In vorliegender Arbeit werden die Tier-Mensch-Relationen in den Werken Joseph Beuys' besprochen und analysiert.
Darunter sind die Werke "I Like America and America Likes Me" und "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt". Die Kernfrage soll dabei lauten, inwiefern Beuys als Vorreiter einer Kunst anzusehen ist, die ökologisch, tierrechtliche und soziale Aspekte vereinte und als eine wichtige Inspiration nachfolgender Künstler auszumachen ist.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Tier als Substitut des Menschen?
3 Beuys: Eine Einführung
3.1 Auf dem Weg seiner Meister
3.2 Jeder Mensch ist ein Künstler in dem Sinne, dass er etwas gestalten kann
3.3 Das politische und ökologische „Gesamtkunstwerk“
4 Der Schamane und seine Engel: Beuys und die Tiere
4.1 „The leapy Hare“
4.1.1 „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“
4.2 Der Schamane in Amerika: Ein Boykott ist nicht möglich
4.2.1 „I Like America and America Likes Me“
5 Das Vermächtnis eines Revolutionärs heute
5.1 Interspecies Art: Das Tier als Akteur
6 Ein Resümee
7 Bildanhang
8 Abbildungsverzeichnis
9 Bibliographie
1 Einleitung
Seit Jahrtausenden sind Tiere und deren Beziehung zum Menschen ein Gegenstand in der Kunst und gehören heutzutage selbstverständlich in die Ausstellungen von Museen und Galerien, sowie in den öffentlichen Raum. Trotz dieser Tatsache hat die Beziehung von Mensch und Tier nicht an Bedeutung verloren – weder im künstlerischen und wissenschaftlichen, noch im soziologischen Kontext.
Das Interesse, den Menschen und das Tier in Verbindung zu bringen, ist somit größer denn je. Seit Anbeginn der menschlichen Existenz stellte das Tier den Begleiter und Ernährer des Menschen dar und entwickelte sich fortlaufend zum geliebten Haustier. Auch eine große Zahl von Künstlern von Albrecht Dürer bis Franz Marc und darüber hinaus beschäftigten sich bereits mit dem Motiv und der Bedeutung des Tieres in der Kunst. Joseph Beuys hatte bereits früh angefangen, sich mit derartigen Themen, auch in seiner Studienzeit auseinander zu setzen und kann als Vorreiter der Tier-Mensch-Studien im künstlerischen Kontext der Postmoderne angesehen werden. Beuys, der ab den 1960-er Jahren mit der Konzeptkunst und seinen Performances für Aufruhr sorgte, war umstritten. Für die einen war er das künstlerische Universalgenie, für die anderen nur der unverstandene Utopist. Seit den 1970-er Jahren gab es bereits Einflüsse einer tierschutzrechtlichen Bewegung, wie Beuys sie anstrebte; sie mündeten in der Human-Animal-Forschung der 90-er Jahre und einer neuen Form, der Interspecies Art.
Die vorliegende Arbeit beginnt mit einer Einführung des Tieres in Gesellschaft und Kunst. Tritt das Tier lediglich als Substitut des Menschen auf oder gibt es eine profundere Verbindung der Spezies Mensch und Tier, die es sich lohnt in mannigfaltiger Weise zu ergründen?
Schließlich soll in einer knappen Einführung über Joseph Beuys, der meist diskutierten Künstler des 20. Jahrhunderts, die eine Wichtigkeit darstellt um die Rahmenbedingungen seiner Herkunft und Erfahrungen, skizziert werden. Wer war Joseph Beuys? – Ein durchweg ernst zu nehmender Künstler oder ein Künstler, der seine Botschaft auf humoristische Art und Weise entsenden wollte?
In einem weiteren Schritt soll geklärt werden, an welchem Punkt die Theorien Joseph Beuys‘ ansetzen und welchen Persönlichkeiten sie folgten. Einflüsse aus verschiedenen Fachrichtungen wie Theaterregie und Musik, Philosophie, Verhaltensbiologie und Anthroposophie, prägten sein Schaffen immens. Aufgrund der Tatsache, dass jene Einflüsse vielseitigster Natur sind, soll während der gesamten Untersuchung festgestellt werden, welche Motive von ihm aufgenommen und möglicherweise auch ergänzt wurden?
Von größter Wichtigkeit sind dies betreffend Richard Wagner, Rudolf Steiner, Konrad Lorenz und Ewald Mataré. Jene Denkansätze führen in weiteren Schritten zu seiner Auffassung des Menschen und des Tieres in Relation.
In den künstlerischen Bewegungen der 50-er bis 80-er Jahre vertiefte Joseph Beuys seine Auffassung von Kunst und prägte den Terminus des „erweiterten Kunstbegriffs“.
Hierbei handelt es sich nicht nur um einen Begriff, sondern um eine politische, soziale und ökologische Haltung, die in seine Kunstwerke mit einfließen sollte. Doch wie war dies im Schaffen von Beuys verankert und wirkte sich darauf aus? Des Weiteren soll geklärt werden, inwieweit er eine neue Konzeption von Kunst schuf und wie er plante dies umzusetzen.
Ferner soll in knapper Form auf seine politischen und umweltpolitischen Bestrebungen eingegangen werden. Diese stellen umfangreiche Themenfelder des beuys’schen Schaffens dar und erweisen sich als Notwendigkeit, ihn als mit Tieren und ökologisch-agierenden Künstler zu portraitieren.
Überdies soll das Tier eingehend in Relation zu Beuys beleuchtet werden.
Er liebte es und nutzte es. Allerdings soll sich uns die Frage stellen, ob es als politisches, sowie gesellschaftliches Sprachrohr fungierte oder als Mittel zur Selbstinszenierung genutzt wurde?
In einem weiteren Schritt wird erläutert inwiefern Beuys sich dem Tier näherte und wie er es erstmals in Form der Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ als Akteur in seine Kunst einbezog.
Im Weiteren soll die Performance eine Beobachtung erfahren und analysiert werden, sowie mit bereits vorgenommenen Untersuchungen in Kontext gesetzt werden. Eine weitere Aktion, welche durch ihren Umfang den Schwerpunkt dieser Arbeit darstellt, wird „I Like America and America Likes Me“ sein.
Sie fand bereits in der fortgeschrittenen Laufbahn des Künstlers statt und ist als eine Ikone der Performancekunst der 70-er Jahre zu betrachten. Die Aktion soll ebenfalls beobachtet, analysiert und interpretiert werden und darüber hinaus in Bezug zu Beuys‘ Einflüssen und persönlichen Aussagen gesetzt werden.
Es kristallisiert sich heraus in welchen Kontext Beuys das Tier für sich persönlich aber auch im Bezug zur Gesellschaft, der Wirtschaft, sowie der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts setzt.
Schlussendlich soll aufgezeigt werden inwieweit angesehene Künstler seiner Zeit und darüber hinaus das „tableau vivant“ nutzen und für den Betrachter und die Gesellschaft erfahrbar machen. In dem Rahmen dieser Arbeit soll sich anstatt mit einer konkreten Fragestellung mit verschiedenen induktiven Problemstellungen auseinander gesetzt werden, die der Überschaubarkeit dienen und einen fortlaufenden Argumentationsstrang durch die Arbeit bilden sollen.
Nichtsdestotrotz soll die Kernfrage, nachdem die genannten Problemstellungen beantwortet wurden lauten, inwiefern Beuys als Vorreiter einer Kunst anzusehen ist, die ökologisch, tierrechtliche und soziale Aspekte vereinte und als eine wichtige Inspiration nachfolgender Künstler ausmachen ist.
In diesem Zusammenhang sollen vor allem die Human-Animal-Studies mit einbezogen und untersucht werden, wie Beuys die so genannte „Interspecies Art“ und Künstler beeinflusste, die sich des Sujets „Tier“ bedienten.
2 Das Tier als Substitut des Menschen?
Die Masse liebt einen Hirsch, einen Hasen, die Masse liebt auch Bienen. Sie symbolisieren so richtig, das was ein Durchschnittsbürger liebt. Die Biene ist fleißig, der Hirsch ist stolz und der Hase bringt Ostereier.[1]
So formulierte es Beuys und hat die Tiere, die er aufgriff, als Anlass genommen um dem Betrachter seiner Werke aufzuzeigen, welchen Tieren er, also der „Durchschnittsbürger“, aufgrund seiner Attribute besonders zugeneigt ist.
Und doch hat die Beziehung des Menschen zum Tier in der Tat einige Jahrtausende durchschritten. Seit der Mensch sich die Welt zu Eigen gemacht hat, tat er das auch mit dem Tier.
Wir haben ein vielschichtiges Verhältnis zu ihnen.
Sie sind älteste Begleiter, Ernährer und Spielgefährte, sowie ein Spiegel zur eigenen Seele. Die Menschen ordnen ihre eigenen Attribute den Tieren zu. Darüber hinaus werden ihnen verschiedene Bedeutungen und Symboliken zugeschrieben, die seit jeher tief in der Kunstgeschichte verankert sind.
Fortschreitende gesellschaftliche Individualisierung und zunehmende soziale Isolierung ließen Tiere immer häufiger zum Substitut des Menschen reüssieren.[2] Die Instrumentalisierung der Tiere hat einen Reichtum an Facetten hervorgebracht, wobei auch die Nähe von Mensch und Tier dazu führe, ihren sozialkonstruktiv zugeschriebenen Eigenschaften symbolische Bedeutung zu geben.
Demnach seien Menschen stark wie ein Löwe, listig wie ein Fuchs oder falsch wie eine Schlange, wie Thieme konstatiert.[3]
Seit der Renaissance hat das philosophische Denken zumeist das Prinzip einer dualistischen Ordnung zu bestätigen gesucht.[4]
Der Dualismus ist in diesem Fall kritisch zu betrachten, da der Mensch sich weiterhin vom animalischen und natürlichen Charakter der Welt zu entfremden scheint. Auch die Sozialphilosophen Horkheimer und Adorno haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ bereits von einer "Entfremdung des Menschen von seinem Wesen gesprochen"[5], was als Folge habe, dass die Natur als "bedrohlich" begriffen werde und die "Herrschaft über sie durch den Menschen begründe und zugleich rechtfertige". Dies habe letztlich zur Folge, dass eine "Scheidung zwischen der Vernünftigkeit der Menschen und der vermeintlichen Unvernünftigkeit der Tiere" gemacht werde.[6]
Dem Menschen, der sich immer deutlicher einer von Technologie geprägten Welt zugehörig fühlt, fällt es zusehends schwerer, sich mit seiner ursprünglich natürlichen Seite seiner selbst zu identifizieren. Er stellt sich über das Tier und wertet die animalische Befähigung zu Gefühlen und Gedankenbildung ab.
Auch in der Soziologie spielt das Tier eine große Rolle und wird im Bezug zum Menschen gesetzt. In der Einleitung einer Studie zur Mensch-Tier-Beziehung wird unter anderem auch die englische Publikation von Arluke, Sanders und Morris aufgenommen, die aufführt, dass die den Tieren zugewiesene "Funktion", als "Projektionsfläche" für die Sehnsüchte und Ängste der Menschen diene.
Mit Tieren zu denken eröffne Möglichkeiten, welche die Instrumentalisierung von Tieren in der Kultur - z.B. in der Unterhaltungsbranche erkennen ließe.[7]
Wenn man an dieser Stelle auf Kinderbücher referiert, so wird bewusst, dass der Wolf schon immer als der Bösewicht angesehen wurde und das Lamm als Tier der Unschuld. Diese negativen und positiven Konnotationen, die der Mensch mit den Tieren assoziiert, projiziert er somit auf sein weltliches Dasein, fürchtet sich vor dem Wolf und liebt das süße und unschuldige Lamm.
Doch vor allem vor dem Hintergrund der Unterhaltungsbranche kann an dieser Stelle kritisch argumentiert werden, wie es viele Tierschutzorganisationen heutzutage thematisieren.[8] Tiere werden in Zoos, Zirkussen und Tiershows ihres großflächigen Umfeldes und eines natürlichen Umganges beraubt.
Das Konzept eines zweigeteilten, eines dualen Verhältnisses von Mensch und Tier hat auch im religiösen und philosophischen Denken eine lange, noch immer wirksame Tradition.[9] Ebenfalls in der zeitgenössischen Theologie wird das herkömmliche Schema konserviert. Es heißt, dass das Tier zwar als Element der göttlichen Schöpfung wahrgenommen wird, aber als "seelenlose" Kreatur gelte und ihm Moralität, sowie Würde abgesprochen würden.[10]
Somit wäre das Tier anzusehen als göttliche Kreatur, die anerkannt ist - allerdings dem Stellenwert des Menschen in der Welt untergeordnet ist.
Dies galt es für Beuys, wie in Kapitel 3 erklärt werden soll, zu überdenken und zu kritisieren.
Auch im musealen Kontext wird die Einbettung von Tieren kontrovers diskutiert. Im Katalog der Ausstellung "Die Arche" wird konstatiert, dass die Kunst des 20. Jahrhunderts zahlreiche Darstellungen zoologischer Gärten kennt und für diese gälte: Je mehr wir uns der Gegenwart näherten, umso kritischer werde die künstlerische Befassung mit dem Ausstellen von Tieren.[11]
Wie August Macke Anfang des 20. Jahrhunderts einen zoologischen Garten betrachtete und ihn künstlerisch umsetze, müsste heute mit Vorsicht und unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet werden. In damaliger Zeit konnte sich vermeintlich ohne jegliche ethische Rechtfertigung mit dem Thema Tier befasst werden. Doch auch auf dem musealen Parkett wird stets zu mehr Sensibilität gebeten, was das Ausstellen von Tieren und Tiermotiven betrifft.
Claudia List konstatiert:
Was aber letztlich hinter unserem Umgang mit dem Tier und unserer Schau vom Tier steht, ist die Vorstellung vom Irdischen Paradies, vom Garten Eden, in dem Mensch und beseelte Natur in einträchtigem Frieden die harmonische Schöpfung in Unschuld erleben.[12]
Der Mensch sehnt sich stets nach einer utopischen Vorstellung eines harmonischen Zusammenlebens von Tier und Natur und doch hat er sich das Tier untertan gemacht. Eine grundlegende Frage an diesem Punkt könnte sein, wie der Mensch die Dreiecksbeziehung „Natur-Tier-Mensch“ in den Urzustand transformieren könnte?
Einen wichtigen Wendepunkt in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert markierte Jannis Kounellis, Mitbegründer der Arte-Povera-Bewegung[13], in dem er 12 Pferde in einer Galerie ausstellte (Abb. 1) und somit die eigentliche Ästhetik der Tiere als "sie selbst" zur Schau stellte.
Er sei der erste Künstler gewesen, wie Frau Ullrich es konstatiert, der "die Realität des Tieres als Kunstwerk postuliert".[14] Die Existenz des Tieres und seine Ästhetik sollten im Vordergrund der Rezeption stehen. Der Mensch sollte sich bewusst werden, wie das Tier auf ihn wirkt, wenn es seines natürlichen Lebensraumes beraubt und in einen neuen Kontext gesetzt wurde. Darüber hinaus sollte sich intensiv mit der Wirkung des Tieres auseinander gesetzt werden. Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch ist ambivalenter denn je, wobei parallel derart viele Ausstellungen zu jenem Thema auftauchen wie nie zuvor.
Der Mensch scheint sich der natürlichen Verbindung des Tieres und der Natur, wenn auch unbewusst, zu entziehen und sie gleichzeitig zu suchen. Trotz der Tatsache, dass in der heutigen Gesellschaft die Rollen von Mensch und Tier drastisch separiert sind und dies dem Menschen als natürlich erscheint, erscheint das Tier in der Kunst nicht mehr nur als Objekt sondern wird zunehmend zum Akteur. Auch Joseph Beuys erkannte das Potential der Tiere, Einfluss auf die Kunst zu nehmen, was für ihn eine logische Konsequenz aus seinem eigenständigen Denken und der intellektuellen Inspirationen darstellte.
3 Beuys: Eine Einführung
"Beuys muss man als Ganzes betrachten. Du musst dir alles anschauen, was er über seine ganze Lebenszeit gemacht hat."[15]
Diese Aussage traf die Künstlerin Marina Abramović in einem Interview über Beuys. Doch würde der ganze Umfang des beuys’schen Schaffens den Umfang dieser Bachelorarbeit sprengen. Aufgrund dessen wurde sich in vorliegender Arbeit auf die Tier-Mensch-Relationen beschränkt und sein ökologisches, sowie politisches Engagement lediglich skizziert.
Beuys stellte und stellt immer noch ein Faszinosum dar, der den hermetischen Kunstbegriff und die Gesellschaft veränderte.
Doch aus welchem Grund neigte sich Beuys der Kunst und sozialen Fragen zu?
Fuhlbrügge konstatiert, Beuys sei erschreckt gewesen von der sektorenhaft betriebenen Naturwissenschaft und hat sich noch im Krieg für ein Kunststudium entschieden.[16] Er war dabei sich abzuwenden von einer streng wissenschaftlich eingeteilten und dominierten Gesellschaft und empfand es als seine Berufung sich dem Wesentlichen des Lebens zuwenden und widmen.
Er wurde beschrieben als ein blasser und gedankenverlorener und, wie er selber sagte, verletzlich und zerbrechlich wirkender Mann. Jedoch solle man sich nicht täuschen lassen, denn Schock und Provokation gehörten zum Alltag dieses Mannes, wie Millauer nach einem Interview mit ihm erklärte.[17]
Auf der anderen Seite war es doch der Joseph Beuys, der sich seiner politischen und aktivistischen Ansichten sicher war. Seine Intention war es die Welt grundlegend zu ändern, was er konsequenterweise umsetzte. Insgesamt hat er in seiner künstlerischen Laufbahn von 1963 bis 1985 über 30 große Aktionen durchgeführt.[18] Beuys, der bereits als Zwanzigjähriger im Krieg diente, hat Objekte aus der Kombination kunstfremder Materialien gefertigt.[19]
Dieser Usus gleicht ebenfalls dem Werk Marcel Duchamps, der den Begriff des objet trouvé[20] prägte und den Dadaismus[21] mitbegründete, der Beuys ebenfalls in Form des Neo-Dada mitbeeinflusste. Diese Parallelität zu Marcel Duchamp sieht Joseph Beuys selbst jedoch kritisch. Er konstatierte bezüglich seines sozialen Einflusses auf die Gesellschaft: „Ich halte ihn für einen interessanten Künstler.
Aber er hat meines Erachtens als Denker, oder als einer, der hellwach die Situation hätte wahrnehmen müssen, versagt."[22] Er erklärt des Weiteren, dass er aus seinen objet trouvés hätte "entnehmen müssen, daß jeder Mensch ein Künstler ist, daß es sich um das Kreativitätsprinzip des Menschen handelt, nicht um den Künstler.[23]
Er stellt sich somit als einen Künstler dar, der sich von bedeutenden Künstlern beeinflussen lässt, allerdings die Gedanken, die er für fehlerhaft hält, erweitert und transformiert. Er ist keines Falls bescheiden, sondern steht sich und seinen Überzeugungen mit selbstbewusster Einstellung gegenüber. Beuys konstatiert, er habe sich in seinen Aktionen in Szene setzen wollen als eine Figuration von Provokation mit anschließender Diskussion.[24] Jedoch habe dies nichts zu tun gehabt mit Selbstinszenierung im Sinne von Narzissmus, sondern habe man es stets als Mittel zum Zweck sehen sollen.
Auf die Frage, ob Beuys sich in seinem künstlerischen Handeln und seiner Weltanschauung als therapeutische Figur sehe, antwortete er:
"Ja, therapeutische Figur ist richtig. Das müßte [sic] eigentlich für jeden Menschen zutreffen."[25]
Eine von Beuys verinnerlichte Ideologie, die utopische Ausmaße annahm oder ein Wille, den Menschen zum Umdenken zu bewegen?
Was für Beuys letztendlich eine hohe Relevanz hatte, war die Tatsache, dass man über sich lachen können sollte. Hierzu konstatierte er:
„Viele meiner Dinge geben Anlaß [sic] zum Lachen - und sollen das auch. Das Lachen ist ja etwas sehr Befreiendes."[26]
Sein Anliegen war ernst und wichtig, doch die Umsetzung und Interpretation ließ humoristischen Spielraum bewusst zu.
3.1 Auf dem Weg seiner Meister
Beuys war jedoch nicht der erste Künstler der sich in der Aktionskunst wieder fand. Bereits vor Beuys gab es Künstler, die sich der Aktionskunst zuwandten.
Jedoch sollte bezüglich Beuys‘ fundamentalen Einflüssen bereits zwei Jahrhunderte früher angeknüpft werden.
Die Erleuchtung des 18. Jahrhundert erfuhr einen Sprung von der "kollektiven, originalen, inspirierenden Kultur" zu einer logischen, analytischen und materialistischen Form der Erkenntnis.[27]
Im Zuge dieses Jahrhunderts zerfällt das einheitlich christliche Weltbild in eigenständige Teile woraufhin auch die Künstler autonomer wurden.
Ihre Position in der modernen Gesellschaft änderte sich und die Steigerung des Menschen, der eng mit der Natur in Verbindung stand, löst sich von einer religiös geprägten Gesellschaft.[28]
Er erkennt den positiven Einfluss den ein naturbezogenes Leben haben kann. Bis ins 19. Jahrhundert lassen sich diese Prägungen feststellen. Richard Wagner, beispielsweise, hat schon während Beuys‘ Jugend zu den Wendepunkten seines Lebens gezählt.
Insbesondere seine Opern Tannhäuser, Lohengrin und Rheingold waren wichtige Anknüpfungspunkte für ihn, wobei es vor allem um den Zusammenhang Mensch-Natur, wie ihn Wagner behandelte, ging.[29] Beuys hat sich von den Protagonisten der Opern Siegfried und Parsifal inspirieren lassen und sich ihrer Charakteristika angenommen.
Oft ließ sich Beuys, um sich selbst Weisheit zu verleihen, entsprechend als Wanderer oder Hirschführer ablichten und nahm derartige "Guru-Eigenschaften" an.[30] Ein Beispiel dafür ist das Cover seiner ersten Ausstellung in Italien des Jahres 1972 mit dem Titel „La Rivoluzione Siamo Noi“ (Abb. 2). Er wird voranschreitend und heldenhaft siegessicher gezeigt. „Die Revolution, das sind wir“. Er bedient sich dieser Parolen bewusst, denn diese finden wir in seinen Werken als auch unterschwellig in seinen politischen Überzeugungen wieder.
Graevenitz führt auf, dass Beuys anders als Wagner seine Energie in anderen selbsterfundenen Symbolen sieht wie: im Fett, in Filzhaufen, wobei er keine negativ beladenen Bilder benutzt. Parallelität gibt es jedoch im Sinngehalt des Goldes, den Wagner Beuys nahegebracht habe. Für Wagner war es ein "Sinnbild der reinen Natur, der natürlichen Macht und Weisheit [...] im alchemistischen Sinne", wie sie konstatiert.[31] Wagner wie Beuys suchen in bekannten Symbolen die umfassende Bedeutung ihres Weltbildes auszudrücken.[32] Dies wird vor allem bei seinen Aktionen mit Tieren deutlich, die in Kapitel 5 folgen werden.
Trotz unterschiedlicher Ursprungssituationen versuchen Wagner als auch Beuys mit ihrem verschlüsselten alchemistischen Code dem Zuschauer ihre Weltanschauung zu vermitteln.
Beuys konstatiert:
Ich interessiere mich generell und im Prinzip für die Musik. Aber hauptsächlich für eine akustische, geräuschmäßige, tonmäßige Choreographie der Tätigkeiten in meiner Arbeit und für eine Choreographie der Welt.[33]
Er sieht die Musik und deren Inszenierung als eine Methode die Welt wahr zu nehmen und auch zu gestalten, wie er es künstlerisch und politisch vorsah.
Doch Beuys schöpfte sein Gedankengut nicht nur aus der Musik und der Alchemie.
Er bezieht sich des Weiteren auf Friedrich Nietzsche, einen Zeitgenossen Wagners, welcher der Überzeugung war, dass der Mensch ein krankes Wesen sei, wodurch sich dessen soziale Abgründe auftun. Daran solle man sich halten, wenn man transformieren, verändern und revolutionär sein wolle.[34] Dies kann bezüglich Beuys als eine Reflektion des Menschen auf sich selber verstanden werden. Er solle reflektieren, was notwendigerweise transformiert werden solle, sowie kritisch mit sich und seiner Umwelt umgehen. Diesen Einfluss trug Beuys nicht nur in seinem Herzen, sondern ließ ihn bis heute in seinen zeitlosen Aktionen weiter leben.
Weiteren Einfluss auf Beuys übte der Anthroposoph Rudolf Steiner aus. Steiner wollte während der Blütezeit des naturwissenschaftlichen Positivismus[35] mit seiner Anthroposophie den Menschen im Ganzen verstehen: Seinen Geist, sein Gefühl und seine Empfindungen. In zahlreichen Schriften, unter anderem über Themen wie Seele, Natur und Reinkarnation breitete er seine Theorie aus.
Trotz der Tatsache, dass "Steiner für Beuys zeitlebens der geistige Einfluss überhaupt blieb" hat er ihn "um ein paar enorm plastische Kapitel verlängert"[36]. Seine ungeschminkte Ehrlichkeit nutze er in seiner bildnerischen Arbeit um auf Steiners Theorie aufzubauen.[37] Auch Paust konstatiert, dass er auf Steiners Interpretation von Engeln als geistige Kräfte zurückgriff. Steiner sei der Auffassung gewesen, man könne diese Fähigkeit durch seine eigenen geistigen Kräfte entwickeln; durch Imagination, Inspiration und Intuition.[38]
Beuys dehnt dieses Prinzip auf seine Auffassung des Tieres in der Kunst aus und ist der Überzeugung, dass ein Tier mehr verstehe von politischen Entwicklung der Welt als ein Mensch. Des Weiteren wollte er den Status des Tieres in den des Menschen empor heben.[39] An dieser Stelle eröffnet sich die Frage, inwiefern ein Tier mehr von der politischen Situation des Weltgeschehens verstehen kann als der Mensch, wobei dies nicht auf den Intellekt des Menschen zurück zu führen ist. Steiner und Beuys sind der Überzeugung, der Mensch müsse sich verabschieden von strikter Rationalität einer wirtschaftlich und politisch geprägten Gesellschaft, die vergessen zu haben scheint, wo ihr Ursprung liegt.
Der Mensch müsse erkennen, dass er zu höheren seelischen Erkenntnissen gelangen könne und das Tier dabei nicht außer Acht lassen sollte.
Das unschuldige Tier, welches dem Mensch untergeordnet ist, solle somit an Status gewinnen, intellektuell aufsteigen und die rational gelenkten Einflüsse des Menschen umleiten. Auch Adam stellt fest, dass Beuys' Lösung für eine Verdrängung der Bedeutung des Geldes in der Gesellschaft, welche er scharf kritisierte, ebenfalls den Theorien Steiners zu Grunde lägen.[40]
Demnach ist nicht nur die politische Situation kritisch zu betrachten sondern auch die kapitalistisch geprägte Wirtschaft, die ihren Fokus vom Menschen, einem natürlichen Wesen, auf etwas kaltes, Menschengeschaffenes lenkt, welches die Welt und ihre sozialen Werte zu verdrängen scheint. Beuys folgte Steiners Argument, dass das wahre Kapital der Wirtschaft die menschliche Kreativität ist[41], was uns im folgenden Kapitel zu seinem Kunstbegriff führt.
Zwischen 1950 und 1956 machte Beuys die Bekanntschaft des Verhaltensforschers Konrad Lorenz[42], dessen Forschung nachhaltig auf Beuys gewirkt hat, wobei dieser auch den anekdotischen und humorvollen Charakter der lorenz‘schen Tier-Experimente betont habe.[43]
Lorenz selbst konstatierte bezüglich seiner Theorie:
Der Weg zum Verständnis des Menschen führt genau ebenso über das Verständnis des Tieres, wie ihnen allen Zweifel der Weg zur Entstehung des Menschen über das Tier geführt hat.[44]
Der Mensch solle demnach am Anfang der Evolutionsgeschichte ansetzen und sich fragen, worin seine Anfänge bestehen und was ihn zu dem gemacht hat, was er heute darstellt. Das Tier war stets an der Seite des Menschen und stellte in vielfältiger Weise die Existenz des Menschen sicher.
Unsere heutige Existenz besteht in einer ambivalenten Beziehung zum Tier und doch stehen wir ihm nahe und müssen versuchen, uns dem Tier mindestens anzunähern und es mit uns sowie unseren Empfindungen gleich setzen.
Lorenz habe Tiere immer besser verstanden als Menschen, hat er einmal geschrieben. Die Menschheit blieb aus dieser Sicht wohl nur eine Art Herde.[45]
Ist es tatsächlich die Schlichtheit und Natürlichkeit der Kommunikation, welcher sich das Tier bedient, die es unkomplizierter macht oder ist es eine ehrliche und reine Art der Kommunikation, der sich der Mensch nicht mehr bedienen kann, da er gelernt hat sich den Gegebenheiten einer immer „schneller drehenden“ Welt anzupassen? Tatsächlich könnte Lorenz auch die Anonymität des Menschen in der Gesellschaft selbst kritisieren. Der Mensch solle, wenn man Beuys‘ soziale Einstellung mit einbezieht, darauf ausgelegt sein, sozialen Wandel anzustreben und umzusetzen. Joseph Beuys nahm sich der Beobachtungen Konrad Lorenz‘ an und bettete sie in sein künstlerisches Schaffen mit Tieren ein, was vor allem in der Aktion „I Like America and America Likes Me“ aus dem Jahre 1974 deutlich wird.
Auch als Beuys Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf war, habe er mit seinen Schülern über menschliche und ästhetische Probleme gesprochen anstatt sie Kunst zu lehren. Denn dies habe er nicht gewollt, wie sein späterer Galerist René Block konstatiert.[46]
Darüber hinaus erfuhr Beuys eine essenzielle Vertiefung seiner Kenntnisse über Tiere während seines Studiums in der Klasse des Tiergestalters Ewald Mataré.[47]
Die Eleganz der Werke Matarés ist mit Beuys' Werken die größere Spröde entgegen gesetzt. Eine „Spröde“ ist zweifellos auszumachen in den Werken von Joseph Beuys, die oft auf Ablehnung stießen.
Jedoch ist bei dieser Gegenüberstellung (Abb. 3) festzustellen, welche Ähnlichkeiten in Augenschein treten. Die Eleganz dieser puren animalischen Umsetzung der beiden Skulpturen lassen sich sowohl bei Mataré als auch seinem Schüler Beuys erkennen. Es ist davon auszugehen, dass Mataré Beuys essenziell in seiner künstlerischen Rezeption des Tieres geprägt und gefördert hat.
Der essenzielle Punkt jedoch war, wie van der Grinten konstatiert, dass bei Joseph Beuys stets ein unmittelbarer Umgang mit dem Tier zu seinem Werk gehöre[48], wie es bei seinem Lehrer nicht der Fall war. Die Aktion, sowie das Agieren standen im Mittelpunkt des praxisorientierten Künstlers. Der Glanz oder die Ästhetik der Werke waren für Beuys nicht von allzu großer Relevanz. Dagegen haben für ihn der symbolische Charakter des Tieres und seine Fähigkeit in der Kunst als Akteur aufzutreten fortlaufend an Bedeutung gewonnen. Letztendlich kann festgestellt werden, dass die Naturbeobachtung und die Philosophie des 19.-20. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Einfluss auf die Kunst des vergangenen Jahrhunderts hatte.
Beuys hatte eine eigene Auffassung von Kunst, doch hat er sich, wie sich in den noch folgenden Werkanalysen zeigen wird, von den Einflüssen Wagners, Steiners, Lorenz‘ und Matarés prägen lassen.
Es sind seine anthroposophischen, alchemistischen, philosophischen und sozialkritischen Einflüsse, sowie das animalische Wesen, welche ihn geprägt und durch sein gesamtes Œuvre begleitet haben.
Doch wie wollte Beuys die Gesellschaft zu einer Umgestaltung ihrer Denkweisen animieren?
Eine Verbindung utopischen Denkens mit der Vision, das traditionelle Kunstverständnis zu transformieren kann als eine erste Definition seines durchaus komplexen „erweiterten Kunstbegriffes“ angesehen werden.
3.2 Jeder Mensch ist ein Künstler in dem Sinne, dass er etwas gestalten kann
Beuys Werke sind eine schallende Ohrfeige für das traditionelle Kunstverständnis.[49] So schrieb es Lieselotte Millauer nach ihrem Interview mit dem berühmtesten und vermutlich meist diskutierten Künstler seiner Zeit.
Beuys greift in seinen Ausführungen weit vor und erklärt, dass der Mensch sich erst ab der Gotik von der spirituellen Führung durch übersinnliche Autoritäten befreit habe und in die Individuation gekommen sei.[50]
Für seine Tätigkeit war es essenziell, dass in der Neuzeit ein Umschwung stattfand und jeder Mensch in der Lage war seine Individualität zu prägen, wobei das Christliche und das Agieren politischer Autoritäten in den Hintergrund rückten sollten. Die Kreativität sollte ab diesem Zeitpunkt die größte Rolle spielen und jeder sollte in der Lage sein, dieses Potential zu entdecken und auszuschöpfen.
Beuys legt diese neuzeitlichen Tendenzen in seiner eigenen Definition fest:
"Jeder Mensch ist ein Künstler in dem Sinne, daß er etwas Gestalten kann."[51] Dies war sein Credo, welches mit der traditionellen Auffassung von Kunst kollidierte. Die Medien und Kunstkritiker der 60-er und 70-er Jahre überschlugen sich. Beuys hält fest, dass eine Totalisierung von Kunst jedem einzelnen, ergo der Gesellschaft, zugehörig und nicht länger nur den Künstlern und dem Verhalten der sogenannten kulturellen Institutionen verbunden sei.[52]
Er hinterfragte die Tatsache, ob Kunst nur den Autoritäten oder der allgemeinen Intellektualität vorbehalten war. Kunst sollte jedem zugänglich sein. Dieser Gedanke war, vor allem zu seiner Zeit, neu und revolutionär.
Er konstatierte des Weiteren: "Das kreative Potential der Menschen zu entwickeln, auf einen höheren Stand zu bringen, ich glaube das ist doch eher die Aufgabe der Kunst".[53] Seine Theorie erklärt Beuys darüber hinaus mit der Aussage, dass "wenn die Kunst dazu da wäre, die Dinge in rationale Begriffe zubringen, dann brauche es ja gar keine Bilder".[54]
Sein Anliegen war es, sich vom rationalen Denken der Menschen, welches durch Wirtschaft und Geld geprägt wurde, abzuwenden und das individuelle kreative Potential auszuschöpfen, sowie seine eigene Kreativität nicht zu unterschätzen, da sie enorme Kraft entwickeln könne. Von Wichtigkeit war es ebenfalls die Kunst zu erfahren, um eine erweiterte Ebene von Kreativität zu erreichen.
Doch wie wollte Beuys seine Bilder, Objekte und Aktionen erfahrbar machen?
Eine Badewanne, Spinde, Skelette, Metallkonstruktionen, Fettecken, Schachteln, Stühle, Schubladen, Schwäne und Hirsche treten nicht nur als provokativ unkonventionelle Medien auf, sondern als thematische Hinweise, die unseren reagierenden Mechanismus stimulieren und in Schwingungen versetzen.[55]
Interessant und plausibel wie Tisdall Beuys' Bedeutung der von ihm eingebrachten Gegenstände erläutert, denn war es doch tatsächlich seine Intention den traditionellen Kunstbegriff anhand einer banal erscheinenden Aktion zu hinterfragen? Wer sage denn überhaupt was Kunst sei und hat jemand eine Definition nieder geschrieben? Diese Frage würde Beuys vermutlich mit einem klaren „Nein“ beantworten und uns deutlich machen, dass es keine rationalen Begriffe mehr, sondern Menschen geben solle, die ein Bild und eine Intention in ihrer Imagination entstehen lassen und sich frei von künstlerischen Interpretationsvorgaben machen sollten. Dies erfolgte in Form eines Gedankens, der eine inhaltliche Korrespondenz heterogener Bestandteile durch ein Zusammenfügen legitimiert.
Durch die Assoziation selbst wird eine Inhaltsträchtigkeit geschaffen. Beuys involviert sich selbst in seinen Aktionen, indem er seine eigene Person als Bestandteil eines Bildes einsetzt.[56]
Die Assoziation, wie van der Grinten konstatiert, erfolgt im Bewusstsein des Betrachters direkt, ohne dass er voreingenommen ist von Rationalität.
Das könnte, wie er weiterhin konstatiert „zu künstlerischer Anspruchslosigkeit führen, kann aber auch den, der für seine Formulierung künstlerische Mittel wählt, verpflichten, auch in den einfachsten Dingen hohen Anspruch zu genügen.[57]
Folglich gäbe es zwei Betrachtungsweisen, die auf Beuys‘ Kunst zutreffen könnten. Geringer Anspruch durch eine einfach gestaltete Kunstform oder ein hoher Anspruch durch Einfachheit.
Doch gibt es einen Grund warum Beuys die Kunst in gewisser Weise revolutionieren wollte außer dem, dass ein wirtschaftlicher und politischer Umbruch stattfinden sollte?
Dazu bemerkte er:
Ich will zeigen, dass aus der Evolution der Kunst, es nun möglich wird in das Herz der Gesellschaft hinein zu greifen und von da aus die Zukunft neu zu bestimmen, also umzuformen, zu transformieren [...][58]
Die Evolution der Kunst, die er ab der Neuzeit ansetzte, wollte er entsprechend seiner Vorstellungen neu formen und eine Zukunft schaffen, die die Gesellschaft bewegen und fortlaufend positiv verändern sollte. Gefühle und soziale Themen sollten in die Kunst eingebunden werden und so die Kunst als ein Mittel zum höheren Zweck erheben. Beuys' Ziel war es somit als Vermittler zwischen drei Welten zu agieren. Drei Welten die einst eine Einheit bildeten und durch menschliche Fehlhandlungen zerbrachen, sollten nun wieder in ein sphärisches Gleichgewicht aus Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft gebracht werden.[59]
Dieses Gleichgewicht könne man nur durch Impulse herstellen, durch äußere Handlung und das innere Denken, welche die Sinne ansprächen.[60]
Die menschlichen Sinne waren essenziell in seinen Aktionen.
Es war nun nicht länger das rein Materielle von Belang. Eine spezifische Definition dessen ist Beuys‘ „Soziale Plastik“ oder „Soziale Skulptur“.
Ein Begriff, den er prägte um seine Inhalte verständlich zu machen.
Die Menschen sollten sehen und erfahren. Der Rezipient agierte zwar nicht aktiv, sollte seine Sinne allerdings nutzen und diese schärfen für die elementaren Dinge des Lebens. Den sozialen Charakter des Interagierens von Lebewesen untereinander.
Beuys wollte demnach in nahezu poetischer Weise aufklären und dabei Bezug nehmen auf die kulturellen Bestände der Vergangenheit, zu denen auch der Schamanismus gehört, um auf Brüche in unserer Zivilisation hinzuweisen.[61]
Er zeigt auf, dass seine Aktionen auf die Wesensnatur des Menschen abzielen, da dieser seine Grundprinzipien aus dem Auge verloren habe.[62]
Er fühlte, dass seine provokanten Objekte, Installationen und Aktionen kraftvoller wirkten und politisch effektiver waren als eine direkte Offenbarung der Ideen.[63]
Überdies entwarf er den sogenannten Energy Plan for the Western Man. Dieser solle den Menschen helfen über die positivistische materialistische Denkweise hinweg zu kommen um sich auf eine höhere Bewusstseinsebene zu begeben.
Es könnten, wie Tisdall erklärt, neue Energien geschaffen werden, welche für Beuys reale, lebendige Substanzen seien: demokratische Liebeskräfte, soziale Wärme und vor allem Freiheit.[64]
Beuys wollte nicht nur einen anderen, einen neuen Kunstbegriff prägen, der sich auf jedermann beziehe und nicht mehr ausschließlich Angelegenheit der Künstler sei, sondern auch auf künstlerischer Basis Kritik an der Wissenschaft, der Wirtschaft und letztendlich auch an der Gesellschaft üben. Der Mensch sei in seinen Augen materialistisch eingestellt, was seinen Sinn für das Wesentliche trübt. Das Bewusstsein müsste somit beeinflusst, geprägt und verändert werden, woraufhin man die Möglichkeit hätte, mit jenem Gedankengut und Überzeugungen eine Änderung hervorzurufen.
Beuys war der Überzeugung, dass ein einzelner Mensch den Anstoß für Viele geben konnte. In seiner idealistischen und teils utopischen Vorstellung einer Welt nach seinen Idealen versteift, war er doch ein Mensch der für etwas einstand und es realisieren wollte um eine Welt zu schaffen, in der ein demokratisches und darüber hinaus ein harmonisches Miteinander hätte möglich sein sollen.
Doch inwiefern sollten all diese Ideen realisiert und dem Menschen nahe gebracht werden, wenn Beuys die negativen Eigenschaften des Menschen, die er kritisierte, möglicherweise als zu tief verankert ansah in einer anthropozentrisch geprägten Welt? Vermutlich war Beuys bewusst, dass der Mensch durch die Evolution immerfort in den Fokus rückte, was er in gewisser Weise zu akzeptieren verstand. Trotz alledem sind Beuys Arbeiten als ein wichtiger und elementarer Denkanstoß zu sehen sich zu wandeln und Abstand zu nehmen von einer materialistischen und unterdrückenden Gesellschaft und hin zu einer freiheitsliebenden Gesellschaft.
Da für Beuys auch der Humor einen wichtigen Teil seiner Arbeit ausmachte und der Mensch sich stets die Freiheit nehmen sollte über Kunst lachen zu können, ist in seiner Arbeit ein gewisses Maß an Lockerheit und Humor, sowie an künstlerischen und politischen Radikalismus auszumachen.
[...]
[1] Hagen Lieberknecht und Sammlung Lutz Schirmer, „Auszüge aus einem längeren Tonbandinterview vom 29. September 1970 zwischen Joseph Beuys und Hagen Lieberknecht. Über die Tiermotive“, in: Joseph Beuys: Sammlung Lutz Schirmer, Köln. Ausstellung, Historisches Museum St. Gallen, 5. Juni-31. Juli 1971. Katalog, hrsg. von Kunstverein St. Gallen 1971, S. 9.
[2] Vgl. Frank Thieme, „Einleitung“, in: Das Mensch-Tier-Verhältnis. Eine sozialwissenschaftliche Einführung, hrsg. von Renate Brucker, Wiesbaden 2015., S. 9.
[3] Vgl. ebd., S. 12.
[4] Vgl. ebd., S. 3.
[5] Vgl. ebd., S. 4.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. Thieme 2015, S. 16.
[8] Die Tierschutzorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) spricht sich fortlaufend für ein Verbot von Tieren in der Unterhaltungsbranche aus. In: http://www.peta.de/aktivunterhaltungsbranche
[9] Vgl. Thieme 2015, S. 3.
[10] Vgl. ebd., S. 5.
[11] Arche Noah. Über Tier und Mensch in der Kunst ; [anlässlich der Ausstellung Arche Noah. Über Tier und Mensch in der Kunst, Museum Ostwall im Dortmunder U, 15. November 2014 bis 12. April 2015], hrsg. von Katja Knicker, Dortmund 2014, S. 31.
[12] Tiere. Gestalt und Bedeutung in der Kunst, hrsg. von Claudia List, Stuttgart 1993, S. 7.
[13] Arte Povera war eine italienische Kunstbewegung der späten 1960-er bis in die 1970-er Jahre, dessen Künstler eine Breite an unkonventionellen Prozessen und nicht traditionaler Alltagsgegenstände in ihre Kunst einbauten.
Nach: http://www.tate.org.uk/art/art-terms/a/arte-povera
[14] Vgl. Jessica Ullrich, „Kunst“, in: Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen, hrsg. von Arianna Ferrari und Klaus Petrus (Human-animal studies, Bd. 1), Bielefeld/Berlin 2015, 208.
[15] Peter Schiering, Der Jahrhundertkünstler (Ausschnitt des Interviews mit Marina Abramović) (https://www.youtube.com/watch?v=U5yFKIVFsMI (hochgeladen am 7.8.2014), Zugriff zuletzt am 14.8.2017). (0:10-0:16)
[16] Vgl. Heike Fuhlbrügge, „Ich bin ein Hase. Zum Tiermotiv im Werk von Joseph Beuys“, in: Tierische Kommunikation. Tiere hören hin, hrsg. von Joachim Kallinich und Gabriele Spengler (Kataloge des Museumsstiftung Post und Telekommunikation, Bd. 19), Heidelberg 2004, S. 173.
[17] Vgl. Liselotte Millauer und Joseph Beuys, „ Joseph Beuys. Jeder kriegt sein Fett weg “, in: Cosmopolitan 4/85 (1985), S. 30.
[18] Uwe Schneede, „Aktion“, in: Beuysnobiscum. Eine kleine Enzyklopädie, hrsg. von Harald Szeemann (Fundus-Bücher, Bd. 147), Hamburg 2008, S. 25.
[19] Vgl. Grinten, Franz Joseph van der, „ Über Joseph Beuys “, in: Joseph Beuys: Sammlung Lutz Schirmer, Köln. Ausstellung, Historisches Museum St. Gallen, 5. Juni-31. Juli 1971. Katalog, hrsg. von Kunstverein St. Gallen 1971, S. 3.
[20] Objet trouvé, französisch, "gefundener Gegenstand", aus dem Französischen übernommene Terminus für Objektkunst. Vgl. Ready-made. Nach: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_6429.html
[21] Bezeichnung für eine literarisch-künstlerische Bewegung, die sich mit hintergründigem Humor gegen den "Wahnsinn der Zeit", gegen die herrschende Politik, gegen den Militarismus und die etablierte Kunst richtete. Nach: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_1934.html
[22] Joseph Beuys, eine Innere Mongolei. Dschingis Khan, Schamanen, Aktricen ; Ölfarben, Wasserfarben und Bleistiftzeichnungen aus der Sammlung van der Grinten ; [eine Ausstellung der Kestner-Gesellschaft und der Stiftung Niedersachsen ; 20. Juli bis 16. September 1990], hrsg. von Carl Haenlein, Hannover 1990, S. 218.
[23] Vgl. ebd.
[24] Vgl. ebd., S. 220.
[25] ebd., S. 215.
[26] Millauer/Beuys 1985, S. 31.
[27] Vgl. David Adams, „Joseph Beuys: Pioneer of a Radical Ecology.“, in: Art Journal 51 (1992), S. 28.
[28] Vgl. Alois Martin Müller, „Schamane“, in: Beuysnobiscum. Eine kleine Enzyklopädie, hrsg. von Harald Szeemann (Fundus-Bücher, Bd. 147), Hamburg 2008, S. 313.
[29] Antje von Graevenitz, „ Erlösungskunst oder Befreiungspolitik: Wagner und Beuys “, in: Unsere Wagner: Joseph Beuys, Heiner Müller, Karlheinz Stockhausen, Hans Jürgen Syberberg. Essays, hrsg. von Gabriele Förg und Wolfgang Laade (/Wolfgang Laade Music of Man Archive], Bd. 3604), Frankfurt am Main 1984, S. 11.
[30] Vgl. Graevenitz 1984, S. 41.
[31] Vgl. ebd., S. 41
[32] ebd., S. 44.
[33] Haenlein 1990, S. 211.
[34] Vgl. Haenlein 1990, S. 208.
[35] Philosophie, die ihre Forschung auf das Positive, Tatsächliche, Wirkliche und Zweifellose beschränkt und sich allein auf Erfahrung beruft. in: http://www.duden.de/rechtschreibung/Positivismus.
[36] Vgl. Tobia Bezzola, „Steiner, Rudolf (1861-1925)“, in: Beuysnobiscum. Eine kleine Enzyklopädie, hrsg. von Harald Szeemann (Fundus-Bücher, Bd. 147), Hamburg 2008, S. 330.
[37] Vgl. ebd.
[38] Vgl. Bettina Paust, „ Was sprachen Beuys und der Koyote?Die Aktion Coyote. I like America and America likes Me und das lebende Tier in der zeitgenössischen Kunst “, in: Mensch und Tier. Eine paradoxe Beziehung ; Begleitbuch zur Ausstellung "Mensch und Tier. Eine Paradoxe Beziehung", Deutsches Hygiene-Museum, 22. November 2002 bis 10. August 2003, hrsg. von Deutsches Hygiene-Museum, Ostfildern-Ruit 2002, S. 164.
[39] Vgl. Ursula Meyer und Ingrid Krupka, „Joseph Beuys. I Speak for the Hares“, in: The Print Collector's Newsletter 4 (1973), S. 74.
[40] Vgl. Adams 1992, S. 26.
[41] Vgl. Adams 1992, S. 28.
[42] Konrad Lorenz war ein österreichischer Verhaltensforscher Zoologe, Medizin-Nobelpreisträger und einer der Hauptvertreter der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung. Er selbst nannte dieses Forschungsgebiet bis 1949 „Tierpsychologie“
[43] Vgl. Fuhlbrügge 2004, S. 173.
[44] Fuhlbrügge 2004, S. 174.. Zit. nach: Konrad Lorenz:
Die Naturwissenschaft vom Menschen, S. 17)
[45] Vgl. Volker Schmidt, Konrad Lorenz. Irrwege eines Kükenvaters (http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2014-02/konrad-lorenz-naehe-nationalsozialismus, Zugriff zuletzt am 24.8.2017).
[46] Vgl. Loona Foote und René Block, „Some artists, for example Joseph Beuys. Multiples, drawings, videotapes“, A Talk with René Block (1975), o. S.
[47] Vgl. Harald Szeemann, „Tiere“, in: Beuysnobiscum. Eine kleine Enzyklopädie, hrsg. von Harald Szeemann (Fundus-Bücher, Bd. 147), Hamburg 2008, S. 336.
[48] Vgl. Grinten, Franz Joseph van der, „Joseph Beuys und die Tiere“, in: Joseph Beuys: Tiere. Zeichnungen und plastische Beispiele 1948-1961, hrsg. von Joseph Beuys, Joseph van der Grinten und Mittelrhein-Museum Koblenz, Koblenz 1984, S. 10.
[49] Vgl. Millauer/Beuys 1985, S. 28., S. 28
[50] Vgl. Joseph Beuys, „Beuys Über Kunst. Auszüge aus einem Gespräch. Über das Nichtverstehen von Kunst“, in: Gespräche mit Beuys. Joseph Beuys in Wien und am Friedrichshof, hrsg. von Joseph Beuys und Theo Altenberg, Klagenfurt 1988, 69.
[51] Vgl. B. Blume, H. G. Prager und Joseph Beuys, „ Gespräch zwischen J. Beuys, B. Blume und H.G. Prager vom 15.11.1975 “, in: Rheinische Bienenzeitung Nr. 126 (1975), S. 375.
[52] Vgl. Martha Hawley und Joseph Beuys, „ Interview with Joseph Beuys. Fandangos video-interview by Martha Hawley “, in: Fandadangos 1975 (1975), o.S.
[53] Adolf (Gesprächsleiter) Holl und Joseph Beuys, "Kunst und Schwindel". Anlässlich Joseph Beuys' Besuchs im "Club 2" am 27.01.1983, Teil 2 (https://www.youtube.com/watch?annotation_id=annotation_800589&feature=iv&src_vid=z_VPN8M1SGw&v=oBNZUj1J1fE, Zugriff zuletzt am 14.8.2017)., (5:02-5:10)
[54] Vgl. Thomas Hannappel, Joseph Beuys - Ein Gespräch, Viersen 1991, S. 4.
[55] Vgl. Joseph Beuys und Caroline Tisdall, Joseph Beuys, London/New York 1979, S. 5.
[56] Vgl. Grinten, Franz Joseph van der 1971, S. 4f.
[57] Vgl. ebd., S. 5.
[58] Holl/Beuys 1983. (5:33-6:55)
[59] Vgl. Müller 2008, S. 316f.
[60] Vgl. Schneede 2008, S. 30.
[61] Vgl. Müller 2008, S. 316f.
[62] Vgl. Hannappel 1991, S. 3.
[63] Vgl. Adams 1992, S. 29.
[64] Vgl. Caroline Tisdall, Joseph Beuys, Coyote, München 1976, S. 8.
- Citar trabajo
- Tabea-Isabell Flamm (Autor), 2017, Tier-Mensch Relationen in den Werken von Joseph Beuys, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/413189
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