjektivitat wird fortan die asthetische Wahrheit abgeleitet“ (Krie- ger 2007, S. 37 f.). Ebendiese Subjektivitat ist die Quelle der Originalitat. Nach Ansicht der Klassiker reicht diese jedoch nicht aus, um gute Kunst hervorzubringen; gewisse Regeln und Kriterien sehen sie immer noch als notwendig an. Jene genialen Kunstler*innen, so Kant, soil- ten jedoch neue MaBstabe und Regeln, also neue kunstlerische Konventionen begrunden, wel- che fur die weniger genialen Kunstschaffende gelten sollen. Diese sollten anschlieBend ver- mittelt werden, in Kunstakademien (vgl. ebd., S. 39).
Die endgultige Etablierung der Kunstakademien fuhrte jedoch zu einer neuen Bewegung, dem Antiakademismus, welcher diese Institutionen ablehnte, da sie die kunstlerische Freiheit zu sehr einschrankte. Daraus folgte eine Lossagung von anderen Zwangen, wie dem Kommerz und dem Handel mit Kunst. Kunst sollte frei und individuell entstehen und nicht vom Lohn oder Lebenserhalt abhangen (vgl. ebd., S. 40 f.). Hierin zeigte sich ein Festhalten am Ideal der Renaissance.
All dies fuhrte zur Etablierung gewisser Kunstlermythen und Stereotypen, wie etwa der Inner - lichkeit - der*die Kunstler*in handelt aus einer inneren Notwendigkeit heraus, nicht aus mo- netaren Zwecken, und handelt auBerhalb von festgelegten Regeln und Konventionen -, des AuBenseitertums oder der leidenden Kunstschaffenden. Letzterer Mythos fand seine Begrun- dung in der grundlegenden sozialen Umstrukturierung der vergangenen Jahrhunderte.
In der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts wurde die offentliche Presentation von Kunstwer- ken zur Eignungsprufung von Kunst und Kunstler*in. Durch Loslosung von hofischen Auf- traggeber*innen und Mazenen und der gleichzeitigen Etablierung eines Kunstmarkts waren Kunstler*innen auf das Publikum und burgerliche Auftraggeber*innen angewiesen, um zu uberleben. Das Publikum und die Ausstellungen ubemahmen die definierende Funktion (vgl. Batschmann S. 2). „Das Ausstellungsstuck - exhibition picture - wurde im 18. Jahrhundert eine neue Gattung der Kunstproduktion. Ihre Aufgaben waren die Behauptung gegen die Kon- kurrenz, der Eingang ins Tagesgesprach und die Verschaffung von Einnahmen“ (ebd.). Die Auswahl der Themen durfte dabei ebenfalls in groBen Teilen vom Publikumsinteresse mitbe- stimmt worden sein. Die fruhere Absicherung durch Zunfte fehlte und die Einnahmen mussten durch Kunst generiert werden, die moglichst den offentlichen Geschmack traf, um das Publikum fur sich zu gewinnen. „Damit lebte die Mehrzahl von ihnen in einer ungesicherten Exis- tenz und sozialen Randsituation, die Armut, Krankheit und Ausgrenzung mit sich brachte“ (Krieger 2007, S. 51).
Auch im 19. Jahrhundert hatte sich die Inszenierung des Kunstlers*der Kunstlerin und der Kunst nicht wirklich verandert. „Als Honore de Balzac an seiner Erzahlung Le chef-d'oeuvre inconnu arbeitete, schrieb er auch an einem Essay uber die Kunstler. Diese Schrift von 1830 ist eine Konfrontation von Kunstlerkult, Kunstreligion und Kunstlerelend der zuruckliegenden drei Jahrzehnte und stellte ein Identifikationsmodell fur die Kunstler bereit, in dem Messianis- mus und Leiden zu Schaffensbedingungen der Kunst deklariert waren“ (Batschmann S. 22). Hierzu gehoren eine Reihe von Kunstler-Selbstbildnissen als Christus, welche den Mythos, den Kult und das Leiden des Kunstlers*der Kunstlerin verdeutlichen. Sie traten als „Verfolgte, Unverstandene und Verletzte“ (ebd., S. 24) auf. Damit standen sie weiter in der kunstlerischen Tradition des Selbstbildnisses als Opfer. Mit der Etablierung eines Kunstmarktes wurde der Konkurrenzdruck unter Kunstler*innen groBer. Uber die Preise bei Auktionen wurde offent- lich diskutiert und Kritiker*innen fingen an, den Preis als eine Art MaBstab fur die Qualitat von Kunstwerken zu betrachten (vgl. Galenson, S. 340).
Die Schilderung des Kunstbetriebs der damaligen Zeit durch Kritiker*innen und Historiker*innen bestatigt dieses Bild: „Zola beschrieb die Regellosigkeit des Kunstbetriebs: die Kunstproduktion hat keine verbindlichen Richtlinien, es gilt nur die vereinzelte Subjekti- vitat, das Publikum erliegt den wechselnden Tagesschmeicheleien, und die Kritiker besitzen weder MaBstabe noch Vernunft. Die Kunstler selbst sind zur unablassigen Auseinanderset- zung nach alien Seiten gezwungen und befinden sich in einem aggressiven Wettbewerb, einem taglichen Kampf um Gunst der Massen und um Marktanteile. Jeder schnappt irgend et- was auf, sucht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und den Kaufem etwas anzudrehen“ (Batschmann 1993, S. 18). Ausstellen wurde zur Lebensfrage, jedoch nicht nur in pekuniarer Hinsicht. Vielmehr wurde die offentliche Presentation eine Bedingung fur die Herstellung von Kunstwerken - zielten diese doch darauf ab, dem Publikum zu gefallen - und ging somit auch in das Selbstverstandnis der Kunstler*innen ein. Sie werden zu Ausstellungskunstler*in- nen, die sich uber die offentliche Zurschaustellung definierten (vgl. ebd., S. 18).
Im 20. Jahrhundert spielt der Begriff der Entfremdung eine groBere Rolle im Zusammenhang mit kunstlerischer Tatigkeit. Sie beschreibt das Verhaltnis von Kunstler*in und Gesellschaft. Andererseits wurde dieses Verhaltnis mit dem Auftreten der Pop-Art, wenn nicht revidiert, so doch zumindest in gewissem MaBe vermindert (vgl. ebd., S. 28 f.).
Kunstler*innen wurden und werden weiterhin mystifiziert. Versuche, dies zu unterbinden, scheiterten. Zu nennen waren die De Stijl-Bewegung oder auch die konkrete Kunst, welche versuchten, Kunst als eine normale Form der Arbeit zu etablieren. Sie erlagen dem Verlangen des Publikums nach Mystifikation des Kunstlers*der Kunstlerin und „dem groBten Mystifika- tor, dem Geld“ (Batschmann 1993, S. 30), so auch Duchamps Readymades, welche dem Kunstbegriff erlegen sind, von welchem sie sich eigentlich distanzieren wollten. Nicht nur der*die Kunstler*in diktiert, was Kunst ist; die Definition ist eher eine Art „kollektive Aktion“ (ebd.), an der nicht nur die Kunstschaffenden beteiligt sind, sondern eben auch das Publikum, sowie Institutionen der Presentation und Rezeption. ,,Es gibt keine Regeln fur die Produktion fur Kunst, keine Anforderungen an die Kunstler und keine Regeln fur die Unter- scheidung von Kunst und Nicht-Kunst“ (ebd.).
Auch im 20. und 21. Jahrhundert fanden und finden sich noch die anti-kommerziellen und ka- pitalismuskritischen Ansichten unter Kunstler*innen, dennoch sieht die Wirklichkeit, wie schon im 18. Jahrhundert, anders aus. Die Kunstschaffenden, die nun losgelost von hofischer Auftragskunst und Zunftwesen versuchen von ihrer Kunst zu leben, sehen sich Marktme- chanismen ausgesetzt, denen es sich anzupassen gilt, will man Erfolg haben. Sie sind nicht mehr nur Kunstler*innen; sie werden Kurator*innen, Kunsthistoriker*innen, Kritiker*innen und nicht zuletzt auch eine Marke. Der*die Kunstler*in ist Teil des Kunstsystems und als sol- ches nicht mehr autonom. Die folgenden kunstlerischen Positionen und Personlichkeiten gel- ten mittlerweile als etabliert und verfugen selbst uber eine gewisse Art von Markenzeichen. Dennoch sei betont, dass dies nicht allein der Grund ist bzw. war, warum sie zu Beruhmthei- ten der Kunst wurden. Vielmehr haben sie dazu beigetragen, die etablierten Ansichten von Kunst, Kunstler*in und Kunstmarkt komplett zu revidieren und zu hinterfragen.
3.2 Arten von Kunstler*innen und die Erweiterung der Kunst 3.2.1 Marcel Duch amp: Readymades
Marcel Duchamp hat wie kein*e andere*r Kunstler*in das Verstandnis von Kunst verandert. Nicht umsonst behauptet Joseph Kosuth, dass die Modeme nicht mit Manet oder dem Kubis- mus begonnen hatte, sondern Duchamp ihren Beginn markiert (vgl. Harrison 2003, S. 1029 f.). Duchamp storte sich an der asthetischen Ausrichtung der Kunst und war der Meinung, dass selbst der Expressionismus die von ihm sogenannte „retinale“ Asthetik aufgreife; er wollte sich von ebenjenen asthetischen Anspruchen lossagen (vgl. Galenson 2009, S. 163). Als Reaktion auf diese Ansicht entstanden seine Readymades, welche im Folgenden behan- delt werden sollen.
Die ersten Kunstgegenstande, die als Readymades bezeichnet werden konnen, entstanden be- reits 1913/14. Jedoch gelangte Duchamp erst 1917 mit die- sem Konzept zu Beruhmtheit, als er ein herkommliches Pis- soir, um 180 Grad gedreht, auf einen Sockel gestellt und mit dem fiktiven Signum „R.
Mutt“ versah, als „Fountain“ zu der Ausstellung der New Yorker „Society of Independent Artists“ einreichte und dieses postwendend abgelehnt wurde (Abb. 1). Duchamp und seine Unterstutzer nutzten die- se Reaktion, die gegen das Statut der Ausstellung verstoB, als Publicity, um die neue Kunstrichtung offentlich zu verbreiten (vgl. Krieger 2007, S. 152).
Die Readymades trugen maBgeblich dazu bei, die herkommliche Definition von Kunst zu hin- terfragen. Sie machten klar, dass die Idee, was Kunst sei, kontextabhangig ist und dass die Be- deutung eines Werks auch davon abhangt, dass man es betrachtet und daruber spricht (vgl. Molesworth 1998, S. 51). Damit waren die Readymades bahnbrechend sowohl fur die Kunst wie auch fur die Kunstgeschichte, und eroffneten Debatten uber die Bedeutung der Kunst und ihr Umfeld, besonders hinsichtlich der Frage, inwiefern die Bedeutung der Kunst auch von in- stitutionellen Kontexten bestimmt ist (vgl. Molesworth 1998, S. 51 ff.).
Naturlich wurde bereits vor den Readymades die Frage gestellt, was Kunst sein kann und ob dieses oder jenes Werk Kunst sei. Doch richteten sich vormals die Einschatzungen nach Krite- rien wie Farbe oder Form etc. Duchamp schaffte es jedoch, dass sich der Fokus der Kunst an- derte: Es ging nun weniger um die Form der Sprache, als vielmehr darum, was mit der Kunst ausgedruckt wurde; er veranderte die Natur der Kunst von einer Frage der Morphologie hin zu einer Frage nach der Funktion. Dieser Schritt von Erscheinungsform zu Konzept war die Grundlage fur die moderne Kunst und vor allem fur die Bewegung der Konzeptkunst (vgl. Holler 2008, S. 439).
Readymades sind ihrer ursprunglichen Funktion enthoben und dienen daher als anti-tayloristi- sche Gerate, sprich: sie verhindern die (optimierte) Arbeit. Ihre eigentliche Funktion konnen sie nicht wahmehmen und unterbinden damit nicht nur ihr Funktionieren, sondern auch die Arbeit mit ihnen, also die Arbeit des Subjekts Mensch. Daher laden sie zur Ablenkung ein, zum Spiel mit der Kunst. Des Weiteren fuhren sie dazu, dass man uber ihre herkommliche Funktion nachdenkt, und damit auch uber den Alltag und die Verbindung alltaglicher Gegen- stande zwischen Arbeit und Freizeit (vgl. Molesworth 1998, S. 58). Hierin zeigt sich die ironi- sche Konnotation in Duchamps Werken.
Duchamp richtet sich mit seinen zweckentzogenen Werken, zu denen nicht nur Pissoirs, sondern auch Flaschentrockner und Schneeschaufeln gehoren, die er offen als Kunst deklarierte, gegen tradierte asthetische Vorstellungen, „besonders gegen die immer noch gultige kulinari- sche Asthetik, wie sie das spate 19. Jahrhundert ausgepragt hatte. Er wollte diese damit entlar- ven, keineswegs eine neue Asthetik proklamieren“ (Bleyl 1993, S. 142). Die von Bleyl als ku- linarisch beschriebene Asthetik nannte Duchamp eine „retinale“, und eben gegen jene lehnte er sich mit seinen Werken auf. In den 50er und fruhen 60er Jahren wurde ebendiese retinale Asthetik, sprich das Verlangen nach einem wahrnehmbaren und „verarbeitbaren“ Objekt, welches der*die Rezipient*in in irgendeiner Weise einordnen und analysieren kann, ein Kern der Kunst. In einem Gesprach mit dem Kritiker Pierre Cabanne antwortete Duchamp auf die Fra- ge, woher seine antiretinale Haltung komme, folgendermaBen: „From too great an importance given to the retinal. Since Courbet, it's been believed that painting is addressed to the retina. That was everyone's error. The retinal shudder! Before, painting had other functions: it could be religious, philosophical, moral. ... Our whole century is completely retinal It's absolutely ridiculous. It has to change^ (Duchamp zit. in: Danto 2009, S. 56).
Oftmals wird seine Kunst als eine Art Anti-Kunst aufgefasst, so u.a. auch bei Verena Krieger (vgl. Krieger 2007, S. 152). Nach anderer Auffassung wird jedoch betont, „dass Duchamps Setzungen nicht als minimal-asthetische Anti-, sondern unbedingt als auBerasthetische A- Kunstwerke zu verstehen sind“ (Bleyl 1993, S. 142). Diese Deutung ist durchaus nachvoll- ziehbar, zieht man Duchamps eigene Aussagen zur Asthetik seiner Werke in Betracht: „The 1 Ubersetzung: [,, Von der zu grofien Bedeutung gegenuber dem Retinalen. Seit Courbet glaubte man, dass die Malerei an die Retina addressiert ist. Das warjedermanns Fehler. Der retinale Schauder! Vorher hatte Malerei andere Funktionen: sie konnte religios sein, philosophisch, moralisch... Unser gesamtes Jahrhundert ist komplett retinal... Es ist absolut lacherlich. Das muss sich andem“] choice of these ,readymades' was never dictated by aesthetic delectation. This choice was based on a reaction of visual indifference with at the same time a total absence of good or bad taste ... in fact a complete anesthesia“ 1 (Duchamp zit. in: Danto 2009, S. 55). Das bedeutet, seine Kunstwerke waren nicht als Antikunst konzipiert, sondern mussen, wie Bleyl sagt, als A-Kunstwerke betrachtet werden, da es nicht um eine Gegenform der Kunst geht, sondern um Kunstlosigkeit und um Lossagung von jeglicher Asthetik (vgl. Bleyl 1993, S. 143). Dennoch wurden auch seine Nicht-Kunstwerke spater vom Kunstsystem und -markt vereinnahmt und als Kunst zum Verkauf angeboten.
Doch nicht nur stellte er die Kunst und ihre Definition in Frage, sondern auch den*die Kunst- ler*in als Schopfer*in. Bis zu Duchamp wurden Kunstler*innen mit gottlichen oder Gott-ahn- lichen Schopfernaturen gleichgesetzt, deren Leistung hauptsachlich daran bemessen wurden, ob sie etwas Neues, Originelles erschufen. Das bedeutet, das Schaffen wurde auch mit der Kreativitat verknupft. Im Mittelalter betrachtete man Kunstler*innen bzw. Kunsthandwerker*innen noch anders: Nur Gott konnte Dinge erschaffen, Menschen/Kunstler*innen konnten diese Dinge hochstens benutzen oder im gewissen Rah- men umformen. Diese Ansicht findet sich auch in Duchamps Readymades wieder. Der*die Kunstler*in ist hierbei nicht Schopfer*in, die Dinge existieren bereits; sie sind „already made“, also Readymades (vgl. Holler 2008, S. 440 f.).
Das Neue an den Readymades ist der konsequente Bruch mit der kunstlerischen Konvention, dass das Kunstwerk eine eigenhandige Schopfung des Kunstlers*der Kunstlerin sein musse. Dabei ist diese Ansicht objektiv betrachtet schon seit langerer Zeit nicht mehr zutreffend, wie der kunsthistorische Exkurs zum*r Kunstler*in offenlegt. Ideen wurden von Auftraggeber*in- nen vorgegeben und vertraglich festgehalten, die Ausfuhrung oblag dem Meister*der Meiste- rin oder seinen Schuler*innen. Dennoch zeigt auch dieser Exkurs, dass die Ausfuhrung von Malerei oder Kunst im Allgemeinen damals wie auch wieder heute in manchen Stromungen (z.B. Konzept-Kunst) als bloBes Handwerk angesehen wurde. In diesen historischen Ursprun- gen findet man die Wurzeln der modernen Kunsttheorien, wie sie von Kosuth, oder in diesem Falle Duchamp, aufgegriffen und weiterentwickelt wurden.
Duchamp gehtjedoch noch weiter. Er erhebt alltagliche Gegenstande, reine Massenware, wel- che von anonymen Fabrikarbeiter*innen hergestellt wurden, zu einem Kunstwerk, indem er sie einfach als solche auswahlt und bestimmt. Die kunstlerische Schopfung besteht also nicht mehr in der handwerklichen Ausfuhrung, sondem allein in der geistigen Ebene, der Idee. Der Schopfungsgedanke der Renaissance, welcher darin besteht, dass ein*e Kunstler*in einem un- belebten Gegenstand lebensnah erscheinen lasst, wird somit komplett negiert, da der*die Kunstler*in den ausgewahlten Gegenstand nicht einmal mehr in der Hand gehabt haben muss. Die Kunst verlasst die materielle Ebene und entsagt sich letztlich auch den gestalterischen Ausdrucksformen und der Asthetik. Der kunstlerische Akt liegt in dem philosophischen Uber- bau. Zur Einordnung der Readymades auBerte sich Duchamp ebenfalls: „the readymade can be seen as a sort of irony, because it says here it is, a thing that I call art, I didn’t even make it myself. As we know art etymologically speaking means to ‘make,’ ‘hand make,’ and there instead of making, I take it readymade. So it was a form of denying the possibility of defining art”2 (Duchamp zit. in: Galenson 2009, S. 40).
Das Konzept einer rein philosophischen, rein geistigen Kunstschopfung ist historisch gesehen kein neues, wurde doch auch in der Renaissance schon das Ausfuhren als bloBes Handwerk definiert; der eigentliche Wert eines Kunstwerks liegt in der Idee. Wasjedoch das Konzept der Readymades so einzigartig macht, so revolutionar, ist einerseits die Radikalitat, mit der es umgesetzt wird, andererseits die Offenlegung des Mechanismus Kunst: Um Kunst Kunst wer- den zu lassen, bedarf es zum einen einer Kunstlerpersonlichkeit, die zumindest durch die Aus- wahl einen Gegenstand als Kunstwerk deklariert, und des Weiteren eines Rezipienten*einer Rezipientin, „dessen positive oder negative Wurdigung den Kunstcharakter des Kunstwerks sanktioniert“ (Krieger 2007, S. 153). Duchamp war der Meinung, dass ein Kunstwerk erst existiert, wenn es eine Rezeption erfahren hat. Generell lasst sich konstatieren: „Es ist der Be- trachter bzw. die fiktive Gesamtheit aller Kunstrezipienten und ihrer Institutionen, welche dem Kunstler uberhaupt erst den Status als Kunstler verleiht, durch welchen er einen alltagli- chen Gebrauchsgegenstand zum Kunstwerk zu erheben vermag“ (ebd., S. 154).
Kunst ist also unabhangig vom Objekt, aber abhangig von der Art und Weise, wie man sie be- trachtet und sie definiert (vgl. Rauterberg 2008, S. 173). Ebenso scheint sein Wert in der Idee zu liegen, weniger in der handwerklichen Ausfuhrung. Dieser Aspekt wurde der Leitgedanke der Konzeptkunst, welche im folgenden Kapitel erlautert werden soil.
3.2.2 JosephKosuth—Konzeptkunst
Unter Konzeptkunst versteht man eine Stilrichtung der modernen Kunst, welche seit den 1960er Jahren unter anderem durch Joseph Kosuth und Sol LeWitt gepragt wurde. Charakte- ristisch ist hierbei die Verabschiedung vom traditionellen Herstellungsvorgang: Der*die Kunstler*in ist mehr ein*e Produzent*in von Ideen, die materielle Ausfuhrung des Werkes tritt dabei in den Hintergrund. Haufig wird die Realisierung des Werkes offengelassen oder dem Publikum ubertragen - das Konzept, die theoretische Idee, dominiert. Sol LeWitt sagte hierzu, dass somit die Kunst frei sei von den handwerklichen Fahigkeiten eines Kunstlers*ei- ner Kunstlerin (vgl. Galenson 2009, S. 193). Damit wird auch die These, Kunst komme von Konnen, abgelehnt.
Aufbauend auf den Idealen Duchamps fuhrt die Konzeptkunst diese konsequent weiter. So schreibt Sol LeWitt in „Paragraphen uber konzeptuelle Kunst“: „Bei konzeptueller Kunst ist die Idee oder die Konzeption der wichtigste Aspekt der Arbeit. Wenn ein Kunstler eine konzeptuelle Form von Kunst benutzt, heiBt das, dass alle Plane und Entscheidungen im Voraus erledigt werden und die Ausfuhrung eine rein mechanische Angelegenheit ist. Die Idee wird zu einer Maschine, die Kunst macht“ (LeWitt 1967, zit. in: Harrison 2003, S. 1023).
Joseph Kosuth veroffentlichte 1969 eine Schrift, die als eine Art Manifest der Conceptual-Art- Bewegung betrachtet wird. Ihr Titel: „Art after Philosophy“. In ihr erlautert Kosuth das Ver- haltnis von Kunst und Philosophic und geht dabei auch auf die Funktion von Kunst ein. MaB- geblich ist hierbei die Trennung von Asthetik und Kunst, welche bereits bei Duchamp An- klang findet.
Kosuth ist der Ansicht, Asthetik sei von Kunst zu trennen, da „sich die Asthetik mit Meinun- gen uber die Wahrnehmung der Welt im allgemeinen befaBt“ (Kosuth 1969 zit. in: Harrison 2003, S. 1031). Er argumentiert, dass Kunst vor der Moderne grundlegend zwei verschiedene Facetten hatte: Einerseits ihr Wert als Dekoration, und damit der asthetische Wert; anderseits weitere Funktionen, wie Schilderung religioser Themen etc. Asthetik konne naturlich die Hauptfunktion eines Objekts sein, dann sei es aber keine Kunst. Daher geht Kosuth soweit, formalistische Kunst, wie auch formalistische Kritik, als asthetisch fokussiert zu beschreiben und ihr somit den Kunstcharakter (beinahe) abzusprechen, da „sie hinsichtlich ihrer Funktio- nalitat uberhaupt keine Kunst ist, sondern pure asthetische Ubung“ (Kosuth 1969 zit. in: Harrison 2003, S. 1032), und nur auf morphologischen Gesichtspunkten beruht.
[...]
1 [,,Die Auswahl der Readymades war niemals diktiert durch eine asthetische Auswahl. Die Entscheidung basierte auf einer Reaktion der visuellen Inditferenz und zugleich auf einer kompletten Abwesenheit von gutem oder schlechten Geschmack...tatsachlich eine komplette Anasthesie“]
2 [,,Das Readymade kann als eine Art Ironie gesehen werden, weil es sagt, hier ist es, ein Ding, das ich Kunst nenne, und ich habe es nicht einmal selbst gemacht. Wir wissen, Kunst kommt etymologisch von „machen“, „von Hand machen“, aber statt es selbst zu machen, nehme ich es schon gefertigt. Also war es eine Form der Vemeinung der Moglichkeit, Kunst zu definieren.“]
- Citation du texte
- Gregor Wladacz (Auteur), 2018, Kunstwer(k/t). Der Wert von Kunst und seine Beziehung zum Künstler, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414744
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