1. Einleitung
Phantastische Literatur dient, möchte man Renate Lachmann Glauben schenken, im kulturellen Prozess zur Kompensierung von Realität und Fiktionalität. Sie deckt Hintergründe und Zusammenhänge auf, die von der Gesellschaft verdrängt werden. Zum einen, weil es sich häufig um zwiespältige moralische Umstände und zum anderen um ungeklärte Phänomene des menschlichen Daseins handelt. In Kafkas Verwandlung geht es in erster Linie um die Frage nach der Identität, sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Familie. Ebenso bringt Kafka das Thema der Menschlichkeit auf den Punkt, indem er nach Gregors Daseinsberechtigung nach der Verwandlung fragt. Es handelt sich also um Themen, die durch ihren indirekten Bezug auf die Realität verweisen, da sie nur direkt in einer äußerst verdichteten Literaturwelt spielen können.
Die Einordnung der Verwandlung in herkömmliche Gattungsbegriffe gestaltet sich schwierig, da sich in der Erzählung unter anderem Züge des Märchens, des psychologischen und fantastischen Romans finden lassen. Benno von Wiese nennt die Verwandlung eine Novelle, denn „[...] eben ihr ist es vergönnt, noch der persönlichsten Erzählperspektive den Schein eines rein objektiven Sprechens zu sichern“1. Wichtig ist nämlich, dass die bewusst vom Autor gewählte Fiktion eine fragwürdige und grausame Welt tiefer und unerbittlicher darstellen kann, als der Versuch einer bloß nachahmenden Erzählung oder einer symbolischen Verdichtung.
Gerade diese Darstellungsformen sind es, um die es im weiteren Verlauf geht. Es handelt sich bei ihnen um vielschichtige und mehrdeutige Aussagen, die das komplexe Zusammenspiel von Ich und Gesellschaft erläutern, aber niemals objektiv interpretiert werden können und somit den Leser anstrengen, nach eigenen Wegen zum Verständnis zu forschen. Im folgenden sollen nun Motive der Erzählung hinsichtlich ihres literarischen, psychologischen und religiösen Einflusses beleuchten werden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Gregors Welt
2.1 Die Familienmitglieder
2.2 Die Familiensituation der Samsas
3. Literarische Motive
3.0 Definition des Fantastischen
3.1 Das Verwandlungsmotiv
3.2 Die Isolation und der Ich –Verlust
3.3 Das Doppelgängermotiv
4. Psychologische Motive
4.1 Persönliche Motive Kafkas
4.2 Mythos bei Kafka
4.3 Der Traum
4.4 Die phantastische Groteske
5. Religiöse Motive
5.1 Kafka und sein Glaube
5.2 Kafka und die Kabbala
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Phantastische Literatur dient, möchte man Renate Lachmann Glauben schenken, im kulturellen Prozess zur Kompensierung von Realität und Fiktionalität. Sie deckt Hintergründe und Zusammenhänge auf, die von der Gesellschaft verdrängt werden. Zum einen, weil es sich häufig um zwiespältige moralische Umstände und zum anderen um ungeklärte Phänomene des menschlichen Daseins handelt. In Kafkas Verwandlung geht es in erster Linie um die Frage nach der Identität, sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Familie. Ebenso bringt Kafka das Thema der Menschlichkeit auf den Punkt, indem er nach Gregors Daseinsberechtigung nach der Verwandlung fragt. Es handelt sich also um Themen, die durch ihren indirekten Bezug auf die Realität verweisen, da sie nur direkt in einer äußerst verdichteten Literaturwelt spielen können.
Die Einordnung der Verwandlung in herkömmliche Gattungsbegriffe gestaltet sich schwierig, da sich in der Erzählung unter anderem Züge des Märchens, des psychologischen und fantastischen Romans finden lassen. Benno von Wiese nennt die Verwandlung eine Novelle, denn „[...] eben ihr ist es vergönnt, noch der persönlichsten Erzählperspektive den Schein eines rein objektiven Sprechens zu sichern“[1]. Wichtig ist nämlich, dass die bewusst vom Autor gewählte Fiktion eine fragwürdige und grausame Welt tiefer und unerbittlicher darstellen kann, als der Versuch einer bloß nachahmenden Erzählung oder einer symbolischen Verdichtung.
Gerade diese Darstellungsformen sind es, um die es im weiteren Verlauf geht. Es handelt sich bei ihnen um vielschichtige und mehrdeutige Aussagen, die das komplexe Zusammenspiel von Ich und Gesellschaft erläutern, aber niemals objektiv interpretiert werden können und somit den Leser anstrengen, nach eigenen Wegen zum Verständnis zu forschen. Im folgenden sollen nun Motive der Erzählung hinsichtlich ihres literarischen, psychologischen und religiösen Einflusses beleuchten werden.
2.Grergors Welt
2.1 Die Familienmitglieder
Die Familie Gregors besteht aus Vater, Mutter und Schwester Grete. Kurz bevor Gregor stirbt denkt er „ an seine Familie mit Rührung und Liebe“[2]. Dies mag verwundern, denn diese ist in erster Linie für Gregors Tod verantwortlich. Andererseits zeigt das Zitat auch Gregors Unvermögen als Kreatur kritisch zu reflektieren. Gregor redet sich bis zum Schluss eine intakte Familie zu haben, wobei dies sein gesamtes Dasein bis zur Verwandlung in Frage stellen würde.
Zunächst wird Gregors Vater als lethargischer alter Mann dargestellt, der stundenlang frühstückt und den Tag damit zubringt die Zeitung zu lesen. Nach Gregors Verwandlung ist auch er verändert. Er findet scheinbar dadurch seine Kraft wieder, er verjagt Gregor in sein Zimmer und tritt eine Stelle als Bediensteter eines Bankinstituts an, um letztlich seine Rolle als Familienoberhaupt einzunehmen. Gregors Angst vor seinem Vater lässt sich schon in dessen ersten Auftritt erkennen als er „schwach, aber mit der Faust“[3] an Gregors Tür klopft als der Prokurist kommt, um nach Gregor zu fragen. Die anfängliche körperliche Schwäche des Vaters steht im Kontrast zu seiner aggressiven Grundhaltung. Er ist durchaus in der Lage zuzupacken, wie sich später zeigt, als er ein neues Leben beginnt. Für Gregor verkörpert der Vater die strafende und absolute Autorität.
Gregor weiß nicht, dass dieser ihn hintergangen hat und das Geld für sich angespart hat, für das Gregor hart arbeiten musste. Es wird damit deutlich, dass der Vater Gregors Naivität ausgenutzt hat, um sich selbst zu bereichern. Er hat also niemals die Zügel wirklich aus der Hand gelassen. Das Symbol der Macht trägt er als Uniform an seinem Körper.
Auch die Mutter wirkte vor Gregors Verwandlung kränklich und anfällig. War sie es doch die oft Ohnmachtsanfälle hatte. Obwohl sie die einzige in der Familie ist, die in dem Käfer ihren Sohn sieht, stellt sie sich hinter ihren Mann und ihre Tochter und akzeptiert letztlich Gregors Tod. Ihre Ohnmachtsanfälle entheben sie von eigenen Entscheidungen und ist damit ihrem Mann untergeben. Sie macht sich dadurch von anderen abhängig und kann ihre eigenen Vorstellungen der Familie gegenüber nicht durchsetzen. Die direkte Auseinandersetzung mit Gregor ist schließlich nicht möglich mit ihr.
Die Schwester Grete hingegen gewinnt immer mehr an Bedeutung, da sie viel Kontakt hält und sich direkt mit Gregor konfrontiert. Sie ist das verwöhnte und von Gregor vergötterte Wesen. Zunächst wirkt sie fürsorglich, wendet sich dann aber von Gregor ab. Sie ist es auch, die den Eltern sagt was sie tun sollen. Dadurch dass Grete anfangs den besten Kontakt zu Gregor hat, gewinnt sie an Einfluss und die unentschlossenen Eltern überlassen es ihr, zu entscheiden was mit Gregor geschehen soll. Als dieser zum dritten Mal versucht aus seinem Zimmer zu gelangen, verkündet sie: „Wir müssen es loszuwerden versuchen.“[4]. Es zeigt sich, dass Gregor entfernt werden muss, weil sie in dem Käfer nicht mehr ihren Bruder erkennt. Auch die Tatsache, eine Arbeitsstelle gefunden zu haben gibt ihr den Mut und den Willen, ihren lästigen Bruder loszuwerden.
2.2 Die Familiensituation der Samsas
Gregor beschreibt, dass das Familienleben einmal von „lebhaften Unterhaltungen“[5] geprägt war, die dann aber, als er anfing zu arbeiten durch das Vorlesen der Zeitung abgelöst wurde. Der Leser erfährt wenig über die Familie Samsa, wie sie vor Gregors Verwandlung war, jedoch werden Andeutungen gemacht, die zeigen, dass das Bild der Familie von Unterkühltheit und Kommunikationslosigkeit geprägt war. Nach der langen Arbeit sperrte sich Gregor in sein Zimmer ein und beschäftigte sich mit Laubsägearbeit oder dem Ausschneiden von Bildern aus Illustrierten. Dies deutet auf das einsiedlerische Wesen Gregors hin, der also schon vorher einen „Panzer“ um sich herum aufgebaut hatte.
Aussagen wie Gregor habe „ja nichts im Kopf als das Geschäft“[6] bezeugen, wie wenig die Eltern von Gregors Innenleben wussten, denn eigentlich hätten sie bemerken müssen, dass er seinen Beruf hasste, er ihn nur für den Erhalt der Familie ausübte und um sich wenigstens ein bisschen Anerkennung in der Familie zu verschaffen.
Auch die Lage von Gregors Zimmer, die sich aus dessen Beschreibungen rekonstruieren lässt, bezeugt dessen abgeschottete Lebenssituation. Sein Zimmer liegt zwar zentral in der Wohnung, ist aber dennoch Gregors abgeschlossene „Höhle“.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Er lebt quasi als Fremder in der Wohnung. Die Treppe und die Tür spielen in der Erzählung eine besondere Rolle. Die Familienmitglieder und der Prokurist stehen vor verschlossenen Türen als sie am Morgen Gregor zur Rechenschaft ziehen wollen. Seine Intimsphäre ist für sie nun nicht mehr schützenswert als es um die wirtschaftlichen Perspektiven der Familie geht. Ohne dafür zu arbeiten hat er keine Rechte mehr einzufordern. Nachdem der Anblick Gregors ihnen einen Schock versetzt hat, werden die Türen von außen verschlossen. Seitdem liegt das Wünschenswerte und Ersehnte für Gregor immer hinter den unüberwindlichen Türen. Die Versuche, aus seinem Zimmer zu flüchten, schlagen fehl und enden jedes Mal in einer schmerzhaften Katastrophe. Die Tür zu Gregors Zimmer stellt in der gesamten Erzählung symbolisch das Eindringen, Verlassen und eine Fluchtmöglichkeit dar. Das Handeln der Figuren, das Gregor mitbekommt, spielt meistens im Türrahmen seines Zimmers.
Der einzige Lichtblick ist das Fenster in seinem Zimmer; da sich jedoch auf der gegenüberliegenden Seite ein Krankenhaus befindet, wird ihm seine missliche Lage stets von neuem vor Augen geführt.
Die Treppe ist für Gregor wegen seiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit das größte Hindernis. Sie dient dem Prokuristen zur Flucht und der Familie Samsa am Ende der Erzählung als Weg zur neu gewonnenen Freiheit.
3. Literarische Motive
3.0 Definition des Fantastischen
Unter dem Begriff „fantastisch“ versteht Todorov, der wichtigste Theoretiker der fantastischen Literatur, die Unschlüssigkeit, die entsteht, wenn der Leser sich fragen muss, ob das was geschildert wird wahr sein kann oder ob es sich lediglich um eine Sinnestäuschung handelt. Für diesen Moment erzeugt der Autor eine vage, traumartige Atmosphäre, um die Spuren zwischen wahr und unwahr zu verwischen, aber gleichzeitig den Leser im Gefühl einer unbedingten Richtigkeit der Tatsachen zu lassen. Bis zum Schluss erfährt der Leser aber keine Auflösung im Sinne einer Erklärung der Existenz des Übersinnlichen, so auch in der Verwandlung.
Ähnlich verhält es sich im Traum. Der Schlafende weiß zwar, dass er träumt, jedoch ist der Eindruck des Trugbildes so stark, dass gar kein Zweifel an dem was geschieht besteht. Hinzu tritt die individuelle Prägung eines jeden Traumes. Im Talmud heißt es dazu: „Wie und was jemand ist, so träumt er auch“[7].
Charakteristisch für die fantastische Welt ist die rationale Unerklärbarkeit, der Punkt an dem die Gesetze der Welt, wie wir sie kennen nicht mehr greifen. Die Figur schwankt demzufolge zwischen dem Zweifel an der realen Welt und der sich ihr eröffnenden, unbekannten, überaus realen, aber unwirklichen Welt. Die Unschlüssigkeit entsteht aus der Ungewissheit, die nach Todorov: „...ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenüber sieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat“[8]. Um diese Unschlüssigkeit auch beim Leser hervor zu rufen, ist es ein wichtiger Bestandteil der fantastischen Erzählung, die Integration des Lesers in die Handlung zu erzwingen. Dies geschieht durch die Ambivalenz der Erzählweise, die den Leser unmittelbar in die Rolle der Person versetzt. Die Verwandlung wird zwar aus der auktorialen Perspektive erzählt, aber auf Grund der Heftigkeit der Handlung wird der Leser unmittelbar in das Geschehen eingebunden. Die Sprache der Erzählung verrät eine Unsicherheit, die sich auf den Leser überträgt. Die Modalisation und der Imperfekt schaffen auf Grund der Mehr-Möglichkeiten, aber mit ihrer scheinbaren zeitlichen Abgeschlossenheit, Distanz. Die Unschlüssigkeit wird nie direkt ausgedrückt, sondern der Leser liest diese zwischen den Zeilen.
[...]
[1] Wiese, Benno von; Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen. Band 2. Düsseldorf 1962, S.343
[2] Kafka, Franz; Die Verwandlung in Sämtliche Erzählungen; hrsg. v. Paul Raabe; Berlin 1935, S.66
[3] ebenda,S.57
[4] ebenda,S.68
[5] ebenda,S.64
[6] ebenda, S. 60
[7] Altenhöner, Friedrich; Der Traum und die Traumstruktur im Werk Franz Kafkas; Münster, 1964, Seite 127
[8] Todorov, Tzvetan; Einführung in die fantastische Literatur; München 1972, S. 26
- Citar trabajo
- Thomas Brunner (Autor), 2005, Die Verwandlung von Franz Kafka - eine Analyse, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40749
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