Im ersten Teil der Arbeit findet zunächst eine Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel statt und es werden unterschiedliche Definitionsansätze von Alter(n) dargestellt. Anschließend werden die psychogerontologischen Theorien des Alter(n)s und die biologisch-medizinischen Grundlagen erläutert. Im zweiten Teil werden zentrale theoretische Grundlagen, die wesentliche Teile der Motologie ausmachen, unter Akzentuierung des mittleren Alters dargestellt, wobei anfangs die grundlegenden Begriffe des thematischen Umfelds erläutert werden, bevor im Anschluss daran das motorische Lernen im Kontext von motorischer Entwicklung dargestellt wird und die Kennzeichen der Altersmotorik beschrieben werden.
Im darauf folgenden Kapitel werden unter dem Aspekt einer ganzheitlichen Gesundheitsförderung durch Sport und Bewegung die verschiedenen Auswirkungen von körperlicher Aktivität dargelegt. Nachfolgend findet eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen von Bewegung statt. Bewegung wird aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, da Bewegungen für den Menschen immer individuelle Bedeutungen haben, die in Verbindung mit etwas stehen, was nicht in der Funktion der Bewegung selbst zu begründen ist. Diese Bedeutungen gehen über das Biochemische, das Anatomische und das Somatische hinaus.
Des Weiteren findet eine Auseinandersetzung mit dem motorischen Lernen, der motorischen Entwicklung und dem Bewegungsverhalten älterer Menschen sowie den Kennzeichen der Altersmotorik statt. Auf dieser Basis wird durch die Bezugnahme der gerontologischen Aspekte des ersten Teils der vorliegenden Arbeit im zweiten Teil abschließend versucht, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung Bewegung für das Alter und für den Prozess des Alterns hat, bevor im Fazit die signifikanten Autorenpositionen noch einmal zusammengefasst und ein Resümee gezogen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Teil I: Alter und Altern
2. Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel
3. Was bedeutet Alter und Altern? Ein Definitionsversuch
4. Psychogerontologische Theorien des Alter(n)s
4.1 Defizittheorie
4.2 Theorien erfolgreicher Anpassung an das Alter und Altern
4.2.1 Die Disengagement-Theorie
4.2.2 Die Aktivitätstheorie
4.2.3 Die Kognitive Alternstheorie
4.2.4 Die Theorie der Optimierung durch Selektion und Kompensation
4.3 Die Lebenslaufperspektive
4.3.1 Altern als Auseinandersetzung mit Entwicklungskrisen
4.3.2 Altern als Abfolge von Entwicklungsaufgaben
4.3.3 Altern als Bewältigung kritischer Lebensereignisse
4.3.4 Differentielle Gerontologie: verschiedene Formen des Alterns
4.4 Alter und Altern: Neuere Forschungsperspektiven
4.4.1 Die ökologische Perspektive
4.4.2 Die kompetenzbezogene Perspektive
4.4.3 Die biographische und sinnbezogene Perspektive
4.5 Interventionsgerontologie
5. Biologisch-medizinische Grundlagen des Alterns
5.1 Konstrukt 1: Genetische Programmierung
5.2 Konstrukt 2: Altern als deterministischer Prozess
5.3 Konstrukt 3: Altern als stochastischer Prozess
5.4 Konstrukt 4: Freie Radikale
5.5 Konstrukt 5: Vulnerabilität
5.6 Konstrukt 6: Krankheiten
5.6.1 Altersabhängige und Altersbegleitende Erkrankungen
5.6.2 Typische Alterskrankheiten
5.6.3 Krankheiten im Alter
5.7 Konstrukt 7: Demenz
5.8 Konstrukt 8: Geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe
5.9 Konstrukt 9: Terminal Decline
5.10 Konstrukt 10: Morbiditätskompression
5.11 Konstrukt 11: Aktive Lebenserwartung
Teil II: Bewegung
6. Begriffsdefinitionen
6.1 Motologie
6.2 Motorik
6.3 Psychomotorik
6.4 Motopädagogik
6.5 Motogeragogik
6.6 Bewegung
6.7 Organische Grundlagen von Bewegung
6.7.1 Neurophysiologische Aspekte
6.7.2 Neuropsychologische Aspekte
7. Motorische Entwicklung
7.1 Das Erlernen motorischer Fertigkeiten: Motorisches Lernen
7.2 Die Schematheorie
8. Die Kennzeichen der Altersmotorik
8.1 Bewegungsverhalten im Alter
8.2 Sportliche Aktivität im mittleren Lebensalter
9. Ganzheitliche Gesundheitsförderung durch Sport und Bewegung
9.1 Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die physische Gesundheit
9.2 Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die physische Gesundheit am Beispiel von gesundheitsorientiertem Krafttraining
9.2.1 Zum Nutzen von Krafttraining für den Alterungsprozess bei älteren Menschen
9.2.2 Physische Gesundheitswirkungen
9.3 Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die psychische und psychosoziale Gesundheit
9.3.1 Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die psychische und psychosoziale Gesundheit aufgrund von gesundheitsorientiertem Krafttraining
10. Bedeutungsdimensionen von Bewegung
10.1 Die instrumentelle Dimension von Bewegung: Der Körper als Werkzeug
10.2 Die explorierend-erkundende Dimension von Bewegung: Lernen 67 durch Bewegung
10.3 Die soziale Dimension von Bewegung: Beziehungsgestaltung durch Bewegung
10.4 Die personale Dimension von Bewegung: Bewegung wirkt auf Persönlichkeit
11. Welche Bedeutung hat Bewegung für ältere Menschen?
12. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellen
1. Einleitung
Im Hinblick auf eine alternde Gesellschaft steigt die Bedeutung von Lebensqualität und Gesundheit im Alter. Mit den Fortschritten in der Medizin ist ein Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung verbunden, weshalb der Eintritt ins Rentenalter für viele Menschen nicht mehr den Beginn der letzten Lebenshase bedeutet, sondern den Einstieg in einen neuen, noch viele Jahre andauernden Lebensabschnitt. Für die Gestaltung dieser Zeit ist nicht nur der medizinische Fortschritt für die Gesundheit ausschlaggebend, sondern auch ein gewisses Maß an Selbstverantwortung in Bezug auf die eigene Lebensführung. Aus diesem Grund wachsen die gesellschaftlichen und individuellen Erwartungen an effiziente Möglichkeiten der Gesundheitsförderung. Bewegung erfährt nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch in der Prävention erhöhte Aufmerksamkeit. Denn die meisten Menschen wünschen sich, auch in dieser Phase ihres Lebens noch gesund, aktiv und so selbständig wie möglich zu sein. Dem gegenüber steht dennoch der biologische Alterungsprozess, dem alle unterliegen, wenn auch mit individuell unterschiedlichen Auswirkungen. Unter Berücksichtigung der erwähnten Bedeutung von Lebensqualität und Gesundheit im Alter stellt sich die Frage, ob und wie Lebensqualität und Gesundheit durch die Ausübung körperlicher Tätigkeit, also durch Bewegung, erreicht werden können.
Das Phänomen Bewegung erfüllt seit Jahrzehnten unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen. An dieser Stelle zu betonen sind die Funktionen des Erhalts, der Förderung und der Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit. Bewegung ist und war immer eine elementare Voraussetzung für die Gesundheit des Menschen, egal welchen Alters. Allerdings hat sich das Bedürfnis nach Bewegung bei vielen Menschen reduziert. Sie sitzen die meiste Zeit des Tages, ihr Körper nimmt dabei eine unnatürliche Haltung ein, was zu einer Deaktivierung der Muskulatur führt. Der Grund dieses Verhaltens ist einerseits in den beruflichen Anforderungen zu sehen, andererseits im Bewegungsverhalten der Menschen – gerade auch unter Motivationsaspekten. Unnatürliche Körperhaltung und fehlende Bewegung können Beschwerden hervorrufen und Ursachen für verschiedene Krankheitsbilder sein. Bewegung ist ein grundlegendes Mittel des menschlichen Ausdrucks und bleibt es ein Leben lang. Sie bildet die Grundlage für die gesamte Entwicklung, die sich ebenso über das gesamte Leben erstreckt. Gestik, Mimik, Aktivitäten, soziales Miteinander und Selbstbild sind geprägt durch Bewegung. Nicht ausgelebte Bewegung kann nicht nur gesundheitliche Schäden hervorrufen, sondern auch Auswirkungen auf die Bereiche der alltäglichen Leistungsfähigkeit und des Sozialverhaltens haben.
Wenn die Zauberformel also Bewegung heißt, stellt sich die Frage nach ihrer Bedeutung. Und zwar nicht nur im normativen Sinne, sondern auch unter Berücksichtigung des Aspekts, welche Bedeutung sich in der Bewegung findet. In dieser Arbeit soll eine Auseinandersetzung mit der Frage stattfinden, welche Bedeutung Bewegung als spezifischer Gegenstand der Motologie im Alter und für den Prozess des Alterns hat. Im Fokus des Interesses steht einerseits die Frage, wie sich Bewegung auf die Gesundheit und auf gesundes Altern auswirkt und andererseits, wie sich Bewegung als ein wesentliches Element eines gesunden Lebensstils auf individueller wie auch kollektiver Ebene in den Alltag integrieren lässt. Von Bedeutung ist dabei nicht nur der funktionale Effekt von Bewegung, sondern auch die Annahme, dass das psychosomatische Wohlbefinden und die subjektive Lebenszufriedenheit durch geeignetes Verhalten, vor allem durch Bewegung, positiv beeinflussbar sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse aus den genannten Bereichen in die praktische Arbeit mit den jeweiligen Zielgruppen. Die Praxisfelder einer an Bewegung orientierten Gesundheitsförderung haben in den letzten Jahren eine starke Ausdifferenzierung erfahren, wodurch Gesundheitsförderung durch Bewegung eine interdisziplinäre Angelegenheit geworden ist. Erkenntnisse aus Sport- und Bewegungswissenschaft, Pädagogik, Medizin, Psychologie, Soziologie und Gerontologie fließen zusammen und es wird versucht, dem gesellschaftlichen und individuellen Anspruch auf eine optimale Gesundheitsförderung durch Bewegung gerecht zu werden.
Die Bewegungsarbeit mit älteren Menschen ist überwiegend funktionellen Aspekten untergeordnet, allerdings muss der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur Rechnung getragen werden, indem sich mit Persönlichkeitsentwicklung und –bildung im Alter im Kontext von Bewegung auseinandergesetzt wird. Die Konzeption einer praxisbezogenen Motogeragogik steht in einem engen Kontext zur Wissenschaft des Alter(n)s, der Gerontologie. Die thematische Analyse des Alter(n)s zeigt Bedingungen und Entwicklungsaufgaben, die den Alltag in dieser Lebensphase prägen. Durch die Gerontologie werden so altersspezifische und grundlegende Erkenntnisse für die Zielgruppe einer auf ältere Menschen bezogene Motologie geliefert, wodurch die Gerontologie den Bezugspunkt für die Motogeragogik im Kontext ihrer Aufgaben und Intentionen, sowie alltags- und subjektorientierten Förderung bildet. Hierin begründet sich der Aufbau der vorliegenden Arbeit, die in Teil I: Alter und Altern und Teil: II Bewegung unterteilt ist. Im ersten Teil findet zunächst eine Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel statt und es werden unterschiedliche Definitionsansätze von Alter(n) dargestellt. Anschließend werden die psychogerontologischen Theorien des Alter(n)s und die biologisch-medizinischen Grundlagen erläutert. Im zweiten Teil werden zentrale theoretische Grundlagen, die wesentliche Teile der Motologie ausmachen, unter Akzentuierung des mittleren Alters dargestellt, wobei anfangs die grundlegenden Begriffe des thematischen Umfelds erläutert werden, bevor im Anschluss daran das motorische Lernen im Kontext von motorischer Entwicklung dargestellt wird und die Kennzeichen der Altersmotorik beschrieben werden. Im darauf folgenden Kapitel werden unter dem Aspekt einer ganzheitlichen Gesundheitsförderung durch Sport und Bewegung die verschiedenen Auswirkungen von körperlicher Aktivität dargelegt. Nachfolgend findet eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen von Bewegung statt. Bewegung wird aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, da Bewegungen für den Menschen immer individuelle Bedeutungen haben, die in Verbindung mit etwas stehen, was nicht in der Funktion der Bewegung selbst zu begründen ist. Diese Bedeutungen gehen über das Biochemische, das Anatomische und das Somatische hinaus.
Des Weiteren findet eine Auseinandersetzung mit dem motorischen Lernen, der motorischen Entwicklung und dem Bewegungsverhalten älterer Menschen sowie den Kennzeichen der Altersmotorik statt. Auf dieser Basis wird durch die Bezugnahme der gerontologischen Aspekte des ersten Teils der vorliegenden Arbeit im zweiten Teil abschließend versucht, die Frage zu beantworten, welche Bedeutung Bewegung für das Alter und für den Prozess des Alterns hat, bevor im Fazit die signifikanten Autorenpositionen noch einmal zusammengefasst und ein Resümee gezogen wird.
Teil I: Alter und Altern
2. Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel
Seit Jahrzehnten verzeichnet das Statistische Bundesamt rückläufige Geburtenzahlen in Deutschland. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen. Dadurch kommt es zu einer starken Veränderung des Verhältnisses von jungen und alten Menschen in Deutschland. Der Anteil der Bevölkerung, der unter 20 Jahre ist, verringerte sich zwischen 1960 und 2005 von 28,4% auf 20,0% und parallel dazu wuchs der Anteil der über 60-Jährigen von 17,4% auf 24,9%. Das Statistische Bundesamt hat verschiedene Varianten entwickelt, um eine zukünftige Aussage über die Altersstruktur und Bevölkerungsentwicklung treffen zu können. Die Varianten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Annahmen über die Geburtenhäufigkeit, die Lebenserwartung und den Wanderungssaldo[1]. Eine Variante ist eine Bevölkerungsvorausberechnung, bei der von einer Fortsetzung der gegenwärtigen demografischen Entwicklung, einem weiteren leichten Anstieg der Lebenserwartung und einem jährlichen Wanderungssaldo von 200.000 Menschen ausgegangen wird. Dadurch verschiebt sich das Generationenverhältnis weiter zu Ungunsten der jüngeren Generation (s. Abb. 1). Der Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland wird sich bis 2050 auf 15,4% reduzieren, der Anteil der über 60-Jährigen wird im Gegenzug auf 39% ansteigen. Nach dieser Variante schrumpft nicht nur die Gesamtbevölkerungszahl bis 2050 von über 80 Millionen auf knapp 74 Millionen, sondern es werden voraussichtlich auch weniger Kinder und noch mehr ältere Menschen existieren. Da die Anzahl potentieller Mütter abnimmt, wird auch die jährliche Zahl an Geburten von derzeit knapp 673.000 auf etwa 500.000 im Jahr 2050 sinken. Synchron dazu steigt die Lebenserwartung der 65-Jährigen bis 2050 um annähernd 4,5 Jahre. Demnach wird es im Jahr 2050 doppelt so viele 60-Jährige wie Neugeborene geben – dieses Verhältnis war nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 noch ungefähr ausgewogen. Darüber hinaus wird die Zahl der über 80-Jährigen von knapp vier Millionen im Jahr 2006 auf bis zu zehn Millionen im Jahr 2050 wachsen. In der Folge verliert die „sogenannte“ Alterspyramide ihre Form, was die Grafiken zur Bevölkerungsentwicklung (s. Abb. 1) deutlich zeigen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln fasst diese Entwicklung deshalb unter dem Titel „Deutschland altert. Die demographische Herausforderung“ (Institut der deutschen Wirtschaft 2004) zusammen. Dabei beschränkte sich die öffentliche Diskussion zu dieser demographischen Herausforderung lange Zeit im Wesentlichen auf die Debatte um die Reformen von Renten- und Pflegeversicherung und vernachlässigte damit andere, zukunftsrelevante Fragen. Dies wird in einer Umfrage aus dem Jahr 2003 deutlich, in der 52% der Deutschen zu dem damaligen Zeitpunkt noch nie den Begriff "demographischer Wandel" gehört hatten. Zudem waren kaum Fachbeiträge oder Publikationen über die demographische Entwicklung Deutschlands auf regionaler Ebene vorhanden. Da sich 50 Jahre lang Bevölkerungswachstum in Deutschland verzeichnen ließ, bestand keine Notwendigkeit, strategische Konzepte für den Umgang einer alternden Bevölkerung zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund veröffentlichte das Berlin-Institut 2004 die Studie "Deutschland 2020". Mit dieser Studie lag erstmals eine Regionalbewertung der demografischen Zukunftsfähigkeit auf Kreisebene vor. Die Untersuchung erfolgte auf Grundlage eines System aus Indikatoren mit über 20 statistischen Größen in folgenden Bereichen: Demographie, Wirtschaftsentwicklung, Integration von Ausländern, Familienfreundlichkeit und Flächennutzung. Die Studie erfuhr eine große Resonanz, was verdeutlicht, wie groß das Defizit von Angaben zur demografischen Entwicklung auf regionaler Ebene war. 2006 veröffentliche das Berlin-Institut eine erweiterte Publikation: "Die demographische Lage der Nation“, in der Handlungsoptionen für eine demographische Zukunftsfähigkeit zusammengetragen wurden. Die Vorschläge thematisieren unter anderem negative Auswirkungen der demographischen Veränderung und die Möglichkeit, diese zu mildern. Zudem wird auch - in Anbetracht der Entwicklungen - vorgeschlagen, vorausblickend zu planen, um Finanzmittel bestmöglich einzusetzen.
Mittlerweile haben diese Themen längst in der öffentlichen Diskussion und in politischen Auseinandersetzungen Einzug erhalten. Familienpolitik, Integration, Zuwanderung und das Altern unserer Gesellschaft sind heute immer noch gegenwärtige Themen, mit denen heute weitblickender umgegangen wird. Allerdings ist keiner der Wege in die demographische Zukunftsfähigkeit schon zu Ende gegangen (vgl. Kröhnert 2006). Die Arbeitswelt muss dringend an eine ältere Belegschaft und die Weiterbildung an jüngere Mitarbeiter angepasst werden und damit auch denjenigen zur Verfügung stehen, die über 50 Jahre alt oder älter sind. Nach Erkenntnissen aus der Altersforschung ist belegt, dass die in der Öffentlichkeit gängige Vorstellung über "unproduktive Alte" nicht mehr haltbar ist. Im Gegenteil sollte das Potenzial, das ältere Menschen mitbringen, eingehend analysiert und gezielt eingesetzt werden. Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft „altert“, führt dazu, dass die Gesellschaft auf die Leistungen älterer Menschen angewiesen ist und diese nicht zu unterschätzt werden sollten (vgl. Statistisches Bundesamt 2010).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung bis 2050 (Statistisches Bundesamt 2010).
Die koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung von 1950 bis 2008 des statistischen Bundesamtes geht in seiner Fortschreibung von 2009 bis 2050 davon aus, dass die Geburtenhäufigkeit annähernd konstant bei 1,4 Kindern je Frau liegen wird, die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener Jahr 2060 85 Jahre für Jungen und 89,2 Jahre für Mädchen betragen wird und der jährlicher Wanderungssaldo einen Zuwachs von 200 000 Personen verzeichnen wird (vgl. ebd.). Folgt man der koordinierten Bevölkerungsvorausberechung, zeigt sich im Jahr ein Anteil von 51% in der Altersgruppe 20-64 Jahre und von 33% in der Altersgruppe 65 Jahre und älter (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). Hiermit wird die Relevanz der Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft mit dem Alter, gesundem Alter und der Frage, ob und inwiefern der Prozess des Alterns positiv beeinflusst werden kann, deutlich.
3. Was bedeutet Alter und Altern? Ein Definitionsversuch
In dem beschriebenen demographischen Wandel begründet sich die Auseinandersetzung mit den Begriffen Alter und Altern. Für die Begriffe Alter und Altern gibt es keine allgemeingültigen Definitionen. „Das Alter“ wird umgangssprachlich häufig den letzten Lebensabschnitt. In der Gerontologie wird der Altersbegriff hingegen in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Bei der Definition von Alter wird zwischen dem kalendarischen, dem individuellen bzw. biologischen, dem psychologischen, dem sozialen und dem funktionalen Alter differenziert (vgl. Baur/Bös/Singer 1994).
Das kalendarische Alter bezeichnet einen Informationsrahmen im Allgemeinen und wird in Form einer numerischen Skala ausgedrückt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das kalendarische Alter nicht immer dem biologischen Alter einer Person entspricht. Als biologisches oder auch individuelles Alter wird das Alter beschrieben, „welches ein Organismus aufgrund der biologischen Beschaffenheit seiner Gewebe im Vergleich zu Normwerten aufweist“ (Weineck, 2004 S. 418). Das biologische Alter ist dabei abhängig von exogenen Beeinflussungen und biologischen Reifungsvorgängen. Bei der psychologischen Definition von Alter stehen das individuelle Anpassungsvermögen im Fokus der Betrachtungen, sowie subjektive Reaktionen und das Selbstbild von Einzelpersonen. Auf das soziale oder auch soziologische Alter hat die jeweilige Gesellschaftsstruktur einen enormen Einfluss. Gilt eine Person in einer Gesellschaft als jung, kann sie in einer anderen Gesellschaft als alt wahrgenommen werden. Um das funktionale Alter zu ermitteln, wird der Versuch unternommen, das biologische, psychologische und soziale Alter in Beziehung zueinander zu setzen, um dadurch das „echte Alter“ (ebd.) zu bestimmen. Durch die Einordnung in ein bestimmtes funktionales Alter wird auch eine Implikation von Funktionsfähigkeiten vorgenommen (vgl. Ahlheim 1980; Weineck, 2004). Die beschriebenen Definitionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Herkunftsdisziplin und Perspektiven (medizinisch, psychologisch, gesellschaftlich). Beim Vorgang des Alterns wird zwischen physiologischen und pathologischen Vorgängen unterschieden. Beim physiologischen Altern wird der Vorgang der synchronen Veränderung aller Organe und Gewebe beschrieben, beim pathologischen Altern eine Insuffizienzbereitschaft eines Organs oder eines Systems.
Zusammenfassend beschreibt Weineck Altern (bezogen auf Sport und Bewegung) als „die Summe aller biologischen, psychologischen und sozialen Veränderungen [...], die nach Erreichen des Erwachsenen- und Überschreiten des Höchstleistungsalters zu einer allmählichen Abnahme der psychophysischen Anpassungs- und Leistungsfähigkeit des Individuums führt“ (Weineck, 2004 S. 419). Ein charakteristisches Merkmal des Alterns ist die Reduktion der Körpergröße. Diese basiert auf der Verringerung der Höhe der einzelnen Wirbel, der zunehmenden Krümmung der Wirbelsäule und der Verkleinerung des Kollodiaphysenwinkels am Oberschenkelknochen. Des Weiteren nimmt die Elastizität des Bandapparates stark ab, wodurch die Beweglichkeit der Wirbelsäule eingeschränkt wird. Die im Alter entstehende Atrophie des aktiven und passiven Bewegungsapparates führt zu einer Beeinträchtigung der Stützfunktion. Neben der Vermehrung des Binde- und Fettgewebes und der Veränderung von Haut und von Haaren ist die abnehmende Funktionsfähigkeit der Sinnesorgane charakteristisch für den Prozess des Alterns (vgl. Baur/Bös/Singer 1994; Weineck 2004). Hinzu kommt eine Abnahme der Nervenzellen des zentralen Nervensystems, die Reduzierung der Gehirndurchblutung, das Einlagern von Stoffwechselprodukten in den Gehirnzellen, eine Verringerung der Anzahl von Synapsen und eine Minderung der Nervenleitgeschwindigkeit. Dies hat Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten wie die Merkfähigkeit und das Erinnerungsvermögen, aber auch auf die Funktionen der Sinnesorgane. Des Weiteren sind dadurch Teile der Funktionen der Bewegungssteuerung eingeschränkt, wie zum Beispiel die Koordinations- und Reaktionsfähigkeit sowie die Aufmerksamkeit (vgl. Philippi-Eisenburger 1990).
Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilt den Alterungsprozess des Menschen wie im Folgenden dargestellt ein:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 (Weineck 2004, S. 428).
Dabei wird in 15-Jahres-Abschnitte zwischen jugendlichem Erwachsenenalter, dem Reifealter, dem Umstellungsalter, dem Lebensabschnitt des älteren Menschen, des alten Menschen und sehr alten Menschen differenziert. Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind die Abschnitte des Umstellungsalters, bzw. mittleren Alters und der Lebensabschnitt des älteren Menschen von Bedeutung.
Eine weitere Einteilung von Altersphasen findet sich bei Walter Tokarski (Rektor der Deutsche Sporthochschule Köln), der folgenden Überblick gibt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 (Tokarski 1986, S. 32).
Tokarski beginnt seine Einteilung erst ab dem 55. Lebensjahr und seine Einteilung erfolgt nicht in 15-Jahres-Abschnitten, sondern in 10-Jahres-Abschnitten. Die Lebensphase ab 85 Jahren als „Hochbetagtheit“ beschreibt, während die WHO ab einem Alter von 90 Jahren den Lebensabschnitt eines sehr alten Menschen einleitet. Auffällig ist auch, dass Tokarski bei seinem ersten Einteilungsversuch drei Phasen und bei seinem zweiten Einteilungsversuch vier Phasen beschreibt. Nach Tokarskis Einteilung sind in dieser Arbeit die Phase „Junges Alter“ und „Mittleres Alter“ relevant.
Reinhard Winter[2] hingegen unterscheidet zwischen dem frühen, dem mittleren, dem späteren und dem späten Erwachsenenalter. Demnach ist das frühe Erwachsenenalter das Alter zwischen 18 bzw. 20 und 30 Jahren. Charakteristisch für diesen Abschnitt ist für den Untrainierten die „relative Erhaltung der sportmotorischen Leistungsfähigkeit“ (Winter 1977, S. 392), für den sportlich Trainierten sind es die sportlichen Höchstleistungen. Das mittlere Erwachsenenalter umfasst das Alter zwischen dem 20./30. und 45./50. Lebensjahr, welches nach Winter die Jahre der allmählichen motorischen Leistungsminderung sind. Die Leistungsminderung ist bei Nichttrainierten besonders im koordinativen Bereich festzustellen. Trainierten bietet sich in diesen Jahren auch noch der Erhalt der Leistungsfähigkeit. Das spätere Erwachsenenalter liegt zwischen 45/50 und 60/70 Jahren und zeichnet sich durch verstärkte motorische Leistungsminderung aus, sowohl bei Nichttrainierten als auch bei Trainierten. Das späte Erwachsenenalter ab ungefähr 60/70 Jahren ist laut Winter durch eine „ausgeprägte motorische Involution“ (Winter 1977, S. 395) gekennzeichnet. Die motorische Leistungsfähigkeit wird in der Gesamtmotorik des Menschen sichtbar (vgl. Winter 1977). Die Einteilung von Winter ist im Vergleich zu denen der WHO und Tokarski sehr ausdifferenziert in Bezug auf die Merkmale der motorischen Leistungsfähigkeit, was im Rahmen dieser Arbeit von Bedeutung ist. Hier bietet das „späte“ Erwachsenenalter den Bezugsrahmen der Diplomarbeit.
Die vorgestellten Einteilungen und der jeweilige Hinweis des Bezugsrahmens soll bei den im weiteren Verlauf der Arbeit verwendeten Termini „ältere Menschen“ und „alternde Menschen“ eine Assoziationsmöglichkeit bieten und gleichzeitig eine klare Abgrenzung zum Lebensabschnitt des alten Menschen und zur Hochaltrigkeit darstellen.
4. Psychogerontologische Theorien des Alter(n)s
In der Gerontologie gibt es zwei wissenschaftliche Zugänge zu den Alterstheorien: Die naturwissenschaftliche Gerontologie (die stark medizinisch orientiert ist und biologische Aspekte thematisiert) und die Sozialgerontologie (die humanwissenschaftlich orientiert ist). Unterdisziplinen der Sozialgerontologie sind die Gerontosoziologie, die Sozialökonomie, die Politikwissenschaften und die Gerontopsychologie, wobei letztere ihren Blick auf individuelle Verläufe des Alterns, biographische Einbettung und beobachtbare psychische Unterschiede zwischen älteren Menschen richtet.
In einem Punkt sind sich alle Disziplinen einig: Der Beginn des Alterns lässt sich nicht chronologisch festlegen, was eng mit dem Aspekt verbunden ist, dass es auch keine allgemeingültige Definition von Alter und Altern gibt. Dem Phänomen Alter(n) wird eine gewisse Dynamik zugeschrieben, das heißt, es wird nicht als eine Phase im Lebenslauf mit relativ statischem Charakter aufgefasst, sondern als Veränderungen, die über das gesamte Leben hinweg stattfinden.
„Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt damit die genauere Analyse des Gesamtprozesses des Alterns, wobei ein beobachtbarer Alterszustand eines Menschen als Resultat des davorliegenden Altersprozesses interpretiert werden muss“ (Kolb 1999, S. 80 f).
Bestimmte Themenstränge des Alters, die zu Modellen verdichtet worden sind werden in den nachfolgenden psychogerontologischen Theorien des Alter(n)s beschreiben. Sie keine Theorien im engeren Sinne differenziert ausgelegter und überprüfter Konstrukte, sondern vielmehr Theorien, in denen Altersprozesse gedeutet werden, die auf begrenzten empirischen Untersuchungen basieren.
4.1 Defizittheorie
Eine defizitäre Grundvorstellung prägt die ersten theoretischen Entwürfe zur Charakteristik des Alterns. Die Entwürfe wurden anhand von Untersuchungen entwickelt, die deutliche Defizite von älteren Altersgruppen gegenüber jüngeren nachweisen. Dadurch wurde eine generalisierte Annahme eines zwangsläufigen Altersabbaus entwickelt. Untermauert wurde dieses Bild vom Alter durch die zu Anfang primär medizinisch geprägte Altersforschung, die ihren Fokus stark auf die abnehmenden körperlichen und geistigen Kräfte gerichtet hatte. Altern wurde als ein Prozess interpretiert, der durch den Rückgang physischer, psychischer und sozialer Fähigkeiten und die damit verbundene schwindende Anpassungsfähigkeit des Organismus gekennzeichnet war. Die medizinische Ausrichtung führte dazu, dass Altern vermehrt mit einem Krankheitsverlauf assoziiert wurde und bestimmte Krankheitssymptome, die in einzelnen Gruppierungen auftraten, der gesamten Lebensphase zugewiesen wurden. Im Defizitmodell wird demnach davon ausgegangen, dass „dem Alter ein unumgänglicher biologischer Prozess zugrunde liegt, in dessen Verlauf die Fähigkeiten in verschiedenen Dimensionen grundsätzlich nachlassen, die Funktionen gestört werden und zunehmend Defekte auftreten“ (Kolb 1999, S. 84).
4.2 Theorien erfolgreicher Anpassung an das Alter und Altern
In den 1950er Jahren entwickelten sich in den USA aufgrund der Kritik an der stark biologisch ausgerichteten Defizittheorie alternative Ansätze, die den Fokus auf der praxisorientierte Frage eines „erfolgreichen Alterns“ richteten. „Die zentrale Frage war, auf welche Art und Weise es älteren Menschen, die aus vielfältigen sozialen Bezügen herausfallen und deren Lebenssituation wesentlich durch Verluste gekennzeichnet ist, gelingt, sich an diese schwierige Situation anzupassen.“ (Kolb 1999, S. 86).
Havighurst war der bekannteste Vertreter des Ansatzes des „erfolgreichen Alterns“. Für ihn bedeutet erfolgreiches Altern „ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen und vergangenen Leben“ (Havighurst 1968, S. 568). Des Weiteren definiert Havighurst erfolgreiches Altern als Ausdruck einer subjektiv empfunden gelungenen Bewältigung der Aufgaben, die sich im individuellen Lebenslauf eines jeden Menschen gestellt haben. Um das zu ermöglichen, muss es alternden Menschen gelingen, sich an körperliche und soziale Bedingungen anpassen, die sich im Prozess des Alterns immer wieder verändern. Die Äußerung einer hohen subjektiven Lebenszufriedenheit wird als ein Indikator für diese Leistung gesehen, ebenso wie die Passung zwischen individuellen Bedürfnissen und Erwartungen. Basis für dieses Lebenszufriedenheits-Konstrukt ist ein biologisch-psychologisches Homöostase-Modell, in dem davon ausgegangen wird,
„dass es im Verlauf des Alterns zu einer Störung des Gleichgewichts zwischen individuellen Wünschen und Zielen einerseits und den Veränderungen des eigenen Körpers und der äußeren Bedingungen wie sozialen Normen oder kritischen Ereignissen auf der anderen Seite kommt“ (Kolb 1999, S. 86).
Erfolgreiches Altern zeichnet sich also dadurch aus, dass die genannten Komponenten wie körperliche und soziale Bedingungen und individuelle Bedürfnisse und Erwartungen unter Berücksichtigung der eigenen biographischen Situation in Einklang miteinander gebracht werden. „Diese Grundvorstellung eines erfolgreichen Alterns weist über die von der Annahme eines zwangsläufigen Altersabbaus geprägte Defizittheorie deutlich hinaus“ (Kolb 1999, S. 87).
Obwohl dieser Ansatz – wie die Defizittheorie - Altern auch als eine Lebensphase betrachtet, die durch kritische Ereignisse charakterisiert ist, wird aber andererseits davon ausgegangen, „dass Menschen im Laufe ihrer Biographie Kompetenzen entwickeln können, die sie dazu befähigen, mit schwierigen Ereignissen, Übergängen und Verlusten im Alter in einer Weise umzugehen, die zu subjektiv empfundener Zufriedenheit führt“ (Kolb 1999, S 87).
Das Problem dieser Argumentationslinie besteht darin, dass mit dem Begriff „Lebenszufriedenheit“ ein Konstrukt eingeführt wird, das schwer zu fassen ist, was sich darin begründet dass es keinen normativen Bezugsrahmen gibt, sondern lediglich subjektive Empfindungen. Es entsteht die Frage, wie die Norm gerechtfertigt wird, die Altern in dieser Art als erfolgreich definiert. Das Modell des erfolgreichen Alterns stellt eine erste Theorielegung dar, die in den nachfolgenden Theorien konkretisiert wurde.
4.2.1 Die Disengagement-Theorie
Die Disengagement-Theorie ist soziologisch orientiert und basiert auf Ergebnissen einer empirischen Untersuchung, bei der ein Vergleich von jüngeren und älteren Menschen angestellt wurde. Dabei ist bei Älteren das Nachlassen der Teilnahme am sozialen Leben, eine Verkleinerung des Lebensraumes, eine wachsende Orientierung nach Innen und ein erlebnisbezogener Rückzug festgestellt worden. Diese Beobachtungen wurden von älteren Menschen selbst „als befreiend erlebt und mit subjektiver Zufriedenheit verbunden“ (Kolb 1999, S. 88).
Cumming und Henry entwickelten diese Theorie 1961 auf der Grundlage der beschriebenen Ergebnisse und charakterisieren den Prozess des Alterns durch einen unvermeidlichen Rückzug aus gesellschaftlichen Kontexten. Die Kernaussage der Disengagement-Theorie ist demnach: Ältere Menschen verspüren das Bedürfnis, soziale Rollen aufzugeben und gesellschaftliche Verpflichtungen abzugeben, sowie ihre Aktivitäten im sozialen Raum zu verringern. Dies ist laut Cumming und Henry ein sozial zweckmäßiger und funktionaler Verlauf, da der Verlust von Rollen einem entsprechenden persönlichen Bedürfnis älterer Menschen entspricht (vgl. Tews 1979).
Laut Thomae stellt die Disengagement-Theorie einen Kompromiss zwischen einer endogenen und einer exogenen Theorie dar. Es wird von der zentralen These ausgegangen, dass die Loslösung von sozialen Rollen nicht nur für die älteren Menschen, sondern auch für die Gesellschaft funktional ist, gleichzeitig aber auch die individuelle Lebenszufriedenheit steigert (vgl. Thomae 1986). Gesellschaftstheoretisch betrachtet, basiert die Disengagement-Theorie also einerseits darauf, dass es ein soziales System mit Akteuren gibt, welches funktionieren muss. Ältere Inhaber sozialer Positionen müssen der nachfolgenden Generation rechtzeitig Zugang zu diesen Positionen ermöglichen und sie somit freigeben. Andererseits wurde beobachtet, dass der Druck auf die älteren Akteure in diesem System nicht ausschlaggebend dafür ist, dass sie ihre sozialen Rollen aufgeben, sondern primär die Rückzugswünsche der Älteren aus der Verantwortung, die ihre Rollen in Beruf und Familie mit sich gebracht haben. Der Verlauf eines Rückzuges aus gesellschaftlichen Kontakten ist somit ein natürlicher Prozess, der fest in die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit eingebettet ist. Des Weiteren kann die beobachtbare Distanzierung als eine erfolgreiche Anpassung an das Altern interpretiert werden, die damit zur Erhöhung der Zufriedenheit und des Wohlbefindens dieser Gruppe beiträgt (vgl. Minnemann 1999).
4.2.2 Die Aktivitätstheorie
Als eine Art Widerspiel zur Disengagement-Theorie kann die Aktivitätstheorie in Kontext von sozialen Kontakten betrachtet werden, die Anfang der 1960er Jahre von Tartler in Deutschland und von Havighurst in den USA aufgestellt wurde. Auch hier dienen empirische Untersuchungen als Basis. Es wurde Beobachtet, dass ältere Menschen,
„die ihre Aktivitäten und sozialen Kontakte z.B. durch Kompensation und aktive Veränderung der verloren gegangenen Rollen und Funktionen des mittleren Lebensalters möglichst aufrechterhalten konnten, zufriedener und glücklicher waren, als diejenigen, die Rollen nur abgegeben hatten und sich keinen Ersatz dafür hatten schaffen können“ (Kolb 1999, S. 90).
Ältere Menschen empfinden ihren Rollenverlust in der Berufswelt auch als Bedrohung ihres Selbstwertgefühls. Das begründet sich darin, dass die sozialen Kontakte, die durch die Ausübung des Berufs entstanden sind, von Älteren als befriedigend empfunden werden (vgl. Kolb 1990).
Im Kern besagt die Aktivitätstheorie, dass die Steigerung des Wohlbefindens im Alter mit dem Gefühl zusammenhängt, weiterhin noch Leistungen erbringen zu können und somit die Kontinuität von Aktivitäten eine entscheidende Bedingung für erfolgreiches und damit auch zufriedenes Altern ist. Im Gegensatz zur Disengagement-Theorie wird die Distanzierung von sozialen Kontakten in der Aktivitätstheorie so interpretiert, dass sie durch gesellschaftliche Umstände hervorgerufen wird. Diesen Prozess können Ältere nur überwinden, indem sie sich ein Substitut in alternativen Aktivitäten suchen. Demnach bedeutet erfolgreiches Altern in der Aktivitätstheorie, den aktiven Lebensstil des mittleren Lebensalters auch nach Ausscheiden aus dem Berufsleben durch andere Aktivitäten aufrechtzuerhalten, also ein relativ hohes Tätigkeitsniveau anzustreben, um die Pensionierung – die Aufgabe einer tragenden Rolle – zu kompensieren. Stark verbunden ist diese Theorie laut Olbrich (vgl. Olbrich 1987) mit einem Disuse-Modell, in dem die Interaktion zwischen biologischen Altersprozessen und persönlichen und sozialen Aktivitäten hervorgehoben wird. Ausschlaggebend für das Schwinden von Fähigkeiten ist demnach vor allem der „Nicht-Gebrauch von körperlichen und geistigen Funktionen aller Art“ (Kolb 1999, S. 91), was durch den bereits erwähnten Verlust von Rollen begünstigt werden kann. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Prozess des Alterns als ein beeinflussbarer Prozess betrachtet wird. Sowohl in der Disengagement- als auch in der Aktivitätstheorie wird die Frage fokussiert, wie Menschen im Kontext von nahezu unausweichlichen und teilweise restriktiven Veränderungen in der Ausübung ihrer sozialen Rollen erfolgreich altern können. Deutlich wird auch die Annahme einer Gesellschaftstheorie, die strukturfunktionalistisch ausgelegt ist. Alternde Menschen müssen sich in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einpassen und den Rollenerwartungen entsprechen, die an sie gestellt werden. Der Verlust von sozialen Rollen muss so kompensiert werden, dass ältere Menschen weiterhin sozial integriert sind und die Gesellschaft stabil bleibt. Die Lebenszufriedenheit wird in beiden Theorien somit „zum Ausdruck eines harmonischen Verhältnisses zwischen individuellen Ansprüchen und gesellschaftsbedingten beziehungsweise gruppenspezifischen Erwartungen an das Verhalten ihrer Mitglieder“ (Erlemeier 1984, S. 319).
Die Disengagement-Theorie und die Aktivitätstheorie müssen beide dahingehend kritisch betrachtet werden, als dass sie von einer standardisierten Gesellschaft und NormalBiographien ausgehen. Bei der Aktivitätstheorie wird kritisiert, dass das mittlere Lebensalter als normativer Bezugspunkt dargestellt wird und der ausschlaggebende Maßstab durch eine Lebensorientierung gesetzt wird, die sich nur auf die Fortsetzung des mittleren Lebensalters in idealisierter Form bezieht. Hervorgehoben wird auch der Aspekt, dass – empirisch betrachtet - eine hohe Aktivität nicht monokausal mehr Lebenszufriedenheit bedeutet. Wichtig sind das subjektive Gefühl einer sinnvollen Tätigkeit bei älteren Menschen und die damit verbundene soziale Anerkennung. Diese beiden Punkte sind die entscheidende Voraussetzung für eine positive Wirkung der ausgeübten Aktivitäten – unabhängig von ihrer Quantität. Laut Kolb wird der Aktivitätsbegriff zu formal gefasst und die sich darauf beziehende Lebenszufriedenheit im Alter zu verkürzt dargestellt, weil sowohl individuelle und soziale Kontexte als auch Zielsetzungen, Wirkungen und Beweggründe der Aktivitäten außer Acht gelassen werden. Dadurch könnte die Perspektive auf das Alter als eine eigenständige Lebensphase mit eigenen Werten und Entwicklungsmöglichkeiten vernachlässigt werden (vgl. Kolb 1999).
4.2.3 Die Kognitive Alternstheorie
Die genannten Kritikpunkte an den beiden vorangegangenen Theorien führten dazu, dass eine kognitive Alternstheorie entwickelt wurde, die auf der kognitiven Persönlichkeitstheorie von Thomae (vgl. Thomae 1968) basiert. In dieser kognitiven Persönlichkeitstheorie wird der Fokus darauf gerichtet, wie Menschen ihre Lebenswelt deuten, mit Veränderungen und kritischen Lebensereignissen umgehen und sich in ihrer Persönlichkeit dabei weiterentwickeln. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Annahme, dass die persönliche kognitive Repräsentation von Situationen (und nicht objektiv messbare Umstände) bedeutend ist und wie diese Situationen erlebt werden. Im Sinne dieser Theorie wird auch der Prozess des Alterns als eine Veränderung verstanden, die neue Verhaltensweisen und neue Formen des Erlebens mit sich bringt. Diese psychodynamische Entwicklung der Persönlichkeit wird hauptsächlich durch die individuelle und vor allem aktive Auseinandersetzung mit immer wieder neuen Lebensumständen und Ereignissen geprägt. Diesen Gesichtspunkten wird eine deutlich höhere Bedeutung zugemessen als äußeren Umständen: „Die sozialen und biologischen Gegebenheiten schaffen zwar bestimmte äußere Bedingungen, aber erst die Art und Weise, wie Ältere ihre Situation bewerten und über welche biographisch gewachsenen Möglichkeiten sie verfügen, um mit der wahrgenommenen Situation umzugehen, entscheidet darüber, ob sie ihr Alter als zufriedenstellend erleben“ (Kolb 1999, S. 95).
In der kognitiven Alternstheorie ist also das Erleben der jeweiligen älteren Menschen von deren Erwartungen und Bedürfnissen abhängig und es wird von einer individuellen Zukunftsausrichtung und Werteorientierung ausgegangen. Die älteren Menschen werden als aktiv und konstruktiv betrachtet. Die Lebenszufrieden und das Wohlbefinden im Alter werden gleichgesetzt mit einer gelungenen Anpassung an die im Alter entstehenden physiopsychischen Veränderungen. Diese Anpassung bedeutet in der kognitiven Alternstheorie ein Gleichgewicht zwischen Gewünschtem und Erreichtem herzustellen (vgl. Thomae 1990). Voraussetzungen dafür sind Akzeptanz und positive Deutung der erlebten Situationen, eine neue Bewertung der eigenen Lebensziele sowie Offenheit und Flexibilität. Kritisiert wird diese Theorie, weil sie davon ausgeht, dass eine Anpassung nur durch die Veränderung kognitiver Systeme möglich ist und Lebensunzufriedenheit im Alter nur auf eine nicht gelungene kognitive Anpassung zurückgeführt wird (vgl. Kolb 1999).
4.2.4 Die Theorie der Optimierung durch Selektion und Kompensation
Margret und Paul Baltes entwarfen ein übergreifendes Alternsmodell, da sie der Annahme sind, dass sich über den gesamten Lebensverlauf ein Entwicklungsprozess zieht, der von Veränderungen in eine bestimmte Richtung charakterisiert ist (vgl. Baltes 1989a). Im Alter verschließen sich Perspektiven, es findet quasi eine Kanalisierung statt. Auf der einen Seite verringern sich die Kapazitäten, die der Entwicklung dienen können und nach subjektivem Empfinden wächst die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse. Auf der anderen Seite nimmt die Wahrscheinlichkeit von positiven Veränderungen im weiteren Lebensverlauf immer mehr ab. Baltes und Baltes stellen die Frage, wie es älteren Menschen ermöglicht werden kann, sich erfolgreich in diesen Prozess einzupassen: „Läßt sich eine prototypische effektive Alternsstrategie vorstellen, die es trotz zunehmender körperlicher Anfälligkeit und trotz reduzierter Kapazitätsreserven erlaubt, sein Selbst wirksam zu behaupten?“ (Baltes 1989a, S. 58). In dieser Theorie ist das zentrale Ziel, Defizite zu ausgleichen und Verhaltensweisen zu selektieren, um das Alter zu kompensieren. Selektion, Optimierung und Kompensation werden als Grundprozesse der Anpassung betrachtet Das gilt für Veränderungen, den Erhalt von Handlungskompetenz und Lebensqualität sowie für Funktionsverluste und Einschränkungen in jeder Form. Erfolgreiches Altern setzt sich nach Baltes aus den genannten drei Komponenten Selektion, Optimierung und Kompensation in einer kreativen Kombination zusammen. Hierbei beschreibt Selektion grob die Richtung, das Ziel oder das Ergebnis von Entwicklung. Zu selektieren bedeutet an dieser Stelle, Einschränkungen bewusst vorzunehmen, um den sich verringernden Kapazitäten Rechnung zu tragen und sich auf Lebensbereiche zu konzentrieren, die subjektiv eine hohe Bedeutung haben und auch mit den vorhandenen Kapazitäten zu bewältigen sind. Optimierung beschreibt das Bemühen, die eben genannten Lebensbereiche möglichst auf hohem Niveau zu halten und die dort vorhandenen Ressourcen auszuschöpfen. Die Optimierung benennt die Mittel und Mechanismen, die das Erreichen von Entwicklungszielen oder Entwicklungsresultaten ermöglichen (vgl. Baltes 1989a). Kompensation bezeichnet die adaptive Reaktion auf den Verlust von oben angesprochenen Ressourcen. Diese Anpassungsleistung dient dazu, durch die Aktivierung alternativer Handlungsmittel oder die Einführung von Alternativen den Funktionsstand aufrechtzuerhalten bzw. ausfallende Funktionen auszugleichen (ebd.).
Die Theorie der Optimierung durch Selektion und Kompensation ist fast uneingeschränkt auf alle Bereiche der Entwicklung im Alter anwendbar. Im Lebenslauf verschiebt sich die Gewichtung der drei Komponenten zusehends. Mit zunehmendem Alter nehmen Selektion und Kompensation insgesamt betrachtet zu, während diese im jungen Alter hingegen relativ ausgeglichen gewichtet sind. Zufrieden und erfolgreich altern heißt an dieser Stelle, ein individuell passendes Maß von Selektion, Optimierung und Kompensation zu finden. An diesem Modell wird kritisiert, dass das Problem, was genau erfolgreiches Altern ist, bestehen bleibt. Es ist problematisch, eine allgemeingültige Aussage darüber zu treffen, welche Komponenten entscheidend und aussagekräftig für einen subjektiv wahrgenommen erfolgreichen Alternsprozess sind, wobei zu betonen ist, dass es nicht den einen bestimmten Weg erfolgreichen und zufriedenen Alterns gibt, sondern dass ganz verschiedene Altersverläufe von Menschen mit unterschiedlichen Biographien und unterschiedlichen, im Leben entwickelten Vorstellungen von einem erfüllten Leben, subjektiv als befriedigend erlebt werden können (vgl. Dittmann-Kohli 1989).
4.3 Die Lebenslaufperspektive
Anfang der 1970er Jahre entwickelte sich in der Entwicklungspsychologie eine neue Perspektive, nach der sich die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen nicht nur im Kindes- und Jugendalter vollzieht, sondern sich über die gesamte Lebensspanne eines Menschen erstreckt. Demnach bleibt die Persönlichkeit im Erwachsenenalter nicht konstant, sondern entwickelt sich ständig in unterschiedlichen Phasen des Lebens weiter. Die Entwicklungsphasen sollten daraus resultierend nicht isoliert betrachtet werden, weil sie eng miteinander verbunden sind. Demnach wird Entwicklung als lebenslanger Prozess angesehen, die tradierte Einteilung in Lebensphasen aufgegeben und der Mensch als aktiver und selbstreflexiver Gestalter seiner Entwicklung betrachtet, da er nicht nur einfach auf Anforderungen reagiert, sondern selbst agiert, sprich die Anforderungen konstruktiv aufnimmt und selbstständig verarbeitet (vgl. Kolb 1999). Durch diese Veränderung der Sichtweise wird das Alter nicht mehr als eine isolierte Lebensspanne betrachtet und ältere Menschen nicht mehr als eine gesellschaftliche Gruppe, sondern vielmehr wird der Fokus auf den „lebenslangen Prozess des Alterns und die Veränderungen auf den verschiedenen Dimensionen, die sich dabei ereignen“ (Kolb 1999, S. 102) gerichtet. Als besonders aufschlussreich in diesem Perspektivenwechsel beschreibt Kolb die krisen- und aufgabenorientierten Entwicklungsmodelle, in denen davon ausgegangen wird, dass sowohl im Kontext von Krisenbewältigungen in unterschiedlichen Bereichen (Familie, Beruf, persönlich) als auch von neuen Anforderungen durch veränderte Lebensumstände die persönliche Weiterentwicklung gefördert wird (vgl. Lehr 1979; Kolb 1999).
4.3.1 Altern als Auseinandersetzung mit Entwicklungskrisen
Die Modelle, die im Folgenden vorgestellt werden, sehen die menschliche Entwicklung als „diskontinuierliche Folge von krisenhaften Übergängen [...], die im Zusammenhang mit bestimmten lebensweltlichen Veränderungen stehen“ (Kolb 1999, S. 104). Anschließend an diese Modelle, die ihren Hauptgedanken auf eine von tiefgreifenden Veränderungen geprägte Entwicklung gerichtet haben, erfolgt eine Darstellung der differentiellen Gerontologie, die an die kognitive Alternstheorie von Thomae anknüpft und unterschiedliche Formen des Alterns differenziert.
Zur Darstellung des menschlichen Lebenslaufs gibt es unterschiedliche Modelle, die Entwicklung meist anhand von Phasen- oder Stufenmodellen beschreiben. Harvighurst und Erikson zeigen dies mit Hilfe der Theorie von Entwicklungsaufgaben und dem Lebenszyklusmodell. Gemeinsam haben diese Modelle die Annahme von aufeinander folgenden Phasen von der frühen Kindheit bis ins hohe Alter, die Menschen in ihrem Leben durchlaufen. Der Aspekt des Überganges zwischen den jeweiligen Phasen wird besonders betont, weil angenommen wird, dass hierbei besondere Anforderungen an den Menschen gestellt sind, diesen Phasen gewachsen zu sein (vgl. Erikson 1969).
Erikson beschreibt in seinem Lebenszyklusmodell (vgl. ebd.) die Entwicklung als Abfolge psychosozialer Krisen und geht von der Annahme aus, dass die Persönlichkeitsentwicklung maßgeblich davon beeinflusst wird, wie die an bestimmten Stellen des Lebens dominant werdenden Krisen bewältigt werden. Diese Krisen oder krisenhaften Situationen werden als phasenspezifisch, antagonistisch und gewissermaßen als Basiskonflikte von Gegensätzen charakterisiert, die produktiv gelöst werden müssen, um sich weiterzuentwickeln (vgl. ebd.) Zwar wird in diesem Modell von einer festen Abfolge von Entwicklungsschritten ausgegangen, aber trotzdem auch eine selbständige Auseinandersetzung mit den Herausforderungen im Leben hervorgehoben. Diese Komponente ist im Kontext eines Zugangs zum Altern interessant, weil sich der Fokus hierbei auf die realitätsnahen Anforderungen im Alltag richtet. Die sich im Leben immer wieder verändernden Situationen werden gerade im Alter nicht als ein passives Ereignis betrachtet, sondern als eine „täglich neu zu leistende Entscheidung“ (Thomae 1968, S. 12). Die angesprochene Gegensätzlichkeit bei Erikson entsteht zwischen Ich-Integrität und Verzweiflung. Die Ich-Integrität in ihrem positivsten Ergebnis würde eine Akzeptanz des eigenen Lebens und Zufriedenheit mit der eigenen Biographie bedeuten. Wenn allerdings durch eine fehlende Akzeptanz dessen eine negative Bilanzierung des eigenen Lebens entsteht, droht Verzweiflung (vgl. ebd.). Es gilt also im Alter, eine „existenziell tragfähige Identität zu finden“ (Kolb 1999, S. 105). Erikson beschreibt es mit den Worten „"Herr seines Körpers zu sein, zu wissen, dass man auf dem rechten Weg ist, und eine innere Gewissheit, der Anerkennung derer, auf die es ankommt, sicher sein zu dürfen" (Erikson 1969, S. 147). An Eriksons Lebenszyklusmodell werden oft sowohl seine sozialkritischen Annahmen und die Nähe zu normativ biologischen und organismischen Vorstellungen als auch die Vorstellung einer mittelschichtsignifikanten Normalbiographie kritisiert. Der von Erikson entwickelte Phasenverlauf von Entwicklung mit universalistischem Anspruch ist heute nicht mehr haltbar, da er in empirischen Studien nicht immer wiedergefunden wurde, sondern sich vielmehr individueller geprägte Einschnitte zeigten, die von Menschen als bedeutsam wahrgenommen wurden (vgl. Kolb 1999).
4.3.2 Altern als Abfolge von Entwicklungsaufgaben
Die Grundannahme von Eriksons phasenspezifischen Anforderungen an den Menschen in seinem Lebenslauf findet sich auch bei Havighurst (1968). Allerdings charakterisiert Havighurst jene Aufgaben neutraler und nicht als krisenhafte Situationen (vgl. Havighurst 1968). Featherman betont, dass es keine einfache Lösung für die Aufgaben gibt, sondern nur Annäherungen, „in denen verschiedene widersprüchliche Anforderungen ausbalanciert werden müssen“ (Featherman 1989, S. 12). Durch die zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben, die in bestimmten Phasen des Lebens auftreten, entsteht eine „lebenszyklische Ordnung, die vor allem von soziokulturellen Erwartungen geprägt ist“ (Kolb 1999, S. 107). Wie mit diesen Anforderungen umgegangen wird und wie sie bewältigt werden, ist ausschlaggebend dafür, ob eine Persönlichkeitsentwicklung stattfindet. Die Bewältigung von Aufgaben, kann die Weiterentwicklung der Persönlichkeit ermöglichen, muss sie aber nicht notwendigerweise hervorrufen. Wenn die Entwicklungsaufgaben erfolgreich bewältigt werden, führt das einerseits zu einer subjektiv empfundenen Lebenszufriedenheit, andererseits ist dies eine wichtige Voraussetzung dafür, dass auch die kommenden Aufgaben erfolgreich bewältigt werden. Eine Nichtbewältigung ruft Frustration hervor und hat oft auch ein negatives Gutachten durch die soziale Umgebung zur Folge. In diesem Prozess der Entwicklung, der sich über die gesamte Lebensspanne hinzieht, sind dem Individuum Aufgaben gestellt (meist von der Gesellschaft), die mit den bereits vorhandenen Kompetenzen nicht positiv gelöst werden können. Dadurch entsteht das Bedürfnis, sich neu anzupassen und weiterzuentwickeln. Überträgt man nun diese Annahmen zur Persönlichkeitsentwicklung und zu Entwicklungsaufgaben auf das Alter, so lässt sich feststellen, dass dort gehäuft Anforderungen an das Individuum gestellt werden (vgl. Lehr 1991). Von besonderer Bedeutung sind für Havighurst die Auseinandersetzung mit den schwindenden körperlichen Funktionen, der Verlust der Berufstätigkeit und der damit verbundenen Rolle und einem verringertem Einkommen und der Verlust des Partners vgl. Havighurst, 1968). Dadurch wird es für ältere Menschen erforderlich, sich immer wieder neu anzupassen: „Dabei werden vielfältige Anpassungsleistungen wie eine notwendige Umorganisation des Tagesablaufs, eine Umstrukturierung der sozialen und familiären Kontakte, eine Einschränkung in finanzieller Hinsicht und eine Verarbeitung des Verlustes des Lebenspartners und von Altersgenossen erforderlich“ (Kolb 1999, S. 108).
Kolb kritisiert an der Theorie, dass ebenso wie bei der Theorie zum Altern als Abfolge von Entwicklungsaufgaben eine epigenetische Vorstellung herrscht, die von einem universellen Verlauf von Entwicklungsaufgaben zu bestimmten Zeitpunkten ausgeht. Auf individualisierte Biographien mit unvorhersehbaren Ereignissen, wie Unfällen, Krankheiten oder Arbeitslosigkeit wird keine Rücksicht genommen, sondern normativer Bezugspunkt ist wieder eine mittelschichtspezifische NormalBiographie (vgl. Kolb 1999).
4.3.3 Altern als Bewältigung kritischer Lebensereignisse
Altern als Abfolge von Entwicklungsaufgaben bildet die Grundlage für das Modell Altern als Bewältigung kritischer Lebensereignisse, das von der Annahme ausgeht, dass Menschen nicht nur durch eine kontinuierliche Abfolge von phasenspezifischen Entwicklungsaufgaben geprägt werden, sondern vor allem durch unvorhersehbare, einschneidende und kritische Lebensereignisse sowie durch den Umgang mit diesen. Was sind solche „kritischen Lebensereignisse“? Filipp beschreibt sie als punktuelle Verdichtungen im alltäglichen Geschehensablauf eines Menschen, die eine für eine bestimmte Zeit ein relatives Ungleichgewicht zwischen Person und Umwelt hervorbringen (Filipp 1990) und das Erleben der Ereignisse somit besonders hervorheben. Alle Situationen, die unvorhersehbar und plötzlich eintreffen und eine Veränderung, Umstellung, eine Übergangssituation oder einen Verlust für den betroffenen Menschen bedeuten, können kritische Lebensereignisse sein (vgl. Kolb 1999). Bei diesem Modell ist es noch weitestgehend ungeklärt, wann die genannten kritischen Lebensereignisse als entwicklungsfördernd bzw. entwicklungshemmend bewertet werden. Problematisch ist der normative Bezugspunkt, der Unklarheiten darüber bestehen lässt, welche Kriterien angewandt werden können, um eine Krisenbewältigung als „gelungen“ oder „erfolgreich“ zu beschreiben (vgl. ebd.).
Keines der hier beschriebenen Modelle erhebt Anspruch auf Vollständigkeit, was eine definitive Erklärung der Veränderungen, die sich in Lebensläufen vollziehen, angeht. Im Kontext von Individualisierungsprozessen und einer Pluralisierung der Lebensläufe sind Modelle mit einem solch universellen Anspruch undenkbar. Die heutigen Lebensläufe sind so individuell geprägt und von individuellen Zäsuren durchzogen, dass keine übergreifenden Muster auf sie angewandt werden können. In den Modellen werden theoretische Ansätze aufgezeigt, die zwar eine begrenzte Reichweite haben (siehe jeweilige Kritikpunkte), die aber dennoch zur Orientierung und als Basis für die Frage nach der Bedeutung von Bewegung im Alter und für den Altersprozess in der vorliegenden Arbeit dienen können.
4.3.4 Differentielle Gerontologie: verschiedene Formen des Alterns
Die differentielle Gerontologie wendet sich von universalistischen Grundannahmen ab und vermeidet eine Definition erfolgreichen Alterns. Dahingegen werden individuelle Komponenten stärker hervorgehoben und es findet eine Umorientierung von dem Befund der Altersnormen zur Entwicklung von Altersformen statt. Dadurch kann die dynamische Perspektive auf die Entwicklung im Alter durch die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und die differenzierten Lebenslagen älterer Menschen besser betont werden als in den bereits beschriebenen Modellen, deren Universalitätsanspruch und normative Bezugspunkte nicht mehr zeitgemäß sind. In der differentiellen Gerontologie ist ein wichtiger Aspekt, die Unterschiede zwischen älteren Menschen, die in verschiedenen Dimensionen sichtbar sind, zu verdeutlichen und sie auch zu berücksichtigen. Die unterschiedlichen Lebensverläufe im Alter und die ausschlaggebenden Einflussfaktoren sollen dabei herausgearbeitet werden (vgl. Kolb 1999). In dieser Theorie wird die Annahme verfolgt, dass eine Fokussierung auf die Vorstellung von festgelegten Abfolgen von Krisen oder Entwicklungsaufgaben zu sehr die kontinuierliche, biographisch geprägte Entwicklung vernachlässigt.
„Die subjektive Gliederung des Lebenslaufes baut nur selten auf ‚normativen‘ Ereignissen auf. Vielmehr sind es individuelle Lebensereignisse, individuelle Erfahrungen, Entscheidungen und Handlungen, denen für die Gliederung des Lebenslaufes besondere Bedeutung zukommt“ (Kruse, 1991 S. 159).
In Bezug auf die Übergangsphasen knüpft die differentielle Gerontologie an die kognitive Alternstheorie an und beschreibt die Relevanz dieser Phasen in klarer Abhängigkeit zum subjektiven Erleben der Ereignisse des Einzelnen. Sie betont, dass sich persönliche Erlebnisse, die zu einer tiefgreifenden Veränderung im Lebenslauf führen, nicht in einem Muster universeller Lebenszyklusmodelle einordnen lassen. Für die Gerontopsychologie stellt sich vielmehr die Aufgabe, unterschiedliche Verlaufsformen von Biographien herauszuarbeiten und miteinander zu vergleichen, um „in differenzieller Absicht Kontinuitäten in den verschiedenen Altersverläufen im Sinne unterschiedlicher Entwicklungspfade sowie damit zusammenhängende Erscheinungsformen des Alters zu beschreiben [...] und wesentliche Einflußfaktoren für bestimmte Entwicklungen aufzudecken“ (Kolb 1999, S. 115).
Mit der Begriffsveränderung von Altersnormen zu Altersformen wird ein Begriff eingeführt, der deutlich macht, dass nicht mehr von dem einen Prozess des Älterwerdens ausgegangen werden kann, sondern dass älter werden in höchst differenzierter Form zu betrachten ist. Die unterschiedlichen Aspekte einzelner Abschnitte in der Entwicklung werden weitestgehend vernachlässigt, aber die Vielfältigkeit der Einflüsse auf Lebens- bzw. Altersverläufe ins Zentrum der Beobachtung gestellt (vgl. Kolb 1999). Die differentielle Gerontologie ist sehr ersucht, das negative Bild vom Alter zu relativieren und auch die Bedeutung diskontinuierlicher kritischer Übergangsphasen zu widerlegen, wie zum Beispiel die Aufgabe des Berufes. Vielmehr sollten die Art der Verarbeitung und die Vielzahl der Faktoren, von denen die Bewältigung des Übergangs in die nachberufliche Phase abhängt, fokussiert werden (vgl. ebd.).
Zusammenfassend lässt sich zur differentiellen Gerontologie festhalten, dass die persönliche Entwicklung des Menschen als ein Prozess gesehen wird, der sich lebenslang, verhältnismäßig stabil und kontinuierlich vollzieht. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass es im Laufe der Zeit zu einschneidenden Veränderungen in der Persönlichkeit kommen kann. Das Interesse der gerontologischen Forschung wird deshalb vermehrt auf die unterschiedlichen Verläufe im Alter in ihrer Gesamtheit gerichtet. Das alternde Individuum wird in Verbindung seiner gesamten Biographie gesehen, aber auch in der momentanen Situation und in Verbindung mit seinen Zukunftsvisionen. Besonders betont wird, dass das Alter „keine homogene Lebensphase darstellt und das Altern kein einheitlicher, sondern durch große inter- und intraindividuelle Variabilität gekennzeichneter Prozeß ist, der sich bis ins hohe Alter fortsetzt und sich in der beobachtbaren enormen Heterogenität alter Menschen in vielen Funktionsbereichen niederschlägt“ (Kolb 1999, S. 121).
Die differenzierten Formen des Alterns zeigen hier, dass Menschen ihren Lebensverlauf aktiv mitgestalten, zum Beispiel durch reflexive Entscheidungen und das über diskontinuierliche Ereignisse hinweg. Der Prozess des Alterns wird in der differentiellen Gerontologie als das Ergebnis eines höchst komplexen Systems gesehen, welches aus dem Zusammenspiel von körperlichen, sozialen, sozioökonomischen und psychischen Faktoren besteht, die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Ulich/Saup 1984).
4.4 Alter und Altern: Neuere Forschungsperspektiven
Wie im vorangehenden Kapitel deutlich geworden ist, wurden im Verlauf der gerontologischen Forschung viele Komponenten herausgearbeitet, die den Hergang von Altersprozessen beeinflussen. In der Forschung haben sich aus dieser Erkenntnis Schwerpunktsetzungen entwickelt, bei denen das Augenmerk auf die einzelnen Komponenten gerichtet wird. Eine dieser Komponenten ist der Einfluss der Gestaltung des täglichen Lebens auf den Prozess des Alterns und wird im Folgenden in dem Unterkapitel „die ökologische Perspektive“ nach Kolb vorgestellt (vgl. Kolb 1999). Darauf folgt d „die kompetenzbezogene Perspektive“, unter der die Kompetenzen älterer Menschen in den Fokus genommen werden und daran anschließend wird, ebenfalls nach Kolb, „die biographische und sinnbezogene Perspektive“ erläutert (vgl. ebd.).
4.4.1 Die ökologische Perspektive
Da die psychischen Veränderungen lange Zeit im Fokus des Forschungsinteresses der Gerontologie lagen, wurden die Einflüsse der Lebensumwelt außer Acht gelassen. Bei dieser jüngeren Forschungsperspektive stehen sowohl die mikroökologischen Bereiche des Lebens (z.B. die eigene Wohnung) im Zentrum des Interesses, als auch die makroökologischen, wie Wohngegend oder Kontaktmöglichkeiten. Bei diesem Ansatz wird schnell die Interdisziplinarität deutlich: Stadt- und Siedlungssoziologie, Sozialgeographie, Umweltpsychologie, Architektur und Stadtplanung sowie Freizeit- und Verkehrsforschung zählen zur ökologischen Gerontologie und haben gemeinsam, dass sie alle davon ausgehen, dass sich Menschen stets in einem sozialen Kontext befinden und sich in diesen einpassen (vgl. Saup 1993). In dieser Forschungsperspektive wird nun das Augenmerk besonders auf das Zusammenspiel zwischen Anforderungen der alltäglichen Lebenswelt und älter werdenden Menschen mit ihren Fähigkeiten, sich eben diesen Anforderungen zu stellen, gerichtet.
Wenn im Alter die physischen Fähigkeiten nachlassen und die älteren Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt werden, gewinnen Umweltfaktoren für eine selbständige Lebensweise zunehmend an Bedeutung. Die Struktur des Wohnumfeldes hat eine hohe Relevanz in Bezug auf die Gestaltung und Ausübung der täglichen Aktivitäten. Große räumliche Distanzen werden mit zunehmender eingeschränkter Mobilität immer mehr zu einem Hemmnis, eine weiter entfernte Aktivitätsmöglichkeit wahrzunehmen (vgl. Kolb 1999). Laut Saup sind für alternde Menschen die wichtigsten Merkmale ihrer Umwelt die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit von individuell bedeutsamen Orten. Das hat zur Folge, dass diese Merkmale auch ausschlaggebend sind für die eigene Zufriedenheit und Unabhängigkeit (vgl. Saup 1993). Die Tatsache, dass die ökonomische Lebenslage eng mit ökologischen Bedingungen verknüpft ist, erklärt auch, warum sich das soziale Netz von alternden Menschen verkleinert. Der Bewegungsradius wird enger, dadurch verringern sich die sozialen Kontakte. Die eigene Wohnung wird zunehmend Mittelpunkt des alltäglichen Lebens und damit wächst auch die Relevanz der Wohnqualität für das Wohlbefinden im Alter. Die ökologische Perspektive in der Gerontologie versucht dahingehend zu intervenieren, dass die Umweltbedingungen für ältere Menschen verbessert werden müssen, um Möglichkeiten für Aktivitäten aufrechtzuerhalten und einen selbständigen, selbstbestimmten Alltag zu ermöglichen (vgl. Kolb 1999).
4.4.2 Die kompetenzbezogene Perspektive
Die gerontologische Forschung beschäftigte sich mit der Frage, wie mit systematischen Hilfsmaßnahmen die Fähigkeiten alternder Menschen gefördert werden können, um ihnen weiterhin einen selbständigen Alltag zu ermöglichen. Dadurch ist die Erforschung von Kompetenzen älterer und alter Menschen in das Zentrum des Interesses in der Gerontologie gerückt worden. Nicht mehr das Schwinden von physischen Fähigkeiten oder isolierte Messungen von Veränderungen der Intelligenzfunktion stehen im Fokus, sondern die Ressourcen, die zur praktischen Alltagsbewältigung nötig sind. Wichtig zu erwähnen ist, dass es in diesem Modell nicht um die Erforschung einer bestimmten Kompetenz geht, sondern generell um Formen von kompetentem Verhalten im Kontext der Anforderungen, die konkrete Lebenssituationen mit sich bringen. Dabei werden spezifische und relativ individuelle Kompetenzen in den Vordergrund gestellt. Dabei ergeben sich die Kompetenzen aus der „Relation zwischen situativen Anforderungen und persönlichen Ressourcen der Person“ (Olbrich 1987, S. 319). Was also heißt erfolgreiches Altern unter dieser Perspektive? Kolb beschreibt es als einen Prozess, in dem es gelingt, die physischen, psychischen und sozialen Anforderungen an einen Menschen und seine Kompetenzen und Potentiale aufeinander abzustimmen (vgl. Kolb 1999). Die einleitend erwähnte Forschungsperspektive in der Gerontologie nach den Möglichkeiten der Kompetenzförderung betont die Notwendigkeit, Angebote zu entwickeln, die es älteren Menschen ermöglichen, ihr Wissen und ihre Lebenserfahrungen anzuwenden und zu nutzen, aber auch zu erweitern. Falls manche Funktionen und Kompetenzen bereits eingeschränkt sind, ist es sinnvoll, eine unterstützende Umwelt zu gestalten, damit auch künftig soziale Kontakte gepflegt werden können und die Lebensführung so selbständig wie möglich vollzogen werden kann (vgl. Kolb 1999). Olbrich führt in diesem Kontext einen interessanten Aspekt an, nämlich den der emotionalen Unterstützung. Dieser betont, wie wichtig indirekte emotionale Hilfestellung ist, weil sie zur Stabilisierung des Gefühlslebens beitragen kann (vgl. Olbrich 1988). Auch Kruse hebt hervor, dass älteren Menschen für eine produktive Beschäftigung mit ihrer Lebenssituation bewusst werden muss, dass ihre Lebenssituation gestaltbar und veränderbar ist (vgl. Kruse 1989). Die kompetenzbezogene Perspektive verdeutlicht, dass ältere Menschen über ein bestimmtes Potential verfügen, eine sinnvolle Lebensperspektive mit Zielen für das eigene Leben zu entwickeln und ihr Leben so zu gestalten, dass es erfüllt ist (das gilt auch für erschwerte Bedingungen und kritische Lebenssituationen). Kompetenz bedeutet in dieser Perspektive, dass Verluste und Grenzen ohne Resignation akzeptiert werden können und eine realistische Zukunftsperspektive entworfen wird. Die Entwicklung einer realistischen Zukunftsperspektive überträgt die Debatte um Produktivität, Kompetenzen und Potentiale älterer Menschen auf die gesellschaftliche Ebene, weil auch sozialstrukturelle und nicht nur individuelle Rahmenbedingungen vorhanden sein müssen. Im Kontext dieser Perspektive wird deutlich, dass der Mensch selbst die Gestaltung seines Lebens und damit auch seines Alters vornimmt. Er modelliert seine Biographie entlang eines selbst entworfenen Leitfadens in Bezug auf persönliche Werte, Ziele und den individuellen Lebenssinn. Der Gegenstand des letztgenannten Aspektes, nämlich der der Sinngebung, wurde innerhalb der Gerontologie lange vernachlässigt, aber inzwischen wird sich um eine Auseinandersetzung mit diesem Aspekt bemüht (vgl. Kolb 1999).
4.4.3 Die biographische und sinnbezogene Perspektive
Da das Phänomen „Sinn“ oder „Sinngebung“ nur schwer „mit den Methoden der traditionell quantitativ empirisch orientierten Gerontologie“ (Kolb 1999, S. 132) operationalisierbar und erfassbar ist, wurde der sinnbezogenen Perspektive innerhalb der gerontologischen Forschung lange Zeit ein geringer Stellenwert zugeschrieben. Durch die Konzepte zur Kompetenz, die zum Teil lange nur auf Fähigkeiten ausgerichtet war, entstanden Bemühungen, sich aktuell mehr mit der Problematik des Sinns des Lebens auseinanderzusetzen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit auf die fundamentale Bedeutung von persönlich sinnvollen Lebensentwürfen und individuellen Identitätsfindungen, womit der Fähigkeit älterer Menschen zur Mitgestaltung ihres Lebens im Alter eine wichtige Rolle beigemessen wird. Lebenslauftypische Anforderungen können unter dieser Perspektive zu einer konstruktiven Wende im Leben führen und unterliegen nicht den kompensationsorientierten Bewältigungsvorstellungen einer Lösung dieser Anforderungen. Nies und Munnichs beschreiben Altern in diesem Zuge als einen „Prozeß der Reintegration, bei dem Verluste akzeptiert, essentielle Zielsetzungen wiedergefunden, umformuliert und in eine neue Organisationsstruktur einbezogen werden“ (Nies/ Munnichs 1992, S. 44). Bei älteren Menschen muss die Bereitschaft geweckt werden, sich von der Vergangenheit loszusagen, vertraute Verhaltensmuster zu überdenken und vorhandene Potentiale in Bezug auf einen neuen, kreativen Entwurf des eigenen Alters zu nutzen. Sich mit dem Lebenssinn auseinanderzusetzen soll dabei keineswegs einen ichbezogenen Rückzug bedeuten, sondern vielmehr eine gewisse Flexibilität, sich krisenbehafteten Situationen zu stellen und sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen, anstatt ihnen auszuweichen (vgl. Nies/Munnichs 1992; Kolb 1999).
4.5 Interventionsgerontologie
Als primäres Ziel der Interventionsgerontologie wird das Vorbeugen gegen „einen Altersabbau im Sinne einer Gerprophylaxe drohender psychischer und physischer Abbauerscheinungen“ (Kolb 1999, S. 139) genannt. Der Altersverlauf kann also durch gerontologische Interventionen verändert werden. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Menschen bis ins hohe Alter bildungs- und veränderungsfähig sind. Lehr definiert die Interventionen auch als „Maßnahmen zur Herbeiführung eines größeren psychophysischen Wohlbefindens des alternden Menschen“ (Lehr 1979, S. 2 f). Die Interventionsgerontologie lehnt sich dabei an den Grundgedanken der Aktivitätstheorie (vgl. 4.2.2) und im Kontext von sozialem und geistigem Befinden im Alter, an die Disuse-Hypothese (vgl. 4.1) an. Der Grund für das Vernachlässigen der eigenen Funktionen liegt nach Ansatz der Interventionsgerontologie bei den alternden Menschen selbst. Begründet wird dies mit dem in der Gesellschaft vorherrschenden negativen Altersbild, das von Defizität und Passivität geprägt ist und von alternden Menschen in ihr Selbstbild übernommen wird. Die Ansicht, dass soziale Stereotype, die von Älteren in ihr Selbstbild integriert sind, lässt allerdings den Eindruck entstehen, dass es nach diesem Ansatz in der Entscheidungsmacht des Einzelnen stünde, ob er das öffentliche Bild vom Alter übernimmt und damit seinen eigenen Altersprozess zu einem von Trägheit und Defizität geprägtem Abbauvorgang entwickelt. Die Motivation zu Aktivitäten gilt als die zentrale Maßnahme in der Interventionsgerontologie, allerdings ohne Angabe zur Quantität und Qualität der Aktivitäten. Dadurch wird das Ziel verfolgt, „den Kreislauf aus negativer gesellschaftlicher Bewertung des Alters, der Übernahme dieser nachteiligen Stigmatisierung durch die Älteren selbst und daraus resultierende Inaktivität und soziale Ausgrenzung zu durchbrechen“ (Kolb 1999, S. 145). Hierfür wird ein positives Gegenbild verbreitet, das wissenschaftlich fundiert ist und einerseits dazu beitragen soll, dass sich das Selbstbild von alternden Menschen zum Positiven verändert, andererseits, dass sich das gesellschaftliche Altersbild wandelt.
Olbrich kritisiert, dass einerseits der normative Bezugspunkt immer der sozial integrierte Erwachsene und dessen Lebensstil ist und andererseits das erfolgreiche Altern wie eine Leistung betrachtet wird, die es zu vollbringen gilt – wobei diese Ansprüche und Normen stark auf das Individuum konzentriert sind (vgl. Olbrich 1987). Prahl und Schroeter beanstanden, dass die Widerlegung eines vorherrschenden Altersbildes nicht einem überzogenen Gegenbild gegenübergestellt werden und letzteres nicht als Norm propagiert werden darf (vgl. Prahl/Schroeter 1996). Es sollte nach Danish und D`Augelli nicht das Ziel verfolgt werden, krisenhafte Situationen im Alter zu verschweigen oder gar zu umgehen, sondern Ziel sollte es sein, alternde Menschen dahingehend zu fördern, dass sie in der Lage sind, mit diesen Situationen konstruktiv umzugehen (vgl. Danish/D`Augelli 1990).
5. Biologisch-medizinische Grundlagen des Alterns
Während sich die Ansätze der Psychogerontologie hauptsächlich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten der Anpassung an das Alter befassen, haben die biologischen Alternstheorien einen anderen Gegenstandsbereich. Zum Einen liegt der Fokus auf der Frage nach den Determinanten der „artspezifisch variierenden maximalen physiologischen Lebensspanne“ (Okonek 2003, S. 97) zu ergründen. Zum Anderen wird versucht, Altersprozesse hinsichtlich ihrer Ursachen zu erforschen. Zum biologischen Altern gibt es über 400 theoretische Ansätze, die sich nach Okonek in fundamentale und epiphänomenale Theorien unterteilen lassen (vgl. Okonek 2003). Dabei führen nach Prinzinger die epiphänomenalen Theorien Altern auf spezifische Systeme zurück. Das heißt, sie definieren sich vornehmlich über extrinsische Faktoren. Damit fehlt diesen Theorien Universalitätsanspruch (vgl. Prinzinger 1996). Die fundamentalen Theorien hingegen versuchen, den Prozess des Alterns einheitlich zu beschreiben, indem Altern als Eigenschaft aller lebenden Organismen gesehen wird und damit durch intrinsische Faktoren determiniert wird. Die fundamentalen Theorien lassen sich weiter wie folgt unterteilen:
- Die Theorien des organismischen Alterns erfassen Ursachen und Altersprozesse im Organismus auf verschiedenen Ebenen der Organisation (Organ, Zelle, Makromolekül).
- Die stochastischen Alternstheorien gehen von der Annahme physikalisch-chemischer Einflüsse auf Makromolekül-Komplexe aus.
- Die Programm-Theorien setzen ein genetisches Altersprogramm voraus. Dies kann ein aktives Programm für Altern und Tod sein oder ein genetisch bestimmtes Potential zum Überleben, das artspezifisch und postreproduktiv ist. Die Ursachen des Alterns werden im Versagenscharakter des biologischen Systems gesehen.
- Die evolutionären Theorien beschäftigen sich mit der Frage, welche artspezifischen Unterschiede in den individuellen Lebensspannen existieren.
Der aktuelle Stand der Altersforschung setzt sich aus den kombinierten Erklärungsansätzen dieser unterschiedlichen Theorien zusammen (vgl. Okonek 2003). In Hinsicht auf die folgenden Kapitel werden an dieser Stelle die Konstrukte zur Biologie des Alterns nach Kruse und Wahl (Kruse/Wahl 2010) vorgestellt, in denen thematisch miteinander verknüpfte Wissenseinheiten die zentralen Aspekte von Alter und Altern in den Fokus stellen. Da diese Konstrukte den Alterungsprozess sehr detailliert und differenziert darstellen, sind sie grundlegend für den zweiten Teil der vorliegenden Arbeit, in dem auf die Beeinflussbarkeit von Alterungsprozessen eingegangen wird und sie somit letztendlich die Basis für die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung von Bewegung bei älteren Menschen bilden.
[...]
[1] Der Wanderungssaldo beschreibt die Differenz von Ein- und Auswanderungen eines Landes (vgl. Wirtschaftslexikon24.net).
[2] Hochschuldozent für allgemeine Bewegungs- und Trainingswissenschaft.
- Arbeit zitieren
- Silja Becker (Autor:in), 2011, Zur Bedeutung von Bewegung im Alter und für das Altern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/412088
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