Auf kaum einem Gebiet des Rechts haben sich internationale Abkommen als so erfolgreich erwiesen, wie auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte. Multilaterale völkerrechtliche Verträge weisen jedoch zwangsläufig Lücken auf. Derartige Lücken im Leistungsschutzrecht wurden in nicht ganz unerheblichem Maße durch die deshalb so genannte Schutzlückenpiraterie ausgenutzt. Der Begriff der Schutzlückenp iraterie ist verbindlich nicht definiert. Im Folgenden soll darunter die unautorisierte Aufnahme von Klangdarbietungen oder die una utorisierte Vervielfältigung bzw. Verbreitung von auf Tonträgern festgelegten Aufnahmen verstanden werden. Die Erscheinung der Schutzlücken-Piraterie wurde lange rechtlich vernachlässigt, obwohl es sich hierbei lediglich um eine verfeinerte Form des „bootlegging“ handelt, eines Phänomens, das in kommerzieller Form bereits seit Ende der 60er Jahre existiert. Auf dem Gebiet des Leistungsschutzes ausübender Künstler begann das gezielte Suchen nach Schutzlücken gegen Ende der 80er Jahre. Einige kleine Plattenfirmen mit zum Teil ausgefallen Namen („Chamelion Records“, „Swingin´ Pig Records“) brachten eine Fülle bislang unveröffentlichter Live- und Studioaufnahmen berühmter Interpreten (z.B. Prince, Rolling Stones, Bruce Springsteen, Bob Dylan, The Doors, Beatles, ABBA, Dire Straits, Judas Priest) auf den Markt und versetzten damit sowohl die Künstler als auch die Vertragsfirmen in Aufregung. Diese Aufregung wird verständlich, wenn man den Hintergrund der Veröffentlichungen beleuchtet. Es handelt sich in allen Fällen um
unautorisierte – also von den Interpreten nicht genehmigte – Tonträger. Trotzdem gestaltete es sich für die Künstler außerordentlich schwierig, den Vertrieb dieser Tonträger zu untersagen. Die im nachfolgenden hauptsächlich dargestellten verbundenen Streitsachen Phil Collins ./. Imtrat und Patricia ./. EMI Electrola, besser bekannt als die Phil-Collins-Entscheidung sind Fälle der so genannten Schutzlückenpiraterie. Um zu begreifen, welche Auswirkungen die viel beachtete und diskutierte Phil-Collins-Entscheidung auf das nationale Urheberrecht und im Kampf gegen die Schutzlückenpiraterie hatte, muss vorab geklärt werden, wie das Urheberrecht vor dieser Entscheidung gelagert war. Im Nachgang wird die Phil-Collins-Entscheidung ausführlich beleuchtet, sodass abschließend die Auswirkungen klar herausgestellt werden können.
Gliederung
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
II. Urheberrecht vor der Entscheidung des EuGH
1. Der Anwendungsbereich des UrhG
a) Der persönliche Geltungsbereich des UrhG
(1) Staatsangehörige anderer Staaten
(2) Der Schutz von ausübenden Künstlern nach Maßgabe von Staatsverträgen
(a) Das Rom-Abkommen
(b) Die Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ)
(c) Andere Abkommen
b) Der räumlicher Anwendungsbereich
2. Ergebnis
III. Die Phil-Collins-Entscheidung
1. Wirtschaftlicher Hintergrund
2. Rechtliche Veranlassung
a) Ausgangspunkt der Entscheidung
(1) Das Verfahren vor dem BGH
(a) Schutz nach den Bestimmungen des deutschen Urheberrechts
(b) Schutz nach den Bestimmungen des GTA oder des Rom-Abkommen
(c) Schutz aufgrund fiktiven Bearbeitungsrechts
(d) Schutz der Darbietung nach Art. 6 I EGV
(2) Das Verfahren vor dem LG München I
(3) Problemstellung
b) Verfahren vor dem EuGH
(1) Umdeutung der Vorlagefragen durch den EuGH
(2) Entscheidung des EuGH
c) Maastricht-Urteil
3. Ergebnis
IV. Auswirkungen der Phil-Collins-Entscheidung
1. Rechtliche Auswirkungen
a) Inländerbehandlung gem. §§ 120 II Nr. 2, 125 I 2 UrhG
b) Inländerbehandlung aufgrund von Staatsverträgen gemäß § 125 V UrhG
(1) Das Rom-Abkommen
(2) Die Revidierte Berner Übereinkunft
(3) Das Welturheberrechtsabkommen
(4) Bilaterale Abkommen
c) Der persönlichkeitsrechtliche Mindestschutz gemäß § 125 VI UrhG
d) Verbot gemäß §§ 97 I, 96 I, 75 I, 125 VI UrhG
e) Verbot gemäß §§ 97 I, 83 I, 125 VI UrhG
f) Bedeutung des Schutzfristvergleiches gemäß §§ 125 VII UrhG
2. Wirtschaftliche Auswirkungen
V. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Einleitung
Auf kaum einem Gebiet des Rechts haben sich internationale Abkommen als so erfolgreich erwiesen, wie auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte. Multilaterale völkerrechtliche Verträge weisen jedoch zwangsläufig Lücken auf. Derartige Lücken im Leistungsschutzrecht wurden in nicht ganz unerheblichem Maße durch die deshalb so genannte Schutzlückenpiraterie ausgenutzt. Der Begriff der Schutzlückenpiraterie ist verbindlich nicht definiert. Im Folgenden soll darunter die unautorisierte Aufnahme von Klangdarbietungen oder die unautorisierte Vervielfältigung bzw. Verbreitung von auf Tonträgern festgelegten Aufnahmen verstanden werden.[1] Die Erscheinung der Schutzlücken-Piraterie wurde lange rechtlich vernachlässigt, obwohl es sich hierbei lediglich um eine verfeinerte Form des „bootlegging“[2] handelt, eines Phänomens, das in kommerzieller Form bereits seit Ende der 60er Jahre existiert.[3] Auf dem Gebiet des Leistungsschutzes ausübender Künstler begann das gezielte Suchen nach Schutzlücken gegen Ende der 80er Jahre. Einige kleine Plattenfirmen mit zum Teil ausgefallen Namen („Chamelion Records“, „Swingin´ Pig Records“) brachten eine Fülle bislang unveröffentlichter Live- und Studioaufnahmen berühmter Interpreten (z.B. Prince, Rolling Stones, Bruce Springsteen, Bob Dylan, The Doors, Beatles, ABBA, Dire Straits, Judas Priest) auf den Markt und versetzten damit sowohl die Künstler als auch die Vertragsfirmen in Aufregung.[4] Diese Aufregung wird verständlich, wenn man den Hintergrund der Veröffentlichungen beleuchtet. Es handelt sich in allen Fällen um unautorisierte – also von den Interpreten nicht genehmigte – Tonträger. Trotzdem gestaltete es sich für die Künstler außerordentlich schwierig, den Vertrieb dieser Tonträger zu untersagen. Die im nachfolgenden hauptsächlich dargestellten verbundenen Streitsachen Phil Collins ./. Imtrat und Patricia ./. EMI Electrola, besser bekannt als die Phil-Collins-Entscheidung sind Fälle der so genannten Schutzlückenpiraterie. Um zu begreifen, welche Auswirkungen die viel beachtete und diskutierte Phil-Collins-Entscheidung auf das nationale Urheberrecht und im Kampf gegen die Schutzlückenpiraterie hatte, muss vorab geklärt werden, wie das Urheberrecht vor dieser Entscheidung gelagert war. Im Nachgang wird die Phil-Collins-Entscheidung ausführlich beleuchtet, sodass abschließend die Auswirkungen klar herausgestellt werden können.
II. Urheberrecht vor der Entscheidung des EuGH
Das Urheberrecht steht dem Urheber als dem Schöpfer eines geschützten Werkes zu, § 7 UrhG. Den Inhalt des Urheberrechtes normieren §§ 12 ff. UrhG. Hierzu gehören unter anderem das Vervielfältungsrecht (§ 16 UrhG) und das Verbreitungsrecht (§17 UrhG) als Verwertungsrecht, sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe, wobei hinsichtlich der Musikwerke das Aufführungsrecht (§ 19 II und III UrhG), das Senderecht (§20 UrhG) und das Recht der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (§ 21 UrhG) zu erwähnen sind. Im Zweiten Teil des UrhG sind die dem Urheberrecht verwandten Schutzrechte geregelt. Ihr Gegenstand sind Leistungen, die zwar nicht als Werkschöpfung anzusehen sind – und deshalb den Leistenden nicht als Urheber im Sinne des § 7 UrhG und seine Leistung nicht als Werk im Sinne des § 2 II UrhG qualifizieren -, die aber gleichwohl eine eigenständige und persönliche wissenschaftliche oder kulturelle Leistung darstellen. Der Schutz dieser persönlichen Leistungen wird als Leistungsschutz bezeichnet, er ist letztlich Ausfluss des verfassungsrechtlich verankerten Persönlichkeitsrechts.[5] Bezüglich ausübender Künstler hält das Urheberrecht eine Legaldefintion gemäß § 73 UrhG bereit. Ausübende Künstler sind demnach durch ihre Tätigkeit bestimmt, nämlich das Vortragen oder Aufführen eines Werkes oder die künstlerische Mitwirkung an einem solchen Vortrag bzw. an einer solchen Aufführung. Es wird insofern vorausgesetzt, dass ein Werk dargeboten wird. Nach § 2 I UrhG zählen zu den geschützten Werken Literatur, Wissenschaft und Kunst insbesondere Sprachwerke, Werke der Musik, pantomimische Werke, Werke der bildenden Künste, Lichtbildwerke, Filmwerke und Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art. Nach Abs. 2 sind Werke im Sinne des Gesetzes nur persönliche geistige Schöpfungen.[6] Vortrag und Aufführung sind im Sinne des § 19 UrhG zu verstehen. Nach § 19 I UrhG ist das Vortragsrecht das Recht, ein Sprachwerk durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen. Gemäß § 19 II UrhG ist das Aufführungsrecht das Recht, ein Werk der Musik durch persönliche Darbietungen zu Gehör zu bringen oder ein Werk öffentlich bühnenmäßig darzustellen.[7] Dabei gilt im Rahmen des § 73 UrhG die Einschränkung, dass die Darbietung nicht öffentlich sein muss. Das Merkmal der Öffentlichkeit ist für den Darbietungsbegriff selbst entbehrlich, weil der Künstlerschutz sich auch auf die unmittelbare Leistungsübernahme durch die in den §§ 74-77 UrhG genannten technischen Mittel erstreckt.
1. Der Anwendungsbereich des UrhG
Die Geltung des nationalen UrhG ist in persönlicher und räumlicher Hinsicht begrenzt.
a) Der persönliche Geltungsbereich des UrhG
Der persönliche Geltungsbereich des von der deutschen Rechtsordnung gewährten Schutzrechts erstreckt sich gemäß §120 UrhG auf Inländer. Gleichgültig ist, wo oder ob ihre Werke erschienen sind. Nach § 74 UrhG darf die Darbietung des ausübenden Künstlers nur mit seiner Einwilligung außerhalb des Raumes, in dem sie stattfindet, öffentlich wahrnehmbar gemacht werden.[8] Dies gilt auch für Aufnahmen und Vervielfältigung seiner Darbietung auf Tonträger, § 75 UrhG. In §§120, 121 der vor der Änderung gültigen Fassung des UrhG wurde lediglich zwischen Urhebern deutscher Staatsangehörigkeit und anderen unterschieden. Dies galt entsprechend nach §125 UrhG a. F. auch für ausübende Künstler. Eine besondere Berücksichtigung der Urheber und ausübenden Künstler aus Mitgliedsländern der EU war nicht vorgesehen.
(1) Staatsangehörige anderer Staaten
Urheber, die Staatsangehörige eines anderen Staates sind, genießen nach §125 II UrhG den Schutz des deutschen Urheberrechts für jedes Werk, das in Deutschland im Original oder in Übersetzung erscheint, sofern nicht das Werk selbst oder eine Übersetzung früher als dreißig Tage vor dem inländischen Erscheinen im Ausland erschienen ist.[9]
(2) Der Schutz von ausübenden Künstlern nach Maßgabe von Staatsverträgen
Im Übrigen werden ausländische Urheber nach Maßgabe der Staatsverträge geschützt, auf die im Weiteren noch eingegangen wird. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen unabhängig gesichert sind für ausländische Staatsangehörige lediglich ihre persönlichen Interessen, so dass sie sich jedenfalls zum Beispiel auf die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse und den Entstellungsschutz berufen können.
(a) Das Rom-Abkommen
Das nach seinem Unterzeichnungsort benannte Rom-Abkommen, ist ein mehrseitiges internationales Übereinkommen zum Leistungsschutz der ausübenden Künstler. Dieses Internationale Abkommen vom 26.10.1961 über den Schutz von Künstlern, der Herstellung von Tonträgern und der Sendeunternehmen trat am 15.05.1964 in Kraft.[10] Das Rom-Abkommen basiert auf dem Prinzip der Inländerbehandlung, das durch bestimmte Mindestrechte ergänzt wird. Die ausübenden Künstler genießen nach Art. 2 I lit. A RA den Schutz, den die Vertragsstaaten ihren Interpreten für ihre im Inland erfolgten, gesendeten oder erstmals festgelegten Darbietungen gewähren.[11] Vorrangig ist allerdings auf den Ort der Darbietung abzustellen (Art. 4 lit. a RA): dieser muss in einem anderen Vertragsstaat liegen als dem, in welchem der Schutz beansprucht wird.
(b) Die Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ)
Ferner kommt für den Urheberrechtsschutz insbesondere im Rahmen der Schutzlückenpiraterie die Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ) in Betracht. Es regelt den Schutz ausländischer Urheber im Inland und inländischer Urheber im Ausland. Deutschland gehörte zu den Gründerstaaten. Im Rahmen der internationalen Staatsverträge stellt die RBÜ in diesem Bereich den ältesten Verband[12] dar.[13] Nach Art. 1 ist die RBÜ ein mehrseitiger völkerrechtlicher Vertrag, durch den sich die vertragsschließenden Staaten zu einem Staatenverband mit eigener Rechtspersönlichkeit zum Schutze der Urheber zusammengeschlossen haben. Das Verwaltungsorgan der RBÜ ist das internationale Büro in Genf, das zugleich Sekretariat der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ist. Zurzeit gehören der RBÜ 108 Staaten an, zu denen auch alle Mitgliedsstaaten der EU zählen.[14] Die RBÜ scheint auf den ersten Blick die Lücke zu schließen, die durch den eingeschränkten zeitlichen Anwendungsbereich des Rom-Abkommens hinsichtlich der historischen Aufnahmen entstanden ist. Doch in der Schutzlückenpiraterie-Praxis ist die RBÜ nur von geringer praktischer Bedeutung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass den Interpreten in § 2 II LUG ein Urheberrecht nur für solche Darbietungen gewährt wurde, die mit ihrer Zustimmung auf einem Tonträger festgelegt worden waren. Damit fallen alle nicht genehmigten Leistungen der ausübenden Künstler aus dem Schutz heraus.[15] Jedoch wird angeführt, dass dem ausübenden Künstler vor dem Inkrafttreten des UrhG über § 2 II LUG ein fiktives Bearbeitungsrecht zugestanden werden könnte.[16] Auf dieses fiktive Bearbeitungsrecht wird insbesondere im Rahmen der Phil-Collins-Entscheidung bzgl. des Verfahrens vor dem BGH nochmals näher eingegangen.[17]
(c) Andere Abkommen
Urheber, die Staatsangehörige eines anderen Staates sind, könnten sich möglicherweise auf das Welturheberrechtsabkommen vom 06.09.1952 stützen. Dies enthält jedoch keine Regelung bzgl. der ausübenden Künstler, da diese einer eigenständigen Konvention vorbehalten wurde, deren Vorarbeiten bereits vor denen zum WUA begonnen hatten. Eine Einbeziehung der ausübenden Künstler stand zu keinem Zeitpunkt in Frage.[18] Das Genfer Tonträgerabkommen ist ein Übereinkommen zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger vom 29.10. 1971. Dies trat in Deutschland am 18.05.1974 in Kraft.[19] Allerdings ist auch hier die Verbreitung von Aufnahmen, die ohne Einwilligung des ausübenden Künstlers gefertigt worden sind, sowie die Verbreitung von Aufnahmen die anderweitig von den Rechtsinhabern nicht veröffentlich wurden, nicht erfasst.
b) Der räumlicher Anwendungsbereich
Der Schutz des Urheberrechts ist auf die deutschen Staatsgrenzen begrenzt. Das Verbotsrecht, das den Urheber sichert, wendet sich nur an Personen im Inland.[20] Wie das Reichsgericht hierzu noch ausführte, kann und will sich" der deutsche Gesetzgeber damit nicht an Personen im Ausland richten".[21] Umgekehrt erkennt die deutsche Rechtsordnung auch ein von einem ausländischen Staat gewährtes Schutzrecht auf deutschem Gebiet nicht an.[22]
2. Ergebnis
Im nachfolgenden wird jedoch ersichtlich, dass die Schutzlückenpiraterie gerade die Lücken in den verschiedenen staatlichen Abkommen nutzen kann. Durch diese Lücken bekommen zahlreiche Produkte einen Hauch von Legalität. Dies sollte sich erst durch die für Furore sorgende Phil-Collins-Entscheidung ändern.
III. Die Phil-Collins-Entscheidung
Am 20.10.1993 hat der EuGH ein Urteil erlassen, dass – wie bereits an verschiedenen Stellen ausgeführt – unter der Bezeichnung Phil-Collins-Entscheidung erhebliche praktische Konsequenzen für das Urheberrecht in der ganzen Welt erlangte.[23] Um eine genauere Einschätzung ihrer Bedeutung und Konsequenzen zu ermöglichen, zunächst ein Blick auf den wirtschaftlichen Hintergrund der Entscheidung.
1. Wirtschaftlicher Hintergrund
Die Schutzlückenpiraterie hat seit Ende der 80er Jahre den Tonträgermarkt nachhaltig beeinflusst. Im Hinblick darauf, dass der Umsatz der Piraterieprodukte im Jahre 1993 bei 220 Mio. DM (3,9 % Marktanteil) auf dem deutschen Tonträgermarkt lag, kann nicht von einer Randerscheinung gesprochen werden.[24] In dieser Zahl sind alle Arten von unautorisierten Produkten enthalten, also auch zweifelsfrei illegale Produkte wie Raubkopien und Fälschungen. Der Anteil der Produkte der Schutzlückenpiraterie dürfte jedoch weit über der Hälfte der Piraterieprodukte insgesamt liegen.[25] Der erhebliche Anstieg der Piraterieumsätze ab 1990 ist auf einen erheblichen Anstieg der Schutzlückenpiraterie zurückzuführen. Es wurde begünstigt durch die technologische Entwicklung (Compact-Disk (CD)). Bis zur Phil-Collins-Entscheidung waren Produkte der Schutzlückenpiraterie mit einem Schein von Legalität umgeben. Die Tonträgerunternehmen arbeiten auf einem Markt, der mit hohen Risiken behaftet ist. Zwar versuchen die Tonträgerunternehmen durch intensive Marktbeobachtungen und Werbemaßnahmen den Erfolg ihrer Produkte entsprechend zu sicher. Die vom Verbraucher erwartete Vielfalt lässt sich aber auf Dauer nur erzielen, wenn auch unbekannte junge Talente gefördert werden. Diese „Risikoinvestition“[26] könnten nur aus erzielten Gewinnen anderer Produktionen erzielt werden. Die Schutzlückenpiraterie wirkt sich somit also nicht nur auf den Umsatz aus, sondern auch auf die damit verbunden Investitionsmöglichkeit der Unternehmen. Demgegenüber agiert die Schutzlückepiraterie risikoscheu. Sie profitiert von dem Aufwand und Erfolg kommerziell bereits erfolgreicher Produkte/Künstler.
2. Rechtliche Veranlassung
a) Ausgangspunkt der Entscheidung
Um die Phil-Collins-Entscheidung des EuGH in ihrer ganzen Komplexität erfassen zu können, ist nachfolgend eine nähere Auseinandersetzung mit den Verfahren geboten, die zum Erlass der Entscheidung führten.
(1) Das Verfahren vor dem BGH
Das Verfahren vor dem BGH war durch die Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an Tonaufnahmen mit Darbietungen des englischen Künstlers Cliff Richard für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland eingeleitet worden.[27] Hier ging es um die Verbreitung von Tonträgern mit Darbietungen des bekannten britischen Sängers Cliff Richard. Die Klägerin nahm die Beklagte auf Unterlassung der Herstellung, der Vervielfältigung und Verbreitung von fünf näher bezeichneten Tonträgern sowie im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Schadensersatz in Anspruch.[28] Die von den Beklagten verbreiteten Tonträger enthielten Aufzeichnungen von Studioaufnahmen von Cliff Richard, die in den Jahren 1958 und 1959 in Großbritannien stattgefunden hatten.[29] Das Landgericht hatte die Beklagte zur Unterlassung des Verbreitens der in Rede stehenden Tonträger verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin blieben ohne Erfolg. Mit der Revision vor dem BGH bezweckte die Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision verfolgt.
(a) Schutz nach den Bestimmungen des deutschen Urheberrechts
Ein originäres Tonträgerrecht der Klägerin nach § 85 UrhG hatte bereits das Berufungsgericht verneint, da die Tonaufnahmen, an denen die Klägerin ein ausschließliches Nutzungsrecht hatte, vor dem Inkrafttreten der Bestimmungen des Urhebergesetzes am 01.01.1966 hergestellt und veröffentlicht worden waren.[30]
(b) Schutz nach den Bestimmungen des GTA oder des Rom-Abkommen
Das Berufungsgericht hat einen Schutz nach den Bestimmungen des GTA mit der Begründung verneint, dass etwaige Recht hieraus allerspätestens im Jahre 1984 erloschen seien.
Das Rom-Abkommen trat für die Bundesrepublik Deutschland am 21.10.1966 in Kraft.[31] Allerdings wirkt dieses Gesetz nicht rückwirkend. Insofern genoss Cliff Richard im genannten Fall in Deutschland keinen Schutz nach dem Rom-Abkommen, denn schließlich waren die streitgegenständlichen Aufnahmen 1958 bzw. 1959 entstanden. Der BGH erkannte diese Ausführungen des Berufungsgerichtes als rechtsfehlerfrei.
(c) Schutz aufgrund fiktiven Bearbeitungsrechts
Es kann ein Schutz des ausländischen Künstlers nach den internationalen Verträgen wie der Revidierten Berner Übereinkunft in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang ist das fiktive Bearbeitungsrecht im Verfahren vor dem BGH von wesentlicher Bedeutung. Das Berufungsgericht gestand der Klägerin ein vom ausübenden Künstler abgeleitetes Schutzrecht nach §§ 96, 97 UrhG zu.[32] Grundlage sei, dass Cliff Richard an seinen in den Jahren 1958 und 1959 aufgenommen Darbietungen ein fiktives Bearbeitungsurheberrecht nach dem seinerzeit geltenden § 2 Abs. 2 LUG erlangt hat. Der Schutz nach dem LUG komme auch ausländischen Künstlern zugute, und zwar über die Revidierte Berner Übereinkunft, die vom Grundsatz der Inländerbehandlung ausgeht.[33] Diese Ansicht lehnte der BGH ab. Zwar gesteht der BGH der Berufungsinstanz zu, dass an den in den Jahren 1958 und 1959 – und damit unter der Geltung des LUG – hergestellten und veröffentlichten Tonträgern gemäß § 2 II LUG ein Bearbeitungsurheberrecht entstanden sein könnte. Rechtsfehlerhaft war jedoch nach Auffassung des BGH die Erwägung des Berufungsgerichts, nach der der Künstler Cliff Richard, von dem die Klägerin ihre Rechte abzuleiten gedachte, als ausländischer Staatsangehöriger Inlandsschutz in Anspruch nehmen könne. Der BGH geht davon aus, dass sich ein entsprechender Schutz nicht aus § 125 V UrhG i.V.m. der Revidierten Berner Übereinkunft, die ja von einer Inländerbehandlung ausgeht, ergebe. Schließlich gelte die Revidierte Berner Übereinkunft nur für Urheber- und nicht für Leistungsschutzrechte. Daran ändere auch nichts, dass dem ausübenden Künstler nach dem zum Zeitpunkt der Darbietung geltenden deutschen Recht ein fiktives Bearbeitungsrecht zustand. Schließlich sei ein fiktives Bearbeitungsrecht ein Leistungsschutzrecht.[34]
[...]
[1] Schaefer , S. 14
[2] Der Ausdruck „Bootleg“ stammt aus der Zeit der Prohibition in den USA, wo Alkohol im „Stiefelschaft“ geschmuggelt wurde und bezieht sich auf die im Stiefelschaft versteckte Mikrofone der Tonbandgeräte, mit denen in den Anfängen des bootlegging die Konzertmitschnitte angefertigt wurden.
[3] Braun, S. 14 - 15
[4] Braun, S. 13
[5] Valbert, S. 19
[6] Fromm/Nordemann-Vinck, § 2 Rdnr. 11
[7] Fromm/Nordemann-Hertin, § 73 Rdnr. 2 ff.
[8] Valbert, S. 21
[9] BGHZ 95, 229
[10] Braun, S. 37
[11] Braun, S. 41
[12] Die ursprüngliche Berner Union ging hervor aus der Berner Übereinkunft zum Schutz von werken der Literatur und der Kunst von 1886.
[13] Braun S. 82
[14] Braun, S. 83
[15] Braun, S. 96
[16] Valbert, S. 4
[17] dazu näher unter III/2./a)/(1)/(a) Schutz aufgrund fiktiven Bearbeitungsrechtes
[18] Braun, S. 100, Braun, GRUR Int. 1996, 790
[19] Valbert, S. 36
[20] Hubmann, S. 333
[21] RGZ 118, 82
[22] Movsessian, S. 317
[23] Karnell, GRUR in 1994, 733
[24] Valbert, S. 15
[25] Schaefer, S. 21
[26] Valbert, S. 17
[27] Valbert, S. 3
[28] Valbert, S. 42
[29] BGH GRUR Int. 1993, 169
[30] BGH GRUR 1992, 845 f., Valbert, S. 42
[31] BGBL 1966 II, 1473
[32] BGH GRUR 1992, 845, 846
[33] Valbert, S. 43
[34] Valbert, S. 44
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