Interaktionen können nicht einfach abgebrochen werden. Daher sind Sprecher auf Beendigungsstrategien angewiesen, mit denen sich ein Gespräch sukzessive aber geordnet zu einem Abschluss führen lässt. Es sind solche Strategien, die die Gesprächsforschung seit ihrer Entstehung ausführlich beschrieben hat.
Diese Arbeit verwendet diese Analyseergebnisse als Basis für eine relevante Erweiterung des Themenkomplexes: die Beendigungsphase soll im Kontext der Beziehungspflege der Sprecher betrachtet werden. Dafür ist das Konzept der Gesichtswahrung zentral. Der Ansatz ist schon lange in der Pragmatik etabliert, kommt in der Konversationsanalyse allerdings kaum oder nur am Rande zum Einsatz. Das verwundert, ermöglicht die Untersuchung von „face work“, ein von Goffman geprägter Begriff, doch einen deutlich differenzierteren Blick auf Sprecheraktivitäten. Im Folgenden werden zunächst einige Arbeiten zur Gesprächsbeendigung und zur Gesichtswahrung zusammengefasst.
Es wird aufgezeigt, dass die Gesprächsbeendigung ein generell heikler Gesprächsabschnitt ist, der den Sprechern besondere Mühen abverlangt. Davon ausgehend soll anhand authentischer Sprachdaten gezeigt werden, welche konkreten Strategien, verbaler und nonverbaler Art, die Sprecher einsetzen, um eine Gesichtsgefährdung in der Abschlussphase zu vermeiden.
1. Einleitung
״Moving to end a conversation constitutes a risk to one’s own (positive) face, because one might thereby become considered rude. Conversation ending strategies are designed to combat the positive face threat, and to save face.“ (Coppock 2005: 2)
Interaktionen können nicht einfach abgebrochen werden (vgl. Schlegloff & Sacks 1973: 69). Daher sind Sprecher auf Beendigungsstrategien angewiesen, mit denen sich ein Ge- sprach sukzessive aber geordnet zu einem Abschluss führen lässt. Es sind solche Strategien, die die Gesprächsforschung seit ihrer Entstehung ausführlich beschrieben hat (vgl. Schlegloff & Sacks 1973, Button 1991). Die vorliegende Arbeit verwendet diese Analyseergebnisse als Basis für eine relevante Erweiterung des Themenkomplexes: die Beendigungsphase soll im Kontext der Beziehungspflege der Sprecher betrachtet werden. Dafür ist das Konzept der Gesichtswahrung zentral. Der Ansatz ist schon lange in der Pragmatik etabliert, kommt in der Konversationsanalyse allerdings kaum oder nur am Rande zum Einsatz. Das verwundert, ermöglicht die Untersuchung von ״face work“, ein von Goffman (1955) geprägter Begriff, doch einen deutlich differenzierteren Blick auf Sprecheraktivitäten.
Im Folgenden werden zunächst einige Arbeiten zur Gesprächsbeendigung und zur Gesichtswahrung zusammengefasst. Es wird aufgezeigt, dass die Gesprächsbeendigung ein generell heikler Gesprächsabschnitt ist, der den Sprechern besondere Mühen abverlangt. Davon ausgehend soll anhand authentischer Sprachdaten gezeigt werden, welche konkreten Strategien, verbaler und nonverbaler Art, die Sprecher einsetzen, um eine GeSichtsgefährdung in der Abschlussphase zu vermeiden.
2. Forschungslage
Es sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben worden, die der Initiierung der Beendigungsphase dienen. Button (1991: 254-256) führt zunächst ״summaries“ an. Dabei resümiert ein Sprecher die Inhalte des Gesprächs oder ein einzelnes Gesprächsthema. Zusammenfassungen bieten dem Gesprächspartner die Möglichkeit, zuzustimmen und im Anschluss die Beendigung zu initiieren (vgl. ebda.). Laut Schlegloff & Sacks (1973: 82) erfüllen konkludierende Formulierungen, die eine Moral oder Lehre vermitteln (z.B. Es wird sich schon alles zum Guten wenden), eine ähnliche Funktion.
Typisch sind auch ״arrangements“ (Button 1991: 258), also das Aushandeln zukünftiger Treffen. Button (1991: 258-260) zeigt, dass solche Verabredungen oftmals frühzeitig in der Konversation zum Thema gemacht werden. Die ״arrangement réintroduction“ (ebda.), also die Wiedereinführung einer Verabredung zu einem späteren Zeitpunkt im Gespräch, in dem die Verabredung bestätigt oder weiter besprochen wird, ebnet häufig den Weg zur Beendigung. Des Weiteren kann ein Sprecher die Bedürfnisse des anderen thematisieren (vgl. Coppock 2005: 4) und so die Beendigungsphase einleiten (z.B. Dann lasse ich dich mal wieder Weiterarbeiten). Dies ist eine besonders gesichtsschonende Art der Beendigungsinitiation, da der Sprecher die Verantwortung von sich weist und gleichzeitig Rücksichtnahme demonstriert.
Button (1991: 258) nennt außerdem ״announcement of closure“ (im Folgenden bezeichnet als Beendigungsankündigung). In diesem Fall formuliert ein Sprecher seinen Beendigungswunsch explizit. Ein prototypisches Beispiel dafür ist Ich muss jetzt gehen. Schlegloff & Sacks (1973: 86) beobachten, dass eine Beendigungsankündigung ein besonders starkes Mittel ist, da sie dem Gegenüber weniger Freiraum für die Aufnahme eines neuen Themas lässt. Es ist anzunehmen, dass die Beendigungsankündigung deshalb stärker gesichtsgefährdend und daher nur in bestimmten Kontexten zum Einsatz kommt, zum Beispiel ganz am Ende eines Gesprächs.
Typisch für die Beendigungsphase sind ״pre-closings־“ (Schlegloff & Sacks: 1973: 80-84), in der deutschsprachigen Literatur als ״Beendigungsvorläufe“ (Auer 2017: 41) bezeichnet. Dazu zählen im Deutschen unter anderem also, so und alles klar. Sprecher können damit zum Ausdruck bringen, dass ein Thema erschöpfend behandelt wurde (vgl. ebda.). Normalerweise treten Vorläufe in Adjazenzpaaren auf, wobei der zweite Sprecher den Vorlauf wiederholt oder einen anderen Vorlauf produziert (vgl. ebda.). Im Idealfall verläuft die Beendigung erfolgreich. Allerdings erfüllen Beendigungsvorläufe nicht immer die Funktion einer umgehenden Gesprächsauflösung. Oft sind sie sogar eine Einladung zur Eröffnung einer neuen Sequenz. Daher bevorzugen Schlegloff & Sacks (1973: 80-81) den Begriff possible pre-closing.
Wird der Vorlauf erwidert, erklärt der Gesprächspartner sein Einverständnis zur Gesprächsbeendigung (vgl. Auer 2017: 41). Es ist jedoch auch möglich, dass auf einen Vorlauf von Sprecher A eben kein zweiter Vorlauf durch Sprecher в erfolgt, sondern statt- dessen eine Expansion. Was passiert in einem solchen Fall? Es ist anzunehmen, dass die Konversation nicht einfach abbricht. A wird das neue Thema abhandeln und dann einen neuen Beendigungsversuch starten (vgl. Mroczynski 2014: 136). A kooperiert dabei mit в, um das Gespräch doch noch in gegenseitigem Einvernehmen, sozusagen gütlich, zu Ende zu führen.
Harren & Raitaniemi (2008: 199) zeigen anhand von Telefongesprächen, dass die Gesprächsteilnehmer mindestens zwei Phasen durchlaufen, bevor ein Gespräch beendet wird. In der ersten Phase handeln die Sprecher aus, ob sie das Gespräch bereits beenden wollen. Neben Vorläufen sind Konstruktionen wie Dann sehen wir uns morgen typisch für diesen ersten Teil (vgl. ebda.). Im zweiten Teil wird bestimmt, wann die Grüße geäu- Bert werden. Oft produzieren Sprecher dabei eine Reihe an Elementen hintereinander (1okay - bis dann - tschüss), die sich mit denen des Gesprächspartners überlappen können (vgl. ebda.). Teilnehmer provozieren durch die schrittweise Aushandlung den Gesprächsabschluss mit dem Ziel, simultan das Ende zu erreichen.
Nicht nur auf der verbalen Ebene sind Gesprächsbeendigungen ein systematischer Rückzug aus der Konversation. Auch in Bezug auf die Körpersprache zeigt sich ein ähnliches Bild. Laut Heath (1986: 129) ziehen sich Sprecher nach und nach aus dem gemeinsamen Interaktionsraum zurück. Dies ist ein schrittweiser Prozess, der in Arzt-PatientenGesprächen ansatzweise deutlich wird. Heath (1986: 132-133) beobachtet, dass die physische Distanzierung schon vor der eigentlichen Beendigung beginnt. So erheben sich Patienten bereits und wenden sich ab, während sie noch mit dem Arzt sprechen. Verweigert der Arzt daraufhin das Gesprächsende, kooperiert der Patient, indem er sich wieder dem Arzt zuwendet und die Konversation zu Ende bringt (ebda.: 135). Ziel ist es auch beim Einsatz von Körpersprache, das Gesprächsende im gegenseitigen Einvernehmen auszuhandeln. Sprecher bewahren ihr positives Gesicht, indem sie sich, wie der Patient oben, dem Arzt wieder zuwenden, wenn er die Beendigungssequenz mit einer Expansion unterbricht.
Holly (2001) betrachtet Gespräche als Möglichkeit der Beziehungsgestaltung. Individuen stellen sich in Interaktionen selbst dar und konstruieren dabei Identität. Dies geschieht selten explizit. Stattdessen kann ״jede Äußerung auf ihre hintergründige Bedeutung für die Beziehung hin interpretiert werden“ (Holly 2001: 1386). Das Aushandeln von Beziehungen im Gespräch wird unter dem Begriff der ״Beziehungskommunikation“ (ebda.: 1384) zusammengefasst. Da Beziehungen generell als potentiell gefährdet zu betrachten sind, kommt der Beziehungskommunikation stabilisierende Wirkung zu. Eng an diese Idee geknüpft ist das face (auch: Gesicht, Image). Ohne Anspruch auf eine erschöpfende Beschreibung dieses Konzepts lässt sich sagen, dass sich face auf das Ansehen oder, allgemeiner, die Wahrnehmung eines Individuums in der Gesellschaft oder im Verhältnis zu einem konkreten Gesprächspartner bezieht.
In konkreten Interaktionen können Sprecher aktiv an ihrem Gesicht arbeiten (face work). Prototypisches Beispiel ist die Ablehnung einer Einladung. Im Normalfall wird nicht einfach abgelehnt. Vielmehr folgt auf die Einladung ein längerer Turn, der Entschuldigungen und Rechtfertigungen enthält oder Bedauern ausdrückt. Face work geht oft mit erhöhtem Sprechaufwand einher. Sprecher können nicht nur auf ihr eigenes Gesicht, sondern auch auf das des Gesprächspartners positiv Einfluss nehmen, wie noch gezeigt wird.
Gesprächsbeendigungen sind von besonderer Brisanz, da sie grundsätzlich heikel, das heißt, gesichtsbedrohend sind (vgl. Coppock 2005: 2). Der Gesprächspartner, der die Beendigungsphase einleitet, hat entweder keine Zeit oder keine Lust, das Gespräch fortzuführen. Die Interaktion kann er oder sie jedoch nicht einfach abbrechen (vgl. Auer 2017: 40), da dies eine enorme Gesichtsbedrohung darstellen und darüber hinaus die Beziehung der Interlokutor en gefährden würde. Er muss face work betreiben und die Interaktion geordnet und unter bestmöglicher Wahrung seines Gesichts beenden.
Coppock (2005) betrachtet die bei Schlegloff & Sacks (1973) und Button (1991) genannten Wege der Gesprächsbeendigung unter dem Aspekt der Gesichtswahrung. Daraus leitet sie die Notwendigkeit bestimmter Höflichkeitsstrategien ab, die zur Abmilderung der grundsätzlich schwierigen Abschlussphase dienen. Dazu gehören laut Coppock (2005: 3-6) positive Kommentare (Es war schön, dich mal wieder zu sehen), Entschuldigungen (Ich muss leider wieder an die Arbeit), Entlastungen (Ich lasse dich besser wieder arbeiten), Zusammenfassungen (Es war wirklich eine tolle Party), Dank (Danke für den Anruf), zukünftige gemeinsame Pläne (Was machst du morgen nach der Schule?) und Wünsche (Schönen Nachmittag noch).
Die Forschung zur Beendigungsphase hat sich bis zum jetzigen Zeitpunkt größtenteils auf einer technischen Beschreibungsebene bewegt. Dabei wurde versäumt, ge- sprächsorgani sátori sehe Elemente auch in ihrer unmittelbaren Funktion in Bezug auf die Sprecherbeziehungen zu betrachten. Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, Strategien der Gesichtswahrung in Gesprächsbeendigungen anhand authentischer Sprachdaten aufzuzeigen.
3. Datenanalyse
Die Analyse stützt sich auf ein Gespräch zweier guter Freundinnen. A bezeichnet die Person, der wegen Termindrucks die Initiierung der Gesprächsbeendigung zukommt. Das Gespräch fand in der Wohnung von в statt. Metadaten zu den Gesprächsteilnehmerinnen
sind im Anhang zu finden. Ausschnitte der letzten 18 Minuten des Gesprächs werden im Folgenden chronologisch betrachtet.
In Beispiel (1) kündigt A zum ersten Mal an, dass sie gehen muss. Zuvor handelte das Gespräch von der Herstellung von Wichtelgeschenken. Diese Aktivität wird von в in Zeile 01 positiv kommentiert. In die Evaluation schaltet sich unvermittelt A mit einer expliziten Beendigungsankündigung ein (Z. 03: Ich muss bald schon los):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A hat bereits früher im Gespräch einen Universitätskurs als Grund für ihr Gehen ge- nannt. Nach einer Pause erkundigt sich nun в in Zeile 05 nach der Örtlichkeit dieses Kurses. Offenbar ignoriert в hier schlicht die Beendigungsankündigung von A, was auf den ersten Blick unhöflich erscheint. Allerdings wird diese Expansion von A mitgetragen und ist in diesem Kontext präferiert. Tatsächlich kann в auf die Ankündigung nicht mit sofortiger Zustimmung (nach der Art: Alles klar, mach ’s gut!) reagieren, weil A kein so- fortiges Gesprächsende anstrebt. Stattdessen provoziert A mit ihrer Ankündigung gera- dezu eine Gesprächsfortführung. Dies wird daraus er- sichtlich, dass A durch Verwendung des temporalen Ad- verbs bald explizit die Gelegenheit für eine Fortführung des Gesprächs schafft. Dies deckt sich mit den Beobach- tungen von Schlegloff & Sacks (2013: 80-81), wonach Beendigungsinitiierungen die Funktion haben können, Raum für ein neues Thema zu eröffnen. Auch die Kör- persprache von A deutet in diese Richtung. Trotz ihrer Ankündigung gibt es keine Änderung der entspannten Körperhaltung (s. Abbildung 1), die weiterhin Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1
A strebt mit der ersten Ankündigung also nicht die Einleitung einer Beendigungssequenz an. Da Gespräche selten abrupt enden, ist die frühzeitige Beendigungsankündigung nur der erste Teil mehrerer Schritte auf dem Weg zur Gesprächsbeendigung. A leistet damit sozusagen Vorarbeit. Bei der tatsächlichen Beendigung fallen lange Erklärungen und Rechtfertigungen weg. A spart sich den sprachlichen Mehraufwand, indem sie das Ende frühzeitig zum Thema macht. Außerdem gibt sie в damit Zeit und Möglichkeit, sich auf die Gesprächsbeendigung einzustellen. A minimiert dadurch die Gefahr einer Gesichtsbedrohung am Ende des Gesprächs.
In Zeile 06 schnippt A einen Fussel von ihrer Kleidung in Richtung B, was bei beiden Sprecherinnen mehrere Lacher provoziert (Z. 09-14). Das Lachen hat in dieser Position, nach As erster Beendigungsankündigung, eine die Situation entspannende Funktion, auf die später noch genauer eingegangen werden soll.
In Beispiel (2) wird zunächst eine Erzählung geschlossen. Es geht um nasale Laute und wie ein Dozent seinen Studierenden ihren Klang nahebringt, indem er eine andere Dozentin imitiert. A resümiert in 02 den Inhalt der Erzählung und provoziert damit bei в eine Bewertung in Zeile 04 (1dann kommt es gleich viel authentischer). Gleichzeitig schaut A in Zeile 03 erstmals auf ihr Handy und bestätigt Bs Bewertung mit ja, eben (Z. 05-06). Sie besteht weiterhin auf ihr Rederecht und äußert mit so (Z. 07) einen stark akzentuierten Beendigungsvorlauf, gefolgt von einer Pause und einem hörbaren Ausatmen von B (Z. 09). Da Beendigungsvorläufe zumeist als Paarsequenzen auftreten (vgl. Auer 2017: 41), kann dieses Ausatmen als zweiter Teil eines Adjazenzpaares beschrieben werden.
Beispiel (2): ((Gesungener Abschied I: 08:20-08:48))
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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- Citation du texte
- Erik Stahlhacke (Auteur), 2018, Strategien der Gesichtswahrung bei Gesprächsbeendigungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414311
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