Im Jahr 2004 sind durch das Bundesverfassungsgericht die landesrechtlichen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung von Straftätern wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz für verfassungswidrig erklärt worden. Der Bundesgesetzgeber hat es daraufhin für nötig befunden, die landesrechtlichen Bemühungen in das Strafgesetzbuch (StGB) aufzunehmen. Die Tendenz zur Verschärfung der strafrechtlichen Sanktionen erreicht damit vorerst ihren Höhepunkt in einem schuldunabhängigen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, der rechtsdogmatisch keinen strafenden Charakter tragen soll. Schon die Sicherungsverwahrung in ihrer Grundform sieht sich seit ihrer Einführung harter Kritik ausgesetzt, die bis heute nicht verstummt ist. Im Gegenteil, im Zuge der Ausweitung dieser Maßregel ist mehr und mehr von einer Verfassungswidrigkeit der bundesgesetzgeberischen Neuregelungen die Rede. Es wird bezweifelt, dass überhaupt ein sicherheitspolitischer Bedarf besteht. Statistisch konnte dieser jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Weiterhin wird vermutet, dass die aktuellen Entwicklungen aus der massenmedial aufgepeitschten Stimmung erwachsen. Fälle, wie die des Marc Dutroux, lassen eine als Moralpanik bezeichnete Diskrepanz zwischen der registrierten und der medial vermittelten Gefährdung entstehen. Einigen Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen diesbezüglicher Gesetzgebung und Wahlkampfphasen. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten geht Deutschland mit der Ausweitung der Sicherungsverwahrung einen Alleinweg. In Spanien sind Sanktionen wie die Sicherungsverwahrung seit geraumer Zeit verfassungswidrig. Österreich schließt die Maßregel für gewaltfreie Eigentums- und Vermögensdelikte aus.6In Deutschland versäumt das Bundesverfassungsgericht durch seine juristisch nicht stringente Vorgehensweise,7einen Gegenpol zur landesrechtlichen Gesetzgebung zu bilden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen und Voraussetzungen der Problemstellung
2.1 Der Achtungsanspruch des einzelnen Menschen
2.1.1 Zum Grundverständnis von Freiheit und Recht
2.1.2 Grundgesetz und Menschenwürde
2.1.3 Einschränkung der Grundrechte von Rechtsbrechern
2.2 Die Sicherungsverwahrung im staatlichen Sanktionensystem
2.2.1 Straftheorien
2.2.2 Die Maßregel in Abgrenzung zur Strafe
2.2.3 Die aktuellen Entwicklungen in der Gesetzgebung
2.2.4 Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung
2.2.5 Anordnungsverfahren
3. Zur Verletzung der Menschenwürde durch die Sicherungsverwahrung
3.1 Die Rechtfertigung der Verwahrung zwischen Theorie und Praxis
3.1.1 Ansätze zur Legitimation der Sicherungsverwahrung
3.1.2 Die Grenzen der aktuellen Legitimation
3.1.3 Die Prognosepraxis
3.1.4 Der „Hang zu erheblichen Straftaten“ in der juristischen Anwendung
3.1.5 Kein strafender Charakter oder Doppelbestrafung
3.1.6 Zusammenfassung
3.2 Zur Kritik an den aktuellen Entwicklungen
3.2.1 Übereiltes Gesetzgebungsverfahren
3.2.2 Rückwirkungsverbot
4. Ist eine menschenwürdige Sicherungsverwahrung möglich?
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Jahr 2004 sind durch das Bundesverfassungsgericht die landesrechtlichen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung von Straftätern wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz für verfassungswidrig erklärt worden. Der Bundesgesetzgeber hat es daraufhin für nötig befunden, die landesrechtlichen Bemühungen in das Strafgesetzbuch (StGB) aufzunehmen. Die Tendenz zur Verschärfung der strafrechtlichen Sanktionen erreicht damit vorerst ihren Höhepunkt in einem schuldunabhängigen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, der rechtsdogmatisch keinen strafenden Charakter tragen soll.
Schon die Sicherungsverwahrung in ihrer Grundform sieht sich seit ihrer Einführung harter Kritik ausgesetzt, die bis heute nicht verstummt ist. Im Gegenteil, im Zuge der Ausweitung dieser Maßregel ist mehr und mehr von einer Verfassungswidrigkeit der bundesgesetzgebe-rischen Neuregelungen die Rede. Es wird bezweifelt, dass überhaupt ein sicherheitspolitischer Bedarf besteht.[1] Statistisch konnte dieser jedenfalls nicht nachgewiesen werden.[2] Weiterhin wird vermutet, dass die aktuellen Entwicklungen aus der massenmedial aufgepeitschten Stimmung erwachsen. Fälle, wie die des Marc Dutroux, lassen eine als Moralpanik bezeichnete Diskrepanz zwischen der registrierten und der medial vermittelten Gefährdung entstehen.[3] Einigen Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen diesbezüglicher Gesetzgebung und Wahlkampfphasen.[4] Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten geht Deutschland mit der Ausweitung der Sicherungsverwahrung einen Alleinweg. In Spanien sind Sanktionen wie die Sicherungsverwahrung seit geraumer Zeit verfassungswidrig.[5] Österreich schließt die Maßregel für gewaltfreie Eigentums- und Vermögensdelikte aus.[6] In Deutschland versäumt das Bundesverfassungsgericht durch seine juristisch nicht stringente Vorgehensweise,[7] einen Gegenpol zur landesrechtlichen Gesetzgebung zu bilden.
Andere Stimmen in der Literatur halten sowohl die neuen[8] als auch die alten[9] Regelungen für notwendig. Diese sehen kein anderes Rechtsinstitut, dass den Schutz vor hartnäckigen Kriminellen sicherstellen könnte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es für diese Sanktion überhaupt eine tragfähige Rechtfertigung und Ausgestaltung gibt, die die Würde des Menschen achtet.
Zum Gang der Untersuchung: Die schwerwiegende Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde ist nicht immer offensichtlich, weil die Verletzung auf vielerlei Weise geschehen kann. Insofern müssen umfangreiche Vorüberlegungen getroffen werden, denen sich Kapitel 2 widmet. Das Unterkapitel 2.1 bildet mit der Darstellung des grundgesetzlichen Menschenbildes den Ausgangspunkt der Arbeit. Nur mit einem Vorverständnis von den Grundrechten als Garanten der Menschenwürde und von der verfassungsrechtlich gegebenen Einschränkbarkeit der Grundrechte, kann die Sicherungsverwahrung beurteilt werden. Da die Art des staatlichen Sanktionensystems häufig zum Gegenstand einer Befürwortung der Sicherungsverwahrung gemacht wird und sich in dessen Erörterung die Tragweite der Maßregel zeigt, wendet sich Unterkapitel 2.2 dieser Thematik zu.
Das Kapitel 3 betrachtet mit dem ersten Unterkapitel die Sicherungsverwahrung in ihrer Grundform. Beginnend mit den theoretischen Ansätzen zur Legitimation der Maßregel wird versucht aufzuzeigen, dass die heutige Rechtfertigung das besondere Wesen der Sicherungsverwahrung und die Probleme bei deren Umsetzung nicht ausreichend berücksichtigt. Es werden die Schwachstellen und die Grenzen der Legitimation abgebildet. Mit dem nötigen Umweg über Prognosepraxis, Rechtsprechung und Strafcharakter der Maßregel gelangt die vorliegende Arbeit zu einem Zwischenergebnis. Das Unterkapitel 3.2 konzentriert sich auf wesentliche Kritikpunkte zu den neueren gesetzlichen Regelungen.
Die gewonnenen Schlussfolgerungen und weitere Kritikpunkte der Literatur schlagen sich in Kapitel 4 nieder. Unter der Annahme, die heutige Legitimation sei in ihrem Grundgehalt tragfähig, wird der Versuch gewagt, Anforderungen an eine die Würde des Menschen achtende Sicherungsverwahrung zu formulieren. Mit einer Zusammenfassung in Kapitel 5 schließt die Arbeit.
2. Grundlagen und Voraussetzungen der Problemstellung
2.1 Der Achtungsanspruch des einzelnen Menschen
2.1.1 Zum Grundverständnis von Freiheit und Recht
Die Sicherungsverwahrung ist im einfachsten Sinn eine freiheitsentziehende schuldunabhängige Maßnahme. Bevor ein derartiger staatlicher Eingriff in die Persönlichkeit der Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf die zu achtende Würde beurteilt werden kann, ist eine verfassungsrechtliche Grundlage zu schaffen. Die Darlegungen konzentrieren sich auf drei Bereiche. Sie beginnen allgemein mit der Verbindung von Freiheit und Recht, um anschließend die grundgesetzliche Unantastbarkeit der Menschenwürde zu erläutern und enden mit der daneben bestehenden Einschränkbarkeit von Grundrechten.
Zwischen den Begriffen Recht und Freiheit existiert nach dem neuzeitlichen Rechtsverständ-nis eine überaus enge Verbindung. Diesem Verständnis folgend wird Recht nicht nur als Einschränkung von Freiheit verstanden. Sicherlich schränkt das Recht die Freiheit des einen Individuums ein, aber nur um die eines anderen zu gewähren. Doch ist weiterhin beachtlich, „dass die durch das Recht ermöglichte Freiheit die Anerkennung der gleichen Freiheit der jeweils anderen einschließt.“[10] In dieser Aussage ist bereits eine erste Legitimationsgrundlage für Einschränkungen des Freiheitsgebrauchs enthalten. Eine freiheitsbeschränkende Wirkung kann dem Recht nur um der Freiheit willen zugestanden werden.[11]
Um den Begriff Freiheit im Rahmen dieses neuzeitlichen Ansatzes näher bestimmen zu können, lohnt ein Blick auf die gegensätzlichen Konzeptionen von der positiven und der negativen Freiheit. Letztere stellt die Freiheit des Individuums im Sinne einer Unabhängigkeit von Fremdeinwirkungen in den Vordergrund. Wofür letztendlich die Freiheit genutzt wird, ist dabei nicht von Bedeutung. Freiheit wird genauer gesagt als Abwesenheit von äußerer physischer und psychischer staatlicher Einwirkung aufgefasst. Das Recht wirkt somit nur äußerlich. Es grenzt die einzelnen Freiheitssphären gegeneinander ab und schützt vor Eingriffen in eben diese. Für den Fall, dass Einzelne ihre Freiheitssphären zu Lasten anderer ausweiten, hält es Mechanismen und Sanktionen bereit, die dem entgegenwirken. Im Wesentlichen unterteilt es sich in folgende drei Rechtsgebiete: die Grundrechte, das Vertragsrecht und das Strafrecht. Dem Vertragsrecht kommt der größte Gestaltungsspielraum zu. Es regelt ausschließlich die bürgerrechtlichen Belange der Menschen untereinander. Das Strafrecht hingegen beschränkt sich auf die staatlichen Eingriffe zum Schutze der Freiheitssphären Einzelner vor Übergriffen anderer. Eingriffe und Beschränkungen sind nur insoweit zulässig, wie sie für das friedliche Zusammenleben unabdingbar sind. Begrenzt wird das staatliche Handeln durch die Grundrechte, welche überwiegend als Abwehrrechte verstanden werden.[12]
Der Auffassung eines positiven Freiheitskonzeptes liegt die Annahme zu Grunde, dass ein gemeinschaftlicher Freiheitswillen existiert, an dem sich das gemeinsame Leben ausrichtet. Die Voraussetzungen für die Verwirklichung der Freiheit werden gemeinschaftlich gestaltet und kontrolliert. Das Recht dient in diesem Konzept unter anderem dazu, die Ziele des Freiheitsgebrauchs vorzugeben. Zu den subjektiven Rechten treten hier objektive Pflichten, denen sich niemand entziehen kann, sofern er nach diesem Konzept als freies und verantwortliches Subjekt leben möchte. Das Recht geht damit über eine reine Abgrenzung der Freiheitssphären weit hinaus und macht einen gesellschaftlichen Konsens darüber notwendig, worin die Bestimmung der Menschen zu sehen ist.[13]
2.1.2 Grundgesetz und Menschenwürde
Mit dem historisch gewachsenen Wissen um die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Freiheitskonzeptionen versucht das Bonner Grundgesetz beide in den Grundrechten zu verknüpfen.[14] „Die Grundrechte sind der verfassungsrechtliche Ausdruck der individuellen Freiheit, der sozialen Emanzipation, des Schutzes gesellschaftlicher Interessen und der politischen Legitimation und Kontrolle staatlicher Herrschaft.“[15]
Der Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert die Würde des Menschen. An dieser Norm, die gegenüber anderen Artikeln des Grundgesetzes sowie anderen Gesetzen einen Auffangcharakter hat, muss sich jeglicher staatlicher Eingriff in die Freiheitssphäre messen lassen. Die Würde des Menschen hat vom Verfassungsgeber einen besonderen herausgehobenen Wert erhalten. Gegenüber anderen Rechtsgütern wird ihr eine Abwägungsfestigkeit zugesprochen.[16] Aufgrund dieser zentralen Stellung im Grundrechtswertesystem können die vom Staat verfolgten Ziele keinen eigenständigen Wert einnehmen. Die staatlichen Ziele müssen sich an dem einzigen Endzweck ausrichten, dem Menschen korrekt zu dienen.[17] Aus Art. 1 GG wird ein geschlossenes grundrechtliches Wert- und Anspruchssystem abgeleitet. Insofern ist die Menschwürde nicht alleinige Grundlage subjektiver Rechte. Sie ist im Zusammenhang mit den nachgeordneten Freiheits- und Gleichheitsrechten aus dem Grundrechtsteil zu sehen. Die so eingeordnete Menschenwürde zentriert die Verfassung auf die Personenqualität des Einzelnen und bietet eine Basis für die Analyse staatlicher Schutzpflichten.[18]
Eine abstrakte Bestimmung der Würde des Menschen ist bis heute nicht gelungen. Vielmehr besteht im Schrifttum Einigkeit darüber, dass dieser unbestimmte Rechtsbergriff auslegungsbedürftig ist. Bei Beurteilung einer Verletzung der Menschenwürde sind die Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen.[19]
Dem Begriffsinhalt kann man sich unter Umgehung einer Definition über Fallgruppen nähern, welche Eingriffe in die Grundrechte abbilden und allgemein als unzulässige Eingriffe anerkannt sind. Die zu verhindernde Verletzung der Menschenwürde dient dabei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs. Als eindeutig nicht hinnehmbare Verhaltensweisen können beispielhaft jene genannt werden, welche dazu führen, dass Menschen in Folter, Sklaverei und Leibeigenschaft geraten oder Menschen auf die Ebene der Tiere oder Sachen herabwürdigen.[20] Das Bundesverfassungsgericht bedient sich in ständiger Rechtssprechung der so genannten Objektformel: „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen.“[21] Jedoch kann auch diese Objektformel nur einer Annäherung dienen, weil sie stark simplifiziert und nur vor schweren Verletzungen schützt.[22] Von ihrer Grundkonstruktion her sollte sie nur als steuernde Leitlinie und nicht als Subsumtionsformel verwendet werden.[23]
2.1.3 Einschränkung der Grundrechte von Rechtsbrechern
Für den Bereich strafrechtlicher Sanktionen besteht das „Spannungsverhältnis zwischen den subjektiven Rechten des Einzelnen und dem Anspruch der Gesellschaft auf wirksame Verbrechensprävention.“[24] Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit Strafgefangenen und Tätern in anschließender Sicherheitsverwahrung Grundrechtsschranken auferlegt werden können.
Soweit eine Einschränkung von Grundrechten nach dem Grundgesetz (Art. 19 Abs. 1 GG) zulässig ist, darf dies nur durch ein allgemeines, nicht für den Einzelfall geltendes Gesetz erfolgen. Das einschränkende Gesetz muss dazu das betroffene Grundrecht durch Angabe des Artikels erkennen lassen.[25] Somit können auch die Grundrechte von Strafgefangenen nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wie es bespielweise bei Beamten in ihrem Dienstverhältnis oder Schülern in ihrem Ausbildungsverhältnis der Fall ist, weil sie in einem besonders engen Verhältnis zur öffentlichen Gewalt stehen.[26] „Eine Einschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten, gemeinschaftsbezogenen Zwecks unerlässlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht.“[27] Voraussetzungen und Form einer Freiheitsentziehung regelt Art 104 in Ergänzung zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG. Die Freiheit der Person nach Art. 2 GG kann somit durch Gesetze eingeschränkt werden, die den Anforderungen des Art. 104 GG gerecht werden.[28]
Für die Sanktionierung von Straftätern regelt das Strafgesetzbuch Näheres. Neben der Bestrafung und anderen Maßnahmen kommt für besonders gefährliche Hangtäter, welche ihre eigentliche Haftstrafe bereits verbüßt haben, die Sicherungsverwahrung in Frage. Im Sinne des zuvor dargelegten grundgesetzlichen Menschenbildes dürfen staatliche Sanktionen nicht den Achtungsanspruch des einzelnen Menschen verletzen. Auch wenn die mit Hilfe solcher Gesetze bestraften oder gemaßregelten Delinquenten ihre persönliche Freiheit dazu missbraucht haben, um anderen Leid und Schaden zuzufügen, bleibt deren Würde schutzbedürftig. Rechtsbrecher sind sogar in besonderem Maße schutzberechtigt, weil sie ab dem Moment des Freiheitsentzuges dem hoheitlichen Zugriff nahezu vollständig ausgeliefert sind. Nur solange dieser Schutzanspruch für Straftäter besteht, kann ihnen die Entfaltung der individuellen Selbstbestimmungsfreiheit im Rahmen des Möglichen gewährt werden.[29] Der Delinquent wird nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns. Seiner Freiheit wird im Vollzug größtmöglicher Raum gegeben. Es bleibt festzuhalten, dass die Freiheit der Person nach Art. 2 GG als eines der Grundrechte eingeschränkt werden kann; die Würde des Menschen ist nach Art 1 GG jedoch unantastbar und unterliegt keinen Beschränkungen.
Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist durch das Bundesverfassungsgericht so ausgelegt worden, dass es zum einen die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen sichert und zum anderen die Möglichkeit der staatlichen Einschränkung im Rahmen der Verfassungsbestimmungen eröffnet. Damit ein Eingriff rechtmäßig bleibt, muss er unter anderem die Kompetenzverteilung und das Rechtsstaatsprinzip beachten.[30] Letzteres beinhaltet das Verhältnismäßigkeitsprinzip, nach dem eine Einschränkung von Grundrechten nur zur Erreichung eines vertretbaren Gemeinwohlzwecks zulässig ist. Die Vertretbarkeit ist dann gegeben, wenn die staatliche Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.[31]
Somit zeigt sich bereits auf grundrechtlicher Ebene, woran sich ein staatlicher Eingriff in die persönliche Freiheit, wie die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder die Anordnung der Sicherungsverwahrung, messen lassen muss, damit die Würde des Menschen nicht verletzt wird. Auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn wird im Rahmen der Kritik und Beurteilung der Sicherungsverwahrung noch zurückzukommen sein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grundrechte konzipiert sind, um die Menschenwürde des Einzelnen zu garantieren. Der Respekt vor der Selbstwirklichkeit der Person soll stets gewahrt bleiben. Durch das staatliche Handeln darf der Mensch nicht zum bloßen Objekt herabgewürdigt werden. Dort, wo Grundrechte eingeschränkt werden, besteht grundsätzlich ein Beweisproblem. Zum einen muss die Notwendigkeit der Einschränkung gegeben sein und zum anderen muss die Würde des betroffenen Menschen unangetastet bleiben.
2.2 Die Sicherungsverwahrung im staatlichen Sanktionensystem
2.2.1 Straftheorien
Die Sicherungsverwahrung stellt im staatlichen Sanktionensystem nur eine von vielen Möglichkeiten dar. Für das Verständnis der vorliegenden Arbeit sind neben den verfassungsrechtlichen Grundlagen auch Kenntnisse über das Sanktionensystem des Strafgesetzbuches notwendig. Als Erster von fünf Schritten gibt dieser Abschnitt eine grobe Einführung in die Straftheorien und Strafzwecke. Darauf aufbauend wird dann im zweiten Schritt der Unterschied zwischen Strafe und Maßregel erläutert. Die übrigen drei Schritte gehen auf Entwicklungsstufen, rechtliche Voraussetzungen und Anordnungsverfahren ein.
Grundsätzlich wird zwischen absoluten und relativen Straftheorien unterschieden. In den absoluten Straftheorien steht die Straftat als zu beantwortendes Übel im Zentrum. Die Strafe ist Selbstzweck und stellt die Reaktion der Gesellschaft auf den Regelverstoß des Straftäters dar. Vergeltung, Schuldausgleich und Sühne sind wesentliche Elemente dieser Theorien.[32]
Im Gegensatz dazu haben die relativen Straftheorien immer einen Bezugspunkt in der Zukunft. Kennzeichnend für diese Ansätze ist, dass „bestraft wird, damit kein Unrecht geschehen wird.“[33] Die Repression aus der absoluten Straftheorie weicht hier der Prävention. Die relativen Straftheorien unterteilen sich weiter in die Ansätze der General- und Spezialprävention.[34]
Allgemein versteht man unter dem Strafzweck der Spezialprävention die hoheitliche Einwirkung auf den Rechtsbrecher. Der Straftäter selbst soll zukünftig keine strafbaren Handlungen mehr vornehmen.[35] Von positiver Spezialprävention spricht man, sofern durch die Behandlung des Delinquenten in ihm die Einsicht zur Befolgung der Sozial- bzw. Strafnormen erwachsen soll. Wird der Täter hingegen aufgrund physischer Gewalt (Sicherungsfunktion) davon abgehalten weitere Straftaten zu begehen oder wird er durch die Erfahrung von fühlbarem Strafübel (Abschreckungsfunktion) zu regelkonformen Verhalten motiviert, ist hierin der Strafzweck einer negativen Spezialprävention zu sehen.[36]
Für die positive Spezialprävention kann als Beispiel die Resozialisierung angeführt werden. Freiheitsstrafen werden überwiegend der positiven Spezialprävention zugeschrieben, obwohl sie auch Elemente der negativen tragen. Die Sicherungsverwahrung von Straftätern ist der negativen Spezialprävention zuzuordnen. Im Vordergrund steht hier die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch physische Gewalt, um den Sicherungsverwahrten von weiteren Taten abzuhalten.[37]
Die Ansätze der Genaralprävention sind durch eine an die Allgemeinheit gerichtete Konzeption der Verbrechensvorbeugung gekennzeichnet. Ähnlich wie bei der Spezialprävention werden die Strömungen der Genaralprävention in positive und negative unterteilt. Die positive Generalprävention zielt mit ihrer Sanktionierung auf Norm- und Gesellschaftsstabilisierung ab. Abweichende Verhaltensmuster sollen durch freiwillige Annahme der Rechtsordnung überwunden werden. Die negative Genaralprävention ist hingegen hauptsächlich an der Abschreckungswirkung der Strafe orientiert. Durch Strafandrohung sowie Verhängung und Vollzug einer Sanktion zwingt der Staat die Bürger, vorgegebene Normen einzuhalten. Der rational abwägende Mensch soll im Vorfeld einer Tat durch Abwägung von Vor- und Nachteilen zu dem Schluss kommen, dass die Nachteile der Strafverfolgung überwiegen und die strafbare Handlung nicht lohnend ist.[38]
2.2.2 Die Maßregel in Abgrenzung zur Strafe
Aus der Betrachtung der Strafzwecke ist bekannt, dass die Strafe im Wesentlichen der positiven und die Maßregel der negativen Spezialprävention zugeordnet wird. Neben dem Zweck sind die Sanktionsformen auch dem Grunde nach nicht gleichzusetzen. Die Strafe ist an der Schuldvergeltung ausgerichtet und zeigt die sozialethische Missbilligung des Täterverhaltens. Maßregeln wie die Sicherungsverwahrung stellen Gefahrenabwehrmaßnahmen dar, die prinzipiell eher dem Polizeirecht als dem Strafrecht zuzuordnen sind.[39] Diese so genannte Zweispurigkeit kennzeichnet das deutsche Strafgesetzbuch als zentrales Strukturelement.[40]
Losgelöst von dem in der Strafrechtswissenschaft vorzufindenen Theorienstreit zur Trennung von Strafe und Maßregel bezog das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 5. Februar 2004 hierzu Stellung. Es beruft sich auf den Gesetzgeber, der der so genannten Vereinigungstheorie gefolgt sei, um alle Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung weiterhin nicht nur den Strafzweck des Schuldausgleichs, welcher den absoluten Straftheorien zuzurechnen ist, sondern auch relative Strafzwecke wie die Prävention und Resozialisierung.[41] Im Gesetz zeigt sich diese Unterscheidung unter anderem daran, dass sich das Strafmaß gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB an der individuellen Schuld des Täters ausrichtet.
[...]
[1] Vgl. Braum, S. (2004), S. 108.
[2] Vgl. Kinzig, J. (2002), S. 3208.
[3] Vgl. Reindl, R., Weber, H-M. (2002), S. 140 f.
[4] Vgl. Bremer Institut für Kriminalpolitik (2002), S. 235.
[5] Vgl. Kinzig, J. (1996), S. 520 ff.
[6] Vgl. Kern, J. (1997), S. 183.
[7] Vgl. Kinzig, J. (2004), S. 914; Komitee für Grundrechte und Demokratie (2004), S. 27 ff.
[8] Vgl. Posek, R. (2004), S. 2562 f.
[9] Vgl. bspw. Kern, J. (1997), S. 187; Nowakowski, F. (1963), S. 98 ff.
[10] Huber, W. (1999), S. 222.
[11] Vgl. Huber, W. (1999), S. 222.
[12] Vgl. Huber, W. (1999), S. 222 f.
[13] Vgl. Huber, W. (1999), S. 224.
[14] Vgl. Huber, W. (1999), S. 225.
[15] Kannengießer, C. (1999) in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Vorbemerkungen v. Art. 1, Rn. 1.
[16] Vgl. Herdegen, M. (2003) in Maunz/Dürig/Herdegen/Herzog, Art. 1, Rn. 5. Auf die Diskussion um die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit der Menschenwürde, wie sie in der Neukommentierung des Art. 1 GG durch Herdegen (a.a.O., Art 1, Rn. 17 ff) abgebildet wird, kann, wegen der damit verbundenen Ausweitung der vorliegenden Arbeit, nicht erfolgen. Böckenförde (2004, S. 1225) betont im Rahmen dieser Diskussion, den unbestrittenen Kernbestand der Menschenwürdegarantie und verweist dazu auf die Formulierungen „Zweck an sich selbst“ und „Dasein um seiner selbst willen“als Zeitgeist unabhängige Umschreibungen der Menschenwürde. Die Ansätze der Neukommentierungen sind seiner Ansicht nach hinsichtlich der durch die Humangenetik, Biotechnologie und Reproduktionsmedizin aufgeworfenen neuzeitlichen Fragestellungen von Bedeutung. Eine Aufweichung der Unantastbarkeit kann jedoch auch im Rahmen neuer Fragestellungen nicht begründet werden.
[17] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 131 f.
[18] Vgl. Herdegen, M. (2003) in Maunz/Dürig/Herdegen/Herzog, Art. 1, Rn. 17 f.
[19] Vgl. Fiedeler, S. M. (2002), S. 23; Neuß, F. (2001), S. 135; Herdegen, M. (2003) in Maunz/Dürig/Herdegen/Herzog, Art. 1, Rn. 31.
[20] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 139 f; Herdegen, M. (2003) in Maunz/Dürig/Herdegen/Herzog, Art. 1, Rn. 33.
[21] BVerfG in BVerfGE 27, S. 1.
[22] Vgl. Fiedeler, S. M. (2002), S. 23.
[23] Vgl. Böckenförde, E. (2004), S. 1218.
[24] Neuß, F. (2001), S. 127.
[25] Vgl. Schmidt-Bleibtreu, B. (1999) in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 19, Rn. 1.
[26] Vgl. Böckenförde, E. (1989), S. 17; Neuß, F. (2001), S. 145.
[27] BVerfG in BverfGE 33, S. 11.
[28] Vgl. Schmidt-Bleibtreu, B. (1999) in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 104, Rn. 1.
[29] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 147.
[30] Vgl. Böckenförde, E. (1989), S. 15 f.
[31] Vgl. Böckenförde, E. (1989), S. 19.
[32] Vgl. Enßlin, R. (2003), S. 7.
[33] Enßlin, R. (2003), S. 7.
[34] Vgl. Enßlin, R. (2003), S. 7.
[35] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 67.
[36] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 73.
[37] Vgl. Neuß, F. (2001), S. 75.
[38] Vgl. Enßlin, R. (2003), S. 23; Neuß, F. (2001), S. 76.
[39] Vgl. Mushoff, T. (2004), S. 142.
[40] Vgl. Kern, J. (1997), S. 13.
[41] Vgl. BVerfG in BverfGE 109, S. 172 ff.
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- Mattes Decker (Autor), 2005, Sicherungsverwahrung und Menschenwürde. Eine ethische Betrachtung der Maßregel, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41390
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