Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. ADHD – eine Exploration
1.1. Darstellung des Erscheinungsbildes
1.2. Historischer Exkurs
1.3. Beschreibung des Ist-Zustandes der Forschung
1.3.1. Klassifikation
1.3.2. Kovariierende Störungen
1.3.3. Exkurs zum Verständnis von Aufmerksamkeit
1.3.4. Ätiologische Erklärungsansätze und Pathogenese
1.3.5. Prävalenz
1.4. Diagnostik
1.4.1. Interventionsmöglichkeiten
2. Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen in der Schule
2.1. Die Institution Schule und ADHD
2.2. Auswirkungen der Kardinalsymptome
2.2.1. Aufmerksamkeitsstörung
2.2.2. Impulsivität
2.2.3. Hyperaktivität
2.3. Soziale Schwierigkeiten von Schülern mit ADHD in der Schule
2.4. Der Schulerfolg von Schülern mit ADHD
2.4.1. Beschriebene Schulleistungsstärken
2.4.2. Beschriebene Schulleistungsschwächen
3. Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern
3.1. Analyse des Unterrichtsverhaltens von Schülern mit ADHD
3.2. Vergleich des Unterrichtsverhaltens von unauffälligen Schülern und Schülern mit ADHD
3.3. ADHD im Urteil von Lehrern
3.3.1. Vorherrschendes Bedingungswissen
3.3.2. Änderungswissen
3.4. Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern gestalten
3.5. Voraussetzungen für die Umsetzung
3.6. (Kognitiv-)Verhaltenstherapeutische Maßnahmen
3.6.1. Operante Methoden
3.6.2. Kognitive Methoden
3.7. Didaktisch-pädagogische Unterrichts-Gestaltungsmaßnahmen
3.7.1. Schülerzentrierte Maßnahmen
3.7.2. Lehrerzentrierte Maßnahmen
4. Methode
4.1. Begründung der empirischen Untersuchung dieser Arbeit
4.2. Prämissen
4.3. Formulierung der Fragestellungen
4.3.1. Wie beschreiben Lehrer das Unterrichten von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern? (Verhalten und Bedürfnisse des Kindes im Unterricht, eigene Bedürfnisse nach Unterstützung und eigene Situation des Lehrers)
4.3.2. Wie beschreiben Lehrer die schulischen Leistungen von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern?
4.3.3. Welches Änderungswissen nennen Lehrer zur Gestaltung von Unterricht als besonders hilfreich für das Kind mit ADHD?
4.3.4. Welches Änderungswissen nennen Lehrer für sich selbst als besonders hilfreich im Umgang mit Schülern mit ADHD im Unterricht?
4.4. Studiendesign
4.4.1. Stichprobenbeschreibung
4.4.2. Vorstellung des Untersuchungsinstruments
4.4.3. Durchführung der Untersuchung
5. Präsentation der Ergebnisse
5.1. Stichprobenzusammensetzung und Rücklaufquote
5.2. Ergebnispräsentation zu den Fragestellungen
5.2.1. Wie beschreiben Lehrer das Unterrichten von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern?
5.2.2. Wie beschreiben Lehrer die schulische Leistung von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schüler?
5.2.3. Welches Änderungswissen nennen Lehrer zur Gestaltung von Unterricht als besonders hilfreich für das Kind mit ADHD?
5.2.4. Welches Änderungswissen nennen Lehrer als besonders hilfreich für sich selbst im Umgang mit Schülern mit ADHD im Unterricht?
6. Diskussion
6.1. Zur Stichprobe und Rücklaufquote
6.2. Zu den Fragestellungen
6.3. Ausblick
7. Abbildungsverzeichnis
8. Tabellenverzeichnis
9. Literaturnachweis
Vorwort
ADHS, ADS, ADHD, Hyperkinese, HKS, „Zappelphillippsyndrom“[1] – eine Vielzahl vermeintlicher Synonyme und Akronyme kursiert für die wissenschaftlich eindeutig beschriebene Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung in den deutschen (Print-)Medien. Der populäre Journalismus sucht nach Ursachen für eine sich „wie eine Seuche“ (Der Spiegel 29/ 2002) auszubreitende psychische Störung und beschreibt meist Zutreffendes, Informatives, aber verbreitet auch populistische Annahmen. So wird ein verzerrtes Bild der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung in die Öffentlichkeit getragen: Aufmerksamkeitsstörungen werden zu einer „seelische[n] Krankheit als Folge einer Pädagogik“ (Die Zeit 31/ 2002), mit dem „Ausmaß einer Epidemie, [denn] weltweit sind schätzungsweise zehn Millionen Kinder betroffen, in Deutschland 170 000 bis 350 000“ (Die Zeit 17/ 2003). Öffentlichkeitswirksamkeit und Präsenz des Themas können seriöse Aufklärung bedeuten und helfen, die Sensibilität im Umgang mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern und Erwachsenen zu erhöhen – ganz im Sinne der Betroffenen und der Professionellen, die mit ihnen Zusammenarbeiten und sich wissenschaftlich mit der Störung beschäftigen. Doch publizierte Meinungen, die zu beweisen versuchen, dass „ADS (...) oft keine Störung und schon gar keine Krankheit [sei], (...) [sondern] die ADS-Kinder seien eher die typischen Kinder des Medienzeitalters“ (Die Zeit 17/ 2003) und „ADHS insgesamt ein Konstrukt ist“ (Der Spiegel 29/ 2002), scheinen eher das Gegenteil einer seriösen medialen Aufklärung über eine weltweit einheitlich zu diagnostizierende und klassifizierende Störung zu bewirken.
Vielleicht aus diesem Grunde sah sich im Jahr 2002 ein Konsortium aus mehr als 70 international renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um den in der amerikanischen Forschung über die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung führenden Barkley dazu berufen, ein „Consesus statement on ADHD“ zu veröffentlichen, in dem sie dazu aufriefen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen auch in der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit als das darzustellen, was sie sind: „as a legitimate disorder, (...) demonstrated through hundreds of scientific studies“ (Barkley et al. 2002, S. 96).
Diesen Hintergrund beachtend, wird die vorliegende Arbeit versuchen, das medial präsente und offensichtlich gesellschaftlich aktuelle Thema der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen dem aktuellen wissenschaftlichen Wissenstand gemäß zu thematisieren. Der Autor dieser Arbeit studiert das Lehramt der Sonderpädagogik und wird im Rahmen dieser Examensarbeit die Schule als Ort der Bildung und Erziehung von Kindern, das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung analysieren.
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beginnt mit einer detaillierten Analyse der psychischen Störung ADHD, betrachtet im weiteren Verlauf die schulische Situation von Kindern mit ADHS, bevor beschrieben wird, wie adäquater Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern gestaltet werden kann und untersucht anschließend, wie nordrhein-westfälische Grundschullehrer das „Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen“ beschreiben. Es wurden 145 Grundschullehrer an insgesamt 23 staatlichen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen befragt, die sowohl über die eigene Situation beim Unterrichten als auch über 290 Grundschulkinder der ersten bis vierten Klasse berichten. Anhand einer Verhaltenskriterienliste (nach DSM-IV), die hyperaktives und aufmerksamkeitsgestörtes Verhalten beschreibt, wurden sie instruiert, ein Kind ihrer Klasse mit den deutlichsten beschriebenen Symptomen von ADHD anhand der Kriterienliste auszuwählen und diesem ein als unauffällig erachtetes Kind zuzuordnen. Um einen Vergleich zwischen den Antworten zu den 145 durchschnittlichen und 145 auffälligen Schülern zu ermöglichen, waren die Lehrer angewiesen, für je zwei Kinder gleichen Geschlechtes aus derselben Klasse Angaben zu machen. Neben Aussagen zur Schulleistung wird als Schwerpunkt vor allem untersucht, wie Lehrer Unterricht gestalten, wie sie das Unterrichten von aufmerksamkeitsgestörten Kindern beschreiben und welche Maßnahmen sie ergreifen, um das Verhalten der Kinder mit ADHD zu steuern. Die befragten Lehrer beurteilen die Schulleistung der Kinder mit ADHS im Vergleich zu durchschnittlichen Kindern schlechter. Außerdem beschreiben sie, wie sich das (Unterrichts-)Verhalten dieser Kinder von dem der durchschnittlichen Kinder unterscheidet: Schüler mit ADHD erscheinen ihnen unruhiger, weniger „bei der Sache“ und viel häufiger störend als Kinder der Kontrollgruppe. Zudem erkennen die Lehrer, dass ihnen Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern besondere Anforderungen stellt. Diese erleben sie als belastend. Aus den Angaben zum eingesetzten Änderungswissen wird ersichtlich, dass die befragten Lehrer weder über angemessene, wissenschaftlich fundierte Kenntnisse über ADHS verfügen, noch sind ihnen spezielle Unterrichts-Gestaltungsmaßnahmen, die den besonderen Bedürfnissen aufmerksamkeitsgestörter Kinder gerecht würden, bekannt. Ein zukünftiges Lehrertraining wird diese fehlenden Kompetenzen vermitteln können.
0. Einleitung
„Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen“ lautet der Titel der vorliegenden Staatsexamensarbeit. Das „Attention-Deficit Hyperactivity-Disorder (ADHD) has become one of the most commonly diagnosed and heavily researched childhood disorders“ (Reid et al. 1994, S. 117 und vgl. Döpfner, Schürmann, Frölich 2002, S. 3). Auf Grund der gesellschaftspolitischen Aktualität muss diesem Thema „in den Augen“ des Verfassers auch eine bildungspolitische Relevanz zu Grunde liegen, denn als die am häufigsten diagnostizierte psychische Auffälligkeit des Kindesalters wird auch das Schulwesen in eventuelle Schwierigkeiten involviert sein. Eisert nennt Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sogar „die Schulkrankheit schlechthin“ (Eisert nach Lauth, Knoop 1998, S. 21). Untersuchungen in den USA und mittlerweile auch in Deutschland weisen darauf hin, dass ein den besonderen Bedürfnissen von aufmerksamkeitsgestörten Schülerinnen und Schülern[2] entsprechendes pädagogisch-didaktisches Begegnen in den Schulen zur Zeit (noch) nicht in ausreichendem Maße stattfindet. Festzuhalten ist, dass betroffene Schüler, neben einer oftmals als problematisch beschriebenen Beziehung zu Lehrern unter anderem deutlich häufiger als durchschnittliche Schüler eine Klasse wiederholen müssen, im Durchschnitt einen weniger qualifizierenden Schulabschluss erreichen, häufiger illegale Substanzen und (übermäßig) Alkohol konsumieren, das Risiko einer delinquenten Zukunft erhöht ist und sie häufiger von sozial-emotionalen Störungen betroffen sind. Besonders in Deutschland findet häufig keine adäquate Beschulung der betroffenen Kinder in den Regelschulen statt, sie werden überdurchschnittlich oft in Sonderschulen beschult (vgl. Barkley et al. 2002, Lauth, Schlottke 2002, Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2002, Zentall, Goetze 1994 und Lauth, Schlottke, naumann 2002, Reid et al. 1994). Naumann (1996, S. 93) kommt zu dem Schluss, dass Aufmerksamkeitsstörungen „(...) als Entwicklungsrisiko mit weitreichenden Konsequenzen eingeschätzt werden“ müssen.
Diese nur beispielhaft genannten Entwicklungsrisiken, Störungen und teils illegalen Verhaltensweisen stellen für die Zukunft von betroffenen Kindern und Jugendlichen negative Entwicklungspfade dar und werden an dieser Stelle aufgezeigt, um für ein frühzeitiges Erkennen und kompetentes Intervenieren bei Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen zu plädieren. Aus pädagogischer Sicht bedarf es neben einer psychologisch-therapeutischen Begleitung auch in der Schule pädagogisch-didaktisch professionellen Wissens, um den betroffenen Schülern eine bestmögliche Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen. Deshalb untersucht diese Arbeit, wie die schulische Leistung und das im Unterricht gezeigte Verhalten von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen von Lehrern bewertet wird und wie Primarstufenlehrer als Unterrichts-Gestalter den besonderen Bedürfnissen von Schülern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen begegnen. Über die Art und Weise wie Lehrer das Verhalten und die schulische Leistung von Schülern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen beurteilen und mit welchem besonderen pädagogisch-didaktischem Wissen sie den Schülern begegnen, liegen zur Zeit der Erstellung der Arbeit nur sehr wenige fundierte Studien im deutschsprachigen Raum vor (z. B. Lauth, Knoop 1998, Lauth, Lamberti 2003), dieser Umstand stellt für den Autor eine zusätzliche Motivation dar.
Die vorliegende Staatsexamensarbeit entsteht im Rahmen einer interkulturellen Vergleichsstudie über das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität. Die Studie wird in Australien und Deutschland in den Bundesländern, bzw. Bundesstaaten Queensland und Nordrhein-Westfalen im jeweiligen Grundschulsystem des Bundeslandes, bzw. des Bundesstaates durchgeführt. Der australische Teil findet unter der Leitung von Senior Lecturer Dr. B. Heubeck, Australien National University (ANU), Canberra, statt, den deutschen Teil der Studie leitet Prof. Dr. G. W. Lauth, Dekan der Heilpädagogischen Fakultät der Universität zu Köln. Die Studie dient der Erfassung des Ist-Zustandes der Situation von unterrichtenden Lehrern und unterrichteten Schülern im jeweiligen Grundschulsystem der Länder und als Vorläuferstudie eines internationalen Lehrertrainings zum Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität, an dessen Entwicklung die beteiligten Fakultäten arbeiten.
Im Verlauf des Textes werden synonym zum Begriff Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung verschiedene in der Wissenschaft gebräuchliche Termini und Akronyme, wie ADHD (Attention-Deficit Hyperaktivity-Disorder), die deutsche Adaption ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung), Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung oder Aufmerksamkeitsstörung, aufmerksamkeitsgestört gebraucht, um dem Leser einen abwechslungsreichen Lesefluss zu ermöglichen. Gemeint ist ausschließlich die im weiteren Verlauf differenzierter beschriebene, international diagnostizierte und klassifizierte, Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung nach den diagnostischen Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV der American Psychiatric Association (APA) von 1994.
Die Arbeit besteht aus zwei übergeordneten Teilen: Kapitel 1. bis 3. bilden die theoretische Grundlegung der Untersuchung, in den anschließenden Kapiteln wird der empirische Teil dieser Examensarbeit inklusive der Ergebnisdiskussion dargestellt.
1. ADHD – eine Exploration
Um mit Kindern mit ADHD pädagogisch(-didaktisch) professionell arbeiten zu können, ist ein umfassendes Wissen über das Störungsbild notwendig. Dieses Kapitel wird die Störung ADHD genau betrachten und einen Einblick in das Handeln und Verhalten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen geben.
1.1. Darstellung des Erscheinungsbildes
Zur plastischen Veranschaulichung des Störungsbildes einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung wird ein Fallbeispiel der Beschreibung des Erscheinungsbildes vorangestellt:
„Christian (9 Jahre) fällt sowohl in der Schule als auch zu Hause durch seine starke Ablenkbarkeit und geringe Ausdauer auf. Seine Mutter berichtet, dass er alle möglichen Dinge anfängt, aber kaum etwas zu Ende bringt. Statt dessen wende er sich rasch neuen Dingen zu, die er aber auch nach kurzer Zeit wieder als langweilig und unattraktiv links liegen lasse. Beim Mittagessen bleibe er kaum mal ruhig sitzen, sondern schaukele und rutsche immer unruhig auf dem Stuhl hin und her. Er renne in die Küche um sich noch Saft zu holen, auf halbem Weg falle ihm aber ein, dass er eigentlich auch nach dem Hamster sehen wollte, er komme wieder mit dem Tier zurück und lasse es über den Tisch krabbeln.
Besonders auffällig sei auch die motorische Unruhe. Christian sei fast ständig auf Achse, er schlafe schlecht ein, kaue Nägel und selbst bei spannenden Spielen oder beim Fernsehen rutsche und hippele er noch umher. Mit seiner jüngeren Schwester (6 Jahre) gebe es ständig Streit.
Die Klassenlehrerin berichtet, dass Christian den Unterricht stört. Er sei nicht nur unruhig und ablenkbar, sondern entwickele zunehmend wirklich schwierige und aggressive Verhaltensweisen. Beispielsweise gebrauche er wüste Schimpfwörter, fordere schwächere Kinder heraus und ärgere andere Kinder ganz gezielt. Seine Leistungen seien zumeist schlecht, obwohl es wohl kaum an seiner Begabung liege. Christian sei in der Klasse isoliert und niemand wolle neben ihm sitzen. Das schwierige und unruhige Verhalten des Kindes war zuvor schon im Kindergarten aufgefallen; auf Anraten der Erzieherinnen hatte sich die Familie in einer Erziehungsberatungsstelle beraten lassen und einen Pädiater aufgesucht.
Die psychologische Untersuchung belegt bei Christian eine durchschnittliche Intelligenz, mangelnde Selbststeuerungsfähigkeit und unzureichende Aufmerksamkeitsleistungen (...)“ (Lauth, Schlottke 2001, S. 202).
Aufmerksamkeitsstörungen äußern sich vor allem darin, dass etwas vom Kind Begonnenes hektisch und unzureichend ausgeführt wird, das Verhalten planlos und wenig durchdacht erscheint. Das Kind wechselt dabei ständig die Aufgaben und scheint vorschnell, ohne „Vorzudenken“ zu handeln, besonders häufig ist ein Nicht-Abwarten-Können zu beobachten, Dinge werden unvollendet abgebrochen und statt dessen neue, scheinbar interessantere Aktivitäten angefangen. Dabei wirken die Kinder „wie aufgezogen“, zappelig, rastlos. Wie bei Christian ist das o. g. Verhalten nicht nur zu Hause, sondern auch in der Schule zu beobachten. Es entstehen bestimmte Problemsituationen im Alltag, die in vielfältiger Weise zu Konflikten führen können. In der Schule zeigen Kinder mit ADHS häufig schlechtere Schulleistungen und können Schwierigkeiten haben, Freunde zu finden. Meist fallen sie bereits im Kindergarten den Erziehern durch unangebrachtes Verhalten auf und werden bereits früh bei Fachleuten „vorstellig“ (z. B. Erziehungsberatungsstellen, psychiatrische Ambulanzen, Pädiater). Ab der Schulzeit können aggressive und dissoziale Verhaltensweisen auftreten, die Situationen mit Gleichaltrigen oder im Jugendalter auch mit Erwachsenen oftmals eskalieren lassen (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 3ff, Döpfner, Frölich lehmkuhl 2002, S. 2ff). Kinder mit ADHD, wie Christian, sind also typischerweise unaufmerksamer, unruhiger und voreiliger als andere Kinder und können dazu noch dissoziales Verhalten zeigen (Christian etwa ärgert gezielt jüngere und schwächere Kinder und benutzt häufig Schimpfwörter).
Aus dem Fallbeispiel und der Beschreibung des Erscheinungsbildes lassen sich drei wesentliche Merkmale einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung ableiten, die das Störungsbild umschreiben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese drei Merkmale bilden die Kardinalsymptome von ADHD und werden bei Kindern mit ADHD nahezu regelmäßig, weit häufiger und in ausgeprägterer Form als bei klinisch unauffälligen Kindern im vergleichbaren Entwicklungsalter beobachtet. Die drei Symptome können gemeinsam oder getrennt voneinander in unterschiedlicher Ausprägung auftreten, d. h. Kinder können vorwiegend hyperaktiv und impulsiv sein oder es liegt vorherrschend eine Störung der Aufmerksamkeitsleistung vor. Es lassen sich verschiedene Störungsarten unterscheiden. Diese werden im weiteren Verlauf der Arbeit genauer betrachtet und erläutert werden vgl. (Lauth, Schlottke 2002, S. 4f). Die Unaufmerksamkeit beschreibt eine mangelnde Aufmerksamkeitsorientierung und Zielgerichtetheit des Verhaltens, so fällt es Kindern mit ADHS schwer, Einzelheiten zu beachten oder längere Zeit bei einer Sache zu bleiben. Schnell verlieren Dinge ihre Attraktivität für die Kinder, vermeintlich interessantere Dinge werden in rascher Abfolge begonnen. Sie verlieren beim Lösen von Aufgaben ihr Ziel aus den Augen und vergessen, was sie eigentlich tun wollten – so erscheinen sie oftmals als unordentlich, unzuverlässig und vergesslich und scheinen länger andauernde geistige Anstrengungen zu vermeiden (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 4f). Barkley (1999, S. 57) weist aber darauf hin, dass Kinder mit ADHD „are seen most dramatically in situations requiring the child to sustain attention to dull, boring, repetitive tasks such as independent schoolwork, homework, or chore performance” und bringt somit eine gewisse motivationale Komponente mit in die Diskussion. Kapitel 2.1. dieser Arbeit wird das Kardinalsymptom Unaufmerksamkeit intensiver (vor allem in Bezug auf das System Schule) beleuchten. Hyperaktivität beschreibt bei Kindern mit ADHD eine übermäßige motorische Unruhe. „(...) ADHD children are more active, restless, and fidgety than normal children throughout the day and even during sleep” (Barkley 1999, S. 61). Sie zappeln, laufen umher, können nicht still sitzen bleiben, produzieren auch durch ihren Rededrang eine große Unruhe und wirken dabei ungesteuert und umtriebig (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 5).
Vorschnelles Antworten und unbedachtes Verhalten sind Folge einer übermäßigen Impulsivität. Antworten „platzen“ aus den Kindern regelrecht heraus, noch bevor die Frage zu Ende gestellt wurde. In größeren Gruppen fällt es ihnen schwer, abzuwarten, bis sie an der Reihe sind, sie können die Befriedigung eigener Bedürfnisse nur schwer aufschieben. „ [The] defiency in inhibitting behavior in response to situational demands“ (Barkley 1999, S. 58) lässt Kinder mit ADHS oft gegen Regeln verstoßen; sie stören oder unterbrechen andere und erfahren als Reaktion häufig Missbilligung und Ablehnung. Sie neigen zudem zu unbedachten Aktivitäten (im Spiel), die zu beträchtlichen Gefahren führen können, wie z. B. mit Feuer spielen, Klettereien, Verhalten im Straßenverkehr) (vgl. Lauth, Schlottke, 2002, S. 5).
1.2. Historischer Exkurs
Die heute im Kindes- und Jugendalter meist diagnostizierte psychische Auffälligkeit mit ihren Hauptsymptomen der Unaufmerksamkeit, erhöhten Ablenkbarkeit (oder Impulsivität) und motorischen Überaktivität (Hyperaktivität) wird bereits im 19. Jahrhundert beschrieben. Der Frankfurter „Nervenarzt“ Heinrich Hoffmann erstellte Bildgeschichten vom „Zappelphilipp“ („Fidgety Phil“) und „Hans-guck-in-die-Luft“, welche die Schwierigkeiten der umschriebenen Kinder auch heute noch deutlich treffen. Mit dem „Struwwelpeter“ warnte Hoffmann bereits 1845 vor den Folgen des beschriebenen Verhaltens. Im weiteren Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts werden die betroffenen Kinder von verschiedenen Ärzten beschrieben, Still sieht in ihrem Verhalten einen „defect in moral control“ (Barkley 1999, S. 4). Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ist sich die Wissenschaft sicher, dass nur eine Schädigung des Gehirns Ursache des Ungehorsams, der fehlenden Moral und Leistungsfähigkeit sein kann. Ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen Neurobiologen die Diskussion zu bestimmen. Parallel sprachen Fachleute von einer „Hyperkinetischen Impuls-Störung“, die durch eine Pathologie in der Thalamus-Region des Gehirns bedingt sei und von einer „Minimalen Cerebralen Dysfunktion“ (MCD), die für die Hyperaktivität verantwortlich gemacht wurde. Die 60er Jahre wurden, so Barkley (1999), zum Goldenen Zeitalter der Hyperaktivität. Bis zum Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-II) der American Psychiatric Association (APA) wurde von einem „Hyperactive Child Syndrom“ („Hyperkinetische Reaktion im Kindesalter“) gesprochen, bis zahlreiche Studien in den 70er Jahren den Fokus der Betrachtung von dem Symptom der Hyperaktivität auf die gestörte Aufmerksamkeitsleistungen der betroffenen Kinder lenkten. Das DSM-III definierte mit seiner Erscheinung 1980 eine radikale Umkonzipierung der Störung und beschrieb von nun an eine Aufmerksamkeitsstörung („Attention-Deficit-Disorder“, ADD) mit oder ohne Hyperaktivität. Parallel wurde 1980 das ICD-9 (Internationale Klassifikation Psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation, WHO) publiziert, welches seit 1992 durch das heute noch gültige ICD-10 ersetzt wurde. Bereits das DSM-III weist eine Verhaltenskriterienliste auf, wie sie heute noch im DSM-IV, wenn auch modifiziert in Anzahl der abgefragten Items, gebräuchlich ist. Auch das ICD-10 umfasst in seinen Forschungskriterien eine in weiten Teilen mit dem DSM übereinstimmende Verhaltenssymptomliste zur Diagnostik. Das ICD-10 spricht von Hyperkinetischen Störungen (HKS). Das DSM-III-R formuliert ab 1987 statt der Aufmerksamkeitsstörung nun ADHD, die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, welche in der Benennung des seit 1994 publizierten DSM-IV immer noch gebräuchlich ist. Verändert haben sich bis 1994 auch die diagnostischen Verhaltenskriterien, die in ihrer aktuellen Form in Kapitel 1.3.1. vorgestellt werden. Erst seit den 90er Jahren setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass ADHD nicht nur im Kindes- und Jugendalter, sondern auch im Erwachsenenalter vorliegen kann. Festzuhalten bleibt, dass die Begrifflichkeiten vergangener Jahre in den Sprachgebrauch übergegangen sind und somit neben den aktuellen offiziellen Klassifikationen ADHD (Attention-Deficit Hyperactivity-Disorder) des DSM-IV der APA und der Hyperkinetischen Störung der Klinisch-diagnostischen Leitlinien des ICD-10 (Internationale Klassifikation Psychischer Störungen) der WHO (Weltgesundheitsorganisation) in der veröffentlichten Literatur verschiedene Bennennungen zu finden sind, die aber, genauer betrachtet, nicht unbedingt den aktuellen Stand der Forschung wiedergeben. Der Autor benutzt als Arbeitsgrundlage die Klassifikation des DSM-IV: ADHD, in Kenntnis der Subtypen, da er grundsätzlich der veränderten Sichtweise von Aufmerksamkeitsstörungen zustimmt, wie sie im vorangegangenen Exkurs nachgezeichnet wurde. Es soll weniger ein Abbau von störend-negativem Verhalten angestrebt, als vielmehr versucht werden, alternative Verhaltensweisen aufzubauen, die positive Entwicklungsprozesse zum Ziel haben können (vgl. Barkley 1999, S. 57-79, Lauth, Schlottke 2002, S. 11f, Steinhausen 1995, S. 11ff).
1.3. Beschreibung des Ist-Zustandes der Forschung
Der historische Exkurs hat verdeutlicht, dass sowohl die Schwerpunkte der Diagnostik und Klassifikation als auch die Erkenntnisse der Wissenschaft über Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen einem wechselvollen Wandel unterliegen. Im Folgenden soll eine Übersicht des aktuellen Wissensstandes über ADHD, bzw. Hyperkinetischen Störungen (HKS) gegeben werden. Um einer umfassenden Beschreibung gerecht zu werden, wird sowohl das DSM-IV und das ICD-10 als Beschreibungsgrundlage genutzt werden, um eventuelle Unterschiede herausarbeiten zu können. Zudem wird in der medizinischen Praxis in Deutschland mit dem ICD-10 gearbeitet, die Diagnose Hyperkinetische Störung diagnostiziert.
1.3.1. Klassifikation
In der Wissenschaft und der psychiatrisch-therapeutischen Praxis wird mit den beiden o. g. Klassifikationssystemen DSM-IV und dem ICD-10 gearbeitet. Die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird gestellt und klassifiziert nach dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (APA).
Nach DSM-IV
Das DSM-IV klassifiziert die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHD bzw. in der deutschen Übersetzung ADHS) unter dem Kapitel Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden. Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens. Es beinhaltet eine Verhaltens-Symptomliste, in der die für die jeweiligen Kardinalsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität typischen Verhaltenssymptome aufgezählt sind.
Anhand dieser Kriterienliste können drei unterschiedliche Typen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung klassifiziert werden. Zusätzlich zu diesen drei Subtypen werden zwei weitere Diagnosen angeboten (Tabelle 2.). Die Verhaltenssymptome müssen während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen sein:
Tabelle 1.: ADHD-Verhaltenssymptomliste nach DSM-IV
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Sechs (oder mehr) der Symptome von Unaufmerksamkeit und sechs (oder mehr) Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität müssen zutreffen
** Sechs (oder mehr) der Symptome von Unaufmerksamkeit müssen zutreffen, von Hyperaktivität oder Impulsivität treffen weniger als sechs Symptome zu
*** Sechs (oder mehr) der Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität müssen zutreffen, von Unaufmerksamkeit treffen weniger als sechs Symptome zu
**** wird für Störungen mit deutlichen Symptomen von Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität-Impulsivität vorgesehen, die nicht die Kriterien einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erfüllen (Nach ebd., S. 62/63)
Bei Personen (besonders Jugendlichen und Erwachsenen), die zum gegenwärtigen Zeitpunkt Symptome zeigen, aber nicht mehr alle Kriterien erfüllen, wird teilremittiert spezifiziert. Neben dem Zutreffen der Anzahl der Symptome der Kriterienliste müssen noch weitere vier Bedingungen erfüllt werden:
- Einige Symptome der Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität-Impulsivität treten bereits vor dem Alter von sieben Jahren auf
- Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen des Lebens (z. B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz und zu Hause)
- Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen vorhanden sein
- Ausschlusskriterien sind: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (z. B. autistische Störung), Schizophrenie, andere psychotische Störungen, Die Symptome können nicht durch eine andere Psychische Störung besser erklärt werden (z. B. affektive Störung [manische Episoden, depressives Syndrom], Angststörung [akute Belastungsstörung, generalisierte Angststörung], dissoziative Störung [Identitäts-, Depersonalisierungs-, multiple Persönlichkeitsstörung], bei Kindern mit einer geistigen Behinderung wird die Diagnose nur bei stark übermäßiger Ausprägung gegeben. Im Allgemeinen ist die Diagnose ADHD einem Intelligenzbereich von >70 vorbehalten (vgl. saß, Wittchen, Zaudig, Houben 1998, S. 62-65, Lauth, Schlottke 2002, S. 12-16)
Nach ICD-10
Zur Gegenüberstellung der verschiedenen Klassifikationswege der Störung werden an dieser Stelle auch die Klassifikationskriterien des ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) genannt. Das ICD-10 beschreibt Hyperkinetische Störungen (HKS), bzw. eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, unter dem Kapitel F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend. Neben den diagnostischen Leitlinien des ICD-10 werden zur Diagnostik die differenzierter formulierten Forschungskriterien des ICD-10 herangezogen. Charismatische Merkmale einer Hyperkinetischen Störung sind:
- Ein früher Beginn – vor dem Alter von sieben Jahren muss ein syndromspezifisches Verhalten vorliegen
- Die Kombination von überaktivem, wenig modulierten Verhalten mit deutlicher Unaufmerksamkeit und Mangel an Ausdauer bei Aufgabenstellungen
- Es muss eine situationsunabhängige und zeitstabile Verhaltenscharakteristik vorliegen, d. h. die Symptome sollen länger als sechs Monate und in mehr als einem Bereich (deutliches Leiden im sozialen, schulischen oder beruflichen Bereich) in Erscheinung treten
- Die Intelligenz liegt > IQ 70
- Auch im Erwachsenenalter wird eine hyperkinetische Störung diagnostiziert
Auch das ICD-10 nennt die drei Kardinalsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität als charakteristisch für eine Klassifikation, unterscheidet aber keine Subtypen. Folgende Begleitmerkmale sind für eine Diagnose nicht notwendig, stützen sie jedoch: Distanzlosigkeit in sozialen Beziehungen, Unbekümmertheit in gefährlichen Situationen, Impulsive Missachtung sozialer Regeln (z. B. Einmischen in Aktivitäten anderer), Lernstörungen treten gehäuft komorbide auf. Die Hyperkinetische Störung wird beschrieben als ein Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die einen kognitiven Einsatz erfordern, eine Tendenz von einer Tätigkeit in eine andere zu wechseln, ohne etwas zu Ende zu bringen und eine desorganisierte, mangelhaft regulierte überschießende Aktivität. Die Schwierigkeiten persistieren gewöhnlich in der Schulzeit und dauern bis ins Erwachsenenalter an, auch wenn viele Betroffene dann eine graduelle Besserung bezüglich der Aktivität und Aufmerksamkeit zeigen. Differentialdiagnostisch erwähnt werden Störungen des Sozialverhaltens (es besteht die Möglichkeit zur Diagnose einer Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, F90.1), wenn die Symptome der Störung des Sozialverhaltens ebenso schwerwiegend sind wie die der Hyperkinetischen Störung. Als Ausschlussdiagnose werden folgende Störungen benannt: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Angststörungen, Affektive Störungen. Zur Diagnostik dienen die Verhaltenssymptome der Forschungskriterien, ähnlich der Kriterienliste des DSM-IV. Beide Kriterienlisten ähneln sich. Um eine Gegenüberstellung zu ermöglichen, werden auch die ICD-10 Forschungskriterien tabellarisch dargestellt. Das DSM-IV wird in Deutschland eher in der Wissenschaft angewendet, das ICD-10 von Klinikern in der Praxis, d. h. von Pädiatern, Psychiatern und Psychotherapeuten beim Diagnosestellen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung genutzt.
Tabelle 3.: Codierung von Hyperkinetischen Störungen F90 nach ICD-10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Nach Dilling, Mombour, Schmidt 1991, S. 275ff)
* F90.0 wird bei Erfüllen der o.g. Bedingungen gewählt
** F90.1 ist zu wählen, wenn sowohl die Kriterien für eine Hyperkinetische Störung als auch für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllt werden
*** F90.8 und F90.9 können bei teilweiser Erfüllung der Kriterien diagnostiziert werden
Tabelle 4.: Forschungskriterien Hyperkinetische Störung nach ICD-10
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Nach Dilling, Mombour, Schmidt 2000, S. 185ff)
Es müssen mindestens sechs Monate lang, mindestens
*sechs der Symptome von Unaufmerksamkeit
** drei der Symptome von Überaktivität
*** drei der Symptome von Impulsivität
in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß zutreffen.
Anhand der o. g. Kriterien und charismatischen Merkmale ist eine Diagnosestellung möglich, die Codierung ergibt sich aus Tabelle 3. Zwingend notwendig ist für eine Diagnose nach dem ICD-10 das Vorhandensein von allen drei Kardinalsymptomen. Das DSM-IV ermöglicht durch die drei Subtypen eine differenziertere Diagnosestellung.
1.3.2. Kovariierende Störungen
Wie bereits festgestellt, bedeuten Aufmerksamkeitsstörungen auch in der Schule eine enorme Herausforderung für alle beteiligten Personen. Zusätzlich zu dieser ohnehin schwierigen Konstellation kann bei Kindern mit ADHD eine weitere Belastung eintreten, denn neben der komplexen Problematik der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung sind bei betroffenen Kinder häufig Mehrfachdiagnosen verschiedener psychischer Auffälligkeiten vorzufinden. Den Zugang zu und Umgang mit diesen Kindern (in der Schule aber auch zu Hause und anderen sozialen Kontexten) kann durch diese kovariierenden Störungen im pädagogischen Alltag deutlich erschwert werden.
Linderkamp (vgl. 1998, S. 4) nennt zwei größere Subgruppentypen möglicher Komorbiditäten:
- ADHD und Dissozialität
- ADHD und emotionale Beeinträchtigungen
Erstere können als expansiv-ausagierendes, letztere als eher zurückgezogen-introvertiertes Verhaltensweisen beschrieben werden. Zahlreiche Studien belegen kulturübergreifend, dass folgende psychische Auffälligkeiten mit ADHD assoziiert sein können. Folgende Auflistung gibt einen Einblick in die häufigsten kovariierenden Störungen von Aufmerksamkeitsstörungen (bei Angaben ohne Vorkommenshäufigkeit liegen keine Zahlen vor):
Tabelle 5.: Kovariierende Störungen von ADHD
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Vgl. Naumann 1996, S. 93-99, Linderkamp 1998, S. 2-11, Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 7-9).
Lauth und Schlottke (2002, S. 24) weisen darauf hin, dass die teilweise sehr hohen Koinzidenzraten nicht für alle Formen von Aufmerksamkeitsstörungen gleichermaßen gelten, sondern vor allem für Kinder mit überwiegend hyperaktiv-impulsivem Verhalten.
Da diese Arbeit im späteren Verlauf differenzierter auf das System Schule und ADHD eingeht und mit der Institution Schule oft Intelligenz assoziiert wird, greift diese Stelle ausdrücklich das Thema Intelligenzleistung von Kindern mit ADHD auf. In der älteren Literatur wird häufig erwähnt, Kinder mit ADHS lägen in ihrer Intelligenzleistung bis zu 15 IQ-Punkte unter dem Durchschnitt, oder seien überdurchschnittlich häufig hoch begabt, aber neuere und neueste Studien weisen explizit nach, das Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen einer normalverteilten Intelligenzleistung unterliegen (vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 9), wie Kaplan et al. (2000, S. 431) feststellen: „We conclude that (...) the intelligence of children with ADHD did not differ from a normal distribution”.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Kinder mit ADHD und komorbiden Störungen weitaus größeren Entwicklungsrisiken unterliegen, als Kinder mit einer ausschließlichen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung; außerdem ist der sozio-ökonomische Status dieser Gruppe mit Mehrfachdiagnosen geringer (vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 8).
1.3.3. Exkurs zum Verständnis von Aufmerksamkeit
Bevor auf die Bedingungsfaktoren von ADHD näher eingegangen wird, soll das im Mittelpunkt der aktuellen Forschung über ADHD stehende Kernsymptom Unaufmerksamkeit genauer betrachtet werden. Die folgenden Ausführungen stellen dar, in welchem Verständnis diese Arbeit den zentralen Begriff Aufmerksamkeit benutzt. Nach Neumann (1992, S. 43ff) beschreibt Aufmerksamkeit mehr als es herkömmlich genutzte Metaphern wie „Scheinwerfer“ oder „Flaschenhals“ suggerieren. Die Prämisse, dass Aufmerksamkeit ihrem Wesen nach einer begrenzten Kapazität unterliege und Selektion nur deshalb stattfinde, weil das System mit dieser knappen Ressource haushälterisch umzugehen habe, wird verworfen. Stattdessen formuliert Neumann (1992, S. 92-96) ein alternatives, aus fünf Komponenten bestehendes Aufmerksamkeitskonzept, in dem Aufmerksamkeit als eine komplexe Handlung beschrieben wird:
Fünf-Komponenten-Konzept der Aufmerksamkeit nach Neumann
Verhaltenshemmung
Durch die Verhaltenshemmung wird erreicht, dass unvereinbare Handlungen zugleich ablaufen können und nur eine Tätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt wird. Bevor unerwartete Reize ein neues Verhalten in Gang setzen, wird zunächst eine Orientierungsreaktion ausgelöst, die das laufende Verhalten unterbricht. Das gerade ablaufende Verhalten wird offenbar in abgestuftem Ausmaß gegen eine Unterbrechung durch neue Reize „geschützt“. Sie trägt der alltäglichen Erfahrung „Rechnung“, dass es Menschen schwer fällt, Aufmerksamkeit zu teilen.
Regulation des psychophysiologischen Erregungsniveaus
Diese Regulation gibt vor, was zu tun und was zu unterlassen ist (Effortrekrutierung). Es handelt sich hier um den Aspekt der Aktivierung bei der Vorbereitung einer Handlung. Verschiedene Faktoren sorgen für das Phänomen, dass Aufmerksamkeit weniger nach dem „Ein-/ Aus-Prinzip“ gesteuert wird, sondern dass sie vielmehr hinsichtlich ihrer Intensität variieren kann – aufmerksamkeitsgestörte Kinder können auch enorme Aufmerksamkeitsleistungen erbringen, oftmals zur Verwunderung ihrer Bezugspersonen.
Informationsselektion zur Handlungssteuerung
Informationsselektion setzt ein, wenn durch die Effortrekrutierung entschieden ist, was getan und unterlassen wird, denn es ist noch nicht entschieden, wie die Handlung auszuführen ist. Es handelt sich um die sensorische Komponente der Aufmerksamkeit, es müssen diejenigen Reize bestimmt werden, die beachtet werden sollen, um eine Handlung auszuführen. Zur Verdeutlichung eignet sich folgendes Beispiel: Zum Apfelpflücken eignen sich zahlreiche Äpfel, aber einer muss ausgewählt werden. Und eine gefallene Entscheidung zur Handlung darf nicht andauernd wieder revidiert werden. Hierbei spielen Bahnungs- und Hemmungsprozesse auf subkortikaler Ebene eine entscheidende Rolle.
Spezifikation von Handlung durch Handlungsplanung
Kinder können nur eine Handlung zu einer Zeit ausführen, diesen Umstand gleichen sie aus, indem sie relativ oft und schnell zwischen verschiedenen Handlungen wechseln. Erwachsene können mehrere Dinge zugleich tun, beispielsweise einen Text nachsprechen und dabei auf dem Klavier ein Stück vom Blatt spielen oder einen Text lesen und dabei diktierte Wörter aufschreiben. Handlungsplanung wird vor allem als selbstregulativer Mechanismus zur Selbststeuerung verstanden; Aufmerksamkeit kann auf eine bestimmte Tätigkeit gerichtet werden und verbleiben, ablenkende Reize finden dann keine Beachtung. Wenn überhaupt, ist diese Fähigkeit der o. g. und von Neumann verworfenen Annahme einer begrenzten Kapazität ähnlich, evtl. auf Grund begrenzter neurophysiologischer Gegebenheiten.
Hemmung beim Einsatz von Fertigkeiten
Man kann nicht eine Handlung zugleich auf zwei Weisen ausführen. Die Ausführung verschiedener Tätigkeiten führt zu einer Interferenz zwischen diesen. Es sind Mechanismen, die eine Konkurrenz um Fertigkeiten hemmen. Das Ausmaß der Interferenz hängt von der Ähnlichkeit der Tätigkeiten ab. Nur bestimmte Handlungen können durch ausgedehnte Übung die Interferenz verringern (vgl. Neumann 1992, S. 83-96).
Diese Darstellung des Konzepts der Aufmerksamkeit soll verdeutlichen, dass immer, wenn von „der Aufmerksamkeit“ die Rede ist, ein komplexer Handlungs-Prozess stattfindet. Aufmerksam zu sein ist eine aktive Handlung, die erlernt und beherrscht werden muss. Dieses Erlernen entwickelt sich erst im Laufe der Kindheit; Kinder lernen, sich auf wichtige, aufgabenrelevante Einzelheiten zu konzentrieren. Mit zunehmendem Erlernen gelingt es ihnen besser, wichtige Informationen von weniger wichtigen zu unterscheiden und sich bevorzugt an die zu erinnern, auf die es ankommt – der Aufmerksamkeitsumfang und die Aufmerksamkeitsspanne vergrößern sich. Mehrere kognitive Voraussetzungen, wie Suchstrategien, Gedächtniskapazität, Selbststeuerung, entwickeln sich und verbessern das zielgerichtete Verhalten. Bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen sind diese Prozesse nicht richtig entwickelt, Störungen der Aufmerksamkeit sind in allen fünf Komponenten möglich (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 33, Hach, Ruhl, Knölker 2000, S. 47).
1.3.4. Ätiologische Erklärungsansätze und Pathogenese
Kapitel 1.2. zeichnet den Weg der verschiedenen Erklärungen von Aufmerksamkeitsstörungen nach. Deutlich wird, dass durch neuere Erkenntnisse in der Wissenschaft monokausale Erklärungen durch multifaktorielle Bedingungsmodelle ersetzt worden sind. Gegenwärtig stehen verschiedene, zur Diskussion stehende, ätiologische Erklärungsansätze von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen nebeneinander, die alle von einer multikausalen Verursachung ausgehen, sich dabei aber ADHD aus unterschiedlichen Blickrichtungen nähern. Die medizinisch-psychiatrische Sichtweise betont eher die neurologisch-neurochemische Komponente, psychologische Ursachenmodelle verweisen auf den Einfluss eingeschränkter Selbstregulationsfähigkeit und beeinträchtigter Ausführungsfertigkeiten zur Verhaltenssteuerung (vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 9f, Lauth, Schlottke 2002, S. 33ff).
Hierauf wird im weiteren Verlauf detaillierter eingegangen; es soll versucht werden, einen Überblick der gegenwärtigen Diskussion über die Pathogenese von Aufmerksamkeitsstörungen – umfassend, aber nicht das Thema der Arbeit aus dem Blick verlierend – gegeben werden, um ADHD besser zu „durchschauen“ und ein eigenes „Bild vor Augen“ haben zu können. Die folgende Tabelle stellt verschiedene wichtige Faktoren der Pathogenese (der Verursachung und Manifestation) von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen dar. Anschließend werden diese kurz beschrieben.
Tabelle 6.: Ätiologische Faktoren von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 33ff, Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 9ff)
(Neuro-)biologische Faktoren
Verschiedene neurologische oder biologische Faktoren werden für die Manifestation von ADHD verantwortlich gemacht. Eine angenommene erhöhte biologische Vulnerabilität beschreibt eine gewisse Disposition, d. h. es besteht ein bestimmtes Grundrisiko, Aufmerksamkeitsstörungen zu entwickeln.
Des Weiteren können die Gehirne von Kindern mit ADHD in bestimmten Regionen Veränderungen, bzw. Dysfunktionen aufweisen. Diese Regionen werden zwischen Frontalhirn und Basalganglien lokalisiert. Verschiedene neuroanatomische Netzwerkstrukturen erscheinen als weniger leistungsfähig, vor allem in der Verbindung zwischen Thalamus und dem kortikal-striatalen Netzwerk sind Abweichungen feststellbar. Außerdem lässt sich durch verschiedene, neuartige bildgebende Verfahren zeigen, dass der Blutfluss im Bereich des frontalen Kortex und der Basalganglien unter Anforderung im Vergleich zu unauffälligen Kindern an diesen Stellen vermindert ist (diese Sachverhalte stellen die Basis einer Pharmakotherapie dar, vgl. Punkt 1.4.1.). Diese neurochemischen Auffälligkeiten gelten als (Mit-)Verursacher der Symptome von ADHD, vor allem dem dopaminergenen Neurotransmittersystem wird eine bedeutende Rolle zugewiesen. Diese Störung der zentralnervösen Reizübertragung/ Regulation bzw. Verfügbarkeit von Überträgerstoffen geht oft mit o. g. strukturell nachweisbaren Befunden einher. Zudem wird bei Betroffenen eine Aktivierungsregulationsstörung vermutet; sowohl zu einer Theorie der generellen Überaktivierung als zur Annahme einer Unteraktivierung liegen Vermutungen vor, allerdings belegen neuere Erkenntnisse, dass nicht von einer generellen Über- oder Untererregung gesprochen werden kann, sondern vielmehr ein Steuerungsproblem der Aktivierung (Regulation der Wachheit) vorliegt. Diskutiert wird zusätzlich eine Störung der Inhibitionsvorgänge, der Hemmung von Impulsen. Diese inhibitorischen Prozesse gelten als grundlegend für die executive functions. Ob diese strukturellen Veränderungen Ursache oder Folge (auf Grund einer möglichen enormen Neuroplastizitätsleistung des Gehirns) einer Aufmerksamkeitsstörung sind, wird kontrovers diskutiert.
Genetische Disposition
In Familien mit Kindern mit ADHD lässt sich eine erhöhte Prävalenz von Aufmerksamkeitsstörungen nachweisen. Auch bei Zwillingen liegt ein erhöhtes Vorliegen von ADHD bei beiden Kindern vor. Dieses lässt auf eine genetische Mitverursachung von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen schließen, auf eine so genannte genetische Disposition. Keinesfalls wird eine Störung genetisch direkt „vererbt“, sondern biologische Dispositionen, die die Ausbildung einer Störung begünstigen. Molekulargenetische Ansätze spekulieren, ob nicht bestimmte Dopamin-Transportergene neurobiologische Grundlagen „schaffen“, welche zur Symptomatik von ADHD führen können.
Psycho-soziale Bedingungen
Neben einer genetischen, neurobiologischen Disposition werden verschiedene psycho-soziale Bedingungen für die Manifestation einer Aufmerksamkeitsstörung zu Grunde gelegt. Das Diathese-Stress-Modell erläutert, dass neben einem bestimmten Grundrisiko (genetische Disposition, neurologische Faktoren), erst verschiedene Stressfaktoren die Manifestation der Störung begünstigen. Ob und wie sich ADHD manifestiert, fortbesteht und aufrechterhalten wird, hängt dann von der Kombination einzelner Risiken ab, die im Folgenden dargestellt werden. Aufmerksamkeitsgestörte Kinder zeigen weniger Verhaltensschwierigkeiten, wenn sie unter direkter Anleitung stehen und rasche, direkte Rückmeldungen über ihr Verhalten bekommen, im Umkehrschluss bedeutet ein Mangel dessen eine Manifestationsbegünstigung der Störung. Das ungünstige Verhalten der betroffenen Kinder wird von Bezugspersonen oftmals vor allem bestraft und im Gegenzug positiv gezeigtes Verhalten, erwünschte Verhaltensweisen eher selten belohnt und selten unterstützt. So besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich negative Interaktionsmuster zwischen den Kindern mit ADHD und ihren Bezugspersonen etablieren, d. h. die Interaktion verläuft dann deutlich direktiver, kontrollierender, weniger ermutigend und weniger verstärkend. Es können sich negative Verstärkungsmuster bilden. Auf unerwünschtes Verhalten wird negativ reagiert und über wechselseitige „Bestrafungsmuster“ kann sich ein „erzwingendes Verhalten“ (coercion) entwickeln. Resultieren kann eine Art „Teufelskreis“, eine wechselseitige aversive Kontrolle (Eltern kann auch durch Lehrer bzw. eine allgemeine Bezugsperson ersetzt werden):
Abbildung 1.: Entwicklung negativ kontrollierender Interaktion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Döpfner 2000, S. 162)
In Kapitel 2.3. wird auf diese Abbildung differenzierter eingegangen.
Weitere negative Unterstützungsfaktoren einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung können ungünstige familiäre Bedingungen, u. a. andere in der Familie vorkommende psychische Störungen (z. B. Depression oder Alkoholmissbrauch eines Elternteils), darstellen. Die Reaktionen der Umwelt auf das Kind mit ADHD sind, wie bereits beschrieben, häufig eher aversiv-kontrollierend. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko der Ausweitung des problematischen Verhaltens auch außerhalb der eigentlichen Stress-Situation, d. h. das Verhalten kann auch im Freundeskreis, in der Schule und zu Hause gezeigt werden und generalisieren. Durch zunehmend negative Reaktionen der Umwelt kann sich beim Kind ein negatives Selbstbild verfestigen, welches wiederum oft durch expansive Verhaltensweisen kaschiert wird. Resultat können extreme Stimmungsschwankungen und eine niedrige Frustrationstoleranz sein – Faktoren, die zur Aufrechterhaltung von ADHS beitragen.
Kompetenz- und Performanzmängel
Betroffene Kinder verfügen über eine eingeschränkte Selbstregulationsfähigkeit. Allerdings reagieren sie nicht in allen Situationen gleichermaßen impulsiv und ungesteuert. Dieses Defizit wird vor allem in Situationen deutlich, wenn verlangt wird, eine Bedürfnisbefriedigung aufzuschieben und längerfristige Belohnungen zu erreichen, d. h. detaillierter betrachtet ist nicht allein die Inhibitionskontrolle als vielmehr die Sensitivität für Belohnungen gestört. Das impulsiv-vorschnelle Verhalten stellt dementsprechend ein eher ungünstiges Suchen nach Belohnung dar und ist vor allem auf möglichst rasche Bedürfnisbefriedigung ausgelegt – einen Aufschub erleben aufmerksamkeitsgestörte Kinder so aversiv. Es können als Folge dessen keine adäquaten Verhaltensregulationssysteme, Selbstbelohnungssysteme und eine hinreichende Selbstkontrolle aufgebaut werden. Zudem fällt aufmerksamkeitsgestörten Kinder eine ausreichende Selbst-Motivation deutlich schwerer als unauffälligen Kindern. Barkley spricht sogar von „ADHD as a motivation deficit disorder“ (1999, S. 26), denn es wird häufig berichtet, das die vermeintlich aufmerksamkeitsgestörten Kinder oftmals stundenlang bestimmte, für sie hochattraktive Aktivitäten konzentriert und ausdauernd ausüben können. Eine starke Beeinträchtigung bei ADHD liegt außerdem in den Ausführungsfertigkeiten vor, den executive functions. Kinder mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen haben Schwierigkeiten, Bedeutsames früh und sicher zu erkennen, lösungsrelevante Informationen zu fokussieren, die nötige Wachheit zu erbringen, sich selbst zielgerichtet anzuleiten, Risiken abzuschätzen, und Handlungen zu planen. Vor allem im Bereich des Arbeits- und Kurzzeitgedächtnisses, der Selbstregulation von Affekten und der Motivation, im Bereich der Internalisierung von Sprache (innerer Monolog) sowie im Bereich der Wiederherstellung und Entwicklung von Handlungssequenzen sind die exekutiven Funktionen gestört.
Abschließend lässt sich feststellen, dass der Manifestation und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen eine komplexe Interaktion verschiedener endogener und exogener Faktoren zu Grunde liegt und eine Reduktion auf eine monokausale, einseitige Verursachung vor diesem Hintergrund unter Beachtung des aktuellen Standes der Forschung zu Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen nicht haltbar ist (vgl. Barkley 1999, S. 225ff, Döpfner, Schürmann, Frölich 2002, S. 23ff, Lauth, Schlottke 2002, S. 33ff, Döpfner 2000, S. 160ff, Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 47ff, Lauth, Schlottke 2001, S. 205, Steinhausen 1995, S. 21ff).
Bedingungsmodell nach Lauth und Schlottke
Als zusammenfassendes Modell wird das biologisch-behaviorale Modell nach Lauth und Schlottke (2002, S. 61) abgebildet. Dieses integrative Modell berücksichtigt, dass aufmerksamkeitsgestörte Kinder sich nicht immer gleich auffällig verhalten, ihr problematisches Verhalten situationsbezogen unterschiedlich und besonders dann auftritt, wenn sie sich länger und selbständig und mit nur mäßig interessanten Tätigkeiten beschäftigen (müssen). Das Modell erklärt die Manifestation und Aufrechterhaltung von ADHD anhand fünf hierarchisch und interaktional aufeinander bezogener Erklärungsebenen. Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Bedingungsfaktoren werden im folgenden Modell aufgenommen und zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. Lauth, Schlottke, 2002, S. 60f).
Abbildung 2.: Biologisch-behaviorales Modell von Lauth und Schlottke
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Lauth, Schlottke 2002, S. 61)
Interventionen können, analog zu diesem Modell, auf verschiedenen Erklärungsebenen ansetzen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird dieses Modell wieder aufgegriffen werden, um die Relevanz von pädagogischen Interventionen in der Schule zu verdeutlichen.
1.3.5. Prävalenz
Wie bereits erwähnt sind Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen die mittlerweile am häufigsten diagnostizierte Verhaltensstörung des Kindes- und Jugendalters. Vorweg sei festgestellt, dass die Zahl der Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen nicht angestiegen ist, wie es populäre Berichterstattungen suggerieren. Nachweisbar ist die Zahl in den letzten Jahren annährend gleich geblieben (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 49). Nach Angaben des DSM-IV der APA ist von einer kulturunabhängigen Vorkommenshäufigkeit von drei bis fünf Prozent (vgl. Barkley 1999, S. 79) auszugehen. Laut Döpfner (2000, S. 158) liegen die Prävalenzraten nach dem ICD-10 der WHO deutlich unter den drei bis fünf Prozent. Verschiedene Angaben zur Epidemiologie von ADHD entstehen vor allem durch die zur Diagnostik ausgewählten Kriterien, die eingesetzten Instrumente und natürlich maßgeblich durch die Auswahl der Beurteilerquelle und die untersuchte Stichprobe. Neuere Untersuchungen belegen Häufigkeiten zwischen fünf und sieben Prozent. Lauth und Lamberti ermitteln z. B. eine Prävalenz unter Grundschülern von 7,2 Prozent (1997, S. 197ff und Lauth, Schlottke 2002, S. 21). Frühere Untersuchungen ergaben unter Beachtung der o. g. Faktoren Prävalenzraten von bis zu 20 Prozent aufmerksamkeitsgestörter Kinder oder Kindern mit deutlichen Symptomen von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen (vgl. Barkley 1999, S. 79, Lauth, Schlottke 2002, S. 21f, Bach, Knöbel, Arenz-Morek, Rosner 1984, S. 68/97). Häufig deutlich zu hohe Prävalenzraten ergeben Untersuchungen, in denen ausschließlich das Lehrer- bzw. Erzieherurteil beachtet wird; bei bis zu 18 Prozent ihrer Schüler beobachten Lehrer Aufmerksamkeitsstörungen. Als „Faustregel“ gilt: pro Schulklasse gibt es ein bis zwei Kinder mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. Wählt man bereits als verhaltensauffällig erkannte Kinder als Stichprobe, findet sich eine deutlich höhere Vorkommenshäufigkeit von 24 bis zu 56 Prozent (vgl., Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 37, Lauth, Schlottke 2002, S. 21-25).
Bei Jungen wird eine Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung öfter als bei Mädchen diagnostiziert. Es kann von einer Verteilung von drei zu eins bis neun zu eins von Jungen zu Mädchen ausgegangen werden. Als Ursache dieser Überrepräsentation von Jungen mit Aufmerksamkeitsstörungen werden eine biologisch-genetische Disposition zu expansivem Verhalten bei Jungen, eine höhere Toleranz gegenüber auffälligem Verhalten von Mädchen und eine stärkere Beachtung von Jungen in der Forschung diskutiert (vgl. Petermann, Döpfner, Lehmkuhl, Scheithauer 2000, S. 29ff, Lauth, Schlottke 2002 , S. 26).
1.4. Diagnostik
Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (vgl. www.awmf.de) regeln die Diagnostik von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen verbindlich.
Danach stützt sich die Diagnostik immer auf mehrere Informationsquellen, klärt die Fähigkeiten des Kindes und seine Lebensbedingungen und versucht, verschiedene kritische Alltags-Lebensbereiche und Situationen (z. B. das Verhalten in der Schule, Problemsituationen zu Hause) zu beobachten.
Folgende Punkte können als Diagnosestandard für Pädiater, Kinder- und Jugendpsychiater oder Kinder- und Jugendpsychotherapeuten bei der Diagnostik von ADHD gelten:
- Exploration der Eltern (bzw. gesetzlicher Vertreter) und des Kindes
- Störungsspezifische Entwicklungsgeschichte wird nachvollzogen und eventuelle Begleitstörungen ermittelt
- Orientierende Intelligenzdiagnostik/ (Entwicklungs-)Testdiagnostik wird vorgenommen
- Informationen aus der Schule werden eingeholt
- Genauere Abklärung der schulischen Leistungsfähigkeit, wenn es Hinweise auf Leistungsprobleme gibt
- Eventuell eine apparative Labordiagnostik
Als Grundlage dienen die Klassifikationssysteme der APA, das DSM-IV oder der WHO, das ICD-10. Des Weiteren werden verschiedene Fragebögen (zur Eigen- und Fremdbeobachtungsbeurteilung) zur Exploration eingesetzt, die u. a auch das Lehrerurteil auf differenzierte Art und Weise mit einbeziehen. Hierbei geht es meistens um eine exakte Problemanalyse von bestimmten kritischen Situationen und Verhaltensweisen. Zur speziellen Abklärung der Aufmerksamkeitsleistung der Kinder existieren verschiedene Aufgaben/ Tests, z. B. der Dortmunder Aufmerksamkeitstest (DAT) von Lauth (1993). Mit diesen und ähnlichen Aufgaben/ Tests lassen sich genaue Rückschlüsse auf die Störungsschwerpunkte ziehen – so können nicht nur für die therapeutische Arbeit sondern auch für den schulischen Alltag wichtige Ansatzpunkte gefunden werden, um den aufmerksamkeitsgestörten Schüler adäquat zu fördern. Außerdem sind diese Instrumente auch von Pädagogen einsetz- und auswertbar (vgl. Lauth, Schlottke, S. 71, http://www.awmf.de).
1.4.1. Interventionsmöglichkeiten
Eine moderne Therapie von ADHD bedeutet heute, einen multimodalen Therapieansatz zu wählen. Verschiedene „Therapiebausteine“ können individuell kombiniert werden, um einen möglichst optimalen Therapieverlauf zu gewährleisten. Folgende „Bausteine“ können in einer multimodalen Therapie kombiniert werden:
Pharmakotherapie
Als Wirkstoff der Wahl ist das Psychostimulanz Methylphenidat, am bekanntesten unter dem Handelsnamen Ritalin®, angezeigt. Dieses zentralnervös anregend wirkende Stimulanz führt bei über 70 Prozent der therapierten Kinder zu einer raschen und sicheren Verbesserung des Aufmerksamkeitsverhaltens und der Selbststeuerung des Kindes. Zeigt das Medikament keine Wirkung, kommen andere Psychopharmaka, z. B. Neuroleptika, zum Einsatz. Eine medikamentöse Therapie wirkt nur während einer aktuellen Einnahme. Nach Absetzen kommt es zur Remission der Symptome, d. h. es ist angezeigt, den Kindern während einer medizinischen Therapie zusätzlich psychotherapeutische (und in der Schule auch pädagogisch-didaktische) Angebote zu unterbreiten, um dem Kind eine persistierende Verbesserung seines Verhaltens zu ermöglichen. Zur Verdeutlichung der aktuellen pharmakotherapeutischen Situation in Deutschland: die Anzahl der Tagesdosen Methylphenidat ist von 1991 bis 1999 auf das 21fache angestiegen. Diese Menge reichte, um 1999 ca. 41 000 Kinder mit dem nur durch ein Betäubungsmittelrezept erhältlichen Methylphenidat behandeln zu können. Noch einmal verdoppelt hat sich die Zahl der medikamentösen Behandlungsprävalenz mit Methylphenidat von 1998 bis 2000. Angezeigt ist eine medizinische Therapie vordergründig in Krisensituationen (vgl. Ferber et al. 2003, S. 39).
Psychoedukative Maßnahmen
richten sich an das Kind selbst, an seine Eltern (gesetzlichen Vertreter/ Betreuer), an Lehrer und Geschwister. Diese bedeuten eine umfassende Aufklärung über typische Verhaltensweisen, Schwierigkeiten und Ursachen von ADHD. Vor allem die Vermittlung eines objektiven Störungsbildes ist unerlässlich, um falschen Vorstellungen über ADHD entgegentreten zu können. Neben einem Elterntraining und der Analyse der Familiensituation kann idealerweise auch ein Lehrertraining durchgeführt werden, um eine generalisierende Wirkung der Therapie zu erlangen. Vorrangig geht es um den Abbau bestehender Ursachenvorstellungen bei Eltern und Lehrer (etwa ADHD als Ausdruck gestörter Familiensysteme, die Störung sei Ausdruck und Folge einer Nahrungsmittelallergie oder Ausdruck einer fortdauernden Reizüberflutung) und darum, ein neues Verständnis von ADHD zu entwickeln, das Aufmerksamkeitsstörungen als eine Handlungsbeeinträchtigung begreift.
Kompetenzvermittlung im Rahmen kognitiver Verhaltensmodifikation
Es sollen dem Kind Selbststeuerungsfertigkeiten, Planungsfertigkeiten und Selbstanweisung vermittelt werden. Verschiedene verhaltenstherapeutische Instrumente kommen zum Einsatz, u. a. Selbstinstruktionstrainings, Selbstmanagement-Verfahren, operante Verstärkung, Spieltrainings und kognitives Modellieren. Darüber hinaus kann ein Eltern-Kind-Programm, eine familienzentrierte Intervention, durchgeführt werden, bzw. eine differenzierteres Lehrertraining, welches dem Lehrer psychologische, pädagogisch-didaktisches Wissen vermittelt, wie Schüler mit ADHD am besten von Unterricht profitieren können (Kapitel 3.6. stellt diese Interventionen differenzierter vor).
Therapie komorbider Merkmale
Neben der Therapie der aufmerksamkeits- und hyperaktiven Störungssymptomatik werden, bei Vorliegen eventueller kovariierender Störungen und Entwicklungsstörungen, diese synchron oder zeitversetzt auch therapiert (vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 20f, lauth, Schlottke 2002, S. 71ff, Lauth, Schlottke 2001, S. 205ff, Döpfner 2000, S. 165f,).
2. Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen in der Schule
Der folgende Teil der Arbeit wird die Situation von aufmerksamkeitsgestörten Kindern in der Schule differenziert analysieren. Gravierende Probleme aufmerksamkeitsgestörter Kinder entstehen oftmals erst oder verschlimmern sich deutlich durch die Einschulung. Lauth und Schlottke bemerken, dass Aufmerksamkeitsstörungen sich vor allem in Zusammenhang mit der Schule zeigen (2002, S. 6). Für Eisert gelten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen als „klassische Schulkrankheit“ (Eisert nach Lauth, Knoop 1998, S. 21). An dieser Stelle soll die Situation von Schülern mit ADHD in der Schule genauer analysiert werden, um darzustellen, wie sich Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen in der Institution Schule auswirken und welche Konsequenzen für die betroffenen Kinder daraus resultieren können.
2.1. Die Institution Schule und ADHD
Die Institution Schule, vor allem die Grundschule, ist für die Zeit des Schulbesuchs die zentrale Lebens- und Lernstätte der Kinder. Der Verpflichtung zum Schulbesuch auf Seiten der Schüler entspricht auf Seiten der Schule eine Verpflichtung zur umfassenden Sorge für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Bildung sowie Erziehung der Kinder. Jedem Kind wird ein Lernen in der Gemeinschaft mit anderen angeboten, Kinder werden zur Mitgestaltung der gemeinsamen Angelegenheiten ermutigt und angeregt. So wird ihnen eine sinnvolle Aneignung der Welt ermöglicht (vgl. Faust-Siehl et al. 2001, S. 14ff). Was bedeutet das für Schüler mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung?
Aufmerksamkeitsgestörte Kinder sind in der Schule den verschiedensten Anforderungen ausgesetzt, die sie immer wieder mit Situationen konfrontieren, in denen ihr auffälliges Verhalten besonders problematisch erscheint: Schulischer Alltag erfordert permanent Leistung, vor allem in Form von Aufmerksamkeit. Die Wissensvermittlung findet in der Schule zu großen Teilen über verbale Kommunikation und oft überwiegend in frontaler Form statt. Mit zunehmendem Alter wird ein selbstständigeres Arbeiten verlangt. Des Weiteren wird in ständigem Sozialkontakt zu Gleichaltrigen gelernt und gelebt, d. h. einzelne müssen lernen ihre Bedürfnisse zurückzuhalten und Konflikte konstruktiv zu lösen. Im Schulalltag müssen klar vorgegebene Regeln befolgt werden, zudem ist der Schultag arm an körperlicher Aktivität – Schulzeit bedeutet hauptsächlich „(Still-)Sitzzeit“ (vgl. Jank, Meyer 1994, S. 274ff). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass von Schülern mit ADHD Leistungen abverlangt werden, die für sie durch die Störungssymptomatik von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen schwer erfüllbar sind.
2.2. Auswirkungen der Kardinalsymptome
Vor allem die drei ADHD-Kardinalsymptome fallen im organisierten Schulalltag deutlich auf: Die Unaufmerksamkeit bzw. Aufmerksamkeitsstörung, das impulsive Handeln und die extensive Unruhe, d. h. die Hyperaktivität. Kapitel 1.1. hat bereits ausführlich das störungsspezifische Verhalten von Kindern mit ADHD dargestellt, im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie sich die Hauptsymptome einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung auf den Alltag in der Schule auswirken. Schüler mit ADHD werden von Lehrern zumeist als hochgradig störend wahrgenommen (vgl. Lauth, Knoop 1998, S. 22). Eine Vielzahl an Faktoren verursachen diese Lehrereinschätzung – dem soll hier anhand einer Analyse der drei Kardinalsymptome von ADHD in Hinsicht auf ihre Wirkung im Schulalltag nachgegangen werden.
2.2.1. Aufmerksamkeitsstörung
Schüler mit ADHD erleben im Schulalltag häufig Situationen, in denen von ihnen verlangt wird, kurze (meist verbal vermittelte) Instruktionen aufzunehmen und anschließend selbstständig eine gestellte Aufgabe oder Tätigkeit auszuführen. Bei der Analyse wird deutlich, welche Fähigkeiten zur adäquaten Bearbeitung notwendig sind: Im Sinne von Neumann (1992) stellt Aufmerksamkeit einen komplexen Prozess dar, dieser Prozess der Herstellung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeitsleistungen kann bei Schülern mit ADHD auf unterschiedliche Weise gestört sein. Eine nur verbal formulierte Arbeitsinstruktion muss vom Kind inhaltlich verstanden werden und dann im Arbeitsgedächtnis gespeichert bleiben, um in einem inneren Dialog bei der Durchführung der gestellten Aufgabe abrufbar zu sein. Aufmerksamkeitsgestörte Schüler haben bereits hier Probleme, da ihr Arbeitsgedächtnis nicht optimal arbeitet. Anschließend muss der Schüler einen Lösungsweg entwickeln und verfolgen. Das geschieht normalerweise durch einen automatisierten inneren Dialog, durch Selbstanweisungen zur Aufrechterhaltung der Motivation und Strukturierung des Vorgehens. Wichtige Informationen müssen von weniger relevanten unterschieden werden, zudem muss die Anstrengungsbereitschaft zur Lösung einer vielleicht minder interessanten Tätigkeit aufrecht erhalten werden (effort control). Diese selektive Aufmerksamkeit beinhaltet zusätzlich die Fähigkeit, äußere Reize nun außer Acht lassen zu können, d. h. im Klassenraum Mitschüler oder andere „Störfaktoren“ ausblenden zu können. Schülern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen bereiten alle diese beschriebenen Fähigkeiten – zur Lösung nur einer Aufgabe – bereits große Schwierigkeiten, da sie über basale Fähigkeiten der Aufmerksamkeitsherstellung- und Aufrechterhaltung nicht kontrolliert verfügen können. Schüler mit ADHD erleben diese beschriebene Situation und Anforderung mehrmals in nur einer Unterrichtsstunde.
Die anfallenden Probleme nehmen mit steigender Anforderung des vermittelten Inhaltes zu und ein Erleben von vielen Misserfolgen im Unterrichtsalltag kann zu einer Misserfolgserwartung der Kinder führen. Eine Vermeidung dieser Misserfolge produziert störendes Verhalten, das Kind reagiert in den Augen der Lehrperson auffällig. Zur Verdeutlichung: Ausgangssituation ist eine alltägliche Mindestanforderung an Schüler – und bereits diese kann in vielen Fällen bei betroffenen Kindern in der Schule zu Schwierigkeiten führen. Verantwortlich hierfür ist eine gestörte Regulation der „Wachheit“ und des Aufrechterhaltens von Aufmerksamkeit. Folglich können aufmerksamkeitsgestörte Schüler auf Lehrer unorganisiert, faul, verträumt, unmotiviert und, bedingt durch Vermeidungsstrategien, aufsässig oder aggressiv wirken. Generell fällt es den betroffenen Kindern schwer, bei einer Aufgabe zu bleiben, jegliche äußere (Stör-)Reize nehmen sie sofort auf und reagieren auf sie, d. h. sie beenden die ursprünglich zu erfüllende Arbeit nicht. Sie vergessen häufig die benötigten Materialien bereit zu halten oder mitzubringen, halten kaum Ordnung auf ihren Tischen. Beim Nacherzählen von Geschichten wird der Anfang noch ausgeschmückt, der Rest jedoch oftmals mit nur wenigen Worten rasch beendet. Bekannte Rechtschreibregeln werden nicht angewendet, es bestehen häufig große Leistungsschwankungen. Schüler mit ADHD geben oft angefangene Aufgaben „entnervt“ auf, ärgern sich über sich selbst. Unterricht fordert ihnen ein hohes Maß an Selbstorganisiertheit ab, welches sie kaum zu erfüllen in der Lage sind (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 18ff, Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 41ff, Lauth 2000, S. 211, Lauth, Schlottke 2002, S. 5f).
2.2.2. Impulsivität
Besonders charakteristisch wirkt das impulsive Reagieren von Kindern mit ADHD. So werden beispielsweise noch nicht zu Ende gestellte Fragen beantwortet und die Antwort „platzt“ in den Klassenraum hinein. Auch im schriftlichen Bearbeiten von Aufgaben fallen sie durch ein vorschnelles, unüberlegtes Lösungswege einschlagen auf, ohne eine erkennbare Strategie zu verfolgen: sie beginnen Aufgaben, brechen diese ab, streichen sie durch und nehmen sie dann doch wieder auf. Ungeduld und Unzufriedenheit können zu impulsiven Wutausbrüchen führen oder ein In-Sich-Zurückziehen provozieren. Schüler mit ADHD folgen einer eher ungünstigen Strategie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sie können einen Aufschub von Befriedigung kaum kontrollieren. Ständiges Dazwischenreden, Stören und Unterbrechungen in verschiedenen Situationen sind die Folge. Die mangelnde Impulskontrolle kann sich auch im sprachlichen Bereich auswirken, die Kinder sprechen oft zu laut, übermäßig viel und „verhaspeln“ sich häufig beim Reden. Die Gedanken erscheinen dann häufig als unzusammenhängend. Unbedachte Reaktionen und eine eher niedrige Frustrationstoleranz lassen Situationen leicht, auch auf aggressive Weise, eskalieren (vgl. Zentall, Goetze 1994, S. 82ff, Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 59ff, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 22f).
2.2.3. Hyperaktivität
Die übermäßige motorische Aktivität entspricht im schulischen Kontext einer herausragenden Störungsqualität. Die Kinder stehen regelmäßig auf, obwohl Sitzenbleiben erwartet wird. Ständig scheinen die Schüler in Bewegung, selbst im Sitzen können sie eine große Unruhe produzieren: sie rutschen auf dem Stuhl hin und her, spielen mit Stiften auf dem Tisch oder „fuchteln“ mit ihren Armen und „kippeln“ mit ihrem Stuhl. Diese übermäßige Bewegung lässt sich grob in zwei Verhaltensweisen einteilen: das extensive Herumlaufen im Klassenraum, ein „ständig Unterwegssein“ und ein mit zunehmender Tageszeit zunehmendes Zappeln und Bewegen der Hände und Beine. Die motorischen Ausführungen wirken oftmals ungeschickt und unkoordiniert, die Entwicklung der Motorik insgesamt erscheint verzögert. Feinmotorisch wirkt sich in der Schule bei Kindern mit ADHD eine unsaubere, schlecht lesbare Handschrift aus. Zeilen werden nicht beachtet, die Regeln des Schreibablaufes können nicht eingehalten werden. Da Schreiben einen großen Stellenwert im Schulalltag einnimmt, erleben die betroffenen Schüler auch hier häufig negative Reaktionen durch Lehrer, es entstehen weitere „negative Erfolgserlebnisse“. Nicht zu vergessen sind die häufigen Ermahnungen, still zu arbeiten oder sitzen zu bleiben (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 22f).
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass durch Zeigen der Kardinalsymptome einer Aufmerksamkeits-/ Hyperaktivitätsstörung im schulischen Alltag deutliche Problemsituationen (mit)verursacht werden. Ein Resultat kann sein, dass die Schüler mit ADHD zunehmend in störenden Situationen Zuwendung (wenn auch negativ) erfahren. Negatives Verhalten kann so chronifizieren, das Verhältnis zwischen Lehrendem und Lernenden und zu Mitschülern gestört werden. Diese Erfahrungen mit sich selbst und den Reaktionen anderer Personen können das Kind verunsichern und sein Selbstwertgefühl einschränken. Es kann sich ein negatives Selbstbild verfestigen, Stimmungsschwankungen können auftreten und die Verhaltensschwierigkeiten der betroffenen Kinder fortbestehen und so generalisieren. Unter den bisher genannten Umständen erscheint eine adäquate Schulleistungserbringung nicht möglich (siehe dazu Kapitel 2.4.). Das aufmerksamkeitsgestörte Kind wird – je nach Temperament – unterschiedliche Wege wählen, um diesen Belastungen zu begegnen. Diese Wege können sich in der Schule vor allem in übermäßig aggressiven Verhalten, Trotzverhalten, „Klassen-Clown-Spielen, sozialem Rückzug oder Ängsten äußern. Auswirkungen von ADHD sind als ein deutlicher „Störfaktor“ im System Schule anzusehen (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 9, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 23f, Zentall, Goetze 1994, S. 82f, Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 64ff).
2.3. Soziale Schwierigkeiten von Schülern mit ADHD in der Schule
Die Schule als Ort des Lernens und Lebens in der Gemeinschaft erfordert von Schülern das Einhalten von vorgegebenen Regeln. Besonders Kinder mit ADHD haben große Schwierigkeiten, in sozialen Bezügen Regeln einzuhalten und auch das oben beschriebene Verhalten in der Schule kann zu Konflikten mit Lehrern und Mitschülern führen. Deshalb stehen Gleichaltrige dem Kind häufig eher negativ gegenüber, erleben sie doch regelmäßig ungünstige, belastende und anstrengende Erfahrungen mit den aufmerksamkeitsgestörten Mitschülern. Die Gefühle sind von Stress-Situationen, Ärger, Enttäuschung und Zweifeln geprägt – dies spüren die betroffenen Kinder und es belastet ihre emotionale Entwicklung. Die Kontakte zu Gleichaltrigen (peer group) können vor allem durch Ablehnung gekennzeichnet sein, das ständige Regelnbrechen, im Mittelpunktstehen, Sich-unvorhersehbar-Verhalten, die Aggressivität und die ständig wechselnde Stimmung sind hier beispielhaft als Ursachen zu nennen. Die Kapitel 1.1. und 1.3.1. beschreiben ausführlich das sozial schwierige Verhalten von Kindern mit ADHD (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 18ff, Lauth, Schlottke 2002, S. 8). In der Schule scheint aber ein weiterer Aspekt von großer Bedeutung zu sein: die Beziehung zur Bezugsperson bzw. zu den Lehrern allgemein. Abbildung 1. erläutert in Kapitel 1.3.4. die Entwicklung einer negativ kontrollierenden Interaktion zwischen Bezugspersonen und Schülern; ein „Teufelskreis“ kann sich verfestigen und ein pädagogisch förderliches Miteinander verhindern. Die Abbildung beschreibt das Entstehen einer negativ kontrollierenden Interaktion anhand des Verhaltens von Eltern und Kind – analog dazu können die Entstehungsbedingungen aber auch auf das Verhältnis Lehrer/ Schüler in der Schule oder im Unterricht übertragen werden. Im Folgenden soll das Entstehen dieses „Teufelskreises“ kurz beschrieben werden: Es wird dem Kind eine Aufforderung gestellt, die befolgt oder nicht befolgt werden kann. Wird der Aufforderung nachgekommen, kann die Lehrperson den Unterricht fortführen. Bei Nichtbefolgung wird die Aufforderung meistens wiederholt. Je nach Unterrichtssituation kann dies mehrmals geschehen. In der Regel werden Lehrer nun ärgerlicher, gereizter. Doch auch hier haben Schüler noch die Möglichkeit, irgendwann das zu tun, wozu sie aufgefordert wurden. Kommen sie dann den Aufforderungen nach, kann der Unterricht wieder ungestört fortgesetzt werden. Wird die Aufforderung allerdings wieder nicht erfüllt, folgen oftmals Drohungen. D. h. es wird den Schülern aufgezeigt, was passieren wird, wenn sie nun nicht folgen. Dies geschieht meist schon in einem impulsiv-aufgeregten Tonfall. Auch diese Drohungen werden teilweise mehrmals wiederholt, mehrere Sanktionen genannt. Das Kind kann entweder nach mehrmaliger Androhung der Aufforderung nachkommen – in diesem Fall kann der Unterricht weitergeführt werden oder es verweigert weiterhin ein Befolgen der Aufforderungen der Lehrer. An dieser Stelle wissen Lehrer oft nicht weiter, denn weder ein freundliches Auffordern noch Androhungen von Sanktionen scheinen die Schüler das erwünschte Verhalten zeigen. Folgende zwei Möglichkeiten stellen sich nun den Lehrern: Entweder sie geben nach, um den Unterricht ungestört fortsetzen zu können und fordern nicht mehr das, was sie eigentlich wollten – oder sie reagieren aggressiv-impulsiv autoritär und verweisen die Schüler beispielsweise aus dem Klassenraum.
Analysiert man dieses Geschehen, wird deutlich, das die Schüler hier vielfältige ungünstige Erfahrungen machen, die eher dazu beitragen, dass die Verhaltensprobleme im Unterricht zunehmen. Sind Lehrpersonen inkonsequent und geben nach, machen Kinder die Erfahrung, dass sich eine Verweigerungshaltung lohnt, dass Drohungen meist nicht ernst zu nehmen sind. Sie neigen so dazu, immer häufiger „Nein!“ zu sagen. Setzen sich Lehrer am Ende mittels (aggressiven) Zurechtweisens durch, bieten sie den Kindern ein aggressives Lern-Modell, es wird ihnen vorgelebt, dass der vermeintlich Stärkere durch Einsatz seiner „Macht“ adäquate Lösungen erreichen kann. Außerdem machen die Schüler die Erfahrung, dass selbst im Falle eines Nachkommens von Aufforderungen keine positiven Konsequenzen für sie erfolgen, denn Lehrer loben in diesem Fall nicht, sondern gehen selbstverständlich dem Unterrichten nach. Diese Erfahrung der mangelnden Aufmerksamkeit bei positivem Verhalten kann dazu führen, dass die Kinder diese Aufmerksamkeit durch problematische Verhaltensweisen erlangen und somit Lehrer und Schüler fast nur noch negativ in Interaktion treten. Lehrer beschreiben diese Schüler als störend und trotzig, vorhandenes positives Verhalten wird kaum bewusst wahrgenommen (vgl. Döpfner, Schürmann, Lehmkuhl 2000, S. 130ff). In der Literatur wird die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern mit ADHD häufig als problematisch beschrieben, dieses kann unter Umständen auch durch eine sich verfestigte negative Interaktion begründet sein, ist aber auch in vielen weiteren problematischen Verhaltensweisen von Schülern mit ADHD begründet. Die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen speziellen Bedürfnisse und das gezeigte Verhalten von Kindern mit ADHD fordern von Lehrern eine ständige Zuwendung, ein „Ständig-auf-der-Hut-Sein“ und können sie so an ihre Belastungsgrenzen führen. Lehrer erleben diese Kinder als wenig umgänglich, disziplinlos und aufsässig und neigen dazu sich von ihnen zu distanzieren (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 361, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 23). Aus dieser Kombination negativer Bedingungen können eventuell auch die umschriebenen Schulleistungsprobleme von aufmerksamkeitsgestörten Kindern erklärt werden, die im folgenden Kapitel näher betrachtet werden sollen.
2.4. Der Schulerfolg von Schülern mit ADHD
Bereits in der Einleitung wird erwähnt, dass Schüler mit ADHD mit der Leistungserbringung in der Schule deutliche Probleme haben. Der folgende Teil beschreibt die schulische Leistung von aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Um diese Probleme besser einordnen zu können, werden anschließend die Stärken und Schwächen von Schülern mit ADHD genauer betrachtet, auch, um später Ansatzpunkte für Unterricht mit diesen Kindern aufzuzeigen. „ADHD places children at serious educational risk“ (Barkley 1994, S. 11). Die schulische Leistung von Kindern mit ADHD ist deutlich niedriger als von durchschnittlichen Schülern. Zwischen 30 und 50 Prozent wiederholen im Laufe der Schulzeit mindestens ein Schuljahr, bis zu 20 Prozent werden von ihrer Schule verwiesen, d. h. müssen die Schule wechseln, sie studieren später seltener als durchschnittliche Schüler und erzielen häufiger ungünstige Ausbildungsergebnisse. Bereits nach den wenigen Schuljahren weisen 80 Prozent der elfjährigen Kinder mit ADHD einen Leistungsrückstand von zwei Jahren im Lesen, Buchstabieren, Rechnen und in der Schriftsprache auf, besonders die hohe Komorbiditätsrate von weiteren Verhaltensstörungen erschwert Kindern mit ADHD das Erreichen guter Schulerfolge. Ihre Noten sind durchschnittlich niedriger und sie besuchen in Deutschland überdurchschnittlich häufig eine Sonderschule. Etwa ein Drittel von Schülern mit ADHD verlässt die Schule ohne einen Abschluss (vgl. Naumann 1996, S. 95/96, Zentall, Goetze 1994, S. 83, Barkley 1994, S. 11ff).
2.4.1. Beschriebene Schulleistungsstärken
Aufmerksamkeitsgestörte Schüler fallen nicht nur durch Mängel, Defizite und erwartungswidrige Verhaltensweisen auf. Um dieser Sicht gerecht zu werden, sollen hier auch Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen beschrieben werden. Besondere Ressourcen dieser Kinder können auch als Ansatzpunkte einer Förderung in der Schule und im Unterricht verstanden werden und dürfen von Lehrern nicht übergangen werden. Kinder mir Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sind besonders mutig, sie trauen sich Dinge zu machen, die sich andere nicht zutrauen, z. B. widersprechen sie Autoritätspersonen (den Lehrern, Der Schulleitung, den Schulangestellten). Diese Kinder können andere mitreißen, und offen auf andere Menschen zugehen. Kinder mit ADHD „funktionieren“ nicht einfach, sie demonstrieren Erwachsenen oftmals eine unkonventionelle Herangehensweise an Aufgaben und überraschen durch eine große Neugier und Beobachtung ihrer Umwelt. Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen sind zudem sehr spontan und oft kreativ. Außerdem sind sie sportlichen Aktivitäten gegenüber überaus aufgeschlossen und leben beim Sport ihren Spaß an Bewegung intensiv aus. Haben sie zu Bezugspersonen oder Freunden Vertrauen gefasst, werden Kinder mit ADHD als sehr offen, zugewandt und liebenswert, bestechend durch ihren „kratzbürstigen“ Charme beschrieben. Diese Auflistung bietet Gelegenheit, das Verhalten von „den gestörten Kindern“ aus positivem Blickwinkel zu sehen. Ihr Verhalten soll weder idealisiert werden noch soll von „unerkannten Genies“ „die Rede“ sein. Aber es ist darauf hinzuweisen, dass es Tendenzen zu geben scheint, Kinder mit eindeutig klassifizierbaren psychischen Störungen, speziell mit ADHD, zu pathologisieren und auf ein bloßes „Nicht-Funktionieren“ zu reduzieren. Vielmehr wird an dieser Stelle beabsichtigt, diese durchaus vorhandenen Fähigkeiten, Talente und Vorzüge zu erkennen und die richtigen Nischen zu finden, in denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein individuell befriedigendes Leben führen können. Hierbei muss die Schule eine herausragende „Rolle spielen“ (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 35/36, Jantzen 2001, S. 222ff).
2.4.2. Beschriebene Schulleistungsschwächen
Die Auswirkungen der Schwierigkeiten in sozialen Bezügen, die Aufmerksamkeitsstörung, das impulsive Reagieren und die extensive Überaktivität der aufmerksamkeitsgestörten Schüler sind bisher thematisiert worden. Neben den daraus resultierenden Problemen in der Schule wird nun genauer analysiert, in welchen unterrichtlichen Bereichen Kinder mit ADHD auffällige Leistungsrückstände oder gravierende Lernstörungen aufweisen. Diese lassen sich einerseits durch das Zusammenwirken der bisher genannten problematischen Konstellationen erklären. Das Verhalten und die Fähigkeiten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen stehen oftmals guten Schulleistungen diametral entgegen – andererseits muss aber auch festgestellt werden, dass die Institution Schule den besonderen Bedürfnissen von Kindern mit ADHS nicht gerecht wird.
Sprachunterricht
Neun bis 24 Prozent der Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen haben schwerwiegende Leseprobleme, diese Probleme treten vor allem beim Lesen von längeren Passagen auf. Das reine Wortverständnis scheint weniger beeinträchtigt zu sein, vielmehr bestehen auf der Ebene des Sinn-Verstehens Schwierigkeiten. 38 Prozent der Kinder mit ADHS haben deutliche Probleme mit der Rechtschreibung, zudem verfügen aufmerksamkeitsgestörte Kinder häufig über eine unleserliche Handschrift, die durch Defizite in der visuo-motorischen Entwicklung bedingt sein können. Probleme im sprachlichen Unterricht liegen vor allem darin begründet, dass hier die Vermittlung der Inhalte besonders über die auditive Wahrnehmung läuft und diese Einseitigkeit besonders Aufmerksamkeitsleistungen erfordert: Schüler mit ADHS erreichen bei der Reproduktion von ausschließlich auditiv wahrgenommenen Inhalten unterdurchschnittliche Ergebnisse.
Rechenleistung
Mangelhafte Rechenleistungen zeigen Schüler mit ADHD vor allem bei Aufgaben, die keinen eindeutigen Lösungsweg bieten, d. h. vor allem Textaufgaben, in denen relevante Informationen selektiert oder multiple Strategien angewandt werden müssen – bei diesen Aufgaben werden vor allem das Arbeitsgedächtnis automatisierte innere Dialoge benötigt; Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen können hier deutliche Mängel aufweisen. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Schüler mit ADHD größere Rückstände im Rechnen.
Die meisten Fehler in den Schulfächern gehen zu Lasten der Impulsivität. Die Kinder nehmen sich nicht die Zeit, alternative Lösungswege zu suchen. Zudem besteht Leistungsunterricht zu ca. 20 Prozent aus Lehreranweisungen – und Kindern mit ADHS fällt das selbstorganisierte Arbeiten auf Anweisung oftmals sehr schwer. Punkt 2.3. hat vor allem die sozialen Schwierigkeiten in Schule und Unterricht präzisiert. Hinzuzufügen ist natürlich noch die den herkömmlichen Unterricht störende Überaktivität der betroffenen Kinder. Die Vermittlung von Lerninhalten bedeutet in deutschen Schulen vielfach ein stillsitzendes Rezipieren von angebotenem Lernmaterial und weniger ein selbstständiges, aktives Erlernen; Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen können ihren ausgeprägten Bewegungsdrang hierbei nicht kontrollieren wie durchschnittliche Kinder (vgl. Zentall, Goetze 1994, S. 82ff, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 10ff, Jank, Meyer 1994, S. 274ff).
Für den unterdurchschnittlichen Schulerfolg und die problematischen Situationen in der Schule/ im Unterricht sind also nicht nur mögliche Defizite oder Verhaltensstörungen der Schüler mit ADHD ursächlich. Es lässt sich vielmehr abschließend feststellen, dass Kinder mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen nicht ihren besonderen Bedürfnissen entsprechend unterrichtet werden. Um Schülern mit ADHD und unterrichtenden Lehrern bessere Leistungen bzw. (den Bedürfnissen von Kindern mit ADHS) angemesseneren Unterricht zu ermöglichen, bedarf es nicht nur einer kindzentrierten Intervention, sondern zusätzlich eines psychoedukativen Trainings der Unterrichtenden, welches in die Gestaltung des Unterrichts die Besonderheiten von Schülern mit ADHD einbezieht. Kapitel 3. wird versuchen, das gezeigte Unterrichtsverhalten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen und das angewandte Änderungswissen von Lehrern zu analysieren. Es sollen erste (Unterrichts-)Gestaltungsprinzipien formuliert werden, die das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sowohl für Lehrer als auch für Schüler verbessern können.
3. Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern
Auf Grundlage der bisher thematisierten Inhalte über das Störungsbild ADHD, seinen Ursachen, der Beschreibung typischer Schwierigkeiten von betroffenen Kindern und der Darstellung des Vorkommens sowie der Interventionsansätze wird nun versucht, spezielle didaktische, pädagogische und psychologische Zugangsweisen für das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen aufzuzeigen. An der Entstehung von Unterricht sind Lehrer wie Schüler beteiligt, daher wird das Lehrerhandeln und -wissen und das Schülerverhalten analysiert.
3.1. Analyse des Unterrichtsverhaltens von Schülern mit ADHD
Das Verhalten von Schülern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen im Unterricht wird „von den Lehrern zumeist als hochgradig störend wahrgenommen“ (Lauth, Knoop 1998, S. 22). Das vorherige Kapitel beschreibt mögliche Störungen, die in der Schule zu verschiedensten Problemsituationen und Schwierigkeiten führen können. Nun soll analysiert werden, wie das tatsächlich gezeigte (Unterrichts-/ Aufmerksamkeits-)Verhalten von diesen Schülern bewertet werden kann. Was exakt unterscheidet Kinder mit ADHD von durchschnittlichen Kindern in ihrem Unterrichts-Verhalten? Ein bewährtes Instrument zur systematischen Beobachtung des (Aufmerksamkeits-)Verhaltens stellt das Münchner Aufmerksamkeitsinventar (MAI) zur Untersuchung des Aufmerksamkeitsverhaltens im Unterricht dar. Das MAI arbeitet auf Grundlage eines multiplen Kodiersystems (multiple coding), d. h. es werden in jedem Beobachtungsintervall simultan mehrere Aspekte erfasst: das Unterrichtsfach, der fachliche oder nichtfachliche Kontext und das Aufmerksamkeitsverhalten der Schüler. Primär handelt es sich um ein Zeitstichprobenverfahren (time sampling), in einem festen Zeitintervall von fünf Sekunden ist die Kodierung des Schülerverhaltens und des Unterrichtskontextes vorgegeben – um auf besondere Ereignisse reagieren zu können, werden diese sofort kodiert, auch vor Ablauf des Zeitintervalls. Zur Beurteilung des beobachteten Verhaltens wird einer zweistufigen Logik gefolgt, zuerst wird entschieden, ob es sich um on-task oder Off-task -Verhalten handelt: on-task wird prinzipiell als Nutzung der angebotenen Lerngelegenheit interpretiert, andernfalls wird auf off-task entschieden. Es wird eine unterrichtszentrierte Entscheidung getroffen. Die zweite Entscheidungsebene ist primär schülerzentriert, hier geht es um die Qualität des beobachtbaren (Un-)Aufmerksamkeitsverhaltens. Zu off-task wird festgehalten, ob eine bloße passive Nicht-Nutzung der Lernangelegenheit beobachtbar ist oder ob zusätzliche nicht aufgabenbezogene Aktivitäten ausgeführt werden. On-task -Verhalten differenziert zwischen unauffällig, eher passivem On-task -Verhalten und zwei verschiedenen aktiven Verhaltenskategorien: selbst-initiiertes und fremd-initiierte fachbezogene Verhaltensweisen (vgl. Helmke, Rendl 1992, S. 130ff). Es folgt eine Übersicht:
Tabelle 7.: Kodierungsmöglichkeiten des Aufmerksamkeitsverhaltens (MAI)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Nach Helmke, Renkl 1992, S. 133)
Tabelle 8.: MAI-Kodierungsmöglichkeiten des Kontextes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Nach Helmke, Renkl 1992, S. 132f)
Die Beobachter werden in mehreren Trainings geschult, das MAI durchzuführen.
Hinsichtlich des beobachteten Verhaltens bleibt abschließend anzumerken, dass es prinzipiell nicht zugänglich ist, was Schüler im Unterricht denken und wie intensiv sie sich mental engagieren, also Aufmerksamkeitsleistungen erbringen. Das im MAI erfasste Verhalten kann aber als Indikator des Niveaus von Aufmerksamkeitsverhalten dienen und sachdienliche Hinweise für eine Analyse hervorbringen (vgl. ebd. S. 131). Lauth und Lamberti (1997) untersuchten unter Einsatz des Münchner Aufmerksamkeitsinventars das Unterrichtsverhalten von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung. Auf Grundlage des MAI wurden Kategorien zur Auswertung formuliert: Aktiv störend, interagierend; Passiv, nicht störend/ interagierend; Anforderungsgemäßes Verhalten; Selbstinitiierte Aktivität; Fremdinitiierte Aktivität und unterrichtskonformes Verhalten. Sie verglichen das Unterrichtsverhalten von Kindern mit ADHD mit dem einer Kontrollgruppe unauffälliger Kinder und werteten die Ergebnisse dann aus. Der nachfolgende Teil wird das On-task- und Off-task -Verhalten von Schülern mit Aufmerksamkeitsstörung analysieren und Unterschiede und Gemeinsamkeiten von aufmerksamkeitsgestörten und unauffälligen Kindern im Unterrichtsverhalten darstellen.
3.2. Vergleich des Unterrichtsverhaltens von unauffälligen Schülern und Schülern mit ADHD
Das Verhalten von unauffälligen Schülern und solchen mit ADHD lässt sich unter den folgenden Gesichtspunkten beschreiben:
Anforderungsgemäßheit des Verhaltens im Unterricht (On-task – passiv)
Schüler mit ADHD zeigen im Unterricht anforderungsgemäßes Verhalten in 48 Prozent der Unterrichtszeit, dieses ist jedoch deutlich seltener als es bei unauffälligen Schülern (zu 68 Prozent) zu beobachten ist. Das gezeigte Unterrichtsverhalten von Kindern mit ADHD ist also „vor allem durch einen deutlichen Mangel an anforderungsgemäßem Verhalten und weniger durch aktiv störende Verhaltensweisen gekennzeichnet“ (Lauth, Lamberti 1997, S. 6).
Störendes Verhalten (Off-task – aktiv, interagierend, störend)
Kinder mit ADHD erweisen sich mit acht Prozent aktiv störendem Verhalten im Unterricht als (wenig) mehr aktiv störender als unauffällige Kinder (fünf Prozent).
„Nicht-bei-der-Sache-Sein“ – Lerngelegenheiten werden verpasst
Sie zeigen jedoch deutlich häufiger passives, nicht störendes Verhalten (Off-task – passiv/ nicht interagierend; 21 Prozent im Gegensatz zu 12,5 Prozent der unauffälligen Schüler). Dieses stellt ein ungünstiges Verhaltensmuster im Unterricht dar, wenn gleichzeitig mehr gestört und häufiger Unterrichtszeit passiv, „verträumt“, nicht interagierend verbracht wird. Angebotene Lerngelegenheiten lassen diese Schüler ungenutzt.
Aktivität des Unterrichtsverhaltens
Im Vergleich zu unauffälligen Kindern fällt zudem auf, dass aufmerksamkeitsgestörte Kinder selbstinitiiert im Unterricht aktiver sind, zugleich aber auch deutlich häufiger auf Initiativen der Lehrer reagieren (müssen).
D. h. aufmerksamkeitsgestörte Kinder nehmen durchaus am Unterricht aktiv teil. Sie werden allerdings auch wesentlich häufiger von ihren Lehrern aufgefordert, Leistung zu zeigen oder „bei der Sache“ zu bleiben.
Der Unterrichtskontext
Die Kontextspezifizität ergibt nur beim unterrichtskonformen Verhalten Unterschiede zwischen Schülern mit und ohne ADHD. Sie belegt eine geringere Häufigkeit unterrichtskonformen Verhaltens von Schülern mit ADHD während der Stillarbeit. Offensichtlich haben aufmerksamkeitsgestörte Schüler besondere Schwierigkeiten in vergleichsweise wenig strukturierten Situationen, die eine erhöhte Selbststeuerung erfordern. Faktorenanalytisch errechnen Lauth und Lamberti (1997, S. 6), dass unauffällige Schüler sich etwa dreimal so oft wie Schüler mit ADHD unterrichtskonform (on-task – passiv) verhalten! Der bedeutendste Unterschied zwischen unauffälligen und aufmerksamkeitsgestörten Schülern besteht daher in einem deutlichen Mangel an anforderungsgemäßem Verhalten, ihr gezeigtes Verhalten entspricht häufig nicht dem (von Lehrern) erwünschten Verhalten, sie stören häufiger, machen seltener, was von ihnen verlangt wird und verpassen so viele Lerngelegenheiten.
Abschließend ist festzuhalten, dass sich aufmerksamkeitsgestörte und unauffällige Kinder in ihrem Unterrichtsverhalten deutlich unterscheiden (vgl. Lauth, Lamberti 1997, S. 1-10, Abikoff et al. 2002, S. 349- 359).
3.3. ADHD im Urteil von Lehrern
Lehrer erleben Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen respektive ihre Auswirkungen als Unterrichtsstörung und Disziplinschwierigkeiten der betroffenen Schüler. Das von Schülern mit ADHD gezeigte Verhalten erleben sie oft als erwartungswidrig und oppositionell. Vielfältige negative Konsequenzen für den Unterricht, die betroffenen Schüler und das Lehrerverhalten sind in den vorigen Kapiteln differenziert betrachtet und dargestellt worden. Vor allem in Kapitel 2.4. wird festgestellt, dass zur Aufrechterhaltung der beschriebenen Probleme in der Schule nicht alleine das betroffene Kind beiträgt, sondern auch das Verhalten, die Reaktion des Unterrichtenden und die Art der Unterrichtsgestaltung eine bedeutende Rolle spielen. Damit Lehrer auf Kinder mit ADHD in ihrer Klasse reagieren können, damit sie einen den besonderen Bedürfnissen des aufmerksamkeitsgestörten Kindes adäquaten Unterricht planen und durchführen können, müssen sie über ein umfangreiches, professionelles Wissen über eine Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung verfügen. Nur wenige Studien thematisierten diesen Sachverhalt. Fest steht, dass Lehrer das Unterrichtsverhalten von Kindern mit ADHD genau einschätzen können, sie die Hauptsymptome recht präzise einschätzen und das Störungsbild recht genau wahrnehmen. Doch wie sich Lehrer die Beeinträchtigung dieser Kinder (Bedingungswissen) erklären und welche Maßnahmen sie als angemessen ansehen, um auf die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Schüler im Unterricht einzugehen (Änderungswissen), ist bisher im deutschsprachigen Raum kaum untersucht worden (vgl. Lauth, Knoop 1998, S. 21f). Lauth und Knoop (ebd., S. 22) berichten über Untersuchungen in den USA und Kanada, die zeigten, dass 70-90 Prozent der Lehrer dort über ein – aus wissenschaftlicher Sicht – haltbares Bedingungswissen verfügten. Außerdem äußerten 90 Prozent der dort untersuchten Lehrer ausreichendes Wissen über verschiedenste Interventionsebenen und -maßnahmen in und außerhalb der Schule.
Im Weiteren soll betrachtet werden, wie Lehrer sich das Störungsbild ADHD erklären, welche Vorstellungen sie über Ursachen und Entstehung von Aufmerksamkeitsstörungen haben (Bedingungswissen) und welche Maßnahmen sie in Erwägung ziehen oder ergreifen, um einen adäquaten Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern durchzuführen (Änderungswissen). Lauth und Knoop kommen in einer Untersuchung (1998) zu folgenden Erkenntnissen:
3.3.1. Vorherrschendes Bedingungswissen
50,6 Prozent der befragten Lehrer sehen hirnorganische Schäden, 96,1 Prozent eine Reizüberflutung, 15,6 Prozent eine Untererregung, vermehrte Reizsuche, 63,6 Prozent ein gestörtes Immunsystem, ca. drei Prozent grundlegende Fertigkeits- und Strategiedefizite und 93,5 Prozent psychosoziale Faktoren als Ursache einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung.
Fast alle Befragten sehen eine Reizüberflutung (96,1 Prozent) und psychosoziale Faktoren (Erziehung im Elternhaus) als Hauptursache von ADHD, es kann von einer nahezu einheitlichen Bedingungsvorstellung ausgegangen werden. Dieser Erklärungsansatz entspricht nicht dem wissenschaftlichen Forschungsstand, wie er in Kapitel 1. ausführlich dargelegt wird, vielmehr können die Erklärungen als trivial bezeichnet werden – und sie beziehen sich vor allem auf Faktoren außerhalb des Unterrichts, außerhalb des Einflusses der Lehrer (vgl. Lauth, Knoop 1998. S. 25-27).
3.3.2. Änderungswissen
Insgesamt betrachtet, erscheint das unzureichende Bedingungswissen hier zu wiederum unzureichenden Änderungsperspektiven (also Änderungswissen) zu führen. Allerdings ergibt sich ein differenziertes Bild: drei unterschiedlich stark belastete Lehrergruppen (hochbelastet/ moderat belastet/ niedrig belastet) verfügen über verschieden hohe Kenntnisstände. In der Gesamtgruppe sind verhaltenstherapeutische und erziehungsverändernde (elterliche) Maßnahmen am bekanntesten. Die hochbelasteten Lehrer (ca. 30 Prozent der Gesamtgruppe) verfügen über die meisten Kenntnisse realisieren aber wenige individualisierende, strukturierende Unterrichtsmaßnahmen, sie scheinen der Störung eher passiv ausgeliefert zu sein, während die moderat belastete Gruppe vergleichsweise viele Änderungsversuche vornimmt und den Störungen aktiv und vorausschauend begegnet. Die niedrig belasteten Lehrer setzten auch eher weniger spezielles Änderungswissen ein. Es kann festgehalten werden, dass sich Lehrer komplexe, multifaktoriell bedingte Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen einseitig und veraltet erklären und nur eine kleine Gruppe von Lehrern über vielfältiges und adäquates Interventionswissen verfügt – ein wirksames pädagogisch-didaktisches Intervenieren in der Schule scheint nur im Einzelfall gegeben zu sein (vgl. Lauth, Knoop 1998. S. 26f).
3.4. Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern gestalten
Für Lehrer stellen die Auswirkungen von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen eine hochgradige Störung des Unterrichtens dar (siehe Kapitel 3.1.), insbesondere Kapitel 2.4. stellt dar, welch unterdurchschnittlichen Schulerfolg Schüler mit ADHD erreichen. Im deutschsprachigen Raum sind bisher, trotz einer vorhandenen Aktualität und Brisanz der Problematik (siehe Vorwort, Einleitung und Kapitel 3.2. dieser Arbeit), nur sehr wenige Untersuchungen respektive theoretische Abhandlungen entstanden, die sich der Thematik der besonderen Unterrichtsgestaltung für Kinder mit ADHD annahmen. Bereits 1994 stellten Zentall und Goetze fest, dass „ Arbeiten zum konkreten Schulleistungsverhalten und Unterrichtsverhalten von Kindern mit ADHD (...) erstaunlicherweise im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert worden [sind]“ (1994, S. 82) und zeigen in einer zusammenfassenden Literaturstudie auf, welche neueren Befunde und Anwendungen für den Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern die anglo-amerikanische Forschung bietet (vgl. ebd., S. 82). Die verschiedensten Unterrichts-Gestaltungsmaßnahmen können angewendet werden, um erstens die typischen Verhaltensauffälligkeiten in der Schule positiv zu beeinflussen und störungsfreien Unterricht gestalten zu können. Zweitens muss den besonderen Lernbedürfnissen von aufmerksamkeitsgestörten Schülern genügend „Sorge“ getragen werden, um ihnen somit eine bessere Nutzung von Bildungsangeboten zu ermöglichen. Im folgenden Verlauf werden verschiedene neuere Erkenntnisse zur geschilderten Thematik dargestellt. Lehrer mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern in ihren Klassen können und sollen nicht alle aufgezeigten Prinzipien und Methoden im Unterricht anwenden – aber in diesem „Angebotspool“ reichlich Anregungen finden, die zur Verbesserung des eigenen Erlebens und Zusammenarbeitens mit Kindern mit ADHD und zur Steigerung des Schulerfolges dieser Kinder beitragen können. Pädagogen sollten die Bereitstellung von erprobtem Wissen aus der Forschung professionell nutzen, da ihr Handeln im Unterricht aus systemischer Sicht betrachtet, auch zur Aufrechterhaltung von Schwierigkeiten beiträgt (vgl. Greene 1995, S. 82). Beim Lesen wird auffallen, dass manche Maßnahmen für sich stehend beinahe simpel und „alt bekannt“ anmuten, sie sich aber durch ein konsequentes konstruktives Kombinieren und Einsetzen im Unterricht/ Schulalltag als sehr effektiv bewähren. Bevor ein Nutzen der Maßnahmen erfolgt, sollten bestimmte Bedingungen erfüllt sein:
3.5. Voraussetzungen für die Umsetzung
Vor dem Nutzen spezieller Maßnahmen im Unterricht, sollten die spezifischen Problemsituationen und das gezeigte Problemverhalten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes identifiziert und exakt beschrieben werden. Diese Analyse dient vor allem den in Kapitel 2.6. dargestellten verhaltenstheoretischen Interventionen, ist aber auch Bestandteil einer Schüleranalyse und kann der Reflexion von Stress-Situationen nützlich sein. Kapitel 2.3. beschreibt die häufig vorliegenden sozialen Schwierigkeiten von Schülern mit ADHD. Zwischen Lehrern und Schülern mit ADHD wird besonders oft über das Vorliegen von negativen Interaktionsmustern berichtet. Zusätzlich können Pädagogen bei der (Leistungs-)Beurteilung von „schwierigen“ Schülern dem so genannten Halo-Effekt unterliegen, d. h. sie können dazu neigen, problematische, hyperaktive Schüler schlechter zu beurteilen, als durchschnittliche Schüler, da vor allem negative Interaktionsmuster die Beziehung zum Unterrichtenden prägen. Und vor allem Kinder mit ADHD-Symptomen können einer undifferenzierten Wahrnehmung durch Lehrer unterliegen (vgl. Schachar, Sandberg, Rutter 1986, S. 331ff). Eine erste Verbesserung der Stresssituationen für diese Kinder stellt das gezielte Abbauen von negativen Interaktion dar. Döpfner, Frölich und Lehmkuhl (2000, S. 97ff) beschreiben das Schaffen von „positiver Aufmerksamkeit“ im schulischen Alltag als ausgesprochen wichtig, um eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung aufzubauen, die oftmals seit langer Zeit nicht mehr existierte. Sie stellen verschiedene Möglichkeiten vor: Lehrer sollten Situationen schaffen, in denen für kurze Zeit täglich oder sehr regelmäßig Raum für gezielte positive Rückmeldungen ist. In diesen Situationen wird dem Kind sein positives Verhalten des Tages rückgemeldet (jedes Kind zeigt auch angemessenes Verhalten, z. B. ist das Kind fröhlich und gut gelaunt, hat sich aktiv eingebracht oder hat Ideen geäußert) und über seine besonderen Stärken oder Hobbies geredet. Des Weiteren können weitere regelmäßige, kurze Zeiten verabredet werden (nach jeder Unterrichtstunde), in denen dem Kind zuerst das problematische Verhalten mitgeteilt wird und anschließend die beobachteten positiven Verhaltensansätze ausführlich darlegt (vgl. Döpfner, Schürmann, Frölich 2002, S. 415f). Lehrern wird hiermit eine (vorrübergehende) zeitliche Zusatzbelastung „zugemutet“, die als sehr effektiv beschrieben wird, um im pädagogischen Alltag professionell intervenieren zu können.
Die im weiteren Verlauf beschriebenen Gestaltungsmaßnahmen für Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern werden in zwei Unterkapiteln dargestellt.
Ersteres beschreibt kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen, das zweite setzt didaktisch-pädagogische Akzente. Beide Kapitel stellen Gestaltungsmaßnahmen dar, die sich anhand des Bedingungsmodells (vgl. in dieser Arbeit S. 24) als adäquate Reaktion auf die spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit ADHD ableiten lassen.
3.6. (Kognitiv-)Verhaltenstherapeutische Maßnahmen
Derzeit finden (kognitiv-)verhaltenstherapeutische Methoden der Verhaltensmodifikation „im pädagogischen Rahmen leider nur wenig Anwendung“ (Bellingrath 2001, S. 438). Und das, obwohl bewährte und gut evaluierte Methoden in der Verhaltenstherapie existieren, die sich in der Behandlung kindlicher Verhaltensstörungen als außerordentlich effektiv erwiesen haben. Sie können von Lehrern gut in das Unterrichtsgeschehen integriert werden und verringern nicht nur das Störverhalten einzelner Kinder, sondern erlauben es auch, eine angemessenere Unterrichtssituation zu gestalten. Sämtliche noch genannten Methoden erfordern ausreichende Kenntnisse von den ausführenden Personen, die aber von professionellen Verhaltenstherapeuten bereitgestellt und supervidiert werden (sollten). Verhaltensmodifikatorische Interventionen in der Schule verstärken das positive Zielverhalten und ignorieren oder bestrafen negatives Verhalten mit dem Entzug von Verstärkern. Dem Einsatz verhaltenstherapeutischer Techniken geht immer eine Analyse der positiven und negativen Konsequenzen für angemessenes (erwartetes Zielverhalten) und auffälliges Verhalten voraus. Die Verhaltensanalyse ergibt individuelle Ansatzpunkte, die Konsequenzen sollten eng mit dem Problemverhalten verknüpft sein und jedes Mal erfolgen, wenn definiertes Problemverhalten auftritt.
An dieser Stelle können die präsentierten Methoden keine ausführliche Anleitung darstellen, sollen aber als bewährte Gestaltungsmaßnahme von Unterricht mit Kindern mit ADHD verstanden werden und Lehrer ermutigen, mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern (wieder) qualitativ hochwertigen Unterricht durchzuführen. Störendes Verhalten abzubauen und erwünschtes Verhalten aufzubauen, eine konstruktive Lernatmosphäre im Klassenraum zu schaffen: diese Faktoren stellen eine Voraussetzung guten Unterrichts dar – als ein Angebot in dieser Hinsicht können die folgenden Techniken verstanden werden; sie werden vielfach in deutscher und anglo-amerikanischer Literatur als hocheffektiv zur Verbesserung von Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern beschrieben.
Folgende grundlegende Begriffe werden in verhaltenstherapeutischen Techniken regelmäßig benutzt: Lob als positive Verstärkung; eine indirekte Bestrafung (Response cost); eine Löschung – keine Konsequenzen folgen (Ignorieren oder Time Out); eine direkte Bestrafung (sehr selten) und eine negative Verstärkung, die bedeutet, das eine Erleichterung durch z. B. Vermeidungsverhalten erreicht wird und zur Verfestigung des Verhaltens führen wird. Ziel dieser Techniken kann und soll nicht das „ungestörte Kind“ sein. Vielmehr soll Leidensdruck gemindert, schulisches Lernen (wieder) ermöglicht und Zukunfts-Chancen verbessert werden (vgl. Margraf 2000, S. 36ff, Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, S. 97f, Bellingrath 2001, S. 437f).
3.6.1. Operante Methoden
Auch Kinder mit häufigem Störverhalten oder erwartungswidrigem Verhalten zeigen in der Schule angemessenes Verhalten, welches im Schulalltag von Lehrern regelmäßig positiv verstärkt werden kann. Bei der Anwendung von operanten Methoden im Unterricht muss den durchführenden Lehrern klar sein, dass „it has taken months to years for an ADHD child´s behavior to become what it is (...) that it isn´t going to change over night“ (Barkley 1994, S. 21). Klar definiertes Zielverhalten zu bestimmen ist ebenso wichtig wie eine realistische Erwartungshaltung dem Kind gegenüber. Barkley ist es auch, der Lehrer auffordert, sich eigene Fehler im Management des Schulalltages mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern zuzugestehen und als positive Herausforderung für den nächsten Tag anzusehen – verhaltensmodifikatorische Interventionen können anfangs durchaus eine größere Belastung im Unterrichtsalltag darstellen, erleichtern aber Kindern und Lehrern mittel- und langfristig das gemeinsame Schul-(Er-)Leben. Operante Verfahren nutzen die Erkenntnis des psychologischen Lernmechanismus der operanten (instrumentellen) Konditionierung, der Begriff „operant“ bezeichnet spontan gezeigtes Verhalten und dieses kann durch Manipulation seiner Konsequenzen verändert werden. Kontingenzverfahren begründen sich durch eine Regelmäßigkeit der Verknüpfung eines Verhaltenselementes mit seiner Konsequenz (vgl. Barkley 1998, S. 464ff, Stormont-Spurgin 1997, S. 272, Margraf 2000, S. 36ff).
Verstärker-Entzugs-Systeme (Response cost) und Token-Economy
Eine Token-Economy belohnt angemessenes Verhalten durch Vergabe von Tauschverstärkern, das angemessene Verhalten wird vorher gemeinsam abgesprochen. Bestimmte erwünschte Verhaltensweisen lassen sich auf diese Weise effektiv verstärken und aufbauen. Eine Kombination von Verstärker-Wegnahme bei unerwünschtem und Verstärker-Vergabe (Response cost) bei erwünschtem Verhalten ermöglicht ein effektives Erlernen von konstruktiven Verhaltensalternativen und einen Abbau von störendem Verhalten. Auch hier müssen die Bedingungen vor dem Einsatz eindeutig geklärt werden, d. h. es wird das Störverhalten und das erwünschte Verhalten mit dem Kind definiert. Die möglichen positiven Konsequenzen (Belohnungen) und die negativen Konsequenzen (Belohungswegfall oder Sonderaufgabe) werden in Absprache mit dem Kind vereinbart. Das Kind bekommt vor Schultagesbeginn/ Schulstundenbeginn eine bestimmte Anzahl von symbolischen Tauschverstärkern (Token) ausgehändigt (z. B. Spielchips, bunte Heftklammern). Im Falle eines Zeigens von definiertem Störverhalten muss das Kind einen Token abgeben, d. h. der Lehrer nimmt ohne emotionale Reaktion und ohne den Ablauf der Stunde zu unterbrechen einen Token an sich. Alternativ zu materiellen Token können auch Symbole verwendet werden (etwa „Wettstreit um lachende Gesichter“ vgl. Döpfner, Schürmann, Lehmkuhl 2000, S. 192). Diese müssen an einer dem Kind immer sichtbaren Stelle repräsentiert werden. Zeigt das Kind angemessenes Zielverhalten wird dieses unmittelbar gelobt, das Kind bekommt systematisch eine positive Rückmeldung und einen Token ausgehändigt. Ist die Schüleranzahl zu groß, um ein Kind systematisch zu beobachten, kann alternativ auch eine Uhr oder ein Wecker eingesetzt werden, der in einem bestimmten Zeitinterwall daran erinnert, das gerade gezeigte Verhalten des Kindes zu bewerten und eine Tokenvergabe durchzuführen. Am Ende eines Schultages oder eines festgelegten Zeitraumes kann das Kind die erreichte Anzahl an Tauschverstärkern einlösen – die zu erreichende Anzahl wird im Voraus festgelegt und muss dem Kind bekannt sein; anfangs sollte diese Menge für das Kind gut erreichbar sein, um Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Realisierbar müssen alle Anforderungen an das Kind sein. Die einzulösende Belohnung muss eine positiv erlebte Konsequenz für das Kind darstellen, etwa Extrazeit am PC, ein Lieblingsspiel in den letzten zehn Minuten – hier können individuelle Vereinbarungen getroffen werden: die Belohnung muss nicht „pädagogisch wertvoll“ sein, also keinen (versteckten) Lernzweck erfüllen. Negative Konsequenzen können ein Belohnungswegfall oder eine definierte Mehrarbeit darstellen. Diese Methode ermöglicht – ohne Beeinträchtigung des Unterrichts – einerseits das konsequente und häufige, unmittelbare Verstärken von erwünschten Verhaltensweisen und andererseits kann eine Form des Aufschubs von direkter Bedürfnisbefriedigung erlernt werden (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 89f, Lauth, Schlottke 2002, S. 131, Carbone 2001, S 75ff, Stormont-Spurgin 1997, S. 272, Döpfner, Schürmann, Frölich, 2002, Barkley 1994, S. 14ff , S. 419f, Döpfner, Frölich, Lehmkuhl, 2000, S. 97ff, Bender, Mathes 1995, S. 228ff Barkley 1998, S. 466, Margraf 2000, S. 36ff).
Kontingenzverträge sind Vereinbarungen, die in Zusammenarbeit mit den Schülern getroffen werden. Es kann ein Vertrag mit einem einzelnen Kind oder mit einer Gruppe/ Klasse abgeschlossen werden (Gruppenkontingenzvertrag). In diesem Vertrag wird festgehalten, welches Zielverhalten erreicht werden soll. Diese Ziele müssen positiv formuliert werden, die Verhaltensalternative benennen (z. B. „Ich melde mich, bevor ich rede“). Es muss klar sein, wann die Bedingung als erfüllt gilt. Kontingenzverträge enthalten Verpflichtungen für beide Vertragspartner: z. B. „wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist, darf die Klasse/ das Kind über eine bestimmte Zeit am Ende des Unterrichts verfügen und folgende Spiele spielen und der Lehrer spielt mit oder bei Nichterfüllung darf der Lehrer über die bestimmte Zeit verfügen, d. h. der Unterricht findet unverändert bis zum Schluss statt. Der Vertrag wird von beiden Seiten unterschrieben, auch die Anzahl der Bedingungen und positiven Konsequenzen muss genannt werden („Das Zielverhalten muss mindestens dreimal in der Unterrichtsstunde gezeigt werden“), außerdem empfiehlt es sich, zu einer immer gleichen Zeit die Erfüllung des Vertrages gemeinsam zu überprüfen (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 90-92, Barkley 1994, S. 14ff, Barkley 1998, S. 464ff).
Ein weiteres Modell soll an dieser Stelle noch beispielhaft aufgeführt werden, „ The ADHD classroom kit “. Anhalt, McNeal und Bahl konstatieren, dass „effective interventions in classroom settings are essential for the academic and emotional well-being of children with ADHD” (1998, S. 67). Manchmal empfinden es Lehrer und Mitschüler als nicht fair, dass Schüler mit ADHD für Selbstverständlichkeiten gelobt werden, zudem gibt es Klassen, in denen mehr als ein Kind mit ADHD ist, sodass sich Lehrer mit der Beobachtung und systematischen positiven Verstärkung von mehreren Kindern überfordert fühlen. „A reinforcement system designed for the entire classroom may prove practical and beneficial for all its students“ (ebd., S. 68). Der „ADHD classroom kit“ stellt ein verhaltenstheoretisch ausgerichtetes Unterrichtsmodell dar, mit Hilfe dessen sich systematisch unerwünschtes Verhalten in Klasse mit Schülern mit ADHD abbauen und erwünschtes Verhalten aufbauen lässt. Verschiedene Komponenten greifen ineinander und bauen aufeinander auf, bestehend aus einem symbolischen Tokenprogramm für gebildete Gruppen innerhalb der Klasse (Happy Faces – ähnlich dem „Wettstreit um lachende Gesichter“, vgl. Döpfner, Schürmann, Frölich, 2002, S. 421), einem Reward target game, in dem Kinder Privilegien erlangen können und welches explizit Bewegung (spielerisch) zum Teil von Unterrichtsstunden macht. Es wird bis zu sechsmal am Schultag eingebettet in Unterricht gespielt. Das Reward target game können sich Gruppen durch eine besonders große Anzahl an Happy Faces „verdienen“ und während der Schulzeit im Klassenraum in einer gesonderten Spielecke spielen – die anderen Gruppen mit zu wenigen Tauschverstärkern müssen diesem Privileg zuschauen. Des Weiteren besteht ein Sad-face warning signal, welches Gruppen oder einzelnen Schülern in der immer gleichen Form signalisiert, dass fest stehende Regeln verletzt wurden: „You have two choices. You can either improve your behavior or your group will receive a sad face“ (Anhalt, McNeal, Bahl 1998, S. 70). Außerdem finden regelmäßig peer-mediated interventions statt, in denen ein kooperatives Arbeiten in Gruppen systematisch umgesetzt wird. Diese Lerngruppen werden von Schülern als täglich wechselnden Gruppenleitern organisiert. Der Gruppenleiter darf in Absprache mit Lehrern in seiner Gruppe Happy Faces vergeben und somit direktes Feedback innerhalb von Peer-groups realisieren Diese hochsystematisch verhaltenstheoretisch strukturierte Unterrichtsgestaltung erwies sich als sehr effektiv (vgl. ebd. S. 67-69), kann aber auf Lehrer an deutschen Schulen, in denen, wie Bellingrath (2001) feststellt, wenig verhaltentherapeutische Interventionen realisiert werden, befremdlich wirken.
3.6.2. Kognitive Methoden
Neben den bisher beschriebenen, im Schulalltag gut zu integrierenden, operanten Methoden der Verhaltensmodifikation, werden an dieser Stelle drei verschiedene Interventionen kurz vorgestellt, die in der Literatur Beachtung finden und modifiziert auch Lehrern beim Unterrichten hilfreich sein können:
„Selbstkontrollverfahren, kognitives Modellieren und Selbstinstruktionstraining sind Verfahren aus der kognitiven Verhaltensmodifikation. Sie gehen davon aus, daß die Ziele und Wirklichkeitswahrnehmungen (Abbilder) des Menschen ausschlaggebend für ihr Handeln sind. Verhaltensproblemen also ungeeignete Wirklichkeitswahrnehmungen, ungeeignete Selbstgespräche, ungünstige Ziele oder ungeeignetes Wissen zugrundeliegen. Infolgedessen ist es nur logisch, wenn die gedanklichen Anteile der Störung nicht nur beachtet, sondern aktiv zugunsten förderlicherer Ziele, Wahrnehmungen, Handlungssteuerungen und Planungen verändert werden“ (Lauth 2001, S. 542).
Kognitives Modellieren
Lehrer dienen (aufmerksamkeitsgestörten) Schülern als Modell, wie Anforderungen bewältigt werden können. Beim Lösen von Aufgaben in Einzelsituationen wird das eigene Vorgehen verdeutlicht, es werden Selbstanweisungen gegeben, um die Regeln und Strategien erkennbar werden zu lassen. Die Selbstanweisungen werden laut gesprochen, ihre Bedeutung kann mit erprobten Signalkarten untermalt werden, die mit den Schülern bekannten Identifikationsfiguren – z. B. Die Maus, Diddel oder Pokemons – illustriert werden können: diese Karten geben die wichtigsten Inhalte der Selbstanweisungen in Bildern oder Symbolen wieder (Was ist meine Aufgabe? Ich mache mir einen Plan! Kenne ich etwas Ähnliches? Sorgfältig und bedacht! Halt – Stopp, überprüfen! Das habe ich gut gemacht!). Lauth und Schlottke (2002, S. 127ff) beschreiben ein solches Vorgehen im therapeutischen Setting ausführlich, eine Adaption an Unterrichtssituationen ist zumindest in Kleingruppenarbeit gut möglich. Die Kinder sollen durch Beobachten lernen, wie sie beim Lösen von Aufgaben vorgehen können und welche Verhaltensweisen dabei hilfreich sind (vgl. Lauth 2001, S. 542ff, Lauth, Schlottke 2002, S. 127).
Selbstinstruktionstraining
Hierbei sollen die Kinder lernen, die beobachteten Selbstanweisungen selber anzuwenden und in verschiedenen Schritten allmählich von den laut begleitenden Selbstanweisungen zu einem verinnerlichten inneren Dialog zu gelangen. Nach dem modellhaften Demonstrieren der Lehrer handelt das Kind nach den externen Selbstanweisungen des Trainers, später soll das Kind die Selbstanweisungen anhand der o. g. Signalkarten offen mitsprechen, bevor es diese nur noch flüsternd begleitend benutzt. Ziel ist die verdeckte Selbstinstruierung, d. h. das Kind soll sein Verhalten über verinnerlichte Selbstverbalisierungen steuern können – es wird erst dann zur nächsten Stufe übergegangen, wenn die vorherige Stufe beherrscht wird (vgl. Lauth 2001, 542ff). Döpfner, Schürmann und Frölich (2002, S. 355) geben ein Anwendungsbeispiel für die Umsetzung von Selbstinstruktion auf Rechenaufgaben im Unterricht, nachdem in spielerischen Übungen das Vorgehen für die Schüler geübt wurde und die Lehrer durch Modellieren Beispiele gegeben haben. Die Schüler sind angehalten, folgenden inneren Dialog beim Vorgehen zu verbalisieren, mit dem Kind wird besprochen, dass jetzt erst einmal an einfachen Aufgaben das Vorgehen geübt wird:
„ Aufgabe 1: 15 + 7 = ? Stopp, was soll ich tun? ´Ich soll 15 und 7 addieren.` Wie ist mein Plan? ´Ich rechne: 15 und wie viel ist 20? Und dann den Rest zu 20 dazu.` Sorgfältig, Schritt für Schritt zum Ziel! ´15 + 5 ist 20, bleiben noch 2 übrig. 20 plus 2 sind 22.` Stopp, überprüfen! ´15 + 5 ist 20, bleiben noch 2 übrig. 20 plus 2 sind 22, stimmt!` Prima! “ (Hervorhebungen vom Autor)
Selbstmanagement-Interventionen und Selbstkontrollverfahren helfen, das eingeübte Verhalten im Alltag systematisch einzusetzen. Kinder lernen nun, ihr eigenes Verhalten zu beobachten und zu dokumentieren, sich selbst einzuschätzen und Leistung aufrecht zu erhalten. Hilfreich sind hierbei spezielle Selbstbeobachtungs- und Selbstbeurteilungsbögen, die die Kinder für sich selbst ausfüllen und mit Lehrern besprechen. Hoff und DuPaul (1998, S. 290ff) untersuchten, ob Selbstmanagement-Verfahren wirksam sein können, um das Verhalten von Schülern mit ADHD in der Schule dauerhaft verbessern helfen. „Self-management is an effective strategie for maintaining (...) reductions in disruptive behavior in general classroom settings” (ebd., S. 300). Grundschüler können lernen, ihr eigenes (Stör-)Verhalten treffend einzuschätzen und auch dann ein angemessenes Verhalten aufrecht zu erhalten, wenn der Lehrer nicht im Klassenraum ist (vgl. ebd., S. 290, 300). Auch Shapiro, DuPaul, Bradley-Klug (1998, S. 545ff) beschreiben Selbstmanagement-Verfahren als effektiv, um das Verhalten im Unterricht von aufmerksamkeitsgestörten Schülern zu verbessern und raten Lehrern zum Einsatz von Selbstmanagement-Strategien in der Schule. Generell sind diese vorgestellten Methoden, wenn sie von Lehrern phantasievoll modifiziert werden, im Unterricht nutzbar (vgl. ebd., S. 545, Lauth 2001, S. 542ff, Lauth, Schlottke, 2002, S. 127ff).
3.7. Didaktisch-pädagogische Unterrichts-Gestaltungsmaßnahmen
Die Arbeit hat bis hierhin mehrfach dargelegt, dass Schüler mit ADHD besondere Bedürfnisse an den Unterrichtenden stellen, die angemessen bei der Unterrichtsgestaltung berücksichtigt werden müssen, um qualitatives Unterrichten von Schülern mit ADHD zu ermöglichen und um ihnen einen bestmöglichen Schulerfolg zu garantieren. Bisher wird dieses nicht gewährleistet (siehe dazu v. a. Kapitel 2.4.). Neben kognitiv-verhaltentherapeutischen Methoden der Unterrichtsgestaltung, die vor allem Lernvoraussetzungen schaffen können, werden in der Literatur zahlreiche Gestaltungsmaßnahmen für einen qualitativ hochwertigen Unterricht beschrieben, der auch Kindern mit ADHD gelingendes Lernen ermöglicht. An dieser Stelle sollen diese Gestaltungsmaßnahmen detaillierter dargelegt werden. Neben des didaktischen Primats der Handlungsorientierung im modernen Unterricht – Schülern wird das Lernen mit mehreren Sinnen erfahrbar gemacht sich somit von einer rezeptiven Belehrung wegbewegt – gilt für das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, ihren besonderen Fähigkeiten und Schwierigkeiten adäquat pädagogisch-didaktisch zu begegnen. „Strukturieren ist wohl eines der wichtigsten Dinge im Zusammenleben mit einem aufmerksamkeitsgestörten Kind. Es bedeutet: Klarheit schaffen, Regelungen treffen, Abläufe planen, Routinen einrichten.“ (Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 76). Dieser Satz, einem Elternratgeber zu ADHD entnommen, gilt auch – und vor allem, wenn es um die Durchführung von Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern geht. Grundsätzlich sollte beachtet werden, dass Kinder mit ADHD motivationale Schwierigkeiten haben, vor allem, wenn es sich um weniger interessante, oft monotone Aufgaben in normativen Anforderungssituationen handelt, nämlich um den individuellen kindlichen Bedürfnissen nicht gerecht werdender Unterricht (vgl. Lauth, Freese 2003, S. 3, Carlson, Booth, Shin, Canu 2002, S. 104). Versteht man ADHD im wesentlichen als eine Beeinträchtigung der Selbststeuerungsfähigkeit, als eine Handlungsbeeinträchtigung, lassen sich die folgenden Maßnahmen (und Kapitel 3.6.) zusammenfassend als ein strukturierteres, regelgeleiteteres, direkteres und expliziteres Ansprechen und Anleiten von aufmerksamkeitsgestörten Kindern ableiten (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 362). Es werden sowohl schülerzentrierte als auch lehrerzentrierte Maßnahmen beschrieben.
3.7.1. Schülerzentrierte Maßnahmen
Ritualisierung, Strukturierung des Schultages und des Unterrichts
Schülern mit ADHD fällt es leichter, sich angemessen zu verhalten, wenn sie genau wissen, was auf sie zukommt und was von ihnen erwartet wird. Ritualisierte Abläufe im Schultag und in Unterrichtsstunden vermitteln den Kindern klare Strukturen: zu Beginn eines Schultages können Begrüßung- und Verabschiedungsrituale verschiedenster Art und Form eingesetzt werden, die das Ankommen und Vorbereiten auf Unterricht und das Nach-Hause-Gehen einleiten (z. B. Lieder singen; Musik hören: jeden Tag bringt reihum ein anderes Kind einen „Lieblingssong“ mit, der angehört werden kann; kurze Spiele (entweder eher körperlich, aktivierend oder beruhigend; Redekreise, Raum für eigene Gedanken am Morgen schaffen). Um diese Rituale „störungsfrei“ zu gestalten, können zur Ausführung feste Regeln besprochen werden, die deutlich sichtbar im Klassenraum platziert werden, das Kapitel 3.6.1. zeigt mögliche Hilfen zur Umsetzung dieser Regeln. Zudem können diese Rituale eingeübt werden: „Wie gehen wir zum Morgenkreis?“, „Wie sitzen wir bei der Begrüßung?“. Das Einüben adäquaten Verhaltens hilft aufmerksamkeitsgestörten Kindern in diesen Situationen. Es können auch feste Gruppen gebildet werden, die in freieren Arbeitssituationen immer in derselben Zusammensetzung bleiben.
Damit aufmerksamkeitsgestörte Schüler den Tages- und Unterrichtsverlauf besser nachvollziehen und sich merken können, wird ein jeden Tag aktualisierter Plan entweder am Platz des Kindes oder für alle Kinder sichtbar gemeinsam gestaltet. Als Klassenaufgabe können die Schüler mit ADHD diese Tagespläne jeden Tag wechseln. Hierzu können auch Piktogramme erstellt werden, die verschiedene Unterrichtsphasen beschreiben und benötigte Materialien abbilden. Zusätzlich zu den Tagesplänen können für die aufmerksamkeitsgestörten Kinder kurze Unterrichtsgliederungen angefertigt werden, die klar und deutlich formuliert die wichtigsten Unterrichtsschritte und mögliche Anweisungen enthalten, z. B. welche Materialien/ Bücher die Schüler in der jeweiligen Unterrichtsstunde bereithalten sollen und welche Hauptinhalte die Stunde beinhaltet. Unvorhergesehene, für Schüler mit ADHD, meist problematische Situationen können so vermieden werden (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 33f, Stomont-Spurgin 1997, S. 272, Barkley 1994, S. 24f, Yehle, Wambold 1998, S. 2, Bender, Mathes 1995, S. 229).
Regeln aufstellen
Miteinander aufgestellte Verhaltensregeln für den Schulalltag und spezielle Unterrichtssituationen sollten die Grundsätze der Verhaltensmodifikation (ausführlicher in Kapitel 3.6. dargestellt) beachten. Es sollte eine überschaubare Anzahl von Regeln gemeinsam mit den Schülern formuliert werden. Die Regeln werden gut sichtbar im Klassenraum positioniert. Diese Regeln gelten für die gesamte Klasse, es können aber auch eine geringe Anzahl zusätzlicher Regeln für die aufmerksamkeitsgestörten Kinder erstellt werden. Die Regeln sollten weniger Verbote beschreiben, sondern vielmehr positive Verhaltensalternativen implizieren, z. B. „Ich melde mich, bevor ich rede.“; „Ich schreibe mir die Aufgaben gleich in mein Heft, sobald sie an der Tafel stehen.“; „Wenn ich nicht mehr still sitzen kann, gehe ich ruhig in die Spielecke.“. So erlernen die Kinder alternative Verhaltensmöglichkeiten. An die erstellten Regeln halten sich auch die Lehrer.
Regeln sollten nicht nur im Unterrichtskontext Hilfe geben, sondern auch für die Übergangssituationen gelten. Das Gehen in die Sporthalle, Klassenraumwechsel, das Verhalten auf dem Schulhof und die Pausengestaltung dürfen nicht regelfreier Raum werden, sondern sollten verbindlich und ausdrücklich abgeklärt werden. Zusätzlich können diese Übergänge vorstrukturiert werden, d. h. das Gehen in Gruppen in die Sporthalle kann eingeübt werden, Kinder mit ADHD können in Gruppen mit vorbildlichen Modellen eingeteilt werden, die dem Kind angemessenes Verhalten veranschaulichen (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 89ff, Bender, Mathes 1995, S. 231, Yehle, Wambold 1998, S. 3).
Bewegung als Teil des Unterrichts
Unterricht für Kinder mit ADHD trägt dem vorhandenen Aktivitätspotential der Kinder Rechnung und schafft in jeder Unterrichtsstunde Raum für Bewegung. Neben einer spielerischen Umsetzung (z. B. „Vier-Ecken-Raten“) steht hier vor allem eine methodische Vielfalt zur Verfügung. Es können Lern-Parcours eingerichtet werden, Lernstationen an verschiedenen Plätzen im Klassenraum vorbereitet werden, in 20-minütigen Abständen kurze Pausen mit Bewegungselementen eingerichtet und schließlich der Unterricht nach außen geöffnet werden, um am realen Objekt oder in außerschulischer Umgebung zu lernen. Sportliche Aktivitäten an mehr als nur zwei Sportstunden in der Woche kommen allen Kindern zu Gute, ebenso kurze Spaziergänge, die auch zur Erkundung der Schulumgebung genutzt werden können – auch hier gelten wieder die prinzipiellen Regelungen, dass das Verhalten der aufmerksamkeitsgestörten Kinder im Voraus klar und eindeutig besprochen werden muss.
Zudem kann den betroffenen Schülern, bei Einhaltung vorgegebener Verhaltensabsprachen, erlaubt werden, auch in Unterrichtssituationen aufstehen zu dürfen. Dieses kann in zeitlich vorgegebenen Abständen oder mit Klassendiensten verbunden sein, z. B. dem Abwischen der gebrauchten Tafel oder Austeilen von Arbeitsblättern, Rückgabe von Arbeitsheften, Holen von Tafelkreide aus dem Sekretariat und weiteren kreativen Aufträgen. Wichtig ist, das die Kinder mit ADHD ihren übermäßigen Bewegungsdrang auch im Unterricht teilweise ausagieren können und nicht ganze Vormittage ausschließlich still sitzend verbringen müssen – was auch für unauffällige Schüler keine adäquate Lernbedingung ist.
Für Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen sollten außerdem eine zweite oder weitere Sitzgelegenheit eingeräumt werden, damit sie auch im Unterricht ihren Sitzplatz wechseln können, wenn sie sich an abgesprochene Regeln halten und Mitschüler nicht ablenken. Im Stehen oder Liegen kann auch gelernt werden: Positionsveränderungen sollten nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht sein, denn die Sitzvoraussetzungen in Schulen sind nicht lernfördernd und Kinder mit ADHD wird so ein ständiges Abbauen ihres Bewegungsdranges ermöglicht. Zum Sitzen können auch Sitzbälle benutzt werden, die ein gewisses Maß an Bewegung erlauben (vgl. Zentall, Goetze 1994, S. 87, Bender, Mathes 1995, S. 229, Carbone 2001, S. 73, 80, Yehle, Wambold 1998, S. 3, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 40f).
Differenzierende Maßnahmen
Auch die Lerninhalte können den besonderen Bedürfnissen von aufmerksamkeitsgestörten Schülern adaptiert werden. Es kann Schülern individuell unterschiedlich mehr Zeit zur Lösung von Aufgaben gegeben werden, differenzierte Inhalte formuliert werden. So können verschiedene Aufgaben nicht auf einem, sondern auf verschiedenen Arbeitsblättern gestellt werden, um den Kindern rasche Erfolgserlebnisse und eine bessere Aufnahme der Inhalte zu ermöglichen. Hierzu eignen sich auch Teilaufgaben, die der verkürzten Aufmerksamkeitsdauer dieser Schüler gerecht werden.
Des Weiteren sollten die wichtigsten Aufgabenstellungen und Textstellen farblich hervorgehoben werden, um von den aufmerksamkeitsgestörten Kindern als solche erfasst zu werden. Dabei sollen nur aufgabenrelevante Informationen benutzt und Comiczeichnungen oder kleine Bilder vermieden werden, da diese von aufmerksamkeitsgestörten Kindern nur schlecht von relevanten Inhalten diskriminiert werden können. Eine gleichzeitige Präsentation über mehrere Modi hilft Kindern mit ADHD bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen, d. h. es sollten Lerninhalte möglichst nicht nur monomodal vermittelt, sondern über verschiedene Sinne angeboten werden. Dies kann den Einsatz von Medien zur visuellen Präsentation bedeuten, CD-Spieler, Kassettenrekorder und Videos sollten regelmäßig genutzt werden, um aufmerksamkeitsgestörte Kinder auf verschiedenen Sinneskanälen zu erreichen – dieses erleichtert ihnen die Aufnahme von Lerninhalten, vor allem bei einer Kombination aus auditiven und visuellen Anbieten von Informationen. In Prüfungen oder bei Leistungstests kann diesen Schülern ermöglicht werden, zwischen verschiedenen Formen der Leistungserbringung zu wählen: die schriftliche Einzel-Stillarbeit sollte für aufmerksamkeitsgestörte Schüler nicht die einzige Art der Leistungserbringung darstellen.
Mündliche Befragungen, oder praktische Demonstrationen können erlaubt werden. Zudem kann das attraktive Medium Computer nicht nur für Lernprogramme benutzt, sondern auch zur Anfertigung von schriftlichen Arbeiten genutzt werden. Aufgabenstellungen müssen Schülern mit ADHD während der Bearbeitung dauerhaft präsent sein, d. h. konkrete Fragestellungen und Aufgaben sollten immer schriftlich an der Tafel oder am Platz auf „Merkzetteln“ festgehalten werden.
Räumliche Differenzierungsmaßnahmen im Klassenraum können das Lernverhalten positiv beeinflussen, wenn das Kind mit ADHD einen zentralen Platz in der Klasse einnimmt, den Lehrer gut beobachten können und den Kinder positive Modelle, leistungsstarke unauffällige Schüler als Sitzplatznachbarn bietet. Ablenkende Umgebungsvariablen wie Fenster oder Türen sollten nicht in der Nähe sein. Die Schulbank bietet idealerweise mehrere Fächer zum geordneten Ablegen der Materialien der Schüler (vgl. Carbone 2001, S. 72ff, Bender, Mathes 1995, S. 228ff, Yehle, Wambold 2001, S. 1ff, Raza 1997, S. 56ff, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 35f, Lauth, Freese 2003, S. 8, Zentall, Goetze 1994, S. 86f, Barkley 1994, S. 480ff).
Organisationsstrukturierung
Aufmerksamkeitsgestörte Schüler haben oft große Schwierigkeiten beim Organisieren ihrer Arbeitsmaterialien. Einfache organisatorische Strukturen helfen ihnen, angemessen arbeiten zu können. Verschiedenfarbige Ablagen oder kleine Kisten für benötigte Schulmaterialien im Klassenraum können die Kinder beim Ordnen ihrer Schulhefte und Arbeitsmaterialien helfen. Zudem bietet es sich an, Aufgabenhefte zum Abzeichnen einzuführen, in die alle am Schultag erledigten Aufgaben eingetragen werden und jeden Tag am Ende des Schultages gemeinsam besprochen werden. An das Führen von Terminplanern zur Strukturierung und Planung von schulischen aber auch Freizeitaktivitäten sollten aufmerksamkeitsgestörte Kinder herangeführt werden. Lehrer können durch eine regelmäßige enge Anleitung von Schülern mit ADHD beim Bearbeiten von Aufgaben als positive Modelle agieren, indem sie mit ihnen Lösungen gemeinsam erarbeiten und Lösungsstrategien deutlich machen (vgl. Stormont-Spurgin 1997, S. 272, Carbone 2001, S. 80, Barkley 1994, S. 480ff, Yehle, Wambold 2001, S. 2).
Entschärfung der oftmals problematischen Hausaufgabensituation
Schüler mit ADHD haben häufig große Schwierigkeiten beim Bearbeiten und Anfertigen der Hausaufgaben. Diese, zwar häusliche, Situation kann durch Beachten einiger Festlegungen verbessert werden. Aufmerksamkeitsgestörte Schüler vergessen häufig das Aufschreiben der gestellten Aufgaben oder notieren nicht alle Teile der Hausaufgaben. Ein Hausaufgabenheft, in dem jede Seite die Aufgaben für einen Schultag erfasst, sollte im Beisein der Lehrer täglich genutzt werden. Zudem empfiehlt sich eine schriftliche Gegenzeichnung von Lehrern und Eltern bei Erledigung entsprechender Aufgaben. Dieses Vorgehen sollten alle unterrichtenden Lehrkräfte einhalten und konsequent durchführen, evtl. auch unter Einsatz eines entsprechenden verhaltensmodifikatorischen Instruments. Die inhaltliche Gestaltung der Hausaufgaben sollte den Prinzipien der Differenzierungsmaßnahmen entsprechen und dem individuellen Leistungsstand des Kindes gerecht werden – eine Angabe der verlangten Arbeitszeit für jede Aufgabe hilft dem Kind später bei der Bearbeitung zu Hause, dies kann in Form einer Checkliste für das Kind geschehen (vgl. Stormont-Spurgin 1997, S. 272, Bos, Nahmias, Urban 1999, S. 4ff).
3.7.2. Lehrerzentrierte Maßnahmen
Besonderer Umgang mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern
Schüler mit ADHD benötigen von Lehrern eine kontrolliertere Art des Umganges im Unterricht als unauffällige Schüler. Sie brauchen eine direktere, eindeutigere und oftmals auch mehrfach wiederholte Ansprachen und Aufforderungen, um diesen nachkommen zu können. Damit sie ihr Verhalten angemessen lenken können, ist eine regelmäßigere und häufigere Rückmeldung über ihr gezeigtes Verhalten notwendig. Diese Schüler bedürfen einer unmittelbareren Bestätigung oder Rüge von angemessenem bzw. unangemessenem Verhalten durch die Lehrer, da sie zeitlich verzögerte Reaktionen auf ihr Verhalten nicht gut auf Vergangenes beziehen können. Ihre verminderten Fähigkeiten zur selbstständigen Handlungssteuerung werden durch Bestrafungen nicht verbessert, vielmehr müssen ihnen alternative Verhaltensweisen angeboten und vorgelebt werden (Lauth, Freese 2003, S. 8, Raza 1997, S. 56f, Barkley 1998, S. 462ff).
Individuelle Absprachen mit dem Kind treffen
Mit den aufmerksamkeitsgestörten Schülern können verschiedene individuelle Absprachen getroffen werden, um die Unterrichtssituation von Störungen zu befreien. Es können bestimmte Handzeichen oder Blicke verabredet werden, die dem Kind signalisieren, ob sein Verhalten den Anforderungen entspricht (so fällt anderen Schülern das häufigere Loben dieser Kinder nicht so stark auf) oder ob es inadäquates Verhalten zeigt und sein weiteres Vorgehen besser überdenken und steuern soll. Den Kindern sollte erlaubt werden, nach einem abgesprochenen Zeichen, ohne Störungen und Worte den Unterricht verlassen zu dürfen, z. B. um auf die Toilette zu gehen oder, wie im vorherigen Kapitel erwähnt, den Sitzplatz oder die Sitzposition zu verändern (vgl. Yehle, Wambold 1998, S. 2f, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 36ff).
Methodische Gestaltung des Unterrichts
Längere frontale Unterrichtseinheiten, schrift- und sprachfixiertes, sitzendes Arbeiten im überwiegenden Teil des Schultages verhindert Schülern mit ADHD angemessene Schulleistungen erbringen zu können (siehe dazu Kapitel 2.4.). Unterricht sollte regelmäßige Bewegung beinhalten, z. B. bewegungsimmanente Aufgaben (Laufdiktat, „Vier-Ecken-Raten“, Lernparcours). Methodische Vielfalt, ein Wechsel der Arbeits- und Sozialformen sollten rhythmisch wechselnd eingesetzt werden, um Routinen zu etablieren, d. h. ein immer wiederkehrendes Repertoire an Unterrichtserleben kann trotz der Wechsel Sicherheit vermitteln. Unterricht braucht nicht immer ein Konstrukt in Schulräumen zu sein: regelmäßiges Verlassen der Klassen- und Schulräume motiviert aufmerksamkeitsgestörte Kinder und steigert ihre Neugier.
Unterricht mit unruhigen, aufmerksamkeitsgestörten Schülern bedarf nicht jeden Tag eines „Methodenfeuerwerks“, aber erfordert eine Abkehr von routiniert „abgespulten“ Lehr-Unterweisungen, die Schüler zu Rezipienten von Inhalten degradieren und verkennen, dass Schüler (sowohl unauffällige als auch aufmerksamkeitsgestörte) zum eigenverantwortlichen, selbstständigen Erlernen und Aneignen von Wissensinhalten befähigt und beim Erlernen sozialer Kompetenzen begleitet werden müssen (vgl. Carbone 2001, S. 72ff, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 29ff, Raza 1997, S. 56f, Yehle, Wambold 1998, S. 1ff, Barkley 1998, S. 480ff).
Kollegienübergreifende Absprachen treffen
Alle aufgeführten Maßnahmen helfen den Kindern und Lehrern nur dann, wenn abgesprochene Regeln und Strategien von allen beteiligten Personen anerkannt und angewendet werden. Konsequenz und Konsistenz im Umgang mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern ist unheimlich wichtig, um Erfolge zu erlangen (vgl. Bender, Mathes 1995, S. 230).
Elternkontakt
Eine gute Elternarbeit ist für Kinder mit ADHD sehr wichtig. Neben Interventionen in der Schule und beim Kind selbst, bedarf es, um Erfolg aufrecht zu erhalten, einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Eltern (bzw. Bezugspersonen). Neben einem regelmäßigen Informationsaustausch über angemessenes und unangemessenes Verhalten im Unterricht, in der Schule und Leistungen in Tests oder Hausaufgaben ist es bedeutsam, dass eine professionelle Beziehung aufgebaut wird. Denn Eltern bekommen oftmals überwiegend negative Rückmeldungen über ihre Kinder mitgeteilt. Subjektive Werturteile oder gegenseitige Vorwürfe dürfen nicht das Ziel einer professionellen Zusammenarbeit beeinflussen, vielmehr müssen sich Lehrer und Eltern (und evtl. Therapeuten, Ärzten) als ein Team sehen, dessen Aufgabe es ist, einem jungen Menschen unter erschwerten Bedingungen eine erfolgreiche, individuell befriedigende Schulbildung zu ermöglichen (vgl. Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 48ff, Lauth, Schlottke 2002, S. 361ff, Döpfner, Schürmann, Frölich 2002, S. 403f).
Fachwissen über Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen erwerben
Für Lehrer ist es sehr wichtig, über aktuelles Fachwissen zu verfügen, um den besonderen Bedürfnissen der betroffenen Kinder gerecht werden zu können. Nur wer über Aufmerksamkeitsstörungen umfassend informiert ist, kann Kindern mit ADHD systematisch Unterrichtsinhalte vermitteln.
Kapitel 3.3. verdeutlicht den Zusammenhang zwischen einem adäquaten Bedingungswissen und dem effektiven, erfolgreichen Um- und Einsetzen von Änderungswissen. Zum Erwerb von Inhalten über ADHD eignen sich, neben bereits angebotenen und weiter zu entwickelnden Lehrertrainings, auch Informationsbroschüren über Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen. Der ADHS Behandlungswegweiser für Nordrhein-Westfalen (Universität zu Köln, 2003) stellt eine solche fundierte Quelle dar, in dem auch Lehrer ein grundlegendes Verständnis von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen erwerben können und sich auf Grundlage dieses Wissens eigene Unterrichtsmaßnahmen ableiten können (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 361ff, Lauth, Knoop 1998, S. 21ff).
4. Methode
Im Folgenden wird die methodische Grundlegung dieser Arbeit vorgestellt.
4.1. Begründung der empirischen Untersuchung dieser Arbeit
Im Vorwort dieser Arbeit wird eine mediale Präsenz des Themas ADHD festgestellt, durch die allerdings oftmals ein wissenschaftlich nicht haltbares Bild vermittelt wird. Die Einleitung der vorliegenden Arbeit stellt zudem fest, dass das Störungsbild ADHD die am häufigsten diagnostizierte Störung im Kindes- und Jugendalter ist, und dem Thema Aufmerksamkeitsstörungen somit eine Bildungsrelevanz zu Grunde liegt, da die betroffenen Kinder ihrer Schulpflicht nachkommen und besonders in der Institution Schule große Probleme bekommen und machen können. Bis zu einem Drittel von ihnen wird ohne einen Abschluss die Schulzeit beenden, ihre Schulleistungen sind deutlich unterdurchschnittlich, ihre Zukunftsperspektiven dadurch negativ beeinflusst (siehe Kapitel 2.4.).
Die auf der einen Seite unzureichend sachliche mediale Information und auf der anderen Seite die bedeutende bildungspolitische Relevanz (siehe Kapitel 2.4., welche Schul-„Erfolge“ diese Kinder und Jugendlichen erleben) begründen die Motivation des Autors, diese Arbeit anzufertigen und genauer zu betrachten, wie das Unterrichtsverhalten und die Schulleistungen von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen von Ihren Lehrern beschrieben und unterrichtet werden.
Diese Staatsexamensarbeit entsteht, wie bereits in der Einleitung erwähnt, im Rahmen einer interkulturellen Vergleichsstudie in australisch-deutscher Kooperation über das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität. Ziel dieses übergreifenden Projekts wird ein Lehrertraining sein, welches zusätzlich zu bereits bestehenden Therapien und Trainings vom Seminar für Heilpädagogische Psychologie der Universität zu Köln angeboten wird, um aufmerksamkeitsgestörten Kindern, ihren Familien und dann auch Lehrern ein angemessenes Wissen über und den Umgang mit ADHD anbieten zu können.
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen. Bevor näher auf den methodischen Teil der Arbeit eingegangen wird, sollen an dieser Stelle einige Prämissen dargestellt werden, die sich aus dem bisherigen Theorieteil ableiten lassen.
4.2. Prämissen
Verschiedene Prämissen zum Störungsbild und den Umgang mit ADHD liegen dieser Untersuchung zu Grunde, sie wurden im bisherigen Teil dieser Arbeit ausführlich dargestellt. Hier sollen sie noch einmal verdichtet „vor Augen“ geführt werden, sie dienen als Grundlage der empirischen Untersuchung.
Das Störungsbild ADHD wird in Kapitel 1. grundlegend erkundet. Die ehemals hyperkinetisch genannten Kinder werden heute als aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv bezeichnet. Immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse veränderten auch die beiden großen Klassifikationssysteme, das DSM-IV der APA und das ICD-10 der WHO. Heute wird ADHD als eine komplexe Handlungsbeeinträchtigung beschrieben, verursacht durch multifaktorielle Bedingungen. Das Bedingungsmodell (Abbildung 2.) von Lauth und Schlottke verbildlicht diese aktuelle Sichtweise von ADHD. Prävalenzraten von fünf bis sieben Prozent (unter klinisch unauffälligen Kindern) lassen die „Faustregel“ von ein bis zwei aufmerksamkeitsgestörten Kind pro Klasse gelten.
Vor allem in der Schule haben Schüler mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen deutliche, beschreibbare Probleme. Kapitel 2. beschreibt eindeutig unterdurchschnittliche Schulleistungen, soziale Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten, die aufmerksamkeitsgestörte Kinder vor allem im System Schule haben. Im Regelschulsystem scheint bisher nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit ADHD angemessen reagiert zu werden. Bis zu einem Drittel der betroffenen Schüler verlässt die Schule ohne einen Abschluss, aufmerksamkeitsgestörte Kinder besuchen deutlich überrepräsentiert eine Sonderschule in Deutschland, es werden erhöhte Risiken für ihren weiteren Lebensweg beschrieben.
Entgegen der verbreiteten Annahme ist das Unterrichtsverhalten von aufmerksamkeitsgestörten Schülern „vor allem durch einen deutlichen Mangel an anforderungsgemäßem Verhalten und weniger durch aktiv störende Verhaltensweisen gekennzeichnet“ (Lauth, Lamberti 1997, S. 6) – häufig wiederholte Beschwerden über die „nervigen hyperaktiven Kinder“ lassen sich oft durch negative Interaktionen zwischen den betroffenen Kindern und ihren Bezugspersonen erklären. Vor allem die Schwächen im Schulerfolg sind nicht allein durch das Störungsbild zu erklären, das Lehrerhandeln und das Gestalten von Unterricht beeinflusst die Schulleistung von aufmerksamkeitsgestörten Schülern maßgeblich. Den Verhaltensauffälligkeiten und spezifischen Schwierigkeiten von Kindern mit ADHD kann heute in der Institution Schule und somit im Unterricht psychologisch und pädagogisch-didaktisch angemessen begegnet werden. Kapitel 3. stellt ausführlich dar, mit welchen Maßnahmen und wie Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern gestaltet werden kann, um den Kindern eine Entfaltung ihrer Möglichkeiten und somit eine bestmögliche Schulbildung und befriedigende Zukunftsgestaltung zu ermöglichen.
Diese Prämissen beachtend – den Verhaltensauffälligkeiten und der unterdurchschnittlichen Schulleistung von Kindern mit ADHD kann im Unterricht adäquat begegnet werden – sollen nun die folgenden vier Fragestellungen formuliert werden, die der empirische Teil dieser Arbeit zu beantworten versucht.
4.3. Formulierung der Fragestellungen
Im empirischen Teil dieser Arbeit sollen folgende vier Fragestellungen erörtert werden. Die durchgeführte Untersuchung wird in Bezug auf diese Fragestellungen gewonnene Ergebnisse ausführlich darstellen und anschließend umfassend diskutieren.
4.3.1. Wie beschreiben Lehrer das Unterrichten von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern? (Verhalten und Bedürfnisse des Kindes im Unterricht, eigene Bedürfnisse nach Unterstützung und eigene Situation des Lehrers)
4.3.2. Wie beschreiben Lehrer die schulischen Leistungen von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern?
4.3.3. Welches Änderungswissen nennen Lehrer zur Gestaltung von Unterricht als besonders hilfreich für das Kind mit ADHD?
4.3.4. Welches Änderungswissen nennen Lehrer für sich selbst als besonders hilfreich im Umgang mit Schülern mit ADHD im Unterricht?
4.4. Studiendesign
Im Rahmen des Projekts „Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität – eine interkulturelle Studie“ der Universität zu Köln und der Australien National University, fand unter der Leitung von Prof. Dr. G. W. Lauth und Senior Lecturer Dr. B. Heubeck eine Befragung von Grundschullehrern in Deutschland (Nordrhein-Westfalen) und Australien (Queensland) zum obigen Thema statt. Die vorliegende Arbeit bearbeitet einen Ausschnitt aus dem Projekt, der sich speziell mit dem Unterrichten und der Schulleistung von aufmerksamkeitsgestörten Schülern und dem eingesetzten Änderungswissen der Lehrer beschäftigt, die diese Kinder unterrichten. Das genaue Studiendesign dieser Arbeit wird im folgenden Text dargelegt.
4.4.1. Stichprobenbeschreibung
Als geplante Stichprobe der Studie war vorgesehen, 240 Lehrer an 30 verschiedenen (per Zufallsstichprobe ermittelt) staatlichen Grundschulen Nordrhein-Westfalens über Grundschüler im Alter zwischen sechs und zehn Jahren zu befragen. Die Grundschule als Untersuchungsort wurde gezielt ausgewählt, da durch den Eintritt in die Institution Schule die Schwierigkeiten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen erstens manifest werden und zweitens fast alle Kinder eines Jahrgangs in dieser Schulform gemeinsam unterrichtet werden, d. h. für die folgenden Schulformen ist eine deutliche Selektion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf anzunehmen, die an der Grundschule noch unterrichtet werden.
Jeder Lehrer wurde gebeten ein unauffälliges Kind und ein Kind mit deutlichen Symptomen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung seiner Klasse zu beurteilen. Aus jeder Jahrgangsstufe der 30 Grundschulen (Klasse eins, zwei, drei und vier) sollten zwei Lehrer teilnehmen, angenommen wurde eine Zweigliedrigkeit jeder teilnehmenden Grundschule, d. h. in jeder Schule können maximal acht Lehrer teilnehmen.
Die 240 teilnehmenden Grundschullehrer wurden gebeten 240 aufmerksamkeitsgestörte Schüler und 240 unauffällige Schüler beurteilen. Legt man eine geschätzte Schülerzahl von 25 Schülern in einer Grundschulklasse zu Gunde, entspräche dies einer Gesamtzahl von ca. 6000 Grundschülern, aus denen die 480 beschriebenen Schüler ausgewählt würden. Die auffälligen, aufmerksamkeitsgestörten und hyperaktiven Schüler sollen die Lehrer anhand einer vorangegangenen Kriterienliste auswählen, das Geschlecht der beiden zu beurteilten Kinder soll gleich sein.
4.4.2. Vorstellung des Untersuchungsinstruments
Die dieser Arbeit zu Grunde liegende Studie über das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität wurde mittels eines Fremdbeurteilungs- und Eigenbeurteilungsinstrumentes durchgeführt. Dieser eigens für diese Untersuchung konzipierte (im Original) 21-seitige Fragebogen ist in zehn Unterpunkten gegliedert. Teilweise wird eine Fremdbeurteilung von Schülern durch Lehrer erwartet, in anderen Teilen beurteilen die Lehrer sich selbst, ihr eigenes Verhalten oder die eigene Situation beim Unterrichten. Der Fragebogen wurde von Prof. Dr. G. W. Lauth, seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Dr. K. Naumann und Dr. B. Heubeck zusammengestellt. Auf Grund der interkulturellen Konzeption des Fragebogens musste die Gestaltung sowohl landestypisch australische wie deutsche Gegebenheiten erfragen. Das genutzte Instrument zur Befragung wurde in englischer und deutscher Sprache identisch gehalten. Für die Bearbeitung des Fragebogens wurden ca. 60 Minuten veranschlagt. Vorangestellt sind diesen Unterpunkten 1. bis 10. Informationen über die zu beschreibenden aufmerksamkeitsgestörten Schüler, das Ziel der Untersuchung, die angebotene begleitende Unterstützung für die teilnehmenden Lehrer und ein Hinweis auf die absolut vertrauliche, anonyme Behandlung aller gemachten Angaben zu Personen. Abgeschlossen wird der Fragebogen durch eine Danksagung, der Möglichkeit, einen individuellen Kommentar abzugeben und die Frage nach der Telefonnummer des teilnehmenden Lehrers, um eventuelle Nachfragen stellen zu können.
Gliederung des eingesetzten Fragebogens (Anhang 1.)
- Deckblatt „Unterrichten von Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung und
- Hyperaktivität – eine interkulturelle Studie“
1. Demographische Angaben
2. Verhaltensmerkmale der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
3. Aufmerksamkeitsgestörtes und unruhiges Verhalten an Ihrer Schule
4. Schilderung eines aufmerksamkeitsgestörten und unruhigen Kindes
5. Verhalten des auffälligen Kindes Ihrer Klasse
6. Unterricht mit dem auffälligen Kind
7. Weitere Angaben zu dem aufmerksamkeitsgestörten/ hyperaktiven Kind
8. Verhalten eines durchschnittlichen Kindes
9. Unterricht mit dem durchschnittlichen Kind
10. Weiterbildung
10a. Fragen zur Lehrerin/ zum Lehrer
10b. Fragen zur Lehrerin/ zum Lehrer
Raum für abschließende Kommentare und Danksagung
Im Folgenden werden die Inhalte der zehn Unterpunkte kurz dargestellt. Die Teile, die für die vorliegende Arbeit genutzt wurden, werden ausführlicher beschrieben.
1. Demographische Angaben
Dieser Punkt fragt den teilnehmenden Lehrer nach Angaben bzgl. seiner eigenen Person: Geschlecht, Alter, höchster Studienabschluss, unterrichtete Klassenstufe, Anzahl der Schüler in „seiner“ Klasse, Jahre der Berufstätigkeit, Jahre der Tätigkeit an der aktuellen Schule, Weitere Aufgaben an der Schule, Name der Schule
2. Verhaltensmerkmale der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
An dieser Stelle wird eine Liste mit 18 Verhaltenskriterien dargestellt, die analog zum DSM-IV die jeweiligen Verhaltenskriterien für die Kardinalsymptome Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität auflistet.
Anhand dieser Verhaltenskriterienliste sollen die Lehrer an einen Schüler ihrer Klasse denken, auf den die aufgezählten Verhaltensweisen am besten zutreffen.
3. Aufmerksamkeitsgestörtes und unruhiges Verhalten an Ihrer Schule
Folgende Informationen zur Schule des Lehrers werden erfragt: die Klassenstufe und die Zahl der Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen und motorischer Unruhe in der Klassenstufe, in der der Lehrer unterrichtet, eine Schätzung der Anzahl der Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen und motorischer Unruhe, die Anzahl der Kinder mit einer Diagnose ADHD, die Anzahl der Kinder, die wegen einer Aufmerksamkeitsstörung ein Medikament einnehmen und der Einnahmeort des Medikamentes, Einnahmezeit des Medikamentes, der Name des Medikamentes, ob es eine eventuelle Einnahmeprozedur in der Schule gibt, die Einnahme in der Schule gewährleistet wird, ob Kontakt zum verordnenden Arzt besteht, ob der Lehrer bereits an einer Bewertung eines Medikamentes beteiligt war und wie die generelle Erfahrung mit der Wirksamkeit des Medikamentes ist. Die Antworten können teilweise in mehreren Sätzen erfolgen.
4. Schilderung eines aufmerksamkeitsgestörten und unruhigen Kindes
Der teilnehmende Lehrer wird nun aufgefordert, ein Kind aus „seiner“ Klasse auszuwählen, auf welches die beschriebenen Merkmale von aufmerksamkeitsgestörtem und unruhigem Verhalten am meisten zutreffen. Folgende Fragen beschreiben das ausgewählte auffällige Kind:
Vorname des Kindes, Geschlecht, Alter, Klasse, Sprache des Elternhauses, Wohnort (bei seinen Eltern/ einem Elternteil/ anderes), Anzahl der Geschwister, Bekanntschaftsdauer, Unterrichtungsdauer, Medikation des Kindes, Einnahmezeit der Medikation, Dosierung des Medikamentes, Auswirkungen auf das Kind, andere gravierende Probleme des Kindes.
5. Verhalten des auffälligen Kindes Ihrer Klasse
Anhand einer an den DSM-IV Verhaltenskriterien angelehnten Tabelle soll hier die Häufigkeit bestimmter Verhaltensmerkmale angegeben werden. Die Verhaltenskriterien lehnen sich erstens an die 18 Verhaltenskriterien der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, zweitens an ausgewählte Verhaltenskriterien des DSM-IV zu Oppositionellem Trotzverhalten und gestörtem Sozialverhalten an (14 Items). Diese insgesamt 32 Verhaltensmerkmale sollen von den Lehrern bezüglich folgenden Häufigkeiten zugeordnet werden: (1) Höchstens alle paar Monate, (2) 1 – 2 mal pro Monat, (3) 1 mal pro Woche, (4) Fast in jeder Unterrichtsstunde. Zusätzlich soll zu jedem der 32 Items eine Einschätzung der empfundenen Belastung durch das Verhalten auf einer Stärke-Skala von 1-10 erfolgen.
6. Unterricht mit dem auffälligen Kind
Die vorliegende Arbeit nutzt die gewonnen Daten dieses Unterpunktes und wird Punkt 6. deswegen ausführlicher beschreiben.
Die Lehrer sollen an dieser Stelle des Fragebogens den Unterricht mit dem auffälligen Kind beschreiben. Dazu werden 25 Items zu drei verschiedenen inhaltlichen Ebenen abgefragt. Die 25 Items sind angelehnt an die Academic Performance Rating Scale nach DuPaul, Rapport, Periello (2001, vgl. S. 157ff) und von Heubeck für den genutzten Fragebogen modifiziert worden. Folgende drei inhaltliche Ebenen werden erfragt:
a) Das Verhalten und die Bedürfnisse des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil (sieben Items)
b) Die Bedürfnisse und die Situation des Lehrers beim Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Eigenurteil (elf Items)
c) Die Schulleistung des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil (sieben Items)
Im Folgenden werden die einzelnen Items den drei inhaltlichen Ebenen zugeordnet, die genannte Item-Nummer gibt die Reihenfolge im Fragebogen an.
a) Das Verhalten und die Bedürfnisse des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil
1. Wie häufig ist der Schüler bei der Sache
9. Wie oft kann das Kind aufmerksam sein
10. Wie oft braucht das Kind Ihre Hilfe, um die Schulaufgaben richtig fertig zu stellen?
11. Wie oft lenkt das Kind Sie beim Unterrichten ab?
12. Wie oft müssen Sie für den Schüler Extra- oder individualisierte Aufgaben vorbereiten?
13. Wie oft müssen Sie Erläuterungen oder Erklärungen wiederholen, bevor das Kind begriffen hat, was Sie vermitteln wollen?
14. Wie oft müssen Sie das Verhalten des Kindes korrigieren, bevor Sie mit dem Unterricht beginnen können?
b) Die Bedürfnisse und die Situation des Lehrers beim Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Eigenurteil
15. Wie oft stellt das Verhalten des Kindes Ihre Kompetenz oder Autorität als Lehrer in Frage?
16. Wie oft müssen Sie das Kind aus der Klasse schicken, damit Sie Ihren Unterricht durchführen können?
17. Wie oft sprechen Sie mit Kollegen darüber, wie Sie das Kind am besten unterrichten und sein Verhalten steuern können?
18. Wie oft freuen Sie sich auf eine Unterrichtsstunde mit dem Kind
19. Wie schwer oder leicht finden Sie es, dieses Kind zu unterrichten vergleichen mit einem durchschnittlichen Schüler aus der gleichen Klassenstufe?
20. Wie oft finden Sie es sehr belastend dieses Kind zu unterrichten?
21. Wie oft ist es notwendig, wegen der Lern- und Verhaltensprobleme des Schülers mit seinen Eltern aufzunehmen?
22. Wie viel Unterstützung bekommen Sie durch die Eltern bei den Verhaltens- und Lernproblemen des Kindes?
23. Wie viel Ärger machen Ihnen die Eltern bei Ihrer Arbeit mit dem Kind?
24. Wie oft wünschen Sie, Sie hätten professionelle Unterstützung bei den Lern- und Verhaltensproblemen des Kindes?
25. Wie oft haben Sie tatsächlich um professionelle Unterstützung gebeten?
c) Die Schulleistung des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil
2. Schätzen Sie, wie viele der schriftlichen Matheaufgaben (unabhängig von der Genauigkeit) von ihm beendet werden.
3. Schätzen Sie, wie viele der schriftlichen Sprachaufgaben (unabhängig von der Genauigkeit) von ihm beendet werden.
4. Schätzen Sie, wie genau die schriftlichen Matheaufgaben gelöst werden (z. B. Prozent richtig beantworteter Aufgaben)
5. Schätzen Sie, wie genau die schriftlichen Sprachaufgaben gelöst werden (z. B. Prozent richtig beantworteter Aufgaben)
6. Wie schnell lernt das Kind neue Inhalte (z. B. neue Konzepte)?
7. Wie oft hat das Kind Schwierigkeiten sich an den Stoff vom Vortag zu erinnern?
8. Wie gut kann das Kind lesen und schreiben im Vergleich zum Klassendurchschnitt?
Für die folgenden Item-Nummern stehen unterschiedliche Kodierungen als Antwortmöglichkeiten zur Verfügung, die nachfolgende Tabelle stellt diese verschiedenen Möglichkeiten dar.
Tabelle 9.: Übersicht der verschiedenen Antwortkategorien und den zugeordneten Item-Nummern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Anhang 1., Punkt 6./9.)
Zusätzlich zu diesen kategorisierten Variablen werden als Punkt 8a. und 8b. zwei offene Fragen zu den besonderen schulischen Fähigkeiten und anderen Stärken des aufmerksamkeitsgestörten Kindes gefragt.
7. Weitere Angaben zu dem aufmerksamkeitsgestörten/ hyperaktiven Kind
Es werden das Vorliegen eines Förderplanes, die schriftliche Niederlegung dieses Planes und die Dauer des Vorhandenseins eines Förderplanes für das auffällige Kind erfragt. Zusätzlich werden fünf offene Fragen bezüglich des Förderplanes und dessen Umsetzung gestellt.
Zwei Fragen aus diesem Kontext werden ebenfalls in dieser Arbeit differenzierter beleuchtet, die das Änderungswissen der teilnehmenden Grundschullehrer erfragen:
Welche Maßnahmen haben dem Kind bisher am meisten geholfen?
Was hat Ihnen als Lehrer am meisten geholfen, das Kind zu unterrichten und sein Verhalten zu steuern?
Des Weiteren wird erfragt, welche Unterstützungsmaßnahmen sich die Lehrer für die Zukunft für den auffälligen Schüler wünschen, es sind 12 verschiedene Unterstützungsitems genannt, die mit ja/ nein beantwortet werden können.
8. Verhalten eines durchschnittlichen Kindes
Analog zu Punkt 5. wird das Verhalten eines durchschnittlichen Kindes und die Empfindung der Belastung erfragt (siehe Punkt 5.)
9. Unterricht mit dem durchschnittlichen Kind
Unter Punkt 6. wird dargestellt, welche Angaben hier zu machen sind.
Die Unterpunkte 8a. und 8b. fallen für das durchschnittliche Kind weg.
10. Weiterbildung
Der Lehrer soll angeben, ob an einer Fortbildung zum Thema Unterrichten von aufmerksamkeitsgestörten Kindern teilgenommen wurde. Anschließend kann angegeben werden, in welchem Umfang Inhalte zum Thema in Weiterbildungen angeboten werden sollten.
10a. und 10b. Fragen zur Lehrerin / zum Lehrer
10a. Zehn Aussagen zur Selbsteinschätzung des eigenen Handelns/ Umgangs mit Schwierigkeiten im pädagogischen Alltag sollen mit einer Skala von 1 (= stimmt nicht) bis 4 (= stimmt genau) beantwortet werden.
10b. 22 Aussagen zur „Burn out“-Thematik sollen mit Hilfe einer Skala von 0 (= nie) bis 6 (= jeden Tag) bewertet werden.
4.4.3. Durchführung der Untersuchung
Im Sommer 2002 fassten Prof. Dr. G. W. Lauth und Dr. B. Heubeck gemeinsam den Beschluss, im Rahmen der Entwicklung eines internationalen Lehrertrainings zum Unterrichten von Schülern mit ADHD, das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität an Grundschulen in Australien (Queensland) und Deutschland (Nordrhein-Westfalen) zu untersuchen.
In der Folgezeit wurde eine studentische Projektgruppe gegründet, die mit der Bearbeitung und Durchführung des Projekts, unter ständiger Begleitung durch Prof. Dr. Lauth und Dr. Naumann, betraut wurde. In enger Absprache mit den Betreuern vor Ort und Dr. Heubeck in Australien entstand der unter Kapitel 4.4.2. vorgestellte Fragebogen als Untersuchungsinstrument.
Nach Auswahl der anzuschreibenden Grundschulen in Nordrhein-Westfalen (Ziehung einer Zufallsstichprobe von 30 Grundschulen mit dem Statistik-Programm SPSS Version 11 aus 3439 staatlichen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen) erfolgte ab Ende April das postalische Zusenden der 240 Fragebögen an die Schulleitungen, welches mit einem persönlichem Anschreiben und beigelegten rückfrankierten und -addressierten Umschlägen geschah. Dieses persönliche Anschreiben (Anhang 2.) informierte die Schulleiter über das Vorhaben der Untersuchung, den erwünschten Rücksendetermin, erbat ihre Kooperation und bot natürlich umfassende telefonische Unterstützung und Beratung über eine Email-Adresse an, um eine möglichst hohe Teilnehmerzahl zu erreichen.
Zur Erinnerung an das Zurücksenden der ausgefüllten Fragebögen und nochmaligen Motivation zur Teilnahme wurde ein weiteres persönliches Anschreiben nach ca. 14 Tagen versandt, in dem die Wichtigkeit der Teilnahme jeder Schule nochmals ausdrücklich dargestellt wurde. Gleichzeitig wurde eine dem Fragebogen entsprechende Rohdatenmatrix mit dem Statistik-Programm SPSS 11 erstellt. Nach dem Eintreffen der zurückgesandten Fragebögen wurden die Antworten der teilnehmenden Lehrer im Sommer 2003, wenn nötig, kategorisiert und in die Rohdatenmatrix unter SPSS eingegeben. Der Abschluss der Dateneingabe stellte auch den offiziellen Abschluss der studentischen Projektgruppe gegen Beginn des Herbstes 2003 dar. Seitdem fertigen die studentischen Teilnehmer der Projektgruppe ihre Examensarbeiten zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen an und werten unter Beratung von Dr. Naumann die empirischen Daten zur Nutzung in den Staatsexamensarbeiten aus.
5. Präsentation der Ergebnisse
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung präsentiert. Den Anfang bildet die Präsentation der tatsächlichen Stichprobenzusammensetzung und Rücklaufquote. Anschließend werden die Ergebnisse anhand der vier Fragestellungen dargestellt, es wird hierbei auf jede Fragestellung differenziert eingegangen und die entsprechenden Ergebnisse ausführlich beschrieben.
5.1. Stichprobenzusammensetzung und Rücklaufquote
Teilnehmende Lehrer- und beschriebene Schülerzahl
Von den 30 angeschrieben staatlichen Grundschulen haben 23 Schulen teilgenommen, das entspricht einer Teilnehmerquote von 76,7%. Von den insgesamt 240 versendeten Fragebögen wurden 145 Fragebögen ausgefüllt zurückgesendet; dies entspricht einer Rücklaufquote von 60,4%. Es haben insgesamt 145 Lehrer an der Untersuchung teilgenommen, die über 145 unauffällige Schüler und 145 aufmerksamkeitsgestörte Kinder berichten. Diese 290 Grundschüler aus Nordrhein-Westfalen wurden von ihren Klassenlehrern aus einer Gesamtschülerzahl von ca. 3335 Kindern gewählt, geht man von einer durchschnittlichen Schüleranzahl von 23 Kindern pro Klasse aus (Mittelwert 23,3 Schüler in der Klasse, über die sie berichten). In die jeweilige (mehrgliedrige) Klassenstufe der Grundschüler gehen im Durchschnitt 55 Schüler (Mittelwert 55,48).
Angaben zu den Lehrern
Das Durschnittsalter der Lehrerstichprobe liegt bei 44,85 Jahren, die durchschnittliche Berufserfahrung bei 18,4 Berufsjahren. Unter den 145 teilnehmenden Lehrern sind 14 männlich und 126 weiblich, die folgende Abbildung stellt diese Verteilung graphisch dar.
Abbildung 3.: Lehrergeschlechterverteilung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Angaben zu den beschriebenen Schülern mit ADHD
Unter den insgesamt 145 beschriebenen Schülern mit einer Aufmerksamkeitsstörung sind 23 Mädchen und 117 Jungen, zu fünf Kindern wurde keine Angabe zum Geschlecht gemacht. Die folgende Abbildung stellt die Geschlechterverteilung graphisch dar. Die Jungen sind im Verhältnis fünf zu eins gegenüber den aufmerksamkeitsgestörten Mädchen überrepräsentiert.
Abbildung 4.: Geschlecht der Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Geschlechterverteilung der Kinder mit ADHD entspricht auch den beschriebenen unauffälligen Kindern. Die Altersverteilung der beschriebenen Kinder mit ADHD ist in der folgenden Abbildung nach Geschlecht dargestellt.
Abbildung 5.: Alter der Kinder mit ADHD nach Geschlecht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das durchschnittliche Alter der Stichprobe der Schüler mit ADHD liegt bei 8,6 Jahren. Das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen ist in jeder Altersgruppe nahezu gleich. Die beschriebenen Kinder besuchen die vier Klassen der Grundschule. In die erste und zweite Klasse gehen insgesamt 76 Schüler, in die dritte und vierte Klasse 63 Schüler, zu sechs Kindern wurde keine Angabe bezüglich ihrer Klasse gemacht. Nachfolgende Abbildung stellt die Verteilung auf die einzelnen Klassen dar.
Abbildung 6.: Klasse des Kindes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Angaben zum aufmerksamkeitsgestörten, hyperaktiven Kind
Sechs Schüler mit ADHD vermuten Lehrer in ihrer Klassenstufe (Mittelwert 6,12), dies entspricht einer Prävalenz von 11,03% aufmerksamkeitsgestörter Schüler im Lehrerurteil (nimmt man die durchschnittliche Klassenstufengröße von 55,48 Schülern als Grundlage). Zudem geben sie an, dass durchschnittlich ein Kind (Mittelwert 1,01) pro Klassenstufe (Mittelwert 55,48) ein Medikament auf Grund einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung einnimmt, dies entspricht einem Vorkommen von 1,82 %. Der Mittelwert der Angabe, wie viele Kinder mit einer Diagnose ADHD in der Klassenstufe den Lehrern bekannt sind, liegt bei 1,91. Dies entspricht einer Prävalenz von 3,4% aufmerksamkeitsgestörten Kindern.
5.2. Ergebnispräsentation zu den Fragestellungen
Im weiteren Textverlauf werden analog zu den vier Fragestellungen die Ergebnisse ausführlich präsentiert und beschrieben.
5.2.1. Wie beschreiben Lehrer das Unterrichten von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schülern?
Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf Punkt 6. des Fragebogens, der modifizierten Academic Performance Rating Scale (Anhang 1., Punkt 6.).
Begonnen wird die Präsentation mit den Urteilen der Lehrer über das Verhalten und die Bedürfnisse der Kinder im Unterricht und den Bedürfnissen und der Situation der Lehrer beim Unterrichten (im Eigenurteil). Anschließend werden besonders differierende Ergebnisse vergleichend dargestellt, ehe Stärken des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil beschrieben werden. Dann folgt eine vergleichende Präsentation der vom Lehrer beurteilten Schulleistung, die zuerst allgemein beschreibend und später vergleichend dargestellt wird. Abschließend werden besondere schulische Stärken der aufmerksamkeitsgestörten Schüler (im Lehrerurteil) präsentiert.
Die folgenden vier Tabellen stellen die Beschreibung der Kinder mit ADHD und der unauffälligen Kinder im Lehrerurteil/ Eigenurteil des Lehrers dar. Die Urteile der Lehrer zum aufmerksamkeitsgestörten und unauffälligen Kind werden anhand der Tabellen 10. bis 13. verglichen. Die Angaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe ngesamt = 145 (teilnehmende Lehrer).
Tabelle 10.: Verhalten und Bedürfnisse des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil[3]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 11.: Verhalten und Bedürfnisse des unauffälligen Kindes im Lehrerurteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die visuelle Inspektion der beiden obigen Tabellen ergibt unterschiedliche Ergebnisse in der Lehrerbeurteilung. Im Folgenden werden die Ergebnisse aller Items vergleichend beschrieben (im Anhang sind die einzelnen Häufigkeitstabellen aller Items des Kindes mit ADHD abgebildet, Anhang 3.). Auffällig unterschiedliche Items (farblich unterlegt) werden an späterer Stelle detaillierter gegenübergestellt. Tabelle 10. und 11. beschreiben (im Lehrerurteil) das Verhalten und die Bedürfnisse der Schüler im Unterricht wie folgt[4]:
44,1% der Lehrer geben für den Schüler mit ADHD an, dass dieser weniger als 50% der Unterrichtszeit „ bei der Sache sein “ kann, 30,3% sehen ihn zu 50-69% „bei der Sache“. Der unauffällige Schüler wird von 81,8% der Lehrer als 70-100% der Unterrichtszeit „bei der Sache“ seiend beurteilt.
29,7% und 54,5% der Lehrer geben an, dass das aufmerksamkeitsgestörte Kind selten oder manchmal „ aufmerksam sein“ kann, das unauffällige Kind ist oft aufmerksam im Unterricht (73,8%).
„Hilfe für Schulaufgaben“ benötigt das auffällige Kind oft (45,5%) oder sehr oft (14,5%), das durchschnittliche selten (42,8%), bzw. manchmal (41,4%).
Der aufmerksamkeitsgestörte Schüler „ lenkt jeden Tag beim Unterrichten ab “, berichten 58,6%, unauffällige Schüler lenken den Lehrer selten (49,7%) beim Unterrichten ab.
Manchmal (33,8%) müssen Lehrer für die auffälligen Schüler „ individualisierte Aufgaben “ vorbereiten, 33,8% der Lehrer geben ihnen diese oft. 72,4% der Lehrer berichten, dass sie den unauffälligen Schülern nie oder selten individuelle Aufgaben stellen müssen.
Im Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern müssen Lehrer „ Erklärungen 2-3 mal, öfter oder ständig wiederholen “ (64,9%), für unauffällige Kinder geben 78% der Lehrer an, Erklärungen nie oder 1 mal wiederholen zu müssen.
60,7% der Lehrer geben an, bei Schülern mit ADHD oft oder jede Unterrichtsstunde das „ Verhalten korrigieren “ zu müssen, um mit dem Unterricht beginnen zu können. Das Verhalten von unauffälligen Schülern muss von Lehrern nie oder selten korrigiert werden, geben 81,4% an.
Tabelle 1.:
Tabelle 12.: Bedürfnisse und Situation des Lehrers beim Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Eigenurteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 13.: Bedürfnisse und Situation des Lehrers beim Unterrichten von unauffälligen Kindern im Eigenurteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Tabellen 12. und 13. stellen die Bedürfnisse und die Situation des Lehrers (im Eigenurteil) beim Unterrichten von Schülern mit ADHD und unauffälligen Schülern gegenüber. Es werden nachfolgend die Ergebnisse aller Items dargestellt, anschließend besonders unterschiedliche Angaben (farbig unterlegt) detaillierter vergleichen.
54,4% der Lehrer empfinden durch das Verhalten des Schülers mit ADHD nie oder selten ihre „ Kompetenz in Frage gestellt“, manchmal oder oft wird von 38,6% angegeben. Unauffällige Schüler stellen die Kompetenz der Lehrer nie, selten oder manchmal in Frage (92,4%), oft oder sehr oft empfinden Lehrer dieses nicht (keine Nennung).
„Aus der Klasse schicken“ 36,6% der Lehrer die auffälligen Kinder nie. Selten oder manchmal ergreifen 53,1% diese Maßnahme, 5,5% verweisen die Kinder oft oder jeden Tag der Klasse, um den Unterricht fortführen zu können. 85,5% aller befragten Lehrer schicken durchschnittliche Schüler nie aus der Klasse, 9% selten oder manchmal, oft oder jeden Tag wird nicht genannt.
Über den aufmerksamkeitsgestörten Schüler führen 38% der Lehrer oft oder jeden Tag „ Gespräche mit Kollegen“ darüber, wie sein Verhalten am besten zu steuern sei. 54,5% führen diese Gespräche selten oder manchmal. Dieses Thema wird über den unauffälligen Schüler bei 79,3% der Lehrer nie oder selten angesprochen.
20,7% der Lehrer geben an, nie oder selten „ Freude auf das Kind“ mit Aufmerksamkeitsstörung zu haben. 38,6% freuen sich oft oder jeden Tag, 28,3% geben an, sich manchmal auf Unterricht mit dem Kind zu freuen. 77,2% der Lehrer freuen sich oft oder jeden Tag auf den Unterricht mit dem unauffälligen Kind, 12,4% aller befragten Lehrer beantworteten diese Frage nicht.
82,1% der Lehrer finden aufmerksamkeitsgestörte Schüler im „ Vergleich“ zu durchschnittlichen schwerer und sehr viel schwerer zu unterrichten, 11,7% finden dieses gleich schwierig. Der durchschnittliche Schüler wird von 58,6% als gleich schwierig zu unterrichten beurteilt, 24,9% geben an, dass dies viel leichter und leichter sei, 14,5% beantworteten diese Frage nicht.
Beim Unterrichten fühlen sich 33,8% der Lehrer oft und sehr oft sehr „ belastet durch das Kind “ mit ADHD, 34,5% manchmal, 26,9% geben selten oder nie an. Durch das unauffällige Kind fühlen sich 85,5% aller befragten Lehrer nie oder selten sehr belastet. Oft und jeden Tag wird nicht genannt.
39,3% der Lehrer geben an, dass oft „ Kontakt mit den Eltern“ wegen der Lern- und Verhaltensprobleme des auffälligen Kindes notwendig ist. Manchmal oder selten geben hier 53,8% der Befragten an. Wegen Lern- und Verhaltensprobleme des durchschnittlichen Kindes ist nie oder selten eine Kontaktaufnahme mit den Eltern nötig, geben 84,8% an.
Bei den Verhaltens- und Lernproblemen des Schülers mit ADHD geben 39,3% der Lehrer an, keine oder ein wenig „ Unterstützung durch Eltern“ zu bekommen, einige, viel und völlige Unterstützung zu bekommen, geben 55,9% an. 75,9% der Befragten bekommen einige, viel oder völlige Unterstützung der Eltern der unauffälligen Schüler, 11% geben hier keine oder ein wenig Unterstützung, 13,1% keine Antwort an.
83,4% der befragten Lehrer geben an, keinen oder wenig „ Ärger mit den Eltern“ des auffälligen Kindes zu haben, 11% haben mit ihnen viel oder extrem viel Ärger. 91% haben keinen oder wenig Ärger mit den Eltern des durchschnittlichen Kindes.
42% der Lehrer geben an, den „ Wunsch nach professioneller Unterstützung“ bei den Lern- und Verhaltensproblemen des Kindes mit ADHD oft oder jeden Tag zu haben, 40% wünschen sie sich manchmal, 13,1% geben an, sich dieses nie oder selten zu wünschen. 82,7% geben nie oder selten für das unauffällige Kind an, 7,6% manchmal oder oft, jeden Tag wird nicht genannt.
46,9% der befragten Lehrer haben für das Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Schülers noch nie oder einmal tatsächlich „ um Unterstützung gebeten “, 45,5% geben an, 2-3 mal, öfter oder ständig um professionelle Unterstützung gebeten zu haben. 85,5% der Lehrer haben noch nie um professionelle Unterstützung beim Unterrichten eines durchschnittlichen Schülers gebeten.
Tabelle 14. stellt die Mittelwerte der Lehrerantworten für das Verhalten und die Bedürfnisse der Kinder (mit ADHD/ unauffällig) dar. Die größten Mittelwertdifferenzen (farbig unterlegt) werden als Hinweis auf besonders differierende Angaben angesehen und im weiteren Verlauf in einer differenzierten Gegenüberstellung der Häufigkeitsverteilungen der Antworten dargestellt. Das Kardinalsymptom-Item „aufmerksam sein“ wird als zehntes Item zusätzlich betrachtet.
Tabelle 14.: Mittelwerte der Lehrerurteile im Vergleich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die folgenden zehn Tabellen (Tabelle 15. bis 24.) zeigen die genannten Häufigkeitsverteilungen der Lehrerurteile für jene Items, bei denen die visuelle Dateninspektion auffallende Unterschiede zwischen den aufmerksamkeitsgestörten Kindern und unauffälligen Kindern ergab. Die Mittelwerte der einzelnen Items differieren > 1,5. Dabei ist das unauffällige Kind jeweils gleichen Alters, gleichen Geschlechts und besucht dieselbe Klasse des beschriebenen auffälligen Schülers. Für jedes dargestellte Item wurde ergänzend ein Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest (nach Pearson) gerechnet, um zu überprüfen, ob eine statistisch signifikante Überzufälligkeit des Unterschiedes der Lehrerbeurteilung zwischen den als auffällig und unauffällig beschriebenen Kindern vorliegt.
Tabelle 25. gibt eine Übersicht aller Chi-Quadrat-Werte und Ergebnisse. Angenommen werden Signifikanzschranken von < .05 als ein signifikantes Ergebnis, < .01 als ein hochsignifikantes Ergebnis. Zur Berechnung der Chi-Quadrat-Werte wurden aus den fünf Antwortkategorien (1-5) des Fragebogens (siehe Anhang 1., Punkt 6.) dichotome Kategorien gebildet. Diese beiden Kategorien wurden auf Grund inhaltlicher Relevanz gebildet, denn die dichotomen Kategorien stellen bei den betrachteten zehn Items immer eine deutliche Unterscheidung der beschriebenen Störungsqualität respektive eine deutliche Unterscheidung der Quantität des gezeigten/ beschriebenen Verhaltens dar (z. B. stellt die Kompetenz des Lehrers nie, selten, manchmal (1,2,3) in Frage = neue Kategorie eins; oft, jeden Tag (4,5) = neue Kategorie zwei). Die Antwortkategorien 1, 2 und 3 stellen für die Rechnung des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests aller farbig hinterlegten Items (in den Tabellen 10., 11., 12., 13.) immer die neue Kategorie eins dar, die Antwortkategorien 4 und 5 immer die neue Kategorie zwei dar. Die Tests wurden für die Variablen „Kind mit ADHD vs. unauffälliges Kind “ (Kontrollgruppe) gerechnet. Beispielhaft für dieses Vorgehen wird im Anhang ein Rechenbeispiel des Chi-Quadrat-Tests präsentiert (Anhang 4.).
Tabelle 15.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Bei der Sache sein“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
44,1% der befragten Lehrer geben an, dass das auffällige Kind weniger als 50% der Unterrichtszeit „bei der Sache“ ist, nur ein Lehrer urteilt so über das unauffällige Kind, welches 53,5% der Befragten in 80-89% und 90-100% der Unterrichtszeit „bei der Sache“ sehen – diese Kategorie wird dem auffälligen Kind von acht Lehrern zugeteilt (5,5%). Die größte Überschneidung liegt bei der Angabe 70-79% vor. 12,4% geben dieses für das auffällige Kind an, 31% für das unauffällige. Der Chi-Quadrat-Test belegt auf Grund der dichotomen Einteilung der Skala (siehe oben) einen überzufälligen Unterschied in der Häufigkeitsverteilung (Chi-Quadrat = 77,384; df = 1; p < .01) der Beurteilung. So werden Kinder mit ADHD von ihren Klassenlehrern weniger häufig als „bei der Sache“ seiend beurteilt als unauffällige Kinder.
Tabelle 16.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Aufmerksam sein“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Als eines der Kardinalsymptome von ADHD ist die Beurteilung dieses Items besonders interessant. 30,4% der Klassenlehrer sehen die aufmerksamkeitsgestörten Schüler selten oder nie aufmerksam seiend, 54,5% geben manchmal an – die Kategorien nie oder selten werden für den unauffälligen Schüler nicht genannt, manchmal von 8,3%. Unauffällige Schüler werden von 73,8% oft aufmerksam beurteilt, von 11% sehr oft, für Schüler mit ADHD wird von 11% der Lehrer oft. Sehr oft wird hier gar nicht angegeben. Das Ergebnis des Chi-Quadrat-Tests ergibt einen überzufällig häufigen Unterschied in der Lehrereinschätzung (Chi-Quadrat = 173,612; df = 1; p < .01). Schüler mit ADHD sind in ihren „Augen“ seltener aufmerksam im Unterricht als durchschnittliche Schüler
Tabelle 17.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Lenkt beim Unterrichten ab“
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Während 108 Lehrer (74,5%) jede Woche und jeden Tag beim Unterrichten von den Kindern mit ADHD abgelenkt werden, geben dieses für die unauffälligen Kinder nur 7 Lehrer an (4,8%). Jeden Tag wird nicht angegeben. Das durchschnittliche Kind wird von 129 Lehrern (89%) als manchmal, selten oder nie ablenkend beurteilt, wohingegen dieses 31 Lehrer (21,4%) für das auffällige Kind angeben. Der Chi-Quadrat-Test ergibt ein hochsignifikantes Ergebnis. Lehrer geben überzufällig häufig an, vom Kind mit ADHD beim Unterrichten abgelenkt zu werden (Chi-Quadrat = 148,714; df = 1; p < .01).
Tabelle 18.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Verhalten korrigieren“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Verhalten des aufmerksamkeitsgestörten Schülers müssen 46,2% der Lehrer (67) oft und 14,5% (21 Lehrer) in jeder Unterrichtsstunde korrigieren, um mit dem Unterricht beginnen zu können. Beim unauffälligen Schüler geben dieses 1,4% für oft und kein Lehrer für jede Unterrichtsstunde an. Dagegen muss das Verhalten dieses Schülers von 118 Lehrern (81,4%) nie oder selten korrigiert werden – mit seltenen oder gar keinen (nie) Korrekturen des Verhaltens unterrichten 17 Lehrer (11,8%) die Schüler mit ADHD. Der Chi-Quadrat-Test zeigt, dass Lehrer überzufällig häufig das Verhalten des aufmerksamkeitsgestörten Schülers korrigieren müssen, um unterrichten zu können (Chi-Quadrat = 121,23; df = 1; p < .01).
Tabelle 19.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Gespräche mit Kollegen“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
53 (36,6%) Lehrer geben an, um besser unterrichten und das Verhalten des Kindes mit ADHD besser steuern zu können, oft mit Kollegen zu sprechen. Zwei Lehrer sprechen jeden Tag über das Kind (1,4%). Mit Kollegen sprechen 3 Lehrer oft über das unauffällige Kind (2,1%). Jeden Tag wird nicht angegeben. Manchmal über das Kind mit ADHD zu sprechen, geben 62 Lehrer an (42,8%), für das auffällige Kind geben dieses 10,3% der Lehrer an (15). 115 Lehrer (79,3%) sprechen nie oder selten mit Kollegen über das durchschnittliche Kind, während 20 Lehrer (13,8%) dieses für das Kind mit ADHD angeben. Der Chi-Quadrat-Test ergibt, dass Lehrer überzufällig häufig mit Kollegen über das Unterrichten und die Steuerung des Verhaltens von aufmerksamkeitsgestörten Kindern reden (Chi-Quadrat = 57,442; df = 1; p < .01).
Tabelle 20.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Schwerer/ leichter Vergleich“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verglichen mit einem durchschnittlichen Schüler der Klasse, finden es 66,9% der Lehrer schwerer und 15,2% sehr viel schwerer, Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen zu unterrichten. Gleich schwer bzw . leicht empfinden dies 11,7% beim Schüler mit ADH. 58,6% geben dieses für den unauffälligen Schüler an. 15,2% geben an, das Unterrichten im Vergleich zu durchschnittlichen Schülern beim unauffälligen Schüler leichter oder viel leichter zu finden (9,7%). Viel leichter wird für die Beurteilung des auffälligen Schülers nicht genannt. Zwei Lehrer (1,4%) empfinden dieses leichter. Wird der Chi-Quadrat-Test für dieses Item gerechnet, ergibt sich ein hochsignifikantes Ergebnis (Chi-Quadrat = 184,388; df = 1; p < .01), d. h. Lehrer geben überzufällig häufig an, das Unterrichten von aufmerksamkeitsgestörten im Vergleich zu durchschnittlichen Schülern schwerer zu finden.
Tabelle 21.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Belastet durch das Kind“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5,5% der Lehrer geben an, das Unterrichten von aufmerksamkeitsgestörten Kindern jeden Tag sehr belastend zu finden, oft empfinden dieses 28,3%. Zu diesen beiden Kategorien machen Lehrer für das durchschnittliche Kind keine Angabe. Das Unterrichten dieses Kindes finden Lehrer selten (21,4%) oder nie (64,1%) sehr belastend, 6,9% (nie) und 20% (selten) geben dieses für das Kind mit ADHD an. Manchmal sehr belastet zu sein geben für das unauffällige Kind 6,9%, für das aufmerksamkeitsgestörte 34,5% an. Lehrer finden das Unterrichten von Kindern mit ADHD überzufällig häufig belastender, als unauffällige Kinder zu unterrichten, dieses ergibt der Chi-Quadrat-Test (Chi-Quadrat = 58,034; df = 1; p < .01).
Tabelle 22.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Nötiger Kontakt mit Eltern“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
57 Lehrer (39,3%) geben an, oft wegen der Lern- und Verhaltensprobleme des auffälligen Schülers mit dessen Eltern Kontakt aufnehmen zu müssen. Zwei Lehrer geben dieses für den durchschnittlichen Schüler an (1,4%). Mit den Eltern des Schülers mit ADHD müssen deswegen 64 Lehrer (44,1%) manchmal, mit denen des unauffälligen 6,9% (10 Lehrer) in Kontakt treten. Selten oder nie treten 84,8% der Lehrer mit den Eltern der durchschnittlichen Schüler in Kontakt (123 Lehrer), 10,6% (15 Lehrer) geben dieses für den auffälligen Schüler an. Der Chi-Quadrat-Test ergibt, dass Lehrer wegen der Lern- und Verhaltensprobleme der aufmerksamkeitsgestörten Schüler hochsignifikant unterschiedlich häufig angeben, mit deren Eltern Kontakt aufnehmen zu müssen (Chi-Quadrat = 63,342; df = 1; p < .01).
Tabelle 23.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Unterstützungswunsch“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
42% der befragten Lehrer geben an, dass sie sich oft oder jeden Tag professionelle Unterstützung bei den Lern- und Verhaltensstörungen des Kindes mit ADHD wünschen. 40% wünschen sich diese Unterstützung manchmal. Für das unauffällige Kind geben 5,5% der Lehrer manchmal, oft 2,1% und jeden Tag kein Lehrer einen Unterstützungswunsch an. Nie oder selten wünschen sich 13,1% der Lehrer professionelle Unterstützung für das Kind mit ADHD – 82,7% geben dieses für das unauffällige Kind an. Die Überzufälligkeit der Angabe dieses Unterschiedes wird durch einen Chi-Quadrat-Test bestätigt (Chi-Quadrat = 68,244; df = 1; p < .01).
Tabelle 24.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Um Unterstützung gebeten“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mindestens zwei- dreimal oder öfter (und ständig) haben 45,5% der befragten Lehrer bereits um professionelle Unterstützung gebeten, um den aufmerksamkeitsgestörten Schüler besser unterrichten zu können. Genau so häufig haben 2,8% der Lehrer um professioneller Unterstützung wegen des unauffälligen Schüler gebeten. Einmal um Unterstützung haben 19,3% für den Schüler mit ADHD gebeten, 2,8% der Lehrer für den durchschnittlichen Schüler. Dafür geben 85,5% der befragten Lehrer an, noch nie wegen durchschnittlicher Schüler nach professioneller Unterstützung gebeten zu haben, 27,6% haben dieses noch nie wegen des aufmerksamkeitsgestörten Schülers getan. Dieser Unterschied ergibt sich auf Grund eines gerechneten Chi-Quadrat-Tests als hochsignifikant (Chi-Quadrat = 32,717; df = 1; p < .01).
Tabelle 25.: Chi-Quadrat-Werte (nach Pearson)-Übersicht Bedürfnisse Kind/ Bedürfnisse Lehrer
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Signifikantes Ergebnis: p < .05
Hochsignifikantes Ergebnis: p < .01
Tabelle 25. gibt eine zusammenfassende Übersicht, welche Chi-Quadrat-Werte sich für die verglichenen Items ergeben. Für alle zehn Items ergibt sich bei dichotomer Skaleneinteilung (siehe oben) ein überzufälliger Unterschied im Lehrerurteil hinsichtlich der Einschätzung des Kindes mit ADHD und des unauffälligen Kindes. Die Variable „Kind mit ADHD vs. unauffälliges Kind“ und die zehn beschriebenen Variablen sind demnach nicht unabhängig voneinander, d. h. in diesen zehn Variablen hochsignifikant unterschiedlich. Es besteht somit ein Zusammenhang zwischen dem Status des Kindes mit ADHD und der beurteilten Störungsqualität und -quantität des Verhaltens im Urteil der Lehrer.
Stärken des Kindes mit ADHD im Lehrerurteil
Die Frage 8b. der modifizierten Academic Performance Rating Scale (Anhang 1., Punkt 6.) gibt den Lehrern die Möglichkeit, besondere Stärken des aufmerksamkeitsgestörten Kindes offen zu formulieren. Die Antworten sind in fünf übergeordnete Kategorien zusammengefasst worden (Tabelle 26.).
Die farbig unterlegten Kategorien stellen die häufigsten Nennungen dar und werden im Folgenden beschrieben. Die an dieser Stelle nicht näher betrachteten Angaben können im Anhang eingesehen werden. Ihnen liegt eine sehr geringe Häufigkeit der Nennung zu Grunde (Anhang 5.).
Von insgesamt 145 (Gesamt n) befragten Lehrern machten zur Frage 8b. 73 Lehrer Angaben (dies entspricht 50,3%), Mehrfachnennungen waren durch die offene Form möglich. Die folgenden Tabellen stellen die relativen (nR) und absoluten (nG) Häufigkeiten der Antworten dar, um einen möglichst genauen Überblick der Nennungshäufigkeiten zu geben.
Tabelle 26.: Stärken von Kindern mit ADHD im Lehrerurteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
nG = 145, nR = 73
Die häufigst genannte Kategorie der beschriebenen Stärken von Kindern mit ADHD im Lehrerurteil stellt die Kategorie „ist offen gegenüber anderen und hilft gerne“ dar. 85,8% der antwortenden Lehrer nennen Stärken des Kindes, die dieser Übergruppe zugeordnet wurden, dies stellt 43,5% aller 145 teilnehmenden Lehrer dar. Die zweite beschriebene Kategorie stellt „Sport“ dar, 23,3% der antwortenden Lehrer geben Sport als eine Stärke der aufmerksamkeitsgestörten und hyperaktiven Kinder an, das entspricht 11,7% aller teilnehmenden Lehrer.
Tabelle 27.: Ist offen gegenüber anderen und hilft gerne
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 27. zeigt die verschiedenen kategorisierten Antworten „Ist offen gegenüber anderen und hilft gerne “. Das aufmerksamkeitsgestörte Kind wird von 28,8% der antwortenden Lehrer als hilfsbereit beschrieben, dies entspricht 14,5% aller teilnehmenden Lehrer. 12,3% (R) beschreiben die Kinder als verträglich, 11% (R) als kontaktfreudig, 9,6% (R) als sozial kompetent. Nennungen, die deutlich weniger als von 10% der antwortenden Lehrer angegeben werden, bleiben ausschließlich in der obigen Tabelle genannt.
Tabelle 28.: Sport
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die beschriebene Stärke des Kindes Sport wird von 23,3% der antwortenden Lehrer genannt, dies entspricht 11,7% aller teilnehmenden Lehrer.
5.2.2. Wie beschreiben Lehrer die schulische Leistung von Schülern mit ADHD im Vergleich zu unauffälligen Schüler?
Es werden nun die Ergebnisse zur Schulleistung des Kindes mit ADHD und des unauffälligen Kindes ausführlich vorgestellt, die folgenden Tabellen 29. und 30. zeigen die Ergebnisse zur Schulleistung des Kindes mit ADHD und des unauffälligen Kindes im Lehrerurteil.
Tabelle 29.: Schulleistung aufmerksamkeitsgestörter Kinder im Lehrerurteil[5]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 30.: Schulleistung unauffälliger Kinder im Lehrerurteil
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Analog zur Beschreibung der Ergebnisse der Urteile von den Lehrern über das Verhalten und die Bedürfnisse der Kinder im Unterricht und den Bedürfnissen und der Situation der Lehrer beim Unterrichten (im Eigenurteil) werden nun die Ergebnisse zur Schulleistung von aufmerksamkeitsgestörten Schülern im Vergleich zu unauffälligen Schülern präsentiert. Dies geschieht anhand der Tabellen 29. und 30. Nach der allgemeinen Beschreibung jedes Items werden die farbig unterlegten Items detaillierter im Vergleich betrachtet und in Analogie zu den Tabellen 15. – 24. mittels eines Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests überprüft, ob eine statistisch signifikante Überzufälligkeit des Unterschiedes in den angegebenen Häufigkeitsverteilungen vorliegt[6]. Für diese farbig unterlegten Items wird auf Grund einer hohen Differenz der Mittelwerte (siehe Abbildung 7.) ein Hinweis auf einen großen Unterschied der Beurteilung vermutet. Im Folgenden werden die Items der Tabellen 29. und 30. kurz vergleichend betrachtet.
34,5% der Lehrer geben an, dass der aufmerksamkeitsgestörte Schüler weniger als 50% der „ Matheaufgaben beendet“ (unauffälliger Schüler: 2,8%). 69,7% der befragten Lehrer sehen den unauffälligen Schüler 80-100% der Matheaufgaben beenden, für den Schüler mit ADHD geben dieses 24,1% an.
„Sprachaufgaben beendet“ der durchschnittliche Schüler zu 80-100%, geben 64,8% der befragten Lehrer an, für den auffälligen Schüler beantworten dies 15,9% der Lehrer. 31% geben an, dass dieser die Sprachaufgaben zu weniger als 50% beendet, 8,3% geben dieses für den durchschnittlichen Schüler an.
23,4% der Lehrer geben an, dass von dem Kind mit ADHD 0-49% der „ Matheaufgaben“ genau bzw. richtig gelöst werden, 90-100% gelöste Aufgaben geben für diesen Schüler 6,9% an. Dass der durchschnittliche Schüler die Aufgaben zu 80-100% richtig und genau löst, geben 60,6% der Lehrer an.
Der aufmerksamkeitsgestörte Schüler löst nach Angaben von 29,7% seiner Lehrer 0-49% der „ Sprachaufgaben“ (keine Nennung für den unauffälligen Schüler bei 0-49%). Die unauffälligen Schüler lösen 80-100% der Sprachaufgaben genau und richtig, geben 49% der Lehrer an, für den auffälligen Schüler geben es 11,1% an. Dass die Kinder mit ADHD schnell oder sehr schnell „Neue Inhalte lernen“ können, urteilen 12,4% der Lehrer, dass die durchschnittlichen Kinder schnell und sehr schnell lernen, geben 15,2% an. 66,9% geben für diese Kinder an, recht schnell zu lernen (Kinder mit ADHD 36,6%). Langsam und sehr langsam geben für das Kind mit ADHD 46,9% der Lehrer an – für das unauffällige Kind geben es 16% an, sehr langsam wird nicht genannt.
Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen haben oft oder sehr oft Schwierigkeiten, „ Inhalte des Vortages zu erinnern “, geben 31% ihrer Lehrer an (unauffälliges Kind 4,1% oft, keine Nennung sehr oft). Selten oder manchmal Schwierigkeiten mit der Erinnerung des „Stoffs“ des Vortages zu haben, geben 87,6% der Lehrer für das durchschnittliche Kind an (auffälliges Kind 58,7%).
Das „ Lesen und Schreiben“ beurteilen 43,4% der Lehrer im Vergleich zu durchschnittlichen Schülern für den Schüler mit ADHD als mittelmäßig (unauffälliges Kind 46,2%). Gut oder sehr gut im Vergleich zum Durchschnitt werden die Schüler mit ADHD von 22,7% der Lehrer beurteilt (unauffällige Schüler 45,5%). Im Vergleich zum Durchschnitt können die Schüler mit ADHD sehr schlecht oder schlecht lesen und schreiben, geben 28,9% an (unauffälliger Schüler 2,8%).
Abbildung 7.: Mittelwertevergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die folgenden vier Tabellen (31. – 34.) werden an dieser Stelle beschrieben und mit einem Chi-Quadrat-Test auf statistisch signifikante Unterschiede geprüft[7].
Tabelle 31.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Matheaufgaben beendet“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
34,5% der befragten Lehrer geben an, dass der Schüler mit ADHD 0-49% der Matheaufgaben beendet, 50-69% geben 20,7 an, 15,4% (unauffälliger Schüler 15,9%) beobachten, dass 70-79% der Aufgaben beendet werden. Dass der durchschnittliche Schüler die Matheaufgaben zu 0-49% und 50-69% beendet, geben 4,2% der Lehrer an. 69,7% geben für diesen Schüler an, 80-100% der Matheaufgaben zu beenden, den aufmerksamkeitsgestörten Schüler beurteilen so 24,1%. Der Chi-Quadrat-Test ergibt, dass auf Grundlage dichotomer Skaleneinteilung (siehe S. 87/88) eine Überzufälligkeit des Unterschiedes im Lehrerurteil vorliegt (Chi-Quadrat = 71,808; df = 1; p < .01). Schüler mit ADHD beenden überzufällig häufig ihre Matheaufgaben nicht, geben ihre Lehrer an.
Tabelle 32.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Sprachaufgaben beendet“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kinder mit ADHD beenden weniger als 50% ihre „ Sprachaufgaben“, urteilen 31% der befragten Lehrer, 2,1% geben dieses für das unauffällige Kind an. 50-69% und 70-79% beendete Sprachaufgaben sehen 46,9%, das unauffällige Kind wird so von 26,2% der Lehrer beurteilt. 80-100% geben für das Kind mit ADHD 15,9%, für das durchschnittliche Kind 64,8%. Der Chi-Quadrat-Test bestätigt diesen Unterschied, es wird eine signifikante Überzufälligkeit bewiesen (Chi-Quadrat = 76,745; df = 1; p < .01). Lehrer geben an, dass Kinder mit ADHD weniger häufig Sprachaufgaben beenden als durchschnittliche Schüler.
Tabelle 33.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Matheaufgaben richtig gelöst“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Klassenlehrer geben an (60,6%), dass der unauffällige Schüler die „ Matheaufgaben“ zu 80-100% richtig löst. Für den aufmerksamkeitsgestörten Schüler geben dieses 26,9% der Befragten an. Eine große Überschneidung ist für die Kategorie 70-79% zu beschreiben, hier geben für den Schüler mit ADHD 22,1% an, seine Matheaufgaben richtig zu lösen, für den unauffälligen Schüler 20,7%. Dass der auffällige Schüler seine Matheaufgaben 0-49% und 50-69% richtig löst, beschreiben 23,4% bzw. 18,6%, insgesamt 42%, für den durchschnittlichen Schüler geben dieses insgesamt 6,9% der befragten Lehrer an.
Dass die Lehrer für den Schüler mit ADHD überzufällig häufig angeben, weniger Aufgaben richtig zu lösen, belegt ein hochsignifikantes Ergebnis des Chi-Quadrat-Tests (Chi-Quadrat = 39,974; df = 1; p < .01).
Tabelle 34.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Sprachaufgaben richtig gelöst“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Lehrer geben an, dass 29,7% der Kinder mit ADHD ihre Sprachaufgaben weniger als 50% richtig lösen, für das unauffällige Kind gibt dies kein Lehrer an.
Das 50-69% der Sprachaufgaben richtig gelöst werden, geben für das unauffällige Kind neun Prozent, für das aufmerksamkeitsgestörte Kind 31% der Lehrer an. 70-79% richtig gelöste Sprachaufgaben beobachten 21,4% beim auffälligen Kind, 32,4% beim durchschnittlichen Schüler. Das dieser 80-100% der Sprachaufgaben richtig löst, beschreiben 49% aller befragten Lehrer. Für den Schüler mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung geben dieses 11,1% der Klassenlehrer an. Die teilnehmenden Lehrer beschreiben überzufällig häufig, dass Schüler mit ADHD weniger Sprachaufgaben richtig lösen. Der Chi-Quadrat-Test ergibt ein hochsignifikantes Ergebnis (Chi-Quadrat = 54,169; df = 1; p < .01).
Tabelle 35.: Chi-Quadrat-Werte Übersicht nach Pearson für die Schulleistung des Kindes mit ADHD
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Signifikantes Ergebnis: p < .05
Hochsignifikantes Ergebnis: p < .01
Tabelle 35. gibt eine zusammenfassende Übersicht, welche Chi-Quadrat-Werte sich für die verglichenen Items ergeben. Für alle vier Items ergibt sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied im Lehrerurteil zwischen den Variablen „Kind mit ADHD vs. unauffälliges Kind “. Die Variablen „Kind mit ADHD vs. unauffälliges Kind“ sind nicht unabhängig voneinander. Die befragten 145 Lehrer beurteilen aufmerksamkeitsgestörte Kinder in diesen vier Items hochsignifikant unterschiedlich – es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Status „Kind mit ADHD“ und der von Lehrern beurteilten Schulleistung.
Besondere schulische Stärken des Kindes mit ADHD im Lehrerurteil
Die Frage 8a. der modifizierten Academic Performance Rating Scale (Anhang 1, Punkt 6.) gibt den Lehrern analog zur bereits vorgestellten Frage 8b. die Möglichkeit, besondere schulische Stärken des aufmerksamkeitsgestörten Kindes offen zu formulieren. In Tabelle 36. sind die häufigsten Nennungen farbig markiert und werden vorgestellt. Die an dieser Stelle nicht näher betrachteten Angaben können im Anhang eingesehen werden, ihnen liegt eine geringe Häufigkeit der Nennungen zu Grunde (Anhang 6.).
Von den insgesamt 145 (Gesamt n) befragten Lehrern machten zur Frage 8a. 102 Lehrer Angaben (70,3%), Mehrfachnennungen waren durch die offene Form möglich. Die folgenden Tabellen stellen die relativen (nR) und gesamten Häufigkeiten (nG) der Antworten dar.
Tabelle 36.: Besondere schulische Stärken des Kindes mit ADHD
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
nG = 145, nR = 102
Die häufigst genannte Kategorie der beschriebenen schulischen Stärken von Kindern mit ADHD im Lehrerurteil stellt die Kategorie „Denken/ Allgemeinbildung/ Ausdruck“ dar. 32,4% der antwortenden Lehrer nennen schulische Stärken des Kindes, die dieser Übergruppe zugeordnet wurden, diese stellen 22,7% aller 145 teilnehmenden Lehrer dar. Die zweite an dieser Stelle zu beschreibende Kategorie stellt „Sachunterricht“ dar, 25,5% der antwortenden Lehrer geben Sachunterricht als eine Stärke der aufmerksamkeitsgestörten und hyperaktiven Kinder an, das entspricht 17,9%. „Sport“ wird von 24,5% der hier antwortenden Lehrer und „Mathe“ von 20,6% angegeben.
Tabelle 37.: Besondere schulische Stärken: „Denken/ Allgemeinbildung/ Ausdruck“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus der Kategorie „Denken/ Allgemeinbildung/ Ausdruck“ wird die schnelle Auffassungsgabe von 9,8% (zehn Lehrernennungen) am meisten genannt. Die weiteren Häufigkeiten sind in der o.g. Tabelle ersichtlich. Von den 102 antwortenden Lehrern wird in dieser Kategorie keine besondere schulische Stärke des aufmerksamkeitsgestörten Kindes häufiger als zehn Mal genannt.
Tabelle 38.: Besondere schulische Stärken: „Sachunterricht, Sport, Mathe“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die drei Schul-Fächer Sachunterricht (25,5%), Sport (24,5%) und Mathe (20,6%) werden von den Lehrern als häufigste schulische Stärke angegeben.
5.2.3. Welches Änderungswissen nennen Lehrer zur Gestaltung von Unterricht als besonders hilfreich für das Kind mit ADHD?
Unter Punkt 7. des Fragebogens (Anhang 1.) bekamen die teilnehmenden Grundschullehrer die Möglichkeit, in offener Form anzugeben, ob und welche Art von Förderung und besonderen Maßnahmen im Unterricht dem Kind mit ADHD angeboten werden. Die an dieser Stelle näher betrachtete offene Frage lautet:
„Welche Maßnahmen haben dem Kind am meisten geholfen?“
Von den 145 befragten Lehrern haben 98 (67,6%) hierzu Angaben gemacht, Mehrfachantworten waren möglich. Die Antworten sind aus Gründen der Übersichtlich- und Darstellbarkeit in elf Kategorien (Tabelle 39.) zusammengefasst und werden im Folgenden vorgestellt. Die farbig hinterlegten Items werden detaillierter betrachtet, die exakten Häufigkeitsverteilungen der unmarkierten Items werden an dieser Stelle wegen der niedrigen Häufigkeitsnennung nicht präsentiert, sie sind im Anhang einsehbar (Anhang 7.).
Tabelle 39.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
nG = 145, nR =98
Von den 98 antwortenden Lehrern wird am meisten Änderungswissen (42,7%) genannt, welches in der Kategorie unterrichtliche Fördermaßnahmen zusammengefasst wurde, 34,6% der hier antwortenden Lehrer geben Maßnahmen an, die der Kategorie individuelle Strategien zugeordnet wurden. Individualisierungsmaßnahmen geben 24,3% der antwortenden Klassenlehrer an, Verstärkungsmaßnahmen nennen 18,1%. Festlegung von Regeln wird von 14,2% der Unterrichtenden als Änderungswissen angegeben. Die in Tabelle 39. farbig unterlegten Items werden im weiteren Verlauf genauer betrachtet, wobei nur die häufigst angegebenen Maßnahmen der Lehrer beschrieben werden, die sie als meist helfend für das aufmerksamkeitsgestörte Kind erachten.
Tabelle 40.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Unterrichtliche Fördermaßnahmen“ für den Schüler mit ADHD
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die meistgenannte unterrichtliche Fördermaßnahme für das Kind mit ADHD der antwortenden Lehrer, die dem Kind aus Sicht seines Lehrers am meisten geholfen haben, ist mit 19,4% (19 Nennungen) die Einzelförderung. Dies entspricht 13,1% aller 145 befragten Lehrer. In Kleingruppenarbeit sehen 11,2% der antwortenden Lehrer die für das Kind am meisten hilfreiche Maßnahme. Dies entspricht 7,6% aller 145 teilnehmenden Lehrer.
Tabelle 41.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Festlegung von Regeln“
Die in Tabelle 41. genannten Maßnahmen sind zwar in geringer Anzahl genannt worden, werden aber auf Grund ihrer inhaltlichen Wichtigkeit an dieser Stelle präsentiert. Ein Lehrer gibt an, dass Regelverstöße gezielt zu benennen seien, sieben Lehrer empfinden konsequentes Verhalten als dem Kind besonders hilfreiche Maßnahme. Vier Lehrer geben an, auf die Einhaltung von Regeln zu bestehen helfe dem Kind am meisten, zwei Lehrer geben an, konkrete Absprachen mit dem Kind zu treffen, helfe diesem am meisten.
Tabelle 42.: „Änderungswissen (hilfreich für das Kind): Verstärkungsmaßnahmen“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch die in der o.g. Tabelle genannten Maßnahmen, die dem Kind am meisten geholfen haben, wurden wenig von den Lehrern genannt. Aber auf Grund der inhaltlichen Relevanz werden auch diese präsentiert. Genauer beschrieben soll an dieser Stelle nur die Verstärkungsmaßnahme positive Verstärkung werden. 5,1% der antwortenden Lehrer geben an, das positive Verstärkung dem Kind in der Schule bisher am meisten geholfen habe, dies entspricht 3,4% aller teilnehmenden 145 Lehrer.
Tabelle 43.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Individuelle Strategien des Lehrers“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die häufigst genannte, dem Kind mit ADHD helfende Maßnahme der Kategorie
„Individuelle Strategien des Lehrers“ (Tabelle 43.) ist ruhige, direkte Ansprache. 24,5% der antwortenden Lehrer geben diese an, dies entspricht 16,6% aller teilnehmenden Lehrer (Tabelle 43.).
Tabelle 44.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Individualisierungsmaßnahmen“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Kategorie Individualisierungsmaßnahmen wird als dem Kind besonders helfend ein besonderer Sitzplatz von den Lehrern beschrieben. 10,2% der antwortenden Lehrer geben den besonderen Sitzplatz an. Dies entspricht 6,9% aller teilnehmenden Lehrer.
5.2.4. Welches Änderungswissen nennen Lehrer als besonders hilfreich für sich selbst im Umgang mit Schülern mit ADHD im Unterricht?
Unter Punkt 7. des Fragebogens (Anhang 1.) bekamen die teilnehmenden Grundschullehrer die Möglichkeit, in offener Form anzugeben, ob und welche Art von Förderung und besonderen Maßnahmen im Unterricht dem Kind mit ADHD angeboten werden. Die an dieser Stelle näher betrachtete offene Frage lautet:
„Was hat Ihnen als Lehrer am meisten geholfen, das Kind zu unterrichten und sein Verhalten zu steuern?“
Von den 145 befragten Lehrern haben 96 (66,2%) hierzu Angaben gemacht, Mehrfachantworten waren möglich. Die Antworten sind aus Gründen der Übersichtlich- und Darstellbarkeit in neun Kategorien (Tabelle 45.) zusammengefasst und werden im Folgenden vorgestellt. Die farbig hinterlegten Items werden detaillierter betrachtet, die exakten Häufigkeitsverteilungen der unmarkierten werden an dieser Stelle wegen der niedrigen Häufigkeitsnennung nicht präsentiert, sie sind im Anhang einsehbar (Anhang 8.).
Tabelle 45.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
nG = 145, nR = 96
65% (35,8% aller 145 Lehrer) der antwortenden Lehrer geben an, dass ihnen die Kooperation mit den Bezugspersonen des aufmerksamkeitsgestörten Kindes am meisten hilfreich ist, das Kind zu unterrichten und sein Verhalten zu steuern, 49,8% antworteten (33,8% aller Lehrer) mit individuellen Strategien, 12,4% der hier antwortenden Lehrer (8,4% aller teilnehmenden Lehrer) nennen Individualisierungsmaßnahmen als hilfreich. Die weiteren Ergebnisse werden als zu wenig häufig genannt erachtet, um an dieser Stelle gesondert beschrieben zu werden.
Die in Tabelle 45. farbig unterlegten Items werden im weiteren Verlauf genauer betrachtet, wobei nur die häufigst angegebenen Maßnahmen der Lehrer beschrieben werden, die sie als meist helfend für das Kind aufmerksamkeitsgestörte Kind erachten.
Tabelle 46.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Kooperation mit Bezugspersonen/ prof. Helfern“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die 96 antwortenden Lehrer geben mit 18,8% am häufigsten Kontakt mit den Eltern des Kindes mit ADHD als am meisten hilfreich für sich selbst an, um das aufmerksamkeitsgestörte Kind zu unterrichten. Dies entspricht 12,4% aller teilnehmenden Klassenlehrer. 16% der antwortenden Lehrer nennen Gespräche mit Kollegen über das Kind mit ADHD als beim Unterrichten hilfreiche Maßnahme, dies entspricht 11% aller Lehrer.
Tabelle 47.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Individualisierungsmaßnahmen“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf die obige Tabelle 47. wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen, sie wird aber aus inhaltlicher Relevanz präsentiert und zeigt, dass alle genannten Maßnahmen summiert von 8,4% der 145 befragten Lehrer darstellen, die Individualisierungsmaßnahmen als hilfreich beim Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes angeben.
Tabelle 48.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Individuelle Strategien des Unterrichtenden“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Tabelle stellt die von den Lehrern genannten verschiedenen individuellen Strategien dar, die als am meisten hilfreich beim Unterrichten und Steuern des Verhaltens des aufmerksamkeitsgestörten Kindes angegeben wurden. Insgesamt geben 33,8% aller befragten Lehrer als hilfreich empfundene Maßnahmen an. Auf die angegebenen 14 unterschiedlichen individuellen Strategien des Unterrichtenden wird hier nicht näher eingegangen, erwähnenswert ist allerdings die Strategie Verständnis aufbauen, die von 11,5% der antwortenden Lehrer angebeben wird, beim Unterrichten hilfreich zu sein.
6. Diskussion
Die gewonnenen Ergebnisse dieser Untersuchung werden im Folgenden interpretiert und anhand wissenschaftlicher Literatur diskutiert. Begonnen wird mit einer näheren Betrachtung der Ergebnisse zur tatsächlichen Stichprobe und Rücklaufquote, anschließend werden die Ergebnisse zu den Fragestellungen diskutiert, um abschließend einen Ausblick zu wagen.
6.1. Zur Stichprobe und Rücklaufquote
Den eingesetzten Fragebogen beantworteten 145 Grundschullehrer, dies entspricht einer Rücklaufquote von 60,4%. Diese hohe Rücklaufquote – die freiwillig teilnehmenden Grundschullehrer investierten immerhin ca. 60 Minuten in die Bearbeitung des Fragebogens – erlaubt, auf zwei Sachverhalte schließen. Zum Einen lässt sich für die untersuchte Thematik „Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität“ sowohl bei den angeschriebenen Schulleitern als auch bei den teilnehmenden Grundschullehrern auf eine positive Resonanz und vorhandenes Interesse schließen. Bereits im Vorwort dieser Arbeit wird auf die mediale Präsenz und schulpolitische Relevanz des untersuchten Themas verwiesen. Zum Anderen kann der Fragebogen in den teilnehmenden Kollegien genau die Lehrer angesprochen haben, die entweder eine Gruppe besonders motivierter oder aber auch besonders von den Problemen durch ADHD betroffener Lehrer darstellen.
Die 145 antwortenden Grundschullehrer aus Nordrhein-Westfalen stellen eine Zufallsstichprobe der Gesamtpopulation der 44 511 Lehrer (vgl. Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen, LDS, 2003) an nordrhein-westfälischen Grundschulen dar. Das Durchschnittsalter der Lehrer in der vorliegenden Stichprobe liegt mit 44,85 Jahren dem der Gesamtpopulation von 46,6 Jahren sehr nahe (LDS, 2003). Der Stichprobe liegt eine Geschlechterverteilung der teilnehmenden Grundschullehrer von zehn Prozent männlichen und 90% weiblichen Lehrern zu Grunde, das LDS (2003) gibt einen Anteil von 88% weiblichen und zwölf Prozent männlichen Grundschullehrern an.
Die der Untersuchung zu Grunde liegende Stichprobe der Grundschullehrer stellt eine repräsentative Stichprobe der Grundschullehrer Nordrhein-Westfalens dar.
Die von den Lehrern beschriebene Schülerstichprobe weist ein durchschnittliches Alter von 8,6 Jahren auf und ist nahezu gleich auf die Klassen eins bis vier der Grundschule verteilt, somit ist die tatsächliche Stichprobe der geplanten gleich, denn es sollen Aussagen über die gesamte Grundschule getroffen werden.
Die durchschnittliche Schülerzahl je Grundschulklasse liegt in der Stichprobe bei 23,3 Schülern pro Klasse. In den Grundschulen Nordrhein-Westfalens befinden sich durchschnittlich 23,2 Schüler in einer Grundschulklasse (LDS, 2003) – die Lehr- und Lernbedingungen für Unterricht sind als repräsentativ anzunehmen.
Von den beschriebenen aufmerksamkeitsgestörten (und unauffälligen) Kindern der vorliegenden Stichprobe sind 84% Jungen (117) und 16% Mädchen (23). Die Jungen mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sind in einem Verhältnis von fünf zu eins überrepräsentiert – diese Verhältnis ist als repräsentativ für aufmerksamkeitsgestörte Kinder anzunehmen, ähnliche Verhältnisse (drei zu eins bis neun zu eins (Jungen/ Mädchen) sind in der wissenschaftlichen Literatur zahlreich beschrieben (vgl. Petermann, Döpfner, Lehmkuhl, Scheithauer 2000, S. 29ff, Lauth, Schlottke 2002 , S. 26).
Die teilnehmenden Lehrer geben an, dass sie ca. elf Prozent der Schüler ihrer Klassenstufe als aufmerksamkeitsgestört, hyperaktiv ansehen. Diese hohe Lehrereinschätzung, die wissenschaftlich beschriebene Prävalenz von ADHD deutlich übertreffend, ist in der Literatur häufig bestätigt worden: bis zu 20 Prozent ihrer Schüler schätzen Lehrer als aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv ein (vgl. Barkley 1999, S. 79, Lauth, Schlottke 2002, S. 21f, Bach, Knöbel, Arenz-Morek, Rosner 1984, S. 68/97). Die Prävalenz einer medikamentösen Behandlung wird von den Lehrern mit 1,82% angegeben. Ferber et al. (2003, S. 41) geben für Jungen im Alter von sieben bis 13 Jahren die Häufigkeit einer Ritalin®-Behandlung mit 1,9% an. Die Grundschullehrer sind über die medizinischen „Belange“ ihrer Schüler gut informiert. Auch über eine vorliegende Diagnose ADHD sind die teilnehmenden Grundschullehrer gut informiert, sie geben an, dass 3,4% der Kinder in ihrer Klassenstufe als aufmerksamkeitsgestört (Diagnose ADHD) erkannt wurden. Diese Prävalenzrate lässt sich in der wissenschaftlichen Literatur bestätigt finden, drei bis fünf, bzw. sieben Prozent der Kinder werden international übereinstimmend als aufmerksamkeitsgestört beschrieben (Lauth, Schlottke 2002, S. 21, Barkley 1999, S. 79).
Die Zusammensetzung der beschriebenen Stichprobe der vorliegenden Untersuchung (der Lehrer und von ihnen beschriebenen Schüler) lässt darauf schließen, dass die vorliegenden Angaben über die beschriebenen aufmerksamkeitsgestörten Schüler der Untersuchung als repräsentativ für die Gesamtpopulation der Grundschullehrer in Nordrhein-Westfalen angenommen werden können.
6.2. Zu den Fragestellungen
Das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen
Alle Items, die zum Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern beantwortet wurden, verdeutlichen, dass sich im Lehrerurteil das Unterrichten von Kindern mit ADHD deutlich vom Unterrichten von unauffälligen Kindern unterscheidet. Dieses Ergebnis bestätigt in einer Analogie die Feststellung von Lauth und Lamberti (1997), dass sich das Unterrichtsverhalten von aufmerksamkeitsgestörten Schülern deutlich von dem Unterrichtsverhalten von unauffälligen Schülern unterscheidet. Im Einzelnen betrachtet ergibt sich folgendes Bild:
Das Verhalten und die Bedürfnisse des Kindes mit ADHD im Unterricht
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, die befragten Grundschullehrer nehmen wahr, dass aufmerksamkeitsgestörte Schüler häufiger als durchschnittliche Schüler Hilfe benötigen, um gestellte Schulaufgaben im Unterricht zu erledigen. Ihnen müssen häufiger Extraaufgaben, bzw. individualisierte Aufgaben gestellt werden und bevor sie Anweisungen des Lehrers befolgen, muss dieser Erklärungen mehrmals (öfter als zwei- oder dreimal) wiederholen. Lehrer erkennen bei Kindern mit ADHD das Existieren besonderer Bedürfnisse, die erfüllt werden müssen, damit diese Kinder dem Unterricht folgen können. D. h. Lehrer haben das Gefühl, diesen Kindern aktiver beim Lernen gegenüber treten zu müssen, ihnen mehr Aufmerksamkeit und besonderes Lern-Material anbieten zu müssen und erleben gleichzeitig, dass ihre Bemühungen scheinbar nicht sofort sichtbare Erfolge bewirken. Mit dieser Einschätzung beschreiben die Lehrer zutreffend die besonderen Bedürfnisse von aufmerksamkeitsgestörten Schülern. In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass Kinder mit ADHD deutlichere Anweisungen benötigen, diese Anweisungen mehrmals wiederholt werden müssen und ihnen gestellte Aufgaben einer besonderen Gestaltung in Form, Umfang und Bearbeitungszeit bedürfen (vgl. Lauth, Freese 2003, S. 8, Raza 1997, S. 56f, Barkley 1998, S. 462ff, Bender, Mathes 1995, S. 228ff, Zentall, Goetze 1994, S. 86f, Carbone 2001, S. 72ff). Ob sich dieses Erkennen eines erhöhten Individualisierungs-Bedürfnisses in Lern-Arrangements der aufmerksamkeitsgestörten Schüler in angewandtem Änderungswissen der befragten Lehrer wiederfindet, wird im weiteren Verlauf ersichtlich.
Mittels eines Chi-Quadrat-Tests (vgl. S. 89/90 dieser Arbeit) ergeben sich statistisch hochsignifikante Unterschiede (im Vergleich zur Beschreibung eines durchschnittlichen Schülers) in der Beurteilung folgender Items: Die Lehrer bemerken, dass Schüler mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen in ihrem Unterricht deutlich weniger bei der Sache sind, sie wesentlich seltener aufmerksam sein können und sie sich zudem von diesen Schülern häufiger beim Unterrichten abgelenkt fühlen. Wahrscheinlich erachten sie es auch deswegen als sehr oft notwendig, das (Stör-)Verhalten dieser Kinder zu korrigieren.
Aufmerksamkeitsgestörte Schüler werden von Lehrern einerseits als aktiv störender empfunden. Diese Schüler verlangen ihnen mehr verhaltensteuerndes Eingreifen ab als durchschnittliche Schüler. Andererseits erleben sie die Kinder mit ADHS als unaufmerksamer im Unterricht und desinteressiert den angebotenen Lehr-Inhalten gegenüber. Lauth und Knoop konstatieren 1998 (S. 22), dass das Verhalten von Kindern mit ADHD von Lehrern oft als hochgradig störend wahrgenommen wird, wie sie es auch in dieser Untersuchung angeben – was genau in den „Augen“ von Lehrern das störende Charakteristikum des Verhaltens von aufmerksamkeitsgestörten Kindern ist, bleibt unklar, denn Lauth und Lamberti weisen 1997 nach, dass Störverhalten quantitativ nur wenig häufiger von Kindern mit ADHD gezeigt wird (vgl. Kapitel 3.2.). Die teilnehmenden Lehrer erkennen wiederum übereinstimmend mit Lauth und Lamberti (1997, S. 6), dass sich das Verhalten aufmerksamkeitsgestörter Schüler vor allem durch einen Mangel an anforderungskonformen Verhalten auszeichnet und sie deutlich häufiger Lernangebote ungenutzt lassen, „verträumt“ wirken, nicht „bei der Sache“ sind. Diese Kombination stellt ein äußerst ungünstiges Unterrichtsverhalten dar, erklärt aber nur unzureichend die Tatsache, dass Lehrer sich von diesen Schülern überdurchschnittlich häufig beim Unterrichten gestört fühlen, obwohl dieses Störverhalten nicht wesentlich häufiger gezeigt wird. Eventuell liegt die Erklärung hierfür in der Tatsache begründet, dass zwischen Lehrern und Schülern mit ADHD sehr oft negative Interaktionsmuster vorliegen (siehe Kapitel 2.3.). Es kann somit die Gefahr bestehen, dass Lehrer vor dem Hintergrund häufiger negativer Interaktionserlebnisse, nur wenig positives Verhalten dieser Schüler beachten. Diese als Halo-Effekt bekannte Wahrnehmungsverzerrung kann dazu führen, dass Lehrer von diesen „schwierigen“ Schülern jedes (beinahe erwartete) Störverhalten registrieren, aber gute Leistungen und angemessenes Verhalten seltener wahrnehmen und somit als störender und schlechtere Schulleistungen erbringend beurteilen.
Eigene Bedürfnisse des Lehrers nach Unterstützung und die eigene Situation des Lehrers beim Unterrichten von aufmerksamkeitsgestörten Schülern
Lehrer erleben ihre Kompetenz von aufmerksamkeitsgestörten Kindern insgesamt zwar häufiger in Frage gestellt, aber über die Hälfte von ihnen gibt an, dass dies nie der Fall sei. Die befragten Grundschullehrer haben großes Vertrauen in ihre pädagogische Kompetenz im Umgang mit vermeintlich „schwierigen“ Schülern, d. h. sie verfügen anscheinend über ausreichende Mittel, diese Kinder erfolgreich unterrichten zu können. Über welche Mittel (Änderungswissen) diese Lehrer verfügen und ob dieses Wissen als wissenschaftlich adäquat erachtet werden kann, wird im weiteren Verlauf detaillierter betrachtet, wenn die Angaben zu „Änderungswissen“ diskutiert werden.
Nur sehr wenige Lehrer (5,5%) sehen eine regelmäßige Lösung der Probleme mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern in einem Aus-der-Klasse-Schicken des Schülers. Über ein Drittel gibt an, dieses Mittel nie einzusetzen, aber über die Hälfte der Lehrer verweist Schüler mit ADHD manchmal bzw. selten des Klassenraumes. Diese 53,1% der befragten Grundschullehrer scheinen in einem Klassenverweis eher eine adäquate Lösung denn eine Infragestellung ihrer Kompetenz im Umgang mit auffälligen Schülern zu sehen. Weil dem Schüler durch das Aus-der-Klasse-Verweisen aber keine alternativen Verhaltensweisen aufgezeigt werden, sondern vielmehr meist betont autoritär demonstriert wird, dass der „Stärkere“ durch eine Form von Aggression Erfolg erfährt, liegt es näher, anzunehmen, dass der „Lernerfolg“ dieses Schülers „stark zu sein und diese Stärke als Druckmittel anzuwenden lohnt sich“ sein wird. Zudem weist ein solcher Verweis keine Zukunftsperspektive auf, die eine Eskalation zu verhindern ermöglicht. Der Einsatz von verhaltensmodifikatorischen Instrumenten kann helfen, inadäquates Verhalten angemessen, sinnvoll sanktionieren und konstruktive Verhaltensweisen aufbauen zu können (siehe Kapitel 3.6.). Ob verhaltensmodifikatorische Maßnahmen von den befragten Lehrern zum Einsatz kommen, um das als „schwierig“ erlebte Verhalten von aufmerksamkeitsgestörten Schülern zu modifizieren, wird im folgenden Teil der Diskussion noch näher betrachtet.
12,4% aller Lehrer beantworten die Frage nach der „Freude auf das Kind“ nicht. Kommentiert wurde diese Nicht-Beantwortung u. a. damit, dass „ich mich als Lehrer nicht auf einzelne Kinder freuen oder nicht freuen“ dürfe. Von den antwortenden Lehrern äußert immerhin jeder Fünfte, sich nie oder nur selten auf die auffälligen Schüler zu freuen. Fast ein Drittel der Lehrer gibt an, sich nur manchmal auf den aufmerksamkeitsgestörten Schüler zu freuen. Die Beziehung zwischen aufmerksamkeitsgestörten Kindern und ihren Lehrern scheint, wie in der Literatur häufig beschrieben, von negativen Assoziationen seitens der Lehrer und negativer Interaktion (vgl. u. a. Döpfner, Schürmann, Lehmkuhl 2000, S. 130ff) allgemein gekennzeichnet zu sein. Fast die Hälfte aller befragten Lehrer freut sich nie oder nur manchmal auf Unterricht mit diesen Schülern. Es überrascht, wie negativ sich einige, für aufmerksamkeitsgestörte Kinder typische, Verhaltensweisen anscheinend auf Lehrer auswirken.
Die Klassenlehrer geben überwiegend an, von den Eltern aufmerksamkeitsgestörter Kinder wenig Unterstützung zu bekommen. Mit den Eltern haben sie aber überwiegend wenig bzw. keinen Ärger, nur 11% der Lehrer geben an, viel oder extrem viel Ärger mit Eltern von Kindern mit ADHD zu haben. Dass Lehrer wenig Ärger mit den Eltern der aufmerksamkeitsgestörten Schüler haben, stellt eine eigentlich positive Tatsache dar, es ist jedoch erstaunlich, denn sie beklagen gleichzeitig, dass diese Eltern sie zu wenig unterstützen. Diese aus der Sicht der Lehrer mangelnde Unterstützung scheinen sie auch nicht einzufordern bzw. sie scheinen die Eltern nicht aktiv mit einzubeziehen, denn dann würden Konflikte zwischen Eltern und Lehrer durchaus wahrscheinlich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Lehrer psychosoziale Bedingungen als eine Hauptursache von ADHD sehen (vgl. Lauth, Knoop 1998, S. 25-27) wären Konflikte unausweichlich, denn psychosoziale Faktoren beschreiben vor allem den Bereich der Erziehung im Elternhaus. Dass eine erfolgreiche professionelle pädagogisch-psychologische Intervention auch die Eltern miteinbeziehen muss, um dem aufmerksamkeitsgestörten Kind eine langfristige positive Perspektive zu ermöglichen, ist in der Literatur unbestritten (vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl, S. 20f, Döpfner 2000, S. 165f, Lauth, Schlottke 2002, S. 71ff).
Dass der bestehende Kontakt mit den Eltern betroffener Kinder ausreichend gut organisiert stattfindet, erscheint eher unsicher, denn die teilnehmenden Lehrer geben an, dass sie häufiger Kontakt mit den Eltern der aufmerksamkeitsgestörten Kinder aufnehmen müssen, als mit den Eltern unauffälliger Schüler. Was genau thematisiert und wie dieser Kontakt realisiert wird, wurde nicht genauer erfragt. Doch es liegt die Vermutung nahe, die Begründung dieser häufigen Kontaktaufnahme liege darin begründet, den Eltern zu raten, „Reizüberflutungen abzustellen und ihr Erziehungsverhalten zu ändern“ (Lauth, Knoop 1998, S. 27). Denn wie bereits beschrieben (vgl. Kapitel 3.3.) sehen Grundschullehrer vor allem in elterlichem „Fehlverhalten“ die Ursache von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen; da ist es aus Sicht der Pädagogen nur konsequent, dieses den Eltern mitzuteilen.
Statistisch signifikante Unterschiede (vgl. S. 89/90 dieser Arbeit) im Lehrerurteil ergeben sich für die folgenden Items: die befragten Klassenlehrer geben an, deutlich häufiger (über ein Drittel gibt oft oder jeden Tag an) Gespräche mit Kollegen über mögliche Maßnahmen zur Verhaltenssteuerung des Kindes mit ADHD zu führen. Im Gespräch mit Kollegen scheinen Grundschullehrer erstens eine häufig genutzte Informationsquelle zur Lösung von Problemen mit vermeintlich „schwierigen“ Schülern zu sehen. Zweitens hilft ihnen vermutlich die „objektive“ Einschätzung eines Dritten, der in einer identischen beruflichen Situation arbeitet. Ob sie bei ihren Kollegen das erwünschte Änderungswissen vorfinden und diese Gesprächsergebnisse tatsächlich adäquate Verbesserungen im Umgang mit dem Kind oder für die Unterrichtsgestaltung bedeuten, wird in der Diskussion des erfragten Änderungswissens diskutiert.
Das Unterrichten aufmerksamkeitsgestörter Schüler finden Grundschullehrer im Vergleich zu durchschnittlichen Schülern deutlich schwerer. Dieses schwieriger empfundene Unterrichten und Umgehen mit diesen Kindern belastet die Lehrer zudem öfter. Ist es das Unterrichten, das Mehr an pädagogisch-didaktischem Handeln, welches aufmerksamkeitsgestörte Schüler einfordern oder empfinden Lehrer den Schüler mit ADHD an sich als „schwieriger“ und belastender? Dieser Sachverhalt muss an anderer Stelle detaillierter untersucht werden, denn es liegt die Vermutung nahe, dass Lehrer aufmerksamkeitsgestörte Kinder an sich durch ihre typischen Verhaltensweisen „schwierig“ und belastend empfinden – ein Zustand, der durch verschiedene Maßnahmen verbessert werden kann (siehe Ausblick).
Um das Kind mit ADHD adäquater unterrichten zu können und sein als problematisch empfundenes Verhalten besser steuern zu können, wünschen sich die befragten Lehrer sehr oft professionelle Unterstützung. Die Hälfte der Lehrer hat bisher 2-3 mal, öfte r oder ständig um Unterstützung gebeten, die andere Hälfte bat nie oder nur manchmal oder hat bisher nur einmal um professionelle. Unterstützung für aufmerksamkeitsgestörte Schüler gebeten. Die untersuchte Lehrerstichprobe lässt sich in zwei Gruppen unterteilen; die eine Gruppe wünscht sich professionelle Unterstützung und versucht auch, diesen Wunsch zu realisieren. Die andere Gruppe von Lehrern wünscht sich wenig Unterstützung und verfolgt eine Realisierung von Unterstützung auch nicht besonders engagiert.
Zu einem ähnlich zu interpretierenden Ergebnis kamen Lauth und Knoop 1998 (vgl. 1998 S. 26) in ihrer Untersuchung zu „Konzeption von Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen aus Sicht des Lehrers“. Sie unterschieden drei verschiedene Gruppen von Lehrern. Eine Gruppe bestand aus hochbelasteten, eine zweite aus moderat belasteten und eine dritte Gruppe aus gering belasteten Lehrern, die sich alle in Hinsicht auf ihre Reaktionen auf die Probleme mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern unterscheiden ließen bzw. den Problemen unterschiedlich aktiv und vorausschauend oder passiv-hilflos ausgeliefert erschienen. In Analogie dazu erscheinen die o. g. (die nicht wie in der Untersuchung von Lauth und Knoop mit Hilfe einer Diskriminanzanalyse ermittelt wurden, sondern sich lediglich nach der visuellen Dateninspektion vermuten lassen) beiden vermuteten Gruppen von Lehrern sich den Richtungen „aktiv und vorausschauend“ und „passiv-hilflos ausgeliefert“ zuordnen. Ob dieses tatsächlich die Beweggründe der Lehrer sind, bleibt schließlich eine Vermutung, aber die Ergebnisse lassen diese als Hinweise auf das Vorliegen von unterschiedlichen Bewältigungskompetenzen seitens der Lehrer zu.
Um die teilnehmenden Lehrer nicht nur überwiegend Defizite der aufmerksamkeitsgestörten Kinder oder eher negativ empfundene Sachverhalte mit ihnen beschreiben zu lassen, wird im Fragebogen explizit nach Stärken der Kinder gefragt, um den Blick der Lehrer auch auf die positiven Eigenschaften von auffälligen Schülern zu lenken.
Die Frage nach den Stärken von aufmerksamkeitsgestörten Kindern beantwortete nur die Hälfte aller teilnehmenden Lehrer. Diese geringe Beantwortungshäufigkeit kann als Hinweis darauf dienen, dass Lehrer mit den betroffenen Schülern eher negative Vorstellungen assoziieren und ihnen Stärken dieser Kinder nicht sehr präsent sind. Werden die getroffenen Angaben betrachtet, verdeutlicht sich diese Vermutung. Als homogene Antwort der Lehrer kann lediglich die Angabe „ist offen gegenüber anderen und hilft gerne“ verstanden werden. 86,3% der hier antwortenden Lehrer geben diese Eigenschaft als Stärke der Kinder mit ADHD an. Diese Angabe deckt sich mit Beschreibungen in der Literatur, die Kindern mit ADHD Attribute wie Offenheit und Extrovertiertheit zuschreibt (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 35/36). Allerdings ist dieser Beschreibung eine gewisse Ambivalenz immanent, denn das Sozialverhalten dieser Kinder wird ebenso als eher problematisch beschrieben (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 8).
Überraschenderweise wird Sport von nur knapp einem Viertel der antwortenden Lehrer als Stärke dieser Kinder angegeben, obwohl die Bewegungsfreude und das große Interesse von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen eindeutig erscheinen (vgl. Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 35/36).
Die weiteren Nennungen von Stärken werden auf alle teilnehmenden Lehrer bezogen von maximal 5% aller Lehrer angegeben und können somit als nicht repräsentativ für die Gruppe der beschriebenen Kinder angesehen werden.
Insgesamt kann auf Grund der sehr geringen Nennung von Stärken der aufmerksamkeitsgestörten Schüler geschlossen werden, dass es Lehrern schwer fällt, positive Eigenschaften dieser Kinder zu beschreiben bzw. überhaupt wahrzunehmen, denn erkannten die Lehrer Stärken, könnten sie diese an der erfragten Stelle im Fragebogen benennen. Dieser Sachverhalt lässt darauf schließen, dass die o. g. Wahrnehmungsverzerrung hinsichtlich des häufigen Vorliegens negativer Interaktionen zwischen Lehrern und aufmerksamkeitsgestörten Schülern bestätigt werden kann. Die Grundschullehrer assoziieren mit diesen Schülern keine positiven Attribute.
Die Schulleistung von aufmerksamkeitsgestörten Schülern im Lehrerurteil
Die Schulleistung von Kindern mit ADHD wird im Vergleich zu unauffälligen Kindern von Lehrern niedriger beurteilt.
Die Grundschullehrer geben an, dass aufmerksamkeitsgestörte Kinder neue Inhalte langsamer lernen und sich an die gelernten Inhalte des Vortages schlechter erinnern. Diese Beeinträchtigung des Lernprozesses von Kindern mit ADHD lässt sich durch mangelnde Selbstkontrollkompetenzen (u. a. ein gestörtes nonverbales Arbeitsgedächtnis) von aufmerksamkeitsgestörten Kindern erklären, Kapitel 1.3. beschreibt neuere Erkenntnisse bezüglich der Ätiologie von ADHD (vgl. Lauth, Schlottke 2002, S. 60ff). Lehrer erkennen diese typischen Schulleistungsschwächen von Schülern mit ADHD.
Die Leistungen im Lesen und Schreiben von aufmerksamkeitsgestörten Schülern werden im Vergleich zur sonstigen Schulleistung relativ gut beschrieben. Zwar geben 28,9% der Lehrer an, diese Kinder lesen und schreiben schlecht oder sehr schlecht im Vergleich zu durchschnittlichen Schülern – aber 43,4% geben an, das sie mittelmäßig schreiben und lesen können und immerhin 22,7% lesen und schreiben im Lehrerurteil gut oder sehr gut. Diese relative Stärke im Lesen und Schreiben überrascht ein wenig, denn in der Literatur werden verschiedene Probleme des Schreibens und Lesens von aufmerksamkeitsgestörten Schülern beschrieben (vgl. Zentall, Goetze 1994, S. 82ff, Imhof), wenn aber zwei Drittel der beschriebenen Schüler als durchschnittlich oder besser lesen und schreiben könnend beurteilt werden, trifft diese vermeintliche Schwäche für die untersuchte Stichprobe nur bedingt zu. Die Grundschullehrer scheinen effektive schreib- und lesedidaktische Unterrichtsansätze zu verwirklichen, die es auch aufmerksamkeitsgestörten Schülern ermöglichen, durchschnittliche und überdurchschnittliche Schreib- und Lesekompetenzen zu erwerben und gute Leistungen zu erbringen. Dieser Umstand sollte an anderer Stelle detaillierter betrachtet werden, weil vor allem die Schreib- und Lesekompetenzen eine wichtige Form der individuellen Weltinterpretation für Kinder darstellen (vgl. Faust-Siehl et al. 2001, S. 80).
Ein statistisch signifikanter Unterschied im Lehrerurteil ergibt sich für folgende Items mittels eines Chi-Quadrat-Tests. Es ergeben sich hochsignifikante Unterschiede im Vergleich zur Beschreibung eines durchschnittlichen Schülers.
Die Lehrer geben an, dass aufmerksamkeitsgestörte Schüler deutlich weniger Matheaufgaben beenden und richtig lösen. Diese Beschreibung deckt sich mit Angaben zur Rechenleistung in der Literatur (vgl. Zentall, Goetze 1994, S. 82ff, Imhof, Skrodzki, Urzinger 2001, S. 10ff). Matheaufgaben erfordern ein hohes Maß an selbststrukturiertem Vorgehen und müssen meist alleine gelöst werden, das heißt Lösungswege ausgewählt, umgesetzt und aufrechterhalten werden. Strategiedefizite von Schülern mit Aufmerksamkeitsstörungen werden im Matheunterricht offensichtlich und von ihren Lehrern erkannt .
Des Weiteren beenden Schüler mit ADHS deutlich weniger der gestellten Sprachaufgaben und lösen gestellte Aufgaben seltener richtig. Diese von den Lehrern beschriebene Schulleistungsschwäche stimmt mit Angaben in der Literatur überein. Vor allem auf der Ebene des Sinn-Verstehens werden deutliche Schwächen beschrieben (vgl. ebd., S. 10ff). Vor allem die Tatsache, dass aufmerksamkeitsgestörte Schüler deutlich weniger Aufgaben beenden, weist auch auf eine motivationale Dimension des Problems hin, die Barkley (1999, S. 57) vor allem in Zusammenhang mit langweiligen Inhalten benennt.
Zum Beschreiben besonderer individueller Schulleistungsstärken der auffälligen Kinder wurde den Lehrern die Möglichkeit gegeben, diese offen zu formulieren. Analog zu dem festgestellten Mangel an wahrgenommenen Stärken des aufmerksamkeitsgestörten Kindes, zeigt sich auch hier, dass die Klassenlehrer der Schüler mit ADHD Schwierigkeiten haben, in größerer Übereinstimmung schulische Stärken zu benennen. Mit diesen „Störkindern“ assoziieren Lehrer weder besondere Stärken noch eine besonders gute Schulleistung.
Immerhin ein Drittel der antwortenden Lehrer (22,7% aller teilnehmenden Lehrer) gibt schulische Stärken im Bereich „Denken/ Allgemeinbildung/ Ausdruck“ an. Doch bei genauerer Betrachtung dieser Kategorie ist ersichtlich, dass diese Zuschreibungen äußerst heterogen sind. Die Nennung von Sport als besondere Stärke der Kinder überrascht hinsichtlich der niedrigen Häufigkeit, ungefähr ein Viertel der antwortenden Lehrer sieht dieses Fach als Stärke der Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität. Wie oben bereits beschrieben (S. 124) wird in der Literatur gerade dieses Schulfach als Stärke von aufmerksamkeitsgestörten Schülern beschrieben. Der Teil der Lehrer, der die beschriebenen Kinder überdurchschnittliche Leistungen erbringen sieht, gibt an dieser Stelle auch das Fach Mathe als besondere Stärke an (etwa 20%).
Als weitere besondere Stärke nennt ein Viertel der antwortenden Lehrer Sachunterricht. Wegen der praktischen Orientierung des Sachunterrichts und weil seine Inhalte die Lebenswelt der Kinder besonders anspricht und somit aufmerksamkeitsgestörten Kindern und ihren besonderen Bedürfnissen gerecht wird (Faust-Siehl et al. 2001, S. 63ff), überrascht diese geringe Häufigkeit der Nennung. Auf alle teilnehmenden Lehrer bezogen geben nur 17,9% Sachunterricht als Stärke der Schüler mit ADHD an.
Neben der Beschreibung des insgesamt als eher problematisch beurteilten Unterrichts-Verhaltens des aufmerksamkeitsgestörten Kindes, seinen besonderen Bedürfnissen im Unterricht, der als eher schwierig empfundenen eigenen Lehrersituation während des Unterrichtens und der als schlechter beurteilten Schulleistung der Kinder mit ADHD ist es natürlich unabdingbar, auch zu erheben, aus welchem Wissensrepertoire Grundschullehrer beim Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen „schöpfen“. Dieses Wissensrepertoire kann als Änderungswissen verstanden werden, mit dem Lehrer den besonderen Bedürfnissen von aufmerksamkeitsgestörten Schülern gerecht zu werden versuchen. Dieses Änderungswissen können Lehrer als für das Kind mit ADHD hilfreich oder als für sich selbst beim Unterrichten und Verhalten des auffälligen Kindes Steuern hilfreich empfinden. Die Ergebnisse zu beiden Fragestellungen werden im weiteren Verlauf gemeinsam vorgestellt, da sie größten Teils selben Inhaltes sind. Maßnahmen, die dem Kind hilfreich sind, geben 67,6% der antwortenden Lehrer an. Zu dem Lehrer beim Unterrichten hilfreiche und beim Steuern des Verhaltens des Kindes mit ADHD hilfreiche Maßnahmen machen 96 Lehrer Angaben (65%). Vor dem Hintergrund, dass die teilnehmenden 145 Lehrer die schulische und unterrichtliche Situation mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern als problematisch beschreiben, ist dieses ein sehr niedriges Ergebnis. Von Lehrern, die verschiedenartige Probleme mit dem Verhalten von aufmerksamkeitsgestörten Schülern im Unterricht haben und für diese Schüler einen deutlich geringeren Schulerfolg angeben, wäre zu erwarten, dass sie über mehrere Maßnahmen verfügen und diese beschreiben oder anwenden, um die Schwierigkeiten mit diesen Schülern zu lösen. Die verhältnismäßig am häufigsten genannten Maßnahmen werden im Folgenden diskutiert:
Die Kategorie „Unterrichtliche Fördermaßnahmen“ beinhaltet mit 48 Nennungen die meistgenannten Maßnahmen, dieses entspricht nur etwa einem Drittel aller teilnehmenden Lehrer. Einzelförderung wird mit 19 Nennungen, 13,1% der Stichprobe und Kleingruppenarbeit mit 11 Nennungen (7,6%) innerhalb dieser Kategorie im Verhältnis zu den anderen Nennungen noch relativ häufig angegeben. Maßnahmen, die den beiden Kategorien „Individualisierungsmaßnahmen“ zugeordnet werden können, werden von insgesamt 36 Lehrern (25%) angegeben (12 Lehrer hilfreich für sich selbst/ 24 Lehrer hilfreich für das Kind) – die meistgenannten Maßnahmen besonderer Sitzplatz des Kindes und Einzeltisch werden zusammen von nur 15 Lehrern genannt. Diese Maßnahmen kommen den besonderen Bedürfnissen von Kindern mit ADHD nach Individualisierung und Differenzierung im Unterrichtsgeschehen zwar entgegen, aber werden von sehr wenigen Lehrern genannt. Es liegen keine als homogen anzusehenden Angaben vor. Somit ist davon auszugehen, dass die befragten Grundschullehrer nicht über entsprechendes pädagogisch-didaktisches Wissen verfügen, um für den Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten Schülern besondere differenzierende Maßnahmen zu ergreifen, wie sie in Kapitel 3.7.2. vorgestellt werden.
Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung bedürfen genau definierter Regeln und Grenzen, die ihnen helfen, ihr Verhalten angemessen zu steuern (vgl. in dieser Arbeit S. 56). Von den befragten 145 Grundschullehrern geben nur 21 Lehrer an, Regeln explizit festzulegen, d. h auch hier muss festgestellt werden, dass die Pädagogen nicht um die besondere Relevanz dieser Maßnahme für das Unterrichten (und den Umgang mit) von aufmerksamkeitsgestörten Kindern wissen. Im diesem Zusammenhang wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass Strukturierung „wohl eines der wichtigsten Dinge im Zusammenhang mit einem aufmerksamkeitsgestörten Kind“ ist (Lauth, Schlottke, Naumann 2002, S. 76) – die befragten Grundschullehrer verfügen über dieses Wissen nicht, zum Thema Organisationsstrukturierung (vgl. in dieser Arbeit S. 59) geben nur wenige einzelne Lehrer Maßnahmen an.
Kapitel 3.6. dieser Arbeit beschreibt ausführlich, dass gerade bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung verhaltenstherapeutische Methoden im Unterrichtskontext als sehr effektiv erachtet werden. Bellingrath (2001, S. 438) weist, wie diese Untersuchung bestätigt, zu Recht darauf hin, dass verhaltenstherapeutische Methoden im schulischen Kontext selten Anwendung finden. Von den befragten Klassenlehrern liegen insgesamt 27 Nennungen vor, die explizit Verstärkermaßnahmen beschreiben, d. h. weniger als jeder fünfte Lehrer arbeitet systematisch mit bewährten verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Aus welchem Grund verhaltenstherapeutische Interventionen nicht genutzt werden, geht aus dem erfragten Kontext leider nicht hervor, es kann aber vermutet werden, dass es nicht nur eine gewisse pädagogische Antipathie gegenüber verhaltensmodifikatorischen Methoden ist, die Lehrer zu einer bewussten Nicht-Nutzung bewegt. Vielmehr wissen Grundschullehrer nicht, dass nicht nur für Kinder mit ADHD verhaltenstherapeutische Methoden effektiv einsetzbar sind, sondern auch anderen Kindern mit Schwierigkeiten nutzen, angemessenes Verhalten zu zeigen bzw. aus- und aufzubauen.
Die Kooperation mit den Eltern und wichtigen Bezugspersonen des Kindes geben 58 Lehrer als hilfreich an, um Kinder mit ADHS zu unterrichten und ihr Verhalten zu steuern. Dies entspricht beinahe 40% der Stichprobe und stellt eine der meistgenannten Maßnahmen dar. Diese häufige Nennung erscheint vor dem weiter oben diskutierten Hintergrund logisch: Lauth und Knoop formulieren die These, dass die Lehrer Elternkontakt vermutlich dazu nutzen, diesen mitzuteilen, „Reizüberflutungen abzustellen und ihr Erziehungsverhalten zu ändern“ (1998, S. 27). Diese Maßnahme zu ergreifen erachten Grundschullehrer auch deswegen als effektiv, da sie als Hauptursache von ADHD Reizüberflutung und psychosoziale Faktoren annehmen (vgl. ebd., S. 23f und Kapitel 3.3.1.).
Die weitaus meistgenannte Maßnahme stellt die Kategorien „Individuelle Strategien“ und „Individuelle Strategien des Unterrichtenden“ dar. Insgesamt 79 Lehrer machen hierzu Angaben (57,3% aller teilnehmenden Lehrer). Auch dieses Ergebnis erscheint vor dem Hintergrund aller Antworten zum hilfreichen Änderungswissen verständlich. Denn werden alle Angaben zusammen betrachtet, ist ersichtlich, dass die befragten nordrhein-westfälischen Grundschullehrer über kein systematisches pädagogisch-didaktisches Wissen verfügen. Sie wissen nicht, wie sie Schüler mit ADHS angemessen und erfolgreich unterrichten. Folgerichtig entwickeln sie individuelle Strategien, um Unterricht mit diesen Schülern „irgendwie“ durchführen zu können.
Dass die Lehrer der Stichprobe nicht über ausreichend Fachwissen über das Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen verfügen, wird noch deutlicher, wenn die Kapitel 3.6. und 3.7. dieser Arbeit noch einmal kurz zusammengefasst werden. In ihnen wird ausführlich dargestellt, welche verhaltenstherapeutischen, und pädagogisch-didaktischen Maßnahmen wissenschaftliche Literatur diskutiert, um Schüler mit ADHS angemessen und erfolgreich zu unterrichten und ihr Verhalten adäquat steuern zu können. Demnach verfügen die befragten Grundschullehrer nicht über die im Folgenden aufgezählten Maßnahmen, denn keine von ihnen wurde im Fragebogen dieser Untersuchung als Maßnahme angegeben, hilfreich beim Unterrichten von Schülern mit ADHS zu sein: Individuelle Absprachen treffen, den besonderen Umgang beachten, eine besondere Methodik nutzen, kollegienübergreifende Maßnahmen absprechen, Bewegung als Teil des Unterrichts planen, kognitive Methoden aus der Verhaltentherapie nutzen, die Hausaufgabensituation konstruktiv verbessern und sich schließlich über aktuelles wissenschaftliches Fachwissen informieren, um Ursachenzusammenhänge erkennen zu können.
6.3. Ausblick
Die Intention der Studie, in deren Rahmen diese Arbeit entsteht, ist die Entwicklung eines speziellen internationalen Lehrertrainings, welches Lehrern vermitteln soll, wie Kinder mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen angemessen unterrichtet werden können. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung lassen sich verschiedene Inhalte ableiten, die das Lehrertraining enthalten sollte. Diese im Verlauf der vorliegenden Arbeit vorgestellten Methoden müssen die zahlreich angegebenen individuellen Strategien der Lehrer ersetzen.
Wie die Untersuchung ergeben hat, wünscht sich etwa die Hälfte der befragten Lehrer bereits professionelle Unterstützung, die durch ein spezielles Lehrertraining verwirklicht werden kann – von diesem Training sollten auch die Lehrer profitieren, die sich keine Unterstützung wünschen: es ist von größter Bedeutung, Lehrern ein wissenschaftlich vertretbares Hintergrundwissen über ADHD zu vermitteln, denn die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten Grundschullehrer über ein solches Wissen nicht verfügen. Differenziertes Wissen über ADHS ist die Voraussetzung, um angemessene Maßnahmen entwickeln zu können, um den besonderen Bedürfnissen betroffener Schüler im Unterricht gerecht zu werden. Zusätzlich müssen Lehrer über die Verhaltensschwierigkeiten und Komorbiditäten aufgeklärt werden, die im Zusammenhang mit ADHD assoziiert sind, denn das Lehrer-Schüler-Verhältnis stellt sich als stark belastet dar. Hierzu müssen pädagogisch-psychologische Wege und Methoden angeboten werden, die es ermöglichen, positive Interaktionen aufzubauen und Lehrern ihr eigenes Handeln und das Handeln der Kinder reflektieren zu können. Zudem muss aktuelles Fachwissen über vorhandenes Änderungswissen Bestandteil des Trainings sein, wie es in Kapitel 3.6. und 3.7. vorgestellt wird, um den weitreichenden Entwicklungsrisiken von Schülern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen Prävention leisten zu können.
Diese Arbeit möchte mit dazu beitragen, die Schulleistung und das Verhalten von Kindern mit ADHD und damit ihre Bildungs- und Zukunftsperspektive nachhaltig zu verbessern – der Grundstein dafür wird in der Schule, v. a. in der Grundschule, gelegt.
7. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.: Entwicklung negativ kontrollierender Interaktion
Abbildung 2.: Biologisch-behaviorales Modell von Lauth und Schlottke
Abbildung 3.: Lehrergeschlechterverteilung
Abbildung 4.: Geschlecht der Kinder
Abbildung 5.: Alter der Kinder mit ADHD nach Geschlecht
Abbildung 6.: Klasse des Kindes
Abbildung 7.: Mittelwertevergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler
8. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1.: ADHD-Verhaltenssymptomliste nach DSM-IV
Tabelle 2.: DSM-IV Codierung der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung
Tabelle 3.: Codierung von Hyperkinetischen Störungen F90 nach ICD-
Tabelle 4.: Forschungskriterien Hyperkinetische Störung nach ICD-
Tabelle 5.: Kovariierende Störungen von ADHD
Tabelle 6.: Ätiologische Faktoren von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen
Tabelle 7.: Kodierungsmöglichkeiten des Aufmerksamkeitsverhaltens (MAI)
Tabelle 8.: MAI-Kodierungsmöglichkeiten des Kontextes
Tabelle 9.: Übersicht der verschiedenen Antwortkategorien und den zugeordneten Item-Nummern
Tabelle 10.: Verhalten und Bedürfnisse des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Lehrerurteil
Tabelle 11.: Verhalten und Bedürfnisse des unauffälligen Kindes im Lehrerurteil
Tabelle 12.: Bedürfnisse und Situation des Lehrers beim Unterrichten des aufmerksamkeitsgestörten Kindes im Eigenurteil
Tabelle 13.: Bedürfnisse und Situation des Lehrers beim Unterrichten von unauffälligen Kindern im Eigenurteil
Tabelle 14.: Mittelwerte der Lehrerurteile im Vergleich
Tabelle 15.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Bei der Sache sein“
Tabelle 16.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Aufmerksam sein“
Tabelle 17.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Lenkt beim Unterrichten ab“
Tabelle 18.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Verhalten korrigieren“
Tabelle 19.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Gespräche mit Kollegen“
Tabelle 20.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Schwerer/ leichter Vergleich“
Tabelle 21.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Belastet durch das Kind“
Tabelle 22.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Nötiger Kontakt mit Eltern“
Tabelle 23.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Unterstützungswunsch“
Tabelle 24.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Um Unterstützung gebeten“
Tabelle 25.: Chi-Quadrat-Werte (nach Pearson)-Übersicht Bedürfnisse Kind/ Bedürfnisse Lehrer
Tabelle 26.: Stärken von Kindern mit ADHD im Lehrerurteil
Tabelle 27.: Ist offen gegenüber anderen und hilft gerne
Tabelle 28.: Sport
Tabelle 29.: Schulleistung aufmerksamkeitsgestörter Kinder im Lehrerurteil
Tabelle 30.: Schulleistung unauffälliger Kinder im Lehrerurteil
Tabelle 31.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Matheaufgaben beendet“
Tabelle 32.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Sprachaufgaben beendet“
Tabelle 33.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Matheaufgaben richtig gelöst“
Tabelle 34.: Vergleich Schüler mit ADHD/ unauffällige Schüler „Sprachaufgaben richtig gelöst“
Tabelle 35.: Chi-Quadrat-Werte Übersicht nach Pearson für die Schulleistung des Kindes mit ADHD
Tabelle 36.: Besondere schulische Stärken des Kindes mit ADHD
Tabelle 37.: Besondere schulische Stärken: „Denken/ Allgemeinbildung/ Ausdruck“
Tabelle 38.: Besondere schulische Stärken: „Sachunterricht, Sport, Mathe“
Tabelle 39.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind)
Tabelle 40.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Unterrichtliche Fördermaßnahmen“ für den Schüler mit ADHD
Tabelle 41.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Festlegung von Regeln“
Tabelle 42.: „Änderungswissen (hilfreich für das Kind): Verstärkungsmaßnahmen“
Tabelle 43.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Individuelle Strategien des Lehrers“
Tabelle 44.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind): „Individualisierungsmaßnahmen“
Tabelle 45.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer)
Tabelle 46.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Kooperation mit Bezugspersonen/ prof. Helfern“
Tabelle 47.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Individualisierungsmaßnahmen“
Tabelle 48.: Änderungswissen (hilfreich für sich selbst als Lehrer): „Individuelle Strategien des Unterrichtenden“
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http://www.uni-koeln.de/hp-fak/psychologie/ag-lauth/information/wegweiser.pdf: ADHS Behandlungswegweiser für Nordrhein-Westfalen. Informationen zu Behandlung und Behandlungsanbietern. Stand: 10. Dezember 2003
Anhang
Anhang 1.: Der entwickelte und eingesetzte Fragebogen „Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität – eine interkulturelle Studie“
Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität – eine interkulturelle Studie
durchgeführt von
Dr. B. Heubeck & J. Phillips, Australian National University
Prof. Dr. G. W. Lauth & Dr. K. Naumann, Universität zu Köln
Zu Ihrer Vorinformation:
Aufmerksamkeitsgestörtes und hyperaktives Verhalten führt in der Schule häufig zu großen Problemen. Kinder, die sich so verhalten, haben zumeist auch Schwierigkeiten im Unterricht und beim Lernen. Oft sind besondere unterrichtliche und pädagogische Maßnahmen für sie notwendig. Insofern stellt ihr Verhalten eine aktuelle und zurzeit große Herausforderung für die Schule und die Lehrer dar.
Wir laden Sie ein, durch die Teilnahme an einer interkulturellen Vergleichsstudie einen Beitrag zur Verbesserung der Situation dieser Kinder zu leisten. Es geht uns darum, die bisherigen Erfahrungen der Lehrer mehrerer Länder zu bündeln, um fundierte Verbesserungen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrern und Schulberatern vorzuschlagen. Diese Studie wird von der Australian National University und der Universität zu Köln durchgeführt. Im Ergebnis soll eine umfassende Bestandsaufnahme zum derzeitigen Wissensstand und den weiteren Notwendigkeiten vorgelegt und in den entsprechenden Ländern verbreitet werden.
Die Kinder, über die wir hier sprechen, erhalten oft die Diagnose einer Aufmerksamkeitsdefizit - / Hyperaktivitätsstörung. Dieser Begriff wird Ihnen später im Fragebogen an einzelnen Stellen wieder begegnen, zumeist aber beschreiben wir das Verhalten der Kinder als aufmerksamkeitsgestört und unruhig.
Wir werden alle eingehenden Daten mit absoluter Vertraulichkeit behandeln. Dementsprechend werden die Daten auch anonymisiert und den strengen Datenschutzbestimmungen, die die Universität zu Köln hat, gemäß ausgewertet. Sie können also absolutes Vertrauen haben, dass ihre persönlichen Angaben nicht veröffentlicht werden und ein Rückschluss auf Ihre Person nicht möglich ist. Bei Nachfragen stehen Ihnen in der Bearbeitungsphase gerne unter folgenden Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung:
projekt-australien-hilfe@web.de
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1. Demographische Angaben:
Ihr Geschlecht (bitte ankreuzen):
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Ihr Alter in Jahren : Jahre
Ihr höchster Studienabschluss:
Welche Klassenstufe unterrichten Sie vorwiegend?
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Wie viele Schüler sind in Ihrer gegenwärtigen Klasse? Schüler
Seit wie vielen Jahren sind Sie als Lehrer berufstätig? Seit Jahren.
Seit wie vielen Jahren arbeiten Sie an Ihrer jetzigen Schule? Seit Jahren.
Haben Sie außer Ihrer Tätigkeit als Klassenlehrer noch andere Aufgaben an der Schule (z. B. Prorektor, Fachgruppenleiter)? Wenn ja, welche Aufgaben sind es:
Wie heißt Ihre jetzige Schule?
2. Verhaltensmerkmale der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
Die folgende Liste gibt Symptome und Verhaltensweisen wieder, die oft benutzt werden, um aufmerksamkeitsgestörtes und unruhiges Verhalten zu beschreiben. Diese Liste bestimmt zwar nicht vollständig, ob eine Störung vorliegt, nennt aber wesentliche Merkmale, die auch im Unterricht beobachtet werden können.
Bitte lesen Sie die Liste sorgfaltig durch. Bitte denken Sie an einen Schüler / eine Schülerin in Ihrer Klasse, auf den / die diese Beschreibung am besten zutrifft.
Der Junge / das Mädchen zeigt im Unterricht folgende Verhaltensweisen:
1. Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten.
2. Hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielaktivitäten aufrecht zu erhalten.
3. Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen.
4. Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht auf Grund oppositionellen Verhaltens oder Verständnisschwierigkeiten).
5. Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren.
6. Beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben).
7. Verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z. B. Hausaufgaben, Spielsachen, Stifte, Bücher oder Werkzeug).
8. Lässt sich öfter durch äußere Reize ablenken.
9. Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
10. Zappelt häufig mit Händen oder Füßen, rutscht auf dem Stuhl herum.
11. Steht häufig in der Klasse oder in anderen Situationen auf, wenn Sitzen bleiben erwartet wird.
12. Rennt häufig umher oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben).
13. Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen.
14. Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er/sie „getrieben“.
15. Redet häufig übermäßig viel.
16. Platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
17. Kann nur schwer warten, bis er / sie an der Reihe ist.
18. Unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder Spiele anderer hinein).
3. Aufmerksamkeitsgestörtes und unruhiges Verhalten an Ihrer Schule
Bitte schätzen Sie die Zahl der Schüler mit Aufmerksamkeitsstörungen und motorischer Unruhe an Ihrer Schule als auch bezogen auf die Klassenstufe, in der Sie hauptsächlich unterrichten, ein.
Ich berichte über die Klassenstufe an unserer Schule.
In dieser Klassenstufe gibt es Schüler in insgesamt (Anzahl der) Klassen.
Ich schätze, dass wir Schüler mit Aufmerksamkeitsproblemen und motorischer Unruhe in dieser Klassenstufe haben.
So weit ich es erkennen kann, haben Schüler gegenwärtig eine formale Diagnose von Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen durch einen Kinderarzt, Psychiater, Psychologen oder eine andere professionelle Person erhalten.
Wie viele Schüler dieser Klassenstufe werden mit Medikamenten, die ihnen von einem Arzt gegen Aufmerksamkeitsstörungen und unruhiges Verhalten verschrieben worden sind, behandelt.
So weit ich weiß, erhalten dieser Schüler entsprechende Medikamente.
Wie viele nehmen das Medikament vor der Schule zu Hause ein? Schüler
Und wie viele nehmen das Medikament in der Schule ein? Schüler
Zu welcher Zeit und in welcher Dosierung wird das Medikament normalerweise eingenommen? Bitte beschreiben:
Wie lauten die Namen der Medikamente, die eingenommen werden? Bitte führen Sie die Medikamente auf:
Wie wird gewährleistet, dass die Schüler das Medikament auch in der Schule korrekt einnehmen (z. B. Elternantrag, Lehrer erinnert das Kind, Schulschwester übernimmt es)? Bitte beschreiben:
Gibt es an Ihrer Schule eine Vorschrift oder Standardprozedur für das Einnehmen des Medikamentes? Falls ja, bitte beschreiben:
Haben Sie als Lehrer Kontakt zu dem Arzt oder der Stelle, die die Medikamente verschreibt? Falls ja, bitte beschreiben:
Waren Sie schon einmal an der Bewertung, wie das Medikament bei einem auffälligen Schüler wirkt, beteiligt? Wenn ja, bitte beschreiben:
Wie ist Ihre generelle Erfahrung mit der Wirksamkeit des Medikamentes bei diesen Schülern? Bitte beschreiben:
4. Schilderung eines aufmerksamkeitsgestörten und unruhigen Kindes
Bitte wählen Sie nun ein Kind aus Ihrer Klasse aus, auf das die oben beschriebenen Merkmale von aufmerksamkeitsgestörtem und unruhigem Verhalten am meisten zutreffen.
Bitte beschreiben Sie dieses Kind anhand der folgenden Fragen:
Vorname des Kindes:
Geschlecht: männlich O weiblich O
Alter in Jahren: Jahre
Klasse:
Welche Sprache spricht das Kind zu Hause (deutsch, türkisch, italienisch, spanisch, andere)?
Wo lebt es?
bei seinen Eltern O
bei einem Elternteil alleine O
anderes, was?
Anzahl der Geschwister:
Wie lange kennen Sie dieses Kind bereits? Seit _ Jahr(en)
Wie lange unterrichten Sie dieses Kind bereits? Seit _ Jahr(en)
Erhält das Kind Medikamente? Wenn ja, welche:
Wie häufig und zu welcher Uhrzeit?
In welcher Dosierung?
Welche Auswirkungen haben die Medikamente nach Ihrer Beobachtung auf das Kind?
Hat das Kind andere gravierende Probleme? Wenn ja, welche:
5. Verhalten des auffälligen Kindes Ihrer Klasse
Geben Sie nun bitte an, wie sich das aufmerksamkeitsgestörte / hyperaktive Kind (das Kind mit den meisten Verhaltenssysmptomen an mangelnder Aufmerksamkeit und starker Unruhe) verhält, indem Sie die entsprechende Zahl ankreuzen.
Geben Sie dann bitte in der letzten Spalte an, wie belastend das Verhalten des Kindes für Sie als Lehrer ist. Bitte schreiben Sie hierzu eine Zahl zwischen 0 und 10 in die jeweils letzte Spalte. 0 bedeutet keine Belastung und 10 die stärkste Belastung.
Das Kind verhält sich in den letzten 6 Monaten (oder seit Beginn des Schuljahres) wie folgt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6. Unterricht mit dem auffälligem Kind
Machen Sie Ihre Angaben bitte Angaben für das Lernverhalten des auffälligen Kindes Ihrer Klasse, indem Sie die entsprechende Zahl ankreuzen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
8a. Welche besonderen schulischen Fähigkeiten hat das Kind mit den Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen? Bitte beschreiben Sie diese:
8b. Hat das Kind mit den Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen andere Stärken? Bitte beschreiben Sie diese:
Machen Sie Ihre Angaben bitte erneut für das auffällige Kind Ihrer Klasse, indem Sie die entsprechende Zahl ankreuzen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7. Weitere Angaben zu dem aufmerksamkeitsgestörten / hyperaktiven Kind
Gibt es einen individualisierten Förderplan für diesen Schüler und was sieht er vor? Bitte beschreiben Sie dies detailliert:
Seit wann gibt es diesen individualisierten Förderplan?
_(Monat) _(Jahr)
Ist dieser Förderplan schriftlich niedergelegt? O ja O nein
Gab es Schwierigkeiten in der Umsetzung dieses Förderplanes? Wenn ja, welche?
Welche Maßnahmen haben dem Kind bisher am meisten geholfen?
Was hat Ihnen als Lehrer am meisten geholfen, das Kind zu unterrichten und sein Verhalten zu steuern?
Gab es Schwierigkeiten, Unterstützung in Ihrer Schule oder bei anderen Einrichtungen zu finden? Wenn ja, welche?
Welche Informationen sind noch wichtig in Bezug auf diesen Schüler bzw. was müssen Sie beim Unterrichten beachten, um sein Verhalten steuern zu können? Bitte beschreiben Sie dies detailliert:
Welche Unterstützung würden Sie gerne in Zukunft für diesen Schüler haben?
Bitte kreuzen Sie Zutreffendes an!
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8. Verhalten eines durchschnittlichen Kindes
Bitte denken Sie jetzt an ein Kind Ihrer Klasse, das vom Verhalten her im mittleren Bereich der Anforderungen liegt (im Folgenden „durchschnittliches Kind“).
Das durchschnittliche Kind soll hierbei dasselbe Geschlecht haben wie das aufmerksamkeitsgestörte / hyperaktive Kind, über das sie zuvor berichtet haben.
Geben Sie bitte an, wie sich das durchschnittliche Kind im Unterricht verhält. Gehen sie dabei so vor:
Machen Sie zuerst Ihre Angaben für das Verhalten dieses Kind, indem Sie die entsprechende Zahl ankreuzen.
Geben Sie dann bitte in der letzten Spalte an, wie belastend das Verhalten dieses Kindes für Sie als Lehrer ist. Bitte schreiben Sie hierzu eine Zahl zwischen 0 und 10 in die jeweils letzte Spalte. 0 bedeutet keine Belastung und 10 die stärkste Belastung.
Das Kind verhält sich in den letzten 6 Monaten (oder seit Beginn des Schuljahres) wie folgt:
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9. Unterricht mit dem durchschnittlichen Kind
Machen Sie nun bitte auch Angaben für das Lernverhalten des durchschnittlichen Kindes Ihrer Klasse, indem Sie die entsprechende Zahl ankreuzen:
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10. Weiterbildung
Haben Sie schon an einer speziellen Weiterbildung zum Thema, wie man aufmerksamkeitsgestörte und unruhige Kinder unterrichtet und ihr Verhalten lenkt, teilgenommen? Bitte beschreiben Sie dies:
Wenn Ihnen eine solche Weiterbildung angeboten werden würde, wie viele der nachfolgenden Inhalte sollten darin mit welchem Anteil enthalten sein? Sie haben 100 Prozent, die Sie auf die folgenden Kurskomponenten verteilen können. (Beispiel: Sie wollen viel über Förderplane wissen und möchten deshalb, dass mindestens 30% des Kurses sich darauf beziehen. Bitte gehen Sie sicher, dass sich Ihre Prozentzahlen auf 100 % addieren).
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Art des gewünschten Weiterbildungsprogramms:
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10a. Fragen zur Lehrerin / zum Lehrer
Bitte benutzen Sie die folgende Nummernskala, um aufzuzeigen, inwieweit folgende Aussagen auf Sie zutreffen und fügen die entsprechende Zahl ein:
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1. Ich bin mir sicher, dass ich auch mit den problematischen Schülern in guten Kontakt kommen kann, wenn ich mich darum bemühe.
2. Ich weiß, dass ich zu den Eltern guten Kontakt halten kann, selbst in schwierigen Situationen.
3. Ich weiß, dass ich es schaffe, selbst den problematischsten Schülern den prüfungsrelevanten Stoff zu vermitteln.
4. Ich bin mir sicher, dass ich mich in Zukunft auf individuelle Probleme der Schüler noch besser einstellen kann.
5. Selbst wenn mein Unterricht gestört wird, bin ich mir sicher, die notwendige Gelassenheit bewahren zu können.
6. Selbst wenn es mir mal nicht so gut geht, kann ich doch im Unterricht immer noch gut auf die Schüler eingehen.
7. Auch wenn ich mich noch so sehr für die Entwicklung meiner Schüler engagiere, weiß ich, dass ich nicht viel ausrichten kann.
8. Ich bin mir sicher, dass ich kreative Ideen entwickeln kann, mit denen ich ungünstige Unterrichtsstrukturen verändere.
9. Ich traue mir zu, die Schüler für neue Projekte zu begeistern.
10. Ich kann innovative Veränderungen auch gegenüber skeptischen Kollegen durchsetzen.
10b. Fragen zur Lehrerin / zum Lehrer
Bitte benutzen Sie die folgende Nummernskala, um aufzuzeigen, inwieweit folgende Aussagen auf Sie zutreffen und fügen die entsprechende Zahl ein:
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1. Ich fühle mich von meiner Arbeit emotional erschöpft.
2. Ich fühle mich am Ende des Arbeitstages ausgelaugt.
3. Ich fühle mich müde, wenn ich am Morgen aufstehe und mir ein weiterer Arbeitstag bevorsteht.
4. Es fällt mir leicht, zu verstehen, wie es meinen Schülern geht.
5. Ich habe den Eindruck, dass ich manche Schüler wie Objekte und nicht wie
Peonen behandle.
6. Den ganzen Tag mit Menschen zu arbeiten, ist wirklich eine Strapaze für mich.
7. Ich kann meinen Schülern bei ihren Problemen sehr gut helfen.
8. Ich fühle mich aufgezehrt von meiner Arbeit.
9. Ich glaube, dass ich durch meine Arbeit das Leben anderer Menschen positiv beeinflusse.
10. Seit ich diesen Beruf ausübe, bin ich abgestumpfter gegenüber anderen Menschen.
11. Ich fürchte, dass dieser Beruf mich emotional härter werden lässt.
12. Ich fühle mich sehr energiegeladen.
13. Ich fühle mich durch meinen Beruf frustriert.
14. Ich finde, dass ich beruflich zu hart arbeite.
15. Was mit meinen Schülern passiert, ist mir im Grunde egal.
16. Arbeit im direkten Kontakt mit Menschen ist zu stressreich für mich.
17. Es fällt mir leicht, in meiner Klasse eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.
18. Ich fühle mich heiter und angeregt, wenn ich intensiv mit meinen Schülern gearbeitet habe.
19. Ich habe in meinem Berufsleben bereits viel Wertvolles geleistet.
20. Ich fühle mich am Ende meiner Kräfte.
21. Im Schulalltag gehe ich mit emotionalen Problemen sehr gelassen um.
22. Ich finde, dass die Schüler mich für einige ihrer eigenen Probleme verantwortlich machen.
Gibt es momentan Dinge in Ihrem Leben, die Sie zusätzlich belasten (z. B. Streit in der Familie, Erkrankung)? O Ja O Nein
Wenn ja, wie sehr sind Sie davon belastet?
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Abschließende Kommentare:
Herzlichen Dank dafür, dass Sie uns Ihre Erfahrungen mitgeteilt haben. Zusammen mit den Berichten der anderen Lehrer ergibt sich daraus ein zusammenfassendes Bild über den Unterricht mit aufmerksamkeitsgestörten und motorisch unruhigen Kindern.
Bitte geben Sie Ihren Bericht in dem beigefügten Umschlag an die Schulleitung zurück. Hier werden die Berichte Ihrer Schule gesammelt und an die Universität zu Köln zurückgesandt. Ihre Angaben werden mit absoluter Vertraulichkeit behandelt.
Würden Sie uns am Ende noch Ihre Telefonnummer mitteilen, damit wir Sie gegebenenfalls bei einer Nachfrage anrufen können?
Anhang 2.: Schulleiteranschreiben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Herrn XXXX
Sehr geehrter Herr (Name des Schulleiters),
mein Lehrstuhl für heilpädagogische Psychologie und Psychiatrie an der heilpädagogischen Fakultät an der Universität zu Köln führt in Kooperation mit der Australian National University in Canberra (unter Leitung von Dr. B. G. Heubeck) eine internationale Studie durch. In beiden Ländern wird die Häufigkeit von aufmerksamkeitsgestörten / hyperaktiven Kindern in Grundschulen sowie vor allem der pädagogische Umgang mit ihnen untersucht. Daraus soll ein (international einsetzbares) Lehrertraining für den Umgang mit Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Störung (ADHD) entwickelt werden.Die Studie wird vom Nordrhein-westfälischen Bildungsministerium für Schule, Jugend und Kinder unterstützt und stösst dort angesichts der Bedeutung des Themas auf lebhaftes Interesse. Nicht zuletzt deshalb, weil aus der Untersuchung wichtige Anregungen für die Bewältigung schulischer Arbeit resultieren können (Schreiben des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW vom 19. November 2002).Wir untersuchen insgesamt 30 staatliche Grundschulen in Nordrhein-Westfalen mit einer Gesamtschülerzahl von ca. 6000 Schülerinnen und Schülern im Alter von sechs bis zehn Jahren. Ihre Schule ist eine dieser 30, die durch Zufall ausgewählt wurden. Die Untersuchung wendet sich an die KlassenlehrerInnen der Klassen 1, 2, 3 und 4.
Wir bitten Sie eindringlich, zum Gelingen dieser wichtigen Untersuchung beizutragen. Sie steht zweifelsohne im Interesse der Schulpraxis und findet dementsprechend auch die Unterstützung des zuständigen Ministeriums.
Insbesondere bitten wir Sie,
- die Ihnen vorliegenden Unterlagen an jeweils zwei Klassenlehrer / eine Klassenlehrerinnen (je ein vorgefertigtes Paket) der Klassen eins bis vier (insgesamt also acht KlassenlehrerInnen aus den Klassen 1, 2, 3 und 4) auszuhändigen.
- die KlassenlehrerInnen über die Untersuchung und Ihren Hintergrund zu informieren und für die gewissenhafte Teilnahme zu gewinnen.
- sich dafür einzusetzen, dass die Unterlagen vollständig und genau ausgefüllt bis zum XXXX an uns zurück gesendet werden.
Wir werden alle eingehenden Daten mit absoluter Vertraulichkeit behandeln. Dementsprechend werden die Daten auch anonymisiert und den strengen Datenschutzbestimmungen, die die Universität zu Köln hat, gemäß ausgewertet.
Die Klassenlehrer/innen können also absolutes Vertrauen haben, dass ihre persönlichen Angaben nicht veröffentlicht werden.
Um verbleibende Fragen zu besprechen, werden wir uns mit Ihnen innerhalb der nächsten drei Tage telefonisch in Verbindung setzen.
Zur Unterstützung Ihrer Kollegen stehen wir Ihnen in der Bearbeitungsphase unter folgenden Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung: projekt-australien-hilfe@web.de
Ansprechpartner für d. Schule wann zu erreichen: Telefonnummer:
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Für den Fall, dass Sie sich an der Untersuchung beteiligen, bieten wir Ihnen und Ihrem Kollegium Anfang des Sommers als „Dankeschön“ eine Fortbildungsveranstaltung in der näheren Umgebung an. Dabei sollen weitere Informationen zur Untersuchung und deren Ergebnisse Thema sein, sowie erste Eindrücke zum Lehrertraining für den Umgang mit ADHD vermittelt werden. Informationen zu den genauen Terminen und Örtlichkeiten, erhalten Sie von uns zu einem späteren Zeitpunkt.
In der Hoffnung auf das Zustandekommen einer Zusammenarbeit verbleiben wir mit freundlichen Grüßen,
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Anlage: Unterlagen
Anhang 3.: Häufigkeitstabellen aller Items des Kindes mit ADHD der modifizierten Academic Perfomance Rating Scale (Anhang 1. Punkt 6.)
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Anhang 4.: Beispielhafte Präsentation der Berechnung des Chi-Quadrat-Tests für die ausgewählten Items
ADHD vs. Kontroll „Bei der Sache sein“ Kreuztabelle
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a Wird nur für eine 2x2-Tabelle berechnet
b 0 Zellen (,0%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist 40,85.
Anhang 5.: Stärken des Kindes mit ADHD im Lehrerurteil nG = 145; nR = 73
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Anhang 6.: Besondere schulische Fähigkeiten des Kindes mit ADHD im Lehrerurteil (nR = 102, nG = 145)
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Anhang 7.: Änderungswissen (hilfreich für das Kind) (nR = 98)
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Anhang 8.: Änderungswissen (hilfreich für den Lehrer selbst) (nR = 96)
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„Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit – einschließlich beigefügter Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen – selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht.“
Köln, d. 17. Dezember 2003,
Alexander Lang
[...]
[1] ADHD steht für das Attention-Deficit Hyperactivity-Disorder; ADHS für dessen deutsche Übersetzung Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung; ADS für Aufmerksamkeitsdefizitstörung, HKS für Hyperkinetische Störungen
[2] Zur Ermöglichung eines angenehmeren Leseflusses wird im weiteren Textverlauf die immer noch allgemein gebräuchlichere maskuline Form von Lehrer, Schüler, Arzt und den weiteren in der Arbeit vorkommenden Bezeichnungen gewählt – angesprochen sind explizit immer beide Geschlechter.
[3] Für diese und die folgenden Tabellen 11., 12. und 13. sind die Kategorien der Häufigkeit/ Ausprägung des Verhaltens (1-5) jeweils unterschiedlich besetzt. Die unterschiedlichen Kategorien können im Anhang (Anhang 1., Punkt 6.), und Tabelle 9. eingesehen werden
[4] Um die einzelnen Items deutlich erkennen zu können, werden diese fett hervorgehoben
[5] Für diese und die nachfolgende Tabelle 30. sind die Kategorien der Häufigkeit/ Ausprägung des Verhaltens (1-5) jeweils unterschiedlich besetzt. Die unterschiedlichen Kategorien können im Anhang (Anhang 1., Punkt 6.), und Tabelle 9. eingesehen werden
[6] Zur genauen Vorgehensweise und Bildung neuer Kategorien zwecks Berechnung des Chi-Quadrat-Tests siehe auch: S. 89/ 90
[7] Zur genauen Vorgehensweise und Bildung dichotomer Kategorien zwecks Berechnung des Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstests siehe S. 89/ 90
- Citar trabajo
- Alexander Lang (Autor), 2003, Unterrichten von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40582
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