Der demographische Zuwachs an älteren Migranten ist ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die größte Gruppe von Migranten bilden die sogenannten Arbeitsmigranten. Unter den Arbeitsmigranten sind die aus der Türkei immigrierten Migranten die größte Kohorte. Sie sind heute noch als die „Gastarbeiter“ bekannt.
In Deutschland sind etwa 20% der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe über 40 Jahre und älter. Diese Tatsache wird in dieser Thesis zum Anlass genommen, um über das Altwerden in Deutschland mit Bezug auf die türkische Bevölkerungsgruppe zu berichten. Bedenkt man hierbei, dass gerade die ältere Generation türkischer Migranten, die nun am längsten in Deutschland leben, ursprünglich gar keine Verweilabsichten hatten, sondern schnellstmöglich zurückkehren wollten, stellt sich die Frage, welche besonderen Herausforderungen bei der Arbeit mit älterwerdenden und altgewordenen türkischen Mitbürgern besteht.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Türkische „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik
2.1 Außenpolitische Gründe von Arbeitsmigration in die Bundesrepublik
2.2 Motivation und Ursache der Migration türkischstämmiger Arbeiter
2.3 Das Anwerbeabkommen vom 30. Oktober 1961
2.4 Neufassung deutsch-türkisches Abkommen 1964
2.5 Der Anwerbestopp 1973
3. Altern in der Migration
3.1 Daten und Fakten
3.2 Situation der älteren Generation türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in
Deutschland: Ein kurzer Abriss
3.3 Bedeutung der Religion
3.4 Konstitution von türkischen Migranten
3.5 Lebensbedingung und Wohnumfeld
3.6 Ökonomische Situation
4. Befragung
4.1 Problemzentriertes Interview
4.2 Experteninterview
4.3 Methodische Überlegung
4.4 Entwicklung der Frage
4.5 Durchführung
4.6 Reflektion
5. Inhaltliche Diskussion
5.1 Besonderheiten der türkischen Sprache
5.2 Datum und Grund der Migration
5.3 Bildung
5.4 Finanzielle Situation
5.5 Sprache
5.6 Familiäre Lage
5.7 Soziale Lage
5.8 Religiosität
5.9 Gesundheitliche Konstitution
5.10 Unterstützungsbedarf
6. Herausforderung an die Soziale Arbeit
6.1 Ethnische Altenheime
6.2 Tagespflegeeinrichtungen
6.3 Häusliche Pflege
6.4 Begegnungscafés
6.5 Funktion der Sozialen Arbeit
7. Resümee
8. Literaturverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“.
- Max Frisch -
„Ich fühle mich wie ein Baum, dessen Wurzeln im Heimatland sind, die Früchte aber in Deutschland“.
- Hassan Fikes -
Mit diesen beiden Zitaten möchte ich die Bachelorarbeit einleiten. Es sind zwei Zitate, die mich in meinem Leben begleitet haben. Zum einen als Sohn eines Gastarbeitervaters, der bis zu seinem krankheitsbedingten Renteneintritt in drei Schichten im Eisenwerk tätig war und daher kaum Zeit für die Familie aufbringen konnte. Mein Vater ist ein Mann, der heute noch von seiner Rückkehr ins heimatliche Dorf träumt. Trotz und womöglich wegen seiner harten und körperlich anstrengenden Tätigkeit in einer Motorenfabrik, legte er hohen Wert darauf, dass seine beiden Söhne studieren und etwas im Leben erreichen.
Zum anderen erinnern mich diese beiden Zitate an meine Jugend in Brühl Vochem. Vochem ist ein Stadtteil mit einem großen Anteil an türkischen Migranten. Als Kinder war es für uns ein Käfig, wenig beachtet von der Politik oder der Gesellschaft wuchsen wir auf, ohne Kontakt zu deutschen Kindern. Als Kinder war es schwer nachvollziehbar, weshalb wir von Deutschen gemieden wurden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem im Zentrum dieses Stadtteiles, unter der Leitung von Hasan Fikes, ein Jugendzentrum eröffnete. Wir Kinder hatten nun einen Ort, an dem wir uns aufhalten konnten und wo uns Beachtung geschenkt wurde. Doch unsere Eltern, die erste Generation der türkischen Migranten, hatten nicht solch einen Ort. Insbesondere heute wird das Ausmaß deutlich. Ich erlebe es oft, dass die älteren türkischen Migranten zu mir kommen und mich bitten, sie bei Behördengängen zu begleiten, einen Brief für sie zu verfassen oder für sie Telefonate zu führen und Übersetzungsarbeit zu leisten. Dieser Zustand der Hilflosigkeit gab mir den Impuls, eine Arbeit zu verfassen, die sich nur mit der Problemlage der türkischen Migrantinnen und Migranten der ersten Generation befasst. Verbunden mit dieser Thesis möchte ich einige Danksagungen niederschreiben.
Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich in jeder Lebenslage unterstützt haben und mir vor allem materielle Unterstützung bei meinen Recherchen für diese Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Ohne meine Eltern wäre ein Studium weder denkbar noch möglich gewesen.
Weiterhin danke ich meiner Verlobten, die mir motivierend zur Seite gestanden hat und mich immer dann, wenn es nicht weiterging aufbaute. Sie gab mir die Kraft und die Ausdauer, die ich für diese Arbeit gebraucht habe.
Ein weiterer dank geht an Herrn Bayram. Durch ihn habe ich viele Kontakte geknüpft und viele nette Menschen in diesem Bereich kennengelernt, die mir weitergeholfen haben. Ohne die Hilfe von Herrn Bayram wäre es nicht möglich, diese Arbeit in diesem Umfang zu vollenden.
Natürlich möchte ich auch Duysal Altinli danken. Besonders die Mühen, die er sich gemacht hat, um meine Niederschriften durchzulesen und mir Feedback zu geben, haben einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, diese Arbeit zu vollenden.
1. Einleitung
Der demographische Zuwachs an älteren Migranten ist ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die größte Gruppe von Migranten bilden die sogenannten Arbeitsmigranten. Unter den Arbeitsmigranten sind die aus der Türkei immigrierten Migranten die größte Kohorte. Sie sind heute noch als die „Gastarbeiter“ bekannt. Der Begriff „Gastarbeiter“ beinhaltet die beiden Wörter Gast und Arbeiter. Dies impliziert eine Gruppe von Arbeitern, die zu Gast nach Deutschland kam. Allein mit diesem Begriff, der einen Fortgang assoziiert, lässt sich das politische und gesellschaftliche Verständnis herleiten. Demnach lässt sich mit dieser Zuschreibung nicht nur eine Migrantengruppe beschreiben. Vielmehr ist es auch Sinnbild politischer Verfehlungen über mehrere Jahrzehnte. Diese politischen Verfehlungen hatten zur Folge, dass sich eine ganze Volksgruppe, die heute ganz natürlich ein Bestandteil Deutschlands ist, missverstanden und nicht akzeptiert fühlt. Die Auswirkungen der politischen Entscheidungen lassen sich bis in die dritte Generation hinein nachverfolgen. Doch ist vor allem die erste Generation davon betroffen. Sie gelten als nichtintegriert, isoliert, ungebildet, werden deklassiert als unqualifizierte Arbeitskräfte und müssen sich immer wieder für ihren Verbleib rechtfertigen.
In Deutschland sind etwa 20% der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe über 40 Jahre und älter. Diese Tatsache wird in dieser Thesis zum Anlass genommen, um über das Altwerden in Deutschland mit Bezug auf die türkische Bevölkerungsgruppe zu berichten. Bedenkt man hierbei, dass gerade die ältere Generation türkischer Migranten, die nun am längsten in Deutschland leben, ursprünglich gar keine Verweilabsichten hatten, sondern schnellstmöglich zurückkehren wollten, stellt sich die Frage, welche besonderen Herausforderungen bei der Arbeit mit älterwerdenden und altgewordenen türkischen Mitbürgern besteht. Unabhängig von Nationalität oder ethnischer Herkunft ist das Altwerden ein Prozess, der jeden Menschen gleichermaßen beschäftigt und Bestandteil jedes Lebens ist. In Deutschland erlangt die Phase des Alterns einen besonderen Stellenwert und ist Grundlage vieler empirischer Untersuchungen. So füllt in diesem Kontext der eben genannte Begriff „demographischer Wandel“ in Deutschland viele Bücher und ist ein Kernthema, mit dem sich Wissenschaft und Politik auseinandersetzen müssen. Demographischer Wandel ist laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zu verstehen als ein Prozess der progressiven Abnahme der Bevölkerung und der gleichzeitigen Alterung der Menschen im Lande. Natürlich ist es in einem Land, welches sich mit der Frage des Älterwerdens beschäftigt, einfacher, sich auf eben diese Menschen einzustellen. Diese Auseinandersetzung darf sich jedoch nicht nur dem Altwerden der deutschen Bevölkerung widmen, sondern muss sich unter anderem auch damit beschäftigen, mit welchen Problemen sich die türkischen Senioren konfrontiert sehen. Es sind die Menschen, die Zeit ihres Lebens schwierigen Situationen entgegenstanden - sei es aufgrund nicht stattgefundener Maßnahmen zur Akklimatisierung und Akkulturation in diesem zunächst fremden Land, sei es aufgrund kommunikativer Schwierigkeiten oder der Tatsache, dass sie sich zwischen zwei Welten bewegt haben und in keiner von beiden eine wirkliche Heimat finden konnten. In Deutschland galten sie stets als die Türken und in der Türkei waren es die „Almanci“, die „Deutschländer“. Sie waren die Pioniere jeder nachfolgenden Generation türkischer Bürger in diesem Land. Sie haben ihren Teil dazu beitragen können, dieses schöne Land mit all ihren Facetten, Grübchen und Falten so mitzugestalten, dass aus Deutschland jenes multiethnische und transnationale Gefüge wurde, das man heute vorfindet. Womöglich hatte eben diese erste Generation an türkischen Gastarbeitern, aber auch die zahlreichen anderen hier arbeitenden Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern wie Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Marokko, Südkorea, Tunesien und Jugoslawien dazu beigetragen, dass sich Deutschland von einer nationalistisch geprägten Gesinnung befreien konnte. Gerade um aus der Vergangenheit zu lernen und die Fehler, die bei der „Anwerbung“ zustande kamen, nicht bei Fragen rund um das Thema Alter erneut zu begehen, ist es notwendig, sich frühzeitig damit zu befassen. Das gilt auch dann, wenn sich zurzeit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine geringe Zahl türkischstämmiger Menschen in Deutschland aufhält.
Somit ist der Gegenstand dieser Arbeit, die alten Menschen mit türkischem Hintergrund zu ihrer Lebenslage zu befragen, sich kritisch mit vorhandenen Untersuchungen auseinanderzusetzen und bestenfalls Wege zu konzipieren, um diesen Menschen gezieltere Hilfestellung in ihrem Leben in Deutschland zu geben. Hierbei ist es wichtig herauszufinden, vor welchen Herausforderungen die Soziale Arbeit steht.
Um das möglich zu machen, ist es zunächst notwendig, im zweiten Kapitel über geschichtliche Hintergründe zu berichten. Dabei werden die Gründe, wie es zu einem deutsch-türkischen Abkommen kam, erläutert. Weiter werden die Motive und Ursachen beleuchtet, die Einzelheiten des Abkommens konkretisiert und sowohl die Neufassung des deutsch-türkischen Abkommens 1964 als auch das Anwerbestopp 1973 beschrieben.
Im dritten Kapitel wird die besondere Lage in der Fremde zu altern geschildert. Dazu werden statistische Erhebungen dargestellt und die Situation der türkeistämmigen Migranten der ersten Generation veranschaulicht. Hierbei werden Grundlagen für das fünfte Kapitel, wie religiöse, gesundheitliche, wohnsituative und ökonomische Faktoren analysiert.
Das vierte Kapitel befasst sich mit den Befragungen, die für diese Bachelorthesis durchgeführt wurden. Methodische Überlegungen, die Entwicklung der Fragestellungen, die Durchführung und die Eigenreflektion werden hierbei Thema dieses Kapitels.
In Kapitel fünf werden die Befragungen ausgewertet und wichtige Aspekte der Situation der älteren türkischen Migrantinnen und Migranten der ersten Generation erläutert. Um die Situation und die Lebenslage der älteren Migranten genauer beschreiben zu können, muss eine ausführliche Analyse stattfinden. Daher wird die Situation anhand folgender Gesichtspunkte geschildert: Datum und Grund der Migration, Bildung, finanzielle Situation, Sprache, familiäre Lage, soziale Lage, Religiosität, gesundheitliche Konstitution und Unterstützungsbedarf.
Das sechste Kapitel stellt konkrete Handlungsmöglichkeiten bei der Arbeit mit den älteren türkischsprachigen Migranten auf und verweist auf die wichtige Funktion der Sozialen Arbeit.
2. Türkische „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik
Um auf die Motive der türkischstämmigen Migranten in Deutschland eingehen zu können, muss man zunächst verstehen, wie es zu so einem „Anwerbeabkommen“ kommen konnte. Hier für ist ein Blick auf die Geschichte Deutschlands unabdingbar. Mit Geschichte ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gemeint. Der Grundtenor eines nachkriegszeitlichen Deutschlands suggerierte in den Köpfen der Menschen um die Zeit ab 1945 ein Bild der Zerstörung und des Grauens. Nach den verheerenden Repressalien der Alliierten, glaubte niemand an ein westdeutsches Wirtschaftswunder. Man glaubte, alles sei von Zerstörung heimgesucht und Deutschland könne sich nicht mehr regenerieren (Herbert, 2001, S. 192). Schaut man aber auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, speziell ab Ende der 30er- bis zu den Anfängen der 50er Jahre, wird man feststellen können, dass die Alliierten zwar fast ganze Wohnviertel beschädigten und gar zerstörten, die Gebiete in denen die industriellen Produktionsanlagen standen aber weit weniger dezimiert wurden als angenommen (Herbert, 2001, S. 192). Die Anlagen ließen sich während des Krieges nur durch ausländische Zivilarbeiter und die zahlreichen Kriegsgefangenen betreiben. Nach Kriegsende kehrten diese wieder zurück in ihre Heimatländer. Trotz der zurückgekehrten deutschen Soldaten war ein enormes Defizit an Arbeitskräften vorhanden, da durch die zahlreichen Kriegsverluste und verstorbenen Soldaten, die Zahl der erwerbsfähigen deutschen Männer erheblich reduziert war. Die deutsche Wirtschaft, deren Produktionsdichte während des Krieges stark ausgeweitet worden war, erlebte nun einen erheblichen Mangel an Arbeitskräften (Herbert, 2001, S. 193). Doch diese Tatsache war nicht das eigentliche Problem in den Jahren nach dem Krieg. Sowohl die politischen Entscheidungen der Alliierten aber auch beschädigte Transportwege führten zu einer wirtschaftlichen Lähmungskrise und der Stilllegung von wichtigen Produktionszweigen (Werner, 1979, S. 539). Mit der 1948 verabschiedeten Währungsreform in drei westdeutschen Besatzungszonen begann ein regelrechter wirtschaftlicher Aufschwung und der während der Kriegszeit ausgedehnte Industriezweig wurde wiederbelebt (Herbert, 2001, S. 193-195). Für den wirtschaftlichen Erfolg bedurfte es allerdings zweier Komponenten. Zum einen benötigte man Kapital, welches erfreulicherweise im Zuge des Marshallplanes mit Auslandssubventionen der Amerikaner gesichert war. Des Weiteren waren Arbeitskräfte nötig, um den großen Industriesektor zu betreiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es jedoch große Fluktuation beim Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerungsgruppe. Durch das Wegfallen der im Krieg rekrutierten ausländischen Arbeitskräfte und der Kriegsgefangenen, gab es eine Arbeitskraftlücke, die auch durch inländische Arbeitskräfte nicht kompensiert werden konnte. Ausgeglichen wurde sie aber durch die Wiederkehr von Vertriebenen und Flüchtlinge. 90% des deutschen Bevölkerungszuwachses im Zeitraum von 1950 bis 1960 entstand durch das Zuwandern von Vertriebenen und Flüchtlingen (Herbert, 2001, S. 195ff.). Durch das Austarieren der fehlenden Arbeitskräfte mit den zugewanderten Vertriebenen und Flüchtlingen, verdoppelte sich das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik binnen zehn Jahren. Deutschland erlebte eine Zeit des Aufschwungs, unterzeichnete aber ungeachtet dessen zahlreiche Abkommen mit Staaten und warb für neue Arbeitskräfte. Demzufolge kann ein Mangel an Arbeitskräften nicht der ausschlaggebende Grund sein, da de facto kein wirklicher Mangel bestand. Vielmehr waren außenpolitische Belange bei der Akquirierung von Arbeitskräften signifikant.
2.1 Außenpolitische Gründe von Arbeitsmigration in die Bundesrepublik
Anders als im Ersten Weltkrieg, nach dem die europäischen Staaten durch wirtschaftlichen Protektionismus die politischen Beziehungen untereinander liquidierten, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1945, insbesondere durch amerikanisches Engagement, politische und wirtschaftliche Integration mit dem Ziel der Friedenssicherung angestrebt (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 15). Trotzdem war das wirtschaftliche Gefüge in Europa instabil und bedurfte einer Sanierung der innereuropäischen Währungssysteme. Ein zentrales Problem waren die vorhandenen westeuropäischen Währungen, welche ohne einen gewaltigen administrativen Aufwand nicht problemlos konvertierbar waren und daher vergleichbar mit den sozialistischen Staaten nur als Binnenwährungen fungierten (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 16). Mit einer uneingeschränkt konvertierbaren und international gültigen Währung ist es möglich, Zahlungs- und Handelsdefizite durch Handelsüberschüsse auszugleichen. Doch bei fehlender Konvertibilität der Währung und des daraus resultierenden nicht funktionierenden Devisenmarktes, muss der multilaterale Zahlungsvorgang durch komplizierte Kreditoperationen der Regierung ersetzt werden (Özil, Hofmann, & DayiogluYücel, 2012, S. 17). Westdeutschland litt unter diesen Bedingungen und wäre ohne finanzielle Zuschüsse zusammengebrochen. Allein durch eine freie Konvertibilität der europäischen Währungen konnte ein Zusammenbrechen der wirtschaftlichen Lage verhindert werden, doch dies wurde erst 1958 vereinbart. Bis dato regulierte die Europäische Zahlungsunion (im Folgenden EZU) wirtschaftliche Vorgänge. So verpflichtete die EZU sowohl Gläubiger- als auch Schuldnerländer zu bilateralen Zahlungsbilanzausgleichen, wodurch der fragile Außenhandel gestützt und das Projekt eines gemeinsamen Europa nicht gefährdet werden sollte (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 17). Die westdeutsche Wirtschaft, welche zu der Zeit florierte und den deutschen Devisenzuflüsse sicherte, war eines der Kernpunkte des italienisch-deutschen Abkommens. Denn durch die Regularien der EZU musste im europäischen Raum ein Zahlungsbilanzgleichgewicht herrschen und die italienische Handelsbilanz entwickelte sich dermaßen defizitär, dass die Verantwortlichen mit allen Mitteln einen Ausgleich anstrebten. Dieses Bestreben führte zu Verhandlungen mit der deutschen Regierung. Hier wurde neben der Vereinbarung, diverse Güter aus Italien zu importieren, an eine Entsendung von italienischen Arbeitern nach Deutschland gedacht. Mithilfe der Delegation an Arbeitskräften versuchte man, durch die Überweisungen von Deutscher Mark, das italienische Defizit zu minimieren. Die Italiener insistierten solch ein Abkommen, nicht zuletzt aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Befürchtung, dass diese Gegebenheit zu innerpolitischen Unruhen und Aufständen führen könnte. Das italienisch-deutsche Abkommen sollte für alle Abkommen, die danach unterzeichnet wurden, grundlegend sein. Es ist mustergültig für alle weiteren Abkommen, denn weder ging die Initiative von der Bundesrepublik aus, noch hatte sie singulär eine arbeitsmarktpolitische Priorität. Die Auswirkung der Akquise von Arbeitskräften aus dem Ausland brachte der westdeutschen Industrie trotzdem einen erheblichen Aufschwung. Betrachtet man allerdings die Tatsache, dass die Initiative für solche Abkommen immer von den Staaten ausging, welche Arbeitskräfte entsandten, ist der gebräuchliche Begriff der „Anwerbung“ irrtümlich gewählt. Denn unter jenen Staaten, die Arbeitskräfte entsandten, waren auch welche, die mit solchen Abkommen verhindern wollten, dass aufgrund der schlechten innerwirtschaftlichen Lage eine unkontrollierte Abwanderungswelle von qualifiziertem Fachpersonal und Facharbeitern begann. Sie versuchten somit, die immer attraktiver werdende Migration kontrolliert einzudämmen und zu kanalisieren. (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 18 ff.) Viele dieser zwischenstaatlichen Regelungen wurden allerdings ohne Berücksichtigung der Rechtslage initiiert. Zum Schutz der Wanderarbeiter wurde 1952 das Übereinkommen Nr. 97 der Internationalen Arbeitsorganisation (im Folgenden IAO/ILO) beschlossen (associates-human-rights-education). Dieses Dokument definiert zwei legale Arten der Vermittlung und der Anwerbung von Arbeitskräften. Zum einen musste es sich um ein von den Regierungen vereinbartes Abkommen handeln, welches durch Artikel 10 der ILOKonvention Nr. 97 so geregelt war, dass jedem Abkommen eine vollständige Prüfung vorrausgehen muss, die sicherstellt, ob für die zu verrichtende Tätigkeit nicht bereits genügend inländische Arbeitskräfte zur Verfügung stehen (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 19 ff.). Die zweite Option, welche die ILO vorsah, ist eine Migration, die sich ohne staatliches Einwirken gestaltet und zustande kommt, weil Arbeitnehmer einen Bedarf an Arbeitskräften in einem bestimmten Sektor benötigen. So waren landwirtschaftliche Betriebe und der Bergbausektor in Westdeutschland einem akuten Arbeitskräftedefizit ausgesetzt und akquirierten selbstständig Arbeitnehmer im Ausland. Ausschließlich diese zwei Gründe sind zulässig für eine Anwerbung nach der ILO-Konvention Nr. 97. Angesichts dessen sind einige der getroffenen Anwerbevereinbarungen der BRD nicht gänzlich rechtskonform. Die Bemühungen einzelner Staaten, durch Anwerbeabkommen die Migrationsbewegungen im eigenen Land zu kanalisieren bzw. zu kontrollieren, gelang insofern nicht, da durch die ILO legitimiert einzelne Unternehmen und Industriebereiche eigenständig im Ausland um Arbeitskräfte warben.
2.2 Motivation und Ursache der Migration türkischstämmiger Arbeiter
In Anbetracht der Tatsache, dass einzelne industrielle Sektoren und landwirtschaftliche Betriebe selbstständig für Arbeitskräfte warben, kam es zu einem Anstieg an ausländischen Arbeitskräften in Westdeutschland ohne ein zuvor beschlossenes staatliches Abkommen. Betrachtet man die Zahlen der Einreisegesuche türkischer Staatsbürger im Generalkonsulat der BRD in Istanbul vor 1960, so wird man feststellen, dass monatlich ca. 10-15 Anfragen gestellt wurden. Im April 1960 stieg die Zahl derer, die ein Einreisegesuch in die BRD stellten, auf 500 an. Gerade in Bereichen des Bergbaus, in Steinbrüchen und Sektoren der Schwerindustrie war eine erhebliche Nachfrage zu verzeichnen. Diese Entwicklung lässt sich erklären mit dem wirtschaftlichen Aufwärtstrend, den die Bundesrepublik Deutschland erlebte und der daraus resultierenden gestiegenen Nachfrage an Beschäftigungsmöglichkeiten in saubereren Bereichen, die wenig körperliche Anstrengung erfordern. Warum ab 1960 mehr türkische Menschen migrationswillig waren, lässt sich mit innerpolitischen Konflikten und einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen erklären (Hunn, 2005, S. 42).
Die Türkei erlebte unter Atatürk und später nach Inönü eine Vielzahl an Reformen. Dieses Reformierungsbestreben der Türkei folgte einem westlichen Vorbild. Die kemalistische Politik (speziell die Zeit zwischen 1924 bis 1938) verfolgte das Ziel der Industrialisierung, der Etablierung einer dynamischen Wirtschaft und versuchte, in kurzer Zeit eine Modernisierung des Landes zu bewirken. In dieser Zeit versuchte die Türkei, sich aus dem vorbelasteten osmanischen Gefüge zu lösen. Im Jahre 1946 begann für die Türkei eine neue Ära. Das Einparteiensystem wurde durch ein Mehrparteiensystem ersetzt und der Weg zu einem demokratisch legitimierten Staat war nun greifbar (Celik, 2009, S. 13 ff.). 1950 gewann die „Demokratische Partei“ (nachfolgend DP abgekürzt) unter Führung von Menderes. Innerhalb seiner Regentschaft wurden zahlreiche weitere Reformen initiiert. Die DP verlor 1957 die absolute Mehrheit, blieb aber dennoch stärkste Partei. Menderes war mit seinem Führungsstil ein Dorn im Auge der Armee, welche nach wie vor die kemalistische Ordnung vertrat. Am 27. Mai 1960 stürzte die Armee die Regierung der DP, Menderes und zwei Minister wurden hingerichtet. Der Militärputsch der Armee hatte weitreichende Folgen für die Türkei. Gewerkschaften wurden eingeschränkt und politische Beteiligung wurde zensiert und streng kontrolliert. Die Türkei hatte allerdings ab den 50er Jahren eine klare Instruktion der Amerikaner erhalten. Sie sollte als Lieferant von Rohstoffen und Agrarprodukten für zerstörte Länder in Europa dienen. Daher finanzierten die Amerikaner durch Kredite aus dem Marshallplan die Landwirtschaft in der Türkei. Diese Kredite hatten jedoch primär Auswirkungen auf Großgrundbesitzer. Diese mechanisierten ihre Anlagen und die Produktion von Gütern wurde immer professioneller. Die Kredite aus dem Marshallplan begünstigten aber keinesfalls die Kleingrundbesitzer, weswegen diese in zunehmendem Maße von den Großgrundbesitzern verdrängt wurden. Die Bauern konnten durch Viehwirtschaft und die Kultivierung von Ackerland ihren Lebensunterhalt nicht sichern. So kam es zur wirtschaftlichen Armut und Arbeitslosigkeit, woraufhin eine Binnenwanderung der ländlichen Bevölkerung festzustellen war (Schuß, 2008, S. 155 ff.). Erstmals waren viele gezwungen, ihre alte Familienform aufzulösen. Das Leben mit mehreren Generationen in einem Haushalt war trotz eines engen Familienzusammenhaltes nicht mehr möglich. So zogen viele Menschen in die türkischen Industriestädte wie Ankara, Istanbul und Izmir (Celik, 2009, S. 18). Zusammengefasst kann man zwei Hauptgründe der Migrationsmotivation konstatieren. Zum einen die politische Instabilität, bedingt durch den Militärputsch, zum anderen die Abwanderung der Bevölkerung in urbane Regionen als Folge der Begünstigung von Großgrundstückbesitzern und der daraus resultierenden Armut der Kleingrundbesitzer. Die Migration innerhalb der Türkei, raus aus den bestehenden familiären und ländlichen Strukturen, führte dazu, dass die Menschen sich neuen Werten konfrontiert sahen, die adversativ zu dem waren, was sie aus den ländlichen Gebieten kannten. Sie trugen diese neuen, westlich orientierten Werte in ihr Heimatdorf und vereinfachten den Auswanderungswilligen die Option auszuwandern. Die Menschen gewannen durch den Schritt der Binnenmigration stark an Selbstbewusstsein. Doch auch in den Städten sahen sie wirtschaftlicher Not entgegen. Denn der Militärputsch hatte weitreichende Konsequenzen und schränkte die Meinungsfreiheit der Menschen ein. Der Wunsch ins Ausland auszuwandern keimte in Ihnen. Das Militär stellte unterdes aber eine neue Verfassung auf und wollte die Wirtschaftsplanung nun nach Atatürks Vorbild verstaatlichen. Dafür wurde eine staatliche Planungsorganisation gegründet. Ziel dieser staatlichen Planungsorganisation war die Koordination wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in der Türkei (Hunn, 2005, S. 34). Bei der Umsetzung dieser Pläne wurde auch an eine zeitlich begrenzte Versendung von Arbeitskräften ins Ausland gedacht, um die Zahl der Arbeitslosen im Land zu minimieren. Westdeutschland war für die Türkei hierbei ein attraktiver Annehmerstaat für die eigenen Arbeitskräfte, da die deutsche Wirtschaft prosperierte und deutsche Devisen sehr begehrt waren. Darüber hinaus besteht seit dem Ersten Weltkrieg zwischen Deutschland und der Türkei eine enge bilaterale Beziehung. Sich auf eben diese Bindung beziehend, postulierte die türkische Regierung ein Anwerbeabkommen nach dem Beispiel von Italien, Spanien und Griechenland. Doch der Vorschlag Arbeitskräfte nach Deutschland zu entsenden fand zunächst keine Unterstützung. Erst nach einjährigen Sondierungsgesprächen und dem Drängen seitens der Türkei sollte ein Abkommen am 30. Oktober 1961 geschlossen werden. Die Türkei intensivierte den Druck auf die westdeutsche Regierung, indem sie eine Lockerung der Reisebeschränkung türkischer Staatsbürger und der dadurch erwarteten Arbeitskräftemigration in die BRD verkündete. Weiterhin wurde absichtlich provoziert, indem darauf hingewiesen wurde, dass die Türkei ein vollwertiges Mitglied der Nato sei und es als Diskriminierung verstehen würde, wenn man das Abkommen nicht akzeptiere. Denn zwischen diesen beiden Staaten herrsche ein reger Warenaustausch und wirtschaftliche Interessen müssten immer reziprok verlaufen, so die türkische Regierung (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 24). Ebenfalls musste die westdeutsche Regierung reagieren und einem solchen Arrangement zustimmen, da parallel zu den Verhandlungen deutsche Unternehmen bereits türkische Arbeitskräfte zu rekrutieren versuchten. Gleichwohl konnte die Bundesregierung nicht vorbehaltlos zustimmen, da sonst andere Staaten, die ebenfalls ein solches Arbeitsabkommen anstrebten, mit einer sofortigen Zusage düpiert wären. Daher bot das Auswärtige Amt am 17. Februar 1961 die Entsendung einer kleinen Kommission der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung an. Diese Kommission sollte gemeinsam mit den türkischen Behörden Arbeitskräfte für westdeutsche Unternehmen auswählen und bei gesundheitlicher und beruflicher Eignung die Ausreise organisieren. Diesem Angebot stimmte die Türkei zu und schaffte somit einen Präzedenzfall für ein außereuropäisches Arbeitsabkommen, wodurch eine Grundlage für das spätere Anwerbeabkommen für Marokko und Tunesien geschaffen war (Hunn, 2005, S. 52).
2.3 Das Anwerbeabkommen vom 30. Oktober 1961
Das letztlich am 30. Oktober 1961 getroffene Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei gilt für viele allerdings als ein Abkommen zweiter Klasse. Dieses Abkommen war insofern von den vorgehenden Anwerbevereinbarungen zu unterscheiden, da es sich nicht wie beispielsweise im Falle von Italien auf eine pauschale Bedarfsmeldung bezog, sondern nur auf ein konkretes Beschäftigungsangebot der Unternehmen. Es war also auf den individuellen und betriebswirtschaftlichen Bedarf gerichtet (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 26). Das Anwerbeabkommen wurde zunächst beschränkt auf unverheiratete Personen. Familienzusammenführung und Familiennachzug waren nicht vorgesehen. Jeder Bewerber musste sich einer Gesundheitsprüfung unterziehen und eine Eignungsprüfung absolvieren (Hunn, 2005, S. 59 ff.). Auch wurde eine zeitliche Grenze von maximal zwei Jahren festgesetzt. Des Weiteren wurden anfänglich ausschließlich Arbeitskräfte aus den europäischen Gebieten der Türkei akquiriert. Eine Begrenzung wurde vorgesehen, um den temporären Charakter der Abmachung hervorzuheben. Der Familiennachzug war unter anderem nicht gewollt, da man potenzielle Schwierigkeiten in puncto Betreuung und Unterbringung der Familienangehörigen vermeiden wollte (bpb, 2014). Allerdings wurde der Aspekt der temporären Arbeitsaufnahme drei Jahre später mit der am 3. Dezember 1964 vereinbarten Regelung aufgehoben. Viele der türkischen Arbeitswilligen versuchten ohnehin die Regelung der begrenzten Aufenthaltsgenehmigung zu entgehen, indem sie durch den konsularischen Weg versuchten, eine Einreisegenehmigung zu erlangen. Ungeachtet dessen, dass diese Möglichkeit komplizierter und aufwändiger war und über private Übersetzungsbüros vollzogen wurde, sahen viele der Arbeitswilligen eine wirkliche Alternative darin. Durch dieses Prozedere wurde der Arbeitsaufwand für die türkischen Behörden erheblich intensiviert. Sie versuchten daher, das eigens für die Bewerber eingerichtete Verbindungsbüro in Istanbul für die Akquirierung von Arbeitskräften zu monopolisieren, um die Ausreise nicht mehr konsularisch vollziehen zu können. Eine solche Monopolisierung war jedoch nicht gewünscht, da das Verbindungsbüro unter diesen Umständen als Kontrollinstanz fungiert hätte. Diese Tatsache verdeutlicht die unterschiedlichen Interessen beider Vertragspartner. Das Vermittlungsbüro etablierte sich als das zuverlässigere Mittel für eine Vermittlung in die BRD, da türkische Behörden viele Anfragen nicht behandelten und laufende Aufträge nicht weiter bearbeiteten (Özil, Hofmann, & Dayioglu-Yücel, 2012, S. 28 ff.). Das Vermittlungsbüro als solches gab jedoch keine Garantie für eine Arbeitserlaubnis in Westdeutschland. Die Kontrollen waren hart und die Arbeiter in den Verbindungsstellen galten als sehr streng. Es wurde auf Qualifikation Wert gelegt und diese wurde streng überprüft. Gab zum Beispiel ein Bewerber vor, Erfahrungen im Metallberuf vorweisen zu können, wurde auf Druckstellen und Wölbungen an den Händen gesucht. War man sich dennoch nicht sicher, mussten die Bewerber ihr Können auf Baustellen oder in Betrieben demonstrieren. Die Zahl der Bewerber, die als fachlich nicht geeignet galten und deren Gesuch abgelehnt wurde, lag bei 30%. Viel prekärer beschreiben viele Arbeiter heute noch die Gesundheitsuntersuchungen. Einer Untersuchung zur Folge konnten sich ein Drittel der Bewerber noch genau an die Gesundheitsuntersuchung erinnern, obwohl die Ankunft bereits mehrere Jahre in der Vergangenheit lag. Für viele Türken galt die Gesundheitsuntersuchung als entwürdigend und unpersönlich. Sie empfanden die Prozedur als eine erniedrigende Massenabfertigung, bei der die Scharmgrenze vieler Bewerber deutlich überschritten wurde. Für viele war dies der erste Kontakt zu einem Arzt. Vor allem Frauen hatten ein großes Problem mit dem Verfahren, sie mussten einen Schwangerschaftstest machen und sich entblößen bis auf ihre Unterhose. Zur Untersuchung gehörte auch die Entnahme von Blut und die Abgabe von Urin, die Nase, die Ohren und die Augen wurden ebenfalls kontrolliert, die Lunge wurde geröntgt und zuletzt mussten mehrere Dutzend Männer in einem Raum in völliger Blöße nebeneinander mit dem Gesicht zur Wand in einer gebückten Haltung stehen, sodass sie der Arzt auf Hämorriden überprüfen konnte (Hunn, 2005, S. 90-92). Viele der Bewerber hatten große Furcht vor dieser Untersuchung, denn viele hatten ihr komplettes Hab und Gut verkauft und sich auf die Reise nach Istanbul und Ankara gemacht, um sich der Kontrolle zu unterziehen und nach Deutschland zu reisen. Doch die Bewerber verloren mit einer Absage weit mehr als nur ihr Vermögen, sondern sie verloren auch ihr Ansehen, wenn sie in ihre Heimatstadt zurückkehrten. Diejenigen unter den Bewerbern, die es schafften, wurden mit der Eisenbahn und ab 1970 mit dem Flugzeug in die BRD befördert. Die Kosten für die Reise lagen zunächst bei 165 DM, dann 300 DM und ab Ende 1973 1000 DM. Die Reise nach Deutschland dauerte mit dem Zug etwa 50 Stunden. Viele der Arbeiter wussten wenig über die Umstände in Deutschland, was sie dort erwartet, wie ihr Beschäftigungsverhältnis aussieht und wo sie wohnen und leben werden. Sie ließen ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie zurück, mit der Vorstellung, als Reiche zurückzukehren. Im jeweiligen Verbindungsbüro teilte man lediglich 10-15 Minuten Zeit ein, um die ausgewählten Bewerber über ihren Arbeitsvertrag aufzuklären (Hunn, 2005, S. 90-95).
2.4 Neufassung deutsch-türkisches Abkommen 1964
1964 erschien eine Neufassung des Abkommens mit der türkischen Regierung. Dieses sah die Aufhebung der Aufenthaltsbefristung vor. Insbesondere deutsche Unternehmen kritisierten die Rotationsklausel und den damit verbundenen Aufwand, der beim Einarbeiten der Arbeitskräfte entstanden war. Viele der hiesigen Migranten waren nun nicht mehr an eine Frist gebunden und freundeten sich mit dem Gedanken an, auch dauerhaft in Deutschland sesshaft zu werden. Jedoch wurde diese Vorstellung mit Beginn der Rezession ab 1966 weitgehend auch gewollt gebremst. Die steigende Arbeitslosenzahl ermöglichte es vielen Kritikern, neue Argumentationen zu liefern, um die steigende Anzahl der Migranten, welche sie als Bedrohung ansahen, zu minimieren. Die ausländischen Arbeitskräfte jedoch tätigten Arbeiten, die mit hoher Anstrengung verbunden waren. Sie füllten all jene Stellen aus, für die es keiner besonderen Qualifikation oder eine Lehre bedurfte. Dadurch, dass die „Gastarbeiter“ in diesen Bereichen tätig waren, entwickelte sich das Lohnniveau hier nicht weiter - anders als in Produktionszweigen in denen deutsche Arbeitskräfte arbeiteten. Sie galten daher als „billige“ Arbeitskräfte (Herbert, 2001, S. 217). Im Zuge der Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden konjunkturellen Einbrüche, bestätigte sich der Gedanke, eigene „einheimische“ Arbeitskräfte der ausländischen Arbeiterschaft vorzuziehen. Allein diese Äußerungen, die nunmehr auch politisch immer mehr Zustimmung fanden, bewog eine Vielzahl der türkischen Arbeitskräfte zurückzukehren (Hunn, 2005, S. 188).
2.5 Der Anwerbestopp 1973
Nach der Bewältigung der ersten innerdeutschen Wirtschaftskrise begann wieder eine Akquirierung an Arbeitskräften insbesondere aus der Türkei, was allerdings 1973 mit dem Anwerbestopp ein jähes Ende nehmen wird. In den Jahren ab 1970 konstituierte sich eine von der Bundesrepublik initiierte Überlegung über Vor- und Nachteile, also eine progressive Kosten-NutzenAnalyse mit weitreichenden Folgen. Verschärfte Bedingungen der Arbeitserlaubnis resultierten aus diesen Überlegungen. Man vermutete einen nachlassenden Nutzen der „Gastarbeiter“. Die größte Gefahr sah man in dem gestiegenen Interesse der zugewanderten Menschen, in Deutschland zu verweilen und den dadurch zustande kommenden Nachzug der Familienmitglieder. Auf Grundlage dieser Überlegungen und dem in Deutschland gekeimten Gedanken, dass sich die hier lebenden Migranten im negativen Sinne etablieren werden, erlies die Bundesregierung am 23. November 1973 einen Anwerbestopp (Münz, Seifert, & Ulrich, 1999, S. 76 ff). All jene Regelungen reduzierten diese Menschen ihr Leben lang rein auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für diese Gesellschaft und missachteten billigend den Menschen als Individuum mit ganz eigenen Bedürfnissen, Hoffnungen und Wünschen in diesem Land.
3. Altern in der Migration
Bereits mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit die ersten Migranten nach Deutschland kamen. Die gute wirtschaftliche Entwicklung forderte Mitarbeiter aus dem Ausland. Sie kamen, arbeiteten Zeit ihres Lebens und erlebten in dieser Zeit auch zahlreiche Schwierigkeiten. Die türkischen Migranten formulierten damals alle eine Rückkehrabsicht. Einer der Gründe wieso die türkischen Arbeitnehmer an Rückkehr gedacht haben, mag am Anwerbeabkommen der Bundesregierung mit der Türkei liegen. Das Anwerbeabkommen war ursprünglich nur für eine geringe Dauer gedacht und war darauf ausgelegt, die Arbeitskräfte im Rotationsprinzip alljährlich oder maximal alle zwei Jahre auszuwechseln. Mit diesem Gedanken kamen viele auch zunächst nach Deutschland, sie sahen Deutschland als das Land an, dass ihre Träume wahr werden lässt: Ein beziehungsweise zwei Jahre arbeiten, um dann das wertvolle deutsche Geld in der Türkei anzulegen und vom einfachen Dorfbewohner zu einem wohlhabenden Menschen aufsteigen. Die Problematik an diesem Ansatz wird deutlich, wenn man die Einwanderungspolitik dieser Zeit betrachtet. Denn Deutschland verstand sich jahrzehntelang nicht als ein Einwanderungsland und dies führte auch zu einer entsprechenden Haltung gegenüber ausländischen Arbeitskräften und den sogenannten Gastarbeitern. Man kann die Schuld natürlich nicht gänzlich auf die politischen Entscheidungen dieser Zeit lenken. Die türkische Bevölkerungskohorte dachte ganz offensichtlich an eine Rückkehr in die Heimat. Das all diese Menschen allerdings mit einer Lebenslüge gelebt haben, wird einem nach 53 Jahren in Deutschland bewusst. Die jungen, gesunden und arbeitswilligen Türken sind nun gealtert, sind durchschnittlich häufiger krank als ihre gleichaltrigen einheimischen Deutschen und haben eine Vielzahl an Belastungsfaktoren aufgrund sprachlicher Barrieren (Schaefer, Alter und Migration, 2009, S. 10-15). Die alten Migranten haben Arbeiten verrichtet, bei der hohe körperliche Belastung gefordert war, sie waren in der Regel beruflich niedriger qualifiziert und stehen daher im Alter öfter ökonomischen und gesundheitlichen Problemen gegenüber (DZA, 2006, S. 24).
3.1 Daten und Fakten
Um sich mit der Problematik der alternden türkischen Bevölkerungsgruppe näher befassen zu können, ist es zunächst notwendig, den Blick vom Gesamtspektrum dieses Themengebietes lediglich auf den Bereich des Alters zu lenken. Was Altern heißt, vielmehr was das Altern mit sich bringt, ist Gegenstand dieses Kapitels. Das Altern wird in verschiedensten Quellen in zwei Bereiche unterteilt, so betrachtet man zum einen das Altern als den Verlauf des Lebens (Alterungsprozess) und zum anderen als Lebensphase.
Mit zunehmendem Maße rückt die Diskussion um die demografische Alterung in Deutschland in den Vordergrund. Wie in der Einleitung erwähnt, beschreibt der „demografische Wandel“ sowohl die steigende Alterung einer Gesellschaft (Grund dafür kann unter anderem eine niedrige Fertilitätsrate sein) als auch den hohen Anteil alter Menschen in der Gesellschaft (Grund hierfür ist unter anderem die hohe Lebenserwartung durch den medizinischen Fortschritt). Beschäftigt man sich in diesem Zusammenhang nun mit dem Prozess des Alterns in Deutschland, so wird einem schnell bewusst, dass in Deutschland der Anteil der älteren Bevölkerung rapide zunimmt und zukünftig noch weiter steigen wird. Mit dieser zunehmenden Alterung gewinnt das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit mit Älteren an Attraktivität und umso mehr nimmt das Thema auch einen immer größeren Stellenwert bei aktuellen Debatten der innerdeutschen politischen Landschaft ein. Folglich häufen sich wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Bereich, die Gelder für die Altenarbeit werden aufgestockt, die nötigen Gesetze werden geschaffen und trotz dieser vielen Maßnahmen vergisst man einen wesentlichen Bereich dieses Arbeitsfeldes. Vernachlässigt werden ganz eindeutig die alten Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu muss man wissen, dass es nicht möglich ist, das vorhandene Schema der klassischen Altenpflege auf alle möglichen Zielgruppen zu übertragen. Die Bevölkerung innerhalb der alten Menschen ist nicht homogen und benötigt daher spezialisierte und professionalisierte Hilfen. Unterschiede in Nationalität, Kultur und Sprache sind grobe Anhaltspunkte, die es bei der Arbeit mit den Alten unbedingt zu beachten gilt. Die mangelnde Bereitschaft insbesondere auf politischer und wissenschaftlicher Ebene vollzog sich bis in die späten 90er Jahre des letzten Jahrhunderts (Schimany, Rühl, & Kohls, 2012, S. 5). Betrachtet man allerdings die Anzahl der in Deutschland lebenden älteren Migranten, erscheint einem diese Vorgehensweise kaum nachvollziehbar, denn etwa 9,4% der über 65-Jährigen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Unter den älteren Migranten in Deutschland bilden die Türken hierbei die größte Gruppe der über 65-Jährigen mit einem Gesamtanteil von 29,5% (Schaefer, 2009, S. 10-15).
Abbildung 1: Anteil der ausländischen Bevölkerung über 65 Jahren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt, Ergebnisse des Ausländerzentralregisters 2011
Davon leben 87% bereits über 30 Jahren in Deutschland (Baykara-Krumme, Motel-Klingebiel, & Schimany, 2012, S. 58).
Abbildung 2: Aufenthaltsdauer der Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt (2010): Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2009
Weiterhin gehen aktuelle Prognosen von einer Kumulation der Altersrate bei Migranten aus, welche bis 2030 etwa bei 15% liegen wird (Schimany, Rühl, & Kohls, 2012, S. 107).
Abbildung 3: Entwicklung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt (2010): Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2009
3.2 Situation der älteren Generation türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Deutschland: Ein kurzer Abriss
Die erste Generation der türkischen Migrantinnen und Migranten wurde in der Migrationsforschung bislang nur als eine volksökonomische Randerscheinung wahrgenommen. Sie wird lediglich als eine marginale Gruppe betrachtet und ist aufgrund der formulierten Rückkehrabsicht ein mängelaufweisender Bereich der Migrationsforschung geblieben. Die einzigen Aspekte der ersten Generation, welche analytisch eruiert wurden, beziehen sich auf den Verlauf und die Absichten der Migration dieser Kohorte (Yildiz, 2010, S. 36-40). Sie werden in der Fachwelt daher oftmals als ein übersehenes Problem betitelt (Yildiz, 2010, S. 37). Aufgrund dieser Tatsache gibt es wenig fundierte Untersuchungen über die Gruppe der türkischen Migranten und es ist überaus schwierig, eine detaillierte Beschreibung der Lebenssituation dieser Kohorte herauszudestillieren. Deshalb wird in diesem Kapitel versucht, aus dem Themenfeld der älteren Migrantinnen und Migranten in Deutschland eine allgemeine Aussage zu der türkischen Bevölkerungsschicht abzuleiten. Eine Ausnahme bietet die Untersuchung der Stiftung Zentrum für Türkeistudien (ZfTI) und Integrationsforschung. Das Zentrum für Türkeistudien dokumentierte im Rahmen von Integrationsprozessen türkeistämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordrhein-Westfalen diverse Aspekte der türkischen Community in Deutschland. Eine ausführliche Ausarbeitung dieses Themengebietes wird im vierten Kapitel stattfinden.
Türkische Migrantinnen und Migranten der ersten Generation stehen in vielerlei Hinsicht schlechter da als deutsche Senioren. Sie haben aufgrund ihrer eigenen Historie in Deutschland deutlich schlechtere Voraussetzungen für den Lebensabschnitt des Alters und benötigen eine mannigfache Betreuung mit Blick auf ihre Lebensabende. Anders als Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland, stammt die türkische Gruppe zwar auch aus dem Mittelmeerraum, beherbergt aber eine differentere Kultur und Religion, die großen Einfluss auf das Leben der Migranten hat und einen anderen Umgang mit den alten Menschen aus der Türkei fordert. Die meisten der türkischen Migrantinnen und Migranten aus der ersten Generation stammen aus ländlichen Gegenden (Tepecik, 2002, S. 29). In diesem Umfeld beherrschten andere Wertvorstellungen und Traditionen den Alltag, so war es üblich mit mehreren Generationen in einem Haushalt zu leben, der ökonomische Profit wurde mit dem gesamten Haushalt erwirtschaftet.
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- Citar trabajo
- Ersin Kahraman (Autor), 2014, Alt werden in Deutschland. Soziale Arbeit mit türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten der 1. Generation, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413210
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