Die moderne Türkei, sowohl als Staat wie auch die Gesellschaft, hat seit ihrer Gründung 1923 eine erhebliche Veränderung erfahren. Die grossen Gegensätze zwischen ökonomisch veralteten Dorfstrukturen und westlich ausgerichteten Grossstädten, zwischen dem sich an Europa orientierenden modernen Westen und Süden der Türkei und dem der Tradition verhaftet gebliebenen dünnbesiedelten Osten Anatoliens mit seinen Minderheitenproblemen geben einen Hinweis darauf, dass dieser Wandel noch lange nicht vollzogen ist.
Das politische System der Türkei hat sich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Auflösung des Osmanischen Reiches zu einer parlamentarischen Demokratie entwickelt, die an sich als stabil zu bezeichnen ist. Dennoch sind politische Krisen, wie die Staatsstreiche des Militärs 1960 und 1980 oder die Phase der Anarchie in den siebziger Jahren, und zahlreiche ökonomische Krisen nicht ausgeblieben. Angesichts der grossen strategischen Bedeutung, die die Türkei innerhalb der Nah- und Mittelostpolitik der USA auch nach Ende des Kalten Krieges spielt, ist der Einfluss dieser Grossmacht oder supranationaler Organisationen wie des IMF nicht zu unterschätzen. Die politische Entwicklung innerhalb der Türkei aber ist abhängig von ihrer ökonomischen. Hierbei stellt sich die Frage, wie die Wirtschaftssubjekte ihre Interessen in das politische Geschehen einbringen können. Die Untersuchung der Möglichkeiten und Tatsächlichkeiten der Interessenaggregation der Wirtschaftssubjekte und der damit einhergehenden Potenziale zur Beeinflussung der politischen Entscheidungsfindung ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt. Daher liegt es nahe, zunächst die in der Türkei massgeblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände deskriptiv darzustellen.
Hieraus ergeben sich Anhaltspunkte, ob und wie die Interessenvertretungen in der Lage sind, politischen Druck zu erzeugen und wie ihre Vorstellungen politische Handlungen beeinflussen können.
Der Darstellung der Wirtschaftsverbände beinhaltet eine Bewertung der Möglichkeiten der Verbände, innerhalb des parlamentarischen Systems der Türkei auf den Gesetzgebungsprozesses Einfluss zu nehmen.
Um die politische Orientierung der Verbände, aber auch die aktuelle politische Entwicklung in der Türkei verstehen zu können, schließt die Abhandlung mit einem Abriss der derzeit wichtigsten Parteien des Landes ab.
Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Kontext und Struktur der Wirtschaftsverbände
3.1. Wirtschaftsstruktur der Türkei
3.2. Interessenverbände
3.3. Arbeitgeber- und Unternehmerverbände
3.4. Gewerkschaften
3.4.1. Überblick
3.4.2. Türkiye İşçi Sendikaları Konfederasyonu (Türk-İş)
3.4.3. Sonstige Gewerkschaftsverbände
3.4.4. Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst und Beamte
3.4.5. Fähigkeit der Mitgliedermobilisierung durch die Gewerkschaften
3.5. Gesellschaftspolitische Funktion der Wirtschaftsverbände
4. Einflussmöglichkeiten der Verbände im Bereich der Gesetzgebung
4.1. Regierung
4.2. Parlament
4.3. Parteien
4.3.1. Allgemein
4.3.2. Die derzeitigen Regierungsparteien
4.3.3. Die größten Oppositionsparteien
5. Unterschiede in den Einflussmöglichkeiten der Interessenverbände
6. Anhang
7. Bibliographie
2. Einleitung
Die moderne Türkei, sowohl als Staat wie auch die Gesellschaft, hat seit ihrer Gründung 1923 eine erhebliche Veränderung erfahren. Von einem islamistischen Sultanat mit ausgeprägten Feudalstrukturen wurde der Wandel zu einem europäisch orientierten laizistischen Nationalstaat zumindest verordnet. Die grossen Gegensätze zwischen ökonomisch veralteten Dorfstrukturen und westlich ausgerichteten Grossstädten, zwischen dem sich an Europa orientierenden modernen Westen und Süden der Türkei und dem der Tradition verhaftet gebliebenen dünnbesiedelten Osten Anatoliens mit seinen Minderheitenproblemen geben einen Hinweis darauf, dass dieser Wandel noch lange nicht vollzogen ist.
Das politische System der Türkei hat sich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Auflösung des Osmanischen Reiches zu einer parlamentarischen Demokratie entwickelt, die an sich als stabil zu bezeichnen ist. Dennoch sind politische Krisen, wie die Staatsstreiche des Militärs 1960 und 1980 oder die Phase der Anarchie in den siebziger Jahren, und zahlreiche ökonomische Krisen nicht ausgeblieben. Angesichts der grossen strategischen Bedeutung, die die Türkei innerhalb der Nah- und Mittelostpolitik der USA auch nach Ende des Kalten Krieges spielt, ist der Einfluss dieser Grossmacht oder supranationaler Organisationen wie des IMF nicht zu unterschätzen. Die politische Entwicklung innerhalb der Türkei aber ist abhängig von ihrer ökonomischen. Hierbei stellt sich die Frage, wie die Wirtschaftssubjekte ihre Interessen in das politische Geschehen einbringen können. Die Untersuchung der Möglichkeiten und Tatsächlichkeiten der Interessenaggregation der Wirtschaftssubjekte und der damit einhergehenden Potenziale zur Beeinflussung der politischen Entscheidungsfindung ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt. Daher liegt es nahe, zunächst die in der Türkei massgeblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände deskriptiv darzustellen.
Hieraus ergeben sich Anhaltspunkte, ob und wie die Interessenvertretungen in der Lage sind, politischen Druck zu erzeugen und wie ihre Vorstellungen politische Handlungen beeinflussen können.
Der Darstellung der Wirtschaftsverbände beinhaltet eine Bewertung der Möglichkeiten der Verbände, innerhalb des parlamentarischen Systems der Türkei auf den Gesetzgebungsprozesses Einfluss zu nehmen.
Um die politische Orientierung der Verbände, aber auch die aktuelle politische Entwicklung in der Türkei verstehen zu können, schließt die Abhandlung mit einem Abriss der derzeit wichtigsten Parteien des Landes ab.
3. Kontext und Struktur der Wirtschaftsverbände
3.1. Wirtschaftsstruktur der Türkei
Die Zahl der Beschäftigten in der Türkei betrug im Jahre 2000 etwa 21,7 Millionen. Davon waren etwa 47,6% Angestellte und Arbeiter, während knapp 30% als Selbständige und Unternehmer einzuordnen sind. Einen sehr hohen Anteil von 22,5% machen unbezahlt mitarbeitende Familienangehörige aus.[1] Nach Angaben des türkischen Staatlichen Statistikinstituts (DIE) sind derzeit mit 2,2 Millionen Menschen etwa 10% der Erwerbspersonen arbeitslos.[2]
In der sektoralen Betrachtung fällt der im europäischen Vergleich sehr hohe Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten auf, der etwa 37% aller Beschäftigten beträgt. Demgegenüber ist die Zahl der Arbeiter und Angestellten in der Industrie mit nicht einmal einem Fünftel sehr gering.
Abbildung 1 : Sektorale Verteilung der Beschäftigung im Jahr 2000
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: TİSK: Turkey in Figures. Ankara, 2001, S.3
Umgekehrt ist hingegen der Anteil der Landwirtschaft an der nationalen Wertschöpfung verhältnismäßig gering und beträgt weniger als 15% des Bruttoinlandsprodukts der Türkei. Der mit 57% erwirtschaftete Anteil des Dienstleistungssektors am Volkseinkommen hingegen ist überwiegend und sogar fast doppelt so hoch wie derjenige der Industrie.
Abbildung 2 : Sektorale Verteilung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2000
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: TİSK: Turkey in Figures. Ankara, 2001, S.4
Die Wirtschaft der Türkei hat seit Jahren ein eher geringes Wachstum aufzuweisen. Der Produktionsindex liegt seit der schweren Wirtschaftskrise im Frühjahr 2001 deutlich unter dem von 1997[3], das Bruttosozialprodukt pro Einwohner, das sich seit 1970 in 20 Jahren fast verfünffacht hat, ist in den folgenden zehn Jahren nur um etwa 11% gewachsen.[4] Ferner hat die Bevölkerung eine Hyperinflation zu verkraften.[5] Diese Daten seien nur als Stichworte dahingehend zu verstehen, dass bei der Beurteilung des spezifischen Einflusses von Wirtschaftsverbänden methodisch zwar durchaus wie bei der Beurteilung westeuropäischer Verhältnisse vorangegangen werden kann, das makroökonomische und, wie noch zu zeigen ist, politische Umfeld aber ganz andere Randbedingungen vorgibt.[6] Die Zersplitterung der politischen Landschaft, Korruption von Politik und Verwaltung und eine vom Militär unterdrückte Islamisierung des Landes, seien ebenfalls nur genannt, um die schwierige Basis einer konstruktiven Arbeit der Wirtschaftsverbände zu beleuchten. Weitere grosse (aussen)politische Streitfragen, wie die in Europa und der Türkei sehr umstrittene EU-Mitgliedschaft, der Zypern-Konflikt sowie der sich abzeichnende Irak-Krieg, sind einer Stabilisierung des Landes ebenfalls abträglich.
3.2. Interessenverbände
Die Interessenverbände[7] der Wirtschaft stellen die organisatorische Grundlage dar, mit denen die Vertreter von Unternehmern und Arbeitgebern auf der einen und Arbeitnehmern auf der anderen Seite die Interessen ihrer Mitglieder im politischen Prozess zu unterstützen und durchzusetzen versuchen. Durch ihr Wirken tragen sie auch dazu bei, den Informationsbedarf bei Beamten und Politikern duch Expertenwissen zu decken.[8] Durch Interessenartikulation, -aggregation und –selektion bewahren sie den Staat vor einer Überlastung seiner Steuerungskapazitäten, beugen aber ihrerseits auch Eingriffen staatlicherseits in ihrem Interessenbereich vor.[9] Entsprechend der Pluralismus-Theorie wird durch die Gruppen- und Gegengruppenbildung soziale Ungerechtigkeit verhindert, durch ein System der checks and balances werden Konflikte über Kompromisse gelöst. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Chancengleichheit der Interessengruppen bei der Durchsetzung ihrer Ziele.[10] Bei der Beurteilung der Einflussmöglichkeiten von Verbänden auf die politische Entscheidungsfindung sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen. Eine Frage ist hierbei, wie gross der in den Interessenvertretungen repräsentierte Teil an der entsprechenden Gesamtheit ist, d.h. der Beschäftigten und Unternehmen, und welche Gruppen überhaupt in der Lage sind, ihre Vorstellungen geltend zu machen. Auf der anderen Seite ist zu beurteilen, welche Gruppen von welchen Seiten der Politik Unterstützung erfahren und inwieweit die politischen Vertreter darauf angewiesen sind, diese im Hinblick auf ihre eigenen Ziele, wie der Wiederwahl, zu berücksichtigen.[11] Schließlich ist zu erwägen, inwieweit es diesen Politikern aber auch Vertretern der öffentlichen Verwaltung möglich ist, die durch Verbände beeinflussten Vorschläge und Programme in den politischen Prozess einzubringen und umzusetzen. Hierbei ist festzustellen, dass die Arbeit von Interessenverbänden nur einer von vielen Faktoren ist, die auf die politischen Willensbildung einwirken.
Die Fähigkeit Handlungsaktionen im politischen und marktwirtschaftlichen Bereich auszulösen ist ebenfalls eine Determinante des politischen Potenzials. Hierunter sind zum einen die Möglichkeiten zu verstehen, die jeweiligen Mitglieder zu einem bestimmten Stimmverhalten bei Wahlen zu motivieren sowie Streiks, Aussperrungen und Boykotte.[12] Dieses Potenzial ist wiederum abhängig von der absoluten und bezogen auf die Gesamtheit relativen Mitgliederanzahl, die, je höher sie ist, die Erfolgsaussichten einer politischen Einflussnahme steigert.[13]
Die Einflussmöglichkeiten von Interessenverbänden auf Entscheidung und Umsetzung politischer Maßnahmen wird ferner beeinflusst von deren Finanzierungspotenzial. Dieses bestimmt die Möglichkeiten direkter Zuwendungen an Politiker und Parteien oder des Vergebens von Positionen im eigenen Verband, durch die ein bestimmtes politisches Handeln gefördert oder verhindert werden soll. Desweiteren trägt das Informationspotenzial des Verbandes, beispielsweise in Form von Gutachten, die dessen Position stützen sollen, zur Bedeutung einer Interessenvertretung bei.[14] Dabei sind zum einen die organistorischen Voraussetzungen der Verbände zu hinterfragen, relevante Informationen darzustellen als auch die Möglichkeiten diese, z.B. über Verbands- oder Massenmedien, zu kommunizieren.
Die marktwirtschaftliche Ausgestaltung findet beispielsweise durch Wettbewerbsgesetze Anwendung, nach denen wettberbliche Handlungen der Wirtschaftsteilnehmer zu erfolgen haben. Anhand dieser Gesetze ist zu beurteilen, inweit es Wirtschaftsverbänden möglich ist durch Bildung von Kartellen ihre Marktmacht zu bündeln bzw. Ausnahmeregelungen von diesen Gesetzen für ihre Klientel zu erreichen.[15] Letztendlich geht es um die Frage, in welchem Maße sich welche Verbände gegenüber anderen Interessengruppen bei der Bildung politischer Entscheidungen Vorteile zu verschaffen in der Lage sind. Beispielsweise können Unternehmen über eine Interessenaggregation in Arbeitgeberverbänden politische Entscheidungsträger effektiver zu Subventionen oder umfangreichen öffentlichen Aufträgen bewegen, auch wenn sie ökonomisch nicht gerechtfertigt sind[16], wobei Politiker wiederum durch dabei entstehende Arbeitsplätze Beschäftigte oder Arbeitslose als Wähler für sich gewinnen. Allerdings besteht die Gefahr, dass in einem solchen Konkurrenzsystem nur partikulare Interessen vertreten werden und zwar zu Lasten sowohl gesamtgesellschaftlicher Interessen als auch insbesondere unterprivilegierter Gruppen.[17] Die ungleiche Machtverteilung und dementsprechende Einflußnahme der gesellschaftlichen Interessenverbände widerspricht der Vorstellung einer Gleichverteilung der Chancen. Ein Ausgleich der Interessen aller gesellschaftlichen Gruppen, oder zumindest der unmittelbar auf den Entscheidungsprozess einwirkenden, ist somit i.d.R. nicht gegeben.[18]
3.3. Arbeitgeber- und Unternehmerverbände
Die Grundvoraussetzungen für die Schaffung von Wirtschaftsverbänden im modernen Sinn wurden in der Türkei mit der Änderung der Verfassung 1961 und in detaillierterer Form in der neuen Verfassung von 1982 geschaffen. Darin wurde das Recht zur Bildung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, deren Recht zu Tarifverhandlungen und das Recht zu Streik und Aussperrung anerkannt.[19] Zu den dem ökonomischen Bereich zuzurechnenden Verbänden lassen sich ferner Verbände freier Berufe und Verbrauchervereinigungen zählen[20], die allerdings im Rahmen dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden, wohl aber industrielle Branchenverbände.
1996 gab es in der Türkei 52 Unternehmerverbände, von denen sich ein Teil in einer Dachorganisation zusammengeschlossen hat.[21] Diese, die 1961 gegründete „Vereinigung der Arbeitgeberverbände in der Türkei“ (TİSK, Türkiye İşveren Sendikaları Konfederasyonu) mit Sitz in Ankara, vereinigt Arbeitgeberverbände verschiedener Branchen, wie beispielsweise der Metall-, Druck-, Nahrungsmittel-, Bau- und Textilindustrie ebenso wie holzverarbeitende Betriebe. In seinen Statuten hat sich der Verband den Schutz der freien Marktwirtschaft, des freien und demokratischen Systems und das Erstreben der EU-Mitgliedschaft für die Türkei auf die Fahnen geschrieben. Die weiteren Ziele sind unter anderem die Erhöhung der Produktivität und der Produktion, das Vorantreiben der Industrialisierung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. 1999 bestand die Dachorganisation aus 17 Branchenverbänden.[22] In den darin repräsentierten etwa 300 Unternehmen waren im Frühjahr 2000 etwas über 105.000 Mitarbeiter beschäftigt.[23] Mitglieder des Unterverbands Kiplas (Türkiye Kimya, Petrol, Lastik ve Plastik Sanayii İşverenleri Sendikası, „Verband der Arbeitgeber der Chemie-, Öl-, Gummi- und Plastikindustrie der Türkei“) sind beispielsweise Aygaz, Bayer, Lassa und Goodyear[24], in MESS (Türkiye Metal Sanayiciler Sendikası, „Verband der Metallunternehmer der Türkei“) ist mit dem Fahrzeughersteller MAN Türkiye der größte private Arbeitgeber von Ankara vertreten.[25] Insbesondere in den siebziger Jahren vertrat der Verband eine kompromisslose Haltung gegenüber Gewerkschaften. Dies äußerte sich u.a. im häufigen Anwenden von Aussperrungen, dem Betreiben des Verbots von DİSK[26], Forderungen nach staatlichen Interventionen bezüglich Streiks und Lohnforderungen und dem Ersatz von freien Lohnverhandlugen durch eine nationale Lohnkontrollkommission. Mit der Militärregierung, die auf zahlreiche Forderungen einging, wurde eng kooperiert.[27]
Neben der Auseindersetzung von TİSK mit den Gewerkschaften, die sich insbesondere in Fragen der Lohn- und Arbeitszeitgestaltung sowie der Arbeitsschutzbestimmungen zeigt, gibt es jedoch gerade im politischen Bereich häufig enge Kooperationen zwischen den Verbänden, wie dem von beiden Seiten gewünschten, in der Türkei aber sehr heftig umstrittenen Beitritt des Landes zur EU.[28]
Die zahlreichen unabhängigen Arbeitgeberverbände streben zwar häufig nach Tätigkeit auf nationaler Ebene, in der Regel beschränken sie sich jeodch oft auf eine oder meherere Städte oder Regionen. Die Mitglieder werden insbesondere von mittelständischen Unternehmern gestellt. Die Zahl der Mitglieder zu beziffern ist recht schwierig, da zahlreiche Verbände keine aktuellen Angaben veröffentlicht haben. Sofern Daten vorliegen, sind die Mitgliedszahlen mit wenigen Ausnahmen aber eher als gering zu bezeichnen. So weist beispielsweise die „Zentralanatolische Vereinigung der Bäckereibesiter“ (İç Anadolu Fırın İşverenleri Sendikası) für 1996 nur 64 Mitglieder auf, der „Verband der Arbeitgeber der Metallindustrie“ (Metal Sanayiicileri İşverenleri Sendikası) für 1997 gar nur 14.[29] Ihre Tätigkeit beschränkt sich weitestgehend auf Tarifverhandlungen für die jeweiligen Mitglieder, die organisatorische Arbeit ist gering. Auch die Dienstleistungen für die Mitglieder, wie Brancheninformationen, Periodika oder ähnliches sind vernachlässigenswert. Entsprechend ihrer Größe ist auch ihre politische Einflußnahme, die freilich kein primäres Ziel darstellt, unerheblich.
[...]
[1] vgl. TİSK: Turkey in Figures. Ankara, 2001, S.3
[2] vgl. Istanbul Post: http://www.istanbulpost.net/02/08/02/kw2aug.htm
[3] Produktionsindex der privatwirtschaftlichen und staatlichen Industrie, indiziert zum Jahr 1997. Central Bank of Turkey: Electronic Data Delivery System. http://www.tcmb.gov.tr
[4] Das Bruttosozialprodukt pro Kopf zu konstanten Preisen in US-Dollar betrug im Jahre 1970 537USD, 1990 2.682USD, 2000 2.986USD. Central Bank of Turkey: Electronic Data Delivery System. http://www.tcmb.gov.tr
[5] Der auf das Jahr 1994 mit 100 bezogene Index der Verbraucherpreise betrug im Juli 2000 2.960, im Juli 2002 bereits 6.538 Punkte. Central Bank of Turkey: Electronic Data Delivery System. http://www.tcmb.gov.tr
[6] Wenn im folgenden von „politischem Einfluss“ gesprochen wird, so bezieht sich diese Aussage stets auf das Nationalparlament in Ankara sowie die Zentralregierung und deren ausführende Behörden. Der wie auch immer geartete Einfluss auf Provinz- und Lokalinstitutionen bleibt hierbei außer acht.
[7] Philipp definiert Verbände als „Vereinigungen natürlicher und/oder juristischer Personen des Privatrechts und/oder des öffentlichen Rechts auf Dauer unter freiwillig bestellter Leitung.” (Philipp, Peter Alexander: Die Offenlegung des Einflusses von Interessenverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD. Vier Fallstudien zum Wettbewerbsrecht. Bonn, 1974, S.21)
[8] vgl. Daumann, Frank: Interessenverbände im politischen Prozess. Eine Analyse auf Grundlage der neuen Politischen Ökonomie. Tübingen, 1999, S.265
[9] vgl. Rey, Peter: Der Einfluß von Interessengruppen im ökonomischen System der Bundesrepublik Deutschland auf politische Entscheidungsprozesse, dargestellt am Beispiel der Umweltpolitik. Bremen, 1990, S.18f.
[10] vgl. Rey 1990, S.10
[11] vgl. Daumann 1999, S.224
[12] vgl. Daumann 1999, S.158ff.; zur Streikentwicklung in der Türkei vgl. ferner Abbildung 6 im Anhang
[13] vgl. Daumann 1999, S.164ff.
[14] vgl. Daumann 1999, S.158ff.
[15] vgl. Daumann 1999, S.223 sowie S.258. Zu den Vorteilen direkten und indirekter Verteilungswirkung, die sich Interessenverbände durch eine Einlussnahme auf die Politik erwirken können, zählen beispielsweise Steuervergünstigungen, Subventionen, und staatliche Transferleistungen sowie Bevorzugung bei öffentlicher Auftragsvergabe, Marktzutritts-, Preis-, Qualitäts- und Verfahrensbestimmungen. Im folgenden wird der Umfang dieser Massnahmen und der Zusammenhang zum Wirken von Verbandsarbeit, beispielsweise über eine Korrelationsanalyse von Subventionen und Arbeitslosenquote, aus Platzgründen nicht untersucht.
[16] Als Beispiel sei die Schließung der Regionalflughäfen u.a. von Uşak, Sivas, Sinop und Zonguldak-Çaycuma genannt, die ab dem 31.01.2002 im Rahmen von Sparmaßnahmen geschlossen wurden. „Diese Flughäfen wurden durch die Politiker aus reiner Gefälligkeit in ihrem eigenen Wahlkreis gebaut.“ vgl. Türkische Allgemeine: 6.6 Billionen TL für vier Flughäfen sinnlos verschleudert. Ausgabe Mai 2002, S.8
[17] vgl. Rey 1990, S.23ff. Eine Ursache hierfür ist, dass im Gegensatz zur Annahme eines vollkommenen Marktes in der Pluralismus-Theorie in der Praxis Monopolisierungstendenzen bestehen, die zu Machtungleichgewichten führen.
[18] vgl. Philipp 1974, S.55
[19] vgl. TİSK: Turkish Confederation of Employer Associations. Publication No.189. Ankara, 1999, S.5
[20] vgl. Richter, Carolin: Lobbyismus und Abgeordnetenbestechung. Legitimität und Grenzen der Einflußnahme von Lobbyisten auf Abgeordnete. Aachen, 1997, S.15
[21] vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: http://www.fes.de/fulltext/bueros/istanbul/00253001.htm
[22] vgl. TİSK: Turkish Confederation of Employer Associations. Publication No.189. Ankara, 1999, S.5f.
[23] vgl. TİSK: TİSK President Refik Baydur expects economic activity to pick up in summer, in: tisk information. Ausgabe Nr.17, März 2000, Ankara, S.2
[24] vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: http://www.fes.de/fulltext/bueros/istanbul/00253028.htm
[25] vgl. Türkische Allgemeine: Besuch des Deutschen Botschafters bei der MAN Türkei. Ausgabe Februar 2002, S.31
[26] vgl. Kap. 3.4.3
[27] vgl. Shams, Rasul: Anpassungskonflikte und Interessengruppen in der Türkei. Hamburg, 1988, S.22f.
[28] Die Angaben beruhen auf einem Interview mit dem leitenden Berater des Präsidenten von Türk-İş, Herrn Prof.Dr.Yıldırım Koç, am 22.07.02 in der Zentrale von Türk-İş in Ankara-Kızılay, im folgenden wird als Quellenangabe hierfür „Koç, Yıldırım: Interview 22.07.02“ verwendet.
[29] vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: http://www.fes.de/fulltext/bueros/istanbul/00253029.htm; hier auch eine ausführliche Nennung der diversen unabhängigen Arbeitgeberverbände
- Arbeit zitieren
- Sven Feyer (Autor:in), 2002, Einflussmöglichkeiten der Wirtschaftsverbände auf den Gesetzgebungsprozess der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41227
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